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Kurz nach 2 ½ Uhr betrat, vom Vorsitzenden begleitet, der Ober⸗Präsident Dr. von Bennigsen den Sitzungssaal und richtete an die Mitglieder des Landtags folgende Ansprache:
„Hochgeehrte Herren!
Nach Berathungen während zweier Wochen haben Sie Ihre Verhandlungen beendigt. 1
Ist es auch unerwünscht, daß die augenblickliche Finanzlage der Provinz für den Ausbau von Landstraßen und Gemeindewegen durch den Haushalts⸗Etat des kommenden Jahres im Verhältniß zu früheren
ahren nur weit geringere Aufwendungen gestattet, so zeigt doch dieser Etat im übrigen eine vollständig ausreichende und angemessene Aus⸗ stattung der verschiedenen Verwaltungszweige und im einzelnen manche Verbesserungen und Fortschritte.
Von besonderer Bedeutung war in Ihren Verhandlungen das lebhafte Interesse, welches sich auf allen Seiten für den Werth und die Förderung des Baues von Kleinbahnen in der rovinz kundgab. Für die Zwi chenzeit bis zur Versammlung des nächsten Landtags ist dem Provinzial⸗Ausschusse eine genügende Vollmacht ertheilt worden, Unternehmern von Kleinbahnen die Benutzung der Provin ialchausseen zu gestatten. Daneben bietet die von Ihnen angeordnete orbereitung der Beschlüsse des nächsten Provinzial⸗Landtags durch den Ausschuß eine Gewähr dafür, daß der Landtag auf Grund einer sorgfältigen Prüfung aller in Betracht kommenden finanziellen und wirthschaft⸗ lichen Verhältnisse das Kleinbahnwesen energisch zu fördern sich ent⸗ schließen wird.
Nach dem großen Verdienst, welches sich die Provinzialverwal⸗ tung durch den Ausbau eines umfassenden Netzes besteinter Straßen in der Provinz erworben hat, wird cs sicherlich in der Zukunft eine der dankenswerthesten Aufgaben sein, in gleich kräftiger Weise anregend und fördernd für den Bau von Kleinbahnen einzutreten, welche be⸗ stimmt sind, eine wesentliche Ergänzung der besteinten Straßen zu bilden und gerade in unscrer Propinz für die Entwickelung der In⸗ dustrie und insbesondere auch der Landwirthschaft bedeutende Vortheile in Aussicht stellen.
Auf Grund des § 26 der Provinzialordnung schließe ich den 26. Provinzial⸗Landtag.“
Der Vorsitzende Graf zu Inn⸗ und K. nyphausen brachte, hieran anschließend, ein Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König aus, womit die Sitzungen de Landtags beendet waren. 8 8
Hessen.
Seine Königliche Hoheit der Gro ßherzog und sämmt⸗
Mitglieder der G roßherzoglichen Familie begaben „wie die „Darmst. Ztg.“ meldet, gestern Vormittag nach dem Mausoleum auf der Rosenhöhe, wo der Ober⸗Hofprediger D. Bender am Sarkophage weiland Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs Ludwig IV. eine Gedächtnißfeier abhielt. Sachsen⸗Coburg⸗Gotha.
Der gemeinschaftliche Landtag der Herzogthümer Coburg und Gotha wurde gestern in Gotha, nachdem zuvor der Präsident des gothaer Landtags Berlet zum Prä⸗ sidenten gewählt worden war, durch den Staats⸗Minister Strenge im Auftrage Seiner Hoheit des Herzogs er⸗ öffnet. In seiner Eröffnungsrede theilte der Minister mit, daß zunächst der gemeinschaftliche Etat vorzulegen sei, der, durchaus abhängig vom Reichs⸗Etat, ungünstig abschließe, da statt 285 000 ℳ Ueberschüsse nur 60 000 ℳ Ueberweisungen aus der Reichskasse vorgesehen seien. Da der Reichs⸗Etat noch nicht feststehe, bleibe nicht ausgeschlossen, daß dieser Betrag sich noch vermindere, vielleicht auch noch Matrikularbeiträge zu zahlen seien. Sparsamkeit sei demnach nöthig; es werde daher, einem früheren Beschlusse ent⸗ sprechend, die Aufhebung der Amtsgerichte Wangenheim, Königsberg und Rodach vorgeschlagen; auch eine Neuregelung des Verkehrs in Grundbuchsachen se geplant. Der Landtag trat dann in die Wahl der Commissionen ein. 8 1“
Reuß j. L. t6 Der Landtag ist gestern wieder in Gera zusammen⸗ getreten. Die eingegangenen Vorlagen betreffen einen Erwei⸗ terungsbau am Landtagsgebäude, die Elsterregulirung und Bewilligungen für Schulzwecke. Außerdem sollen einige in der letzten Session unerledigt gebliebene Sachen zur Berathung kommen. “
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SDesterreich⸗Ungarn. Der Kaiser traf, nach einer Meldung des „W. T. W. .
gestern Mittag in Begleitung des Fürsten Liechtenstein von Territet in Genf ein. Nach einer Nundfahrt durch die Stadt, wobei der Kaiser verschiedene Sehenswürdigkeiten, darunter die russische Kirche, das Rathhaus, die Sanct Peters⸗ Kathedrale, die Universität, das Denkmal des Herzogs Carl von Braunschweig u. a. in Augenschein nahm, kehrte Aller⸗ höchstderselbe um 2 ½ Uhr nach Territet zurück.
Das österreichische Herrenhaus nahm in seiner gestrigen Sitzung den Gesetzentwurf über die Außercurssetzung der Vereins⸗ und der Vereinsdoppelthaler österreichischen Ge⸗ präges, das Gesetz über die Zweigulden⸗, Gulden⸗ und Einviertel⸗ gulden⸗Silberstücke, sowie das Gesetz über die Verlängerung der Fristen zum Schutze des literarischen und artistischen Eigen⸗
thums an.
