*
Am Abend war die Stadt glänzend illuminirt, alle öffent⸗ lichen Gebäude und die meisten Prizathäͤuser waren erleuchtet. Die Straßen waren überfüllt und überall herrschte eine Be⸗
geisterung, wie man sie in Rom noch nicht gesehen hatte. In Florenz war die Villa Palmieri auf Befehl der Königin von Großbritannien und Irland zu Ehren der Feier gleichfalls illuminirt.
Gestern Abend 8 Uhr fand im Quirinal ein Diner statt, woran die Majestäten und die Fürstlichkeiten theil⸗ nahmen. Um 10 Uhr war großes Hofconcert. Den ganzen Tag bis in die späten Abendstunden waren die Straßen von einer nach Tausenden zählenden Menge belebt. Der esquili⸗ nische Stadttheil war illuminirt.
Der König hat allen außerordentlichen Abge⸗ . das Großkreuz des Mauritius⸗ und Lazarus⸗Ordens
verliehen.
er und die Prinzessin Ferdinand von Sachsen⸗Coburg trafen am Sonnabend in Neapel ein, bestiegen den Vesuv und setzten gestern die Weiterreise nach
Palermo fort.
Der Papst wird die Pilger aus den Reichslanden am
29. d. M. empfangen.
Der deutsche Reichscommissar Dr. Peters ist gestern in bester Gesundheit in Neapel eingetroffen.
Parlamentarische Nachrichten. Preußischer Landtag.
Weneten.
Der Bericht über die vorgestrige Sitzung befindet sich in der Ersten Beilage. 8
67. Sitzung vom 24. April.
Der Sitzung wohnen der Präsident des Staats⸗Ministe⸗ riums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg und der Finanz⸗Minister Dr. Miquel bei.
Die zweite Berathung des Gesetzes über die Communal⸗ abgaben wird fortgesetzt beim dritten Titel des ersten Theils „Gemeindesteuern“ und zwar beim ersten Abschnitt: „Indirecte Gemeindesteuern“ (§§ 9 bis 15).
§ 9 lautet: Die Gemeinden sind zur Erhebung indirecter Steuern innerhalb der durch die Reichsgesetze gezogenen Grenzen befugt. Den Gemeinden sind Vereinbarungen mit den Be⸗ theiligten gestattet, wonach der Jahresbetrag der zu entrichtenden indirecten Steuern für mehrere Jahre im voraus fest be⸗
stimmt wird.
Ein Antrag des Abg. von Strombeck (Centr.), diese Verein⸗ barungen genehmigungspflichtig zu machen, wird nach Befürwortung desselben durch den Abg. von Buch (cons.) angenommen.
Nach § 10 dürfen Steuern auf den Verbrauch von Fleisch, Getreide, Mehlbackwerk, Kartoffeln und Brennstoffen aller Art nicht neu eingeführt oder in ihren Sätzen erhöht werden. Die Einführung einer Wildpret⸗ und Geflügelsteuer ist jedoch auch in den früher nicht mahl⸗ und schlachtsteuer⸗ pflichtigen Gemeinden zulässig. Wegen Forterhebung der Schlachtsteuer bewendet es bei den Bestimmungen des Gesetzes
vom 25. Mai 1873.
Abg. Freiherr von Erffa (cons.) will den § 10 dahin fassen, daß die bezeichneten indirecten Steuern nur ausnahmsweise neu eingeführt oder in ihren Sätzen erhöht werden dürfen, wenn bereits Zuschlage über den vollen Satz der Staatseinkommensteuer erhoben werden und nach Lage des Haushalts andernfalls eine erhebliche Er⸗ höhung dieser Zuschläge nicht zu vermeiden sein würde. In diesem Falle soll auch in bisher nicht mahl⸗ und schlachtsteuerpflichtigen Ge⸗ meinden die Schlachtsteuer neu eingeführt, in solchen Gemeinden, welche auf dieselbe verzichtet haben, die Schlachtsteuer wieder ein⸗ geführt werden.
Abg. Dr. Meyeredfr.) führt aus, daß kein Antrag den Grundsätzen dieser Se. mehr widerspreche als der vorliegende. Die Regierung habe nicht beabsichtigt gehabt, die Entlastung des Grund und Bodens ohne Bedingung durchzuführen. Die Gemeinden sollten auf die Real⸗ steuern angewiesen werden, aber die Conservativen wollen die Ent⸗ lastung des Grund und Bodens von Staatssteuern hinnehmen und dafür sorgen, daß die Gemeinden durch die Einführung indirecter Steuern die Realsteuern erleichtern können. Das Ge⸗ sammt⸗Ergebniß dieser Operationen würde die Beseitigung der gesammten Realsteuern und ihre Deckung durch indirecte Steuern sein, die die gesammten Consumenten träfen. Darnach läßt sich die Legende nicht mehr aufrechterhalten, daß es sich bei dieser ganzen Gesetzgebung um einen Act der ausgleichenden Gerechtigkeit handelt. Redner will die Zeit des Hauses nicht übermäßig in Anspruch nehmen; er will sich damit begnügen, die Gesichtspunkte kurz festzulegen, von denen seine politischen Freunde sich leiten lassen. Sie sind gegen die indirecten Steuern, sie lassen es zu, daß sie in großen Städten einstweilen noch geschont werden, aber sie wollen sie nicht weiter ausdehnen, weil dadurch die ärmeren Volksklassen geschädigt werden und der Verkehr beschränkt wird, während die Gründung des Reichs die wirthschaftlichen Schranken möglichst habe niederreißen wollen. Die Freisinnigen lassen sich den § 10 gefallen, wie ihn die Commission beschlossen, nicht weil 5 schzn ist, sondern weil sie sich bescheiden mit dem, was erreich⸗ ar ist.
