1893 / 280 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Nov 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Regierung das Ersuchen zu stellen, dem gegenwärtigen Landtag einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher eine evision der Bestim⸗ mungen in den §§ 12, 53, 55 und 56 der IV. Verfassungs⸗ beilage, sowie des Art. 44 Ziff. 3 der Gemeindeordnung für die Landestheile diesseits des Rheins in dem Sinne herbeiführt, daß die Befreiungen der vormals reichsständischen Fürsten, rafen und Herren von der Quartierlast, von Personal⸗ steuern, von der Haussteuer für die von ihnen bewohnten Schloßgebäude, von den Zöllen und von den Gemeinde⸗ mlagen aufgehoben, eventuell abgelöst werden.“ Der Antrag wurde mit 76 gegen 67 Stimmen abgelehnt. Ein Gegenantrag des Centrums: „Die Kammer wolle beschließen, es sei nheschadet der Frage der Zulässigkeit einer Verfassungs⸗ nderung die Regierung zu ersuchen: 1) Erhebungen ber den Umfang der gegenwärtigen Befreiung der Standesherren von Staats⸗ und Gemeindeabgaben pflegen nd dem Landtag von dem Ergebnisse Mittheilung machen zu lassen, damit man ermessen könne, welche Summen zur Ablösung jener Privilegien aufgebracht werden üssen, da die einseitige Aufhebung derselben rechtlich unmöglich rscheint. 2) Dem Landtag mitzutheilen, in welcher Weise die Verwaltungsbehörden und Gerichte den Art. 55 der IV. Ver⸗ assungsbeilage auslegen, damit der Landtag eventuell auf den Vollzug dieses Paragraphen einwirken könne“, wurde nach lebhafter Debatte angenommen. Bei der Be⸗ rathung erklärte der Minister des Innern, Frei⸗ herr von Feilitzsch: eine solche Enquéte werde ngestellt werden, sie werde aber in der gegenwärtigen Le⸗ islaturperiode kaum mehr abgeschlossen werden können. Ferner etonte der Minister, dem Ausspruch Grillenberger’s „noblesse blige“ gegenüber: es liege hier ein begründeter Rechtsanspruch or; durch ein freiwilliges Uebereinkommen sei der Zweck des ntrags leichter erreichbar. Der Abg. von Vollmar be⸗ ründete sodann den Antrag der Socialdemokraten gegen die neuen eichssteuern. Die Berathung wurde auf heute verschoben.

Im Befinden Seiner Majestät des Königs schreitet, dem Dr. J.“ zufolge, die in erfreulicher Weise vor⸗ ärts, sodaß Allerhöchstderselbe bereits einen kurzen Spazier⸗ ang unternehmen konnte. Fieber ist nicht vorhanden, der katarrh ist geringer und das Allgemeinbefinden besser. 1 Bei Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Josephine von Belgien ist eine Ermäßigung des Fiebers eingetreten und das Allgemeinbefinden den Umständen nach befriedigend. 8

Württemberg.

Seine Majestät der König hat sich vorgestern von Beben⸗ ausen nach Friedrichshafen begeben, von wo Allerhöchstderselbe m Freitag nach Stuttgart zurückkehren wird. Ihre Majestät ie Königin ist mit Ihrer Königlichen Hoheit der Prin⸗ essin Pauline noch in Bebenhausen verblieben und gedenkt

8

leichfalls am Freitag wieder in Stuttgart einzutref en

Hessen. Seine Königliche Hoheit der Prinz⸗Regent Bayern traf am Dienstag Nachmittag in Darmstadt ein und vurde am Bahnhofe, wo großer officieller Empfang stattfand, on Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog und Seiner Broßherzoglichen Hoheit dem Prinzen Wilhelm begrüßt. Von dort fuhren die Höchsten durch die festlich eschmückten Straßen nach dem Schloß, wo Galatafel statt⸗ and. Abends war zu Ehren des Prinz⸗Regenten im Hof⸗ Theater Festvorstellung. Gestern Vormittag besuchte der rinz⸗Regent das Mausoleum auf der Rosenhöhe. Um 1 Uhr fand bei dem Großherzog ein Dejeuner statt, worauf um 3 Uhr die Abreise des Prinz⸗Regenten nach Aschaffenburg rfolgte.

Oesterreich⸗Ungarn. 8

i:m Club der Conservativen sprach gestern, wie W. T. B.“ berichtet, der Minister Graf Falkenhayn seinen Dank für das ihm bisher entgegengebrachte Vertrauen aus und at, es ihm auch für die Zukunft zu bewahren, es überhaupt er ganzen Regierung entgegenzubringen. Der Obmann des Clubs Graf Hohenwart stellte alsdann den Verlauf der Krisis sowie die Bildung des Coalitions⸗Ministeriums kurz ar. Der Club beschloß heute Abend eine weitere Sitzung ab⸗ uhalten und die heutige Erklärnng der Regierung zum Gegen⸗ stand der Berathung zu machen. Im Polenclub erklärte der Minister von Jaworski nter lebhaftem Beifall: der Polenclub habe stets an der Ueberzeugung festgehalten, daß die unumgänglich nothwendige parlamentarische Majorität weder mit dem Hohenwartelub ohne Linke, noch mit der Linken ohne den Hohenwartelub zu⸗ stande kommen könne. Das Cabinet Taaffe sei bemüht ge⸗ wesen, diese Majorität zustande zu bringen, doch eien die hierzu gewählten Mittel nicht entsprechend ge⸗ wesen. Ihn, den Minister, habe bei Zusammensetzung des neuen Cabinets der Gedanke geleitet, dem Polen⸗ lub die gleiche Stellung wie den beiden anderen Parteien zu erwirken, resp. zu wahren. Damit die geschaffene Coalition lebensfähig erhalten werde, sei es nöthig, daß sich die Parteien nicht nur negativ aneinander reihten, sondern es olle ihnen ein Programm vorgelegt werden, auf das sie sich inigen sollten. Die Mitglieder des Polenclubs möchten heute, nachdem die Erklärung der Regierung erfolgt sei, ihre Meinung bezüglich ihres Verhältnisses zur Regierung und zu den Par⸗ teien im Club aussprechen. Der Minister schloß: die Gefühle uunvegrenzter Dankbarkeit für den Kaiser und die conservativen Principien belebten ihn auch heute. Im Club der deutschen Linken erschienen gestern die Minister Dr. von Plener und Graf Wurmbrand. Beide Minister wurden von den Anwesenden stürmisch begrüßt. Der

