Einkommensteuer gewissermaßen innerhalb der Gemeinde erhoben wird, und vertheilt wird auf diese Objecte, ist vollständig berechtigt. Nun ist dies aber keineswegs ein wahrer Verlust für die Objecte; denn einmal, wie gesagt, ein großer Theil der Ausgaben sind Meliorationen des Grundbesitzes und der Gewerbebetriebe, und andererseits: zu welchem Zweck werden denn diese Steuern in den Gemeinden erhoben? Lediglich zu dem Zweck, um die Personal⸗ steuern in ein richtiges Verhältniß zu den Realsteuern zu bringen, d. h. erstere zu vermindern. Die Verminderung der Personalsteuern kommt innerhalb der Gemeinde auch unmittelbar den Grundbesitzern zu gute. Dann aber vergißt Herr Graf Frankenberg vollständig, daß die Klagen über die Existenz der Grund⸗ und Gebäudesteuer bisher schon sehr wesentlich verschärft wurden durch die Zuschläge, die zu diesen angeblichen Renten in den Communen erhoben wurden. Wenn in Zukunft eine doch im ganzen sehr beschränkte Heranziehung dieser Objecte in den Communen stattfindet, so sind auch bisher schon in dem überwiegenden Theil der Communen neben der Einkommensteuer und neben der staatlichen Besteuerung des Grund und Bodens, Zuschläge auf den Grund und Boden umgelegt. Es ist das nichts Neues. Die Last, die in Zukunft im großen und ganzen innerhalb der Com⸗ munen dem Grund und Boden zufällt, war zum großen Theil bisher auch schon vorhanden und gerade die Zuschläge in den Communen zu der Grund⸗ und Gebäudesteuer haben zu den verschiedenen Anträgen im Abgeordnetenhause und hier im Herrenhause eine besondere Ver⸗ anlassung gegeben. Also diese ganzen Ausführungen des Herrn Grafen von Frankenberg sind nach meiner Auffassung in keiner Weise zu⸗ treffend und können die Grundlagen dieser Reformgesetzgebung nicht erschüttern. Nun sagt der Herr Graf weiter: diese Reform verstoße gegen die Resolutionen des Herrenhauses. Eine der bedeutendsten Resolutionen des Herrenhauses war die, es soll das fundirte Einkommen unterschiedlich besteuert werden vom nicht vererblichen Arbeitseinkommen. Vergeblich habe ich darauf gewartet, in dieser Richtung irgend einen Vorschlag seitens des Herrn Grafen von Frankenberg zu hören. Er hat uns ausdrücklich erklärt: die Erbschaftssteuer will ich nicht, er hat ferner, wenn ich nicht irre, ausdrücklich ausgesprochen, jedenfalls nach der Richtung hin gar keinen Versuch gemacht, diese Frage zu lösen innerhalb der Einkommensteuer — eine dritte Lösung der Frage, die hier vorliegt, eine andere giebt es nicht, meine Herren. Wenn wir nicht in der Ergänzungssteuer die Aufgabe lösen, das fundirte Einkommen unterschiedlich vom nicht⸗ fundirten zu behandeln, so haben wir damit den einzig denkbaren praktischen Weg, dieses Ziel, welches das Herrenhaus gerade gestellt hat, zu erreichen. Wir sind in dieser Beziehung vollständig innerhalb der Resolutionen des Herrenhauses. Das Herrenhaus hat sich ver⸗ wahrt gegen eine weitere progressive Ausbildung der Einkommensteuer oder einer Ergänzungssteuer. Wir haben auch nach dieser Richtung hin genau vorgeschlagen, was das Herrenhaus wünscht; denn es wird niemand behaupten, daß in der Ergänzungssteuer, die bis in die höchsten Vermögen mit vollständig gleichen Sätzen erhoben wird, irgend etwas von einer progressiven Natur steckt. 1 Wenn nun das Herrenhaus weiter gesagt hat, man soll nicht über 4 % hinausgehen, so ist dies ja natürlich nur so zu verstehen, daß diese 4 % in der Einkommensteuer nicht überschritten werden dürfen, denn fonst würde es in directem Widerspruch stehen mit der anderen Forde⸗ rung des Herrenhauses, daß eine unterschiedliche Behandlung des fundirten und nichtfundirten Einkommens eintreten soll. Oder wir hätten einen ganz anderen Weg beschreiten müssen, welchen die freisinnige Partei vorgeschlagen hat: nämlich verzichten auf die Beseitigung der Real⸗ steuern aus dem Staatssteuersystem, folgeweise verzichten auf die Vermögenssteuer und eine stärkere Degression für die unteren Stufen in der Einkommensteuer eintreten zu lassen und dazu die 40 Millionen verwenden. Wenn wir diesen Weg beschritten, so hatten wir keinerlei grundsätzliche Lösung; denn selbst die Degression in den unteren Stufen verstärken, würde gar nicht heißen: eine unterschiedliche Be⸗ steuerung des fundirten und nichtfundirten Einkommens eintreten zu lassen. Wenn einer aus Kapitalbesitz 10 000 ℳ hat, so hat er fundirtes Einkommen, wenn jemand aber 10 000 ℳ als Arzt verdient und wird gleich besteuert, wenn auch an sich niedrig, so löst man die Frage einer unterschiedlichen Behandlung der beiden Einkommensarten natürlich nicht. Darüber ist nie ein Zweifel gewesen in den Vorberathungen hier im Herrenhause bei Gelegenheit der Einkommen⸗ steuer, daß der wesentliche Zweck des ganzen ersten Schritts der gerechteren und gleichmäßigeren Veranlagung der Einkommensteuer sein sollte, zu dem Ziel zu gelangen, die Realsteuern auszuscheiden. Ich erinnere daran, daß gerade das Herrenhaus damals, als noch in der Vorlage nur die Rede war von ganzer oder theilweiser Ueberweisung der Grundsteuer“, seinerseits verlangt hat, es soll neben dieses Wort ge⸗ stellt werden „Verzicht auf die Realsteuern“. Dieser Verzicht auf die Realsteuern ist Voraussetzung der ganzen Reform. Sie können nicht das fundirte und nichtfundirte Einkommen unterscheiden; Sie können nicht die neuen Einkommensquellen der Gemeinden vermehren und diese so stabiler und gleichmäßiger machen; Sie können die Doppel⸗ Besteuerung auf keine andere Weise ausgleichen.
