1893 / 295 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 11 Dec 1893 18:00:01 GMT) scan diff

beträgt; bei Erlaß des Gesetzes und bei Berechnung der in das⸗ selbe eingestellten Beitragssätze hatten wir dagegen eine volle Mark für die Kosten der Verwaltung in Ansatz gebracht. Wenn ich die Verwaltungskosten in Verhältniß setze zu den Prämien in Verhältniß zu den Renten kann ich sie nicht setzen, das gäbe ein ganz falsches Bild (sehr richtig!), denn die Renten sind naturgemäß in den ersten Jahren noch gering, steigen aber von Jahr zu Jahr —, stellt sich die Belastung der Anstalten durch die Verwaltungskosten auf 4,17 % der Beiträge. Wenn ich damit wiederum in Vergleich

telle die Verwaltungskosten, welche diejenigen Privatgesellschaften, die

in einigermaßen verwandtes Gebiet pflegen, nämlich die Lebens⸗ versicherungsanstalten, im Durchschnitt erfordern, so ist es ganz auf⸗ fallend, wie niedrig sich diese Aufwendung bei uns stellt gegenüber den

Lebensversicherungsanstalten. 1

8 Also, meine Herren, so sehr auch die Thatsache ausgebeutet

werden kann, daß gegenüber der augenblicklichen Höhe der Renten⸗

aufwendung die Verwaltungskosten verhältnißmäßig hoch sind, so haben wir, glaube ich, doch keinen Anlaß, uns im allgemeinen darüber zu beklagen, daß die Organisation eine zu theure wäre. Ich habe schon soeben daran erinnert, daß man die Ausgabe an Renten nicht

Beziehung setzen kann zu den Verwaltungskosten. Denn wir haben, obwohl wir schon 200 000 Altersrenten und annähernd 50 000 Inva⸗ lidenrenten zahlbar gemacht haben, in den ersten Jahren der Thätig⸗ keit der Anstalten naturgemäß doch nur eine geringe Anzahl von

Renten gegenüber der späteren Anzahl, welche vorhanden sein

wird, wenn wir erst in dem Beharrungsverhältnisse uns

befinden. Außerdem sind die einzelnen Renten, die gegenwärtig zu zahlen sind, auch ihrem Betrage nach verhältnißmäßig noch gering; die Höhe der Einzelrenten steigt von Jahr zu Jahr nach Maßgabe der Länge der Arbeitsdauer und der während derselben entrichteten

Beiträge. Endlich sind nach den vom Reichstage in das Gesetz ein⸗

gestellten Vorschriften in den folgenden Jahren auch Rückzahlungen

an Beiträgen für solche Personen zu gewärtigen, hinsichtlich deren die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Es würde also sehr voreilig sein, wenn man aus der gegen⸗ wärtigen Höhe der Kapitalreserve, deren der Herr Vorredner auch gedacht hat, den Schluß ziehen wollte, daß es zulässig sei, nun schon zu einer Ermäßigung der Prämien überzugehen. Den Eindruck haben wir freilich, daß wir sehr vorsichtig gerechnet haben, indem wir die Prämiensätze so, wie es geschehen ist, fixirt haben. Aber ich würde nicht dazu rathen können, an diesen Prämiensätzen irgend etwas zu ändern, bevorenicht eine längere Erfahrung vorliegt und bevor sich nicht mit einiger Sicherheit überblicken läßt, in welchem Maße die Rentenlast der einzelnen Ver⸗ sicherungsanstalten steigen wird.

Der Herr Abg. Aichbichler hat sodann gemeint, die gegenwärtige Organisation sei keine günstige; es würde besser sein, wenn man die Versicherungspflichtigen nach dem Muster der Knappschaftskassen in verschiedene Gruppen zusammengefaßt hätte. Ja, meine Herren, ich glaube kaum, daß das besser sein würde. Einmal ist, wie bei jeder Versicherungsanstalt, die Belastung für die einzelnen Versicherten um so günstiger, je größer der Kreis von Theilnehmern ist; zweitens aber möchte ich glauben, daß auch hinsichtlich des Geschäftsumfangs ein viel ungünstigerer Zustand sich herausstellen würde, wenn man an Stelle der doch jetzt über ein großes Territorium in Preußen über eine ganze Provinz sich verbreitenden und deshalb wenig zahlreichen Versicherungsanstalten eine große Anzahl kleinerer Verbände gemacht und denen nun das Versicherungsgeschäft überlassen hätte. Ein Beispiel, aus dem sich ergiebt, daß die Beamten⸗ zahl, von der der Herr Abg. von Staudy gesprochen hat, im Ver⸗ hältniß zu anderen ähnlichen Unternehmungen und Anstalten gar nicht eine so überaus große ist, entnehme ich aus den Verhältnissen des preußischen Beamtenvereins, derjenigen deutschen Lebensversicherungs⸗ anstalt, welche am billigsten verwaltet ist. Dort mögen nach den uns vorliegenden Berichten etwa 20 Beamte auf etwa 30 000 Policen, also auf einen Beamten annähernd 1500 Policen kommen; wenn man aber die sich aus den Berichten unserer Versicherungsanstalten ergebende Zahl der Anstaltsbeamten in Verhältniß setzt zu der Zahl der Versicherten, so kommen hier auf einen Beamten sogar 11 000 Policen. Also, meine Herren, auch diese Klage erschüttert mich nicht. Ich glaube kaum, daß wir eine andere Organisation als die gewählte ent⸗ decken werden, die dazu führt, daß die Verwaltungskosten geringer werden.

Dazu überzugehen, wie es der Herr Abg. Aichbichler vorschlug, daß man nun aus dieser Zwangsversicherung eine freiwillige Ver⸗ sicherung herstellt und daß man’ die Versicherungsanstalten nur rück⸗ sichtlich derjenigen Versicherten weiter fungiren läßt, welche freiwillig dabei bleiben, während denen, die von einer Versicherung nichts wissen wollen, die Hälfte ihrer Prämien erstattet wird, möchte ich ebenfalls nicht empfehlen. Das, meine Herren, wäre das Verlassen eines Grundgedankens des Gesetzes, über den da⸗ mals, als das Gesetz gemacht wurde, eigentlich alle Theilnehmer ein⸗ verstanden waren. Man hat zwar damals den Vorschlag gemacht und mit Wärme vertreten, daß man die Versicherungspflicht vorläufig noch nicht ausdehnen möge auf alle Klassen der arbeitenden Bevölkerung, daß man sich beschränkeu möge auf diejenigen Klassen, die bereits von der Unfallversicherung erfaßt worden sind; aber eine freiwillige Ver⸗ sicherung zu constituiren, daran hat damals niemand gedacht. Denn man sagte sich naturgemäß: dazu ist kein Bedürfniß vorhanden. Wer für die Tage seines Alters freiwillig sorgen will, der hat schon jetzt mehr als eine Gelegenheit dazu, und was wir erstreben, ist ja gerade das: wir wollen den Arbeiter thunlichst der Armenpflege entziehen und ihn deshalb dazu nöthigen, für die Zeit seines Alters und seiner In⸗

