1893 / 285 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 29 Nov 1893 18:00:01 GMT) scan diff

mehrstimmigen Sätze, die fast scho in jedem Ohr heimisch sind und sicher jedes Ohr und Herz erfreuen, thaten auch gestern wieder ihre Wirkung, obgleich man den gewagten Versuch ge⸗ macht hat, die wichtige Tenorpartie des Nanki⸗Poo der hellen Sopran⸗ stimme der Frau Ilka von Palmay anzuvertrauen. Es ist nicht u leugnen, daß mit dieser Veränderung der beabsichtigten Wirkung des Pon setzers Gewalt angethan wird; aber soweit ein solcher Versuch überhaupt gelingen kann, ist er gelungen. Die ganze Vorstellung war mehr auf das burleske und namentlich auf den derben Humor des Herrn Steinberger abgestimmt, als auf den feinsinnigen Geschmack und den gemüthvollen Frohsinn, die der Sullivan⸗ schen Musik ursprünglich eigen sind. Frau von Palmay spielte den Prinzen mit all ihrer natürlichen Anmuth und verlieh ihm das gewinnende liebenswürdige Wesen, das ihr auch sonst eigen ist, aber sie war natürlich nicht im Stande, in dem kost⸗ lichen Madrigal oder in dem schönen Maienliede ihre Stimme in einen Tenor zu verwandeln, und in allen solchen Fällen kam die musi⸗ kalische Wirkung etwas zu Schaden. Dafür entschädigte allerdings die flotte Spielweise, an der alle Mitwirkenden betheiligt waren, und der nie versiegende Humor des Herrn Steinberger als Koko. Sehr lobenswerth war auch die Leistung des Fräulein Jenny Broch, welche die Rolle der Bum⸗Yum gesanglich und schauspielerisch aufs beste zur Geltung brachte und in dem Duett mit dem Prinzen, sowie mit ihrem Sonnen⸗ und Mond⸗Liede schöne Wirkungen erzielte. Den Mikado gab Herr A. Matcheg sehr komisch auch die Damen Maria Bardi und Alwine König als Schwestern Bum⸗Bum's und Marie Grimm⸗Einödshöfer als Katisha verdienen anerkennende Erwähnung. Die Ausstattung der Operette verbreitete solchen Glanz, wie man es auf dieser Bühne gewöhnt ist.

Im Königlichen Opernhause werden morgen Leoncavallo's „Bajazzi“ mit Frau Herzog, den Herren Sylva, Bulß, Fränkel, Philipp unter Kapellmeister Sucher's Leitung, Ferdinand Hummel'’s Mara“ mit Frau Pierson, den Herren Sylva, Fränkel und der Balletelevin Cerigioli unter Kapellmeister Dr. Muck's Direction ge⸗ geben. Den Schluß bildet das Ballet „Die Puppenfee“. 3 Im Königlichen Schauspielhause gelangen morgen die Lustspiele „Vom landwirthschaftlichen Balle“, „Eingeschlossen“ und „Militärfromm“ zur Aufführung. 68 Eleonora Duse wird im Verlauf ihres gegenwärtigen Gastspiels am Lessing⸗Theater die Rolle der Marguérite Gautier in der „Cameliendame“ nur einmal zur Darstellung bringen, und zwar am Sonnabend dieser Weche. 1 Im V. Philharmonischen Concert, welches unter Leitung des Kammer⸗Musikdirectors Schuch am 11. Dezember stattfindet, gelangt als Novität Goldmark's noch ungedruckte symphonische Dichtung „Sappho“ zur Aufführung. Die Solistin des Abends, Frau Teresa d'Albert⸗Carreho wird Chopin'’s Clavierconcert in E-moll zu Gehör bringen. 1 Im Concerthause wird am nächsten Montag der Erk'sche Männergesangverein unter Leitung des Herrn Th. Hauptstein die „Bilder aus der Schweiz“ von W. Tschirch, einen Cyklus von zwölf Gesängen mit verbindender Declamation, zur Aufführung bringen. Mitwirken dabei die Königlichen Domsänger Herren W. Riete (Tenor) und G. Rolle (Baß), der Großherzoglich sächsische Hofschauspieler Herr E. Tschirch (Sohn des Componisten), das Herrmann'sche Zither⸗Quartett und die Meyder'sche Kapelle.

Das Raimund⸗Theater in Wien ist gestern mit der Vor⸗ tellung des Raimund'schen Dramas „Die gefesselte Phantasie’ feierlich röffnet worden. Die Vorstellung wurde mit großem Beifall auf⸗ enommen.

vom 29. November, setzt

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Regen. ³) Gestern Schnee und Regen. ⁶⁴) Schnee und Regen. Uebersicht der Witterung.

Ein tiefes Minimum unter 740 mm, südostwärts fortschreitend, liegt am Bottnischen Busen, während nördlich von Schottland eine neue Depression er⸗

schienen ist; am höchsten, über 775 mm, ist der Luftdruck über der Alpengegend. Im Küstengebiet wehen starke, im deutschen Binnenlande meist mäßige westliche Winde. In Central⸗Europa, Westrußland, sowie im größten Theile von Oester⸗ reich⸗Ungarn ist es erheblich wärmer geworden, so⸗ daß die Frostgrenze weit ostwärts zurückgedrängt ist. In Deutschland ist das Wetter warm und trübe, allenthalben ist Regen gefallen; an der Küste liegt die Temperatur 4 ½ bis 9, in Mitteldeutschland 4 bis 8, in Süddeutschland 1 bis 3 ½ Grad über dem Mittelwerthe.

Richard III.

als Gast.)