Minister von Plener gedachte in einer Rede der Entstehung

und der Entwickelung des Coalitionsgedankens, des Rücktritts des Cabinets Taaffe sowie der Bildung des Ministeriums ischgrätz. Er sowie Graf Wurmbrand hätten es für die Pflicht gewissenhafter Politiker und zugleich im Interesse der Partei gelegen erachtet, ihre Mitwirkung bei diesen 1 nicht unversucht zu lassen. Die politische Verantwortlichkeit fordere, daß die Partei an den Situationen, die sie geschaffen, selbst Hand anlege. Die Sache sei allerdings in Oesterreich schwieriger als anderswo. Das neue Regime könne sich nur auf die Coalition dreier Parteien stützen. Die hierin liegende Schwierigkeit unterschätze er nicht, er ziehe aber vor, darüber mit gutem Willen hinwegzukommen,

anstatt einfach den früheren Zustand oder eine Combination mit Ausschluß der deutschen Linken herbeizuführen. Principielle Ansprüche könnten weder von rechts noch von links erhoben werden, aber eine Reihe von wichtigen Reformen lasse sich zu⸗ stande bringen, falls die Regierung von den Coalitionsparteien unterstützt werde. Die Erwartung sei nicht ausgeschlossen, daß wieder ein frischerer, kräftigerer Zug durch die Verwaltung hin⸗ durchgehe. Der Redner richtete dann an die Partei die Bitte, die gesammte Regierung zu unterstützen; die Consequenz dieser Unterstützung werde eine solche Annäherung der großen Parteien sein, wie sie aus einem politischen Zusammen⸗ arbeiten überhaupt entstehen könne. Er appellire an alte Erinnerungen, alte Freundschaft; wenn der Versuch gelingen solle, so dürfe man nicht gleich beim ersten Anlaß Mißtrauen sich einschleichen lassen und müsse wenigstens im Anfange politische Geduld haben, bis die neue Combination sich einigermaßen eingelebt haben werde. Dieser Tag bedeute nicht den Abschied, sencben hoffentlich eine glückliche Neu⸗ ordnung, die sich vielleicht auch nach außen hin zum Wohle des Vaterlandes wirksam und fruchtbar gestalten werde. Der Handels⸗Minister Graf Wurmbrand erbat alsdann die Unter⸗ stützung der Partei für das gesammte Cabinet, das sich in schwieriger Zeit die große Aufgabe der Vereinigung der gemäßigten und staatserhaltenden Parteien gestellt habe behufs Förderung des Wohlstandes und Kräftigung des Staatsgedankens. Dies setze ein großes Maß von Selbstverleugnung und staatsmänni⸗ scher Zurückhaltung seitens der Parteien und der einzelnen Persönlichkeiten voraus. Die Aufgabe bestehe darin, in Füh⸗ lung mit der eigenen Partei das Verständniß mit den coa⸗ lirten Parteien möglichst zu fördern. Der Minister gedachte alsdann der hohen Verdienste seines Vorgängers im Amt und schloß damit: das Ziel, die Stärkung der Staatsbürger in dem großen Concurrenzkampf der Nationen, sei gewiß der Unterstützung aller Patrioten werth.

Ein Erlaß des Finanz⸗Ministers Dr. von Plener an die Salinenverwaltungen im Salzkammergut Hall und Hallein verfügt die Erhöhung der Löhne der Arbeiter um 10 Proc. Eine ähnliche Verfügung steht auch für die Salinen in Galizien und der Bukowina in Aussicht. Diese Lohnregulirung an sämmtlichen Salinen soll schon vom November angefangen in Kraft treten und erfolgt mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Preise der Lebensmittel sowie in Anerkennung des musterhaften Verhaltens der Arbeiterschaft.

Frankreich. 8

Im Ministerrath unterzeichnete vorgestern der Präsident Carnot die Decrete, durch welche 18 Begnadigungen oder Strafherabsetzungen gegenüber den wegen der Un⸗ ruhen im Quartier Latin Verurtheilten und 400 Begnadi⸗ gungen von Militärpersonen bewilligt werden.

Der ehemalige Gouverneur von Martinique ist zum Civilgouverneur im Sudan ernannt worden.

Die vorgestrige Sitzung der Deputirtenkammer war stark besucht; es herrschte lebhafte Bewegung. Der Präsident Casimir Périer hielt, nachdem er von dem Präsidentenstuhl Besitz ergriffen hatte, eine Ansprache, worin er daran erinnerte, daß Frankreich bei dem Empfange der russischen Abgesandten von einem Gedanken, von einem Gefühle beseelt gewesen sei. Diese Bethätigung einer großen moralischen Einheit lege die Pflicht auf, dem Vaterlande die unfruchtbaren Streitigkeiten und die persönliche Unzufriedenheit zu opfern. Hierauf verlas der Minister⸗Präsident Dupuy eine Erklärung des Ministeriums, die besagt, das Land habe sich bei den letzten legislativen Wahlen für eine praktische Politik erklärt, welche die aufregenden Fragen theoretischer Discussionen vermeide. Das Ministerium werde die auf Verfassungsrevision gerichteten Bestrebungen, die Trennung der Kirche vom Staat, die Abänderung des Wahl⸗ modus, die Einführung einer einheitlichen, inquisitorischen und progressiven Besteuerung bekämpfen. Das Ministerium werde niemand, der das allgemeine Stimmrecht, das Privateigenthum, die individuelle Freiheit und die Freiheit der Arbeit mißachte, als Freund oder politischen Verbündeten anerkennen. Es werde alle Doctrinen bekämpfen, welche die anonyme Allein⸗ herrschaft des Staats an die Stelle der individuellen Be⸗ thätigung und der freien Vereinigung setzen wollten. Es werde nachdrücklich jeden Versuch einer Agitation oder Ausschreitung aller internationalen Umsturzbestrebungen unterdrücken. Es betrachte das Schulgesetz und das Militärgesetz als festen Besitz und werde diese Gesetzgebung durch sociale Gesetze vervoll⸗ ständigen, besonders in Bezug auf ärztliche Hilfe hygienische Einrichtungen, Kinderschutz, Sparkassen, Unter tützungsgesell⸗ schaften auf Gegenseitigkeit, cooperative Genossenschaften und Arbeiter⸗Pensionskassen. Das Budget für 1895 werde im Anfang des kommenden Jahres vorgelegt werden. Es werde bereits die Vortheile einer Conversion der 4 ½ procentigen Rente berücksichtigen, zu deren Durchführung im geeignet erscheinenden ““ die Regierung die Ermächtigung nachsuchen werde.