Meine Herren, ich habe, um nicht die Ausführungen des Herrn Grafen von Frankenberg ganz unwidersprochen zu lassen, diese wenigen Ausführungen Ihnen noch vortragen zu müssen geglaubt; für noth⸗ wendig in Betreff der Abstimmung des Herrenhauses halte ich sie
nicht; ich kann mir unmöglich denken, daß bei einer, ich möchte sagen, einen Wendepunkt in unserem ganzen preußischen Staats⸗ und Com⸗ munalsteuerwesen herbeiführenden Reform ein so hochstehendes Haus, wie das Herrenhaus es ist, entschlossen und klar einen weiten Schritt mitgeht und dann plötzlich umbiegen sollte. Das aber ist es, was Herr Graf von Frankenberg von Ihnen verlangt. (Lebhaftes Bravo!)
Damit schloß die Generaldebatte.
In der Specialdebatte knüpfte sich eine längere Erörterung an die §§ 17 ff., betreffend die Rückzahlung der Grund⸗ steuerentschädigungen.
Graf Königsmarck empfiehlt die Annahme seines (gestern be⸗ reits mitgetheilten) Antrags auf Streichung der §§ 17 — 27, der ledig⸗
ich einer Forderung der Gerechtigkeit entspreche.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich kann durchaus nicht bestreiten, daß wir hier vor einer complexen Frage stehen, daß diese Frage sehr verschiedene Seiten hat und verschieden beurtheilt werden kann. Ich habe das auch immer anerkannt. Es waren auch schon bei der Berathung im Staats⸗Ministerium Zweifel darüber, ob es nothwendig wäre, diese Paragraphen aufzunehmen; wir haben uns schließlich aus Gründen, die ich gleich entwickeln werde, entschlossen, sie aufzunehmen, und diese
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Gründe dauern in der gegenwärtigen politischen Lage fort. Es ist zweifellos richtig — ich habe das vielfach anerkannt — daß ein civil⸗ rechtlicher Anspruch des Staats bei der Aufhebung der Grundsteuer auf Rückzahlung der früher geleisteten Entschädigungen nicht construirt werden kann. Ich kenne allerdings auch civilrechtliche Juristen, die ich darüber befragt habe, hervorragende Gelehrte sogar in der Juris⸗ prudenz, die dieses nicht zugaben; sie meinen, auch ohne Gesetz würde man mit einer gewissen condictio diese Zurückforderung geltend machen können. Ich theile diese Ansicht nicht, ich betrachte diese Frage nicht als eine civilrechtliche, als eine privatrechtliche Frage, es ist eine Frage rein staatsrechtlicher Natur, vor allem eine Frage von politischer Bedeutung. Ein derartiger Fall ist bisher noch nicht dagewesen, wir haben keine Präjudicien für den Fall, wir müssen ihn aus der ganzen Geschichte dieser Sache und der gegenwärtigen politischen Situation heraus entscheiden. Meine Herren, ich kann nicht zugeben, daß, wenn diese Paragraphen bestehen bleiben, darin irgend ein Rechtsbruch liegt. Wenn der Staat die Grundsteuer aufgiebt, so ist er vollständig in der Lage und berechtigt, diejenigen Modificationen, die im einzelnen Falle ihm berechtigt scheinen, im Gesetze vorzuschreiben. Eine solche Modification ist, was für den Fall, daß die betreffenden Grundstücke früher steuerfrei waren, vorgesehen war. Von einem Rechtsbruch kann da nicht die Rede sein. Es fragt sich nur, entspricht das der Billigkeit? Es ist das, wie ge⸗ sagt, nicht eine Frage des Civilrechts, auch nicht des streng forma⸗ listischen Staatsrechts, sondern eine Frage der Billigkeit. Was billig ist, darüber können freilich die Ansichten auch sehr verschieden sein. Ich glaube aber doch, daß eine weitverbreitete Anschauung es nicht für billig halten würde, wenn ein und derselbe Grundbesitzer für eine Last entschädigt bleibt und die Entschädigung behält, die der Staat hinter⸗ her freiwillig ihm abnimmt. Ich sage, ich will zwar die Berechti⸗ gung dieser Anschauung nicht als unbedingt unbestreitbar behaupten, aber daß eine solche Anschauung sich sehr weit im Lande verbreiten wird, das scheint mir allerdings unbestreitbar. Es kommt weiter dazu, daß diese Frage wesentlich diejenigen Grundstücke betrifft, welche in Zukunft einer wenigstens nach außen als solcher hervortretenden Com⸗ munalbesteuerung nicht unterworfen werden, wo ja jetzt schon dieser ganzen Reform vorgeworfen wird und mir persönlich daraus die größten Vorwürfe gemacht werden, daß man den Gutsbezirken ohne weiteres, ohne jede Gegenleistung ihrerseits, die Grund⸗ und Gebäude⸗ steuer erlasse. Wenn nun gerade bei diesen Grundstücken die vor⸗ liegende Frage besonders äußerlich hervortritt, so wird zweifellos hieraus ein Agitationsmittel genommen werden, wie es den Gegnern in die Hand zu geben, gegenüber der finanziellen Bedeutung der Sache, nach meiner Meinung nicht rathsam wäre, und namentlich nicht in der gegenwärtigen Situation. (Sehr richtig!) Meine Herren, wir stehen gewiß doch zweifellos in einer kritischen politischen Lage; wir wissen nicht, wie die nächste Zukunft sich entwickeln wird, wir wissen aber, wie ein derartiges dem gewöhnlichen Manne leicht klar zu machendes Agitationsmittel verwendet wird; und ich halte, wie ich vorhin sagte, aus diesem Grunde die Gesichtspunkte, welche die Staatsregierung dazu veranlaßt hat, diesen Paragraphen aufzu⸗ nehmen, in der gegenwärtigen Situation für verstärkt. Nun wolle das hohe Haus aber auch erwägen, daß das Abgeordnetenhaus die Vor⸗ schläge der Regierung mit unserer Zustimmung noch sehr wesentlich herabgemindert hat. Einmal ist zwar die Amortisation gestattet ge⸗ wesen schon in der Regierungsvorlage, der Zwang zu einer Kapital⸗ rückzahlung ist von vornherein in der Regierungsvorlage nicht ent⸗ halten gewesen; es ist aber die Amortisation auf 61 Jahre ausgedehnt worden. Sodann ist der wichtige Satz aufgenommen worden, daß da, wo Vererbungen stattgehabt haben, der gegenwärtige Besitzer nur haftet nach Maßgabe desjenigen Erbtheiles, der gerade auf ihn ge⸗ kommen ist, und nicht haften soll für die Gesammtheit des Gutes, sondern nur für den quoten Theil, der unter mehreren Erben auf
ihn gekommen ist.