validität zu sorgen. *

So könnte ich noch einige andere Punkte besprechen; aber ich

fürchte zu lang zu werden und möchte nur noch einmal betonen, daß

die verbündeten Regierungen bereit sind, die wirklich bestehenden und als solche anzuerkennenden Mängel des Gesetzes zu beseitigen, daß sie auch in eine Prüfung derjenigen Bemerkungen eintreten werden, welche heute gemacht sind, und daß sie sich auch ferner die Frage vorlegen werden, die sie schon bisher beständig beschäftigt hat, die Frage nämlich, ob man wirklich ohne ein gefährliches Verlassen der Grundlagen des Gesetzes zu einem andern System übergehen kann, welches die beklagten Uebelstände beseitigt oder mildert.

1 Der Antrag des Herrn Abg. Aichbichler bezieht sich nun auch auf ie Unfallversicherung. Da kann ich dem Herrn Abgeordneten sagen, der Entwurf desjenigen Gesetzes, welches sich auf die Erweiterung Afallversicherung auf die bisher von derselben noch nicht erfaßten

bezieht die ma ür versicherungs dig

8

1

fertig vorliegt. Ein zweiter Gesetzentwurf, welcher sich damit be⸗ schäftigt, die Mängel unserer bisherigen Unfallversicherung zu be⸗ seitigen, ist ebenfalls fertiggestellt worden. Es wird über diese beiden Gesetzentwürfe augenblicklich noch correspondirt mit einzelnen Stellen, von denen man eine Auskunft über die Auf⸗ nahme zu haben wünscht, welche die in diesem Gesetzentwurf ent⸗ haltenen Vorschläge finden werden. Diese Correspondenz ist noch nicht abgeschlossen. Ich hoffe aber und fürchte nicht, zu viel zu sagen, wenn ich es ausspreche, daß alle Aussicht vorhanden ist, daß noch diesem Reichstag die beiden Gesetzentwürfe werden vorgelegt werden.

Ob Sie hiernach den Antrag des Herrn Abg. Aichbichler an⸗ nehmen wollen oder den Antrag des Herrn Abg. von Staudy, habe ich anheimzustellen. Bei dem Antrag des Herrn Abg. Aichbichler habe ich aber noch ein Bedenken, welches vielleicht zu einer Aenderung desselben Anlaß geben möchte. Er erstrebt eine Enquôõte über das Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetz, und zwar strebt er sie an nach der Richtung, inwieweit eine Abänderung des Gesetzes, ins⸗ besondere in Bezug auf Ausdehnung und Organisation der Ver⸗ sicherung, erforderlich erscheine. Nun kann man eigentlich bloß That⸗ sachen erheben. Von Thatsachen ist hier aber nicht die Rede, sondern es soll hier ein Urtheil erhoben, oder vielmehr ich glaube den Herrn Abgeordneten nicht mißverstanden zu haben vorbereitet werden; man soll in Erörterung darüber eintreten, inwieweit die Ab⸗ änderung der Organisation sich empfiehlt. Der Herr Abgeordnete bestätigt mir das. Was man erheben kann auf diesem Gebiet, das besitzen wir bereits in reichem Maße. Wir haben die Jahresüber⸗ sichten der Verwaltungen der Versicherungsanstalten, wir haben die Berichte des Reichs⸗Versicherungsamts, und ich wüßte kaum, auf welche thatsächlichen Erhebungen wir weiter noch unser Augenmerk richten sollen. Ich kann mich also für diesen Antrag in forma pro- ducta nicht erwärmen, wenngleich ich auch dem gegenüber verspreche, daß die verbündeten Regierungen praestanda prästiren werden, sofern es sich dabei um die Prüfung handelt, inwieweit das Gesetz abänderungsbedürftig sei. (Bravo! rechts.)

Königlich bayerischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Ministerial⸗ Rath von Landmann: Meine Herren, der Abg. Aichbichler hat in seinen Ausführungen unter anderem die Frage aufgeworfen, warum die der bayerischen Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsanstalten verhältnißmäßig niedriger sind als diejenigen der übrigen Versicherungsanstalten. Die Mitglieder des Hauses, welche die Zusammenstellung der Rechnungsergebnisse der Inbaliditäts⸗ und Altersversicherungsanstalten vom Jahre 1892 in Händen haben, werden daraus entnommen haben, daß die Angabe des Abg. Aichbichler in Bezug auf die niedrigen Verwaltungskosten der bayerischen Ver⸗ sicherungsanstalten richtig ist. Diese Kosten betragen nur zwischen