ie aus der Conversion sich ergebenden Ersparnisse sollten, im wesentlichen zur Wiederaufnahme der Schuldentilgung Verwendung finden. Das Budget werde verschiedene finanzielle Reformvorschläge umfassen. Dem Parlament werde auch die Aufgabe zufallen, die Frage der Regelung der Bank von Frankreich zu erledigen. Auch verschiedene die Landwirth⸗ schaft betreffende Vorlagen würden eingebracht werden müssen. Das Ministerium bereite eine Vorlage über Explosivstoffe und eine andere über Vereine und Verbindungen vor. Im Innern werde die Regierung auf die Beruhigung der Gemüther hinarbeiten und entschlossen die öffent⸗ liche Ordnung vertheidigen. Im Aeußeren werde der Regie⸗ rung die Aufrechterhaltung und Vertheidigung der Rechte Frankreichs zur Richtschnur dienen; sie werde sich die Pflege der internationalen Beziehungen sowie die Erhaltung des französischen Absatzmarktes und seine Geltendmachung durch Aufmunterung der Privatinitiative angelegen sein lassen. Frankreich wisse, was es der Republik schulde, die es wieder zu dem ersten Rang unter den Nationen zurückgeführt und es genügend stark gemacht habe, um aufrichtig vom Frieden sprechen zu können; die ihm endlich nach langer Absonderung Kenntniß von den Sympathien gegeben habe, deren Charakter durch die unvergeßlichen Oktoberfeste festgestellt und deren Tragweite durch diese gekennzeichnet worden sei. Die Er⸗ klärung fordert schließlich das Parlament auf, klar und ohne Rückhalt zu sagen, ob dos Cabinet sein Vertrauen besitze. Die Erklärung wurde mit großem Beifall von der Linken und dem Centrum, aber mit mehrfachen Unter⸗ brechungen seitens der äußersten Linken und äußersten Rechten aufgenommen. Der Abg. Jaur ds Socialist) ver⸗ langte sodann eine Interpellation einzubringen. Der

Minister⸗Präsident Dupuy stellte den Antrag auf sofortige Debatte; dieser Antrag wurde mit 291 gegen 221 Stimmen angenommen. Der Abg. Jaurès vertheidigte hierauf die socialistischen Lehren und behauptete, die ministerielle Erklärung sei eine Kriegserklärung gegen den Socialismus. Redner brachte eine Tagesordnung ein, worin der Regierung ein Mißtrauensvotum ertheilt wird. Der Minister⸗Präsident Dupuy trat den socialistischen Lehren entgegen, in denen nicht ein Gedanke von Freiheit enthalten sei. Das beste Mittel, die Lage der Arbeiter günstiger zu ge⸗ stalten, sei, die Wohlfahrtsinstitute für die Arbeiter weiter auszudehnen und vernünftige Reformen einzuführen. Die Socialisten machten aus dem Syndikatsgesetz ein revolutionäres Werk. (Protestrufe auf der äußersten Linken. Beifall der Linken und des Centrums.) Hierauf wurde die Inter⸗ pellation mit 264 gegen 241 Stimmen auf morgen vertagt.

Im Senat wurde die gleiche Erklärung wie in der Kammer vom Justiz⸗Minister Gu6rin verlesen und von der gesammten Linken mit Beifall aufgenommen.

Die republikanischen und die gemäßigten Blätter beurtheilen die ministerielle Erklärung günstig; die con⸗ servativen tadeln das Programm, billigen aber den Theil, der die Socialisten betrifft; die radicalen Blätter werfen der Erklärung vor, daß sie einen verneinenden und aggressiven Charakter habe. Die allgemeine Ansicht geht dahin, daß das Ministerium eine große Majorität für sich haben werde.

Gestern Nachmittag fanden im Palais Bourbon drei Ver⸗ sammlungen von Deputirten statt, um über die vorgestern begonnene Besprechung der Interpellation zu berathen. In der ersten Versammlung, an welcher 150 regierungsfreund⸗ liche Republikaner theilnahmen, wurde beschlossen, dem Cabinet das Vertrauen auszudrücken. Die zweite Versammlung, welche die Deputirten der äußersten Linken umfaßte, beauftragte Pelletan, zu erklären, daß das Programm des Cabinets unzulänglich sei, und eine dahin gehende Tagesordnung einzubringen. Die dritte Ver⸗ sammlung, welche von 75 fortschrittlichen Republi⸗ kanern gebildet wurde, bekundete dieselben Ansichten wie die äußerste Linke, und beschloß, sich mit dieser über die Ein⸗ bringung einer Tagesordnung zu verständigen.

In Bordeaux bei einigen zwanzig Anarchisten vor⸗ genommene Haussuchungen sind ergebnißlos gewesen.

Italien.

Bei einem am Montag zu Ehren di Rudini's in Palermo abgehaltenen Bankett hob dieser dem „W. T. B.“ zufolge hervor, daß die politische Gesundung das dringendste Bedürfniß, und es Pflicht der Staatsmänner und der Wählerschaften sei, eine U herbeizuführen. Betreffs der sizilianischen Bewegung emerkte er, daß sie nur eine vorübergehende Erscheinung sei. Rudini schloß seine Rede mit begeisterten Worten für das Königspaar.

