Abg. Dr. Horwitz (dfr.) meint, daß ein Strafverfahren und ein Antra 1 encan cgeschafr garnicht vorliege; deshalb habe das Haus gar kein Recht, sich mit der Sache zu befassen. Es fehle auch dem Antrage eine genügende Motivirung. “
Abg. Stadthagen (Soc.): Daß die Motivirung fehlt, ist nicht meine Schuld, sondern Schuld der Geschäftsordnung, welche die Bei⸗ legung ausführlicher Motive nicht gestattet. 8
Abg. Träger (dfr.) warnt das Haus, den Ausführungen des Abg. Dr. Horwitz zu folgen; das würde der Sache und dem Abg. Stadthagen schaden. Der Abg. Stadthagen sei ausgeschlossen aus dem Anwaltsstande aus einem politischen Grunde und wegen der Gebührenüberhebung. Wenn ein solcher Fall vorlag, so mußte derjenige, der davon Kenntniß erhielt, also hier der Ehren⸗
erichtsof, die Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstatten. Her Abg. Stadthagen wollte sich von diesem Vorwurf reinigen und hat deshalb sich selbst denuncirt, um die Sache zur Aufllärung zu bringen. Die Staatsanwaltschaft lehnte aber die Erhebung der Anklage ab, weil der Abg. Stadthagen Reichstags⸗ Abgeordneter ist, und gab ihm auf, die Genehmigung zur gstrafrecht⸗ lichen Verfolgung selbst zu beantragen. Das ist ein unerhörtes Ver⸗ fahren. Aber der Abg. Stadthagen ist höflich genug, der Forderung der Staatsanwaltschaft nachzugeben, er ist also negotiorum gestor der Staatsanwaltschaft. Deshalb müssen wir in diesem Falle, der uns alle menschlich sehr nahe angehen muß, seinen Antrag annehmen.
Abg. Freiherr von Unruhe⸗Bomst (Rp.): Ich habe kein Mißtrauen gegen das, was der Abg. Stadthagen hier mitgetheilt hat; aber als Reichstagsmitglied muß ich doch in diesem ersten Fall dieser Art verlangen, daß der Reichstag genaue Kenntniß von allen Dingen erhält. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft erscheint auch mir, milde gesagt, sehr eigenthümlich. Aber wir müssen doch die Sache der Geschäftsordnungscommission überweisen. “
Abg. Singer (Soc.) weist darauf hin, daß wegen einer Ver⸗ urtheilung auf Grund des § 352 des Strafgesetzbuchs auch auf Ab⸗ erkennung öffentlicher Aemter erkannt werden kann; das sei ein Grund für den Reichstag, der Sache seine Aufmerksamkeit zuzu⸗ wenden. Redner hofft, daß die Commission die Sache schleunigst erledigen werde. 8 1 3
Abg. Schröder (dfr.): Der Reichstag kann sich doch nicht als Ehrengerichtshof aufthun, um dem Abg. Stadthagen eine persönliche Genugthuung zu verschaffen. Der Reichstag muß die Lage bedenken, in welche er selbst kommt. Der Reichstag kann nur die ungeschickte Entscheidung der Staatsanwaltschaft gut machen; er kann aber nicht die Staatsanwaltschaft nun zu einem wirklichen Einschreiten ver⸗ anlassen. Wenn das Einschreiten nicht erfolgt, was soll dann ge⸗ schehen? Deshalb ist die Verweisung der Sache an die Geschäfts⸗ ordnungscommission nothwendig. 2
Abg. Ackermann (dcons.): Wir müssen doch untersuchen, wie die Verhältnisse liegen; wir müssen Auskunft seitens der Justiz⸗ verwaltung haben, warum die Staatsanwaltschaft die strafrechtliche Verfolgung ablehnt. Es können erstlich noch ganz andere Gründe vorhanden sein, außerdem ist aber die Staatsanwaltschaft auch ganz unabhängig von dem Urtheil des Ehrengerichtshofes.
Der Antrag wird darauf der Geschäftsordnungscommission überwiesen.
. In Bezug auf die Petition des Müllers Wolter um Er⸗ theilung der Genehmigung zur Einleitung der Widerklage gegen den Abg. Schaettgen, wegen Beleidigung, beantragt die Geschäftsordnungscommission, die Genehmigung nicht zu ertheilen. Der Antrag wird ohne Debatte angenommen.
Der Rechtsanwalt Steinau zu Berlin, als Bevollmäch⸗ tigter des Klägers in einer Civilprozeßsache Reinstein contra Pickenbach, bittet um Ertheilung der Genehmigung zur Ver⸗ haftung des Verklagten zur Ableistung des Offenbarungseides; die Geschäftsordnungscommission beantragt, die Genehmigung nicht sü ertheilen.
A muß in eigener Sache das
Pickenbach (b. k. F.): J — Wort ” so 2. tz es mir ist, weil die Berichte in den Zeitungen, welche sicherlich von einem Mitgliede der Geschäfts⸗ ordnungscommission ausgegangen sind, die Sache falsch dargestellt haben. Die Schuld, um welche es sich handelt, ist nicht durch Schlemmerei entstanden. Ich habe diesen Wein niemals bestellt und niemals verbraucht. Die Sache hängt anders zusammen, das wird ein weiterer Prozeß ergeben. Ich habe mich auch nicht auf die Immunität berufen, sondern, weil der Termin auf den Tauftag meines Sohnes fiel, einen andern Termin erbeten. Wenn der Gerichts⸗ vollzieher in meiner Wohnung keine werthvollen Gegenstände zur Pfändung vorgefunden hat, so ist das richtig. Ich scheue mich nicht zu bekennen, daß ich ein armer Mann bin, daß ich nur mit Mühe und Noth für meine Familie sorgen kann; ich kann aber das Zeugniß in Anspruch nehmen, daß ich trotzdem, so schwer es mir wird, wohl einer der eifrigsten Besucher des Reichstags bin, eifriger als mancher Andere, dem es leichter fallen würde. Ich bin in die Bewegung als ein wohlhabender Mann eingetreten; ich habe mein Vermögen verloren und es meinen Idealen gerpfert. 8
Abg. Ackermann (dcons.) erhebt dagegen Widerspruch, daß Berichte aus der 11“ von einem Mitgliede er Commission ausgegangen seien. .“ — Cam Pecem bürch ecb. k. F.): Der Berichterstatter Ham⸗ burger hat die Berichte in die Zeitungen gebracht; er hat die Nach⸗ richt von einem Abgeordneten erhalten, dessen Namen nachzuforschen ich keine Veranlassung hatte. 8 1
Abg. Ackermann (decons.): Der Vorredner modifizirt also seine Behauptungen dahin, daß ein Mitglied des Hauses die Nach⸗ richt mitgetheilt habe; ich wollte nur dagegen Widerspruch erheben, daß ein Mitglied der Commission dabei betheiligt sei. .
