1893 / 74 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 27 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

8 8 B aber den eö. nicht verwehrt sei, zu den Kosten des ersten ärztlichen Attestes allgemein einen Zuschuß zu zahlen, und daß es dem Ermessen der Vorstände anheimgestellt werde, sich in dieser Beziehung mit den Aerzten ihres Bezirks in Verbindung zu säen. Es wurde dabei betont, daß ein Handinhandgehen der Versicherungsanstalten und der Aerzte im Interesse der Durchführung der Versicherung dringend zu wünschen sei, und daß eine Einigkeit sich am ehesten erzielen lasse, wenn man den berechtigten Wuͤnschen der Aerzte Entgegenkommen beweise.

2 Punkt 3 der Tagesordnung war die Versammlung der 2 nsicht. daß ein Bedürfniß, allgemeine Anordnungen in die Wege zu leiten, um den Versicherungsanstalten von den das Versicherungsverhältniß oder den Renten⸗ bezug berührenden Thatsachen (Tod eines Versicherten, Inhaftirung eines Rentenempfängers ꝛc. § 34 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes) rechtzeitig Kenntniß zu ver⸗ schaffen, jedenfalls zur Zeit nicht vorliegt. Von verschiedenen Seiten wurde hervorgehoben, daß auf besonderes An⸗ suchen der Versicherungsanstalt die zuständigen Behörden (Re⸗ gierungs⸗Präsidenten, Staatsanwaltschaften, Gefängniß⸗Direc⸗ tionen ꝛc.) schon jetzt sich zu den erforderlichen Mittheilungen verstanden haben. Ueber die Frage, ob ein normal verlaufendes Wochenbett als Krankheit im Sinne des § 17 Absatz 2 des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes anzusehen sei, waren die An⸗ sichten getheilt. Zur Unterstützung der bejahenden Mei⸗ nung wurde auch auf § 20 des Krankenversicherungs⸗ gesetzes hingewiesen; aber auch von der gegnerischen Seite wurde zugestanden, daß, wenn es sich um die Erfüllung der gesetzlichen Wartezeit handele, die Bewilligung der Rente an einer Beschäftigungslosigkeit wegen eines Wochenbetts nicht scheitern sollte.

Auf eine bezügliche Eingabe hat der Finanz⸗Minister unter dem 18. d. M. den Bescheid ertheilt, daß kein Bedenken bestehe, bei Berechnung des Einkommens zum Zwecke der Einkommensteuerveranlagung die von dem Steuer⸗ pflichtigen an die Wittwenkasse oder an die Pensionskasse des Deutschen Privatbeamtenvereins zu Magdeburg zu entrichten⸗ den Beiträge als abzugsfähig gemäß der Vorschrift im § 91 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1891 an⸗ zuerkennen. Dem Bescheid wird hinzugefügt, daß die Ver⸗ anlagungsbehörden mit entsprechender Weisung versehen und entgegenstehende Verfügungen vom Finanz⸗Ministerium aus nicht ergangen sind. 1“

Die „Vossische Zeitung“ hat in der Nummer 145 vom 26. d. M. auf Seite 2 einen Artikel über das gegen den Kaufmann Carl Paasch anhängige Strafverfahren gebracht, welcher insbesondere die Thatsache einer Krütk unterzieht, daß der Genannte in der letzten Zeit wiederholt vtesten und freigelassen worden ist. Dieser Artikel scheint 2n thatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen zu beruhen. Die erwähnten gerichtlichen Entscheidungen betreffen nicht die bereits seit dem vorigen Jahre anhängige Untersuchung, über welche in der Sitzung des Herrenhauses vom 24. d. M. durch einen Regierungs⸗Commissar Auskunft ertheilt ist, sondern ein neues, erst kürzlich gegen den ꝛc. Paasch eingeleitetes Straf⸗ verfahren wegen erneuter öffentlicher Beleidigung verschiedener Staatsbeamten. In diesem neuen Verfahren ist wegen Flucht⸗ verdachts seitens des zuständigen Gerichts die Untersuchungshaft angeordnet, auf die von Paasch hiergegen Beschwerde jedoch von dem Beschwerdegericht der Verdacht der Flucht für nicht hinlänglich dargethan erachtet und der Haftbefehl auf⸗ gehoben worden. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen diese letztere Entscheidung hat das Kammergericht die Ansicht des ersten Richters gebilligt und die Verhaftung wiederum verhängt. Demnächst ist von Seiten des Beschuldigten seine Entlassung gegen Sicherheits⸗ leistung gemäß § 117 der Strafprozeßordnung be⸗ antragt worden. Diesem Antrage hat das zuständige Gericht stattgegeben, indem es durch die hinterlegte Sicherheit den Verdacht, daß der Fefchald g. sich der Bestrafung durch die Flucht entziehen könne, für hinlänglich beseitigt erachtete. Auf die Beschwerde des Staatsanwalts hat jedoch das Kammer⸗ gericht nach dem Gesammtverhalten des Beschuldigten es nicht als ausgeschlossen angesehen, daß derselbe sich trotz geleisteter Sicherheit, wenn es ihm geeignet erscheine, der Strafverfolgung durch die Flucht entziehen werde. Es hat daher die Entlassung des Beschuldigten gegen Leistung einer Sicherheit, gleichviel von welcher Höhe, für unzulässig erklärt und die Wiederver⸗ haftung angeordnet. Die beiden auf Entlassung aus der Haft lautenden gerichtlichen Entscheidungen waren nach § 123 der Strafprozeßordnung sofort in Vollzug zu setzen, und es hatte die dagegen erhobene Beschwerde des Staatsanwalts keine auf⸗ chiebende Wirkung. Es erklärt sich daher die in dem Artikel der „Vossischen Zeitung“ als auffällig bezeichnete wiederholte Ver⸗ haftung und Freilassung des ꝛc. Paasch ohne weiteres aus dem Gesetz in Verbindung mit der auch in anderen Strafprozessen hervortretenden, jedem praktischen Juristen bekannten Erfahrung, daß über Fragen, wie die von Verhaftungen, bei Erschöpfung des Instanzenzuges nicht immer alle Instanzen derselben Ansicht sind. Die fraglichen Thatsachen geben hiernach zu den in der „Vossischen Zeitung“ angestellten Betrachtungen keinen Anlaß. Uebrigens versteht es sich nach den bestehenden Gesetzen von selbst, daß die Justizverwaltung auf gerichtliche Entschließungen keinen Einfluß hat. 1

1 Der Königlich großbritannische Botschafter am hiesigen Allerhöchsten Hofe Sir Edward B. Malet hat Berlin mit Urlaub verlassen. Während seiner Abwesenheit fungirt der Erste Botschafts⸗Secretär, Hon. P. Le Poer Trench als Geschäftsträger.