7 und 25 pro Kopf, während im ganzen Reich die Durchschnitts⸗ kosten sich auf 40 bzw. 49 auf den Kopf der Versicherten stellen. Ich glaube, die Erklärung dieser Thatsache gerade in der von dem Abg. Aichbichler beanstandeten Organisation der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung suchen zu dürfen. Die Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsanstalten sind so organisirt, daß sie in Bayern an bestehende Einrichtungen angeschlossen werden konnten; sie sind ver⸗ bunden mit der Organisation der Provinzialbehörden, der Kreis⸗ regierungen. Infolge dessen sind die Verwaltungskosten in Bayern verhältnißmäßig niedriger, und diejenigen Mitglieder des hohen Hauses, welche schon damals, als das Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsgesetz erlassen wurde, demselben angehörten, werden sich erinnern, daß von einzelnen Seiten gerade darüber Klage erhoben wurde, daß bei der Gestaltung des Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsgesetzes der bayerische Einfluß ein so überwiegender gewesen sei und daß man das Gesetz in Bezug auf seine Organi⸗ sation speciell den bayerischen Wünschen angepaßt habe. Ich war des⸗ halb, Sie werden mir das nicht verübeln, etwas erstaunt darüber, daß gerade von Seiten eines bayerischen Abgeordneten über die Organisation der Anstalten Klage erhoben wurde. Noch auffallender war mir, daß der Abg. Aichbichler vorschlug, die Organisation derjenigen der Knappschafts⸗Pensionskassen anzupassen. Wenn ich den Spuren dieses Vorschlages nachgehe, so komme ich auf ein anderes Centrumsmitglied, das seiner Zeit bei der Berathung des Invaliditäts⸗ und Altersversicherungs⸗ gesetzes diesen Vorschlag, nämlich die berufsgenossenschaftliche Organi⸗ sation der Invaliditäts⸗ und Altersversicherung, warm befürwortete. Der Abg. Aichbichler wird zugestehen, daß dieser Vorschlag nicht auf altbayerischem, sondern auf rheinischem Boden und von ihm adoptirt worden ist, und wenn er sich denselben näher überlegt, wird er wahrscheinlich auch zu der Ueberzeugung kommen, daß der⸗ selbe nicht zweckmäßig und nicht durchführbar ist, daß gerade hier⸗ durch die Kosten der Versicherung bedeutend steigen würden. Indeß habe ich aus den späteren Ausführungen des Abg. Aichbichler entnommen, daß das, was er beklagt, eigentlich nicht die Organisation ist, sondern daß es die Kosten sind. Seine Vorliebe für die Knappschaftsorganisation ist eine rein platonische; denn was er eigentlich will, das ist, um es kurz zu sagen, das Ausscheiden der Landwirthschaft aus der obligatorischen Alters⸗ und Invaliditätsversicherung. Ich gieäthe den Abg. Aichbichler darin anz richtig verstanden zu haben. Nun, man konnte ja darüber 8 hacen ob es nothwendig war, die Invaliditäts⸗ und Altersver⸗ sicherung auszudehnen auf die Landwirthschaft, und es hatten damals sowohl im Reichstag wie auch bei den vorhergehenden Bundesraths⸗ verhandlungen die Meinungen darüber sich verschieden gestaltet; allein jetzt, nachdem die Sache durchgeführt ist, das Princip des Gesetzes wieder zu ändern, die Grundlage des Gesetzes aufzugeben, ob das zweckmäßig ist, ist doch eine andere Frage. Welche Bedenken dem entgegenstehen, hat der Staatssecretär Dr. v. Boetticher bereits aus⸗ geführt; eine Erklärung namens der bayerischen Regierung hierüber abzugeben, bin ich allerdings nicht im stande; die bayerische Regierung vear noch garnicht in der Lage, sich mit dieser principiellen Frage zu efassen.

Abg. Dr. Sigl (b. k. F): Der Staatssecretär hat auch dem Reichstag einen Theil der Vaterschaft an diesem Gesetz belassen; er hat ferner zugegeben, daß Mängel an dem Kindlein sind. Diese Mängel sind so groß, daß der ganze Reichstag sie zu beseitigen wünschen muß. Eine Probe mit einem anderweitigen System wird wohl kaum jemand in diesem Hause wünschen, denn das Gesetz hat sich eben als ganz verfehlt erwiesen. Der Staatssecretär fordert uns auf, an die Zukunft zu denken; das thun wir ja gerade, wir denken auch daran, daß dieses Geset dem Volk Ausgaben auferlegen wird, daß uns die Haare zu Berge stehen werden. Der Centrumsantrag hat dem Staats⸗ secretär nicht sonderlich gefallen; mir gefällt er auch nicht. Der Antrag ist offenbar von einem bayerischen Abgeordneten gekommen, der ihn viel kräftiger gemeint hat. Der Abg. Aichbichler will, daß das Gesetz in der gegenwärtigen Form fallen soll, zum allermindesten für die landwirthschaftliche Bevölkerung aufgehoben oder doch ganz bedeutend abgeändert wird. Das wünschen in Bayern nicht nur meine Wähler, sondern alle Centrumsleute überhaupt. Weder die Arbeitgeber, noch die Arbeitnehmer können sich bei uns für das Gesetz im geringsten erwärmen. Wenn der Staatssecretär Dr. von Boetticher meint, man habe die Arbeiter der Armenpflege entziehen und sie nöthigen wollen, für ihr Alter selbst zu sorgen, so mag das für die Indirstoirarbeihre zutreffen, bei den ländlichen Arbeitern trifft es schwerlich zu, jedenfalls hat man nicht die geringste Lust, auf diesem Wege dieses Verlangen weiter zu erfüllen. Wenn in die Reservefonds lübt schon 150 Millionen Mark zurückgelegt sind, so wird das Geld den Ar⸗ beitern und Arbeitgebern aus der Tasche gezogen und diese Mil⸗ lionen thun dem Lande sehr weh; daher der Jammer und die Sorge um das Gesetz, von welchem mit Recht gesagt wird, es sei das verhaßteste Gesetz. Es hat einen wahren Sturm der Entrüstung

bei den letzten Wahlen hervorgerufen und war entscheidend; in allen Wahlversammlungen wurden wir immer interpellirt: Wie stehen Sie zum Wapperlgesetz? Das Gesetz muß aufgehoben oder wenigstenz so geändert werden, daß die Lasten sich erheblich vermindern. Die sämmtlichen Aristokraten des Centrums sind verschwunden, sie sind ge⸗ fallen als Opfer des Wapperlgesetzes. Wenn das Centrum seine Sitze behaupten will, wenn es vermeiden will, daß Bauernbündler oder gar Socialdemokraten an seine Stelle treten, so muß es für die Aufhebung dieses Gesetzes stimmen.

