1893 / 60 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

abgelehnt. Die 6 Stimmen setzten sich aus den Mitgliedern der Reichspartei und den Deutschconservativen zusammen; bei den neun Stimmen sind noch die Nationalliberalen hinzugetreten. § 2 ist somit in allen seinen Theilen abgelehnt. Nunmehr wurde der Absatz I des § 1 (Friedenspräsenz 492 068 Mann als Jahres⸗ durchschnittsstärke bis 31. Mai 1899) zur Debatte gestellt. Hier stellte Abg. Richter namens seiner Fraction folgenden Antrag: §᷑ 1 wie folgt zu fassen: „Die Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres wird für die Zeit vom 1. Oktober 1893 bis 31. März 1895 auf 486 983 Mann festgestellt. Die Einjährig⸗Frei⸗ willigen kommen auf die Friedensstärke nicht in Anrechnung.“ Bei der Abstimmung wird Absatz I des § 1 der Regierungs⸗ vorlage gegen die sechs Stimmen der Conservativen und der Reichspartei abgelehnt; der Antrag Richter fällt gegen die fünf Stimmen der Freisinnigen und der Volkspartei. Die §§ 3 und 4 der Vorlage werden durch die zu §§ 1 und 2 erfolgte L“ gegenstandslos. Damit ist die erste Lesung der Vorlage beendet. Die zweite Lesung in der Commission beginnt am Donnerstag, 16. März.

Kunst und Wissenschaft.

Die Ausstellung der Modelle für die beiden Ge⸗ dächtnißkirchen für den Kaiser Wilhelm und die Kaiserin Augusta im Kunstgewerbe⸗Museum beginnt Montag, den 13. März, und dauert bis einschl. Sonnabend, den 18. März. Am 13. Whärz ist die Zeit von 9 bis 1 Uhr für die Aller⸗ höchsten und Höchsten Herrschaften, von 1 bis 2 Uhr für die Staats⸗Minister, die kirchlichen Behörden und die Baucomités der beiden Kirchen reservirt. Am 13. März von 2 bis 4 Uhr und an den übrigen Tagen von 10 bis 4 Uhr wird die Aus⸗ stellung für das Publikum geöffnet sein. Der Zutritt ist frei.

Morgen, Sonnabend, den 11. d. M., wird im zweiten Cornelius⸗Saal der Königlichen National⸗Galerie eine Sonder⸗Ausstellung von Werken der verstorbenen Maler Paul Graeb und K. Ed. Biermann eröffnet.

Der Verein für deutsches Kunstgewerbe veranstaltete Mittwoch Abend im großen Saale des Architektenhauses einen Fach⸗ abend für Holzbildhauerei, bei welchem die verschiedenen Gattungen dieser Kunst durch zahlreiche ältere und neuere Arbeiten vertreten waren. Besonderes Interesse erweckten die Proben der mächtigen Schnitzereien, welche für den Sitzungssaal des neuen Reichstags nach Entwürfen des Bauraths Wallot von den Holzbildhauern Riegelmann und Weinrich ausgeführt werden. Herr Holzbildhauer Taubert gab anschauliche Mittheilungen über die Technik der Holz⸗ schnitzerei, Herr Bibliothekar Dr. Jessen besprach die Stilformen der Holzschnitzerei seit dem Mittelalter an der Hand einer Sammlung alter Arbeiten aus dem Königlichen Kunstgewerbe⸗Museum und verwies auf die ausgestellten Möhel, Rahmen und Schnitzereien verschiedener Berliner Werkstätten. k Bei der Concurrenz des Vereins für deutsches Kunstgewerbe um einen Gardinenhalter mit Quaste sind folgende Preise zuerkannt worden: Erster Preis (80 ℳ) die Posamentierfabrit Reiß u. Burmeister, zweiter Preis (60 ℳ) die Posamentiere Paul Schwiethal und Gustav Friedrich, dritter Preis (40 ℳ) Posamentier⸗ gehilfe Carl Schrader. Ehrenvolle Erwähnungen erhielten: Posa⸗. mentierlehrling A. Beckmann und die Posamentierfabrik Gebr. Prinz.

2 heater und Musik. 8

KRsbhnigliches Opernhaus. 8

Der achte Symphonie⸗Abend der Königlichen Kapelle, welcher gestern stattfand, darf als ein für unsere Musik⸗ welt sehr ereignißreicher und interessanter angesehen werden. Die dramatische Symphonie für Soli, Chor und Orchester „Romeo und Julie“ von Berlioz wurde an diesem Abend zum ersten Mal vollständig arfgeführt, nachdem einzelne Abschnitte des Werks bereits das Verlangen nach dem Kennenlernen des ganzen Werks lebhaft im Publikum erweckt hatten. Es zerfällt in sechs Hauptabschnitte: 1) Streit zwischen den feindlichen Familien der Montagus und Capulets in fugirter Form gehalten, nebst einem aus Chor und Alt⸗Solo bestehenden erklärenden Prolog. 2) Romeo’s Schwermuth Großes Fest bei Capulet. 3) Heitere Nacht mit wundervollen Männerchören und mit der reizend instrumentirten

Liebesscene. 4) Die Königin Mab, eines der kühnsten Orchesterwerke

des Componisten. 5) Feierliches Begräbniß der Julie, dessen tiefer Ernst, charakteristisch in Tönen wiedergegeben, nur durch die un⸗ ewöhnliche Länge etwas monoton wirkt. 6) Das Finale, as die großartigsten musitalischen Ideen enthält, noch einmal den Streit der Parteien schildert und endlich durch das herrliche Baßsolo des ermahnenden Priesters zur Versöhnung übergeht, bildet eine höchst wirksame Steigerung in der Composition. Die Ausführung dieses sehr schwierigen und complicirten Werks war eine der Kapelle und ihres ausgezeichneten Dirigenten, des Königlichen Kapellmeisters Weingartner, durchaus würdige und wurde mit rauschendem Beifall aufgenemmen. Auch die Solopartien, welche die Mitglieder der Königlichen Oper: Fräulein Rothauser, Herr Sylva und Herr Mödlinger übernommen hatten, trugen sehr wesentlich zum Ge⸗ lingen des Ganzen bei. Vor dieser Symphonie trug das Orchester Beethoven’s „Fidelio⸗Ouverture“ und Haydn’s Symphonie (C-moll) mit gewohnter Präcision und Zartheit der Schattirungsweise vor. An dem neunten Symphonie⸗Abend (22. März) gelangt die „Neunte Symphonie mit Chören“ von Beethoven zur Ausführung. b 8