Der Kaiserliche Gesacgte am Königlich belgischen Hofe, Wirkliche Geheime Rath Graf von Alvensleben hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während seiner Abwesenheit von Brüssel fungirt der Legations⸗Rath Prinz von Thurn und Taxis als Geschäftsträger.

. Der Königliche Gesandte in München Graf zu Eulen⸗ burg hat einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub angetreten. Während seiner Abwesenheit fungirt der Legations⸗ Secretär Graf von Pückler als Geschäftsträger

n

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des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ wird die Zusammenstel⸗ lung der Betriebsergebnisse deutscher Eisenbahnen nach dem Stande am Ende des Monats Februar 1893, deren Schlußergebniß bereits an dieser Stelle in Nr. 72 mitge⸗

theilt wurde, veröffentlicht.

Wiesbaden, 25. März. In der heutigen siebenten Sitzung des Communal⸗Landtags wurden die Etats des ständischen Wegebaufonds, der Nassauischen Landesbank und Sparkasse und des Fonds für außerordentliche Hochbauten des Bezirksverbandes unverändert, der Etat des Meliorations⸗ fonds aber mit der Maßgabe genehmigt, daß darin der Einnahmetitel „Ueberweisung aus ständischen allgemeinen Fonds“ von 20 000 auf 35 000 und der übertragbare Aus⸗ gabentitel „Zuschüsse ohne Rückzahlungsverpflichtung“ von 5 000 auf 30 000 zu erhöhen ist. Dem entsprechend wurde alsdann in dem Haupt⸗Etat der ständischen allgemeinen Verwaltung der Einnahmetitel „aus Darlehen (schwebende Schuld bei der Landesbank)“ Kapitel VII von 117 100 auf 132 100 und der Ausgabetitel II Kapitel VII von 20 000 auf 35 000 erhöht. Im übrigen wurde der Haupt⸗ Etat in Einnahme und Ausgabe unverändert genehmigt. Demnächst wurde der Communal⸗Landtag durch den stellver⸗ tretenden Commissarius, Regierungs⸗Präsidenten von Tepper⸗ Laski mit folgender Ansprache geschlossen:

Hochgeehrte Herren! Ssie stehen am Ende Ihrer Berathungen und dürfen mit Be⸗ friedigung auf dieselben zurückblicken. Ihre einstimmige Wieder⸗ berufung des verdienstvollen Mannes an die Spitze der Bezirks⸗ verwaltung, welcher dieselbe bisher geleitet hat, gereicht auch der Königlichen Staatsregierung zur hohen Befriedigung, da derselbe es jederzeit verstanden hat, mit ihren Vertretern die besten Beziehungen aufrecht zu erhalten und ihren Anregungen und Wünschen stets auf das Wohlwollendste und Bereitwilligste zu entsprechen. Wenn die Mehrheit des Communal⸗Landtags mit Rücksicht auf die ungünstige Balancirung des Etats es auch abgelehnt hat, schon für das Etatjahr 1893/94 zur Befriedigung dringender Bedürfnisse, insbesondere zur Beförderung des Wegebaues durch Erhebung einer geringen Bezirksabgabe größere Mittel flüssig zu machen, so haben doch andererseits auch Vertreter der Mehrheit die Nothwendigkeit anerkannt und ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen, dies in Zukunft zu thun. Ich darf daher die Hoffnung und Erwartung üsfpese gee daß schon der nächstjährige Communal⸗ Landtag diesen Weg betreten wird.

Alle übrigen Vorlagen des Landesausschusses haben Sie rasch und sachgemäß erledigt, und ich bin überzeugt, daß Ihre Beschlüsse auch diesmal zum Wohle des Bezirksverbandes dienen werden.

Auf Befehl Seiner Majestät des Königs schließe ich hiermit den

XXVII. Communal⸗-⸗Landtag des Regierungsbezirks Wiesbaden.

6 Bayern. 8

Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin von Luxemburg sind am Sonnabend aus Luxemburg auf Schloß Hohenburg bei Tölz eingetroffen.

Gestern Mittag ist in München die Generalversammlung des „Vereins für die Hebung der Fluß⸗ und Kanal⸗ schiffahrt in Bayern“ unter Theilnahme Seiner König⸗ lichen Hoheit des Prinzen Ludwig abgehalten worden. Der Ver⸗ sammlung wohnten die Minister Freiherr von Crailsheim und von Feilitzsch, mehrere Landtags⸗Abgeordnete, sowie zahlreiche Vertreter der Städte und Localverbände bei. Nachdem die Bürger⸗ meister Schuh⸗-Nürnberg und Borscht⸗München, sowie Professor Schlichting⸗Berlin und Director Höninger⸗Wien Ansprachen gehalten hatten, erörterte, wie „W. T. B.“ be⸗ kicst Prinz Ludwig in längerer Rede die Zwecke des Vereins und den Nutzen der Vereinsbestrebungen für das gesammte Land. Prinz Ludwig schloß mit Wünschen für das Gedeihen des Vereins, den er gewissermaßen als sein geistiges Kind betrachte.