Sonnabend:

Theater⸗Anzeigen. Königliche Schauspiele. Donnerstag: Opern⸗ 250. Vorstellung. Baja⸗zi (Pagliazzi). in 2 Acten und einem Prolog. Musik

von R. Leoncavallo, deutsch Hartmann. In Sceue ge⸗

Donnerstag: 3 Aufzügen na

Herr Unger.

Mannigfaltiges.

Ueber eine am Sonntag, 26. d. M., aus Orleans für den Reichskanzler Grafen von Caprivi bier eingegangene gefährliche Sendung berichtet die „N. A. Z.“ in Folgendem: 1

„Unter den vielen Briefen, welche für den Herrn eag eingehen, befand sich am Sonntag ein Kästchen mit folgendem Be⸗ gleitschreiben:

Aeußere Adresse auf dem Couvert:

Prusse

““ ¹ Monsieur le Général de Caprivi. nancelier de l'Empire d'Allemagne Chancelier d'Allemagne

Orléans le 23. Novembre 189 A Monsieur le Général de Caprivi. 8 . Chancelier de l'Empire d'Allemagne. Jrai l'honneur de vous envoyer Monsieur le Général, un échantillon de Graines de Radis d'une espèce étonnante, que l'on sême au mois de Décembre pour en avoir le produit au mois de février, cette espèce ne Craind pas la Gelée.

Recevez Monsie le Général l'assurance de ma parfaite Considération 8 8 3 Orléans Rue de Boutlong No. 17

G. Dechanteau.

Als sich Major Ebmeyer nach Durchsicht dieser Zeilen anschickte, das Kästchen auf seinen Inhalt zu prüfen und zunächst den Deckel abheben wollte, fielen ihm schwarze Körner entgegen, welche er un⸗ schwer als Schießpulver feststellen konnte. Major Ebmevyer setzte sofort die Polizei von seinen Wahrnehmungen in Kenntniß, diese ließ den übersandten Gegenstand sorgfältig prüfen und constatirte, daß der Inhalt jenes ominösen Kästchens aus Sprengstoff bestand, welcher durch eine eigenartige Vorrichtung beim Oeffnen des Deckels zur Ent⸗ zündung gebracht werden sollte. 8

Dasselbe Blatt erfährt weiter, daß eine ganz gleiche Sen⸗ dung, ebenfalls aus Orleans, mit einem Begleitschreiben desselben Worklauts und Datums am vergangenen Sonntag unter der Adresse Seiner Majestät des Kaisers und Königs in Berlin ein⸗ getroffen und an das Geheime Civilcabinet abgegeben worden ist. Auch hier hat ein glücklicher Zufall rechtzeitig Argwohn erregt und die Wirkung der Explosionsmaschine vereitelt.“

Ueber die Construction der Explosions⸗Vorrichtung, die jetzt dem Polizei⸗Präsidium vorliegt, werden in der „Nordd. Allg. Ztg.“ noch folgende Angaben gemacht: Die äußere Hülle bildet ein Holzkasten, der genau die Form eines Dominokastens hat und auch mit einem Deckel versehen ist. An der einen schmalen Seite des Kastens liegt ziemlich am Boden eine mit Nitroglycerin gefüllte Messinghülse, die unten ein kleines Loch hat und vorn mit einem gewöhnlichen Zündhütchen versehen ist. Die Patrone war von losem Pulver umgeben. Dem Zündhütchen gegenüber ist in einer Holzführung ein hölzerner Bolzen angebracht, dessen Spitze mit einem Nagel versehen ist. Der Bolzen steht mit zwei Gummischnüren in Verbindung, die rechts und links von den Patronen an dem Holzkasten befestigt sind und das Bestreben haben, den Bolzen wie bei einer Arm⸗ brust vorzuschnellen und mit dem Nagel genau das zu treffen. Durch einen an der inneren Seite des Deckels befind⸗ lichen Ansatz wurde der Bolzen zurückgehalten und die Gummi⸗ schnüre gleichzeitig gespannt. Beim Abnehmen des Deckels sollte der Bolzen frei werden und durch die Kraft der Schnüre auf das

die Explosion des Sprengstoffs herbeiführen. Die Oeffnung der an den Reichskanzler gelangten Maschine wurde dadurch ungefährlich daß man sie in Wasser gesetzt hatte. Dadurch war einerseits dat ulver naß geworden, andererseits der Bolzen in seiner Führung so est eingequollen, daß er nicht vorschnellen konnte. Der Sprengstos ist dem chemischen Laboratorium übergeben worden.

Der Minister des Innern hat dem Vorstande der Kinderheilstätte zu Salzungen auf Grund Allerhöchster Ermächtigung unter dem 20. November die Erlaubniß ertheilt, zu einer ihm von der Herzoglich sachsen⸗meiningischen Regierung gestatteten öffentlichen Ausspielung von Gegenständen der Kunst, des Kunstgewerbes und der Industrie zum Besten der Anstalt auch im ganzen preußischen Staatsgebiete Loose zu vertreiben.

In der vergangenen Woche hat sich auch die Gruppe IV „Holz⸗Industrie“ der Berliner Gewerbe⸗Ausstellung 1896 constituirt. Vorsitzender der Gruppe ist Commerzien⸗Rath Albert

faff, stellvertretender Vorsitzender Herr Hermann Simon. In der ehr zahlreich besuchten Versammlung machte Commerzien⸗Rath Kühnemann eingehende Mittheilungen über das „Programm“ und die „Bestimmungen für Beschickung der Ausstellung“ und wies u. a. darauf hin, daß die etwa erzielten Ueberschüsse den Ausstellern nach Verhältniß der gezahlten Platzmiethe bis zur Hälfte dieser Zahlun zurückerstattet werden sollen. Der Rest des Ueberschusses soll na Beschluß des Gesammtvorstandes in der Hauptsache zu gemeinnützigen Zwecken verwandt werden; doch hat der Gesammtvorstand das Recht, einen Theil dieser Ueberschüsse noch den Ausstellern zuzuführen.