Was die kleinen Städte betrifft, so ist es dem Finanz⸗Minister überlassen, sie von der Rückzahlung frei zu lassen, wenn sie nach⸗ weisen, daß sie die damalige Entschädigung verwendet haben für com⸗ munale Zwecke, die keine unmittelbare Rente wiedergewähren, gemein⸗ nützlicher Natur, und ich kann versichern, daß in einer ausgiebigen und sehr loyalen Weise seitens der Staatsregierung von dieser Er⸗ mächtigung wird Gebrauch gemacht werden.
Meine Herren, nun könnte man auf jene Verhältnisse in den neuen Provinzen hinweisen, wo diese Entschädigung erst vor kurzer Zeit gegeben ist, — da wäre man vielleicht berechtigt, diese Entschä⸗ digungsbeträge zurückzufordern, aber nicht in den alten Provinzen. Ich gebe zu, daß die Verhältnisse in den alten Provinzen, wo die Entschädigungen schon vor etwa dreißig Jahren gegeben sind, etwas anders liegen, aber eine verschiedene Behandlung der alten und der neuen Provinzen werden Sie doch unter keinen Umstän⸗ den eintreten lassen können. Da, wo aber erst neuerdings, wie beispielsweise in Holstein, die Entschädigungen gewährt worden sind, wird es doch noch viel weniger als irgend eine Unbilligkeit und Härte von den Betheiligten empfunden werden können, daß sie nun jetzt völlig frei von Grundsteuern werden und die erst vor kurzem für die Uebernahme der Grundsteuer ihnen gewährte Entschädigung in einer so milden Form zurückzahlen. Meine Herren, es kommt aber endlich hinzu, daß die Interessen der Provinzen hier sehr verschiedenartig sind. Wir haben eine Reihe Provinzen, die überhaupt niemals eine solche Entschädigung empfangen haben, wo bereits ohne Entschädigung, sei es schon in der französischen Zeit, wie in der Rheinprovinz, sei es durch die partikulare Gesetzgebung, wie in Hannover und Hessen, ohne jede wesentliche Entschädigung, meistens ganz ohne Entschädigung, die Grundsteuerfreiheiten aufgehoben wurden; andere wieder, wo besondere Verhältnisse vorliegen, beispielsweise in Holstein, die bei der Aus⸗ sonderung der sog. stehenden Gefälle von den eigentlichen grund⸗ steuerartigen Gefällen schon in dieser Aussonderung in vollem Maße bedacht worden sind. Wir kommen also so zu einer gleich⸗ mäßigen Behandlung dieser Frage in der Monarchie doch nicht, und ich bin der Meinung, die volle Gleichartigkeit der Rechtslage stellen wir nur her, wenn wir die frag⸗ lichen Paragraphen so beibehalten, wie sie uns vorliegen. Ich könnte mir sehr wohl denken, daß, wenn eine ganz kapitale Frage und namentlich eine Frage des Rechts im vorliegenden Falle vorläge, das hohe Haus auf die Stimmung im Abgeordnetenhause keine Rück⸗ sicht nimmt; aber ich meine doch, diese Frage hat einmal diesen Charakter nicht und dann ist sie auch nicht von der Bedeutung, um diese ganze Gesetzgebung an dieser Frage zu gefährden. Nun hat
Graf Königsmarck allerdings gesagt, er sei darüber ganz außer Zweifel,
daß das Abgeordnetenhaus dem Herrenhause beitreten würde; ich kann diese Sicherheit, die Herr Graf Königsmarck in dieser Beziehung ausspricht, nicht theilen. Ich habe Stimmen aus dem Abgeordneten⸗ hause jetzt schon zur Genüge gehört, die eine ganz andere Meinung haben. Würde das Herrenhaus daher durch einen abweichenden Be⸗ schluß des Abgeordnetenhauses sich vor die Frage gestellt sehen, ob die ganze Reform scheitern solle oder ob das Herrenhaus in diesem Punkte nachgeben würde, so bin ich überzeugt, die große Mehrheit des Herren⸗ hauses würde doch wohl kaum die ganze Reform von dieser Frage abhängig machen lassen; dann würde aber nach meiner Meinung doch eine Lage, eine Situation für das Herrenhaus geschaffen, die eine besondere Annehmlichkeit nicht in sich trüge.
Ich kann aus allen diesen Gründen nur an das Haus die Bitte richten, sich zu resigniren in diesem Fall von dem Gesichtspunkt aus, daß bei einer so großen Reform fast jeder Einzelne in die Lage kommen wird, bei einem bestimmten Punkt einen unangenehmen Be⸗ schluß mit in den Kauf zu nehmen, um das Ganze sicher zu stellen.
Rittergutsbesitzer von Bethmann⸗Hollweg: Auch das andere Haus habe in seiner Mehrheit das Gefühl gehabt, daß die Frage mindestens zweifelhaft sei, denn es habe für die Rückzahlung erhebliche Erleichterungen gewährt. Den Gemeinden z. B. solle die Rückzahlung erlassen werden, wenn sie die Entschädigung zu gemein⸗ nützigen Zwecken verwendet hätten. Redner hofft, daß dieselbe Be⸗ stimmung auch für die Gutsbezirke Geltung habe. aß gegen den Erlaß der Rückzahlung sich eine politische Agitation geltend machen könnte, sei nicht richtig, denn es würden auch zahlreiche kleine Besitzer davon betroffen. Man sollte sich hüten, diese Personen unzufrieden zu machen, zumal die Sache für den Staat keine finanzielle Bedeutung. haben könnte.
Minister des Königlichen Hauses von Wedel bestreitet, daß die Rückforderung der Grundsteuerentschädigung ein Rechtsbruch sei; sonst würde auch er für den Antrag Königsmarck stimmen, selbst wenn die Steuerreform daran scheitern sollte. Ein Recht auf Grundsteuer⸗ freiheit habe in den meisten Fällen nicht bestanden, die Besitzer hätten sich im factischen Besitz der Steuerfreiheit befunden und aus Billig⸗ keit eine Entschädigung erhalten; deshalb sei es richtig, diese jetzt zurückzufordern.