Im ungarischen U nterhause beantragte gestern der Abg. Ugron (extreme Linke), die Regierung anzuweisen, das Verhältniß des Staats zur Kirche auf Grund der allgemeinen
Freiheit zu regeln, binnen Jahresfrist einen Katholiken⸗Congreß
u organisiren und bis dahin weder das Matrikelgesetz, noch as Gesetz über die Civilehe einzubringen. 8
Großbritannien und Irland.
Der Premier⸗Minister Gladstone ist, wie „W. T. B.“
aus London meldet, infolge einer leichten Erkältung ge⸗
nöthigt, das Zimmer zu hüten. Wie verlautet, soll der Beginn einer Influenza vorhanden sein. Statt seiner kündigte in der gestrigen Sitzung des Unterhauses der Kanzler der Schatz⸗
kammer Sir W. Harcourt an, daß die Regierung an⸗
gesichts der Verzögerung der Debatte über die Nachtrags⸗ credite und die im Budget verlangten Credite gegen ihren
Willen gezwungen sei, die Debatte über die zweite Lesung der Homerule⸗Bill bis nach den Osterferien zu vertagen. Auf die Anfrage Me Carthy’'s, ob die Regierung nicht die Frage, die Debatte über Homerule vor Ostern wenigstens noch zu beginnen, noch offen lassen wolle, antwortete Sir W. Harcourt verneinend: die Regierung habe nur mit Widerstreben die Vertagung bis nach Ostern beschlossen; dann werde die Homerule⸗Vill aber den ersten Gegen⸗
and der Tagesordnung bilden. Im weiteren Verlauf der Sitzung erklärte der Parlaments⸗Secretär des Auswärtigen Sir E. Grey: die letzte Information der Regierung über die Absicht Egyptens, die Nilthal⸗Eisenbahn weiter aus⸗
9 u“
& 1.
zudehnen, stamme aus dem Monat Februar 1892. Damals sei mitgetheilt worden, daß die Eisenbahn in Ober⸗ Egypten bis Girgeh fortgeführt werden und in etwa einem Jahre fertiggestellt sein würde. Soweit der Regierung bekannt, sei über eine weitere Ausdehnung der Bahn nichts beschlossen. Der Kanzler der Schatzkammer Sir W. Harcourt erwiderte auf eine Anfrage, es sei nicht die Ab⸗ sicht der Regierung, die Verwerfung der Kanaltunnel⸗Bill zu beantragen. Auf die weitere Frage von Bartley, ob die Regierung die Bill aüeeesoif Se werde, erfolgte seitens der Regierung keine Antwort. Russel beantragte sodann eine Reduction des Nachtragscrebits für die temporären Com⸗ missionen um 2170 Pfd. Sterl., um dadurch gegen die Ernennung und den Bericht der Commission, betreffend die exmittirten irischen Pächter, zu protestiren. Der Chef⸗ Secretär des Lord⸗Lieutenants von Irland Morley stellte in Abrede, daß die Commission parteiisch sei, und vertheidigte die Haltung ihres Vorsitzenden; die Commission sei ernannt, um die Schwierigkeiten der Frage zu lösen. Die Regierung werde erwägen, welche Schritte sie auf Grund des Com⸗ missionsberichts dem Parlament vorschlagen solle, um den unerträglichen Zustand zu beendigen. Der Antrag Russel's wurde schließlich mit 287 gegen 250 Stimmen abgelehnt. Die erste Lesung der Bill zur Durchführung der internationalen Convention, betreffend den Handel mit Spirituosen in der Nordsee, wurde angenommen.
Frankreich.
Die gestrige Verhandlung in dem Panama⸗-Bestech ungs⸗ prozeß fand unter großem Zudrang des Publikums statt. Auf Ersuchen des Staatsanwalts ordnete der Präsident, wie „W. T. B.“ berichtet, an, den bisherigen Justiz⸗Minister Bourgeois in dieser Sitzung zu vernehmen. Mehrere Zeugen
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sagten aus, der ehemalige Minister YMpves⸗Guyot habe ihnen erklärt, daß Constans seinerzeit während eines Minister⸗ raths dem Präsidenten Carnot die Liste der bei der Panama⸗Angelegenheit betheiligten Deputirten mitgetheilt habe. Der Präsident des Gerichtshofs gab hierauf den Befehl, Mpves⸗Guyot vorzuladen. Der Vertheidiger Lagasse beantragte die Vernehmung von Constans. Im weiteren Fort⸗ gange der Verhandlung wurden zunächst mehrere Deputirte über das Verhalten von Sans⸗Leroy in der parlamentarischen Untersuchungscommission vernommen. Ihre Aussagen ent⸗ hielten indessen nichts von besonderem Interesse. Die auf Ersuchen Blondin’'s vorgeladenen Zeugen stellten ihm das beste Leumundszeugniß aus. Der Zeichner Goliard, der die Begegnung zwischen Frau Cottu und Soinoury herbeigeführt hat, erklärte, daß er lediglich aus eigener Initiative und in niemandes Auftrage gehandelt habe. Hierauf erschien Bourgeois vor dem Gericht. Er legte auf das ent⸗ schiedenste Verwahrung ein gegen alle Unterstellungen, die bezüglich seiner Person aus den Aussagen der Frau Cottu gezogen worden seien. Er habe niemand ermächtigt, in seinem Namen in der in Rede stehenden Angelegenheit irgendwelche Schritte zu unternehmen. Er habe lediglich gestattet, daß Frau Cottu ihren Gatten besuche, es habe sich hierbei um einen Act reiner Menschlichkeit gehandelt. Im übrigen habe er niemals von einer zwischen Frau Cottu und Soinoury vorgekommenen Begegnung gehört. Er müsse daher die in dieser Beziehung an seine Person geknüpften In⸗ sinuationen als eine Infamie zurückweisen. Yves⸗Guyot richtete an den Präsidenten des Gerichtshofs ein Schreiben, worin er erklärt, daß er jede Zeugnißaussage verweigern müsse, da durch eine solche ein in einer geheimen Sitzung des Ministerraths vorgekommener Zwischenfall der öffent⸗ lichen Erörterung preisgegeben würde. Der Gerichtshof beschloß hierauf, Ypes⸗Guyot für heute nochmals vorzuladen. Frau Cottu, die abermals vernommen wurde, erklärte, Goliard habe ihr gesagt, daß sie Bourgeois sprechen würde. Goliard sagte aus, daß dies richtig sei, daß er aber dazu von niemandem ermächtigt worden sei. (Langanhaltende Bewegung.) Bourgeois forderte hierauf jedermann, der von ihm (Bourgeois) eine ehren⸗ rührige Handlung wisse, auf, sich zu erheben und gegen ihn Zeugniß abzulegen. Sodann wurden Nicolle, Goliard, Frau Cottu und S oinoury confrontirt. Soinour h erklärte, Bourgeois habe ihm keinerlei Auftrag gegeben. Er habe Frau Cottu gegenüber gänzlich aus eigener Machtvollkommenheit gehandelt; es sei sein Recht und seine Pflicht gewesen, Frau Cottu auszuforschen, ob ihr bekannt sei, daß ein Mitglied der Rechten compromittirt sei. Er habe aber Frau Cottu gegenüber weder von Versprechungen, noch von Drohungen Gebrauch gemacht. Die Verhandlung wurde darauf unter lebhafter Bewegung aufgehoben.