Zu gelegener Zeit bringt die Verlagsfirma John Henry Schwerin, Berlin, ein Werkchen in den Verkehr, das den Titel „Selbst⸗ anfertigung des Christbaumschmucks“ führt. Das Buch wird allen denen willkommen sein, die an der Hand von hunderten klar erläuterter Original⸗Abbildungen mit ganz geringen Kosten den Christbaumschmuck sich selbst anfertigen wollen. Da ein ähnliches praktisches Buch bisher nicht vorhanden war und die zur Darstellung gebrachten, selbst von Kindern leicht nachzuarbeitenden Gegenstände durch Neuheit und schöne Wirkung sich auszeichnen, so kann das zeitgemäße Werkchen, welches in jeder Buchhandlung für 75 käuflich ist, empfohlen werden.

Flensburg, 29. November. Gestern Nachmittag sind am hiesigen Hafen zwei Drittel der ganzen Mole und zugleich eine 4 m tiefe Straßenstrecke versunken. Dem „W. T. B.“ zufolge wurde die Molensenkung verursacht durch den plötzlich eingetretenen äußerst niedrigen Wasserstand, nachdem das letzte starke Hochwasser das Boll⸗ werk unterwaschen hatte. Die Senkung erstreckt sich auf etwa 120 m und beträgt zur Hälfte bis 4 m Tiefe. Auch von der Straße sind 5 m gesunken. Der verursachte Schaden ist noch nicht zu übersehen, da eine weitere Senkung befürchtet wird.

Wien, 28. November. Fhlcig demonstrativer Kundgebungen der Hörer des Professors der Medicin Schauta, welchem die Studirenden eine übergroße Strenge bei dem Pentamen rigorosum vorwerfen, sind, wie „W. T. B.“ meldet, die Vorlesungen des genannten Uni⸗ versitätslehrers bis auf weiteres sistirt worden. Heute wiederholten etwa 500 Studirende die Demonstrationen unter Johlen, “” und Pereatrufen. Der Assistent Schauta's mahnte vergeblich von den stsehfettungen ab und theilte schließlich mit, daß die Vorlesungen sistirt seien.

Caprivi, die Hollmann und Dr. Graf von Posadowsky, sowie der

vom Ober⸗Regisseur Kapellmeister Sucher. von Ferdinand Hummel.

Tetzlaff. Dirigent: Die Puppenfee. Pantomimisches Ballet⸗Diver⸗

cene gesetzt vom Balletmeister Emil Graeb. Dirigent: Nn

Schauspielhaus. wirthschaftlichen Balle. hl. In Scene gesetzt vom Ober⸗ Regisseur Max Grube. Eingeschlossen. Lustspiel in 1 Aufzug von Karl Niemann. jese vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Millitär⸗ Genrebild in 1 Aufzug von Gustav von Moser und Tilo von Trotha. vom Ober⸗Regisseur Max Grube.

Freitag: Opernhaus.

4. Symphonie⸗Abend der Königlichen Kapelle. Direction: Herr Dr. Karl Muck, Kgl. Kapellmeister. Anfang 7 ½ Uhr. eeea gehcne 1n 1 ußssug nah H. Hal Schauspiel in ufzug nach H. Hölty von L. Adler. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Hannele. Traumstück in 2 Theilen von Gerhart Hauptmann. 1 In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Anfang 7 Uhr.

Deutsches Theater. Cyelus. 8. Abend. Faust’s Tod. Anfang 7 Uhr.

Freitag: Kain. Die Mitschuldigen

Sonnabend: Der Talisman. 8

Sonntag: Der Weg zum Herzen. 8

Die Tageskasse ist von 10—1 Uhr geöffnet.

Berliner Theater.

Freitag: 14. Veilchenfresser. Sonnabend: Jenseits von Gut und Böse.

Lessing-Theater. Donnerstag: Der Andere. (Friedrich Mitterwurzer, als Gast.) Anfang 7 Uhr. Freitag: Der Andere.

dalle camelie.

Sonntag: Zum 1. Male: Mein neuer Hut.

Das Spiel mit dem Feuer. Nach dem Balle.

Ein schlimmer Handel. 15 Mitterxmärger 8 Sast. ö“

Für die ersten sieben Duse⸗Abende findet der Vor⸗

Deutsche Seewarte. täglich an der Vormittagskasse statt.

Friedrich-

ch einer Idee des Bieville von M. West und L. Held. Musik von Carl Zeller. Regie:

Anfang 7 Uhr

Zündhütchen stoßen.

Tetzlaff. Dirigent: Mara. Oper in 1 Act Text von Arxel Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Kapellmeister Dr. Muck. ßreiter und Gaul. Musik von J.

irector Steinmann. An⸗

145. Vorstellung. Vom land⸗ Lustspiel in 1 Aufzug

i,I Scene gesetzt

In Scene gesetzt Anfang 7 Uhr.

Keine Vorstellung.

146. Vorstellung. Das Buch

Musik von Max Mar⸗

Donnerstag: Goethe⸗

Donnerstag: König Abends 7 Uhr.

(Ludwig Barnay.) Der

Abonnements⸗Vorstellung.

(Friedrich Mitterwurzer, 1. Duse⸗Abend. La signora (Einmalige Aufführung.)

(In allen 4 Stücken

Wilhelmstüdtisches Theater. Chausseestraße 25.