Rittergutsbesitzer von Klitzing hält die Rückforderung der Ent⸗ schädigungskapitalien für einen Rechtsbruch, der civilrechtlich und staats⸗ rechtlich nicht gerechtfertigt werden könne und viel Unzufriedenheit erregen würde. Die Steuerfreiheit werde nicht wiederhergestellt, sondern die Gemeinden und auch die Kreise könnten Grund⸗ und Gebäudesteuer er⸗ heben, und zwar für Zwecke, die sonst der Staat selbst erfüllt habe. Wenn ein solches Rechtsgeschäft einseitig aufgehoben werden könne, dann verliere man schließlich alles Zutrauen zum preußischen Staat. Schließlich könnte der Staat die Einkommensteuer und die daraus er⸗ füllten Staatsaufgaben den Provinzen überweisen und den Standes⸗ herren die Entschädigungskapitalien wieder abnehmen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Der Herr Vorredner hat wohl kaum zuverlässige Zahlen aus seinem Kreise, vielleicht in Bezug auf die ursprünglich gegebene Ent⸗ schädigung, aber nicht in Bezug auf den Betrag, der nach diesem Gesetz zurückgezahlt werden muß. Er muß von den 500 000 ℳ für den Kleinbesitz doch abziehen alle diejenigen Fälle, wo die Rückzahlung der empfangenen Entschädigung wegfällt, weil das Grundstück von einer Hand in die andere übergegangen ist. Außerdem müssen ab⸗ gezogen werden alle diejenigen Beträge, die durch Erbgang nicht auf die gegenwärtigen Besitzer gekommen sind. Also diese 500 000 ℳ können sich auf sehr kleine Beträge reduciren. Ich entnehme aus den Aeußerungen des Herrn Grafen Frankenberg, daß hier etwas in Vergessenheit gekommen ist. Auf Seite 38 der Motive zu diesem Gesetz wird bezüglich der östlichen Provinzen für die den Gutsbezirken gegebenen Entschädigungen nachgewiesen, daß die Entschädigung, welche auf solche Besitzer fällt, die sie noch selbst empfangen haben, nur 3 800 000 ℳ beträgt, daß durch Verkauf und Uebergang in andere Hände Freiheit von der Verpflichtung zur Zurückzahlung im Betrage von 5 Millionen Mark vorhanden ist und daß die durch Erbschaft an einzelne Besitzer übergegangenen Güter eine Zahlung würden leisten müssen von 5 473 000 ℳ Letztere sind nun aber durch Beschluß des Landtags sehr reducirt, weil nach der Regierungsvorlage der Besitzer für das Gesammtgut haften sollte, während er jetzt nur für denjenigen Erbtheil, der auf ihn gekommen ist, zu haften haben wird. Also die Beträge werden sich recht erheblich reduciren, und beim Kleinbesitz, selbst aber auch beim Großgrundbesitz wird in Frage kommen, daß es oft sehr schwer sein wird, festzustellen, für welche bestimmten Grundstücke die Entschädi⸗ gung geleistet würde. Bei den Städten liegen die Verhältnisse doch anders. Bei den Städten wurde damals ja die Möglichkeit gegeben, entweder die Ent⸗ schädigung in die Stadtkämmerei zu versiren oder aber die Entschädi⸗ gung für die einzelnen, von der Grundsteuer bis dahin befreiten Grund⸗ stücke, die in der städtischen Gemarkung lagen, in Anspruch zu nehmen. Das ist ein ganz besonderes Rechtsverhältniß. In dem ersten Falle, in welchem ja überhaupt nur von der Rückerstattung solcher Ent⸗ schädigung wird die Rede sein können, hat die Gemeinde als solche die Entschädigung bekommen, im Zusammenhang mit der Aufhebung der alten Accise, an deren Stelle die Städte die Grund⸗ steuer übernahmen. Daß das Abgeordnetenhaus in dieser Beziehung also eine besondere Erleichterung gewährt hat, liegt in der geschicht⸗ lichen Lage dieser Frage, und ich glaube versichern zu können, daß man gewiß namentlich den kleinen Städten gegenüber mit einer gewissen Liberalität die Ausführung dieser Ermächtigung handhaben wird.
Herr von Klitzing hat schon in der Commission und heute auch hier den vorliegenden Fall verglichen mit der Ent⸗ schädigung an die standesherrlichen Familien wegen der Auf⸗ hebung ihrer Personalsteuerfreiheit. Ja, stellen Sie sich vor, die Entschädigung würde in diesem Augenblick geleistet und im nächsten Jahre würde durch irgend einen Umstand die Personal⸗ steuer wieder aufgehoben und die betreffenden standesherrlichen Familien würden nun von der Personalsteuer völlig frei, würde da nicht das natürliche Gefühl entstehen: soeben haben wir ihnen eine Entschädigung für die Uebernahme der Personalsteuer gegeben, jetzt werden sie aus anderen Gründen frei, da wird es billig sein, daß sie die Entschädigung zurückzahlen? So liegt die Sache.
Meine Herren, nach dem Antrage des Herrn von Bethmann⸗ Hollweg — und dies zeigt auch, wohin die Sache führt — haben wir sogar in der Provinz Schleswig⸗Holstein noch neue Entschädigungen zu zahlen, die noch nicht regulirt sind, obwohl die betreffenden Grund⸗ eigenthümer doch von der Grundsteuer nun frei sind. Wo ⸗geht das hinaus, wenn wir diesen Grundeigenthümern noch die Entschädigung bezahlen sollen, nachdem die Grundsteuer vollständig beseitigt ist, also gar kein Schaden mehr da ist, wofür die Entschädigung zu bezahlen wäre! Ich glaube, aus diesen Gesichtspunkten heraus und nach den Ausführungen des Herrn Wedel
8 fangaberi
rden Sie mir zugestehen, daß
doch sehr wesentliche Gründe für die Aufrechterhaltung dieser hier frag⸗ lichen Bestimmung sprechen.
Graf Schulenburg⸗Beetzendorf: Jede Reform bringe eine Aenderung des Rechts mit sich, aber von einem Rechtsbruch könne man doch deswegen noch nicht reden. Der Beschluß des Abgeordneten⸗ hauses sei ein Compromiß zwischen zwei großen Parteien, deren Ver⸗ hältniß jetzt nicht mehr das frühere sei. Wenn die Vorlage im Sinne des Antrags Königsmarck geändert würde, dann würden die Nationalliberalen nicht für diese Aenderung eintreten und die Vorlage würde scheitern. Deshalb hoffe er (Redner), daß das Haus die von der Commis ion beschlossenen Aenderungen des Communalabgaben⸗ gesetzes noch beseitigen werde, um dasselbe nicht zu gefährden.
Graf Frankenberg weist darauf hin, daß dem Großherzo von Oldenburg für die Beseitigung der Grundsteuerfreiheit durch Staatsvertrag 900 000 ℳ Entschädigung gewährt seien, die man nicht zurückfordern könne, auch wenn die §§ 17 — 27 angenommen würden. Die Gründe spitzten sich immer darauf zu, daß die Vorlage im an⸗ deren Hause scheitern könnte; das spreche nicht für die Sachlichkeit der Gründe. Er könne sich nicht von der Heilsamkeit der Reform überzeugen und müsse aus Ueberzeugung gegen die Vorlage stimmen.