Im Königlichen Opernhause gelangt am Sonntag Mevyer⸗ beer’'s „Afrikanerin“ mit den Damen Sucher, Hiedler und Henneberg, sowie den Herren Sylva, Bulß, Mödlinger, Krolop, Stammer und Ritter zur Aufführung. Am Montag (IV. Gesellschaftsabend, Anfang 7 ½ Uhr) gehen „Die Rantzau“ in Scene. Für den neueinstudirten „Freischütz“ sind sämmtliche Decorationen mit Ausnahme eines Zimmers im II. Aet, welches von Herrn Quaglio gemalt ist, aus den Ateliers der Herrn Gebrüder Brückner in Coburg.

Im Königlichen Schauspielhause wird Fr. Mitter⸗ wurzer bei seinem diesmaligen Gastspiele auch als Tell und König

Philipp auftreten.

Im Residenz⸗Theater sind in dem morgen zur ersten Auf⸗ führung kommenden Schwank „Die beiden Champignol“ (Champignol malgré lui) die Herren Richard Alexander, Eugen Pansa, Hans Pagay, Hermann Haack, Josef Jarno und Rudolf Rittner und die Damen Rosa Bertens, Hilda Hofer und Lou Brion beschäftigt. Fräulein Wilma von Mayburg, von ihrem Auftreten am Deutschen Theater her bekannt, wird in diesem Stücke debütiren.

Im Kroll'schen Theaater tritt Frau Nevada morgen zum ersten Mal als „Traviata“ auf. Die Oper geht vollständig in italienischer Sprache in Scene. Herr de Padilla fingt die Partie des Germont, Herr Pandolfini den Alfredo. Frau Bellincioni und Herr Stagno werden Mitte April wieder bei Kroll gastiren.

Im Thomas⸗Theater wird in der morgigen ersten Auffüh⸗

rung von „Ihr Corporal“ die Therese von Fräulein Jolli gespielt;

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8

in anderen Hauptrollen sind die Damen Graselli, Mentzl und Kühnan

und die Herren Müller, Blum und Grünecker beschäftigt.

Der achtjährige Raoul Koczalski spielt in seinem am Sonntag in der Sing⸗Akademie stattfindenden Populären Concert das D-moll-Concert von Mendelssohn, Weber’s Concertstück, den ersten Satz aus der Cis-moll-Sonate von Beethoven, eine Gondolier von Moszkowski, eine Gruppe Chopin’scher Werke und eine eigene Gavottc. Im Concert des Pianisten Dr. Otto Neitzel im Saal Bechstein am 12. d. M., Abends 7 ½ Uhr, übernimmt die Altistin Fräulein Johanna Beck die gesangliche Mitwirkung mit Arien von Astorga und Händel und Liedern von Brahms und Franz.

Mannigfaltiges.

Der Recitator Conrad Pekelmann aus Wien wird an Montag im Bechstein⸗Saal Ibsen's Terie Wigen, Dichtungen aus dem Russischen von Turgenjew, aus dem Ungarischen von Kiß,

Petöfi und Kisfalndy, wie auch eine Erzählung von Baronin Suttner

zum Vortrag bringen.

Ein geheiztes Coupé zeigte sich, nach einer Mittheilung der „N. A. Z.“, gestern Morgen zum ersten Mal in den Straßen Berlint. Der mit dem Strauß'schen Heißluftapparat versehene Wagen ist dazs bestimmt, die Heizbarkeit von Equipagen, Doctor⸗, Krankenwagen u. s. w.

nachzuweisen. Für die achtzehn Stunden andauernde Heizung eines

Wagens genügt 1 Liter Petroleum, das sich in einem auf dem Verdec⸗ angebrachten Behälter befindet und durch ein Leitungsrohr dem Heiz⸗ apparat zugeführt wird, der zwischen den Hinterrädern liegt und ven Außen bedient wird.

„Lübeck, 9. März. Nach weiteren Meldungen des „W. T. B.“ sind die sieben Schiffsleute des gestern gesunkenen Dampfers „Ostsee“ (vergl. Nr. 59 d. Bl,), deren Schicksal unbestimmt war, von dem

Kieler Dampfer „Adele“ gercttet worden.

Nach Schluß der Redaction eingegangene Depeschen.

Breslau, 10. März. (W. T. B.) Der Fürstbischof von Breslau, Cardinal Kopp, welcher heute früh gegen 10 Uhr von Rom hierher zurückkehrte, wurde auf dem Bahnhof von vielen Deputationen, hervorragenden Persönlichkeiten, unter ihnen Graf Matuschka, Herzog von Ratibor, und von einem zahlreichen Publikum empfangen. Graf Ballestrem, welcher dem Cardinal bis Oppeln entgegengefahren war, be⸗ grüßte denselben mit einer Ansprache, welche D. Kopp erwiderte. Sodann erfolgte der fcierliche Einzug durch die reichgeschmückten Straßen.

Belgrad, 10. März. (W. T. B.) Nach den bisher bekannt gewerdenen Wahlresultaten wählten 20 Städte liberal, neun radical; in Pirot und Cacak sind Nachwahlen erforderlich. Die Ruhe ist nirgends ernstlich gestört worden. Die bisherigen theilweisen Wahlberichte aus den Landgemeinden ergeben eine große Majorität für die Regierung. Ein verläßliches Ge⸗ sammtresultat läßt sich erst morgen erwarten.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

vom 10. März, MNorgens.

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Wind. Wetter.

WNW A halb bed.