Wie der „Politischen Correspondenz“ gemeldet wird, be⸗ absichtigt der österreichisch⸗ungarische Minister des Auswärtigen Graf Kälnoky sich von Florenz nach Venedig zu begeben und von dort nach Wien zurückzukehren.

Nachdem außer in Rom auch in Neapel, Mailand, Turin und Venedig die Telegraphen beamten den Dienst ein⸗ gestellt hatten, beschtoß vorgestern der Ministerrath, sofort mehrere Jahrgänge von beurlaubten Militärtelegraphisten ein⸗ uberufen und diejenigen Telegraphenbeamten, die den Aus⸗ 7 angeregt und gefördert hätten, zu entlassen. Bezüglich der anderen Ausständigen, die den Dienst innerhalb 24 Stunden nicht wieder aufnehmen würden, behielt sich der Ministerrath vor, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Gestern haben nun die Telegraphenbeamten überall den Dienst wieder aufgenommen, ausgenommen in Mailand und Venedig, wo der Wiederbeginn des Dienstes heute erfolgen soll.

Spanien.

Bei den gestern vorgenommenen Municipalwahlen wurden dem „W. T. B.“ zufolge in Madrid 18 Monarchisten und 10 Republikaner gewählt. In Valencia, Huelva und Toledo wurden einstimmig die Candidaten der monarchistischen Partei gewählt, in Corunna, Cordova, Salamanca, Almeria, Guadalajara, Avila, Caceres und Ciudad⸗Real errang eben⸗ falls die monarchische Partei den Sieg, dagegen erhielten in Leon und Badajoz die Republikaner die Majorität. Die Ruhe wurde nirgends gestört.

Nach einer Meldung der „Frankf. Ztg.“ aus Barcelona sind daselbst bis Montag Nachmittag im ganzen 183 Anarchisten verhaftet worden. Am Sonntag Vormittag wurden in der Calle Cortes, unweit der Stelle, wo Pallas s. Z. das Attentat gegen Martinez Campos vollführte, sieben birnenförmige Bomben aufgefunden, wovon sechs geladen warben.

Blulgarien.

Die Leiche des Grafen Hartenau soll nach einer Mel⸗ dung des „W. T. B.“ mit Einwilligung der Familie auf Staatskosten nach Sofia übergeführt und in der ältesten orthodoxen Kapelle beigesetzt werden. he

Bei dem Bankett der Handelskammer von New⸗York hielt, wie „W. T. B.“ berichtet, vorgestern der Schatzsecretär⸗ Carlisle eine Rede, worin er ausführte, die Frage, ob die Obligationen der Vereinigten Staaten in einer küͤnze bezahlt würden, die an allen Märkten der Welt Curs habe, sei definitiv geregelt. Das wolle nicht sagen, daß das Silber überhaupt aus dem amerikanischen Münz⸗ system verschwunden sei; es sei gegenwärtig für jede Regierung unmöglich, eine bestimmte Beziehung beider Metalle herzustellen und aufrecht zu erhalten; diefer Grund allein würde die Regierung der Vereinigten Staaten nöthigen, der Silberausprägung vernünftige Grenzen zu setzen. Das Land könne sich beglü ö daß die Regierung endlich in die Lage gesetzt sei, das Münzsystem intact zu erhalten und einen mächtigen Einfluß auf alle zukünftigen Combinationen aus⸗ zuüben, um diese große Schwierigkeit in einer dauernden Weise zu regeln. 1

Das Finanz⸗Comité des Repräsentantenhause hat auf nicht officiellem Wege angekündigt, daß das Eisenerz zur zollfreien Einfuhr werde zugelassen werden; die Frage werde im Repräsentantenhause zur Berathung kommen.

Die argentinische Regierung hat nach einer Mel⸗

dung des „W. T. B.“ ihren Gesandten in Rio de Janeiro abberufen, weil er gegen den Willen seiner Regierung nordamerikanischen Schutz 1eagg habe. Der por b⸗ giesische Gesandte in Rio de Janeiro ist ebenfalls ve berufen worden: wie verlautet, auf Verlangen der brasilianischen

Regierung. Einer Depesche des „New⸗York Herald“ aus Montevideo von vorgestern zufolge wäre in Pernambuco der Belagerungszustand erklärt worden. Die „Times“ meldet aus Rio de Janeiro vom 17. d. M. über Montevideo, daß in⸗ folge Erplodirens eines Geschosses im Fort Lage 1 Offtzier und 17 Mann getödtet worden seien. Die Aufständischen hätten das Fort Lage genommen.

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Parlamentarische Nachrichten. Dentscher Reichstag. 3. Sitzung vom Donnerstag, 23. November, 1 Uhr.

Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher, Frei⸗ herr von Marschall und Dr. Graf von Posadowsky, sowie der Königlich preußische Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten von Heyden.

Der Vice⸗Präsident, Abg. Freiherr von Buol⸗Berenberg führt den Vorsitz.

Ein Schreiben des Abg. Grafen Kanitz⸗Schlochau, welcher bittet, die Entscheidung darüber herbeizuführen, ob durch seine Ernennung zum Geheimen Regierungs⸗Rath im Königlich preußischen Ministerium des Königlichen Hauses sein Mandat vg sei, wird der Geschäftsordnungs⸗Commission über⸗ wiesen.

Ohne Debatte genehmigt das Haus darauf die Anträge Auer und Genossen wegen Einstellung der gegen die Abgg. Herbert und Kühn tgeczerden Strafverfahren.

Darauf folgt die erste Berathung der Handelsverträge mit Spanien, Rumänien und Serbien.