Die Genehmigung wird versagt, ebenso die Genehmigung ur strafrechtlichen Verfolgung des „Hamburger Echo“ wegen Seee des Reichstags.
In erster und zweiter Berathung wird der Gesetzentwurf,
betreffkedd die Geltung des Gerichtsverfassungs⸗ esetzes in Helgoland (Bildung eines Schöffengerichts da⸗
brosh ohne Debatte genehmigt. .
Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten.
Abg. von Holleuffer (dconsv.): Der Entwurf findet nicht allgemeine Zustimmung; schon die Abgrenzung dessen, was der Reichs⸗ und was der Landesgesetzgebung zuzuweisen ist, ist schwierig, und da ist die Wissenschaft noch nicht so weit, daß sie zweckmäßige Kampf⸗ maßregeln, namentlich gegen die Cholera, angeben kann. Dazu kommt, daß man gleich mehrere Krankheiten in diesem Gesetz behandelt hat. Das Gesetz ist ein Gelegenheitsgesetz, hervorgerufen durch die Cholera⸗Epidemie des vorigen Jahres; man hätte sich auf diese Krankheit beschränken sollen, man hat aber die Pest, das gelbe Fieber, den Flecktyphus und die Pocken einbezogen. Die Pest ist seit 180 Jahren nicht in Europa aufgetreten; der Flecktyphus tritt doch nur in kleinen Bezirken epidemisch auf, auch die Pocken sind keine Landesseuche; man könnte also ihnen gegenüber mit der Landes⸗ gesetzgebung auskommen. Gegen das gelbe Fieber, bestehen Vor⸗ schriften, die ausreichend zu sein scheinen, denn das gelbe Fieber ist in Deutschland nicht aufgetreten. Mit einer Concentration auf die Cholera wäre man besser in der Lage gewesen, stricte Vorschriften zu
eben. Auch politische Gründe möchten dafür sprechen, die
orlage auf die Cholera zu beschränken. Denn nicht jeder wird geneigt sein, die Competenz des Reichs zu verstärken auf Kosten der Einzelstaaten. Anzeigepflichtig soll in erster Linie der Arzt sein; es wird ihm damit wohl eine Arbeit aufgebürdet, die ein vielbeschäftigter Arzt nicht leisten kann. Auch die Krankenpfleger können die Anzeige nicht gut bewerkstelligen, da sie beim Kranken bleiben müssen und auch nach dem Gesetze gewissen Ver⸗ kehrsbeschränkungen unterworfen sind. Zur Anzeige sollte der Haus⸗ haltungsvorstand, der erft in letzter Linie genannt wird, verpflichtet sein. Der beamtete Arzt soll Zutritt zur Leiche erhalten und auch die
Oeffnung derselben vorzunehmen berechtigt sein. Steht der beamtete Arzt mit seiner Autorität wirklich so hoch über dem Privat⸗ arzte? Wo ein Arzt betheiligt gewesen, sollte der be⸗ amtete Arzt nicht mehr eingreifen. Auch wenn nur ein Krankheitsfall vorkommt, soll öffentliche Bekanntmachung stattfinden. Das ist wohl für die Cholera maßgebend, für die anderen Krankheiten nicht, denn in den Grenzorten findet sich oft genug ein Einzelfall von Pocken. Die nothwendigen Schutzmaßregeln müssen natürlich getroffen werden, aber es muß nicht die freie Bewegung des Einzelnen gehindert werden, daß nicht überflüssige Eingriffe in das Familienleben erfolgen. Redner geht dann auf eine Reihe von Femiltefeden neri ein und spricht die Hoffnung aus, daß ein brauchbares Gesetz zu stande kommen möge. Wenn das nicht möglich wäre, so liege das an dem Fehlen eines einheitlichen utschen Medizinalwesens. 34 8
Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Meine Herren! Es war nicht meine Absicht, schon in einem so frühen Stadium der Discussion das Wort zu ergreifen; ich würde es vielmehr für nützlicher gehalten haben, zunächst die Einwendungen, die aus der Mitte des Hauses gegenüber dem Entwurf eines Reichs⸗ Seuchengesetzes zu machen sind, zu vernehmen und nachher in zusammen⸗ hängender Form diese Einwendungen zu besprechen und ihnen gegen⸗ über den Standpunkt, welchen die verbündeten Regierungen bei der Vorlage einnehmen zu müssen geglaubt haben, zu vertreten. Allein, die Bemerkungen des Herrn Vorredners, für die ich ihm ja sehr dankbar sein kann, haben mir die Ueberzeugung beigebracht, daß das Seuchengesetz, namentlich in der Form, wie es aus der Berathung des Bundesraths hervorgegangen ist, doch noch nicht voll zum Verständniß durchgedrungen ist; und ich habe diese Wahrnehmung auch aus den verschiedenen Artikeln machen müssen, welche in der Presse fast aller Parteien gegen das Seuchengesetz gebracht worden sind. Meine Herren, man hat meines Erachtens sehr zu Unrecht — und es ist mir Bedürfniß, das jetzt hier auszusprechen — gegen das Seuchengesetz ins Gefecht geführt den wissenschaftlichen Streit, der noch immer nicht ausgetragen ist über die Natur und die Bekämpfungsweise der Cholera. Ich bin der Meinung, daß ein Seuchengesetz, welches das Reich macht, wenn es seinen Zweck er⸗ füllen foll, überhaupt garnicht Rücksicht zu nehmen hat auf irgend welche wissenschaftlichen Theorien, die im Augenblick noch im Streit befangen sind, sondern ich glaube vielmehr, daß ein Seuchen⸗ gesetz so eingerichtet sein muß, daß es unter allen Um⸗ ständen mit Erfolg wirksam werden kann, es mag eine Krankheit wissenschaftlich nach dieser oder jener Theorie angesprochen werden. Und diese Aufgabe, meine Herren, glaube ich, hat der Ent⸗ wurf in vollem Maße erfüllt. Sie mögen die Cholera mit Herrn Dr. von Pettenkofer als eine sogenannte localistische Krankheit an⸗ sehen oder ihr mit dem Herrn Geheimen Rath Dr. Koch einen aus⸗ schließlich kontagionistischen Charakter beilegen; Sie werden immer, wenn Sie im Wege der Gesetzgebung gegen diese Seuche vorgehen wollen, in beiden Fällen gewisse Maßregeln treffen und die Aus⸗ führung dieser Maßregeln sicherstellen müssen, die, ganz gleichgültig, ob Sie die Cholera nach der einen oder anderen Auffassung ansprechen, nothwendigerweise in Kraft zu setzen sind.