Abg. von Buch (cons.): Der Vorredner hat unsern Antrag nicht gelesen; er ist nicht bestimmt, die Realsteuern zu entlasten, son⸗ dern gerade die Einkommensteuer, wenn diese über den vollen Satz der Staatseinkommensteuer hinaus mit Zuschlägen belastet werden müßte. Wir sind dafür, daß die Gemeinden die indirecten Steuern etwas mehr einführen als bisher, weil diese Steuern bequemer zu erheben sind als die directen Steuern, deren allzu starke Erhöhung das Einkommen drückend belastet. Eine Versteuerung des Consums wird nicht eintreten; Sachverständige haben ausgeführt, daß die Schlachtsteuer nur die feineren Fleischsorten be⸗ lastet habe. Die Städte, welche die Schlachtsteuer haben, denken auch
garnicht an ihre Aufhebung, trotzdem die, Mehrheit der Stadt⸗
verwaltungen freisinnig ist.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel: Die Regierung hat bezüglich der Getränke die indirecte Besteuerung zugelassen und sie nur für die angeführten Lebensmittel und Bedürfnisse ausgeschlossen. Ein Be⸗ dürfniß zu indirecten Steuern wird in Zukunft nicht mehr in dem Maße vorhanden sein wie bisher, weil die directen Steuerquellen der Gemeinden reichlicher fließen werden, und die Gemeinden selbst haben bisher Bedenken getragen, auf solche nothwendigen Lebensmittel Steuer zu legen; Anträge nach dieser Richtung sind an die Ministerialinstanz garnicht herangetreten. Es muß also nicht in den Wünschen und in den Be⸗ dürfnissen der Gemeinden gelegen haben, derartige Steuern ein⸗ zuführen. Deshalb bitte ich, den § 10 nach den Commissions⸗
eschlüssen anzunehmen.
Abg. von Strombeck (Centr.) erklärt sich gegen die indirecten Steuern, weil sie die ärmeren Volksklassen belasteten. Das Centrum würde gern auf diesem Gebiete weiter gegangen sein; man hätte auch Reis, Milch, Petroleum von der Steuer ausnehmen sollen.
Bei Schluß des Blattes nimmt der Abg. Dr. Krause
das Wort.
— Die Militärcommission des Reichs tags trat heute Vormittag 11 Uhr zur Festsetzung des Berichts über die Militär⸗ vorlage zusammen.
— Die Commission des Herrenhauses hat gestern die zweite Lesung des Gesetzentwurfs über das Wahlverfahren beendet. Der Antrag, das Einkommen über 2000 ℳ mit der Hälfte zur Anrechnung zu bringen, wurde mit 7 gegen 8 Stimmen; der Antrag, den § 4, welcher die Drittelung für die einzelnen Wahlbezirke anordnet, zu streichen, mit 9 gegen 6 Stimmen abgelehnt und dagegen die volle Anrechnung auch des Einkommens über 2000 ℳ sowie die Verthei⸗ lung der Wähler auf die einzelnen Wahlklassen nach Dritteln und nicht nach Zwölfteln mit 12 gegen 3 Stimmen angenommen. Die Annahme des ganzen, so veränderten Gesetzentwurfs erfolgte endlich mit 13 gegen 2 Stimmen.
Nach Schluß der Redaction eingegangene Depeschen.
Rom, 24. April. (W. T. B.) Ihre Majestäten der Kaiser Wilhelm und der König Humbert sowie die hier anwesenden italienischen und fremden Fürstlichkeiten verließen heute Vormittags 8 ¼ Uhr zu Pferde, von einem zahlreichen und glänzenden Stabe gefolgt, den Quirinal, um sich zur Truppen⸗ schau nach der Piazza dArmi auf den Prati di Castello zu begeben. Die Fürstlichkeiten nahmen ihren Weg durch das Centrum der Stadt. Auf allen dorthin führenden Straßen stand eine Kopf an Kopf gedrängte Menschenmenge, die un⸗ geachtet des bewölkten Himmels herbeigeströmt war, und be⸗ reitete den Majestäten begeisterte Ovationen, die sich ununter⸗ brochen immer von neuem bis zur Piazza d'Armi fortsetzten. Ihre Majestäten die Kaiserin Auguste Victoria, die Königin Margherita und die Königin⸗Wittwe Maria Pia, ferner die Großfürstin Wladimir, sowie die Prinzessinnen des italienischen Königshauses folgten gegen 8 ½ Uhr in elf Wagen, von der Bevölkerung ebenfalls mit begeisterten Zurufen begrüßt. Die Bevölkerung ist in so großer Zahl, nach den Straßen, welche die Fürstlichkeiten passiren sowie nach der Piazza d'Armi geströmt, daß die übrigen Theile der Stadt ganz verödet erscheinen. b
Bei der Ankunft auf dem Paradefelde nahmen Ihre Majestäten der Kaiser Wilhelm und der König Humbert in der Mitte des Erercirplatzes Aufstellung, ihnen gegen⸗ über die Offiziere außer Dienst, welche sehr zahlreich erschienen waren. Die Infanterie defilirte im Schritt, die Bersaglieri im Laufschritt, die Cavallerie und Feld⸗ Artillerie im Galopp. Das Hauptinteresse erregte die Gebirgs⸗ Artillerie, bei welcher von 1 6 Mauleseln ein zerlegbares Geschütz getragen wurde. Seine Majestät der Kaiser sprach wiederholt Seine hohe Anerkennung über die Haltung der Truppen und den Verlauf der Parade aus. Zum Schluß derselben bildeten die Truppen ein offenes Carré und brachten den Majestäten ihre Huldigungen dar. Auf dem Rückweg von dem Parade⸗ feld wurden den Allerhöchsten Herrschaften aufs neue enthu⸗ siastische Kundgebungen dargebracht. Um 11 Uhr 30 Minuten trafen Ihre Majestäten wieder im Quirinal ein.