Baden.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen ist vorgestern Nachmittag um 2 ¾ Uhr von Karlsruhe nach Darmstadt zurückgekehrt. Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin gaben Höchstdem⸗ selben bis zum Bahnhofe das Geleit, wo außerdem Seine Großherzogliche Hoheit der Prinz Karl, der Oberst⸗Stall⸗ meister von Holzing, der commandirende General des XIV. Armee⸗Corps, General der Infanterie von Schlichting und der Comm General⸗Majo Broesigke wesend waren.

Aunhalt.

Der Landtag erledigte in seiner Sitzung vom 24. d. M. den Haupt⸗Finanz⸗Etat in dritter Lesung. Die Anzahl der zu erhebenden Steuereinheiten wurde auf 11 festgesetzt und der Betrag dafür mit 590 700 in den Etat eingestellt. Nachdem sodann in der Sitzung vom 25. d. das Etats⸗Gesetz, durch das die eigene Einnahme und die eigene Ausgabe auf 12 280 000 festgestellt werden, in dritter Lesung ange⸗ nommen worden war, erfolgte der Schluß des Landtags durch den Staats⸗Minister Dr. von Koseritz.

Desterreich⸗Ungarn.

Der ungarische Minister⸗Präsident Dr. Wekerle und der ungarische Minister des Innern Hieronymi sind, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Abend in Wien ein⸗ getroffen. Ersterer conferirte heute Pormittag mit dem Gouverneur der österreichisch⸗ungarischen Bank Dr. Kautz und später mit dem Minister des Auswärtigen Grafen Kälnoky. Der „Budapester Correspondenz“ zufolge werden die ungarischen Minister im Laufe des heutigen Nachmittags dem Kaiser Vortrag halten, der Minister⸗ Präsident Dr. Wekerle wird mit dem Finanz⸗Minister Dr. Steinbach über weitere Schritte zur endgültigen Valuta⸗ regelung conferiren.

Der General der Cavallerie Freiherr von Edelsheim⸗ Gyulai ist nach einer Meldung aus Budapest heute früh gestorben.

Großbritannien und Irland.

Der bisherige Gesandte in Washington Pauncefote ist zum Botschafter daselbst ernannt worden.

Lord Salisbury wird sich erst am 23. Mai nach Belfast begeben, dagegen heißt es, daß vee der auf nächsten Sonntag nach Belfast einberufenen Versammlung bei⸗ wohnen werde.

In der Ersten und Zweiten Beilage zur heutigen Nummer

ö““ Frankreich.

Der Senat hat inz seiner vorgestrigen Sitzung die Budgets des Cultus, der schönen Künste, des Auswärtigen, des Krieges, der Marine, des Handels und der Post und Telegraphie erledigt.

Eine Plenarversammlung der Linken des Senats designirte, wie „W. T. B.“ berichtet, nach dreimaligem Wahl⸗ pange Challemel Lacour mit 100 Stimmen als Candidaten ür das Präsidium. Auf Constans entfielen 64 und auf Magnin 5 Stimmen. Die opportunistischen Blätter sprechen sich äußerst befriedigt über dieses Resultat aus: Challemel Lacour sei ein würdiger Nachfolger Ferry's. Die republikan chen Senatoren sollten Constans durch zahlreiche Stimmen en Beweis ihrer Sympathie geben, ihn aber durch eine Wahl zum Senats⸗Präsidenten nicht fesseln, seine Energie vielmehr für den Posten eines Ministers reserviren.

In der Deputirtenkammer erklärte am Sonnabend der ehemalige Minister Jules Roche zu dem Protokoll der vorhergehenden Sitzung, er sei auf den Ministertisch zu⸗ geschritten und habe gesagt: „Sie verstehen also nicht, daß alles, was Sie gegen die Ankläger der Republik und der republikanischen Partei vorbringen, auf Sie selbst zurückfällt?“

»Jules Roche wünschte, daß diese Worte ins Protokoll auf⸗

genommen würden. Der Präsident erklärte jedoch, daß di

orte als nicht gesprochen zu erachten seien, weil sie nicht verstanden worden seien. Die Vorlage des Handels⸗Ministers Siegfried über die Arbeiterwohnungen und der Credit von 200 000 Fr. für die Opfer der Hungersnoth in Algerien werden angenommen. Darauf wurde eine Interpellation wegen ungesetzlicher Amtsführung der Prasestu ren, besonders in Lyon, eingebracht. Der Minister⸗Präsident Ribot bat nach langer Erörterung eine einfache Tagesordnung anzu⸗ nehmen, was mit 323 gegen 206 Stimmen geschah. Die Rechte, die Gruppe Cavaignac, die Boulangisten und die Socialisten stimmten zusammen. Die Zollcommission der Deputirtenkammer be⸗ rieth vorgestern über eine Petition, worin um die Aufhebung der vorgeschriebenen Zerlegung der zum Transport bestimmten

Fleischwaaren, sowie um Zollfreiheit für das Geschlinge ersucht

wird, das dem getödteten Schlachtvieh beigefügt sein muß. Die Commission sprach sich für die Beibehaltung der bestehen⸗ den Vorschriften über die Zerlegung sowie für die Zollfreiheit für Geschlinge aus, unter der Bedingung, daß dieses ver⸗ nichtet oder wieder exportirt werde. Die Commission wird den Ackerbau⸗Minister ersuchen, Maßregeln in diesem Sinne zu treffen.

Die Panama⸗Untersuchungs⸗Commission lehnte den Antrag Maujean's auf Erweiterung ihrer Macht⸗ befugnisse ab. Infolge dessen gaben die Commissionsmitglieder Gerville⸗Réache und Maujean ihre Demission, da sie der Ansicht seien, daß die Commission ihre Aufgabe nicht zu einem guten Ende führen könne. Dupuy⸗Dutemps ver⸗ langte sodann, die Commission solle ihre Arbeiten beschließen. Die Commission lehnte auch dieses Verlangen ab, worauf Dupuy⸗Dutemps ebenfalls demissionirte.