Nun, meine Herren, hat man dem Gesetz den Vorwurf gemacht, daß es sich nicht auf die Cholera beschränke; auf der anderen Seite ist mir in der Presse wieder der entgegengesetzte Vorwurf entgegen⸗ getreten, daß das Gesetz viel zu eng gefaßt sei; es berücksichtige gar⸗ nicht eine ganze Reihe von Krankheiten, die, ebenso wie die Cholera und die vier anderen jetzt noch im Entwurf stehen gebliebenen Krank⸗ heiten, auch die Fürsorge des Staats in Anspruch nehmen. Nun, meine Herren, auch hier wird wohl das Richtige in der Mitte liegen. Man kann gewiß darüber streiten, ob eine specielle Krankheit, wie es bei⸗ spielsweise der Herr Vorredner bezüglich der Pest oder des gelben Fiebers annimmt, in diesen Entwurf hineingehört oder nicht. Ich will dabei nur bemerken, daß die Pest doch im vorigen Jahre schon bis in das russische Gebiet vorgedrungen ist, und will weiter be⸗ merken, daß das gelbe Fieber in England mehrfach vorgekommen ist, und daß ein besonderes englisches Gesetz gegen das gelbe Fieber besteht. Ich sage: man kann gewiß darüber streiten; wenn man aber ein Reichsgesetz zur Abwehr ansteckender Krankheiten macht, dann, bin ich der Ansicht, muß man nothwendigerweise dazu übergehen, auch alle diejenigen Krankheiten zu treffen, welche wirklich eine Gefahr für weitere Kreise des Volkes in sich schließen und die als Volks⸗ seuchen angesprochen werden können.
Nun, meine Herren, sind ja auch, wenn man an die Regelung der Materie im Wege der Reichs⸗Gesetzgebung geht, Vorbilder vor⸗ handen. Man hat in einzelnen Staaten keineswegs gegen einzelne Krankheiten Vorschriften erlassen, sondern man hat, und das ist beispielsweise in Preußen bereits im Jahre 1835 geschehen, ein sogenanntes Gesundheitsregulativ erlassen und darin die Befugnisse statuirt, die den Behörden bei ansteckenden Krankheiten gegeben werden sollen. Ich glaube kaum, daß es richtig gewesen wäre, wenn, nach⸗ dem einmal durch die Verfassung das Reich als competent bezeichnet worden, die Medizinalgesetzgebung zum Gegenstand seiner Fürsorge zu machen, und nachdem uns im vergangenen Jahre eine so lebhafte Forderung aus der Mitte der Bevölkerung auf Regelung dieser Materie ent⸗ gegengetreten war, man diesen Mißständen gegenüber sich einfach darauf beschränkt hätte, ein Choleragesetz vorzulegen. Und was würde denn damit gewonnen sein? Wir würden uns also üͤber die Cholera unterhalten haben, würden da bald zu einem Einverständniß gekommen sein; und wenn dann über kurz oder lang einige von den⸗ jenigen Krankheiten, die jetzt nach Meinung des Bundesraths auch von dem Gesetz getroffen werden sollen, in Deutschland epidemisch aufgetreten wären, so hätten wir von neuem die Klinke der Gesetz⸗ gebung in die Hand nehmen und uns von neuem unterhalten müssen, was dem gegenüber zu thun wäre. Meine Herren, ich rufe in Ihre Erinnerung zurück und rufe namentlich bei der jetzt immer mehr um sich greifenden Gleichgültigkeit gegenüber der Regelung der Seuchen⸗ frage durch Reichsgesetze in Ihre Erinnerung zurück die Auffassung, welche im Herbst des vergangenen Jahres die herrschende war. Damals wurde die Regierung von allen Seiten und sehr lebhaft gescholten, daß, während man für das liebe Vieh bereits den Weg der Reichs⸗ Gesetzgebung beschritten habe, man noch keine Zeit gefunden habe, die menschlichen Krankheiten unter die Reichsobhut zu nehmen. Damals gingen wir sofort an die Aufgabe und wir hatten den Eindruck, daß wir uns des Beifalls aller Kreise der Bevölkerung zu erfreuen hätten und daß je länger je mehr die Theilnahme in dem Fortschreiten dieser Gesetzgebung sich äußerte. Heute ist man etwas abgestumpfter dagegen, heute empfindet man vornehmlich die Unbequemlichkeiten, die
wesentlichen Inhalt nach. Man vergegenwärtigt sich nicht, daß alle Maßregeln, die dieses Gesetz vorsieht, zum großen Theil bereits in deutschen Landen in Wirksamkeit sich befinden, und daß wir im vergangenen Jahre auf Grund der von mir für durchaus zutreffend gehaltenen Erwägungen, daß der Art. 4 der Reichsver⸗ waltung die Ermächtigung dazu giebt, diese selben Maßregeln schon durchgeführt haben. Wenn Sie sich dieses gegenwärtig halten, dann werden Sie, meine Herren, glaube ich, in dem Bestreben, dieses Gesetz als einen ganz exorbitanten Eingriff in die persönliche Freiheit anzusehen, doch etwas nachlassen und Sie werden mir zugeben, daß, wenn überhaupt das Reich in Thätigkeit treten soll, es garnicht an⸗ ders möglich war, als das Thätigkeitsfeld so zu begrenzen, wie es im Entwurf geschehen ist. Selbstverständlich halte ich dabei die Special⸗ erörterung aller einzelnen Paragraphen offen und ich werde mich des besseren, was aus der Mitte des Reichstags gegenüber den Vor⸗ schlägen des Entwurfs gebracht wird, nur freuen.