Abg. Gamp (Rp.) klärt zunächst einige Mißverständnisse des Vorredners in Bezug auf die Ausführungen des Staatssecretärs Dr. von Boetticher auf und weist dann bezüglich der Ausdehnung der Unfallversicherung darauf hin, daß diejenigen Betriebe, welche nicht einer schon bestehenden Unfallberufsgenossenschaft zugetheilt werden können, am besten territorial würden und dabei könnte man sich an die landwirthschaftlichen Berufsgenossenschaften anschließen. Bezüglich der Revision der Unfallversicherung empfiehlt Redner, die landwirthschaftlichen Nebenbetriebe den landwirthschaftlichen Berufs⸗ genossenschaften, nicht den gewerblichen zuzutheilen. Die Verwaltungs⸗ kosten der Versicherungsanstalten haben sich niedriger gestellt, man ursprünglich annahm; sie betragen statt 1 nur 40 ₰, sodaß, eine Steigerung dieser Ausgaben in Betracht gezogen, 5 000 000 gegen die ursprüngliche Annahme erspart werden. Das ist ein Betrag, der bei den Steuervorlagen schon manches Kopfzerbrechen verursacht. Die Schwierigkeiten der Invalidenversicherung sind zum theil durch den Reichstag vermehrt worden, nämlich durch die Einführung der vier Lohnklassen, durch die Ersetzung der Quittungsbücher durch Quittungskarten. Welche Berge von Quittungskarten sammeln sich alljährlich an! Sie müssen 54 Jahre lang aufbewahrt werden; da müssen wir ja noch Paläste bauen, um sie aufzubewahren. Aus diesem Wust von Karten kann man sich schließlich garnicht mehr herausfinden. Quittungsbücher für 10 Jahre könnte man besser controliren, als die Quittungskarten. Was kommt es auch schließlich darauf an, ob einmal ein kleines Versehen vorgekommen ist. Minima non curat praetor! Wenn die Rente nach der Beitragsleistung be⸗ messen werden soll, dann können wir um die Marke nicht herum⸗ kommen; aber man brauchte das Princip der Leistung und Gegen⸗ leistung nicht bis in die äußersten Consequenzen hinein zu ver⸗ folgen. Bei den Uebergangsbestimmungen hat man dieses Princip auch nicht so streng festgehalten. Die jetzigen Altersrentenempfänger haben zum theil gar keine Beiträge geleistet. Bei der großen Mehrzahl der Arbeiter kann man ein dauerndes Arbeitsverhältniß voraussetzen, nament⸗ lich auf dem Lande; und auch bei den anderen Arbeitern, die nicht ständig sind, könnte man leichter die Zeit controliren, während welcher sie nicht gearbeitet haben, als die Arbeitszeit. Beim Arbeit⸗ geber könnte auch eine Vereinfachung eintreten, ähnlich wie bei der landwirthschaftlichen Unfallversicherung; man wird sich allerdings nicht an die Grundsteuer anschließen können, sondern es würde eine Fest⸗ stellung stattfinden müssen, wie viel Arbeiter ein Unternehmer durchschnittlich beschäftigt, und danach könnte sein Beitrag gleichzeitig mit der Steuer erhoben werden. Den Wechsel der Arbeiter zu controliren wird nicht überall nothwendig sein; es wird zwischen den verschiedenen Versicherungsanstalten eine Abrechnung nicht mehr nothwendig sein. Manche Arbeiter werden dadurch, daß sie Quittungs⸗ karten vorlegen müssen, direct in ihrem Arbeitsverhältniß geschädigt. Die Kosten der Unfallversicherung steigen ganz erheblich, und man wird bald bedenklich werden, ob dadurch unsere Industrie nicht in ihrer Concurrenz beeinträchtigt wird. Da es sich hauptsächlich um Erörterungen handelt, so können wir den gestellten Anträgen zu⸗

stimmen.

Steaatssecretär Dr. von Boetticher: Ich bin dem Herrn Vorredner dankbar dafür, daß er den Herrn

Abg. Dr. Sigl auf die Mißverständnisse aufmerksam gemacht hat,

welche dieser meinen Ausführungen gegenüber kundgegeben hat. Wie diese Mißverständnisse zu erklären, das weiß ich nicht; aber der Herr Abgeordnete muß doch nicht richtig gehört haben, wenn er mir unterlegt, ich hätte mich meines Kindes geschämt und hätte die Vaterschaft des Gesetzes über die Alters⸗ und Invaliditätsversicherung abgeleugnet. (Zuruf.) Das ist mir nicht im Traume eingefallen.

Im übrigen muß aber auch ich noch den Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Sigl gegenüber bemerken, daß er sich nicht eine genügende Kenntniß verschaftt hat von dem Gesetz selber und von seiner Wirk⸗ samkeit. Denn wenn er eine ausreichende Kenntniß gehabt hätte, dann könnte er unmöglich zu der Behauptung gekommen sein, daß insbesondere in der Landwirthschaft weder der Unternehmer noch der Arbeitgeber von dem Gesetz irgend welchen Vortheil hätte. Ich bin in der glücklichen Lage, ihn auf die Verhältnisse seines engeren Vater⸗ landes zu verweisen an der Hand des Berichts des Vorstandes der Versicherungsanstalt für Niederbayern für das Jahr 1892. Ich empfehle diesen Bericht seiner Lectüre (Heiterkeit) und kann ihm daraus vorführen, daß die Zusammenstellung der Rentenanweisungen des Jahres 1892 dahin geht, daß gerade die Landwirthschaft überwiegenden Nutzen von der Alters⸗ und Invaliditätsversicherung gehabt hat. Nach den aus dem Bericht ersichtlichen Zahlen sind an Angehörige der Landwirthschaft und Forstwirthschaft, Thierzucht und Fischerei im Jahre 1892 506 Altersrenten und 303 Invaliditätsrenten, zusammen 809 Renten gewährt, während sämmtliche übrigen Zweige der gewerb⸗ lichen Thätigkeit, auf welche sich die Alters⸗ und Invaliditätsver⸗ sicherung bezieht, nur die Summe von 557 Renten aufweisen. (Hört, hört!)

Ich kann hiernach dem Herrn Abg. Dr. Sigl nur empfehlen, daß, wenn er wieder in seinem Wahlkreise interpellirt wird über die Wirksamkeit des Gesetzes, er sich nicht enthält, seine Wähler darauf hinzuweisen, daß das Gesetz doch einige nützliche Wirkungen gehabt hat, und vielleicht gelingt es ihm dann ich will nicht sagen, daß er selber ein Freund dieses Gesetzes wird —, aber doch seine Wähler dahin umzustimmen, daß sie mit einer objectiveren Betrachtung, als wie dies bisher geschehen zu sein scheint, auf die Wirksamkeit dieses Gesetzes ihr Augenmerk richten.

Darauf wird um 5 Uhr die Berathung abgebrochen. Es entspinnt sich eine längere Geschäftsordnungsdebatte darüber, ob die Berathung am Montag fortgesetzt werden, was der Abg. Hitze beantragt, und ob der Antrag Benda wegen der Eisenbahnfahr⸗ karten zur Verhandlung gestellt werden soll. Gegen den letzteren Vorschlag erklärt sich der Abg. Freiherr von Manteuffel, weil es sich hier um eine eigene Angelegenheit des Hauses handle, die man nicht vor allen anderen Ihitiativanträgen verhandeln dürfe. Der Antrag Benda wird von der Mehrheit auf die Tagesordnung des Montags gestellt.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht der VI. Commission des Reichstags über die derselben zur Vorberathung überwiesenen Verträge mit Spanien, Rumänien und Serbien, der von dem Abg. Dr. Paasche er⸗ stattet ist, liegt jetzt im Druck vor. Wir heben daraus die allge⸗ meinen Gesichtspunkte hervor, welche von Mitgliedern und von den Vertretern der verbündeten Regierungen zur Beurtheilung heran⸗ 1 wurden,