Yves Guyot, der, wie oben erwähnt, für heute aber⸗ mals vor Gericht geladen ist, beharrt auf seiner Weigerung zu erscheinen. Uebrigens erklärt er, daß alle Aeußerungen, die ihm zugeschrieben würden, durchweg auf Erfindung beruhten.
Auch in den Couloirs des Palais Bourbon herrschte gestern vor Beginn der Sitzung der Deputirtenkammer lebhafte Bewegung. Die der Opposition angehörigen Depu⸗ tirten sprachen von dem bevorstehenden Sturz des Cabinets, während die Deputirten der Linken diese pessimistische Auf⸗ fassung nicht theilten und es als in keiner Weise feststehen erachteten, daß RNibot von dem Vorgehen Soinoury’s Kenntniß gehabt habe. Ueberdies würde cs schwierig sein, ein neues Cabinet zu bilden, man würde zu einer Kammerauflösung hingedrängt werden, die unter allen Umständen als eine sehr unangenehme Eventualität anzusehen sei.
Die Sitzung wurde unter großem Andrang des Publikums und fortdauernder Erregung eröffnet. Infolge der Abwesenheit Bourgeois' wurde die Berathung der angekündigten Interpellationen bis 4 Uhr vertagt und die Sitzung aufgehoben. Nach Wiederaufnahme der Sitzung, der der Minister⸗Präsident Ribot und Bourgeois beiwohnten, richtete Desprez eine Anfrage an die Regierung wegen des durch die Aussage der Frau Cottu hervorgerufenen Zwischenfalls und verlangte Aufklärung darüber, ob Soinoury im Auftrage des Ministers des Innern gehandelt habe. Cavaignac erklärt, es würde abscheulich sein, wenn die Aus⸗ sagen der Frau Cottu auf Wahrheit beruhen sollten. Bourgeois betonte unter dem Beifall der Linken, alle diese Erklärungen seien unwahr. Er fügte hinzu, wenn er an⸗ geordnet hätte, der Frau Cottu Versprechungen zu machen, so würde er sich eine Inftamie haben zu Schulden kommen lassen. Er habe seine Demission gegeben, um sich vor dem Schwur⸗ gericht verantworten b können. Er glaube, sein Haupt aufrecht tragen zu können, und warte ruhig ab, ob jemand die Behauptung aussprechen werde, daß er die ihm schuldgegebene schmäͤhliche Handlung begangen. Der Minister⸗ Ribot erklärte, Loubet habe ihm mitgetheilt, daß
Soinouryj ihn einem durch eine Mittelsperson vor⸗ gebrachten Gesuch der Frau Cottu um eine Audienz benach⸗ richtigt habe. (Millevoye, der Ribot unterbrach, wurde zur Ordnung gerufen.) Der Minister⸗Präsident fuhr fort: Frau Cottu habe um die Erlaubniß gebeten, ihren Gatten zu be⸗ suchen. Loubet habe darauf Soinoury ermächtigt, Frau Cottu u empfangen. Soinoury habe versichert, daß er niemals Frau Cottu aufgefordert habe, in sein Bureau zu kommen. Cottu habe auch um eine Audienz bei dem Polizei⸗
Präfecten Lozé nachgesucht, sie habe mit Lozé vielleicht ebenso
verfahren wollen wie mit Soinoury. (Stürmische Protest⸗ rufe bei den Boulangisten, über Millevoye wird die Censur verhängt.) Der Minister⸗Präsident schloß unter lebhaftem Beifall damit: die Regierung glaube, ihre volle Pflicht gethan zu haben; sie hätte vielleicht weniger Feinde wenn sie sich zu Zugeständnissen hätte bereit finden lassen. Die Regierung rufe die Unterstützung aller Republi⸗ kaner an. Le Provost de Lau nay (Rechte) behauptete, die Regierung wolle nicht, daß in der Panama⸗Angelegenheit volles Licht geschaffen werde. Cavaignac gab zu, daß hinter der Panama⸗Angelegenheit gewisse Machenschaften existirten. E seien aber auch tadelnswerthe Handlungen begangen wor⸗ den. Die Schwäche und Thatenlosigkeit der segerua seien zu verurtheilen. Der Minister⸗Präsident Ribot be⸗ tonte dann nochmals, daß die Regierung ihre Pflicht gethan habe. Die alten Parteien hätten weder den Muth noch die Kühnheit der That und die Loyalität der republikanischen Partei besessen. Mit 297 gegen 228 Stimmen wurde darauf eine von Rivet beantragte, von der Ne⸗ gierung acceptirte Tagesordnung angenommen, die besagt: „Die Kammer, entschlossen, der Gerechtigkeit freien Lauf z lassen, um volles Licht zu schaffen, billigt die Erklärungen de Regierung und geht zur Tagesordnung über“, und die Sitzu
sodann geschlossen.
Der Senat setzte die Berathung über die Inter pellation wegen der durch die Aussage der Frau Cottu auf⸗ gedeckten, Aergerniß erregenden Vorkommnisse auf heute fest.