(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)
8 Uhr Morgens.
f0 1— lüir.
in 0 Celsius
5 ° C. = 40 R.
Temperatur
u. d. Meeres
red. in
Bar. au
Mullaghmore 766 erdeen 767
Christiansund 768. Kopenhagen. Stockholm.
3 bedeckt
2 heiter
4 Nebel 766 3 halb bed.
m
—+ S — — bdo
7 4 wolkig Karanda. 766 Z wolkig
t Petersburg 757 1 wolkenlos
Moskau.. 759 1 halb bed.
Cork, Queens⸗ bedeckt
toww 766 Cherbourg. 764 wolkenlos wolkenlos
q171616 wolkenlos
E. 1768 mburg. 768 wolkenlos wolkigi)
winemünde 766
Neufahrwasser 764 Regen ²)
Memel 761 bedeckt wolkenlos
763 wolkenlos
ünster. . 767 Karlsruhe. 766 wolkenlos wolkenlos
Wiesbaden 767
München. 766 heiter
Chemnitz 768 heiter)
Berlin... 768 heiter4)
Wien.. 768 wolkenlos
Breslau.. 768 bedeckt wolkenlos
IZle d'Aix. 761 olke N Gewitter
u1“ 763 Triest.. 766 O wolkenlos
¹) Nachts Reif. ²) Nachts Regen. ³) Reif, Du ⁴) Thau. 1
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Uebersicht der Witterung.
Ueber West⸗Europa ist der Luftdruck gleichmäßig
vertheilt und daher die Luftbewegung fast überall schene. Eine Depression, südostwärts fortschreitend, iegt über dem nordwestlichen Rußland. In Central⸗ Europa dauert die ruhige, heitere und trockene Witterung allenthalben fort, nur an der ostpreußischen Küste sind geringe Niederschläge gefallen. In Deutschland liegt die Temperatur meist unter dem Mittelwerthe, auf Borkum und zu Breslau um 4 Grad. Die Nachmittagstemperaturen erhoben sich gestern im deutschen Binnenlande meistens über 20 Grad. Zu Perpignan bis zu 28 Grad. Aus Südfrankreich werden Gewitter gemeldet. Deutsche Seewarte.
ee˙˙˙˙ Theater⸗Anzeigen.
Königliche Schauspiele. Dienstag: Opern⸗ haus. 103. Vorstellung. Unter Räubern. Ko⸗ mische Oper in 1 Act von Anton Rubinstein.
Ober⸗Regisseur Tetzlaff. Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck. — Die Rebe. Ballet in 2 Acten (5 Bildern) nach dem Text von Taglioni, Grand⸗ mougin und Hansen, von Emil Graeb. Musik von Anton Rubinstein. Dirigent: Musikdirector Stein⸗ mann. Anfang 7 Uhr.
Neues Theater (am Schiffbauerdamm 4/5). 110. Vorstellung. Das Buch Hiob. Schauspiel in 1 Aufzug 88 K. Hölty von L. Adler. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. — Meister Andrea. Ser von E. Geibel. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. — Herrn Kaudel'’s Gardinenpredigten. Lustspiel in 1 Auf⸗ zug von G. v. Moser. Anfang 7 Uhr.
Mittwoch: Opernhaus. 104. Vorstellung. Der Ring des Nibelungen. Bühnenfestspiel von Richard Wagner. Vorabend: Das Rheingold. Dirigent: Kapellmeister Sucher. Anfang 7 Uhr.
Neues Theater (am Schiffbauerdamm 4/5.) 111. Vorstellung. Gastrecht. Dramatisches Gedicht in 1 Aufzug von Rudolph Genée. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. — Meister Gert Westfaler. Komödie in 1 Aufzug aus dem Dä⸗ nischen des heee Holberg (geschrieben 1722). Für die deutsche Bühne ö1 von Dr. Julius Hoffory und Dr. 8 Schlenther. In Scene ge⸗ setzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. — Die wachsame Schildwache. Zwischenspiel in 1 Auf⸗ zug nach Cervantes (geschrieben um 1612), bearbeitet von Rudolph Genée. In Scene gesetzt vom Ober⸗ Regisseur Max Grube. — Die ehrlich Bäckin mit ihren drei vermeinten Liebsten. Ein Possen⸗ spiel zur Lehr und Kurzweil gemeiner Christenheit,
rauen und Jungfrauen zum goldenen Spiegel von Jacobus Ayrer. (Zum ersten Male aufgeführt in Leipzig im Jahre 1615.) Anfang 7 Uhr.
Dentsches Theater. Dienstag: Zwei glück⸗ liche Tage. Anfang 7 Uhr. 3
Mittwoch: Der Talisman. Donnerstag: Das Wintermärchen.
Berliner Theater. Dienstag: Dora. An⸗ fang 7 Uhr. .
Rittwoch: Viel Lärm um Nichts. (Nuscha Butze, Ludwig Barnay.)
Donnerstag: Ein Tropfen Gift. (Agnes Sorma.)
Lessing-Theater. Dienstag: Zum 3. Male: Brave Leut’ vom Grund. Wiener Volksstück von Ludwig Anzengruber. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch: Heimath.
Donnerstag: Brave Lent’ vom Grund.
Wallner-Theater. (Letzte Woche.) Dienstag:
Die Orieutreise. Anfang 7 ¼¾ Uhr Mittwoch: Der Probepfeil.
Friedrich⸗Wilhelmstädtisches Theater. 3 Chauss eeshe 25. 8.
H. Meilhac und A. Millaud. Deutsch von Richard Genée. Musik von Hervé. (Denise de Flavigny: Ilka von Palmay) Anfang 7 Uhr. Mittwoch: 3. Gastvorstellung von Ilka von Palmay. Mamselle Nitouche.