Graf Inn⸗ und Knyphausen empfiehlt die Annahme der Vorlage, weil sonst die Steuerreform gefährdet sei und er es nicht verantworten könne, eine Reform, die in agrarischer Beziehung so große Vortheile gewähre, zum Scheitern zu bringen.
Wirklicher Geheimer Rath, Landes⸗Director von Levetzow:
Er sei in der schlimmen Lage, für eine Bestimmung stimmen zu müssen, obwohl er sie weder für logisch noch für juristisch richtig halte; nicht einmal billig sei sie. Die Grundsteuer werde nicht auf⸗ gehoben, sie werde sogar vielleicht in verstärktem Maße erhoben werden. Aber er wolle sich von den Steuerzahlern nichts schenken lassen, und die anderen Herren, die in derselben Lage seien, würden ähnlich denken. Freiherr von Solemacher⸗Antweiler weist darauf hin, daß im Westen die Steuerfreiheit ohne jegliche Entschädigung beseitigt sei. Den Personen, welche die Entschädigung zurückzahlen sollen, sei der Patriotismus angeboren; sie würden nicht unzufrieden werden.
ürst Putbus erklärt sich für die Vorlage, trotzdem er selbst sehr schlecht dabei fahren werde.
Graf Königsmarck bestreitet, daß die Landwirthschaft von der Reform besonderen Vortheil habe. Der Erlaß der Gebäude⸗ und der Gewerbesteuer komme den Städten zu gute.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Herr Graf von Königsmarck hat vollständig recht. Wenn be⸗ hauptet wird, die Steuerreform habe einen vorwiegend agrarischen Charakter, so ist das vollständig falsch. Es ist mehrfach an⸗ erkannt und ausgesprochen worden, daß man — wenn man nichts weiter im Auge hat als den Gegensatz der Städte und des Landes und nun fragt: wer bekommt größere Werthe überwiesen auf den Kopf der Bevölkerung? — so wird man sagen müssen: die Städte! Aber, meine Herrrn, diese Frage entscheidet hier garnicht. Darauf kann man erwidern: wer zahlt denn nun das Mehr der Einkommen⸗ steuer zu 40 Millionen vorzugsweise? die Städte! Sie haben eben eine größere Steuerkraft. Wer wird wahrscheinlich verhältniß⸗ mäßig auf den Kopf der Bevölkerung mehr Vermögenssteuer zahlen? wahrscheinlich die Städte, da wir ja für die Vermögens⸗ steuer das Kapital heranzuziehen haben. Wenn sie mehr Kapital und weniger Schulden haben, so sind sie eben verpflichtet, und verbunden (Heiterkeit) mehr, aber nur entsprechend ihrer Leistungs⸗ fähigkeit, zu zahlen. Alle diese Rechnungen können für die Haupt⸗ frage, die wir hier behandeln, überhaupt nicht entscheiden, wir müssen immer festhalten: es handelt sich um eine Gesetzgebung, welche das große Ziel verfolgt, jeden, ob er auf dem Lande wohnt oder in den Städten, nach dem Maßstabe seiner Leistungsfähigkeit zu besteuern.
(Beifall.)
Damit schließt die Discussion; gegen etwa 15 Stimmen werden die §§ 17—27 genehmigt, ebenso ohne Debatte die übrigen Paragraphen und das Gesetz im ganzen.
Schluß 4 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 12 Uhr.
8 (Berathung des Ergänzungssteuergesetzes).
Haus der Abgeordneten.
81. Sitzung vom 27. Juni 1893. Den zweiten Gegenstand der Tagesordnung (Fers den An⸗
ht in der gestrigen Nummer d. Bl.) bildete die Berathung
es Antrags der vänischen Abga⸗ Lassen und Johannsen: die Regierung zu ersuchen, die Anweisung des Ober⸗Präsidenten zu Schleswig vom 18. Dezember 1888, betreffend den Unter⸗ richt in den nordschleswigschen Volksschulen, dahin zu verändern, daß der Religionsunterricht da, wo die Kirchen⸗ sprache die dänische ist, ausschließlich in dieser Sprache ertheilt und daß nebenbei wenigstens zwei Stunden wöchentlich Unter⸗ richt in der dänischen Sprache gegeben werden soll.
Der Antrag wurde von den Polen unterstützt. Zugleich wurde der Bericht der Unterrichtscommission über eine Petition berathen, welche denselben Gegenstand betrifft n de welche die Commission Uebergang zur Tagesordnung
eantragt.
Abg. Lassen begründet seinen Antrag in längerer Ausführung. Der Religionsunterricht bilde die Grundlage des gesammten Volks⸗ schulunterrichts und müsse daher in einer Sprache ertheilt werden, welche die Kinder verständen. Der dänischen Kindern in deutscher F ertheilte Religionsunterricht müsse fruchtlos und eindruckslos
eiben.
Abg. Motty (Pole): Der Antrag des Abg. Lassen entspreche einem UAngst gefühlten Bedürfniß. Die Eltern hätten ein Recht, zu verlangen, daß ihre Kinder in der Muttersprache unterrichtet würden. Es sei vollständig überflüssig, darüber noch ein Wort zu verlieren. Seine Partei werde für den Antrag stimmen.
Abg. Rintelen (Centr.): Der Commissionsbericht ergiebt, daß die große Majorität der Commission gegen den Antrag eingenommen ist, indem sich niemand für denselben Fhs Wort gemeldet hat. Namens meiner Fraction habe ich zu erklären, daß wir an dem Standpunkt stets festgehalten haben und festhalten werden, daß der Religionsunterricht den Kindern in der Muttersprache ertheilt werden muß, wenn er überhaupt eine ersprießliche Wirkung haben soll. Wir verden also für den Antrag stimmen.
Geheimer Regierungs⸗Rath Dr. Köpke: Die Ergebnisse der Revision der nordschleswigschen Schulen stimmen darin überein, daß die Leistungen es Unterrichts in denselben ganz überraschend sind. Der gegenwärtige Zustand ist ein durchaus befriedigender, sodaß man nicht einmal mehr unterscheiden kann, ob im Elternhause der betreffenden Kinder dänisch
er deutsch gesprochen wird. Auch die Regierung hält den Religions⸗ nterricht für den Grundp eeiler des Volksschulunterrichts, aber eine Schädigung desselben ist nicht zu befürchten, wenn in einigen Fällen statt einer dänischen zwei deutsche Religionsstunden gegeben werden. Ich bitte Sie, den Antrag durch Uebergang zur Tagesordnung abzu⸗
lehnen. schließt sich den Ausführungen des
Abg. Letocha (Centr.) Abg. Rintelen an.