Der Minister⸗Präsident Ribot wird im Laufe des heutigen Vormittags nochmals Schritte bei Bourgeois thun, um ihn zum Verbleiben auf seinem Posten zu hewegen; wie „W. T. B.“ jedoch meldet, wäre Bourgeois entschlossen, seine Entlassun aufrecht zu erhalten. Ribot dürfte dann die Frage der Er nennung eines neuen Justiz⸗Ministers dem Ministerrath unter breiten. Gerüchtweise verlautet, Develle werde bis zum Ausgang des Panama⸗Prozesses das Justiz⸗Ministeriun interimistisch übernehmen.
Die oppositionellen Organe erklären, das Cabinet
verdanke die Majorität bei der gestrigen Kammer⸗ abstimmung nur der Furcht vor der Kammerauflösung und vor einem Ministerium Cavaignac oder Constans. Die radicalen Blätter greifen Cavaignac an, weil er sich aus persönlichem Ehrgeiz mit den Feinden der Republik verbinde.
Rußland.
Nach einer Mittheilung der „Nowoje Wremja“ hätte das Verkehrs⸗Ministerium angeordnet, daß nach Ablauf von drei Jahren an den Südwest⸗Eisenbahnen nur noch Beamte russischer Herkunft angestellt werden dürfen.
Der commandirende General der Truppen des Kijewer Militärbezirks Dragomirow ist nach einer Meldung des W. T. 8.“ in St. Petersburg eingetroffen.
Spanien.
dor Wie „W. T. B.“ aus Madrid meldet, ist es nach den dort eingetroffenen Meldungen in den P
rovinzen an mehreren Orten zu erneuten Versuchen der Ruhestörung gekommen. In Barcelona fand gestern eine Kundgebung statt, wobei Hoch⸗ rufe auf die Republik ausgebracht wurden, die Ruhe wurde indeß bald wieder hergestellt. Die Bevölkerung von Burgos fährt fort, ihrer Unzufriedenheit über die Aufhebung des General⸗Capitanats Ausdruck zu geben; die Läden sind ge⸗ schlossen, vor den Fenstern ist Trauerflor angebracht. In Olesa, Provinz Barcelona, fand eine Explosion statt, die den Anarchisten zugeschrieben wird. Verletzt wurde niemand.
Schweiz.
Die außerordentliche Frühjahrssession der Bundesver⸗ sammlung ist, wie „W. T. B.“ aus Bern meldet, gestern eröffnet worden; sie wird voraussichtlich wenig über zwei Wochen dauern.
In der Sitzung des Bundesraths vom 9. d. M. gelangte die Note der Regierung von Montenegro vom 11./23. Fe⸗ bruar zur Mittheilung, worin diese den Beitritt ihres Staats zur Union zum Schutze des literarischen und künst⸗ lerischen Eigenthums auf den 1. Juli d. J. anzeigt. Der Bundesrath hat hiervon den übrigen Unionsstaaten: Deutschland, Belgien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Harti, Italien, Luxemburg, Monaco und Tunis, Kenntniß gegeben.
89 Die in Bern abgehaltene Conferenz der Armee⸗ Corps⸗ und Divisions⸗Commandanten, Waffen⸗ und Abtheilungs⸗Chefs hat, wie der „Bund“ meldet, am vergangenen Donnerstag, nach Durchberathung der ganzen Vorlage über die Reorganisation der Truppenkörper, ihre Verhandlungen geschlossen⸗ Einzelne Punkte wurden noch zu näherer Prüfung zurückgelegt, so namentlich die Organi⸗ sation der Positions⸗Compagnien und der Munitions⸗Colonnen, worüber die Artilleriecommission berathen wird. Das Militär⸗Departement wird nun seinen Gesetzentwurf für den Bundesrath feststellen. Aus den verschiedenen vor⸗ geschlagenen Neuerungen sind folgende hervorzuheben: Berittenmachung der Infanterie⸗ Hauptleute (Compagnie⸗ Commandanten), die mit großer Mehrheit beschlossen wuͤrde. des Genie⸗Bataillons in seiner gegenwärtigen Gestalt und Aufhebung der Infanterie⸗Pioniere. Dafür sollen neu ge⸗ bildet werden: bei jeder Division ein Halbbataillon Sappeure; bei jedem Armee⸗Corps eine Brückenequipage, bestehend aus einer Pontonler⸗Compagnie und einer Train⸗Abtheilung; ferner vier Telegraphen⸗Compagnien (1, per Armee⸗Corps) im Auszug und je eine in Reserve und Landwehr, und ein Eisenbahn⸗Pionier⸗Bataillon (Reserve⸗ und Land⸗ wehr). Die im Entwurf vorgesehene Bildung von
Sanitäts⸗Sectionen (1 per Infanterie⸗Regiment) wurde
nicht beliebt; die Sanitätsmannschaft soll beim Infanterie⸗
Bataillon bleiben und in den 1000 Mann inbegriffen sein. An Ambulancen sind vorgesehen 32 im Auszug und 12 in
der Reserve, nebst 4 Gebirgsambulancen. Aus den bisherigen 8 Verwaltungs⸗Compagnien werden 4 Ferge. hera geans⸗ anstalten gebildet, bestehend aus je einer Distributions⸗ ection und 2 Verwaltungs⸗Compagnien. Die Artillerie wird auf 60 Batterien vermehrt, in Regimenter von 2 Abtheilungen
Niach einer Meldung der „Neuen
Gelegenheit, darauf cine Antwort zu ertheilen
zu 3 Batterien eingetheilt und in der Weise auf die Divisionen
und Armee⸗Corps vertheilt, daß die größere Anzahl Batterien zur Divisions⸗Artillerie kommt. b
Die von dem Baseler Civilgericht und dem Obergericht von Basel⸗Land in dem Proceß gegen die Jura⸗Simplon⸗Bahn wegen der Mönchensteiner Eisenbahn⸗Katastrophe vom 14. Juni 1891 gefällten Urtheile sind, wie „W. T. B.“ meldet, von dem Bundesgericht umgestoßen worden. Das Bundesgericht hat die Frage, ob grobe Fahrlässigkeit vorliege, mit 8 gegen 1 Stimme verneint und die Gesammt⸗ entschädigung um 32 000 Fr. herabgesetzt. .