Residenz-Theater. Direction: Sigmund Lauten⸗ burg. Dienstag: Zum 1. Male wiederholt: Jugend. Ein Liebesdrama in 3 Acten von Max Halbe. In Scene gesetzt von Hans Meery. Anfang 7 ½ Uhr. Mittwoch: Jugend. “ Donnerstag: Die beiden Champignol.
Kroll’'s Theater. Dienstag: Die lustigen Weiber von Windsor. Anfang 7 Uhr.
Mittwoch: Gastspiel von Gemma Bellincioni und Roberto Stagno. Mala Vita. Melodrama in 3 Acten von Giordano.
Victoria-Theater. Belle⸗Alliancestraße 7/8. Dienstag (letzte Woche): Mit neuer Aus⸗ stattung: Die Reise um die Welt in achtzig Tagen. Großes Ausstattungsstück mit Ballet in 5 Acten (15 Bildern) von A. d'Ennery und Jules Verne. Ballet arrangirt vom Bealletmeister C. Severini. Musik von Debillemont und C. A. Raida. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch und folgende Tage: Die Reise um die Welt in achtzig Tagen.
Theater Unter den Linden. Dienstag: Jubiläums⸗Fest⸗Vorstellung. Zum 100. Male: Lachende Erben. Operette von Horst und Stein. Musik von Carl Weinberger. Unter persönlicher Leitung des Componisten. — Hierauf: Die Welt⸗ Ausstellung in Chicago. Die deutsche Ab⸗ theilung in dem populären Ausstattungs⸗Ballet Columbia. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch u. folgende Tage: Dieselbe Vorstellung.
Adolph Ernst⸗Theater. Dienstag: Zum 24. Male: Goldlotte. Gesangeposse in 3 Acten von Ed. Jacobson und W. Mannstädt. Couplets theil⸗ weise von G. Görß. Musik von G. Steffens. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch und folgende Tage: Goldlotte.
Der Sommer⸗Garten ist geöffnet.
Thomas-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Dienstag: Novitäten⸗Cyelus. Zum 7. Male: Der Herzogsmüller. Volksdrama in 4 Acten von C. Mallachow. Anfang 7 ½ Uhr.
Mittwoch: Dieselbe Vorstellung.
Urania, Anstalt für volksthümliche Naturkunde. Am Landes⸗ g; „Park (Lehrter Bahnhof). r.
Geöffnet von 12—11
Concerte. Concert-Haus, Leipzigerstraße 48. Dienstag,
Ouv. „Rosamunde“ von Schubert. „Semiramis“ von Rossini. „Le Chalet“ von Adam. Phantasie aus „Der Maskenball“ von Verdi. „Künstlerleben“, Walzer von Strauß. Intermezzo aus „Naila“ von Delibes. „Berceuse“ für die Violine von Renard (Herr Carnier). „Verlorene Klänge“ für Piston von Sullivan (Herr Steffens).
Die ausstehenden Abonnement⸗Billets behalten bis zum 14. Mai cr. Gültigkeit.
Circus Nenz (Carlstraße.) Abschieds⸗Vor⸗ stellung am 2. Mai. Dienstag, Abends 7 ¼ Uhr: Zum letzten Male: [☛☛ Ein Künstlerfest. 8 Große Ausstattungs⸗Pantomime vom Hofballet⸗ meister A. Siems. Mit überraschenden Licht⸗ und Wassereffecten und auf das Glänzendste inscenirt vom Director Franz Renz. Costume, Requisiten, Wagen vollständig neu. Unter Mitwirkung des ge⸗ sammten Personals. Neue Einlagen mit groß⸗ artigen Lichteffecten. ⁸☚☛☚ Kinder⸗Orchester neu besetzt, neue Musik. .ꝗ Ballet von 100 Damen. Großartiger, in solcher Pracht noch niemals Flchener Blumencorso. Zum Schluß: Großes Brillant⸗ Feuerwerk. — Außerdem: Mr. James Fillis mit dem Schulpferde „Germinal“. — 4 arab. Schimmel⸗ hengste, in Freiheit vorgeführt vom Director Franz Renz. — Grande Quadrille de la haute équitation, geritten von 6 Damen u. 6 Herren. — Das Spring⸗ pferd „Blitz“, geritten von Frau Renz⸗Stark ꝛc. Mittwoch, Abends 7 ¼ Uhr: Gala⸗Vorstellung zum Benefiz des Schulreiters Mr. Gaberel.
8
Familien⸗Nachrichten.
Verlobt: Verw. Fr. Amelie von Regenauer, geb Weber, mit Hrn. Prem.⸗Lieut. Ernst von Nostitz⸗
(Karlsruhe).
Verehelicht: Hr. Pastor Lindner mit Frl. Char⸗ lotte Schauffert (Heidewilxven). — dr Regierungs⸗ Rath Georg von Guenther mit Frl. Luise vo Delhaes (Borowko bei Czempin in Posen).
Geboren: Ein Sohn: Hrn. Prediger Chambeau Königsberg i. Pr.). — Hrn. Rgtsrengs⸗Aihfsor Moriz von Wedel⸗Parlow (Köslin). — 6. ne Tochter: Hrn. Professor Sombart (Breslau).
Gestorben: Fr. Ober⸗Consistorial⸗Rath Hermine Weiß, geb. von Woyna (Berlin). — Hr. Oberst⸗ Lieut. a. D. Hugo von Rappard (Haus Sögeln bei Bramsche). — Hr. Oberst a. D. Leopol Meißner (Dresden). — Hr. Propst em. Carl Thielmann (Arnstadt, Thür.).
Redacteur: J. V.: Siemenroth. Berlin: Verlag der Expedition (Scholz). Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 3
Sieben Beilagen
Dienstag: 2. Gastvorste vn. der Frau von Palmagy. Zum 2. ale: Mamselle
Text von Ernst Wichert.
In Scene gesetzt vom
Nitouche. Vaudeville mit Gesang in 3 Acten von
Anfang 7 Uhr: Karl Meyder⸗Concert.