Abg. Graf Limburg⸗Stirum (dcons.): Die vorliegenden Ver⸗ träge sind begründet auf die Verträge, welche mit dem 1. Februar 1892 in Kraft getreten sind; sie haben dieselben Vortheile und die⸗ selben Nachtheile. Die Tendenz ist dieselbe: die Landwirthschaft soll die Kosten dieser Verträge tragen, ohne entsprechende Compensationen zu erhalten. Die Verträge vom vorigen Jahre bringen überhaupt nicht die Vortheile, welche man erhofft hat, weil wir versäumt haben, uns in eine Kampfposition zu setzen, wie andere Staaten sie sich durch Prohibitivtarife geschaffen haben. Wir treten den anderen Staaten entgegen und bieten ihnen Vortheile, wenn sie uns etwas bewilligen; die anderen Staaten aber sagen: Gebt ihr uns nichts, dann schlagen wir euch. Wir wollen die Handels⸗ verträge à tout prix zu stande bringen; hätten wir es auf einen Zollkrieg ankommen lassen, so hätte das Ausland mehr gelitten als wir. Aber die Hast, die Verträge abzuschließen, ist eine zu große. Die Unterhändler hatten noch ganz andere Concessionen in der Tasche, auf welche man aber garnicht wartete. Den Rumänen wurde angeboten, ihren Generaltarif zu binden; aber wir banden unseren Generaltarif nicht, sondern gewährten ihnen gleich die ermäßigten Getreidezölle! Was das bedeutet, wird jeder wissen. So, wie die Instructionen unserer Unter⸗ händler lauteten, konnten sie allerdings nicht mehr erzielen. Be⸗ sonders interessant ist die Denkschrift, in welcher die ausländischen Staaten und ihre Zollpolitik vertheidigt werden; man kann sich nur freuen, daß die Spanier Minister haben, die es verstehen, die In⸗ teressen ihres Landes wahrzunehmen. Bei uns hält man die Herab⸗ setzung der Getreidezölle für ein Aequivalent beim Abschluß eines Handelsvertrages; die Spanier stehen auf dem Standpunkt: ehe sie ihre Spritzölle aufgeben, lieber gar keine Handelsverträge. Der Vertrag mit Rumänien ist der bedeutendste; denn dabei’ handelt es sich um die Getreidezölle. In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat Rumänien das Doppelte an Getreide u. s. w. ein⸗ geführt als früher auf Grund des interimistischen Abkommens, welches ihm die Ermäßigung der Getreidezölle gewährte. Die Denkschrift erwähnt garnicht, wie sich das Goldagio bei der Ein⸗ und Ausfuhr stellen wird. Der Cporrespondent der „National⸗Zeitung“ hat eine Unterredung mit Giolitti gehabt über die Frage, weshalb Italien die Zölle in Gold erhebt. Der Minister erklärte, daß das auf einem Gesetz von 1881 beruht, welches vor den Zollverträgen erlassen sei. Der italienischen Regierung ist aus der Anwendung des Gesetzes kein Vorwurf zu machen. Aber eine Thatsache ist, daß dadurch die Zölle um 50 % erhöht werden, und das erschwert die Importe und erleichtert den Export. Man spricht davon, ein großes centraleuropäisches Handelsgebiet zusammenzufassen gegenüber den Schutzzollstaaten. Das hätte etwas zu bedeuten gehabt bei einer Zoll⸗ und irthschaftsvereinigung; aber wir stehen in Bezug auf die Valuta den Handelsvertragsstaaten Oesterreich und Italien ebenso

Fegenüber, wie den außerhalb der Handelsverträge stehenden Staaten.

Meine Partei in der Regelung der Währungsfrage die einzige noch mögliche Lösung der ganzen Handelsvertragsfrage; darauf werden meine Freunde immer mit dem größten Nachdruck hinweisen. Wir werden darauf bestehen, daß 88 Frage endlich energisch in An⸗ griff genommen werde. Die Zölle haben auch eine handelspolitische Bedeutung. Bei Spanien ist allein der Ausfall beim Zoll für Wein und für Korkstopfen auf 600 000 zu berechnen; beim Getreidezoll wird er sehr viel bedeutender sein. Für das Jahr 1892 würde die Ermäßigung der Getreidezölle einen Ausfall von 2 125 000 ergeben; für die ersten neun Monate des Jahres 1893 haben wir schon einen Ausfall von 2 700 000 erlitten. Sehr erhebliche, Opfer werden der Landwirthschaft zugemuthet, ohne daß ihr wesent⸗ liche Compensationen zu theil werden. Man wird immer mehr der Meinung, daß die Handelsverträge von 1892 ein großer politischer Fehler gewesen sind. Wir sind von dem falschen Standpunkt ausgegangen, daß wir von dem Zollsatz mehr betroffen würden als das Ausland. Die fremden Staaten sahen, daß wir das Geschäft machen wollten, und machten sich das zu nutze. Als der österreichische Handels⸗ Minister in ein anderes Amt versetzt wurde und der Kaiser ihm in einem Handschreiben dafür dankte, daß er es verstanden hätte, den Zollvertrag ohne wesentliche Oesterreichs herbeizuführen, da hätten wir gewünscht, dasselbe bei uns sagen zu können. Aber man war vielfach bei uns der Meinung, daß die landwirthschaft⸗ lichen Zölle zu hoch seien, und deshalb opferte man sie für kleine Concessionen. Daß die Verträge zur Stärkung des Dreibundes noth⸗

wendig waren, ist eine falsche Maxime.

(Schluß des Blattes.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Bewegung der Bevölkerung des Deutschen Reichs im Jahre 1892.

Die im Kaiserlichen Statistischen Amt zusammengestellten Nachweise über die Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1892 ergeben, daß im Deutschen Reich stattgefunden haben:

im Jah im Durch⸗ auf 1000 der

im 1892 schnitt von Bevölkerung

8 1883/92 1892 1883/92 Eheschließungen . . 398 775 378 672 7,93 7,89 Geburten sensch Todt⸗ 1 856 999 1 822 976 36,93 37,98 Sterbefälle geburten 1 272 430 1 250 761 25,31 26,06

Mehr Geburten als Sterbefälle 1“ 584 569 572 215 11,62 11,92

Die Zahl der Chee ngc war demnach im vergange⸗ nen Jahre absolut wie relativ größer als im Durchschnitt der zehnjährigen Periode von 1883 bis 1892; bei den Geburten

Unehelich Geborene

und Sterbefällen sowie beim Geburtenüberschuß stellte sich nur die absolute Zahl höher. sch 8 sich Unter den Geborenen waren: im Durch⸗ Procent schnitt von der Geborenen 1883/92 1892 1883/92

9,14

65 796 3,29

Kunst und Wissenschaft. Die gestrige Festsitzung der Königlich bayerischen

Todtgeborene.