Rumänien. 8 “ Freien rresse“ hat Rumänien das Repetirgewehr System Mannlicher Kaliber 6 ⁄0 angenommen. Die österreichische Waffenfabriks⸗ Gesellschaft hat einen Vertrag auf Lieferung von 111 000 wehren abgeschlossen. 9 8n 8 Serbien.
In nahezu 40 Landbezirken und zwei Städten finden heute Nachwahlen statt, von deren Ausgang eine wesentliche Verstärkung der Regierungsmehrheit erwartet wird. Die Be⸗ kanntgabe des definitiven Wahlresultats erfolgt dem „W. T. B.“ zufolge erst morgen.
Schweden und Norwegen.
Der sogenannte Folkriksdag, den die Liberalen und Socialisten zu Gunsten der Einführung des allgemeinen Stimmrechts organisirten, ist, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern in Stockholm zu der ersten Sitzung zusammengetreten. Es nahmen daran 123 Delegirte theil, darunter 29 Socialisten. Bei der Wahl des Bureaus siegte die nicht socialistische Can⸗ didatenliste mit einer Mehrheit von vier Stimmen.
(F) Nach dem Bericht des Staatscomptoirs betrugen die Staatseinnahmen in den ersten beiden Monaten dieses Jahres: Zölle 3 102 568 Kronen gegen 5 042 987 Kronen, Branntweinsteuer 1 529 635 Kronen gegen 1 351 703 Kronen, Rübenzuckersteuer 455 980 Kronen gegen 640 244 Kronen, Staatseisenbahnen (Ueberschüsse) 900 000 Kronen gegen 900 000 Kronen, zusammen 5 988 183 Kronen gegen 7 934 934 Kronen in der gleichen Zeit des Vorjahres.
Amerika.
Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Washington hat der Schatzsecretär Carlisle neue Be⸗ stimmungen über den Eintritt von Einwanderern in die Vereinigten Staaten von Amerika erlassen.
Der Senator Teller hat angekündigt, er beabsichtige, im Senat einen Antrag zu Gunsten einer neuen Versamm⸗ lung der internationalen Münzconferenz einzubringen, da er glaube, daß sich die Ansicht hinsichtlich des Bimetallis⸗ mus seit dem Schlusse der letzten Conferenz in Europa ge⸗ ändert habe
Parlamentarische Nachrichten.
Deutscher Reichstag.
Der Bericht über die gestrige Sitzung befindet sich in der Ersten Beilage.
66. Sitzung vom Dienstag, 14 März, 1 Uhr.
Der Sitzung wohnen bei die Staatssecretäre Dr. von Boctticher, Freiherr von Maltzahn und Freiherr von
MNarschall.
Vor der Tagesordnung erklärt
Abg. Ahlwardt (b. k. F.): Ich bin am Sonnabend in meiner Abwesenheit angegriffen worden. Es war gestern und heute keine
f Ich werde daher bei der dritten Berathung des Etats bei einer passenden Gelegonheit, am besten wohl bei der Berathung des Militär⸗Etats, eine längere und gründliche Antwort geben. —
Die Etatsberathung wird fortgesetzt. Zur Debatte stehen die Einnahmen des Rceichs aus Zöllen, Verbrauchs⸗ steuern und Aversen. Zu Titel 1 liegt der Antrag der
Abgg. Scipio und Goldschmidt vor: Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, eine Behörde oder Stelle zu bezeichnen oder einzusetzen, welche auf Verlangen Aus⸗ kunft zu geben hat über die Zolltarifsätze, zu welchen bestimmte Waaren oder Gegenstände im deutschen Zollgebiet Egcsasen werden. Abg. Hug⸗Constanz (Centr.) bittet die verbündeten Kegierungen, auf einé Abänderung des schweizerischen Handelsvertrages in der Richtung zu wirken, daß Bruchtheile eimes Kilogramms im Grenzverkehr nicht wie ein ganzes Kilogramm be⸗ handelt werden. Es werde durch die gegenwärtige Hand⸗ habung eine erhebliche Erschwerung des Grenzverkehrs ver⸗ ursacht, deren Beseitigung im beiderfeitigen Intere sse liege. Ferner befürwortet Redner eine Berücksichtigung der Klagen der deutschen Nrgesebeslher, soweit sie den deutsch⸗schweizerischen Handelsvertrag etreffen.
Auf eine Anfrage des Abg. von Staudy (deutschcons.) erklänt der Staatssecretär Freiherr von Maltzahn, daß in nicht zu langer Zeit eine Entscheidung des Bundesraths darüber ergehen werde, ob dem Inhaber einer Holzschneidemühle an der russischen Grenze, der sich wegen Zollfreiheit der Einfuhr des Rohmaterials aus Rußland petitionirend an den Reichstag gewendet habe, Zollfreiheit zu ge⸗ währen sei. 1
Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath von Huber: Die Bemühungen eines badischen Commissars bei der Schweiz im Sinne der Anregung des Abg. Hug sind bisher erfolglos geblicben.
Abg. Hug (Centr.): Es ist mir unter der Hand bekannt ge⸗ worden, daß in der Schweiz schon ein Gesetzentwurf ausgearbeitet wird, wonach Gegenstände bis zum Gewicht von ½ kg im Grenz⸗ verkehr zollfrei eingeführt werden dürfen. Ich bitte deshalb die Re⸗ gierung, in ihren Bemühungen nicht nachzulassen, damit dem berech⸗ tigten Interesse der Grenzbewohner Rechnung getragen wird.