Der Vogelhändler. Operette in

Dirigent: Herr Kapellmeister Feder⸗

Dieses sollte das Pulver entzünden und dann

Freitag: Der Vogelhändler. Sonnabend: Zum Benefiz für Herrn Sigmund Steiner. Die schöne Helena.

Residenz-Theater. Direction: Sigmund Lauten⸗ burg. Donnerstag: Zum 9. Male: Die Dragoner. Schwank in 3 Acten von Bossu und Delavigne. In Scene gesetzt von Sigmund Lautenburg. Vorher: Musotte. Ein Act von Guy de Maupassant. Deutsch von Emrich von Bucowiecz. In Scene ge⸗ setzt von Sigmund Lautenburg. Anfang 7 ½ Uhr.

Freitag und folg. Tage: Die Dragoner.

Neues Theater (am Schiffbauerdamm 42/5). Donnerstag: 63. Ensemble⸗Gastspiel des Residenz⸗ Theaters. Direction: Sigmund Lautenburg. Zum 83. Male: Jugend. Ein Liebesdrama in 3 Acten von Max Halbe. In Scene gesetzt von Sigmund Lautenburg. Anfang 7 ½ Uhr. 1 Freitag und folg. Tage: Jugend.

Victorin⸗-Theater. Belle⸗Alliancestraße 7/8.

Donnerstag, mit vollständig neuer Ausstattung an Decorationen, Costumen und Requisiten: Zum 32. Male: Die sieben Raben. Romantisches Zaubermärchen mit Gesang und großem Ballet.

nfang 7 ½ Uhr.

verene; Die sieben Raben. 8

onnabend, 3 ½ Uhr: Kinder⸗Vor⸗

stellung. Auf allgemeines Verlangen: Sneewittchen und die sieben Zwerge. Romantisch⸗komisches Kindermärchen in 9 Bildern.

Bedeutend ermäßigte Preise. 22.☚½

Theater Unter den Linden. Donnerstag: Gastspiel von Ilka von Palmay. Neu ein⸗ studirt: Zum 3. Male: Der Mikado. Burleske Operette in 2 Acten von V. S. Gilbert. Musik von Arthur Sullivan. (Nanki Pooh: Ilka von Palmay.) Hierauf: Pierro⸗Gavotte. Ballet⸗ Divertissement. Grand pas de deux, getanzt von der Prima Ballerina Sgra. Elia und dem Primo Ballerino Sgr. Poggiolesi. Anfang 7 ½ Uhr.

- Der Mikado.

onntag: Nachmittags 3 Uhr: Vorstellung zu halben Kassenpreisen. Die Gondoliere. Operette in F“ V. S. Gilbert. Musik von A. Sullivan. Ballet.

Adolph Ernst⸗Theater. Donnerstag: Zum 73. Male: Charley’s Tante. Schwank in 3 Acten von Brandon Thomas. Hierauf: Die Bajazzi. Herohistsche Posse mit Gesang in 1 Act von Ed.

acobson und Benno Jacobson. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr.

Freitag: Charley’s Tante. Die Bajazzi.

Central⸗Theater. Direction: Richard Schultz. Alte Jacobstraße Nr. 30.

Donnerstag: Z. 22. Male: Die eiserne Jung⸗ frau. 1,2ug mit Gesang in 3 Acten von Charles Flaifpi e. Musik von Louis Varney. Anfang

8 r.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Schuhe.

Freitag: Die eiserne Jungfrau.

Sonntag, Nachmittags⸗Vorstellung: Drei Paar

(Toni: Lrau Josefine Dora.) Tageskasse: Vormittags von 10 bis 2 Uhr. Abend⸗

kasse von 6 ½ Uhr ab.

Concerte.

u“ Philharmonie. Donnerstag, Concert von Jos. Joachim und Eng. d'Albert.

Concert-Haus, Leipzigerstraße 48. Donnerstag: Karl Meyder⸗Concert. Gesellschafts⸗Abend. Anfang 7 Uhr.

Circus Renz (Carlstraße). Donnerstag, Abends 7 ½ Uhr: Grande Soirée equestre. Be⸗ sonders hervorzuheben: „Blondel“, neu dressirt und vorgeführt vom Director Fr. Renz. Monstre⸗ Tableau von 60 Hengsten, neu dressirt und vorgeführt vom Director Fr. Renz. Die Springpferde „Par⸗ thenia“ und „Paria“, geritten von Fräul. Oceana Renz und Frau Renz⸗Starke. Grande Quadrille de la haute equitation. Die Post mit 12 Pferden, geritten von Herrn Gustav. Mr. Leo Renz, bester Jockeyreiter der Gegenwart. Auftreten der Reit⸗ künstlerinnen Mßi Edith und Rose ꝛc.

Zum Schluß der Vorstellung: Huldigungsgruß an Berlin. Großes Paradeschaustück mit Festspielen, Aufzügen, Solo⸗ und Ensembletänzen von 80 Damen, arrangirt vom Director Franz Renz.

Gewöhnliche Preise.

Billet⸗Vorverkauf an der Circuskasse und beim Invalidendank, Markgrafenstraße 51a.

Freitag: Große Vorstellung.

Familien⸗Nachrichten

Verlobt: Gräfin Freda⸗Marie zu Dohna⸗Schlodien

88 Hrn. Wilhelm Grafen von Rothenburg (Schlodien). Frl. Elisabeth Schweitzer mit Herrn Stabsarzt ÜUllrich (Beuthen O.⸗S.). Geboren: Ein Sohn: Hrn. Meliorations⸗ Bauinspector Hennings (Breslau). Eine Tochter: Hrn. Wirkl. Geh. Rath und Ober⸗ Hofmarschall Oskar Grafen von Wedel (Weimar). Gestorben: Hr. Rittergutsbesitzer Hermann von Schlemmer (Keimkallen). Hr. Major a. D. Oskar Tile von Kalm (Blankenburg) Hr. auptmann a. D. Georg von Kommerstaedt Zscheckwitz). Hr. Pastor om. Wilhelm Hari⸗

hausen (Naundorf bei Reideburg).