ammenfaßt: 8 Die Handelspolitik des Deutschen Reichs geht seit Anfang des

Jahres 1892, seit die Verträge mit Oesterreich⸗Ungarn, mit Italien,

und die der Berichterstatter in Folgendem zu⸗

Schweiz und Belgien abgeschlossen wurden, von dem Grund⸗ aus, daß es im Interesse einer stetigen gesunden Fort⸗ entwicklung unseres Erwerbs⸗ und Wirthschaftslebens gelegen sei, möglichst dauernde und feststehende Zolltarife für die Einfuhr in srenden Ländern zu haben, um sich die dortigen Märkte sichern und für eine längere Zeit erhalten zu können. Bis dahin war Deutschland in der glücklichen Lage gewesen, seine Handelsbeziehungen zu den wichtigsten anderen Ländern auf dem Boden der Meistbegün⸗ stigung regeln zu können, indem es selbst völlige Freiheit hatte, seine Zölle nach Belieben herauf⸗ oder herabzusetzen, während die mit ihm vertragschließenden Mächte zumeist an ihre Zollsätze gebunden waren.

Als diese Verträge zum größten Theil im Beginne des vorigen Jahres abliefen, benutzten die meisten Staaten ihre wiedererlangte

Bewegungsfreiheit dazu, durch Aufstellung autonomer Tarife und

Uebergang zu dem System der Industriezölle einen Schutz der nationalen Arbeit zu schaffen, um womöglich lebensfähige Industrien,

für welche die Vorbedingungen im eigenen Lande vorhanden waren oder geschaffen werden konnten, unter der schützenden neuen Tarife groß zu ziehen.

Einwirkung der

Dasselbe, was Deutschland in dem vorhergehenden Jahrzehnt zu

Gunsten seines heimischen Gewerbefleißes gethan hatte, versuchten nun

Nauch unsere Mitcontrahenten, und ein Vorwurf konnte ihnen daraus ganz gewiß nicht gemacht werden. Sollten wir aber durch die neu errichteten hohen Zollschranken nicht von den bisher mehr oder weniger beherrschten fremden Märkten verdrängt werden, so galt es möglichst durch Zugeständnisse auf anderen Gebieten Ermäßigungen und Herab⸗ setzungen der neuen Zollsätze zu erlangen und diese Zollsätze so weit thunlich zu binden, um die exportirenden Industrien gegen unerwartete Zollerhöhungen zu schützen. b Für diejenigen Länder, deren Erzeugnisse eines milden südlichen Klimas unter deutscher Sonne nicht gedeihen, konnte in der Herabsetzung der Zölle auf derartige Producte ein Aequivalent geboten werden ohne wesentliche Schädigung heimathlicher Arbeit. Ebenso konnten Roh⸗ stoffe und Halbfabrikate für unsere Industrie ohne großen Nachtheil im Zoll ermäßigt werden. Ob auch die den mit uns vertrag⸗ ließenden Agrarstaaten gewährten Zollerleichterungen für die Pro⸗ ducte der Land⸗ und Viehwirthschaft als berechtigte Aequivalente für die auf industriellem Gebiete erlangten Vortheile gelten dürften, wurde von einem großen Theil der Commissionsmitglieder mit Nachdruck be⸗ stritten, und zwar um so mehr, als sie der Meinung waren, daß die auf gewerblichem Gebiete erhofften Vortheile bis jetzt sich nicht ein⸗ gestellt hätten. 8 Aber die Ermäßigung der Getreide⸗ und Viehzölle war nun einmal unter Zustimmung der weit überwiegenden Mehrheit des Reichstags zur Thatsache geworden und felbst von einzelnen Gegnern der jetzt vorliegenden Handelsverträge als annehmbar be⸗ ühnet worden, da damals unter dem Eindruck außergewöhnlich hoher Kornpreise eine Bindung auf zwölf Jahre für vortheil⸗ hafter erschien, als die stets mögliche weitere Herabsetzung des für die heimische Landwirthschaft als nothwendig erachteten Schutzes.

Mit Zustimmung derselben Mehrheit des Reichstags war aber auch Spanien und Rumänien für die Dauer der Uebergangszeit die⸗ selbe Meistbegünstigung bereits zugestanden, und wenn heute die Zollsätze, die seit 1892 auch für die Einfuhr von landwirthschaftlichen Producten in Gebrauch sind, den vertragschließenden Mächten gegen⸗ über für weitere zehn Jahre gebunden werden sollten, so wurde für die Beurtheilung der Wirkungen der vorgelegten Verträge von diesem Thatbestand ausgegangen und dabei weiter erwogen, daß auch afgeh. England und seinen Colonien sowie vielen südamerikani⸗ chen Staaten auf Grund der Meistbegünstigung und der nordameri⸗ kanischen Union auf Grund besonderen Vertrages die Einfuhr ihrer Bodenerzeugnisse zu dem ermäßigten Zollsatze zustand.

Es mußte sich also bei den Untersuchungen der Commission vor allem darum handeln, festzustellen, ob die den mitcontrahirenden Staaten gewährten Zollerleichterungen nicht zum Nachtheil für das deutsche Erwerbsleben, speciell auch die deutsche Landwirthschaft, ausschlagen würden und ob auf der anderen Seite die für unsere deutschen Aus⸗ fuhrgewerbe gewonnenen Vortheile so große seien, daß sie ein volles Aequivalent darstellen für die dem Auslande zukommenden Begün⸗ stigungen. Dabei war es nach der Ansicht vieler Mitglieder weniger nothwendig, absolut niedrige Zollsätze zu erreichen, als unter Zusiche⸗ rung der Meistbegünstigung mit allen concurrirenden Staaten die Sicherheit zu haben, für eine längere Reihe von Jahren nicht mit höheren als den verabredeten Zöllen rechnen zu brauchen.

Wenn dabei Deutschland das erste Land wäre, das dauernde Verträge mit den mitcontrahirenden Mächten abschlösse, so sei es, elbst wenn die von uns erlangten Zollconcessionen auch anderen meist⸗ egünstigten Ländern gewährt würden, doch ein Vortheil für unsere Ausfuhr, daß grade von deutschen Unterhändlern und dann natur⸗ gemäß den Ansprüchen unserer Industrie gemäß die Zolltarife ver⸗ einbart würden.

Auf der anderen Seite war die Rumänien, Spanien und Serbien zustehende Möglichkeit, bei Ablehnung des Vertrags die erhöhten Zölle des autonomen Tarifs und sogar Kampftarife gegen Deutschland in Anwendung zu bringen und unseren Ausfuhrhandel von den mit schweren Opfern erkauften Absatzgebieten ganz oder theilweise wieder zu verdrängen und dadurch unsern heimischen Gewerbefleiß und die Kaufkraft im eigenen Lande zu schädigen, ohne der Landwirthschaft zu nützen, für viele Mitglieder ausschlaggebend für ihre Abstimmung.