Abg. Scipio (nl.): Unser Antrag bezweckt, den Regierungen
anheimzugeben, eine fortlaufende Ergänzung des amtlichen Waaren⸗
verzeichnisses, wonach sich das Bedürfniß im Publikum fortdauernd geltend macht, zu veranlassen und den Interessenten zugänglich zu machen. Es würden ja auch auf diesem Wege nicht alle Beschwerden des Handelsstandes aus der Welt geschafft werden, aber zur Zeit sel kein anderes Mittel ausfindig zu machen, welches die Sache auch nur nigermaßen vorwärts bringt, wenn die Regierungen na h wie vor der Zulassung des Rechtsweges in Zollstreitsachen widerstreben. Es würde dadurch in keiner Weise den Bestimmungen der Verfassung oder des Vereins⸗Zollgesetzes ent⸗ ge engetsctes werden; die Entscheidungen über Beschwerden bleiben ein⸗ fa erwaltungssachen. Alle Partesen des Hauses haben sich früher Nauf den Antrag der Zulassung des Rechtsweges vereinigt; hoffentlich sie auch unserm heutigen Antrage zustimmen. 8 Schluß des Blattes hat Abg. Goldschmidt das
Haus der Abgeordneten.
Der Bericht über die gestrige Sitzung befindet sich in der Ersten Beilage. 52. Sitzung vom 14. Maärz.
Der Sitzung wohnt der Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg bei.
Die zweite Berathung des ““ über Aenderung des Wahlverfahrens wird ortgesetzt.
Bei § 2, der in der Vorlage und in den Commissions⸗ beschlüssen übereinstimmend lautet:
„Wo directe Gemeindesteuern nicht erhoben werden, treten an deren Stelle die vom Staat veranlagte Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbesteuer“, 1 b 1
beantragt Abg. Freiherr von Zedlitz (freicons.), diesem § 2 folgenden Zusatz zu geben: 1
„Sind solche Gemeinden oder Gutsbezirke mit anderen Ge⸗ meinden, in welchen directe Gemeindesteuern erhoben werden, zu einem gemeinsamen Urwahlbezirk vereinigt, so können die letzt⸗ gedachten Gemeinden verlangen, daß auch für sie an Stelle der directen Gemeindesteuern die vom Staat veranlagte Grund⸗, Ge⸗ bäude⸗ und Gewerbesteuer tritt.“ “
Abg. Weber⸗Halberstadt (nl.) beantragt, diesem Zusatz in den letzten Worten, von „so können“ ab, folgende Fassung zu geben:
„so tritt in diesen Gemeinden an Stelle der directen Gemeinde⸗ steuern die vom Staat veranlagte Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbe⸗ steuer, sofern der Betrag der letzteren Steuer höher ist als der Betrag der directen Gemeindesteuern.“
Abg. Frciherr von Zedlitz hält den § 2 an sich für berechtigt, soweit er sich auf die Gutsbezirke beziehe, in denen communale Leistungen aufgewendet würden, ohne daß dies in Form einer Steuer zum Ausdruck komme. Aber bedenklich sei es, diesen § 2 auf Ge⸗ meinden auszudehnen; denn hier trete die Anrechnung der Grund⸗, Gebäude⸗ und Gewerbesteuer nicht an Stelle solcher communalen Leistungen. Aber für die Gemeinden müsse eine Anrechnung von Staatssteuern eintreten in dem Falle, wo eine Gemeinde mit einem Gutsbezirke zu einem Urwahlbezirk zusammengelegt werde; denn sonst würden die Gemeinden benachtheiligt zu Gunsten des Guts⸗ bezirks. Der Antrag Weber sei eine Verbesserung seines Antrages. Er ziehe deshalb seinen Antrag zu Gunsten des Antrages Weber zurück und bitte, diesen Antrag anzunehmen, wenn nicht das Gesetz einen Angriffspunkt in sich behalten solle.
Abg. Weber⸗Halberstadt (nl.) empfiehlt die Annahme seines Antrages.
Abg. Dr. von Heydebraud und der Lasa (cons.) giebt zu, daß einmal Ungleichmäßigkeiten entstehen können, daß dem Guts⸗ bezirke mehr Steuern angerechnet werden, als er communale Ausgaben leistet. Aber es kann auch umgekehrt derselbe Fall eintreten, wenn der Antrag Weber angenommen wird, der noch außerdem den Nach⸗ theil gegenüber dem Antrag von Zedlitz hat, daß er unter allen Umständen die veranlagten Steuern anrechnen will; während der Antrag von Zedlitz eine gewisse Facultät läßt.
Abg. Dr. Bachem (Centr.) hält die Formulirung der Vorlage für besser geeignet, weil sie einfacher ist. Die Schwierigkeit liegt hauptsächlich in den Schulsteuern, die vielfach keine Communalsteuern, sondern Societätslasten sind, in welchem letzteren Falle sie nicht an⸗ gerechnet werden. Das Centrum werbe für die Vorlage stimmen.
Nachdem die Abgg. Freiherr von Zedlitz und Weber⸗ Halberstadt nochmals für den Antrag des letzteren eingetreten sind mit der Bemerkung, daß er nichts mit dem Compromiß zu thun habe, wird der Antrag Weber gegen die Stimmen der Nationalliberalen und Freiconservativen abgelehnt und 8 2 nach der Vorlage gegen die Stimmen der Freisinnigen, Nationalliberalen und des größeren Theils der Freiconser⸗ vativen genehmigt.
§ 2 2a ist von der Commission neu eingeschalten, er lautet:
„Auch in Gemeinden, welche in mehrere Urwahlbezirke getheilt sind, wird für jeden Urwahlbezirk eine besondere Abtheilungsliste gebildet.“
Die Nationalliberalen von Benda und Genossen be⸗ antragen die Streichung dieses Paragraphen.