WNW 7 wolkig

WNW 7 Schnee

Stockholm . WSW 6 Schnee

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ar. auf 0 Gr. in Cel⸗ 5 °C

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t Petersburg S 3 bedeckt Moskau 761 NW l wolkenlos

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towou 772 NW 3 heiter 6 Cherbourg 770 N A halb bed. Helder... 763 WNW 7wolkenles ö1“ 754 NW 5 halb bed. Hamburg 756 WNW A heiter Swinemünde 750 NW. 6 bedeckt ¹) Neufahrwasser 746 WSW 5Regen Memel 746 SSW bedeck²) ö.7768 NNW 2 wolkig

ünster 761 NW 8 wolkig Karlsruhe. 764 SW 4bedeckt Wiesbaden 763 NW 5'halb bed. München . 763 SW 6 Regen Chemnitz . 757 W 5 Regen Berlin.. 7533 W 6, wolkigz) Wien .. 762 W 1 Nebel Breslau. 755 SSW 3 edeckt

JFle dAirx.. 767 ONO 2halb beb. Nizza.. 765 still wolkenlos

—,9 Anfang 7 Uhr.

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¹) Nachts Regen, böig. ²) Nachts Schnee. *) Früh Regen. 16 Uebersicht der Witterung.

„Ein barometrisches Minimum unter 730 mm Wind und Wetter von Nord⸗ und Mittel⸗Europa beherrschend, liegt über dem nördlichen Schweden, ücn gegenüber einem barometrischen Maximum über Clémenceau. 775 mm westlich von Irland. Im Nord⸗ und Ostseegebiete, theilweise auch im Binnerlande wehen

starke bis stürmische südwestliche bis nordwestliche 8 . 8

Winde, unter deren Einfluß die Temperatur Friedrich- Wilhelmstüdtisches Theater. 8 Negtera; 25. Sonnabend: Das Sonntagskind. Operette in „Ed Erwärmung ist in Finland und Umgebung einge⸗ 3 Acten von Hugo Wittmann und Julius Bauer. Musik Couplets theilweise von G. Görz. treten, wo es jetzt bis zu 23 wärmer ist als vor von Carl Millöcker. In Scene gesetzt von Julius G. Steffens. In Scene gesetzt von

gestiegen und die Frostgrenze ostwärts nach der russischen Grenze fortgeschritten ist. Aeußerst starke

220

rauen. Lustspiel in 5 Au

Sonntag: Opernhaus. 63. Vorstellung. Die Afrikanerin. Oper in 5 Acten von G. Meyerbeer.

Schauspielhaus. Heae in 8 Aufgügen Pohl⸗ freier Benutzung der Dichtung des altindischen Königs von A. d'Ennery und Jules Verne. Sudraka. In Scene geseßt vom Ober-⸗Regisseur girt vom Balletmeister C. Severini. Musik von 7 Uhr: Gala⸗Vorstellung.

““ Debillemont und C. A. Raida. Anfang 7 ½ Uhr. Sonntag und folgende Tage: Die Reise um die

Deutsches Theater. Sonnabend Der Talis⸗ Welt in achtzig Tagen. man. Anfang 7 Uhr. 8 8

Sonntag: Der Talisman.

Montag: Der Talisman.

Dienstag: Zwei glückliche Tage.

Max Grube. Anfang 7 Uh

fresser. Anfang 7 Uhr. Sonntag: Nachmittags 2 ½ Uhr: Dorf und Stadt. Abends 7 ½ Uhr: Keau.

Ludw. Barnay, Ludw. Stahl.)

Lessing-Theater. Anfang 7 ½ Uhr. Sonntag: Heimath. Montag: Heimath. Am 18. März:

Wallner⸗Theater. Sonnabend: Anfang 7 ½ Uhr. 1. 1 1 Sonntag: Die Großstadtlust. Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

Schauspielhaus. 69. ves er. Die gelehrten französischen Operetten⸗Gesellschaft des Directors zügen von Jean Baptiste Mr. Aubert. Sarah Bernhardt: Das Geständniß.

NKolisre. In deutschen Versen von Ludwig Fulda. (L'aven.) Schauspiel in 1 Act. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. —— Der cingebildete Kranke. Lustspiel in 3 Auf⸗ zügen von Jean Baptiste Molière, mit Benutzung der Wolf Graf Baudissin' Scene geseht vom Ober⸗

Regisseur Max Grube. Anfang 7 Uhr.

Dienstag: Gast

70. Vorstellung. Vasantasena.

I Weinberger. Sonnabend:

Anfang 7 ½ Ubr.

24 Stunden. Im Nordwesten der britischen Inseln Fritzsche. Dirigent: Herr Kapellmeister Federmann. Anfang 7 ½ Uhr.

ist wieder Abkühlung eingetreten, welche sich dem⸗ Anfang 7 Uhr. nächst weiter südostwärts nach unsern Gegenden aus⸗ breiten dürfte. In Deutschland ist das Wetter böig, vorwiegend trübe und ziemtich warm. Deutsche Seewarte.

Theater⸗Anzeigen. Königliche Schauspiele. Sonnabend: Opern⸗ haus. 62. Vorstellung. Die Hexe. Oper in 3 Acten

„Die Hexe“, übersetzt von Mary von Borch. In Scene gesetzt vom Nöer Rägisseur Palff. Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck. Anfang 7 Uhr. 8

g ö1““*“ 8

Sonntag: Das Sonntagskind.

Deutsch von Benno Jacobson.

Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

Sonntag, Mittags 12 Uhr: Matinée zum Besten von August Enna. Text nach Arthur Fitger's Drama der Nothleidenden auf der Insel Zante. Unter dem F rotectorat Seiner Hoheit des Erbprinzen von Sachsen⸗

keiningen. Einmaliges Auftreten der K. K. Hof⸗ Am Fances. ngchea. Park (Lehrter Bahnhof). burgschauspielerin Stella Hohenfels. Concert der! Geöffnet von 12—11 Uhr. 11

Schwank in 3 Acten von

Kroll's Theater. Sonnabend: Gestspiel der 312, Sgra. Emma Nevada. La Traviata. (Violetta: schen Uebersetung. In xgra. Nevada; Germont: Sgr. de Padilla, a. G.)