Akademie der Wissenschaften, welcher Ihre Königliche Hoheit

die Prinzessin Therese und der Cultus⸗Minister Dr. von Müller bei⸗ wohnten, wurde, wie „W. T. B.“ aus München berichtet, mit einigen kurzen Worten von dem Präsidenten, Professor von Petten⸗ kofer eröffnet. Hierauf folgte die Verkündigung der Namen der neu⸗ gewählten Mitglieder der Akademie. Zu correspondirenden Mit⸗ gliedern wurden ernannt: der Professor der Philologie Vitelli⸗Florenz, der Secretar des Archäologischen Instituts Dr. Helbig⸗Rom, der Akademiker Wesselowski⸗St. Petersburg, der Professor der Physik Hert Hong⸗ der Professor der Kunstgeschichte Justi⸗Bonn, der Pro⸗ eessor der Botanik Warning⸗Kopenhagen und der Botaniker Director Dr. Treub⸗Java. Den Schluß der Feier bildete ein Festvortrag des Professors Dr. Rüdinger über „Gehirnforschung“. Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ öAAX“X“ 1“*“

8 E“ 8 Sämmtliche Häfen Belgiens sind seit dem 8. d. M. für rein von Cholera erklärt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 207 vom 29./8. und Nr. 258 vom 27./10.) Türkei.

Durch Beschluß des internationalen Gesundheitsraths in Kon⸗ stantinopel ist die für F von Grimsby, Hull und anderen Häfen des Humber⸗Flusses, sowie von Antwerpen angeordnete 24 stündige Beobachtung aufgehoben und durch eine ärztliche Unter⸗ suchung ersetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 268 vom 8./11. ad 7.)

Der internationale Gesundheitsrath in Konstantinopel hat folgende Quarantäne⸗Bestimmungen getroffen:. M1) Die für Herkünfte von dem Golf von Smyrna zwischen Ca Karg⸗Bournon und Foglieri (einschl.) noch bestehende Quarantäne ist durch eine vierundzwanzigstündige Beobachtung nebst Desinfection der getragenen Kleider und Effecten der Passagiere und Schiffsmannschaft und strenger prztlicher Untersuchung ersetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 268 vom 8./11. ad 8.)

2) Die für Herkünfte von Taganrog bestehende zehntägige Qua⸗ rantäne ist gleichfalls durch eine vierundzwanzigstündige Beobachtung ersetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 274 vom 15./11. ad 1.)

3) Ebenso unterliegen Herkünfte von Amsterdam, Rotterdam und

dem Haag nur noch einer vierundzwanzigstündigen Beobachtung. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 243 vom 10./10. ad 1.) . 4) Herkünfte mit oder ohne Passagiere aus den bulgarischen Häfen und aus Ost⸗Rumelien haben sich in Kavak einer vierundzwanzig⸗ stündigen Beobachtung zu unterwerfen. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 200 vom 21./8. und Nr. 202 vom 23./8.)

5) Die für Herkünfte von der Assyrischen Küste und dem YVemen zwischen Lith und Loheya (einschließlich dieser beiden Orte) angeordnete zehntägige Quarantäne ist in eine solche von fünf Tagen umgeändert worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 268 vom 8./11. ad 1.)

6) Herkünfte von Bassorah unterliegen einer zehntägigen Qua⸗ rantäne. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 268 vom 8./11. ad 3.)

Bulgarien.

S3ufolge Beschlusses des bulgarischen Gesundheitsraths vom 29. v. M. ist die für Waaren und Reisende aus Rumänien an⸗ Ser fünftägige Quarantäne auf drei Tage herabgesetzt worden.

ie Reisenden und ihre getragenen Kleidungsstücke werden beim Ein⸗ tritt und Verlassen des Lazareths einer strengen Desinfection unter⸗ worfen. (Vergl. R.⸗Anz. Nr. 249 vom 17./10.) Außerdem wurde die Bestimmung getroffen, daß Briefe, woher sie auch kommen mögen, nur noch zu desinficiren und nicht mehr zu durchlöchern sind.

Der bulgarische Gesundheitsrath hat folgende Bestim mungen ge⸗ troffen, welche mit dem 15. d. M. in Kraft getreten sind:

.1.) Reisende und Waaren, welche aus Rumänien kommen, unter⸗ liegen bei ihrem Eintritt in Bulgarien einer fünftägigen Quarantäne in den Häfen der bulgarischen Küste des Schwarzen Meeres und einer solchen von drei Tagen an den Donauplätzen.

.2) Reisende und Waaren von der oberen Donau unterliegen einer dreitägigen Quarantäne. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 253 vom 21./10.)

3) Reisende und Waaren von der Küste des Mittelländischen Meeres und des Schwarzen Meeres, mit Ausnahme der Provenienzen von der rumänischen Küste, für welche die unter 1 genannte Bestim⸗ mung in Anwendung tritt, unterliegen einer achttägigen Quarantäne.

Schweden.

Durch Bekanntmachung des Königlich schwedischen Commerz⸗ collegiums vom 17. d. M. sind ebenso wie Hamburg nebst Umgegend und die Elbhäfen (vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 278 vom 20./11.) auch die niederländischen Provinzen Seeland und Südholland, sowie ferner Belgien (vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 208 vom 30./8.) und die Stadt Brest (vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 276 vom 17./11.) für cholerafrei erklärt worden.