Abg. Francke⸗Tondern (nl.) schildert die Entstehung der Vor⸗ schrift der Wahlverordnung von 1849, wo man sich mit dieser Drittelung im Urwahlbezirk über die Schwierigkeit hinweghalf, daß Urwähler erster Klasse in dem Bezirk nicht vorhanden waren. Beim Einkommensteuergesetz habe der Abg Freiherr von Huene die Ausdehnung dieser Vorschrift beantragt, um den Wirkungen der neuen Einkommensteuer entgegenzutreten. Aber der Abg. Freiherr von Huene selbst habe seinen Antrag damals nur als Nothbehelf bezeichnet. Redner weist darauf hin, wie un⸗ günstig die Drittelung in dem Urwahlbezirk in Berlin gewirkt habe. In der Nähe der Ministerien in der ne sergese . hätten Leute mit Steuersätzen von 174 000 ℳ in der zweiten Kla se gewählt und die höchsten Beamten des Reichs und Preußens seien Wähler dritter Klasse gewesen und nicht einmal die ersten Wähler dieser Klasse. Ebenso sei es in Wiesbaden gewesen. In anderen Bezirken hätten dagegen Personen mit einer Steuerleistung von 60 ℳ in der ersten Abtheilung gewählt. Redner führt aus, daß die Drittelung nach Urwahlbezirken dazu führen könne, daß in der dritten und zweiten Abtheilung Socialdemokraten gewählt würden, wenigstens in Berlin; und wenn die Vororte Berlins incommunalisirt würden, sodaß Berlin auf über 2 Millionen Einwohner anwachse, dann werde man es nicht mehr mit neun Abgeordneten abspeisen können, und mit der Theilung der Wahlbezirke würde der Einfluß der Arbeiterbevölke⸗
rung in einzelnen Arbeiterbezirken sich erheblich steigern, höher, als der steuerlichen Leistung der Arbeiter eutspreche.
Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (cons.) giebt zu, daß durch den § 2a Ungleichheiten der allersonderbarsten Art ein⸗ treten können. Aber die Drittelung in den Urwahlbezirken ist ein Theil des Einkommensteuergesetzes gewesen und damit ein Theil des Compromisses, welches darüber abgeschlossen ist. Die Bestimmung kann darnach nicht aus dem Gesetze eliminirt werden, sondern muß aufrechterhalten bleiben.
Abg. von Eynern (nl) verzichtet vorläufig auf das Wort, bis ein Mitglied des Centrums gesprochen haben wird. Der Abg. von Heydebrand habe in Bezug auf die Wirkungen des § La den Aus⸗ führungen des Herrn Francke zugestimmt, halte aber die Bestimmung für nothwendig mit Rücksicht auf ein Compromiß, von dem freilich niemand sonst etwas wisse.
Abg. Freiherr von Huene (Centr.): Es handelt sich hier um die Aufrechterhaltung des Compromisses, das bei der Einkommensteuer bgeschtossen ist. Der Abg. Francke hat die Bestimmung als einen Nothbehelf bezeichnet; das ist sie doch nur für die Zeit, bis zu der ein grundle endes neues Wahlgesetz gemacht werden wirb. Die jetzige Vorlage ist kein solches grundlegendes Wahl esetz, sondern es st ein künstlicher Aufbau, um die plutokratische Wirkung der Einkommensteuer zu beseitigen. Die Ungeheuerlichkeiten, die der Abg. Francke angeführt hat, kommen nicht bloz in den Städten, sondern auch auf dem Lande überall vor. Wir haben doch keine bestimmten feststehenden Klassen für die Wahlen. Wenn der Reichskanzler in der dritten Klasse wählt, so ist daran nichts zu ändern er hat eben das Geld nicht, wie die Millionäre, in deren Bezirk er wohnt⸗ Da die Steuern nur bis 2000 ℳ angerechnet werden sollen, werden die Millionäre in ihrem Wahlrecht etwas beschnitten, und der Reichs⸗ kanzler avancirt hans erheblich. Aber gegen diese Bestimmung haben ja die Nationakliberalen gestimmt. Daß socialdemokratische Ab⸗ geordnete gewählt werden, gehört doch in das Reich der Phantasie; denn es wird ja nicht bloß die Einkommensteuer angerechnet, sondern
auch die Grund⸗ 8 Gebäudesteuer, und dadurch behält der Grund⸗
und Hausbesitz ein gewisses Uebergewicht. Deshalb lassen Sie sich nicht graulich machen.
Bei Schluß des Blattes nimmt der Abg. Parisius das Wort. 8 1.
— Die Wahlprüfungscommission des Reichstags beantragt, die früher beanstandete Wahl des Abg. Freiherrn von Stumm⸗Halberg im 6. Wahlkreise des Regierungsbezirks Trier nunmehr für gültig zu erklären. 1
— Der Wirkliche Geheime Rath, Geheime Cabinets⸗ Rath a. D. Seiner Majestät des Kaisers und Königs Freiherr von Wilmowski, Mäglied des Herrenhauses, ist vor⸗ gestern Abend gestorben. —
— Dem Herrenhause ist der Entwurf eines Gesetzes wegen Errichtung eines Amtsgerichts in der Stadt Ohligs zu⸗ gegangen.
Verdingungen im Auslande.
Spanien. 6. Mai. Ministerio de Ultramar, Madrid: Einrichtung und Betrieb eines Telephonnetzes in Santiago de Cuba. Caution
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400 Pesos. Näheres an Ort und Stelle.
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Theater und Musik.
Philharmonie.
Das gestrige zehnte und letzte philharmonische Concert wurde von Herrn Dr. Hans von Bülom geleitet, dessen Wieder⸗ kehr längst mit großer Spannung erwartet worden war. Haydn'’s Symphonie C-moll eröffnete den Abend. Die Sorgfalt der Aus⸗ führung erhob das Orchester zur Höhe der Virtuosität durch die Fein⸗ heit, mit der besonders das „pianissimo“ auf das Duftigste wieder⸗ gegeben wurde. Einen interessanten Gegensatz im Charakter der Com⸗ positionsweise bildete die hierauf folgende dritte Symphonie von Brahms, in welcher das mit risoluten Accorden ein⸗ geleitete Hauptthema des ersten Satzes sich in der Durch⸗ führung wirkungsvoll mit dem lieblichen Seitenthema ver⸗ einigt. Der dritte rondoartige Satz, der durch seine originellen Rhvthmen fesselt, wurde auf Wunsch wiederholt. Das Finale, das sich durch einen großen Reichthum verschiedener, geschickt zusammen⸗ gefügter Themata auszeichnet, schließt das großartige Werk in würdig⸗ ster Weise ab. Den Beschluß des Abends machte Beethoven's vierte Symphonie. Daß auch diese beiden Symphonien mit einer des be⸗ rühmten Dirigenten würdigen Vollendung vorgetragen wurden, bedarf kaum noch der Bestätigung. Die Zahl der erschienenen Zuhörer war größer als je, und die Beifallsbezeugungen noch enthusiastischer als in der Generalprobe am Sonntag; sie galten verdientermaßen sowohl dem genialen Leiter, als dem trefflichen Philharmonischen Orchester.