(einschließlich Börsen⸗Beilage).
Deutscher Reichstag. 81. Sitzung vom Sonnabend, 22. April, 1 Uhr.
esdie erste Berathung des Seuchenges etzes wird fort⸗ gesetzt.
Ueber die Rede des Abg. Dr. Langerhans (dfr.), der zunächst das Wort hatte, ist bereits in der Nummer vom Hoder abend berichtet worden. Darauf nimmt das Wort der
Staatssecretär Dr. von Boetticher:
Ich bin dem Herrn Vorredner sehr dankbar für die wohlwollende und sachverständige Beurtheilung, die er unserm Entwurf hat an⸗ gedeihen lassen; ich habe diese Beurtheilung umsomehr zu begrüßen, als sie ja im wesentlichen mit dem Urtheil zusammenfällt, das ein anderer Sachverständiger aus seiner Fraction, Herr Dr. Virchow, uns gestern vorgetragen hat.
Der Herr Vorredner hat nun gleichwohl einzelne Aus⸗ stellungen gegen den Entwurf erhoben; ich halte mich jedoch in diesem Augenblick für entbunden, diese Ausstellungen im einzelnen einer Betrachtung zu unterziehen. Sie werden in der Hauptsache bei der Specialberathung in der Commission ihre Erledigung finden, und unzweifelhaft wird dann auch der Herr Vorredner von einzelnen For⸗ derungen gegenüber dem Entwurf zurückkommen. Um nur ein Bei⸗ spiel herauszugreifen, welches mich zu dieser Hoffnung berechtigt, be⸗ merke ich Folgendes: Wenn er es monirt hat, daß rücksichtlich des Ressorts der Eisenbahnverwaltung die Durchführung der Schutz⸗ maßregeln, die der Entwurf in Aussicht nimmt, dieser Verwaltung selbst überlassen bleiben soll, so ist ihm wahrscheinlich der Grund ent⸗ gangen, aus welchem eine solche Exemtion der Angehörigen der Eisenbahnverwaltung in dem Entwurf vorgesehen ist. Der Grund beruht auf gewissen Erfahrungen, die wir während der vorjährigen Cholera⸗Epidemie gemacht haben und die dahin gingen, daß an irgend einem Orte, wo ein Zug hielt, die Polizei kam und den Schaffner oder den Zugführer vom Zuge entfernen, beziehungs⸗ weise einer sanitätspolizeilichen Controle unterwerfen wollte, weil der Mann aus Hamburg kam. Eine solche Forderung ist unhaltbar; sie kann im Interesse des öffentlichen Verkehrs nicht zugelassen werden, und es ist deshalb die Verantwortung für die Durchführung der Schutzmaßregeln, die das Gesetz für den Eisenbahnverkehr in Aus⸗ sicht nimmt, dem betreffenden Ressort ausschließlich überlassen und der Eingriff der ordentlichen Polizeibehörde, der gegenüber Angehörigen dieses Ressorts etwa unternommen werden sollte, für unzulässig erklärt.
Der Herr Vorredner hat es weiter monirt, daß die Competenzen des Gesundheitsraths nicht ausreichend abgegrenzt seien, und hat gemeint, daß in dieser Beziehung die Specialberathung zu einer ausgiebigeren Gestaltung des Wirkungskreises des Gesundheitsraths führen müsse. Ich bin sehr gern bereit, dazu mitzuwirken, daß alle Zweifel, die sich etwa rücksichtlich der Competenz und der Stellung des Gesundheits⸗ raths ergeben möchten, durch eine präcisere und erschöpfendere Fassung des betreffenden Paragraphen erledigt werden. Allein auch hier möchte ich vorbereitend für die künftige Specialberathung erwähnen, daß auch dieser Gesundheitsrath eine Einrichtung ist, welche sich an die Erfahrungen des vergangenen Jahres während der Cholera⸗Epidemie anlehnt. Auch damals haben wir es für nützlich erachtet, als uns die Epidemie plötzlich über den Hals kam, ein Collegium von Sachverständigen, die wir als hervorragende Fachgelehrte ansehen durften, dem Gesundheitsamt bei⸗ zugesellen, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, daß in jedem Augenblick eine technische oder wissenschaftliche Frage, die bezüglich der Bekämpfung der Seuche von einer Behörde zu erledigen wäre, auch ihre möglichst erschöpfende sachverständige Beurtheilung finden konnte.
Also, meine Herren, ich bin nicht abgeneigt, alle diejenigen Ein⸗ wendungen gegen den Entwurf, welche sich als berechtigt herausstellen, demnächst bei der Specialberathung zu beseitigen bezw. zu ihrer Be⸗ seitigung mitzuwirken.
Weshalb ich mir jetzt noch einmal das Wort zu nehmen gestatte,
ist hauptsächlich die auch von dem Herrn Vorredner gestreifte und
gestern in den Reden verschiedener Herren Abgeordneten mehr oder
weniger lebhaft betonte Stellung, welche angeblich durch den Entwurf
den Aerzten zugewiesen wird. Meine Herren, ich stelle kühnlich und weislich die Behauptung auf, daß durch diesen Entwurf in Bezug auf die äußere Stellung der Aerzte und in Bezug auf ihre Wirksamkeit nicht das mindeste geändert wird gegen den bisherigen Zustand, und ich habe in all den Preßerzeugnissen und in all den Berathungen, die über diesen Punkt gepflogen worden sind, auch kein einziges handliches Moment zu entdecken vermocht, welches dafür ins Gefecht geführt werden könnte, daß die Stellung der Aerzte, wie gestern von einem der Herren Abgeordneten hier ausgesprochen worden ist, durch den Ent⸗ wurf zu einer unwürdigen herabgedrückt werde.