Gleichzeitig sind die Bestimmungen der Königlichen Bekannt⸗ machung vom 22. September d. J., betreffend Maßnahmen zur Ver⸗ hütung der Einschleppung der Cholera nach Schweden über nicht für cholerainficirt erklärte ausländische Häfen, für Passagiere von Schiffen, welche aus Dänemark, Lübeck und Umgegend sowie aus Mecklenburg⸗ Schwerin kommen, außer Kraft gesetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 236 vom 2./10. und Nr. 248 vom 16./10.) 8

Cholera. St. Petersburg, 21. November. An Cholera erkrankten bezw. starben nach dem Bericht des „W. T. B.“ vom 17. bis 20. No⸗ vember in St. Petersburg 19 bezw. 6, vom 5. bis 11. November in Sebastopol 1 bezw. 1, in den Gouvernements Baku 35 bezw. 23, Kalisch 10 bezw. 9, Livland 35 bezw. 14, Ljublin 6 bezw. 3, Mohilew 19 bezw. 12, Plotzk 19 bezw. 8, Pskow 7 bezw. 4, Sawalki 15 bezw. 6; am 8. November erkrankte in der Provinz Kurland 1 Person; vom 29. Oktober bis 11. November erkrankten bezw. starben im Gouvernement Wolhynien 217 bezw. 121; vom 29. Oktober bis 11. November in Kiew 212 bezw. 80; 1“ 18. November in Wilna 55 bezw. 18, und in Lomsha ezw. 11.

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Verkehrs⸗Anstalten.

Laut Telegramm aus Herbesthal ist die erste

englische Post über Ostende vom 21. d. M. ausgeblieben. Grund: Sturm im Kanal.

London, 21. November. (W. T. B.) Der Castle⸗Dampfer „Warwick Castle“ ist heute auf der Heimreise in Durban (Natal) angekommen.

Theater und Musik.

Concerte.

In der Hof⸗ und Garnisonkirche fand gestern Abend mit Aller⸗

höchster be Seiner Majestät des Kaisers und ei

Königs unter der Leitung des Königlichen Musikdireectors Herrn Wilhelm Freudenberg ein geistliches Concert statt, dessen Ertrag für den Baufonds der Kaiser Wilhelm⸗Gedächtnißkirche bestimmt ist. Zur Frffgernng Feienate das hier selten gehörte „Ztabat mater“ don Emanuele d-Astorga, das in seiner reichen Gliederung vortrefflich

zum Vortrag gelangte. Der Chor war sorgfältig geschult und führte

das Schauspiel „Dorf und Stadt“

seine Aufgabe mit großerSicherbeit bei den Einsätzen durch; die beiden letzten Sätze „Virgo virginum“ und „Christe, quum sit jam exire“ wurden mit wirksamer Innigkeit und Sieghaftigkeit gesungen, was bei der Schwierigkeit gerade dieser Sätze besonders anzuerkennen ist. Sehr exact wurden von den Solisten das Terzett „O quam tristis“ (Sopran, Tenor, Baß) und mit warmer Empfindung das Duett (Sopran und Alt) „Quis est homo“ zu Gehör gebracht. Die Soli wurden von den Damen Frau Pauline Freudenberg (Sopran) und Frau Ida Klee (Alt) und von den Carl Wulfert (Tenor) und Adolf Schultze (Baß) ausgeführt. Die beiden mitwirkenden Damen sind von früheren Wohlthätigkeits⸗Veranstaltungen her als tüchtige, wohlgeschulte und großen Anforderungen gewachsene Sanges⸗ kräfte bekannt. Frau Freudenberg besitzt einen hellen, empfindungs⸗ vollen Sopran, der bis in die höchsten Lagen hinauf kraftvoll und rein klingt. Frau Klee hat eine, geschmeidige Altstimme von etwas dunklem Timbre, aber warm, iegsam und aus⸗ drucksvoll. Der Tenor des Herrn Wulfert erschien für den mächtigen Raum trotz der guten Akustik nicht ausgiebig genug, aber der Sänger ersetzte den Mangel an Kraft durch Klarheit der Aussprache und der Betonung. Herr Schultze hat einen schönen und kraftvollen Baß, der in seiner Arie „Fac me plagis vulnerari“ zu bedeutender Wirkung gelangte. An zweiter Stelle wurde . S. Bach's „Actus tragicus“ gleichfalls würdig ausgeführt, obwohl hier der Chor nicht die wünschenswerthe Kraftfülle besaß und die Schwierigkeiten zwar überwand aber nicht bemeisterte. Die Solis wurden von den schon genannten künstlerischen Kräften mit Ausdauer und schönem Gelingen durchgeführt, wobei der Baß und der Alt mit seiner großen Arie „In deine Hände“ durch die Kra und Innigkeit des Vortrags hervorragten. Der orchestrale Theil wurde von dem durch Musiker des Königlichen Eisenbahn⸗Regiments Nr. G verstärkten neuen Orchesterverein discret und angemessen wieder⸗ gegeben. Das Concert des Königlichen Opernchors und der König⸗ lichen Kapelle, welches gestern unter Kapellmeister Wein⸗ gartner's Leitung stattfand, war ein des ernsten Tages würdiges und zugleich in musikalischer Beziehung sehr interessantes. Bach's „Suite“ in D-dur für Orchester eröffnete den Abend. Es folgte eine vom Königlichen Kammersänger Herrn Betz mit tief ergreifendem Ausdruck vorgetragene Arie aus „Josua“ von Händel. Herr Rummel (Klavier) spielte sodann das Es-dur-Concert von Beethoven mit gewandter Technik, jedoch vermißte man noch größeren 8 Schwung und tiefer eingehende Auffasf ung. Hauptnummer des Programms war das Requiem in C-moll von Cherubini, das, durch den Chor der Sing⸗Akademie bereits früher hier aufgeführt, gestern zum ersten Mal in den Räumen des Opernhauses zu Gehör gebracht wurde. Erreicht dieses Werk auch nicht die Größe Bach's, so sind doch manche Chöre von unvergänglicher Schönheit. Der Chor „Dies irae“, der, mit einem Tamtam⸗Schlag eingeleitet, leise zu singen beginnt, und das Gefühl der Angst ausdrückt: quantus tremor est futurus, ferner das lebendige, durch kunstvolle contrapunktische Arbeit hervor⸗ ragende „Domine rex gloriae“ und das ergreifende, sanft und melodiös gehaltene „Agnus Dei“ zum Schluß verfehlen nie den Eindruck des Feierlichen und Erhabenen. Die Ausführung war eine so musterhaft präcise und eindringliche, daß das schöne Werk zur vollen Geltung kam, und das Publikum sich zu öfteren Beifallsbezeigungen hingerissen fühlte.