RNedacteur: Dr. H. Klee, Director. Berlin:

Verlag der Expedition (Scholz).

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Ver ane

Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 3

Sechs Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage).

18

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

285. Deutscher Reichstag. 8 7. Sitzung vom Dienstag, 28. November, 1 Uhr.

1 —. . . 8 68 Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Staatssecretäre Dr. von Boetticher,

Königlich preußische Finanz⸗Minister Dr. Miquel und der Königlich preußische Kriegs⸗Minister Bronsart von

Schellendor

Die erste Beekthun des Reichshaushalts⸗Etats für 894/95 wird fortgesetzt. Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath,

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Wie vorauszusehen war, hat die Generaldebatte um Etat auch schon zu eingehenden Betrachtungen über die Deckung

der Kosten der Militärvorlage und die zu diesem Behufe seitens der verbündeten Regierungen vorgeschlagenen Steuern geführt. Ich halte es für richtig meinestheils, so viel als möglich an den eigenen Be⸗ schluß des Reichstags mich zu halten und auf die Details der Steuer⸗ vorlage gegenwärtig noch nicht einzugehen. es schon in der gegenwärtigen Lage für nützlich, einige allgemeine Be⸗ trachtungen den verehrten Herren vorzutragen, um klar zu machen, aus welchen Erwägungen die verbündeten Regierungen als Deckungsmittel die vorliegenden Steuervorlagen Ihnen vorschlagen.

Nur halte ich allerdings

Meine Herren, es war ja vorauszusehen, daß die Deckung der

Ausgaben, um die es sich hier handelt, von einer Seite von vorne⸗

zerein auf eine directe Besteuerung seitens des Reichs verwiesen vürde. Diese Frage habe ich selbst als Abgeordneter bereits im

Jahre 1887 gegenüber dem damaligen Antrage der freisinnigen Partei wegen Einführung einer progressiven Einkommensteuer behandelt,

und ich bin damals schon genau zu denselben Conelusionen gekommen, die ich namens der verbündeten Regierungen Ihnen hier vorzutragen etzt mir gestatten werde. Meine Herren, ich lasse die Frage aus dem Spiel, ob das Reich formell rechtlich befugt ist, directe Steuern, namentlich Ein⸗

kommensteuern, zu erheben. Ich persönlich das ist aber nur eine

ersönliche Ansicht von mir bin der Meinung, daß ein staats⸗ rechtliches Hinderniß in dieser Hinsicht nicht vorhanden ist; aber ob staatsrechtliches Hinderniß oder nicht, die Besteuerung Deutsch⸗ lands seitens des Reichs in Form einer Einkommensteuer ist gegen⸗ wärtig nach meiner Meinung unzulässig und unausführbar. Sie auf die Lage des directen Steuersystems in den verschiedenen Bundesländern, so finden Sie, daß gegenwärtig allerdings die Mehr⸗ heit der Bundesstaaten directe Steuern in Form der Einkommensteuer erhebt, daß aber eine Reihe anderer Bundesstaaten Einkommen⸗ steuer überhaupt nicht kennt, und darunter sind sehr bedeutende größere Bundesstaaten, in denen das ganze directe Steuer⸗ ystem auf dem Princip der Realsteuern basirt. Folglich giebt es doch nur zwei Wege: Entweder muß eine solche direecte Reichsbesteuerung auftreten in Form der Zuschläge zu den Steuern der Einzelstaaten, das ist ausgeschlossen in denjenigen Bundesstaaten, in denen eine directe Besteuerung überhaupt in der Form der Einkommensteuer, der unmittelbaren procentualen Hebung von dem Einkommen nicht existirt. Sie würden also vorher diese Staaten zwingen müssen, wenn sie in Form von Zuschlägen die directe Steuer erheben wollen, auch ihrerseits zu diesem Behufe ihr gesammtes directes Steuersystem umzugestalten; Sie würden beispiels⸗