Sonntag: Der fewearse Domino. 1 Z1“ ö Frens. Waisenpflege. Concert, Festrede und gr. Ball. 28 sängerin Frau Minnie Hauk. Die lustigen Weiber Anfang 7 Uhr. Text von E. Scribe, deutsch von F. Gumbert. Ballet von Windsor. (Frau Fluth: Frau Minnie Hauk)

von Paul Taglioni. In Scene gesetzt vom Ober⸗ A““ Regisseur Tetzlaff. Dirigent: Kapellmeister Sucher.

ödi s M. Die Sirenen⸗Insel. Ballet in 1X“ Regel. Musik dn R. Mader. Der chorcogr. Tchel⸗ ——e-—“

von Jos. Haßreiter. Inseenirt durch den Ballet⸗ Der Fall meister Herrn L. Gundlach. TTTöö

77. Male: Modernes Babylon. Gesangsposse in- von Braun 3 Acten von Ed. Jacobson und W. Mannstädt.

Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

Concerte.

Sing-Akademie. Sonnabend, Anfang 8 Uhr: Klavier⸗Abend (Beethoven) von Engen d'Albert.

Concert-Haus, Leipzigerstraße 48. Sonnabend: Zwölftes Stiftungsfest der Deutschen Reichs⸗Fechꝛ⸗ Schule. Wohlthätigkeits⸗Verein zum Zwecke der

Saal Bechstein, Linkstraße 42. Sonnabend,

Victoria⸗Theater. Belle⸗Alliancestraße 7/8. Anfang 7 ½ Uhr: Concert von Hedw. Fritsch und Sonnabend: Mit neuer Ausstattung: Die Reise um Ugo Meißner. die Welt in achtzig Tagen. stattungsstück mit Ballet in 5 Acten (15 Bildern)

Großes Aus⸗

Ballet arran- Cirrus Renz (Carlstraßev.) Sonnabend, Abends Ein Künstlerfest. Neml

meister A. Siems. Mit überraschenden Licht, und Wassereffecten und auf das Glänzendste inscenin

Neues Theater (am Schiffbauerdamm 4/5). vom Director Franz Renz. Costume, Requisiten, Sonnabend: Zum 1. Male: Der Phonograph. Wagen vollständig neu. Unter Mitwirkung des ge⸗ Schwank in 3 Acten von A. Bisson. Hierauf; Der sammten Personals. Neue Einlagen mit grof⸗

1 8. S. Frosch. Parodistisches Familienbild in 1 Act von Berliner Theater. Sonnabend: Der Veilchen⸗ O. E. Hartleben. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

artigen Lichteffecten. Ballet von 100 Damen. Großartiger, in solcher Pracht noch niemals gesehener Blumencorso. Zum Schluß: Großes Brillant⸗ Feuerwerk. Außerdem u. a.: Mr. James Fillis mit dem Schulpferde „Markir“. Concurrenz⸗

Theater Unter den Linden. Sonnabend: eeniz 6“ 2 g schule, geritten von den Damen Frls. Clotilde Hager Montag: Othello. (Agnes Sorma, Nuscha Butze, Zum 57. Male: Lachende Erben. Operette in 18 e. Renz. Das boxeade Het ac Hogr⸗ 3 Acten von Herf und Stein. Musik von Carl] geführt vom Clown Misco. Marietta und Belleni Inscenirt durch den artist. Leiter Ed. mit ihren dressirten Kakadus ꝛc.

Heimath. Binder. Dirigent: Kapellmeister A. Ferron. Die p militär. Evolutionen im 3. Act arrangirt von L. 4 Uhr (ein Kind unter 10 Jahren freilz: Die Gundlach. Tegstindig neue Ausstattung an Deco⸗ Iustigen Heidelberger. Abends 7 ½ Uhr: Ein rationen und Kostümen. Hierauf: Zum 77. Male: Künstlerfest.

Sonntag: 2 große Vorstellungen. Nachmittags

1 Act von H.

Familien⸗Nachrichten. Verlobt: Frl. Charlotte Erbe mit Hrn. Pastor Georg Lüdeke (Winsen a. d. Luhe⸗—Elbingerode bei Herzberg a. Harz). Frl. Elisabeth von

Adolph Ernst⸗Theater. Sonnabend: Zum Bruchhausen mit Hrn. Gerichts⸗Referendar Georg

8

schweig (Naumburg a. S.). Frl. Helene Wolfgardt mit 8 Gerichts⸗Referendar 8 August Neugebauer (Berlin). Ausü.g. ven e Hr. Gerhard Chales de Beaulien (Ober⸗ Wiesenthal in Schles.). Hr. Hauptmann a. D. Victor von Oertzen (Sparau). Fr. Geheime Kanzlei⸗Rath Anna Krieger, geb. von Erdmanns⸗ dorff (Niederlößnitz). Hr. Kreis⸗Phyvsikus a. D.,

Thomas-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Geh. Sanitäts⸗Rath Dr. Hugo Heer (Beuthen

des Directors Franz Josef

O.⸗S.).

Kesidenz-Theater. Direction: Sigmund Lauten⸗ Sonnabend: Gesammt⸗Gastspiel des Wiener En. u“

burg. Sonnabend: Zum 1. Male: Die beiden semble unter Leitun ofe g Cbampignol. (Cnämpignol malgré Iui.) Graselli. Zum 1. Meale: Ihr Korporal. Posse Feydeau und Desvallières. mit Gesang in 3 Acten von Carl Costa. Musik von Carl Millöcker. Anfang 7 ½ Uhr. Sonntag: Dieselbe Vorstellung.

Redacteur: Dr. H. Klee, Director. 1

Verlag der Expedition (Scholz). Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlacs⸗

Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde.

Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32. Sieben Beilagen

(einschließlich Börsen⸗Beilage).