Eine entscheidende finanzielle Bedeutung im Sinne einer namhaften Verkürzung unserer Zolleinnahmen konnte nach Ansicht der Mehrheit endlich den vorliegenden Verträgen nicht zu⸗ heschrieben werden, denn ein weiterer Ausfall, namentlich an andwirthschaftlichen Zöllen, könne nicht in Frage kommen.

Henn hätten wir einmal Getreideeinfuhr aus mieischeg esesgten Ländern und seien diese im Stande, ohne alle Schwierigkeiten den zeit⸗ weisen Bedarf an Brotkorn und Futtergetreide ꝛc. zu decken, so sei es fast selbstverständlich, daß der Handel sich nur aus den Ländern zu decken sucht, die den niedrigsten Zoll zu zahlen haben, und daß eine Getreideeinfuhr zum Verbrauch im Inlande unter Ausschluß des Mühlenlagerverkehrs aus Ländern mit differentiellen Zöllen überhaupt nicht eintreten werde. Mit dem Wegfall der Ein⸗ fuhr höre dann aber auch jede Zollzahlung auf, und es könne deshalb von einer Verminderung der Zolleinnahmen, z. B. Rumänien gegen⸗ über, nicht gesprochen werden, wenn der Zoll auf dortiges Getreide weiter auf 3,50 festgesetzt und nicht wieder auf 5 erhöht wird.

Diese Gesichtspunkte waren für die Mehrheit der Commission maßgebend für ihre Stellung zu den vorliegenden Handelsverträgen, und nach eingehender Erörterung der einzelnen Fragen erklärte sie sich für die Genehmigung derselben.

Seitens der Minorität wurde gegen die vorstehenden Ausfüh⸗ rungen vielfacher Widerspruch erhoben; dieselbe verzichtete jedoch darauf, die Gründe ihres Widerspruchs in diesem Bericht zur Dar⸗ tellung zu bringen. saae

Statistik und Volkswirthschaft.

Auswanderung. 8 Aus dem Regierungsbezirk Marienwerder sind in den Monaten August bis Oktober 354 Personen ausgewandert, von denen 273 der eutschen und 81 der polnischen Nationalität angehörten. Wie im orjahre ist auch für das laufende Jahr die Beobachtung gemacht worden, daß eine erhebliche Anzahl von früheren Auswanderern in ihre Heimath zurückgekehrt ist.

Ueber die Verunglückungen (Totalverluste)

deutscher Seeschiffe in den Jahren 1891 und 1892 sind in dem Ende November dieses Jahres erschienenen 4. efte des Jahrgangs 1893 der Vierteljahrs⸗ Hefte zur Statistik des Deutschen Reichs einige usammenstellungen veröffentlicht. Hiernach sind 1891 (die Angaben für 1892 sind noch mrvollständig) 116 deutsche registrirte Seeschiffe mit 44 435 Register⸗

ons Nettoraumgehalt verloren gegangen, und zwar sind 57 Schiffe gestrandet, 21 gesunken, 14 verschollen, 2 verbrannt, 2 gekentert, 13

*

infolge erlittener schwerer Beschädigungen und 7 durch Collisionen verunglückt. Dabei büßten 208 Personen (178 Mann Besatzung und 30 Passagiere) von 1365 an Bord gewesenen Menschen (1205 Mann Besatzung und 160 Passagieren) ihr Leben ein. Im Vergleich zum Bestand der registrirten deutschen Seeschiffe am 1. Januar 1891 beträgt der Schiffsverlust im Lause dieses Jahres 3,2 %. Dagegen bezifferte sich der Verlust in den Jahren 1890, 1889, 1888 und 1887 auf 2,5 %, 3,2 %. 4,1 % und 4,2 % des Schiffsbestandes am Jahres⸗ anfang. Für die Schiffsbesatzung berechnet sich das Verlustverhältniß e 8 in 5 3Se e 1890, 1889, 1888 und 1887 ein ann von je 227, 227, 184 und 161 Seeleuten, welche a deutschen Seeschiffen dienten, verunglückte. 1“

Zur Arbeiterbewegung.

In Barmen fanden am Donnerstag Versammlungen von Gastwirthen und Flaschenbierhändlern statt, um gegen die von den Socialdemokraten über die Dierich'sche Brauerei ver⸗ hängte Sperre (pgl. Nr. M290 d. Bl.) Stellung zu nehmen. Wie der „Köln. „Ztg.“ geschrieben wird, bezeichneten die Ver⸗ sammelten die Sperre einstimmig als eine große Ungerechtig⸗ keit; der Wirtheverein sprach seine Entrüstung 818 die Sperre aus beide Versammlungen beschlossen, gegen das socialdemokratische Vorgehen energisch Front zu machen, und wählten Commissionen, welche die Angelegenheit zu einem befriedigenden Abschluß bringen sollen. In der Versammlung der Wirthe und Flaschenbierhändler wurde wiederholt der Vorschlag gemacht, als Gegen⸗ maßnahme das socialistische Organ, die „Freie Presse“, in keiner Wirthschaft mehr zu halten, in der Bürgerschaft allenthalben dahin zu wirken, daß das Blatt keine Unterstützung mehr finde, und eine mög⸗ lichst ausgedehnte Agitation gegen die Socialdemokratie im allgemeinen zu entfalten. Ein Beschluß wurde indeß in dieser Hinsicht vorläufig nicht gefaßt. Der Pächter des Centralhotels erklärt die Sperre in den Zeitungen als eine völlig ungerechtfertigte und giebt bekannt, daß Ftiiseht von seinem ursprünglichen Vorhaben, seine Räume zu po⸗ litischen Versammlungen nicht herzugeben, absehe und seinen Saal für alle Parteien mit Ausnahme der socialdemokratischen zur Ver⸗ fügung stelle. 8

In Leipzig beschloß eine schwach besuchte Versammlung von Maurergesellen am Freitag, eine lebhafte Agitation durch Wanderversammlungen zu entwickeln, um die seit Jahren ganz und gar darniederliegende gewerkschaftliche Bewegung unter den Maurern zu heben. Sodann sprachen auch die Maurer, wie das „Chemn. Tabl.“ berichtet, sich, gleichwie andere Gewerkschaften, gegen die Errichtung eines von den Arbeiterbeisitzern des Leipziger Gewerbegerichts beim Rathe der Stadt Leipzig beantragten städtischen Arbeitsamts aus.