Sehen

8 weise den Staat Bayern, auch Württemberg und Mecklenburg und

andere deutsche Staaten zwingen müssen, lediglich wegen der Herstellung der Möglichkeit der Durchführung einer Reichs⸗Ein⸗ ommensteuer das ganze bestehende directe Steuersystem in diesen Staaten umzugestalten. Das wäre doch schon ein Eingriff in das nnere Wesen der Einzelstaaten, welcher sich mit der Gesammt⸗ stellung der Einzelstaaten zum Reich, mit dem Inhalt der Reichsverfassung, mit dem föderativen Staatssystem in Deutschland kaum vertrüge. Meine Herren, wollen Sie aber in denjenigen Staaten, n welchen Einkommensteuern bestehen, die Reichs⸗Einkommensteuer n Form von Zuschlägen erheben, so werden Sie auch da auf ab⸗ solute Unmöglichkeiten stoßen, wenn nicht vorher auch hier die ver⸗ schiedenen Einkommensteuersysteme gänzlich umgestaltet sind. Denn die in den verschiedenen deutschen Ländern bestehenden Einkommensteuer⸗ ormen sind innerlich vollständig verschieden, sowohl in Bezug auf die untere Grenze der Befreiungen, als auch die Stufen, als auch die Erleichterungen auf Grund der persönlichen Ver⸗ hältnisse, als auch die Maximal⸗ und Minimalsätze. Sie würden also hier den Zwang üben, eine vollständige Umgestaltung der directen Steuern in den Einzelstaaten herbeizuführen. Muny, meine Herren, noch unmöglicher aber ist, von dem Zuschlag⸗ spstem abzusehen und neben den bestehenden Einkommensteuern der Einzelstaaten eine Reichs⸗Einkommensteuer einzuführen. Wer soll diese Reichs⸗Einkommensteuer veranlagen? Wollen Sie denselben Behörden, die in den Einzelstaaten das Einkommen abschätzen für die Einzelstaatsbesteuerung, nun auch die Abschätzung des Einkommens behufs der Reichsbesteuerung überlassen, oder wollen Sie dazu über⸗ ehen, besondere Organe des Reichs einzusetzen, welche das wäre doch das einzig Rationelle in solchem Falle eine besondere selbständige Veranlagung der Reichs⸗Einkommensteuer durch⸗ führten? Wenn Sie das Reich mit solchen Organen ausstatten wollen, welche) so tief in die ganze Verwaltung und Verfassung der Einzelstaaten eingreifen, eine ganze Behördenorganisation zu diesem Zwecke herstellen, nicht bloß die ersten Veranlagungsorgane, sondern die Berufungsorgane, die Be⸗ schwerdeorgane einführen, was bleibt dann überhaupt noch von der Selbständigkeit der Einzelstaaten übrig? Meine Herren, die Einzel⸗ staaten, darüber kann doch kein Zweifel sein, haben nach der Reichs⸗

verfassung ihre besonderen staatlichen Aufgaben behalten; Justiz und

Verwaltung, Schule und Kirche, Landesmeliorationen u. s. w. ist Sache der Einzelstaaten geblieben. Welche Einnahmequellen sind nun den Einzelstaaten bisher gelassen, um diese Aufgaben zu erfüllen? Das

Diese Kopfsteuer kann nicht allein bleiben

Berlin, Mittwoch, den 29. November

staaten genommen, die directen Steuern sind ihnen geblieben. Soll das Reich auch noch diese Quelle aufsaugen, was bleibt dann schließ⸗ lich noch an Einnahmequellen für die Einzelstaaten übrig, um ihre verfassungsmäßigen und Culturaufgaben zu erfüllen? (Sehr richtig! rechts.) Hier, meine Herren, sind wir an der Grenze des deutschen Föderalismus. Welche Consequenzen das haben würde, wenn Sie in der Weise in die ganze innere Existenz der Einzelstaaten eingreifen, wie das gestern hier Herr Bebel vorgeschlagen hat, das brauche ich Ihnen garnicht weiter auseinander zu setzen, meine Herren, ich bin in dieser Beziehung Ihrer Zustimmung sicher.

Nun sagt man: unter allen Umständen ist es doch billiger und gerechter und namentlich weniger beschwerlich für die Mittelklassen, daß diese Ausgaben, die uns hier vorliegen, gedeckt werden nicht durch indirecte Steuern, sondern durch directe Steuern, durch die Einkommensteuer. Meine Herren, wer zahlt denn vor allem die Einkommensteuer? Gewiß auch die reichen Klassen, und wir haben in Preußen dafür gesorgt, daß sie in einer ganz anderen Weise heran⸗ gezogen werden, wie das früher der Fall war. (Sehr richtig! rechts; Widerspruch links.) Aber, meine Herren, 97 % aller Steuer⸗ pflichtigen in Preußen, welche zur Einkommensteuer veranlagt sind, liegen zwischen 900 bis 8500 Einkommen (hört, hört!); von einer ungeheuren Zahl der Reichen, auf die man gerne alles wälzen möchte, ist eben vor dem Richterstuhl der Zahlen leider nicht die Rede. (Sehr richtig! rechts.) 97 %o aller Steuerpflichtigen gehören hiernach zu den Mittelklassen. Das Schwergewicht der directen Steuern würde also auf diese Mittelklassen fallen. Nun sage ich, eine Zwangs⸗ steuer, wie sie jede directe Steuer ist, die jeder zahlen muß von dem Einkommen, das er hat ist sie nicht in vielen Fällen drückender als eine indirecte Steuer, die sich lediglich hält an ein Genußobject, von welchem man Gebrauch machen kann oder nicht Gebrauch machen kann? Wenn ein Familienvater mit einer großen Kinderzahl nicht raucht, aber doch steuern muß, trifft ihn das nicht viel härter, als wenn ein junger Mensch statt fünf, vier Cigarren in Zukunft rauchen würde? Es ist nicht richtig, meine Herren, zu be⸗ haupten, daß die Gesammtheit der Minderbegüterten schärfer unter allen Umständen herangezogen würde durch die indirecten Steuern als durch die directen Steuern. Es wird dies von den Umständen abhängen und von der Art der Steuern, um welche es sich handelt.

Der Wein, meine Herren, ist in dem größten Theile von Deutsch⸗ land, man kann vielleicht sagen, in vier Fünfteln von Deutsch⸗ land, ein Genußartikel der wohlhabenden Klassen. Durch seine Heran⸗ ziehung wird der Consum der minder Bemittelten verhältnißmäßig weniger betroffen, als durch eine schärfere Heranziehung der Ein⸗ kommensteuer.