Meine Herren, ich selber habe zu meiner Ehre unter hervor⸗ ragenden Aerzten sehr viele Freunde, und ich würde es nicht übers Herz bringen, dazu mitzuwirken, daß ein Stand wie der ärztliche durch unsere Gesetzgebung herabgewürdigt oder auch nur in eine schlechtere Condition gesetzt wird, als diejenige ist, in der er sich zur Zeit befindet. Ich weiß sehr wohl, daß man schon bei der Verhandlung über unsere socialpolitische Gesetzgebung und namentlich bei Gelegenheit der Berathung des Krankenversicherungsgesetzes Befürchtungen ausgesprochen hat, als ob durch diese Gesetzgebung die Stellung der Aerzte eine schlechtere werden würde als bisher. So wenig auch diese Klagen bis⸗ her vollständig verstummt sind, so sehr bin ich in der Lage, den Beweis zu führen, daß diese Klagen der Begründung entbehren. Meine Herren, es liegt in der Natur der Sache, daß, wenn ein Gesetz zwangsweise die ärztliche Behandlung großer Kreise der Bevölkerung, die sich heute nach vielen Millionen beziffern, vorschreibt, und wenn es den behandelnden Aerzten für diese ärztliche Behandlung ein be⸗ stimmtes Entgelt sichert, dies eine wesentliche Verbesserung ist gegen⸗ über dem Zustand, der vor der Krankenkassen⸗Gesetzgebung bestand wonach die Zuziehung eines Arztes zur Behandlung eines Kranken lediglich in den freien Willen des betreffenden Patienten oder seiner
Erste Beilage
1
Berlin, Montag, den 24. April
eiger und Königlich Preußischen Staats⸗/
mnsxEüvnram
Familienmitglieder gestellt war. Ich behaupte, daß heute eine große Anzahl von Familien und eine große Anzahl von Patienten den Aerzten und zwar gegen Bezahlung zugänglich gemacht ist, während früher die betreffenden Kreise der Einwirkung des ärztlichen Berufes durchaus entzogen waren. Schon hieraus folgt, daß unsere socialpolitische Gesetzgebung nicht dazu beigetragen haben kann, die äußere Stellung der Aerzte zu verschlechtern.
Wenn nun, und zwar mit Recht, in den großen Städten darüber geklagt wird, daß es den jungen Aerzten so außerordentlich schwer werde, einen lohnenden Erwerb zu finden, so liegt dies, meine Herren, ausschließlich daran, daß der Zudrang der Aerzte zu den großen Städten ein enormer ist, und daß wir andererseits auf dem platten Lande der ärztlichen Hilfe noch in einem sehr unerwünschten Grade entbehren. Es liegt hier vor mir eine Statistik über die Verbreitung der Aerzte im Lande, und da gestatten Sie mir nur, Ihnen einige wenige Zahlen zu geben, und zwar nicht einmal die extremen Zahlen, die in dieser Beziehung noch weit charakteristischer sprechen als die Zahlen, die ich Ihnen in diesem Augenblick zu geben in der Lage bin.
Auf je einen Arzt im ganzen Deutschen Reich entfallen durch⸗ schnittlich 3300 Einwohner, dagegen in den ländlichen Ortschaften, wozu ich für diesen Fall die Ortschaften rechnen will, welche eine Einwohnerzahl von weniger als 5000 haben, 5⸗ bis 6000 Einwohner; in den mittleren Gemeinden von 5⸗ bis 20 000 Einwohnern, 2⸗ bis 2200 Einwohner, und in den größeren Gemeinden, die eine Einwohner⸗ zahl von über 20 000 Einwohnern haben, nur 1500 bis 1700 Ein⸗ wohner.
Sie können, meine Herren, aus diesen Zahlen entnehmen, wie außerordentlich ungünstig das Verhältniß der jungen Aerzte sich in den größeren Städten gestalten muß, wie außerordentlich schwer es ihnen werden muß, in den größeren Städten eine Praxis zu gewinnen, und zwar umsomehr, als sie hier in der Hauptsache in Concurrenz treten mit älteren, bewährten und vom Publikum geschätzten Collegen. Ich habe schon vorhin gesagt, daß die Extreme noch viel weiter auseinander liegen. In den mit Aerzten am reichsten gesegneten Großstädten München, Frank⸗
furt a. M. und Leipzig, entfallen auf jeden Arzt weniger als 1100
Einwohner. Daß 1100 Einwohner einen Arzt nicht nähren können, das, meine Herren, bedarf wohl eines weiteren Beweises nicht.
Also, wenn die Aerzte augenblicklich klagen, so liegt das in anderen Umständen, wie in denen unserer Gesetzgebung. Im Gegen⸗ theil, unsere Gesetzgebung, indem sie die Kassenverbände verpflichtete, ihren Angehörigen ärztliche Behandlung zu sichern, eröffnet damit einer großen Anzahl von Aerzten ein Feld der Thätigkeit und ein Feld des lohnenden Erwerbes, das ihnen früher nicht offen stand.“
Nun, meine Herren, komme ich auf die Punkte, welche nach den Aeußerungen, die gestern hier in diesem Saale gefallen sind, dafür streiten sollen, daß der Arzt nach dem Entwurf des Reichs⸗Seuchen⸗ gesetzes in eine unwürdige Stellung kommen soll.
Da ist zuerst die Behauptung aufgestellt worden, daß der Arzt sich zurückgesetzt fühlen müsse, wenn der Staat seine Mitwirkung bei der Bekämpfung der Seuchen nicht unmittelbar in Anspruch nimmt. Ja, wir haben sogar gestern von dem Herrn Redner der social⸗ demokratischen Partei gehört, daß die Forderung aufgestellt werden müsse, es sollten sämmtliche Aerzte zu beamteten Aerzten bestellt werden, und es sollte also die Mitwirkung sämmtlicher Aerzte in autoritativer Form zur Bekämpfung der Seuche in Anspruch ge⸗ nommen werden. Meine Herren, ob das den Aerzten gefallen wird, ist mir sehr fraglich; ich glaube, sie werden, wenn ihnen diese Aus⸗ sicht eröffnet wird, sich nicht sehnen nach dem Glück, das der social⸗ demokratische Staat ihnen bietet. Denn, meine Herren, naturgemäß würde die Folge ja die sein müssen, daß der Arzt in seiner Freizügigkeit gehemmt wird: er würde sich nicht den
Ort seines Wirkens aufsuchen können, sondern er würde sich vom*
Staat dahin schicken lassen müssen, wohin es den Leitern des Staats beliebt.