Nach einer Meldung aus Vesoul ist bei der Ersatzwahl zum Generalrath an Stelle Bathaut's der republikanische Candidat gewählt worden.

Die Pariser Polizei⸗Präfectur macht bekannt, daß der Anarchist Mathieu, der Urheber der Explosion im Restau⸗ rant Véry, in Saint Michel, Departement Aisne, verhafte worden ist.

Italien.

Die „Agenzia Stefani“ hat am Sonnabend folgende Mit⸗ theilung veröffentlicht: Als der König sich heute zu einer Festlichkeit nach der Villa Borghese begab, schleuderte ein schlecht gekleideter Mann, der eine weiß⸗gelbe Cocarde auf der Brust trug, eine mit Erde gefüllte Papierhülse gegen den Wagen des Königs und wurde sofort verhaftet. Bei der

Verhaftung leistete er Widerstand, indem er gleichzeitig auss-⸗

rief, er habe nur Achtung vor Gott und der Regierung des Papstes. Auf der Central⸗Polizeibehörde, wohin der Verhaftete gebracht wurde, fand man bei ihm mehrere weiße und gelbe Bänder sowie Papiere und Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht, daß der Mann ein klerikaler Fanatiker ist. Er nennt sich Louis Berardi, ist 31 Jahre alt und war im Jahre 1882 vom Schwurgericht wegen Meuchelmordes zu siebenjährigem Zuchthaus verurtheilt worden. Nach seiner Ent⸗ lassung war er nach Amerika ausgewandert und seit kurzer Zeit wieder nach Rom zurückgekehrt. genommene ärztliche Untersuchung Berardi's ergab, daß er an Verfolgungswahn leidet. 86 Die Deputirtenkammer hat sich vorgestern bis zum 10. April vertagt.

Niederlande. 1X“

Die Zweite Kammer hat, wie dem „Hamb. Corresp.“ berichtet wird, einen Gesetzantrag zur Reform der Quarantänegesetzes angenommen, der bezweckt, den Hafen⸗ behörden die Macht zu verleihen, Seeschiffe, die aus ver⸗ dächtigen Häfen kommen und zwar keine Kranken an Bord haben, jedoch so kurze Zeit unterwegs waren, daß der Incubations⸗ zeitraum der Seuche noch nicht als verstrichen betrachtet

werden kann, außer Gemeinschaft mit dem Ufer zu halten,

bis den vorgeschriebenen Quarantänemaßregeln nachgekommen ist. Auch die Mannschaft und Passagiere solcher Schiffe werden nicht wie früher sofort und ungehemmt landen können; von jetzt an wird darüber der mit der Untersuchung beauftragte Arzt zu entscheiden haben. Einige von dem Minister beantragte, wenig bedeutende Aenderungen in dem Gesetz über die Seuchen wurden ebenfalls genehmigt. Die Zweite Kammer hat sich sodann bis zum 15. April vertagt.

Türkei.

Die Königin Natalie ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ am Freitag in Konstantinopel eingetroffen und von der serbischen Gesandtschaft empfangen worden. Im Namen des Sultans wurde die Königin von dem Ceremonien⸗ meister und General Achmet Pascha begrüßt. Gestern stattete die Königin dem Sultan in Anwesenheit des Großveziers einen Besuch ab, den der Sultan bald darauf erwiderte. D Besuche trugen einen sehr herzlichen Charakter. Der Sultan bedauerte, die Königin wegen des Ramazanfestes nicht zum Diner laden zu können, und verlieh ihr den Großorden des Chefakat⸗Ordens in Brillanten. Die Königin nimmt heute den Thee beim Großvezier ein und wird morgen beim russischen Botschafter Nelidow diniren.

Die gestern vor⸗

v“ Die Deputirtenkammer genehmigte in ihrer Sitzung

vom Sonnabend die Budgets des Ministerraths und des

Ministeriums des Innern. Bei der Berathung des Kriegs⸗ budgets erklärte dem „W. T. B.“ zufolge der Kriegs⸗Minister Lahovary, die Befestigungen von Sereth seien beendigt; der Plan der Befestigung von Bukarest sei berücksichtigt worden, er sei aber zu umfassend gewesen und habe reducirt werden müssen; die Erfindung des Melinits habe zu einer Ab⸗ änderung genöthigt. Die Gerüchte über anderweitige Ab⸗ änderungen seien unbegründet. Er betrachte es als eine Ehrensache, den geforderten Credit nicht zu überschreiten; er sei aber überzeugt, daß die Kammer nöthigenfalls noch fünf bis sechs Millionen bewilligen würde. Das Mannlichergewehr sei nach dreijährigen Versuchen mit einigen Föö an⸗ genommen worden, die ganze Armee werde am Schluß des Jahres mit diesem Gewehr bewaffnet sein. Was das Pulver angehe, so dauerten die Versuche noch fort, die Wahl werde nach Ablieferung der Gewehre erfolgen.

Anläßlich des Jahrestages der Proclamation Rumäniens zum Königreich fand gestern in der Kathedrale ein Tedeum in Anwesenheit der Minister sowie der Civil⸗ und Militärbehörden statt. Im Königlichen Palais war eine Liste zum Einzeichnen aufgelegt, die Stadt war festlich beflaggt.

DTäazemark.

Das Folkething nahm, wie „W. T. B.“ meldet, vor⸗ gestern in dritter Lesung mit 57 gegen 16 Stimmen die Vor⸗ lage über das Konsulatswesen an, wonach die bedeutendsten Plätze mit Berufskonsuln besetzt und die bisherigen Konsulats⸗ abgaben durch niedrige halbjährliche Schihsacgzehen an den Staatsschatz ersetzt werden sollen. Der Präsident kündigte alsdann den baldigen Schluß der gegenwärtigen Session an. Man glaubt. daher, daß die bisherigen Ver⸗ handlungen zwischen der Rechten und der gemäßigten Linken über die Herstellung eines regelmäßigen Finanzgesetzes keine Aussichten auf einen günstigen Erfolg haben werden. Der

Bericht des Gesammtausschusses über das Finanzgesetz wird

am Dienstag erwartet.