Große Ausstattungs⸗Pantomime vom Hofballet⸗

zum Deutschen

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Erste Beilage eiger und Königlich Preu

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Deutscher Reichstag. 8 62. Sitzung vom Donnerstag, 9. März, 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die Berathung des Militär⸗ Etats, und zwar zunächst das Ordinarium der Ausgaben.

Aus der Verhandlung, über deren Beginn wir bereits in der Donnerstags⸗Nummer berichtet haben, tragen wir zu⸗ nächst die Antwort des Königlich preußischen Kriegs⸗Ministers von Kaltenborn⸗Stachau auf die Ausführungen des Abg. Dr. Lingens im Wortlaut nach.

Königlich preußischer Kriegs⸗Minister von Kaltenborn⸗ Stachau:

Ich darf vielleicht zur Feststellung der augenblicklichen Bestim⸗ mungen, die in dieser Materie herrschen, diese Bestimmungen, wie sie in der Garnisondienstvorschrift enthalten sind, wörtlich vorlesen. Es heißt da:

Der Gouverneur ꝛc. hat den Kirchenbesuch der Garnison so zu regeln, daß jeder Soldat evangelischen wie katholischen Glaubens, abgesehen von den hohen kirchlichen Festtagen, im Laufe des Monats möglichst einmal zum sonntäglichen Gottesdienst geführt wird.

Der Dienst, welcher außer dem unerläßlichen Wacht⸗ und Or⸗ donnanzdienst bei den Truppen an Sonn⸗ und Festtagen gethan werden muß, ist unter gewöhnlichen Verhältnissen stets so anzu⸗ setzen, daß kein Soldat am Kirchenbesuch behindert wird. Diese Rücksicht soll auch den Militärzefangenen zu theil werden, sofern es sich mit dem Aufsichtsdienst vereinbaren läßt.

An hohen Festtagen werden in den Garnisonen Abord⸗ nungen aller Truppentheile zur Kirche geführt, deren Stärke sich nach dem Raum in der Kirche richtet. Zu den hohen kirch⸗ lichen Festtagen sind für die Militärpersonen evangelischen Glaubens zu zählen:

die beiden Oster⸗, Pfingst⸗ und Weihnachtsfeiertage, der Neu⸗

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jahrstag, der Charfreitag, der Himmelfahrts⸗ und Bußtag. Für diejenigen katholischen Glaubens:

die beiden Oster⸗, Pfingst⸗ und Weihnachtsfeiertage, der Neu⸗

jahrstag, Himmelfahrtstag und Frohnleichnamstag.

gAnn diesen Festtagen, sowie am Geburtstag Seiner Majestät

des Kaisers und Königs tritt Befreiung von jedem Dienst ein, der nicht unerläßlich ist. Es ist jedoch auch an den nachbezeichneten katholischen Festtagen, wie dem Heiligen Dreikönigs⸗Tage, dem Aller⸗ heiligentage, Mariä Lichtmeß, Mariä Verkündigung, Peter⸗Pauls⸗ tage und Mariä Empfängniß, dem religiösen Bedürfniß der Mann⸗ schaften möglichst Rechnung zu tragen. Die Generalcommandos sind ermächtigt, nach Maßgabe der in den einzelnen Landestheilen zur anerkannten Geltung gelangten kirchlichen Gebräuche dem religiösen Bedürfniß der Mannschaften nöthigenfalls in weiterem Umfange Rechnung zu tragen und unter Umständen eine unbedingte oder in gewissen Grenzen zu haltende Befreiung vom Dienst auch an anderen als den hier gedachten Festtagen eintreten zu lassen, soweit die dienstlichen Anforderungen dies gestatten.

Soldaten jüdischer Religion sollen an den jüdischen Fciertagen möglichst vom Dienst befreit bleiben.

Ich glaube, meine Herren, daß in diesen Bestimmungen deoch wohl alles, was mit Billigkeit von der Heeresleitung erwartet werden kann, enthalten ist, und ich meine, daß die Forderungen des Herrn Abg. Lingens im wesentlichen durch diese Bestimmung befriedigt werden können. Weitergehende Forderungen sind wirklich mit dem dienstlichen Interesse nicht vereinbar. Ganz besonders ist es nicht durchführbar, daß, wenn die Truppe zum Manöver ausgerückt ist, man ihr rücksichtslos jeden Sonntag frei giebt; denn bei dem Manöver, wo die Zwecke der kriegsmäßigen Ausbildung in erster Linie stehen, wird der Mann an den übrigen Tagen der Woche, die nicht Ruhe⸗ oder Feiertage sind, meistens so lange in Anspruch genommen, daß er erstens recht ermüdet in diese Ruhe⸗ und Feiertage hinübergeht, und er zweitens an den Uebungstagen wenig Sorge für seine Ausrüstung und für seine Waffen hat üben können. Es ist also durchaus nöthig, daß der Mann diese Ruhetage, zu denen die Feiertage auch gehören, dazu benutzt, seine Kleidung, seinen Körper und seine Waffen wieder in einen solchen Zustand zu versetzen, daß er neue Strapazen ertragen kann. Daß dieser Dienst so eingerichtet ist, daß er die Leute nicht am Kirchen⸗ besuche verhindert, das liegt in den Bestimmungen, die ich die Ehre hatte, Ihnen vorzulesen. Ich möchte also glauben, daß in den augen⸗ blicklich gültigen Bestimmungen alle Garantie geboten ist, daß der Kirchenbesuch der Mannschaften aller Confessionen nicht nur durch den Dienst nicht eingeschränkt wird, sondern daß er durch die geltenden Verfügungen mäöglichst unterstützt wird.

Wenn der Herr Abg. Lingens meint, daß dem nicht an allen Stellen vell Rechnung getragen würde, so muß ich darauf erwidern, daß es der Heeresverwaltung nur erwünscht sein kann, entweder von dem ein⸗ zelnen Vorfall unter bestimmter Angabe der Behauptungen Mit⸗ theilung zu machen, oder daß es noch viel einfacher wäre, sich in einem solchem Falle direct beschwerdeführend an den commandirenden Gencral zu wenden, der unbedingt, soweit die Sache berechtigt ist, diese Wünsche unterstützen würde.