Aus Solingen wird der „Dortm. Ztg.“ berichtet, daß die Streitigkeiten unter den dortigen Socialdemokraten durch einen jüngst gewählten Vertrauensmann beigelegt werden sollen, dessen Entscheidungen sich alle fügen müssen; der Vertrauensmann gehört der Schumacher'schen Richtung an.

Aus Fürth schreibt man der „Frkf. Z.“: Der am 26. v. M. in der Lorenz Scheidigy'schen Fabrik ausgebrochene Strike (vgl. Nr. 288 u. flgd. d. Bl.) wurde durch persönliche Vermittlung des Vor⸗ des Holzarbeiterverbandes Kloß⸗Stuttgart beendet, ohne daß der

erkmeister Werner, wie die Ausständigen forderten, entlassen worden ist. Der größere Theil der Ausständigen arbeitet wieder.

In Zürich sind, wie der „Vorwärts“ mittheilt, die organisirten Buchbindergey ilsfen in eine Lohnbewegun eingetreten. Ihre Forderungen sind täglicher Minimallohn von 4 Fr. und Neunstunden⸗ tag am Sonnabend. Die Buchbindermeister antworteten in einem Schreiben, das eine Mahnung zur Genügsamkeit und Sparsamkeit enthielt. Man hofft, ohne Ausstand etwas zu erreichen, da vier Firmen bereits die ganzen Forderungen bewilligt haben

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Die landwirthschaftliche Verlagsbuchhandlung von Paul Parey in Berlin SW, Hedemannstraße 10, hat einen Preis von drei⸗ hundert (300) Mark ausgeschrieben für die beste Beantwortung der Frage: „Welche Einrichtungen der Besitzer sind geeignet, ländliche Arbeiter vom Zug nach der Stadt zurückzuhalten?“ Herren, welche sich an der Preisbewerbung betheiligen wollen, erfahren die näheren Bedingungen seitens der genannten Verlagshandlung.

Washington, 9. Dezember. (W. T. B.) Dem Bericht des landwirthschaftlichen Bureaus zufolge beträgt der diesjährige Durchschnittspreis für Baumwolle auf den Pflanzungen 699/100 C. pro Pfund egen 8 ⁄10 C. im Jahre 1892. Der Durchschnittspreis für Mais ist 37 C. pro Scheffel, für Weizen 521⁄10, für Roggen 518⁄10, für Hafer 288⁄10, für Gerste 406⁄10 C. pro Scheffel, für Heu 918/100 Doll. pro Tonne, für Taback 78⁄10 pro Pfund. Der Durch⸗ schnittsstand des Winterweizens ist 915/10. 1““

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Bulgarien.

Der bulgarische Gesundheitsrath hat folgende Quarantänebestim⸗ mungen getroffen:

1) Reisende und Provenienzen aus den türkischen Häfen des Schwarzen und des Mittelländischen Meeres, sowie aus den russischen Häfen des Schwarzen Meeres unterliegen einer achttägigen Quarantäne.

2) Reisende und Provenienzen aus den rumänischen Häfen des Schwarzen Meeres sind einer dreitägigen Quarantäne unterworfen.

3) Reisende und Provenienzen, welche direct aus anderen Häfen

des Mittelländischen Meeres kommen, werden nach stattgehabter ärzt⸗ licher Untersuchung und Desinfection in Bulgarien zum Verkehr zu⸗ gelassen. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 280 vom 23. 11.) Zufolge Beschlusses des bulgarischen Gesundheitsraths vom 28. v. M. ist das im „R.⸗Anz.“ Nr. 209 vom 31. August d. J. abgedruckte Ver⸗ zeichniß der aus choleraverseuchten Orten kommenden Waaren und Gegenstände, deren Einfuhr in Bulgarien verboten ist, wie folgt ab⸗ geändert worden:

Es sind von der Einfuhr ausgeschlossen:

1) Frische oder getrocknete Früchte aller Art mit Ausnahme von Citronen, Orangen, Cedracitronen, Granaten und anderen Früchten wie Mandeln, Wallnüssen, Haselnüssen, Pistazien r.;

2) Gemüse und Blumen jeder Art;

3) Vegetabilische Früchte, wie Kartoffeln, Rüben re.

4) Brot und andere Mehlproducte; 3 a5) Hefe (mit Ausnahme solcher, welche in hermetisch verschlossenen Büchsen verpackt ist);

9 oder anderes Oel in Schläuchen;

onig; Büch Arten Conserven (außer solchen in hermetisch verschlossenen üchsen);

9) Milchproducte aller Art, wie Milch, Sahne (kaimak), frische oder gesalzene Butter, frischer oder gesalzener Käse;

19 Schweineschmalz, Speck, Gänseschmalz und Talg; 11) frisches und zubereitetes Fleisch, darunter gesalzenes und ge⸗ räuchertes, Würste, Schinken;

12) frische Fische;

13) Meer⸗ und Flußkrebse und andere Krustenthiere (außer solchen in hermetisch verschlossenen Büchsen);

14) Schildkröten und Schnecken;

15) Rohe, trockene oder gesalzene und halbbearbeitete Felle;

16) Haare jeder Art (mit Ausnahme von Geweben aus gefärbtem Roß⸗ und Kameelshaar); Mähnen; Federn zu Kissen; ener. Hufen; Knochen; Schläuche; rohe, getrocknete oder gesalzene ärme; flüssiges oder getrocknetes Blut; Gelatine und andere klebrige Stoffe; rohe Wolle; Thierabfälle und Dung;

17) Papierabfälle, alte Leinwand, alte und gebrauchte Baum⸗ wolle, Lumpen, alte Leinwandfasern, alte Netze, Stricke und andere alte Artikel des Seilerhandwerks;

18) gebrauchte Säcke (außer solchen, welche für den Getreide⸗

transport bestimmt sind);

19) alte Kleidungsstücke jeder Art, welche aus Leinwand, Kautschuk, Wachstuch, Leder, Felzwer hergesteht sind, Teppiche, Möbel ꝛc., außer wenn sie von Reisenden mitgeführt werden;

20) die Verpackung von Waaren, wenn sie aus Gegenständen besteht, deren Einfuhr verboten ist.

Cholera.