Amerika.

Der Minister⸗Resident der Vereinigten Staaten in Port⸗ au⸗Prince hat dem „W. T. B.“ zufolge telegraphisch nach Washington gemeldet, daß Insurgenten aus San Domingo das Gebiet der Republik Halti betreten h Haitische Truppen seien ihnen an die Grenze entgegen⸗ eschickt. brasilianische Specialgesandbte in Washington Baron Andrada ist in der Nacht zum Sonntag infolge Schlaganfalls gestorben. Nach einer in Lissabon ein⸗ getroffenen Depesche aus Rio de Janeiro vom 24. d. M. haben die Regierungstruppen die Insurgenten der Provinz Rio Grande do Sul in Bagé geschlagen. Dem „New⸗York Herald“ zufolge war der argentinische Konsul in Porto⸗Alegre auf Befehl des Statthalters Castillo verhaftet worden.

Afrika.

Nach einer in Paris eingetroffenen Depesche des Gou⸗ verneurs des französischen Sudangebiets vom 24. d. hat Oberst Combes die Banden Samory's, die sich in Gueleba verschanzt hatten, vollständig geschlagen und auseinander⸗ gesprengt; zahlreiche Gefangene und große Beute fielen den Siegern in die Hände. Samory ist von seinen Anhängern ver⸗ lassen; man glaubt, daß seine Macht im Süden vollständig vernichtet ist. Ein weiteres amtliches Telegramm meldet, daß die Expedition Maistre's von Baghirmi und Ada⸗ maua her, nachdem sie Verträge mit den Stämmen am Chari⸗ und Logoueflusse abgeschlossen, bis zu den Mün⸗ dungen des Niger gelangt seiä. 16 8

Parlamentarische Nachrichten.

Die Commission des Herrenhauses für Vor⸗ berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aenderung des Wahlverfahrens, besteht aus folgenden Herren: Minister des Königlichen Hauses von Wedel, Vorsitzender, Fürst zu Putbus, Stellvertreter des Vorsitzenden, Ober⸗Bürgermeister Zweigert, Schriftführer, Graf von der Schulenburg⸗ Lieberose, Stellvertreter des Schriftführers, Graf von Klinckowstroem, Graf von Pfeil⸗Hausdorf, Ober⸗ Bürgermeister Wegner, Graf von Schlieben, Ober⸗ Bürgermeister Schmieding, Prinz zu Schoenaich⸗ Carolath, Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf, Ober⸗Bürgermeister Bender, Freiherr von Wendt, Ober⸗ Bürgermeister Braesicke und Rittergutsbesitzer von Klitzing.

Nr. 5 des „Archivs für Post und Telegraphic“ (Beiheft zum Amtsblatt des Reichs⸗Postamts, herausgegeben im Auftrage des Reichs⸗Postamts) hat folgenden Inhalt: I. Actenstücke und Auff ze: Ausdehnung und Wirrsangbeit des telegraphischen Uhüian. Mordevienstes im Reichs⸗Telegraphengebiet. 2. fremder Posten und die Unterdrückung des Städtebotenwesens in Lüneburg. Chicago und seine Weltausstellung. Der Post⸗Päckereiverkehr im Reichs⸗ Postgebiet während der Weihnachtszeit 1892. II. Kleine Mit⸗ theilungen: Der Fernsprecher in Japan. Der Handelsverkehr Bremens nach Eröffnung des Freihafens. Eine Besteigung des Fuji⸗no⸗ama. Uebermittelung von Signalen nach Luftballons. Verwendung von Dampfkraft zur Erzeugung des elektrischen Stromes. III. Literatur des Verkehrswesens: Das Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen in Preußen vom 28. Juli 1892, unter Bezugnahme auf die zu demselben erlassene Ausführungsanweisung, erläutert von Karl Köhne, Königl. Eisenbahn⸗Bau⸗ und Betriebs⸗ Inspector. Berlin. Verlag von Julius Springer, 1893.

Nr. 12 des „Centralblatts der Bauverwaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Ar⸗ beiten, vom 25. März, hat folgenden Inhalt: Rund⸗Erlaß vom 12. März 1893, betreffend die Vergütungen für Schreibe und Zeichen⸗ materialien an die technischen Secretäre. Nichtamtliches: Die Auf⸗ gaben des Ingenieurs bei plötzlich eintretenden Seuchen. Preis⸗ bewerbung um das Märkische Museum in Berlin. (Schluß.) An⸗ lagen zur elektrischen Beleuchtung. Vermischtes: Die Reste des römischen Nordthors in Köln. Vorstand des Architektenvereins in Berlin. Technische Hochschule in Berlin. Betriebsergebnisse der französischen Localbahnen. J. Neumann f.

Verdingungen im Auslande.

““ Bulgarien.

12. April (neuen Stils). Bulgarisches Finanz⸗Ministerium, Sofia: Lieferung von 120 000 Jute⸗Salz⸗Säcken für das staatliche Salzdepot 5 Anchialle bei Burgas. Superlicitation am 17. April

euen Stils).

Näheres an Ort und Stelle.

Verkehrs⸗Anstalten. Die Königliche Eisenbahn⸗Direction zu Berlin macht in einer (in der heutigen Nr. d. Bl. veröffentlichten) Bekanntmachung darauf aufmerksam, daß, nachdem durch Bundesrathsbeschluß vom 26. Januar d. J. die Weiterverwendung der früheren Frachtbrief⸗Formulare im inneren deutschen Verkehr bis zum 30. Juni d. J. unter bestimmten Bedingungen ge⸗ stattet worden ist, vom 1. Fuli d. J. ab nur noch die durch die neue Verkehrsordnung vorgeschriebenen Frachtbriefe angenommen werden und daß eine Verlängerung der durch den Bundesrath bestimmten Frist keinesfalls in Aussicht genommen werden kann.