In Bezug auf die Vorbereitung der Rekruten zur Vereidigung sind ja in der Commission schon Ansichten ausgetauscht, und ich kann hier nur das aussprechen, daß die Art und Weise der Vorbereitung zur Rekrutenvereidigung bei den katholischen Mannschaften durchaus im Einverständniß und ohne jeden Widerspruch seitens des katholischen Feldpropstes der Armee stattgefunden hat. Sellte gewünscht werden, daß die Vorbereitung der katholischen Mannschaften noch intensiver werde und soll sie eine in den Kirchen stattfindende durchaus sein, so würden wir, wenn der katholische Feldpropst mit diesem Gesuch an

ie Heeresverwaltung heranträte, jedenfalls in Erwägung nehmen, wie weit einem derartigen Antrage nachzugeben wäre. Andererseits aber brauche ich hier wohl nicht besonders hervorzuheben, daß Seiner Majestät dem Kaiser das Recht nicht geschmälert werden kann, zu be⸗ fehlen: In Meiner Gegenwart sollen die Rekruten vorbereitet werden

und Ich will ihnen dann den Eid abnehmen. (Bravo! g. n c8

Verlin, Freitag, den 10. Mürz

„Eine Anfrage des Abg. Richter beantwortete der Kriegs⸗ Minister von Kaltenborn⸗Stachau mit folgenden Worten:

Khöniglich preußischer Kriegs⸗Minister von Kaltenborn⸗ Stachau:

Ich kann in meiner Antwortz ganz kurz sein und kann also dem Herrn Abg. Richter erwidern, daß zu dem beregten Zweck, also, wenn ich recht verstanden habe, im Interesse der Agitation militärischerseits für die Militärvorlage seitens der Heeresverwaltung nicht ein Nickel ausgegeben worden ist. (Hört! hört! rechts.)

Abg. Richter (dfr.): Damit lasse ich mich doch nicht so leicht

abfinden. Ist es etwa nicht wahr, daß der Major von Keim zum Aus⸗ wärtigen Amt commandirt worden ist zur Abfassung der Militär⸗ artikel? Jeder weiß aus der Geschichte der Bewilligung der ge⸗ heimen Fonds, daß die geheimen Fonds des Kriegs⸗Ministeriums und des Auswärtigen Amts sich übertragen, sich wechselseitig unterstützen und für dieselben Zwecke verwendet werden. Ich nehme an, daß dies auch in diesem Falle geschehen ist. Es gereicht mir die Constakirung dieses Falles zu um so größerer Genugthuung, als ich im vorigen Jahre in Vorahnung dieser Dinge gegen die Erhöhung dieser ge⸗ heimen Fonds gestimmt habe. Damals hat der Reichskanzler noch der Ansicht gehuldigt, daß man seitens der ihm unterstellten Ressorts nur geheimer Fonds bedürse für militärische Zwecke und auswärtigen Re⸗ gierungen gegenüber. Jetzt aber finden wir seinerseits auch den Grundsatz ausgesprochen, daß er ungleich mehr für die officiöse Presse glaubt thun zu müssen, als er früher für nothwendig hielt. Daraus folgt, daß der Reichskanzler in seinen Vorlagen und seiner Verwaltung sich nicht mehr in dem Maße in Einklang mit der öffentlichen Mei⸗ nung befindet, als dies im Anfang seiner Verwaltungsperiode der Fall war. Je mehr man unternimmt, gegen den Strom zu schwimmen, desto mehr Schwimmblafen der Officiösen braucht man, um sich über Wasser halten zu können. Hier liegt noch das Besondere vor, daß Geld des Reichs verwendet wird zu einer Agitation gegen die Reichstagsmehrheit. Was würde man sagen, wenn die Mehrheit des Reichstags das Reichstagsburcau beauftragte, auch solche Broschüren und Flugblätter zur Vertheidigung ihres Standpunktes aus Reichs⸗ mitteln, nämlich den Mitteln des Reichstags, zu verbreiten? Der eine Factor der Gesetzgebung führt aus der Reichskasse Krieg gegen den anderen Factor der Gesetzgebung. Das ist ein durchaus ungehöriges Verfahren, um so mehr als jene Schriften nicht von Amtswegen uftreten, sondern vermummt, anonym, von einem Quidam, einem großen Unbekannten herausgegeben werden. Während sonst die Parole war: Die Deutschen fürchten nur Gott und sonst niemand, scheint jetzt der Wahlspruch jener Artikel zu sein: Die Deutschen fürchten alles, nur nicht die Vermehrung der Militär⸗ und Steuerlast. Bis⸗ her hat man mit diesen Kunststücken nichts ausgerichtet und mehr Verwunderung als Ueberzeugung im Lande hervorgerufen. Ich bin überzeugt, daß man auch in dem weiteren Stadium kein besseres Re⸗ sultat damit erzielen wird.

Königlich preußischer Kriegs⸗Minister von Kaltenborn⸗ Stachau:

Ich wollte meiner Erklärung von vorhin nur hinzufügen, daß auch aus den geheimen Fonds im Kriegs⸗Ministerium nicht ein Nickel zu Preßzwecken verwandt worden ist. Zugeben muß ich, daß Herr Major von Keim zur Dienstleistung nach dem Auswärtigen Amt commandirt ist, zu welchem besonderen Zwecke, unterliegt nicht meiner Bestimmung und ist mir auch nicht bekannt. (Große Heiterkeit.)