Damit schließt die Debatte. Nachdem in einem Schluß wort noch der Abg. Johannsen den Antrag befürwortet und seine Freude darüber ausgesprochen hatte, daß das Centrum für denselben eingetret ird der Antrag Lassen gegen
die Stimmen des Centrums, einiger Freisinnigen, der Dänen und der Polen abgelehnt, der Antrag der Petitionscommission dagegen angenommen.
Darauf wird die Sitzung vertagt. Schluß gegen 3 Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Deutschlands Bevölkerungsverhältnisse nach dem neuesten statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs.
Man kann das soeben erschienene statistische Jahrbuch des
Deutschen Reichs für 1893 das Hauptbuch des deutschen Volkes nennen, weil darin die wichtigsten Thatsachen, welche die Bevölkerung, den Erwerb und die Finanzen ꝛc. des Deutschen Reichs betreffen, all⸗ jährlich mitgetheilt werden und hier Buch und Rechnung über die nationale Entwickelung geführt wird. Die Ergebnisse der letzten deutschen Volkszählung werden darin mit den Zählungen bis 1816 zurück verglichen. Danach ist die Bevölkerung auf dem heutigen Reichsgebiet seit 1816 bis 1. Dezember 1890 von 24 833 000 auf 49 428 470 Einwohner gestiegen. Im Jahre der Begründung des Deutschen Reichs zählte man am 1. Dezember 1871: 41058 804 Ein⸗ wohner, 1875: 42 727 360, 1880: 45 234 061, 1885: 46 855 704 Ein⸗ wohner. Die durchschnittliche jährliche Volkszunahme im Deutschen Reich betrug 1871/1875: 1,00, 1875/80: 1,14, 1881/85: 0,70 und 1885/90: 1,07 % Sonach hat die größte Steigerung von 1875 bis 1880 und die geringste von 1880 bis 1885 stattgefunden. Es hängt dies nicht allein mit der Bewegung der Bevölkerung und der Mehr⸗ zahl der Geborenen über die Gestorbenen, sondern auch wesentlich mit der Auswanderung zusammen. Die deutsche Auswanderung betrug 1875 nur 32 329, 1876: 29 644, 1877: 22 858, 1878: 25 627, 1879: 35 888 Personen, dagegen 1880: 117 097, 1881: 220 902, 1882: 203 585, 1883: 173 616, 1884: 149 865, 1885: 110 119, 1886: 83 225, 1887: 104 787, 1888: 103 951, 1889: 96 070, 1890: 97 103, 1891: 120 089 und 1892: 116 339 Personen. Annlangend das Geschlecht, so zählte man 1890: 24 230 832 männ⸗ liche und 25 197 638 wetciche Personen, es kamen mithin auf 100 männliche. 104 weibliche Personen, (in der preußischen Provinz West⸗ falen kamen auf 100 männliche nur 95,8, dagegen im Königreich Sachsen 105,9 weibliche Personen, was sich namentlich aus der Ver⸗ breitung der Kohlen⸗ und Eisenindustrie in Westfalen und der Textil⸗ industrie in Sachsen erklärt).
Auf 1 qkm kommen im ganzen Deutschen Reich 91,5 Ein⸗ wohner, in Preußen 86,0, in Bayern 73,7, in Sachsen 233,6, in WöG 104,4, in Baden 109,9, in Elsaß⸗Lothringen 110,5 Ein⸗ wohner.
Unter den 49 428 470 Einwohnern des Deutschen Reichs gab es am 1. Dezember 1890 433 264 Reichs⸗Ausländer, davon kamen auf Preußen 164 798, auf Bayern 74 313, auf Sachsen 79 142, auf Württemberg 12 226, auf Baden 17 852, auf Elsaß⸗Lothringen 46 463, auf Hamburg 16 748 Reichs⸗Ausländer. Von den übrigen deutschen Staaten hatte keiner über 4000 Reichs⸗Ausländer.
Nach dem Familienstand waren 1890 im Deutschen Reich unter 109 C 60 ledig, 33,9 verheirathet und 6,1 verwittwet oder geschieden.
Nach dem Religionsbekenntniß waren 1890 unter 10 000 orts⸗ anwesenden Personen 6277 Evangelische, 3576 Katholische, 29 sonstige Christen, 115 Israeliten und 2,7 anderer Religion oder ohne Angabe. Im Jahre 1880 war das Verhältniß 6263 Evangelische, 3589 Katholiken, 17 sonstige Christen, 124 Israeliten und 6,8 anderer Religion oder ohne Angabe der Religion.
Anlangend die Bewegung der Bevölkerung, so kamen im Jahre 1891 auf 1000 der mittleren Bevölkerung 8,03 Eheschließungen, 38,24 Geborene, 24,66 Gestorbene und mithin Mehrgeborene als Ge⸗ storbene 13,58. — Unter den Geborenen des Jahres 1891 kamen auf 100 Mädchen 106,2 Knaben. Von je 100 Geborenen waren 9,06 un⸗ ehelich und 3,31 todtgeboren. In den einzelnen Staaten des Deut⸗ schen Reichs sind enorme Unterschiede. Die Zahl der Unehelichen auf 100 Geburten ist z. B. in der Provinz Westfalen nur 2,50, in Oldenburg nur 5,50, dagegen im Koͤnigreich Preußen 7,66, in Bayern 14,05 in Sachsen 12,38, in Württemberg 10,10, in Baden 8,26 und in Elsaß⸗Lothringen 8,25. 1 8
Berufsgenossenschaftstag.