Meine Herren, wenn wir so angewiesen sind auf das Gebiet der indirecten Steuern, wenn wir uns sagen mußten, daß wenigstens in der gegenwärtigen Lage von aller Vorliebe und Abneigung von directer Besteuerung abgesehen werden muß, daß praktisch die Hilfe der directen Besteuerung nicht gangbar ist, schon weil dafür nie eine Majorität im Bundesrath zu erzielen gewesen wäre, wenn wir die inneren Gründe, die aus der Gesammtconstruction des deutschen Staatswesens hervorgehen, anerkennen mußten, wenn wir also von vornherein gewiesen waren auf das Gebiet der indirecten Besteuerung: dann behaupte ich, meine Herren, es wird Ihnen schwer fallen, eine indirecte Steuer zu finden, welche sorgfältiger das Wort des Herrn Reichskanzlers wahrmachen könnte und wahrmachen sollte, möglichst wenig die unbemittelten Klassen, die schwächsten Schultern heran⸗ zuziehen. (Zuruf.) Meine Herren, eben wird mir zugerufen: „Die Biersteuer!“ Ja, meine Herren, die Haltung des Reichstags hat doch in der vorigen Session deutlich genug zu erkennen gegeben, daß eine Mehrheit für die Biersteuer überhaupt nicht vorhanden war, und ich glaube, der Herr Reichskanzler, indem er dies constatirte, hat nichts weiter gethan, als festgestellt, daß nach der Stimmung der Mehrheit des Reichs⸗ tags dieser Weg nicht gangbar war. Wenn der Branntwein schon mit 200 % seines Werths besteuert, das Bier in einem erheblichen Theile Deutschlands scharf besteuert wird, vergeblich bisher der Ver⸗ such gemacht ist, das Bier in der norddeutschen Braugemeinschaft schärfer heranzuziehen, ja, meine Herren, dann liegt doch der Ge⸗ danke sehr nahe, nun auch den Wein nicht ganz frei zu lassen, der doch einen Consumartikel der wohlhabenderen Klassen darstellt. Meine Herren, der Wein ist besonders privilegirt worden in Deutschland. Wir haben den Zoll mehrfach herabgesetzt, wir haben den Com⸗ munen im größten Theile Deutschlands die Besteuerung des Weins verboten; wir haben von Reichswegen bisher den Wein überhaupt nicht besteuert um so näher lag es, diese Frage dem Reichstag vorzulegen. Es macht sich ja allgemein die Stimmung im Reichstag geltend, daß man Objecte besteuern sollte, die vorzugsweise den Genuß der wohlhabenderen Klassen darstellen.

Meine Herren, eine andere Frage ist auch in Erwägung ge⸗ kommen und wird hier vielleicht noch mehrfach berührt werden: die Frage der Einführung einer Wehrsteuer. Gewiß, meine Herren, auf den ersten Blick muß man sagen: Diese Steuer hat ein sehr sympathisches Gesicht. Es ist ein natürliches Gefühl, daß man sagt: Wenn der Eine dienen muß, Zeit, Gesundheit, Leben dem Staat preisgeben muß, so ist es wenigstens gerecht, daß diejenigen, die auf Grund kleiner Fehler vielleicht von dieser Dienstpflicht befreit werden, dafür dem Staat eine Entschädigung in Geld geben. Diese Erwägungen haben ja auch in Frankreich, in Italien, in der Schweiz zu dieser Steuer geführt. Nun, ich bin dieser Frage sehr genau nachgegangen. Was auf den ersten Blick richtig und ausführbar erscheint, bei genauerer Erwägung muß man vor der Schwierigkeit und vor den Bedenken stehen bleiben. Leichter sind diese Dinge in Volksversammlungen zu behandeln, als in der Commission des Reichstags. Wir haben eine besondere Vorlage gehabt, und nach meiner Meinung beruht diese, ich glaube im Jahre 1888 vorgelegte Vorlage auf den richtigen Grundsätzen. Sie ging davon aus, eine Kopfsteuer zu erheben für jeden Befreiten, und zwar von 4 Man sagte dann aber weiter: sie muß ergänzt werden

1893.

nach den Mitteln, die der betreffende Wehrpflichtige entweder selbst zur Disposition hat oder über die demnächst noch seine Eltern verfügen können. Man stellte also neben diese Kopfsteuer einen Zuschlag zur Einkommensteuer, bemessen nach der Hälfte des Vermögens der Eltern. Nun, meine Herren, hier kommen wir genau wieder auf dieselbe Frage, die ich Ihnen vorher vorgelegt habe in Bezug auf die Einkommmensteuer. Es würden diejenigen Staaten, welche keine Einkommensteuer haben, lediglich wegen dieser Wehrsteuer, was noch irrationeller wäre, als wegen Durchführung einer Reichs⸗ steuer, eine besondere Einkommensteuer veranlagen müssen mit allem dem kolossalen Apparat, der damit verbunden ist. Wie würde sich nun, wenn das geschehen wäre, die Sache in der Praxis stellen? Wir wollen doch volle Gerechtigkeit haben. Die Eltern sollten 3 % von der Hälfte ihres Einkommens geben. Das wäre an sich schon wieder eine Art Kopfsteuer, weil sie gar nicht unterschied nach der verschiedenen Höhe des Vermögens der betreffenden Eltern. Aber wie verschieden ist nun die Lage der Eltern! Eltern, von denen vielleicht ein Sohn thatsächlich dient und der andere frei⸗ kommt, sind doch in einer ganz anderen Lage wie Eltern, deren einziger Sohn freigekommen ist, oder wie Eltern, von denen sogar mehrere Söhne freigekommen sind. Die ersten haben in der Regel dem dienenden Sohne noch zuzuschießen, sie müssen ihn unterstützen, auch während seiner Dienstzeit, die anderen werden davon nicht be⸗ troffen. Aber, noch weiter! Worauf beruht denn die ganze Steuer? Auf der Voraussetzung, daß der freigekommene Wehr⸗ pflichtige im großen und ganzen noch wehrpflichtig ist. Man denkt sich: der Mann ist wegen kleiner Fehler freigekommen, er paßt nicht für die Armee, im übrigen t aber völlig arbeitsfähig. Jetzt denken Sie sich einmal die Scala durch der vollen Arbeitsfähigkeit und all der verschiedenen Grade der verminderten Arbeitsfähigkeit: Einen Hinkenden, wer nicht recht reden kann, wer ein mangelhaftes Gesicht hat, den können Sie doch keineswegs mit einem vergleichen, der bloß Plattfüße hat. Wenn Sie also in allen Fällen gleiche Steuern erheben, so begehen Sie die größte Ungerechtigkeit. Das fühlt man in einem Einheitsstaat, wo die Hindernisse, die wir in einem Föderativstaat haben, nicht in dem Maße empfunden werden, sehr wohl. Alle unsere Erkundigungen haben dahin geführt, daß man auch dort die Wehr⸗ steuer als ein mangelhaftes Institut betrachtet, was namentlich in diesen Ländern eingeführt worden ist, um den Widerstand gegen die all⸗ gemeine Wehrpflicht, wie er sich in der ersten Zeit bei der Einfüh⸗ rung aussprach, möglichst zu vermindern. Also, meine Herren, ich glaube, auch von der sogenannten Wehrsteuer, wenn Sie der Sache näher nachgehen, werden Sie abzusehen gezwungen sein. Es bleibt immer nichts weiter übrig als die Deckung der Ausgaben in der vor⸗ geschlagenen Weise, der Ausgaben der Gesammtheit, die beschlossen sind, um die Sicherheit, Unabhängigkeit und Ehre Deutschlands zu ver⸗ bürgen, die also naturgemäß nicht auf die einzelnen Staaten abgewälzt werden können. Um diese Kosten zu decken, bleibt für uns in der