Wenn ich nun wieder auf den Entwurf komme und wenn man mir sagt, es sei ein Fehler des Entwurfs, daß derselbe nicht die Hilfe eines jeden Arztes zur Bekämpfung der Seuchen in Anspruch nimmt, so ist dieser Einwand meiner Ansicht nach unbegründet. Denn, meine Herren, gerade in Zeiten epidemischer Seuchen hat der Arzt vor allen Dingen, und insbesondere gerade der Arzt, der sich der Privatpraxis hingiebt, mit der Behandlung seiner Kranken genug zu thun, und er empfindet es doppelt lästig, wenn der Staat ihn in der ungehinderten Ausübung der Praxis dadurch beschränkt, daß er ihm noch über das Maß des absolut Gebotenen hinaus gewisse amtliche Functionen auf⸗ erlegt. Außerdem aber — und ich freue mich, daß ich für diese Auf⸗ fassung eine Unterstützung in den Ausführungen des Herrn Vorredners gefunden habe — ist es eine sehr weise Theilung, daß man die Für⸗ sorge für den einzelnen Erkrankten dem behandelnden Arzt, die Fürsorge für das Gemeinwohl, das heißt: die Vorbereitung aller derjenigen Maß⸗ regeln, welche nothwendig sind, um den einzelnen Fall zu beschränken, um seine schädliche Wirkung auf die Allgemeinheit der Bewohner auszuschließen, dem beamteten Arzt überläßt. Ich fürchte auch nicht, daß — wie gestern hier behauptet worden ist — Streitigkeiten zwischen dem beamteten und dem behandelnden Arzt sich ereignen können — davon kann, wenn ich mir vergegenwärtige, wie die Dinge sich praktisch gestalten werden, nicht die Rede sein. Der behan⸗ delnde Arzt behandelt seine Kranken, der beamtete Arzt sieht sich den Kranken an, stellt seine Diagnose, meldet es der Behörde und überläßt es ihr, nach Maßgabe seiner Vorschläge diejenigen Maß⸗ regeln zu treffen, die zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Seuche erforderlich sind. Mit der Behandlung — und mir scheint, dieses Mißverständniß hat bisher noch immer obgewaltet — hat der beamtete Arzt absolut garnichts zu thun.
Ein zweites Motiv, welches für die angebliche Verschlechterung der Stellung der Aerzte ins Gefecht geführt wird, ist das, daß nach dem Entwurf der beamtete Arzt allein die Feststellung der Seuche vorzunehmen habe. Man sagt, daß dies dem behandelnden Arzt hätte überlassen werden sollen. Ja, meine Herren, der Entwurf geht gar⸗
nicht so weit, daß er in jedem Erkrankungsfalle das Einschreiten des beamteten Arztes vorsieht: für den beainteten Arzt, für die öffentliche Behörde kommt es vor allem darauf an, festzustellen, ob die Seuche die man befürchtet hat, wirklich ausgebrochen ist. Es handelt sich also in der Mehrzahl der Fälle nur darum, daß die erste Erkrankung festgestellt wird, und zwar durch ein dem Staat ver⸗ antwortliches Organ. Auch da ist die Möglichkeit irgend eines Conflicts zwischen dem beamteten Arzt und dem behandelnden Arzt nicht möglich. Entweder hat der behandelnde Arzt die Krankheit be⸗ reits erkannt als eine Seuche, die unter das Reichs⸗Seuchengesetz fällt, und hat hierüber seine Meldung gemacht — dann ist es Sache des beamteten Arztes lediglich, davon sich zu überzeugen, daß diese Diagnose richtig ist — oder der behandelnde Arzt hat die Krankheit nicht erkannt, hat nicht festgestellt, daß eine Seuche vorliegt, die unter das Seuchengesetz fällt — dann macht er überhaupt keine An⸗ zeige, und wenn die Anzeige von einer anderen Seite gemacht wird, so wird sich erst aus der daran sich knüpfenden Untersuchung ergeben, ob die betreffende Krankheit als eine ansteckende Krankheit im Sinne des Reichs⸗Seuchengesetzes zu betrachten ist, wenn auch der behandelnde Arzt sie nicht dafür gehalten hat.
Also, meine Herren, ich glaube, gestützt auf die Erfahrungen, die wir auf diesem Gebiet auch in den einzelnen Bundesstaaten gemacht haben, daß eine Collision zwischen dem beamteten und dem behan⸗ delnden Arzt nicht vorkommen wird. Ich bitte, es ruhig bei dem Entwurf zu belassen, und bitte namentlich davon abzusehen, die be⸗ handelnden Aerzte noch weiter mit einer amtlichen Thätigkeit zu be⸗ fassen, die sie, wie gesagt, in Seuchezeiten ganz besonders schwer empfinden würden.