Die hier bereits öfter gehörte Concertsängerin Fräulein Gertrud WT“ (Sopran) gab am Sonnabend im Saal Bechstein ein

Concert unter Mitwirkung der Großherzoglich mecklenburgischen Hof⸗ Pianistin Fräulein Elisabeth Jeppe. altitalienischen Arien von Carissimi, Caldara und Jomelli noch mehrere Lieder von Schumann, Brahms, Bungert und anderen vor, in denen ihre klangvolle, umfangreiche und gut geschulte Stimme, sowie ihre warm empfindende Ausdrucksweise vortrefflich zur Geltung kamen. Die Pianistin, deren künstlerische Leistungen gleich⸗ falls vortheilhaft bekannt sind, erfreute durch perlende Klarheit des Spiels, zarten Anschlag, sorgfältige Abstufungen vom Forte bis ins leiseste Piano hinein und durch gefühlvollen Vortrag sowohl der ernsten Variationen von Mendelssohn, als auch der munteren Stücke von Berger und Moszkowski. Beiden Künstlerinnen wurde reicher und wohlverdienter Beifall zu theil.

Am Dienstag fand in der ein Lieder⸗ Abend der Concertsängerin Fräulein Elisaberh Gerasch statt, die sich auf größeren Kunstreisen bereits einen guten Namen erworben hat, hier aber zum ersten Mal erschien. Mit umfangreicher, be⸗ sonders in der Höhe sehr klangvoller und in allen Lagen leicht ansprechender, klarer Stimme, deren Schulung sie der Frau Pionfefier Dreyschock verdankt, verbindet sie zugleich

Die Sängerin trug außer

eine verständniß⸗ und temperamentvolle Ausdrucksweise, die sie in Gesängen von Beethoven, Schubert, Brahms, Rubinstein und anderen, besonders aber in dem Liede von A. von Goldschmidt „Frage“, das wiederholt werden mußte, zur Geltung brachte. Der Königliche Kammer⸗ musiker A. Gülzow (Violine) trug eine Fuge von S. Bach allein und zwei Piècen von Chopin⸗Wilhelmy und Laub mit Begleitung vor. Abgesehen von einigen Schärfen des Bogenstrichs, die in den über alle vier Saiten zu greifenden Accordarpeggien kaum zu vermeiden sind, zeichnete sich das Spiel des Künstlers durch sehr sichere Technik und edle Ausdrucksweise aus. Sämmtliche Leistungen des Abends sowie die vortreffliche Klavierbegleitung des Herrn Dr. Reimann erwarben sich reichen und wohlverdienten Beifall.

Im Saal Bechstein ließ sich an demselben Tage der Bari⸗ tonist Herr R. Hoffmann zum ersten Mal hierselbst hören. In italienischer Schule gebildet, hat seine Stimme in der Tiefe und Mittellage einen besonderen Reiz des Wohlklangs, während es der Höhe an Kraft fehlt. Seine Ausdrucksweise ist eine sehr belebte, auch ist die Coloraturgewandheit bis auf das Mißlingen einiger Triller schon weit vorgeschritten. Unter der großen Zahl von Liedern wurden zwei von Grieg und Sommer S Verlangen wiederholt. Das Künstlerpaar Gustav Exner (Geige) und Ingeborg Exner (Klavier) erfreute noch durch einige vortreffliche Leistungen, und zwar ganz besonders in dem Vortrag eines Duos von Grieg.

Im Königlichen Opernhause beginnt morgen der Mozart⸗ Cyeclus mit „Idomeneus“ unter Kapellmeister Dr. Muck's Leitung. Es treten darin die Damen Leisinger, Kopka, Deppe, Hellmuth⸗Bräm, die Herren Sylva, Betz, Schmidt, Philipp, Fränkel auf. Frau Gisela Staudigl singt die Rolle des Idamantes als Gast. In dem vierten Symphonie⸗Concert der Königlichen Kapelle am 1. Dezember gelangt unter Kapellmeister Weingartner’s Leitung Hector Berlioz Symphonie H in Italien“ (Paganini gewidmet) zur Aufführung. ine Analyse zu dem selten gehörten Werk des französischen Meisters ist für 25 bei Bote und Bock verkäuf⸗ lich. Außerdem stehen die Ouverturen zu Schumann’'s „Genoveva“ und Weber's „Oberon“, sowie Beethoven’'s erste Symphonie in C-dur auf dem Programm.

Im Königlichen Schauspielhause wird morgen Shake⸗ speare's „Othello“ mit Herrn Ludwig in der Titelrolle gegeben.

Im Deutschen Theater spielen in dem Lustspiel „Der Weg zum Herzen“, welches am Sonnabend neueinstudirt in Scene geht, die Damen Petri die Martha Kern, Retty die Julie Neubauer, Wolff die Babette und Herr Senius den Paul Sanders. Die übrigen Rollen sind, wie bisher, in den Händen von Fräulein Frauendorfer sowie der Herren Engels, Kadelburg, Merten, Wessels und Retty.

Das Berliner Theater bringt morgen eine echeeeh von „Kabale und Liebe’. Am Sonnabend wird mit Agnes Sorma . und am Sonntag Abend das Schauspiel „Chic“ aufgeführt. Als nächste Novität ist Ernst Wichert’s Schauspiel „Aus eigenem Recht“ in Vorbereitung.

Eleonora Duse ist von dem leichten Influenza⸗Anfall, den sie durchzumachen hatte, nunmehr vollständig wieder genesen und hat bereits im Karl⸗Theater zu Wien ein erneutes Gastspiel eröffnet. Ihr erstes Wiederauftreten am Lessing⸗Theater ist für Sonn⸗ abend, 2. Dezember endgültig festgestellt.

Das Programm des Concerts, welches die Sängerinnen Fräulein Helene Neitzel (Sopran) und Fräulein Marie Albrecht (Alt)