Also, meine Herren, die Frage ist immer nur die: Halten Sie diese Dinge dazu angethan, daß die Reichsgewalt in die Lage gesetzt wird, zweifelsfrei und ohne Anfechtung beim Ausbruch von Epidemien in Thätigkeit zu treten? oder sind Sie der Meinung, wir lassen die Dinge so weitergehen, wie sie bisher gegangen sind, wir überlassen die Abwehr der Seuchen den Einzelstaaten? Das ist die Cardinalfrage, über diese müssen Sie sich klar machen; und wenn Sie diese Frage im Sinne des Entwurfs entscheiden, dann werden sich die Con⸗ sequenzen im übrigen von selbst ergeben, wobei ich wiederum dem Herrn Vorredner Recht gebe, daß alle Maßregeln, die in die freie Selbstbestimmung des Individuums eingreifen, möglichst schonend und innerhalb der Grenzen zu halten sein müssen, die durch die Natur der Aufgaben, die das Gesetz zu erfüllen hat, geboten erscheinen.
Meine Herren, wenn dies der allgemeine Gesichtspunkt ist, von dem wir beim Entwurf ausgegangen sind, so erübrigt mir nur noch, einige Bemerkungen des Herrn Vorredners zu beleuchten, die er zu den verschiedenen Paragraphen gemacht hat.
Ich kann, was die Bemerkung im Eingang seiner Rede anlangt, daß die Beschränkungen, die das Gesetz enthält, als zu weitgehend er⸗ scheinen, nur darauf erwidern, daß in diesem Gesetz keine Beschränkung aufgenommen ist, die nicht bereits irgendwo in dem deutschen Vater⸗ lande besteht, und daß wir sogar sehr viel weitgehendere Be⸗ schränkungen in der Medizinalgesetzgebung der einzelnen Länder haben. Wir haben selbstverständlich hier im Entwurf nur solche Krankheiten aufgenommen, die wir im Interesse der Zurückhaltung der Verbreitung der Seuchen für erforderlich gehalten haben.
Wenn der Herr Vorredner Anstoß daran genommen hat, daß im § 1 Krankheiten aufgenommen sind, für welche er seiner Kenntniß der Dinge nach kein Bedürfniß sieht, so kann ich nur anheimstellen, die Frage gründlich zu erörtern, auch die sachverständigen Gutachten dar⸗ über in Betracht zu ziehen, ob nun wirklich eine Krankheit als eine Volksseuche anzusehen ist, die der Reichsabwehr bedarf; und wenn der Herr Vorredner dann nur dahin sein Einverständniß erklärt, daß das Alinea 3 des § 1 bestehen bleibt, wonach dem Bundesrath die Befugniß gegeben ist, das Seuchenverzeichniß zu ergänzen nach Maßgabe der zu sammelnden Erfahrungen, so bin ich durchaus damit einverstanden, daß die eine oder andere Krankheit daraus entfernt wird. Darauf legen wir keinen Werth; wir werden dann vermöge der Verantwortung, die dem Bundesrath übertragen ist, in jedem einzelnen Falle zu prüfen haben, ob dieses Verzeichniß durch Bundesrathsbeschluß ergänzt werden soll.
Nun hat der Herr Vorredner die Frage aufgeworfen, weshalb man den Arzt mit der Anzeigepflicht bedacht hat, weshalb man nicht vielmehr dazu übergegangen ist, den seiner Meinung nach zunächst Verpflichteten, den Haushaltungsvorstand zur Anzeige zu ver⸗ pflichten. Ja, meine Herren, hier handelt es sich um die sachverständige Beurtheilung eines Krankheitszustandes. Ich kann mir denken, daß, wenn eine Epidemie einmal ausgebrochen ist, es auch dem Laien nicht schwer fällt, im einzelnen Falle zu ermessen, ob ein Erkrankter von dieser Epidemie betroffen ist. Für die ersten Fälle aber ist es meines Erachtens durchaus nothwendig, daß ein Sachverständiger den Fall beurtheilt und daß ein Sachverständiger die Diagnose stellt: hier ist eine Seuche, welche unter das Reichs⸗Seuchengesetz fällt, in Frage.
Sodann aber, meine Herren, ist nur dadurch, daß man dem Arzt diese Verpflichtung auferlegt, die Erfüllung derselben sicher zu stellen. Wenn Sie sich die Verhältnisse vergegenwärtigen, wie sie in den Familienhäusern der großen Städte bestehen, wie sie in einzelnen Familien bestehen, wo überhaupt ein des Schreibens kundiges Mit⸗ glied unter Umständen garnicht vorhanden zu sein braucht, so werden Sie mir zugeben, daß der einzige, von dem man mit Sicherheit eine sachverständige Erfüllung der Anzeigepflicht erwarten darf, der behandelnde Arzt ist.
Das versteht sich auch von selbst, daß dem behandelnden Arzt die Erfüllung dieser Pflicht auf das äußerste erleichtert werden muß, und zu diesem Zweck ist es sehr leicht, eine Vorsorge zu treffen. Der Arzt bekommt eine Postkarte, welche bereits so eingerichtet ist, daß er nur nöthig hat, darin bestimmte Rubriken auszufüllen, daß er also mit dieser Postkarte nichts weiter vorzunehmen hat, als das, was der Herr Vorredner in der sogenannten Krankheitsbescheini⸗ gung dem Arzt auferlegen will. Wir werden daher, glaube ich, über diesen Punkt uns außerordentlich leicht verständigen. 8 1
Daß die Kurpfuscher nicht haben übergangen werden dürfen, wird bei näherer Betrachtung auch der Herr Vorredner wohl zugeben; denn wenn wir sie aus dem Gesetz herdusgelassen hätten, so würde 8 für die Kurpfuscher ein privilegium favorabile gewesen sein; sie phürden einer Verpflichtung überhoben sein, die der approbirte Arzt zu erfüllen hat. Dazu kommt, daß, wie unsere Gesetzgebung nun einmal Ues niemand gehalten ist, sich von einem approbirten Arzt behandeln zu lassen; die Kurpfuscher haben in einzelnen Gegenden des eine recht ausgiebige Praxis, und wir müssen diese Verhältnisse, ie wir augenblicklich nicht ändern können, nehmen, wie sie sind, und 88 fragen, was sich aus der Natur der Verhältnisse ergiebt ü 6 Sicherstellung des Zwecks, den die Anzeigepflicht in diesem Gesetz z erfüllen hat.
u““ Vorredner hat von einer Bevorzugung des S Arztes gegenüber dem nicht beamteten gesprochen und sich dabei auf den § 6 des Entwurfs berufen, in welchem vorgeschrieben ist:
Dem beamteten Arzt ist der Zutritt zu dem Kranken oder zur
Leiche und die Vornahme der zu den Ermittelungen über die Keere
heit erforderlichen Untersuchungen zu gestatten. .. Auch 29
Oeffnung der Leiche polizeilich angeordnet werden, falls der beamte
diesem Gesetz ganz naturgemäß anhaften. — EsK ist kein Ge⸗ legenheitsgesetz, aber ein Polizeigesetz bleibt es immer seinem
Arzt es zur Feststellung der Krankheit für erforderli rklärt.