Abg. Bebel (Soc.): Die Heiterkeit des Hauses wird dem Kriegs⸗ Minister zeigen, daß das Haus wohl weiß, wozu der Major Keim com⸗ mandirt ist, wenn er selbst es auch nicht weiß. Hoffentlich kommt es zu einer Auflösung des Reichstags, wo man dann ja erkennen wird, welche Wirkung diese militärofsiciösen Beeinflussungen gehabt haben. Ich frage heute den Kriegs⸗Minister, wie er über das Ver⸗ fahren bestimmter Abtheilungschefs seines Ressorts denkt, Social⸗ demokraten aus den Betrieben der Militärwerkstätten u. s. w. aus⸗ zuschließen. Die Fürsorge der militärischen Behörden für die Social⸗ demokratie erstreckt sich aber noch viel weiter. Bei den Aushebungen wird seit einer ganzen Reihe von Jahren in Vercinbarung mit den Civilbehörden em großartiges Spionirsystem betrieben, um herauszubekommen, welche unter den jungen Leuten social⸗ demokratischer Gesinnungen verdächtig sind. Es sind uns auch in dieser Beziehung viele Actenstücke in die Hände gefallen, wie denn heute unsere Partei ihre Leute überall hat und viel weiter verbreitet ist, als die Herren hier glauben. Es kann überhaupt gegen uns von den Behörden nichts mehr unternommen werden, ohne daß uns die be⸗ treffenden Actenstücke sofort bekannt werden. In Lennep hat der Landrath vom Bürgermeister einer Gemeinde Bericht über die Ge⸗ sinnungen der jungen Leute eingefordert. In Speier ist „im Voll⸗ zug der vom Staats⸗Ministerium 1885 ergangenen Weisungen“ Bericht darüber eingefordert, ob die jungen Leute in der Partei Führerrollen einnehmen oder eifrige, zielbewußte Anhänger der Partei sind oder als Anhänger der Partei verdächtig seien. Die Be⸗ antwortung ist denn auch unter den drei erwähnten Rubriken erfolgt. Die Listen werden amtlich an die höchste Militärbehörde gegeben und müssen selbstverständlich zu einer besonderen Ueberwachung, viel⸗ leicht auch zu einer ausnahmsweise strengen Behandlung während der Dienstzeit führen. Dieser Brauch muß in der ganzen deutschen Armee herrschen, wie die uns vorliegenden Acten beweisen. Dazu hat aber die Staatsbehörde keinerlei Recht, so lange Socialdemokraten dieselben Rechte wie die übrigen Staatsbürger genießen. Sind sie als staats⸗ gefährliche Elemente anzusehen, dann sollten sie gesetzlich vom Militärdienst ausgeschlossen werden. Ein solches Gesetz würde viel Anhang im Volke finden, denn ein Vergnügen ist es nach meiner Meinung nicht, zu dienen. Das Verfahren führt natürlich zu den shlmmsten Mißbräuchen der untergeoordneten Organe, welche diesen oder jenen als Beeeialbehoktaten denunciren, bloß um ihm das Leben möglichst sauer zu machen. In zahlreichen Fällen haben die Opfer dieser Mißbräuche nachher erklärt, garnicht zu wissen, was ein Socialdemokrat ist. Wenn Sie die Socialdemokraten in Staats⸗ werkstätten nicht beschäftigen wollen, werden Sie die besten Arbeiter entlassen müssen; ohne Socialdemokraten kommen Sie garnicht mehr aus, und hoffentlich wird es bald keinen denkenden Arbeiter mehr geben, der nicht Socialdemokrat wäre. Mit diesem Spionirsystem, mit dieser Ausnahmebehandlung machen Sie nur für uns die aller⸗ wirksamste Propaganda. Man verlangt jetzt in den Werkstätten von den Arbeitern die Ausstellung von Reversen, daß sie nicht Social⸗ demokraten sind, ja man verpflichtet die Unternehmer zu ähn⸗ lichen schriftlichen Versicherungen. In Köln hat ein Unter⸗ nehgier, der selbst Socialdemokrat ist, einen solchen Revers vorgelegt bekommen und selbstverständlich auch kalten Blutes unterschrieben. In Ulm ist uns der Wortlaut des Reverses für die Arbeiter zugänglich geworden. (Redner vperliest den Wortlaut.) Die Verwaltung mag nun erklären, ob dieses eine Fälschung ist. Dort, wo man die socialdemokratischen Arbeiter nicht entbehren kann, läßt man sie gewähren. So muß auch die Militär⸗ verwaltung zu einer Casuistik greifen, die der der Jesuiten gewiß nichts nachgiebt. Die Arbeiter gewinnen durch eine so heimtückische Kampfesweise das Recht, alles zu thun, um sie wirkungslos zu machen.

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Etwas Aehnliches hatten wir 1878, als der große Entrüstungssturm über uns wegfegte. Auch damals haben wir unseren Genossen direct zu unterschreiben, zu heucheln, da man ja Heuchler haben volle.

Abg. Roesicke (b. k. F.) lenkt die Aufmerksamkeit des Hauses anf die Erlasse zahlreicher Commandanturen, welche das Abhalten von Militärconcerten in denjenigen Localen verbieten, in denen social⸗ demokratische Versammlungen abgehalten werden. Die Localinhaber haben infolge dessen meistens den Socialdemokraten ihre Säle entzogen und sind dafür von den⸗Sociakdemokraten boykottirt worden, ebenso wie die Brauereien, welche diesen Gastwirthen das Bier lieferten. Die unangenehme Erfahrung, welche die Brauereien gemacht haben, hat sie dahin gebracht, bei den Behörden um eine mildere Handhabung der bestehenden Bestimmung vorstellig zu werden. Der Reichskanzler hat inzwischen bereits geantwortet, daß eer in dieser Beziehung nichts thun könne, da es sich um dauernde Verbote nur in Ausnahmefällen gehandelt habe und meistens nur eine Androhung des Verbots in Frage stehe. Diese Androhung ist aber praktisch genau gleichwerthig mit dem Verbot selbst. Die Gastwirthe bleiben also zwischen zwei Feuern. Das Schlimmste ist, daß die Verbote ausgesprochen werden lediglich auf Antrag der Polizei⸗ behörde. Das subjective Ermessen dieser Behörde hat natürlich ein ganz verschiedenes Vorgehen der Behörden in verschiedenen Städten und verschiedenen Theilen derselben Stadt zur Folge; die Bürger werden also mit verschiedenem Maß gemessen. Dieser sehr bedauer⸗ liche Zustand sollte dadurch beseitigt werden, daß wenigstens eine gleichmäßige Behandlung beliebt und gewisse Merkmale angegeben würden, nach welchen sich die Unternehmer, namentlich diejenigen, welche neue Locale zu errichten im Begriffe stehen, zu richten haben. Der Boykott wird von den Socialdemokraten mit den schwarzen Listen der Arbeitgeber gerechtfertigt, aber dies liefert doch nur einen Vorwand für die Berechtigung, weil bei dem Boykott der Brauereien gar nicht darnach gefragt wird, ob die Unschuldigen darunter leiden. Das ist aber in großem Maße der Fall. Nach dem Abg. Bebel sind von zehn Gastwirthen neun lediglich die Pächter der Brauereien. Das ist aber nicht wahr. Gerade, weil die kleineren und mittleren Brauereibetriebe sich in ungünstiger Lage befinden, muß auf beiden Seiten Wandel eintreten.