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Theater und Musik.

Königliches Schauspielhaus.

Gestern Abend setzte Herr Friedrich Mitterwurzer sein Gastspiel als Wilhelm Tell in Schiller’s gleichnamigem Schau⸗ spiel erfolgreich fort. Man hätte dem Künster, der jeder Rolle ihre besondere und zuweilen ungewöhnliche Auslegung zu geben und gerade dadurch zu fesseln weiß, kaum eine so gewaltige Schlichtheit der Rede, eine so einfache und Ergriffenheit des Herzens zugetraut, wie er als Wilhelm Tell offenbarte. Die einfache, urkräftige, ländliche Gestalt des Tell, der natürliche Gegensatz zu jenen liebenswürdigen Lebemännern und anderen Geist sprühenden humorvollen Personen, die Herr Mitterwurzer sonst mit Vorliebe auf seinen Gast⸗ spielen vorgeführt hat, wurde ergreifend herausgearbeitet. Der Schmerz des Vaters in der Schlußscene drang von innen heraus, und selbst wo er vom Schmerz übermannt er⸗ scheinen muß, blieb er maßvoll und daher überzeugend in seinen kraftvollen Bewegungen. Jede heftige Gestikulation wurde mit Ueberlegung vermieden: mächtig und fest, aus der Natur empor⸗ gewachsen, wie ein Eichstamm, dessen Wipfel der Sturm bewegt, er⸗ schien dieser Tell. Die Ruhe in der Bewegung zeichnete auch den großen Monolog aus; aber die Leidenschaft wurde in Ton und Mienenspiel gewaltig und in großen Zügen gezeichnet. Die Rache⸗ gedanken durchbrach manchmal eine fast naive Freude an der heran⸗ nahenden Erfüllung seines Tod bringenden Schwurs, als ob er sich als Rächer und Befreier seines Vaterlandes und nicht als Mörder seines Kindes fühlte. Väterliche Milde sprach aus seiner Rede zu den Kindern, und mit erschütternder Innigkeit entstieg unerschütterliches Gottvertrauen wie ein heißes Gebet seiner Brust. An Beifall fehlte es dem verdienten Gast nicht. Die übrigen Darsteller konnten durch⸗ aus befriedigen, sodaß sich die Vorstellung zu einem schönen Ganzen zusammenschloß.

Theater Unter den Linden.

Das neue Ballet oder Ausstattungsstück „Columbia“ (in vier Abtheilungen von H. Regel, Musik von Joh. Bayer), das am Sonn⸗ abend zum ersten Mal gegeben wurde, hat sich eines guten Erfolgs zu erfreuen gehabt. Von einem Gedanken, der das Ganze durchzieht und der etwa in einer Handlung Ausdruck fände, ist freilich nicht die Spur zu entdecken; der Zusammenhang ist vielmehr allein in der Reflexion begründet, daß in Amerika und speciell auf der Weltausstellung in Chicago der Menschengeist in seiner Erfindungskraft die größten Triumphe feiern werde. „Columbia“ ist das von dem Erfinder Actinson ins Leben gerufene Geschöpf, welches uns auf einer Tour durch Amerika und in Chicago die Wunder der neuen Welt vorführt. Diese sind mannigfach und farbenprächtig; ihren Mittelpunkt bildet stets „Columbia“, die von der vortrefflichen und unermüdlichen Solotänzerin Signora Elia repräsentirt wird. Es genügt, die Bilder, die alle mit Geschick und Geschmack erdacht und ausgestattet sind, zu erwähnen. Von unter⸗ geordneter Bedeutung ist die erste Abtheilung: das Atelier des Er⸗ finders. Die zweite Abtheilung zeigt uns New⸗Yorks breiteste und belebteste Straße, auf der alles Mögliche und Unmögliche producirt wird. Da sehen wir das Eldorado der Reclame in ihren großartigen Wirkungen: aus Wickelkindern entwickeln sich durch einen Schluck neu⸗ erfundener amerikanischer Milch sofort kleine Herkulesse, die 500 kg spielend handhaben; eine neu erfundene Seife macht selbst das Gesicht eines Negers weiß. Da sehen wir ferner den Baumwollenkönig, den Eisenbahnkönig, den Zeitungskönig, und mitten auf der Straße wird von einem Circus⸗ Director mit vier Damen, die die Rolle von Pferden vertreten, „hohe Schule“ vorgeführt. In einem „Welt⸗ Orchester“ erscheinen die verschieden Nationen mit den bei ihnen be⸗ sonders bevorzugten Instrumenten; dies Orchester „spielt“ aber nicht, sondern „wird getanzt“. In der dritten Abtheilung befinden wir uns an den Niagarafällen, die durch ein effectvolles Arrangement lebender Personen zur Darstellung gebracht werden; hier ist ein großes Pas de deux von Signora Elia und Sgr. Poggiolesi ein geschallet, die darin ihre außerordentliche Kunstfertigkeit in das hellste Licht stellen. Ein „Zuckerernte⸗Reigen“, ein Ballet von Zuckerhüten und Knallbonbons sowie ein „Tropen⸗Zauber“ werden durch hübsche Tänze und farben⸗ reiche Ausstattung zur Anschauung gebracht. In der vierten Abthei⸗ lung befinden wir uns in Chicago: dort wird die Wirkung des Tele⸗ phons in einer Polka veranschaulicht und in einem großen Ballabile sind die großen Repräsentanten des Verkehrs unterseeisches Kabel, elektrische Schiffahrt und elektrische Bahn, überseeische Post, Brieftauben, Luftschiffe harmonisch thätig. Alsdann ziehen in einem Wandel⸗ diorama die großen Anziehungspunkte der Ausstellung: der Elektricitäts⸗ palast, der Administrationspalast, das deutsche Dorf und das deutsche Haus vorüber. Den Schluß bildet eine „Apotheose“, in der alle Mitwirkenden sich noch einmal in einem glänzenden Bilde vereinigt zeigen. Die Musik enthält wenig Bemerkenswerthes; das Haupt⸗ motiv ist nahezu eine Wiederholung des Mondscheinwalzers aus der „Welt in Bild und Tanz“. Die Ausstattung macht der Phantasie und der Erfindungsgabe der leitenden Kräfte des Theaters alle Ehre und wird auch den höchsten Ansprüchen gerecht. c;