Ueber die Möglichkeit einer Medizinalreform hat sich bereits der .„Herr Vorredner dahin ausgesprochen, daß ihm das Reich nicht der zur Durchführung einer Medizinalreform berufene Factor zu sein scheint. Ich kann in dieser Beziehung nur auf das verweisen, was ich bereits gestern ausgesprochen habe. Wenn unsere Medizinalgesetzgebung die Thätigkeit der Beamtenärzte i einem Maße in Anspruch nimmt und nehmen muß, welches durch di gegenwärtige Stellung und namentlich durch die gegenwärtige Dotirun der beamteten Aerzte nicht in vollem Umfange ein Aequivalent findet so wird es Sache der Einzelregierungen sein, innerhalb ihrer Gebiete eine Organisation durchzuführen, welche diese Ungleichheit beseitigt, es ist aber nicht Sache des Reichs, und es ergiebt sich insbesonder nicht mit Nothwendigkeit aus Artikel 4 der Reichsverfassung, daß das Reich dazu berufen wäre, Mißständen, die auf diesem Gebiet bestehen Abhilfe zu verschaffen. Unsere Aufgabe ist es hier, diejenigen Ein⸗ richtungen zu treffen, welche sachlich zur Abwehr gefährlicher Seuchen dienen, nicht aber, organisatorische Einrichtungen zu schaffen, die viel besser und viel sachkundiger innerhalb der einzelnen Länder getroffen
werden können.
Ich kann mich auf diese Bemerkungen jetzt beschränken und nur wiederholt dem Wunsch Ausdruck geben, daß es uns gelingen möge, recht bald das Gesetz zur Verabschiedung zu bringen.
Abg. Dr. Höffel (Rp.): Die Nothwendigkeit der Vorlage unterliegt keinem Zweifel, und es wäre auch nicht richtig gewesen, die⸗ selbe lediglich auf die Cholera zu beschränken. Dann würde der Vorwurf der Gelegenheits⸗Gesetzgebung gerade berechtigt gewesen sein. In dem Maße, wie der Weltverkehr ein lebhafterer geworden ist, sind die Vorkehrungen, welche die Einzelstaaten gegen Epidemien getroffen haben oder treffen können, ungenügender geworden. Es wird sogar die Zeit nicht mehr fern sein, wo der Abschluß internationaler Vereinbarungen zur Bekämpfung solcher gemein⸗ gefährlichen Krankheiten sich als unabweisbare Nothwendigkeit aufdrängen wird. Im einzelnen wird gegen die Anzeige⸗ pflicht eine Einwendung nicht zu machen sein; sie existirt ja bereits in den meisten Bundesländern und zwar viel ausgedehnter, als hier vorgesehen ist, namentlich in Preußen. Wir finden sie auch in England und anderen außerdeutschen Ländern, ebenso in den Vereinigten Staaten; hier ist überall das Familienhaupt zur Anzeige verpflichtet, während in den romanischen Ländern die Aerzte diese Aufgabe haben. Auch ich bedaure, daß wir nicht durchweg in Deutsch⸗ land die obligatorische Leichenschau haben. Daß die Stellung, welche die Vorlage dem beamteten Arzte zuweist, ein Mißtrauensvotum gegen die behandelnden Aerzte wäre, kann ich nicht zugeben. Die Schutzmaßregeln, Beobachtung und Isolirung der Kranken und Ver⸗ dächtigen werden in der Commission auf ihren Werth und Nutzen genau zu prüfen sein.
Abg. Molkenbuhr (Soc.): Wenn man die Medizinalreform in die Landesgesetzgebung verweist, so wird der Erfolg dieser ganzen Gesetzgebung gleich Null sein. Das Reich muß durchgreifend vorgehen, wenn wirklich Schutz gegen die Verbreitung so gefährlicher Epidemien, wie der Cholera, gewonnen werden soll. Die Zustände, welche in Hamburg aufgedeckt wurden, als dort die Cholera wüthete, weisen doch zwingend auf das Gebiet hin, wo zuerst reformirt werden soll. Nicht bloß in Hamburg sind die Arbeiterwohnungen so beschaffen, sondern auch in anderen großen und mittleren Städten. Dort sieht es überall gleich schlimm mit den Wohnungs⸗ verhältnissen der Arbeiter aus. Selbst eine Stadt, welche eine gute Bauordnung hat und verhältnißmäßig sehr sauber ist, läßt nach dem Zeugniß des Fabrikinspectors Woͤrrishöfer in den Arbeiterquartieren fast alles zu wünschen übrig. Zahlreiche Arbeiterwohnungen entbehren einer Küche; die in den letzten Jahren hergestellten Wohnungen dieser Art sind fast durchweg ohne Küche, ja sie bestehen meistens nur aus einem einzigen Zimmer. Ein Gebäudekompler hat dort 217 Zimmer mit 650 Bewohnern; die Zimmer haben durchschnittlich nur 10 cbm Bodenfläche. Nur die Gesetzgebung kann hier Wandel schaffen, nur die Beseitigung dieses Wohnungselends kann der Verbreitung der Cholera wirksam entgegentreten. In Hamburg hat ja der Senat einen Anlauf genommen und eine neue Bauordnung erlassen; aber diese wird bereits umgangen, und das schlimmste ist, daß dieselben, die als Grundbesitzer in Hamburg das größte Interesse an der Aus⸗ nutzung des Raumes, an der Herauswirthschaftung eines großen Profits, also das geringste Interesse an der Bergeksichttgung der Ansprüche der Arbeiterbevölkerung an die Wohnung haben, zugleich auch die Gesetzgeber sind. So lange die Bürgerschaft nicht aus allge⸗ meinen Wahlen hervorgeht, werden alle Reformen bloß auf dem Papier stehen, werden auch jene Quartiere bleiben, welche als wahre Seuchenherde längst bekannt sind. Die Trinkwasserfrage ist ebenfalls noch nicht gelöst, und auch die Schuld dafür fällt dem Senat mit zur Last. Seit den Zollanschlußbauten und der stärkeren Bebauung der Veddel ist das Trinkwasser, auf welches Hamburg angewiesen ist, erheblich weiter verschlechtert worden. Gleichwohl ist die Er⸗ bauung der neuen Wasserwerke noch in westem Felde. Läßt man
also Hamburg nach wie vo
die volle Freiheit auf diesem Gebiet,