Der siebente ordentliche Berufsgenossenschaftstag wurde, wie schon kurz erwähnt, gestern in Stuttgart abgehalten. Herr Roesicke er⸗ öffnete die Versammlung smit einem Hoch auf Ihre Majestäten den Kaiser und den König von Württemberg und begrüßte die Ehrengäste, unter denen sich der Präsident des Reichs⸗ Versicherungsamts Dr. Boediker, ferner der Vertreter des württembergischen Ministeriums des Innern, Ober⸗Regierungs⸗ Rath von Schicker, die Präsidenten von Gaupp und Rieckert, Ober⸗Regierungs⸗Rath von Gärtner, der, Stadtvorstand Rümelin, sowie die Vorsitzenden mehrerer Schiedsgerichte und Alters⸗ und Invalidenversicherungs⸗Anstalten und der Director der niederösterreichischen Arbeiter⸗Unfallversicherungs⸗Anstalt Kögel befanden. Ober-⸗Regierungs⸗Rath von Schicker begrüßte die Versammlung im Namen der Regierung, Stadtvorstand Rümelin im Namen Stutt⸗ der Präsident des Reichs⸗Versicherungsamts Dr. Boediker über⸗ brachte die Grüße des Staatssecretärs Dr. von Boetticher. Director Landmann⸗Berlin referirte über den Stand der Commissions⸗ arbeiten für den Erlaß von Normal⸗Unfallverhütungs⸗Vorschriften. Dr. Lachmann und Director Max Schlesinger⸗Berlin berichteten über das seitens der Berufsgenossenschaften bezüglich der Uebernahme der Kosten des Heilverfahrens in den ersten 13 Wochen einzuschla⸗ 8. Verfahren. Weiter referirte Director Riese⸗Berlin über die ei den Berufsgenossenschaften getroffenen Einrichtungen bezüglich der ersten Hilfeleistung bei Unfällen. Director Wenzel⸗Berlin berichtete über die Arbeitsvermittelung für invalide Arbeiter und gab eine Uebersicht über die gegenwärtige Gestaltung dieser Frage. Er hält die Uebertragung der Arbeitsvermittelung auf die Beruss⸗ genossenschaften für unzweckmäßig. Commercien⸗Rath Kettner⸗ Berlin berichtete über die seitens der Berufsgenossenschaften zu unternehmenden Schritte, welche den ersteren eine Einwirkung auf die Gestaltung der Novelle zum Unfallversicherungsgesetz verschaffen sollen. — Nach Schluß der Sitzung fand im Hotel Marquard ein Festessen statt, an welchem sich nag 100 Mitglieder aus allen Theilen Deutschlands betheiligten. Präsident Dr. Boediker, der Tags zuvor vom König von Württemberg mit einem Orden ausgezeichnet worden war, brachte ein Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und seinen treuen Verbündeten, den König von Württemberg aus. Der Vertreter des Ministeriums des Innern, Ober⸗ Regierungs⸗Rath von Schicker feierte den Präsidenten Dr. Boediker als erfolgreichsten Förderer der socialen Gesetzgebung. Der Verbands⸗ Vorsitzende, “ Roesicke pries in beredten Worten das schöne Schwabenland und toastete auf die württembergische Re⸗ gierung und deren Vertreter, Ober⸗Regierungs⸗Rath von Schicker. Dr. Holtz⸗Berlin widmete seinen Trinkspruch der Stadt Stuttgart, seinem Stadtoberhaupt und dem Festeomité. 1 Rümelin brachte ein begeistertes Hoch auf die deutschen Berufsgenossenschaften und deren Vorsitzenden Roesicke aus. — Der nächste Berufsgenossen⸗ schaftstag soll in Dresden stattfinden.
Zur Arbeiterbewegung. Für den am 6. August in Zürich ““ internationalen Socialisten⸗Congreß ist, wie die „Nat. Ztg.“ erfährt, soeben von dem „Organisationscomité“ ie Tagesordnung versandt worden. Sie umfaßt acht Punkte, nämlich: 1) Maßregeln zur internatio⸗ nalen Durchführung des Achtstundentages. 2) Gemein⸗ same Bestimmungen über die Maifeier. 3) die polttische Taktik der Socialdemokraten. 4) Stellung der Soctal⸗
demokratie im Kriegsfalle. 5) Schutz der Ardeiterinnen.
6) Nationale und internationale Ausgestaltung der Gewerk⸗ schaften. 7) Internationale Organisation der Socialdemokraten. 8) Verschiedenes. Während der Ausstand im Dux⸗Brüxer Revier er⸗
loschen ist, brach, wie der „Köln. Z,“ telegraphisch aus Prag
gemeldet wird, gestern ein neuer Ausstand auf dem Karbitzer
Gebiet aus. Auf den Schächten der Brüxer Bergbaugesell⸗
schaft Doblhoff und Neu⸗ offnung wird 5 nicht, auf
Teutoniaschacht (Gewerkschaft Austria) nur thei weise gearbeitet.
Man besorgt für heute eine Ausdehnung des Ausstandes, an
dem gestern 400 Bergarbeiter betheiligt waren. Die Ruhe
wurde bisher nicht gestört.
Nach einer Meldung desselben Blattes aus Dux hat eine am 26. d. M. abgehaltene Bergarbeiterversammlung beschlossen, einen allgemeinen Ausstand zu beginnen, der sich über das Gesammtgebiet von Korhitz bis Türmitz er⸗ strecken soll. Der Ausbruch soll Ende August erfolgen.
Wie dem „D. B. H.“ aus Brünn unter dem gestrigen Tage berichtet wird, haben die Arbeiter der Textilfirma Gebrüder Kirschner die Arbeit niedergelegt.
Der „Voss. Ztg.“ wird über den Ausstand der Kutscher in Paris unter dem 24. d. M. mitgetheilt:
Die Kutscher werden durch abenteuerliche Pläne getäuscht, um ihren Ausstand zu verlängern. Uebrigens hat jetzt der Polizeipräfect die Droschkenbesitzer ermächtigt, Kutscher ohne Fahrschein einzustellen (vergl. Nr. 150 d. Bl.), um die Ausständigen zu ersetzen. Einer. Meldung des „D. B. H.“ zufolge verlangen, trotzdem der allgemeine Ausstand beschlossen worden, viele Kutscher das Ende des Konfliktes.
Aus Verviers wird der „Köln. Z.“ über den immer Se erloschenen Weber⸗Ausstand (vergl. Nr. 145 d. Bl.)
erichtet:
Vorige Woche haben die nichtfeiernden Arbeiter in Verviers und Umgebung für die ausständigen Weber 4800 Fr. aufgebracht. Der Ausstands⸗Ausschuß rechnet darauf, daß in dieser Woche an 7000 Fr. eingehen werden, welche Summe mit den von anderen Seiten zugesagten I hinreichen würde, den “ fast den “ früheren Wochenlohn auszuzahlen. Dem Beispiel der Firma Sauvage folgend, erklärt auch die Tuchfabrik von Rensonnet sämmtliche Weber für entlassen, welche nicht in 24 Stunden die Arbeit wieder aufnehmen. Seit Montag haben die Spinner der Firma C. Cornesse die Arbeit eingestellt. Die Firma beschäftigt 36 Mulemaschinen (Selbstspinner). Die Ursache des Ausstandes wird darin gesucht, daß der Fabrikbesitzer achtzehn Hilfsarbeiter entlass⸗ hat, ohne welche die Spinner nicht arbeiten zu wollen behaupten.
Literatur.