Ich glaube kaum, daß in dieser Befugniß des beamteten Arztes eine erhebliche Bevorzugung gegenüber dem nicht beamteten zu finden ist. Meine Herren, was hat denn überhaupt die Mitwirkung des beamteten Arztes für einen Zweck? Während der behandelnde Arzt die Herstellung des Patienten im Auge hat, also ein Privatinteresse zu fördern berufen ist, hat der beamtete Arzt die Aufgabe, die Ge⸗ fahren, die aus dem einzelnen Krankheitsfall entstehen können, von der Gesammtheit der Bevölkerung abzuwehren; er hat also das öffent⸗ liche Interesse wahrzunehmen, und er ist vermöge seiner amtlichen Stellung der zur Wahrnehmung dieses öffentlichen Interesses berufene Mann. Wenn er aber diese Aufgabe erfüllen soll, muß man ihm auch die Befugnisse geben, die zur Erfüllung dieser Aufgabe noth⸗ wendigerweise erforderlich sind; das heißt: man muß ihm gestatten⸗ daß er alle die Mittel ergreift, die dazu dienen können, um volle Klar⸗ heit über die Natur der Krankheit, der er sich gegenüber befindet, zu gewinnen.
Wenn nun weiter der Herr Vorredner die Bestimmung des § 8 angefochten hat, wonach die Krankheitsfälle öffentlich bekannt gemacht werden sollen, so kann ich ihn in dieser Beziehung beruhigen. Nach den Beschlüssen der Dresdener Conferenz, welche dahin gehen, daß eine öffentliche Bekanntmachung erst dann obligatorisch eintreten soll, wenn ein sogenannter Seuchen herd festgestellt ist, wird es vielleicht zweckmäßig sein, diesen § 8 zu modificiren, und wir werden sehr gern die Hand dazu bieten, daß eine Bestimmung erlassen wird, wonach es nicht erforderlich ist, jeden einzelnen sporadisch auftretenden Fall in die öffentlichen Blätter zu bringen.
Was die Begräbnißplätze angeht, von denen der Herr Vorredner gesprochen hat, so glaube ich eigentlich kaum, daß dies an sich in den Rahmen des Seuchengesetzes gehört. Die Begräbnißplätze bei uns sind communale resp. kirchliche Einrichtungen, und es kann sich vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheitspflege immer nur darum handeln, ob diese Begräbnißplätze so eingerichtet sind, daß sie vermöge ihrer Benutzung eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit bieten. Da hat sich denn nun doch nach eingehenden Untersuchungen, die dar⸗ über vorgenommen sind, herausgestellt, daß z. B. das Choleragift von den Begräbnißplätzen aus sich nicht verbreitet und daß es in den Boden nicht aufgenommen wird. Es wird also kaum nöthig sein, hierfür eine Anordnung zu treffen. Sobald eine Be⸗ sorgniß in dieser Beziehung durch die Erfahrungen, die etwa gemacht werden, sich begründen ließe, würde es ja unschwer den Einzelregierungen möglich sein, die nöthigen Maßregeln zu ergreifen; eventuell könnte man ja dann immer noch die Klinke der Reichs⸗ gesetzgebung in die Hand nehmen.
Wenn endlich der Herr Vorredner die volle Erfüllung der Auf⸗ gabe des Reichs gegenüber der öffentlichen Gesundheitspflege nur in der Einrichtung eines Reichs⸗Medizinalwesens erblickt, so möchte ich doch glauben, daß eine zwingende Veranlassung, die Autonomie der einzelnen Staaten auf dem Gebiet des Medizinalwesens einzu⸗ schränken, bisher durch die Erfahrungen noch nicht gegeben ist. Ich lasse dabei ganz die Frage unberührt, ob nach der Einrichtung des Medizinalwesens in den Einzelstaaten gegenwärtig die Stellung der Medizinalbeamten eine volle Gewähr für die Erfüllung der ihnen obliegenden Pflichten giebt, oder ob organisato⸗ rische Aenderungen nothwendig sein möchten, die in dieser Beziehung verstärkte Garantien bieten. Das Reichsgesetz würde immer nur dann in die Lage kommen können, solche Organisationen in die Hand zu nehmen, wenn die Erfahrung gelehrt hätte, daß die Organisation innerhalb der Einzelstaaten, sei es wegen ihrer Eigen⸗ thümlichkeit, sei es wegen ihrer Verschiedenartigkeit, nicht mehr im stande ist, diejenigen Aufgaben zu erfüllen, welche das Reich auf dem Gebiete der Gesundheitspflege stellt — diese Behauptung aber wird man schwer aufstellen und noch schwerer beweisen können. Also bin ich zunächst der Meinung, daß man auf diesem Gebiete den Einzel⸗ staaten durchaus freie Hand läßt.
Im übrigen aber kann ich nur dringend empfehlen, daß Sie diesen Entwurf Ihrer wohlwollenden, gründlichen und schleunigen Berathung unterwerfen mögen. Denn so leid es mir thut, ich muß es aussprechen: wir sind leider nicht sicher davor, daß auch in diesem Jahre die Cholera sich bei uns wieder zu Gaste einstellen wird. Und wenn es auch im vergangenen Jahre gelungen ist, mit den damals noch beschränkten Mitteln und innerhalb der nicht unbe⸗ strittenen Competenz, wie sie durch den Art. 4 der Verfassung uns gegeben ist, der Cholera Herr zu werden dank der ausgezeichneten Mitwirkung, die wir von Seiten der Landesbehörden, der Communal⸗ verwaltungen und vor allen Dingen unseres Gesundheitsamts und des Beiraths, der diesem Gesundheitsamt in gefahrvoller Zeit zur Seite gestanden hat, gefunden haben, so werden wir doch nur dann sicher sein können, einer künftigen Epidemie wirksam, schnell und mit dem von uns allen ersehnten Erfolg entgegenzutreten, wenn Sie uns durch dieses Gesetz die Vollmachten geben, welche wir für nöthig halten und alles Ernstes und dringend von Ihnen erbitten. (Bravo!)