Sing⸗Akademie. 8

Am Sonnabend gaben die Herren Kruse, Markees, Müller und Dechert ihren zweiten Kammermusik⸗Abend, in welchem sie durch die rühmlich bekannte Concertsängerin Frau Cornelia Schmitt⸗Csänvi unterstützt wurden. Ein hier noch wenig ge⸗ hörtes Quintett (Fis-moll) von Hugo Kaun, das sich durch große Gewandtheit in der Behandlung der Form dieser Stilgattung auszeichnet, eröffnete den Abend. Im Vortrag dieses Werks unterstützte Herr Robert von Mendelssohn (Cello) die Concertgeber aufs wirksamste. Dieses Quintett sowohl als auch das herrliche Quartett von Schubert 8F moll) kamen in so klaxer und schwungvoller Art des Ausdrucks zu Gehör, daß fast auf jeden Satz lebhafter Beifall erfolgte. Die Sängerin trug Händel’s Arie „Mio caro bene“ aus „Rodelinda“, Schubert’s „Am Grabe Anselmo’'d“ und ein Wiegenlied von Alois Schmitt vor. Die Klangschönheit ihrer sehr gut geschulten Stimme und die belebte, tief empfindende Art des Vortrags kamen in diesen Gesängen so trefflich zur Geltung, daß rauschender Beifall erscholl und die Künstlerin noch drei ungarische Lieder hinzufügte. Der dritte Kammermusik⸗Abend

ist auf Sonnabend, den 8. April, angesetzt. 8

Philharmonie. 5

Das zweite und letzte Sarasate⸗Concert, welches am Sonn⸗ abend stattfand, begann mit dem Klavier⸗Concert (C⸗emoll) von Saint⸗ Saöns, welches von Frau Berthe. Marx mit musterhafter Be⸗ herrschung der vielen technischen Schwierigkeiten und mit Grazie des Auoͤdrucks vorgetragen wurde. Hierauf spielte der Coucertgeber das

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zweite, sehr stilrecht gehaltene Violin⸗Concert von Mar Bruch, das der Componist dem Virtuosen gewidmet hat, und das in den

schwierigen Doppelgriffspassagen des ersten Satzes an den Spieler

hohe Anforderungen stellt. Sehr interessant ist der zweite Satz, ein elegisch gehaltenes „Recitativ“, das den Solisten ganz be⸗ sonders wirkungsvoll hervortreten läßt. Außerdem krug der Concertgeber noch die Caprice von E. Guisaud und sein eigenes Bravourstück: „Airs Ecossais“ vor, dem der unermüdliche Künstler noch mehrere Pioͤcen hinzufügte. Daß auch die Pianistin nach dem zarten und feinschattirten Vortrag der Barcarole von Chopin und der sehr schwierigen sechsten Rhapsodie von Liszt noch Chopin’s As-dur- Polonaise als Zugabe spielte, zeugte von der ungewöhnlichen Aus⸗ dauer und Kraft dieser außerordentlich begabten Virtuosin. Das sehr zahlreich erschienene Publikum dankte beiden Vortragenden durch laute Beifallsbezeugungen.

Der Spielplan des Berliner Theaters für die Osterfeiertage lautet: Sonntag Nachmittags „Die Journalisten“, Abends „Graf Waldemar“ mit Ludwig Barnay in der Titelralle; Montag Nach⸗ mittags „Der Veilchenfresser“, Abends „Viel Lärm um Nichts“ mit Ludwig Barnay und Nuscha Butze in den Hauptrollen; Dienstag Nachmittags „Graf Essex“, Abends „Kean“ mit Ludwig Barnay in der Titelrolle. Der Billetverkauf für alle drei Nachmittags⸗Vor⸗ stellungen hat bereits begonnen.

Im Lessing⸗Theater haben die Proben zu dem Schauspiel „Hanna Jagert“ von Otto Erich Hartleben begonnen, das am ersten Osterfeiertag in einer Matinée zum ersten Mal aufgeführt werden soll. Die Billets zu dieser Vorstellung werden bereits jetzt an der Tageskasse des Theaters ausgegeben.

Das Friedrich⸗Wilhelmstädtische Theater bringt bis einschließlich Donnerstag Wiederholungen von Offenbach’s „Pariser Leben“. Für die Osterfeiertage sind die Operetten „Orpheus in der Unterwelt’ und „Der arme Jonathan“ auf den Spielplan gesetzt. Ende April beginnt Ilka von Palmay ihr auf zwölf Abende be⸗ rechnetes Gastspiel.

Im Kroll'schen Theater wird Signora Nevada sich am Mittwoch als Norina in der Oper „Don Pasquale“ vom Berliner Publikum verabschieden. Der Spielplan für die Osterfeiertage ist folgendermaßen festgestellt: Sonntag: „Die Zauberflöte“, Montag: „Don Juan“ (Frau Moran⸗Olden, Signor de Padilla, als Gäste), Dienstag: „La Traviata“ (erstes Gastspiel der Signora Prevosti).