Koöniglich preußischer Kriegs⸗Minister von Kaltenborn⸗ Stachau:

Meine Herren! Auf die Bemerkung, die der Herr Abg. Bebel über die Arbeitsordnung in den technischen Instituten der Artillerie und den sonstigen militärischen Fabriken vorhin gemacht hat, muß ich erklären, daß allerdings die alten Arbeitsordnungen diejenigen Bestim⸗ mungen enthalten, welche verbieten, daß Arbeiter Mitglieder eines Vereins von Socialdemokraten sind oder für deren Bestrebungen wirken, Beiträge leisten oder sammeln. Ferner ist zuzugeben, daß gemäß

134 der Gewerbeordnung in der Fassung vom 1. Juni 1891 ie Arbeitsordnung keine Bestimmungen darüber enthalten darf, welche 8 Verhalten großjähriger Arbeiter außerhalb des Betriebes regeln. ieser gesetzlichen Bestimmung entsprechend sind die Arbeitsordnungen m den technischen Instituten und militärischen Fabriken umgearbeitet rden, und werden demnächst diese neuen Arbeitsordnungen zur Aus⸗ gabe gelangen. Andererseits sind die älteren Arbeitsordnungen aber schon seit Oktober v. J. abgeändert worden und in Uebereinstimmung gebracht mit den bezüglichen Gesetzesparagraphen. Dasselbe findet statt hinsichtlich der Arbeitsordnung für die Gewehr⸗ und Munitions⸗ fabriken. Es ist überall das Bestreben der Militärverwaltung vor⸗ handen und wird auch mit Bestimmtheit verfolgt, diese Bestimmung der Arbeitsordnungen in Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungern zu bringen. Im übrigen aber muß ich doch erklären, daß seitens der Heeresverwaltung unbedingt daran festgehalten wird, daß Arbeiter, welche der socialdemokratischen Partei angehören, nach wie vor keine Be⸗ schäftigung in den Militärfabriken finden (Beifall rechts. Zurufe bei den Socialdemokraten), und daß es meiner Ansicht nach dem Leiter der betreffenden Anstalt zu überlassen ist, wie das neulich schon der Herr Minister für Handel und Gewerbe von hier aus gesagt hat, dieienigen Bedingungen zu stellen, unter denen sie Arbeiter in ihren Betrieben annehmen wollen oder nicht. (Bravo! rechts.)

Es ist dann noch bei einer früheren Gelegenheit einer Bestim⸗ mung Erwähnung gethan worden, nach welcher Arbeiter, sobald sie über vierzig Jahre alt wären, aus diesem Anlaß aus den Betrieben der Militärverwaltung entfernt würden. Das ist niemals geschehen, und eine solche Bestimmung hat auch nie bei der Militärverwaltung bestanden. Dann ist zur Sprache gebracht worden, daß sogenannte schwarze Listen bestehen, durch welche Rekruten, die der socialdemo⸗ kratischen Partei angehören, den Truppen⸗Commandeuren bei ihrer Einstellung namhaft gemacht werden. Ich habe dazu zu bemerken, daß die politische Gesinnung der Militärpersonen an sich keine Ver⸗ anlassung zu irgend welchem gesetzlichen Einschreiten giebt, aber allerdings ist es unter allen Umständen nothwendig, die Bethätigung soeialdemokratischer Gesinnung in der Armee mit aller Bestimmtheit und aller Energie zu bekämpfen. (Bravo! rechts.) Wir wollen in der Armee durchaus verhindern, daß die socialdemokratischen Ideer und der socialdemokratische Geist Verbreitung findet. (Bravol rechts.)

Außerdem habe ich zu bemerken, daß die Mittheilungen, die allerdings von polizeilicher Seite in dieser Beziehung an die Be⸗ hörden gemacht werden, soviel ich weiß, zu einem Verstoß gegen die Gesetze absolut noch nicht geführt haben.

Es ist endlich zur Sprache gebracht worden, wie die Locale dar⸗ unter leiden, daß die Truppencommandeure die Soldaten nicht in Locale geben und in denselben verkehren lassen, wo gewöhnlich focial⸗ demokratische Versammlungen abgehalten werden. Ich kann dazu nur bemerken, daß das lediglich Sache derienigen Befehlshaber ist, die für die Disciplin ihrer Truppen verantwortlich sind. Wenn diese der Ansicht sind, daß ein Besuch dieses oder jenes Locales nachtheilig für den Soldaten ist, dann haben sie die Pflicht, das zu verbieten; haben sie diese Ansicht nicht, dann erlauben sie es. Eine andere Frage spielt dabei nicht mit. Daß man natürlich nicht der Ansicht sein kann, der junge, einundzwanzigjährige Mann könne in social⸗ demokratischen Versammlungen oder in den Localen, in denen diese abgehalten werden, sehr viel Nützliches lernen, das brauche ich wohl nicht zu erwähnen.

Abg. Ulrich (Soc.): Die Militärverwaltung bleibt durchaus nicht bei solchen Listen stehen, sondern geht viel weiter. Die Offen⸗

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Arbeiter, welche in Darmftadt ihrer Militärpflicht genügen

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