In dem am Donnerstag im Königlichen Opernhause neu⸗ einstudirt in Scene gehenden „Freischütz“ sind die Damen Leisinger, Dietrich, Weitz, Rothauser und Deppe, sowie die Herren Rothmühl, Möd⸗ linger, Betz, Krolop, Frän e, Stammer und Schmidt beschäftigt; Kapellmeister Weingartner dirigirt.
Im Kroll'schen Theater nähert sich das Gastspiel der Sgra. Nevada seinem Ende. Die Künstlerin tritt nur noch an drei Abenden auf, für welche die Direction folgende ermäßigte Preise festgesetzt hat: I. Parquet 3 ℳ, II. Parquet und Balcon 2 ℳ, Logensitz 1 ℳ 50 ₰. Für die morgen stattfindende erste dieser Vor⸗ stellungen ist „Der Barbier von Sevilla“ mit Sgra. Nevada als Rofine gewählt.
Fräulein Barkany hat ihre auzwärtige Gastspielverpflichtung für die zweite Hälfte des März gelöst, um im Neuen Theater am Freitag als „Tosca“ auftreten zu können. Am Donnerstag und Sonntag spielt Fräulein Barkany die „Adrienne Lecoupreur“.
Das Programm des Klavierabends, welchen Dr. Ern st Jedliczka morgen, Abends 7 ½ Uhr, im Saal Bechstein veranstaltet, wird durch Bach's Italienisches Concert eingeleitet und bringt u. a. noch Beethoven’'s Sonate As-dur op. 26, Mozart's Phantasie C-moll, eine Reihe Chopin'scher Werke u. s. w. — Das Programm des Klavierabends von Richard Burmeister am 15. d. M., Abends 8 Uhr, in der Sing⸗Akademie ent⸗ hält mehrere selten gespielte Stücke, wie u. a. Sarabande Öund Chaconne aus Händel's „Almira“, „Bénédiction de Dieu von Liszt und Schumann’s Fis - moll-Sonate. — Das Programm des Concerts, welches die Berliner Lieder⸗ tafel am Donnerstag, Abends 8 Uhr, in der Philharmonie ver⸗ anstaltet, bringt eine ganze Reihe von Chorwerken Franz Schubert's, Ferdinand Schubert's, W. Bünte's, G. Vierling's, Mendelssohn’s und Silcher's, welche bei dieser Gelegenheit von dem genannten Verein zum ersten Mal gesungen werden; die instrumentale Mit⸗ wirkung übernimmt das Streichquartett der Herren Kruse, Markels, Müller und Dechert. — Der Klaviervirtuose Herr Max Pauer aus Köln wird nach längerer Pause am 16. d. M., Abends 7 ½ Uhr, zum ersten Mal wieder in Berlin, und zwar im Saal Bechstein auftreten Der Künstler spielt bei dieser Ge⸗ legenheit u. a. Präludium und Fuge Emoll von Mendels⸗ 1. die Sonate op. 1 C-dur von Brahms und Beethoven’s Andante F-dur.
In der St. Jacobi⸗Kirche, Oranienstraße 133, findet am Donnerstag, Abends 7 Uhr, ein geistliches Concert des St. Jacobi⸗ Kirchenchors unter Leitung des Professors Dr. Alsleben statt. Mit⸗ wirkende sind: Fräulein Marie Rost, Fräulein Käthe Freudenfeld, der Königliche Concertmeister Struß, der Königliche Domsänger Wilh. Rieke, die Concertsänger Fritz Schinck, M. von Hunyady und der Organist G. Beckmann. Zur Aufführung gelangen u. a. verschiedene Chöre und Soli aus dem „Messias“ von Händel und der „Schöpfung“ von Haydn. Der Ertrag ist für die Armen der St. Jacobi⸗Parochie bestimmt.
Mannigfaltiges.
Aus der Aussteuerstiftung des Kaufmanns Ferd. Lang und seiner Ehefrau für bedürftige Kaufmannstöchter soll die diesjährige Aussteuersumme mit 1500 ℳ vergeben werden. Die Bewerberinnen müssen Töchter solcher hiesiger verarmter Kaufleute sein, die entweder in dürftigen Verhältnissen noch leben, oder in solchen Verhältnissen hierselbst gestorben sind. Unter mehreren Bewerberinnen, die sämmtlich jederzeit einen makellosen Lebenswandel geführt haben müssen, hat den Vorzug die Tochter eines Kaufmanns, welcher den Handel mit Materialwaaren betrieben hat oder noch betreibt, in Ermangelung einer solchen aber die Bedürftigste. Die Aussteuersumme wird nach erwiesener Verheirathung der Benefiziatin an diese ausgezahlt. Bewerbungsgesuche mit Beistügung der erforderlichen Ausweisatteste werden nur bis zum 30. Juni d. J. einschließlich von der Armen⸗Direction im Rathhaus angenommen.
Bei der, unter der Verwaltung des Magistrats stehenden Therese Leßmann'’schen Stiftung, welche den Zweck hat, in Berlin ortsan gehörigen hilflosen Wittwen und unverehelichten Personen weiblichen Geschlechts⸗ die keinen Ernährer haben und einen tadellosen sittlichen Lebenswandel führen, Unterstützungen zu gewähren, findet am 10. Juli d. J. die Verleihung der für die Zeit vom 1. Juli 1893 bis zum 1. Juli 1894 zur Verfügung stehenden Unter⸗ stützungen statt. Die einzelnen Unterstützungen betragen 180 ℳ und werden vierteljährlich pränumerando mit 45 ℳ gezahlt. Bewerberinnen müssen ihre Gesuche mit Angabe der Vor⸗ und Zu⸗ namen, des Tages und Orts der Geburt an das Curatorium der Stiftung hier, Rathhaus, bis Ende März d. J. spätestens einreichen.