Rechts⸗ und Staatswissenschaft.
8 Zeitschrift für die gesammte Strafrechtswissen⸗ schaft, herausgegeben von Dr. 18 von Liszt, Dr. Karl von Lilienthal und Dr. H. Bennecke. Berlin, J. Guttentag. — Bd. XIII Heft 5 bringt folgende Abhandlungen: Methode einer wissen⸗ schaftlichen Rückfallsstatistik als Grundlage einer Reform der Cri⸗ minalstatistik von Dr. O. Köbner⸗Berlin. Der Verfasser hat sich der schwierigen Aufgabe mit großem Fleiß gewidmet, indem er zumeist eine anderweit nicht gebotene Darstellung des Zustandes in den einzelnen Staaten giebt. Die wohldurchdachten Vorschläge werden überall Be⸗ achtung finden. Dr. E. Friedberg berichtet über die dritte Landes⸗ versammlung der criminalistischen Vereinigung. Beigefügt sind diesem Ft die “ Mittheilungen der criminalistischen Vereinigung
. 4 Heft 2.
— Der Gerichtssaal, Zeitschrift für Strafrecht, Strafprozeß, gerichtliche Medizin, Gefängnißkunde und die gesammte Strafrechts⸗ literatur. Unter ständiger Mitwirkung von Professor Dr. L. von Bar zu Göttingen, Dr. A. Freiherr von Hype⸗Gluneck, K. K. österr. Justiz⸗Minister a. D. zu Wien, Ministerial⸗Rath Dr. E. von Jage⸗ mann zu Karlsruhe, Reichsgerichts⸗Rath Dr. Mittelstädt zu Leipzig, Professor Dr. Em. Ullmann zu München und anderen herausgegeben von M. Stenglein, Reichsgerichts⸗Rath zu Leipzig. (Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke, 1893.) — Bd. 48. Heft 4, 5 hat folgenden Inhalt: 7) Der strafbare Bankerott. Von J. Reichart, Rechtspraktikant in München. (Dogmatischer Theil, Schluß.) — 8) Geisteskrankheit, Zurechnung und Entmündigung. Von Amts⸗ gerichts⸗Rath Thuemmel in Görlitz. — 9) Determinismus und die internationale criminalistische Vereinigung. Von von Buri. — E folgen literarische Anzeigen.
Verschiedenes.
Nr. 21 und 22 der jetzt wöchentlich erscheinenden, vom Majo Richard Schönbeck in Friedenau redigirten Zeitschrift „Das Pferd“ (Verlag von Friese und von Puttkamer in Dresden) enthält wieder einige beachtenswerthe Aufsätze über Pferdezucht und Pferde pflege, sowie die Humoreske „Eine verhängnißvolle Fahrt⸗
R. Schönbeck. In einer dieser Arbeiten werden die Ziel der deutschen Traberzucht behandelt und wird die Ansicht aus⸗ esprochen, daß die Züchter von Trabrennpferden mehr als isher bestrebt sein müssen, Pferde zu erziehen, die nebe einer bedeutenden Trabaction auch galoppirten könnten und überhaupd allen Anforderungen entsprächen, die an ein Militärpferd gestell würden, damit es mit der Zeit gelingen möchte, den ganzen Bed an Militärpferden im Inland zu decken, wovon man jetzt noch weit entfernt sei. Weiterhin wird über die Pferdezuchtverhältnisse i Mecklenburg⸗Strelitz berichtet, der Schulschritt aus der Blüthe zeit der Schulreiterei nach einer beigegebenen Ahbbildung sprochen und Mittheilung gemacht über die Ergebnisse der vom Veterinär⸗Assessor Dr. Steinbach in Münster im Auftrage des landwirthschaftlichen Ministeriums ausgeführten Impfungsversuche mit Mallein gegen die Rotzkrankheit der Pferde P. Täschner macht zweckmäßige Vorschläge für eine bis jetzt noch fehlende Ausbildung der Kutscher in der Fahrkunst, weil nach dem
gegenwärtig üblichen Verfahren die Kutscher das Fahren zumeist erf dann erlernten, wenn sie sich diesem Beruf bereits t .
und es nur als ein Zufall anzusehen sei, daß durch Unkenntniß in der Kunst des Fahrens und der damit zu erlernenden Pferdepflege nich mehr Unglück herbeigeführt werde.
— Nr. 6 der von Emmy Heine und Marie Schlichting redigirten illustrirten „Wäsche⸗Zeitung“ (Deutsche Verlags⸗ Anstalt von Dr. Russak und Comp. Berlin) bringt wieder eine reiche Auswahl von geschmackvollen Mustern aller Art in Leid⸗ und Tisch wäsche mit einer genauen die Selbstanfertigung der Wäsche durch die Hausfrauen önn Anweisung. Die nützliche Zeitschrift er⸗ scheint monatlich einmal und kann für den Preis von 60 ₰ viertel⸗ jährlich bei allen Postanstalten des Deutschen Reichs und Oesterreich⸗ Ungarns, sowie bei allen Buchhandlungen bezogen werden.
— Nr. 3 des erst kürzlich begründeten Handarbeitenblatts für die Familie, Frauen⸗Fleiße, das von John Schwerin (Deutsche Verlags⸗Anstalt von Dr. Russak und Comp., Berlin) geleitet wird und von dem monatlich eine achtseitige Handarheiten⸗Nummer mit großen Beilagen für contourirte Handarbeiten⸗Vorlagen und eine far⸗ dige Handarbeiten⸗Lithographie erscheinen, beweist durch eine große Zahl interessanter und praktischer, bildlich dargestellter und leicht fas⸗ lich erläuterter Vorschläͤge für Handarbeiten, daß der ausgeber dieser Zeitschrift mit Ersolg bestrebt ist, auf diesem Gebtet stets die Bekanntschaft mit den neuesten und besten Mustern weiter zu ver⸗ breiten. Der Abonnementspreis deträgt 75. ₰ dierteljährli
— Nr. 12 der am 1. und 15. eines jeden Monats erscheinenden Kinder⸗Post“ Emil Streisand in Berlin) enthält
eine gute Abhildung des Palais Ihrer Majestät EAEIII“ mit geschichtlichen Notizen über dieses Gebäude, ein Gede „An Kaiser Friedrich's Grah; von S. Frevhau, ein andernes Gedicht „Mädchenträume“, das die Wansche eines noch nicht zehn Jahre alten Mädchens launig zum Ausdruch deingt, eine hiung . des Fleißes“ von S. Barinkay, die Fortsezung eines Märchens . 1 schen und Blauäuglein“ von Derohen Goebeler u. s. w.