Abg. Dr. Endemann (ul.): Die großen Erwartungen, welche man auf das Seuchengesetz gesetzt hat, sind leider nur in bescheidenem Maße erfüllt worden. Eine richtige Seuchengesetzgebung hätte damit eginnen müssen, die Gesundheitspflege in die richtigen Hände zu legen. Der Reichstag kann nicht den Streit zwischen Localisten und Contagionisten entscheiden, der größte Theil der Aerzte neigt sich Koch's Meinung zu. Es ist bedauerlich, daß die Regierung nicht die praktischen Aerzte gehört hat. Man darf nicht bloß vom Auslande kommende euchen in das Gesetz hineinnehmen, sondern man muß auch ein⸗
eimische Seuchen behandeln, damit wirklich von vornherein die edizinalpolizei überall eingerichtet wird; denn wo gute sanitäre erhältnisse sind, wird sich keine Seuche auf die Dauer einnisten. Trotz des ungenügenden Inhalts der Vorlage sind meine Freunde entschlossen, den Entwurf einer Commission von 21 Mitgliedern zu überweisen.
Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Meine Herren! Ich würde dem Herrn Vorredner außerordentlich dankbar gewesen sein, wenn er mir gesagt hätte, weshalb dieser Ent⸗ wurf für ihn eine Enttäuschung ist. (Zuruf.) — Nun ja, dann würde ich beurtheilen können, ob diese Enttäuschung ein begründetes Gefühl ist, oder ob sie nur in einer gewissen Abneigung gegen das System, was hier angenommen ist, ihren Ursprung hat. Der Herr Vorredner — und deshalb habe ich ums Wort gebeten — scheint mir das, was durch die Zeitungen gegangen ist, doch zu sehr als baare Münze ge⸗ nommen zu haben, und namentlich auch die Beschwerde, daß die deutschen
erzte über den Entwurf nicht gehört sind.
Nun, meine Herren, habe ich hier eine Liste von allen denjenigen,
die Reichsverwaltung leichtsinnigerweise den Entwurf bloß aus ihren Fingern gesogen hätte und die deutschen Aerzte nicht gehört hätte, nicht unterlassen, die sämmtlichen Aerzte hier zu verlesen, die mitge⸗ wirkt haben — also von Seiten des Reichs der Director und drei ordentliche (ärztliche) Mitglieder des Kaiserlichen Gesundheitsamts; aus Preußen drei vortragende Räthe des Medizinal⸗Ministeriums, sämmtlich Aerzte, ein Referent der Medizinal⸗Abtheilung
des Kriegs⸗Ministeriums, und zwar ein General⸗Arzt; aus Bayern ein Ober⸗Medizinal⸗Rath im Ministerium des Innern; aus Sachsen der Präsident des sächsischen Landes⸗Medizinal⸗Collegiums und ein Geheimer Medizinal⸗Rath und Referent im Ministerium des Innern; “ 8 aus Württemberg der Medizinal⸗Director; Baden 8 ein Geheimer Rath und technischer Referent für Medizinal⸗ Angelegenheiten im Ministerium des Innern; aaus Hessen ein Geheimer Ober⸗Medizinal⸗Rath; aus Elsaß⸗Lothringen 1““ 11u“ ein Geheimer Medizinal⸗Rath und Referent im Ministerium von Elsaß⸗Lothringen; Von den Universitäten aus Berlin: der Professor Dr. Gerhardt, der Professor Dr. Koch, der Geheime Rath Dr. Lewin, der Professor Dr. Schweninger, b
aus Kiel: der Professor Dr. Bockendahl, aus Göttingen: der Professor Dr. Wolffhügel, aus Halle: der Professor Dr. Renk, — aus München: der Professor Dr. von Pettenkofer,
aaus Gießen: der Professor Dr. Gaffky. .
Ferner von Seiten der ärztlichen Vereine: der Geheime Sanitäts⸗ Rath Dr. Graf, dessen Abwesenheit der Herr Vorredner beklagt hat, und der Geheime Sanitäts⸗Rath Dr. Lent aus Köln.
Ja, meine Herren, ich wüßte nicht, wie man den Vorwurf be⸗ gründen will, daß die Reichsverwaltung es unterlassen habe, sach⸗ verständige Kreise zur Vorbereitung für diesen Entwurf zuzuziehen. Ich glaube, ein ausreichenderes Maß der Heranziehung von Aerzten wird man schwerlich ermöglichen können.
Nun hat der Herr Vorredner gewünscht, daß die Gutachten, die diese Herren abgegeben haben, dem Reichstage zugänglich gemacht werden möchten. Ich bedauere, diesen Wunsch nicht erfüllen zu können, denn solche Gutachten existiren nicht in schriftlicher Form. Die Berathungen sind mündlich gepflogen worden, die Herren haben ihr Votum mündlich abgegeben, darüber ist ja wohl Protokoll auf⸗ genommen worden, aber besonders motivirte schriftliche Gutachten sind nicht ergangen.
Wenn der Herr Vorredner nun endlich auch auf die Nothwendig⸗ keit einer sogenannten Medizinalreform zurückgekommen ist, so kann man ja den Wunsch gewiß berechtigt finden, obwohl er, wie die Stimmungen in Deutschland sind, glaube ich, auch innerhalb der ärztlichen Kreise einen ganz außerordentlichen Widerstand an gewissen Stellen des Vaterlandes finden würde. Ich glaube z. B.; kaum, daß in Süddeutschland sehr viel Sympathie dafür sich finden wird, und daß die süddeutschen Aerzte die Abhängigkeit des ärztlichen Beamtenstandes von der Reichsverwaltung gerne sehen würden. Ich glaube, die Herren bleiben viel lieber unter sich, und ihnen ist viel mehr damit geholfen, wenn innerhalb der engeren Vaterländer für ihre Stellung so gesorgt wird, wie dies den Interessen des ärztlichen Dienstes entspricht.
Also, meine Herren, das Bessere ist des Guten Feind. Llassen Sie, ich bitte, den Gedanken einer Reichs⸗Medizinalreform fallen, er würde uns behindern in den Fortschritten, die wir auf dem Gebiete des Seuchengesetzes ganz nothwendigerweise machen müssen, wenn wir es nicht vielleicht schon im Laufe dieses Jahres beklagen sollen, daß wir kein Reichs⸗Seuchengesetz haben.