Die Direction des Victoria⸗Theaters hat einen Vertrag abgeschlossen, wonach der Königliche Musikdirector Herr Adolf Boettge aus Karlsruhe mit der Regimentskapelle des Badischen Leib⸗ Grenadier⸗Regiments Nr. 109 während des kommenden Sommers im Park des Theaters concertiren und unter Benutzung altdeutscher Instrumente seine historischen Concerte aufführen wird, die bereits in . Frankfurt a. M. und Hamburg während der dortigen Ausstellung viel Anerkennung fanden. 8

Im Thomas⸗Theater geht morgen die Posse von Nestroy „Einen Jur will er sich machen“ zum letzten Mal in Scene, während am Mittwoch das Schlußstück des Wiener Ensembles „Der Talisman“ olgt. 1b Director Max Baer veranstaltet mit den mittleren und oberen Klassen seines Conservatoriums (NO., Neue Königstraße 59) am Mittwoch im Saal⸗Bechstein einen Vortragsabend zum Besten der Unterstützungskasse des Vereins der Musiklehrer und Lehrerinnen; Eintrittskarten sind im Conservatorium selbst, sowie in der Musikalienhandlung von Siegel u. Schimmel, Königstraße 41, zu haben.

Mannigfaltiges. Hohn

In Gegenwart Seiner Königlichen Hoheit des Friedrich Leopold, als Vertreter Seiner MajestätdesKaisers. fand gestern die feierliche Einsegnung von 93 Cadetten in der evangelischen Kirche der Haupt⸗Cadettenanstalt zu Lichterfelde statt. Zur Begrüßung des Prinzen waren, wie die „Neuest. Nachr.. mittheilen, auf dem Bahnhofe anwesend der General⸗Inspecteur des Militär⸗Erziehungs⸗ und Bildungswesens, General der Infanterie von Keßler, der General der Infanterie à la suite des Cadetten⸗Corps von Strubberg, der Commandeur des Cadetten Corps, General⸗Major von Amann, der Commandeur der Haupt⸗Cadettenanstalt, Oberst von Freyhold und die Stabsoffiziere dieser Anstalt. Beim Eintritt in das Gotteshaus präludirte die Orgel, unter deren Klängen der Prinz zum Altar ge⸗ leitet wurde. Zu beiden Seiten des letzteren hatten die Confirmanden vor einer Decoration von Lorbeerbäumen Aufstellung genommen Der Cadetten⸗Sängerchor leitete die Feier mit dem 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte“ ein. Es folgten die Gesänge „Sollt' ich meinem Gott nicht singen“, „Jesu, geh' voran“, die Liturgie und die vom Pfarrer Brück gehaltene Festpredigt. Der Predigt folgte der Gesang „D heil'ger Geist, kehr' bei uns ein“ und de feierliche Act der Einsegnung, der vom Musikeorps mit den Klängen des Chorals „Mir nach, spricht Christus, unser Held“ begleitet wurde. Später versammelten sich die confirmirten Cadetten mit ihren An. gehörigen noch einmal um den Altar, um das heilige Abendmahl zu nehmen.

In der Kaiserin Augusta⸗Stiftung zu Charlotten⸗ burg fand, wie die „N. Pr. Z.“ berichtet, am Freitag die Einsegnung von neunzehn Confirmanden statt, die danach zugleich mit zwei katholischen Zöglingen die Anstalt verließen, um zu ihren Familien zurückzukehren. Die Einsegnung vollzog der Prediger des Hauses Pastor Schliep vor einer sehr zahlreichen und vornehmen Versamm⸗ lung. Am Donnerstag hatte nach der kirchlichen Prüfung Ihre Majestät die Kaiserin die Eltern der Zöglinge i Schlosse zu Charlottenburg empfangen und alsdann letzteren Lebewohl gesagt. Zugleich überreichte die Kaiserin allen ausscheidenden Zöglingen christliche Andachtsbücher, in welche Ihre Majestät Allerhöchstselbst die Einsegnungssprüche ein⸗ geschrieben hatte. Der Erste Curator der Stiftung, General der Infanterie von Strubberg, und die Oberin Fräulein von Gruene⸗ waldt wohnten dieser Feier bei, zu welcher mit Ihrer Majestät die Hofdame Fräulein von Gersdorff, der Ober⸗Hofmeister Freiherr von Mirbach und der Kammerherr Graf von Keller erschienen waren. Das Kaiserin Augusta⸗Stift bendete mit dem 24. März das 21. Lehr⸗ jahr seit dem Bestehen dieser gesegneten Anstalt.

Das Hauptergebniß des jetzt vorliegenden Abschlusses des Lager⸗ buchs der Stadt Berlin für das Etatsijahr 1891/92 gestaltet sich wie folgt: (Die in den Klammern beigefügten Summen stellen die Differenz gegenüber dem Vorjahre dar.] I. Kämmerei vermögen. An Activen waren am 31. März 1892 vorhan 486 038 778,79 (18 686 197,65

mehr) Sie b 8 aus: 1) Grundbesitz 331 118 040 mehr), 2) ausstehende

Kapitalien: a. Hovotheken und Forderungen 4 428 917,90 ( 136 696,20 weniger). b. Inhaberpapiere zu Curswerthe von 3 208 125,33 (19 368,7. mehr), zum Nennwerthe 3 321 225 (388 800 mehr), 3) Kassen⸗ bestände 18 609 717,40 (381 562,92 mehr). 4) Einnahmereste 636 660,50 (192 116,57 weniger). 5) Werth der Natural Material⸗ und Betriebsbestände und Vorräthe 7 722 311,65 (6 181 470,65 mehr). 6) Werth des Mabiltar Inventars. der Bibliotheken, Apparate und Sammlungen X. 30 315 005,13 (2 736 018,59 %ℳ medr). An Passiven waren am Z1. März 1892 vorhanden 246 361 366,30 (9 916 387,21 Di selben bestanden aus; 1) Schulden a2. 3 130 262, 17 (797 575,89 weniger). 238 029 000 (10 611 700 mebr). 8. Darlehen 384 286.13 (823 173,46 mehr) 2. aden 6 817 868 . 0 910,36 ℳ). Es engiebt sich somit am Il. 8 1892 ein Bestand von 239 627 412,49 § 169 S810, 44 & II. Stiftungsvermoögen. An Activen waren am Fl. M. orhanden 27 580 853,721 (§d 096, 82 mehr).