Konstantin opel, 9. Dezember. Vom 3. bis 7. d. M. erkrankten

nach dem Bericht des „W. T. B.“ in Konstantinopel an Cholera 186 Personen, es starben 79 Personen. In Pera kamen ini

sporadische Fälle vor. ö1“

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Ruhr sind am 9. d. M. gestellt 12 520, nicht rechtzeit gestellt keine Wagen. gef nicht rechtzeitig

8 Antwerpener Getreidehandel. Die Vorräthe an Getreide betrugen Ende November in Ant⸗

. Mill. Kilogramm

werpen nach angestellten Schätzungen: ö“ eizen

Der Import nach Antwerpen auf dem Fluß⸗ uünd Seewege stellte sich in dem Zeitraum von Ende Oktober bis Ende November 5 oggen auf 2 ¼½ Mill. Kilogramm, davon aus

-b ¼ Mill. Kilogramm

Rumänien

Rußland

8 Weizen auf 63 Mill. Kilogramm, davon aus

Rumänien F 32 Mill. Kilogramm

Vereinigte Staaten von Amerika 10³⁄10

1141““

Rußland

Bulgarien

Canada ..

Deutschland

o“

Gerste auf 414⁄10 Mill. Kilogramm,

164“

Rui nteeese

Türkei 1

Bulgarien

Holland..

Deäntschan

Buch Hafer, Mais un uch weizen auf 36 ½ Mill. Kilogramm (darunter etwa 7 Mill. Kilogramm Mais), davon aus 8 Rußland Söv .. . . 19 Mill. Kilogramm

Vereinigte Staaten von Amerika

ge“ 5 ¾

öʒ .1

Bulgarien.

Deutschland

Argentinien

Canada.

Holland.

Dänemark. 11u6“ Kartoffeln auf 1 ¾ Mill. Kilogramm aus Holland.

Erxspyortirt wurden von Antwerpen auf dem Fluß⸗ und Seewege in demselben Zeitraum: 8

Roggen 1 Mill. Kilogramm, davon nach

Ioo“

1-,1.Sdhe 8 Weizen 12 ¼ Mill. Kilogramm, davon nach

u““ 9 ½ Mill. Kilogramm 1t

1““ 6 Gerste 4 ¼ Mill. Kilogramm, davon nach 3

TPe311“““ Kilogramm

Holland. 11“X“”

Hafer, Mais und Buchweizen 8 ⁄10 Mill. Kilogramm, davon nach

Deutschland . . . . . . . 4 ⁄10 Mill. Kilogramm

L6“*“ 111““ 3

J“ Kartoffeln 4½1 0 Mill. Kilogr., davon nach 8 X“ ha* Mill. Kilogramm 3 710

2

8

2 b. „2 2 8 1 —— 2 * 82 „2 2. 8

nmerkung. In obigen Angaben für den Im⸗ und Export sind die auf der Eisenbahn beförderten Getreidemengen nicht ein⸗ begriffen, wobei zu bemerken ist, daß letztere, insbesondere für den Export, nicht unbeträchtlich sind. —Berlin, 9. Dezember. (Wochenbericht für Stärke, Stärkefabrikate und Hülsenfrüchte von Max Sabersky.) Ia. Kartoffelmehl 15 ½ 15 ¾ ℳ, la. Kartoffelstärke 15 ½ 15 ½ ℳ, IIa. Kartoffelstärke und ⸗Mehl 12 ½ 14 ℳ, feuchte Kartoffelstärke Frachtparität Berlin 7,50 ℳ, Frankfurter Syrupfabriken zahlen nach Werkmeister's Bericht fr. Fabrik 7,00 ℳ, gelber Syrup 16 ½ 17 ℳ, Cap.⸗Syrup 17 ½ 18 ℳ, Cap.⸗Exvort 18 ½ 19 ℳ, Kartoffelzucker gelber 16 ½ 17 ℳ, do. Cap. 18 18 ½ ℳ, Rum⸗Couleur 33 34 ℳ, Bier⸗Couleur 32 34 ℳ, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 22 ½ 23 ½ ℳ, do. secunda 20 21 ℳ, Weizenstärke (kleinst.) 29 30 ℳ, Weizenstärke (großst.) 36 37 ℳ, Hallesche und Schlesische 37 38 ℳ, Reisstärke (Strahlen) 48 —49 ℳ, do. (Stücken) 46 47 ℳ, Maisstärke 33 34 ℳ, Schabestärke 30 31 ℳ, Victoria⸗Erbsen 20 23 ℳ, Koocherbsen 17 21 grüne Erbsen 18 21 ℳ, Futtererbsen 14 ½ 15 ½ ℳ, inländische weiße Bohnen 16—18 ℳ, weiße Flachbohnen 20 21 ℳ, ungarische neue Bohnen 14 15 ℳ, galizische und russische Bohnen 13 14 ℳ, große neue Linsen 34 40 ℳ, mittel Linsen 24 34 ℳ, kleine Linsen 18 24 ℳ, Mohn, blauer 44 50 ℳ, do. weißer 90 100 ℳ, irse, weiße 20 22 ℳ, gelber Senf 30 36 ℳ, Hanfkörner 18 bis 0 ℳ, Buchweizen 15 16 ℳ. Wicken 15 17 ℳ, Pferdebohnen 15 16 ℳ, Kümmel 60 70 ℳ, Leinsaat 23 25 ℳ, Mais loco 12 bis 12 ½ ℳ, Leinkuchen 16 17 ℳ, Rapskuchen 14 15 ½ ℳ, Roggenkleie 9 ℳ, Weizenkleie 9 9 ½ , pa. helle getrockn. Biertreber 28 bis 30 % 11 ½ 12 ℳ, pa. getrocknete Mais⸗Roggenschlempe 30 32 % 13 ¼ - 14 ℳ, pa. Maisschlempe ca.é 40 % 14 14 ½ (Alles per 100 kg ab Bahn Berlin bei Partien von mindestens 10 000 kg.)

Vom oberschlesischen Eisen⸗ und Metallmarkt be. richtet die „Schles. Ztg.“: In der letzten Woche hat der Beschäfti Fatnssn der Werke eher ab⸗ als zugenommen. Trotz der Vereini⸗ gung der schlesischen und der mitteldeutschen Gruppen zum Schlesisch. Mitteldeutschen Verbande, zu welchem seit kurzem auch das neue, der Firma S. Huldschinski u. Söhne gehörige Gleiwitzer Eisenwalzwerk. gehört, macht sich statt einer Erhöhung eine Erniedrigung der Walzeisen⸗ preise geltend, ohne daß bei diesen gedrückten Preisen eine Belebung der Marktfrage eintritt. Dieser Zustand kann nur in einer übermäßigen Zurück haltung der Großhändler, die an ein weiteres Sinken der Preise zu

glauben scheinen, liegen. Die Preise sind aber schon derartig niedrig daß ein weiteres Herabgehen wegen der Gest skost kb