Abg. Graf zu Stolberg (dcons.): Wir sind beinahe sicher, daß die Cholera in diesem Jahre wiederkommt, daher habe ich den Wunsch, daß das Gesetz sobald als möglich zu stande kommt; deshalb muß es möglichst wenig belastet werden. Für die anderen Krankheiten besteht nur ein theoretisches Bedürfniß, für die Cholera aber ein praktisches. Deshalb sollte man sich darauf beschränken. Ein dringendes Bedürfniß ist die Regelung der Frage der Kirchhöfe, namentlich auf dem platten Lande, wo es viele Gemeinden giebt, die keinen eigenen Kirchhof haben. Da der Transport von Leichen von einer Gemeinde zur anderen in der Seuchenzeit verboten ist, so müssen besondere Bestimmungen über die Kirchhöfe getroffen werden.
Abg. Fritzen⸗Düsseldorf (Centr.) hält eine reichsgesetzliche Regelung der Kirchhofsfrage nicht für möglich; die Landesgesetzgebung kann, wenn sie will, in nih e Frist hier das Nöthige ordnen. Die Schaffung eines Reichs⸗Medizinalwesens würde ein unberechtigter Eingriff in die Befugnisse der Einzelstaaten sein und dem Bundes⸗ rath eine Blancovollmacht geben. Das Gesetz auch noch auf andere Krank⸗ heiten auszudehnen, würde zu weit gehen; dann sollte man lieber die Krankheiten direct in das Gesetz hineinschreiben. Die Bevorrechtung der beamteten Aerzte geht wohl auch zu weit. Der beamtete Arzt kennt die Kranken nicht persönlich, aber wenn er den Verdacht einer ansteckenden Krankheit hat, sollen sofort die zahlreichen Schutzmaßregeln in Kraft treten; es soll der Kranke sogar in das Krankenhaus gebracht werden. Das sollte nur mit Genehmigung des Kranken oder seiner Familie möglich sein. Redner schließt sich dem Antrag auf Com⸗ missionsberathung an. 1
Abg. Dr. Virchow (dfr.): Ich kann mich denjenigen an⸗ schließen, welche das Gesetz auf die dringendsten epidemischen Krank⸗ heiten beschränken wollen. Ich erkenne an, daß es wünschenswerth wäre, eine Reihe von ansteckenden Krankheiten, die fortwährend in der Bevölkerung grassiren, gleichfalls in den Rahmen einzubeziehen; aber man würde dadurch vielleicht das Zustandekommen des Gesetzes ernsthaft gefährden, da die Regierung unzweifelhaft nicht darauf eingehen wird. Andererseits muß ich auch anerkennen, daß es außer⸗ ordentlich schwer ist, für die Gesammtheit der Krankheiten eine genügend sichergestellte Praxis heranzuziehen. Das liegt an der Versäumniß der Gesetzgebung in den Einzelstaaten. Es fehlt in der That an einem genügenden Maß von Erfahrung, wie man sich zu verhalten hat. Ich habe mich als Mitglied der höchsten edizinalinstanz in Preußen vergeblich bemüht, die Gesetzgebung dazu anzuregen. Nun will man endlich vorwärts gehen, und das kann man am schnellsten, wenn man zunächst nur die Fragen behandelt, über die man einig ist, die anderen aber der Localgesetzgebung überläßt. Die Einzel⸗ regierungen werden hoffentlich so viel Rücksicht auf die Bevölkerung
8 8
Schwierigkeit, welche ansteckende Kinderkrankheiten darbieten, namentlich in Bezug auf di
Schule, ist eine sehr große, besonders da zu erwägen ist, bis z
welchem Grade man gehen darf, um nicht zu grausam in die Einzel⸗ verhältnisse einzugreifen. Das erste und wesentlichste, was überall durchgeführt werden sollte, das einzige, was vielleicht in dem Gesetz hätte weiter ausgedehnt werden köͤnnen, Anzeigepflicht für diejenigen Krankheiten, welche man in dem Gesetz augenblicklich nicht berücksichtigen kann. Bei genügend entwickelte
Anzeigepflicht kommen wir bald dahin, genau aufzufinden, welche An⸗ stalten “ sind, um die Ausführung derartiger Schutzmaßregeln herbeizuführen. (.
häuser, welche im stande sind, beim Auftreten größerer Epidemien für die Aufnahme derartiger Kranken Platz zu bieten. möchte ich empfehlen, diese weitergehende Sorge in diesem Augenblick zurückzustellen und sich auf das Das Fleckfieber, welches in diesem Jahre in geringem kommt, kann aber doch im Laufe absehbarer Zeit wieder auftreten und große Ausdehnung gewinnen, wie auch bei den die Maul⸗ und Klauenseuche eine 1 die man niemals gefaßt war. Es könnte sehr viel nützen, wenn die Reichsregierung Erhebungen hierüber
würde. Die gewöhnliche Quelle, aus der wir das Fleck⸗
fieber beziehen, sind die polnischen Provinzen und Galizien.