gegenwärtigen Lage gegenüber der Construction unseres deutschen Staats⸗ wesens nichts Anderes übrig, als die Deckung durch indirecte Steuern. (Hört, hört! bei den Socialdemokraten.) Ja! Hört, hört! Nun, ich werde abwarten, welch praktischen Weg zu einem anderen Ziel zu kommen, die Herren mir zeigen werden. Man hat auch von der Erbschaftssteuer gesprochen. Ich habe versucht, in Preußen ein, ich möchte sagen: kleines Zipfelchen einer Erbschaftssteuer einzuführen, wesentlich zum Zweck der Controle, der richtigen Veranlagung der Einkommensteuer. Ich wollte nur ½ % von den Descendenten, Ascendenten und Ehegatten nehmen, und was geschah? Ein fast einstimmiger Widerstand trat dieser Regierungsvorlage entgegen, so daß ich mich sehr bald überzeugte: mit der Erbschaftssteuer ist nicht durchzukommen.

Meine Herren, was war nun der Hauptgrund? Vor allen Dingen das mehr oder weniger bewußte oder unbewußte Gefühl, daß das Eigenthum in Deutschland, die Nachlassenschaft, noch nicht ein individueller Besitz des einzelnen Inhabers, des Erblassers, sei, daß eine Beerbung in dem Sinne des Römischen Rechts eigentlich gar nicht stattfinde, wenn der Sohn dem Vater substituirt werde, daß er nur die Disposition über das bekomme, auf was er schon vorher einen natürlichen, aus der Rechtsgeschichte Deutschlands hervor⸗ gehenden Anspruch hat. Diesen Vorfall nun zu besteuern, ihn in einer ähnlichen Art zu besteuern, als wenn es sich um Entfernt⸗Verwandte handelt, das stieß auf das Widerstreben ich kann sagen fast des gesammten Abgeordnetenhauses.

Aber das war nicht der einzige Grund, sondern es kam ein anderer dazu, der nach meiner Meinung allerdings gegen die damalige Vorlage nicht mit vollem Recht geltend gemacht werden konnte, wohl aber gegen die späteren Versuche, die Erbschaftssteuer an die Stelle der jetzt einzuführenden preußischen Vermögenssteuer zu setzen, mit Recht geltend gemacht werden konnte. Der Grund bestand in Folgen⸗ dem: Wenn die Erbschaftssteuer hoch ist, wenn sie Descendenten, Ascendenten und Ehegatten trifft, und um eine solche Steuer könnte es sich bei der Reichsbesteuerung nur handeln, da die Erbschaftssteuer bezüglich der Seitenverwandten bereits in allen deutschen Staaten be⸗ steht ich sage, wenn diese Steuer hoch ist, so ist sie nach den deutschen Verhältnissen eine der drückendsten Steuern, die ich kenne. (Sehr richtig! rechts.) Das ist ein scharfes Wort, das ich ausspreche, und ich bin überzeugt, es könnte demnächst wieder einmal gegen mich gebraucht werden; nichtsdestoweniger spreche ich es mit vollem Be⸗ wußtsein aus.

Meine Herren, die Erbschaftssteuer beruht auf dem Grund⸗ gedanken, daß die Lage des Erben besser wird, wenn er die Erbschaft antritt, daß seine materiellen Verhältnisse sich günstiger gestalten, daß ihm ein Vermögen, ein Gewinn in den Schooß fällt, auf welches er nicht gerechnet hat oder keinen Anspruch hat. Nun behaupte ich; in mindestens 80 % ich glaube, ich würde nicht zu viel sagen, wenn ich sage: 90 % aller Erbfälle in Deutschland wird die Lage der Kinder schlechter, wenn sie die Eltern verlieren. (Sehr richtig! rechts.) Die Summe der Fälle, wo die Kinder lediglich vom Ver⸗