Es kann unter Umständen dahin kommen, daß auch nach dieser Richtung hin der Schutz der Grenze angerufen werden muß. Was die engere Begrenzung der Materie betrifft, so handelt es sich vor allen Dingen darum, wie weit
lich zu föͤrdern. Die
werden. Wir dürfen Elend im vorigen
Reichsgewalt kein irgend einer Stelle der Menschen handelte. Was für die Thiere zugestanden ist
seit längerer Zeit, besteht für die Menschen nicht. Das ein Mangel. Ein Reichs.Gesundheitsamt, das keine Executive hat, ist ein ganz wirkungsloses Institut. Hier wird wenigstens der Reichs⸗ gewalt ein kleines Maß von Executive eingeräumt, so viel, als im letzten Jahre bei Gelegenheit des Auftretens der Cholera⸗ Epidemie zum ersten Male praktisch ausgeführt worden ist. Vielleicht läßt sich in der Commission etwas mehr in dieser Richtung thun. Ein Gedanke tritt mehr als nothwendig in den Motiven der Regierung hervor, nämlich die Betrachtung über die Verschiedenheit der Auffassung innerhalb der wissenschaftlichen Kreise. Diese Differenzen werden sich nie ganz beseitigen lassen; jede neue Gelegenheit der Erfahrung bildet neue Gesichtspunkte, und dabei treten neue Streitfragen und Differenzen zu Tage. Es ist schon gut, wenn nicht immer wieder veraltete Fragen von Zeit zu Zeit vor⸗ geholt werden. Man legt zu großen Werth darauf, daß man eine ganz einheitliche Körperschaft will, die von demselben Geist wissenschaftlicher Ueberzeugung gebildet ist. Man will gewissermaßen nur Männer einer Schule. Damit kommen wir aber zu einer einseitigen Behandlung der Sache, die nicht reüssiren kann. Man will ein starkes, gleichmäßig geschultes Personal. Will man, daß dasselbe ad verba magistri eingeschworen werden soll, so ist das eine sehr bedenkliche ache. Man sollte diese gleichmäßige Schulung nicht zu hoch anschlagen. In Bezug auf die Begräbnißplätze schließe ich mi
der Auffassung des Agg. Fritzen an. Wir haben in Berlin in durchaus correcter und entsprechender Weise die Regierung darauf aufmerksam gemacht, wie zweckmäßig es sein würde, das heutige Bestattungswesen durch die Feuerbestattung in dem Umfange zu er⸗ setzen, wie die betheiligten Personen es wünschen. Zwangsweise soll man nicht vorgehen, aber was möglich ist unter Zustimmung der Angehörigen, sollte man ausführen. Man würde einfache Appa⸗ rate sehr leicht ausführen können; wenn man sich damit be⸗ schäftigt, wie man auf die zweckmäßigste Weise die gefährliche Hinter⸗ lassenschaft eines Cholerakranken, wie Wäsche, Bettzeug, beseitigen kann, so giebt es kein sichereres Mittel als die Feuerbestattung. Ich habe es deshalb sehr beklagt, daß jetzt die preußische Regierung sich nicht entschließen kann, selbst für diesen Nothfall von der Miß⸗ stimmung gegen die Feuerbestattung abzugehen. Für reines Trink⸗ wasser und reine Nahrung sorgt man, aber nicht für die rationelle Tödtung der Cholerakeime, während doch die Erfahrung gezeigt haf, daß dieselben sich durch die Hitze am sichersten vernichten lassen. Dieses Mittel ist es, welches die Möglichkeit eröffnet, daß es uns einmal gelingen wird, jenen greulichen Verlusten vorzubeugen, die die Cholera in letzter Zeit über Europa gebracht hat. In 82 land sind in kurzer Zeit eine halbe Million Menschen dahingerafft, da ist es doch an der Zeit, energisch einzugreifen. Das Verlassen der Wohnung ist an sich vielleicht ganz nützlich, aber doch oft schwierig 11 g1 Die Desinfection nützt oft mehr. Das Gesetz eröffnet dem Reichskanzler die Möglichkeit, beim Auftreten einer ZEpidemie Commissare zur Bekämpfung derselben in die betreffenden Gegenden zu senden. Wenn aber z. B. die Cholera sich über die Hälfte Deutsch⸗ lands verbreitete, wäre es unmöglich, so viel Commissare zu ent⸗ senden, daß man überall wirksam eingreift. Da giebt es keinen an⸗ deren Schutz, als dafür zu sorgen, daß an den betreffenden Stellen Aerzte stehen, welche nicht bloß äußerlich in ihrer amtlichen Stellung hecg sind, sondern sich auch in einer solchen bürgerlichen Stellung efinden, daß sie energisch eingreifen können. Die Einzelstaaten müssen sich entschließen, für ihre Medizinalbeamten besser zu sorgen und dies nicht der oberen Instanz zu überlassen. Wir können das nicht in das Gesetz hineinschreiben, aber das Gesetz ist eben auch nur als ein Anfang zu betrachten.
Abg. Freiherr von Unruhe⸗Bomst (Rp.) hält es für be⸗ denklich, dem Bundesrath einseitig die Befugniß zu geben, das Gesetz mit allen seinen schweren Nachtheilen nach seinem Belieben auszu⸗ dehnen auf irgend welche anderen Krankheiten, die jetzt nicht genannt sind. Gangbarer wäre schon der Weg, nur die Anzeigepflicht für gewisse Krankheiten einzuführen; aber das wird gesetzlich schwer zu formuliren sein. Es wird die Furcht entstehen, daß bei der Anzeige dieses oder jenes Falles ansteckender Krank⸗ heiten den Gemeinden irgend welcher Nachtheil erwächst, daß Kosten entstehen. Dann werden die Krankheitsfälle verheimlicht. Ueberhaupt wird die Handhabung jedes Seuchengesetzes auf große Schwierigkeiten stoßen, wenn die Gemeinden Kos
nicht verhehlen, wesentlich daher kam, Recht zugestanden
uns Sommer
4 daß der praktisches
war, an
allein die Kosten tragen sollen. Deshalb muß die Anzeigepflicht auch in erster Linie dem Arzt auferlegt werden, weil ein Laie durch Irrthum große Mißstände hervorrufen kann.
Abg. Dr. Rzepnikowski (Pole) hält die Anzeigepflicht für nothwendig. Die Anzeige müßte aber durch die behandelnden Aerzte erstattet werden; im übrigen findet aber die Vorlage seinen vollen Beifall nicht, weil dem Arzt eine zu untergeordnete Stellung gegenüber dem beamteten Arzt angewiesen ist.
Abg. Wurm (Soc.): Wir sind der Meinung, daß überhaupt auf diesem Gebiet etwas geschehen muß, aber das kräftige Ein⸗ greifen, welches in den Motiven als nothwendig hingestellt ist, ist nirgends zu finden; es sind Vorschriften aufgestellt, bei denen aber nicht von einem Muß oder Soll, sondern immer nur von einem Kann die Rede ist. Das Reichs⸗Gesundheitsamt „kann“ z. B. auf Ersuchen der Landesbehörden Rath ertheilen; wird es nicht darum ersucht, so steht das nur auf dem Papier. Die Arbeiter zahlen für die Krankenversicherung 81 Millionen Mark, die Unternehmer nur 33 Miillionen. Bei den Arbeitern sind aber auch noch 39 Millionen Krankentage mit etwa 39 Millionen Mark Verlust an Lohn in Rechnung zu stellen, sodaß die Arbeiter dreimal so viel für die Krankenversicherung zu zahlen haben als das Unternehmerthum. Die Anzeigepflicht der Aerzte billigen wir durch⸗ aus, aber die Anzeigepflicht muß sehr erheblich ausgedehnt werden. Die Vorlage arbeitet aber mit zwei Klassen von Aerzten. Die be⸗ handelnden Aerzte werden als Aerzte zweiter Klasse se müssen von dem beamteten Arzte bevormundet werden, der beamtete Arzt zu Fleice Zeit auch Praxis treiben m Das
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