standen. Er führte an, daß die conservative Partei auf dem Stand⸗ punkt der Schutzzollpolitik stehen geblieben sei und daß die Reichs⸗ regierung sich von diesem Standpunkt entfernt habe, daß sie mit ihrer Handelspolitik einen Einbruch in die Schutzzollpolitik angebahnt und ausgeführt habe.
Gestatten Sie mir, meine Herren, dazu zunächst zu bemerken, daß die Vorlage dieser Haudelsverträge nicht von der Reichsregierung, sondern von den verbündeten Regierungenerfolgt ist, und daß zu diesen verbündeten Regierungen auch die preußische Regierung gehört, die aus voller Ueber⸗ zeugung sich auf den Standpunkt der Reichsregierung gestellt hat, daß durch Annahme der Ihnen vorgelegten Verträge der Industrie ein erheblicher Nutzen zugeführt werde, der Landwirthschaft aber kein Schaden erwachse. (Zurufe rechts.) Wäre ich der Ueberzeugung, daß durch die Annahme dieser Verträge ein Einbruch in die Schutzzollpolitik, die das Deutsche Reich seit 1879 verfolgt, vor sich ginge, ich würde mich an einer solchen Politik nicht betheiligen. Ich bin der Auf⸗ fassung, daß die Inaugurirung unserer Schutzzollpolitik im Jahre 1879 ein unseren wirthschaftlichen Bedürfnissen entsprechender Schritt war. Ich bin weiter der Meinung, daß die Auswahl des Zeitpunktes, zu dem man den Uebergang vom Freihandel zum Schutzzoll vollzog, ein für die wirthschaftlichen Interessen des Vaterlandes ganz außerordentlich geschickt und glücklich gewählter gewesen ist, und zwar wesentlich deshalb, weil mit Sicherheit zu erwarten war, daß wir in die Lage kommen würden, für eine längere Zeitperiode die Vortheile unseres autonomen Tarifs zu genießen, während wir kraft der Meistbe⸗ günstigungen von einer Reihe von Tarifverträgen Vortheile zögen, die andere Staaten unter sich geschlossen hatten, ohne daß wir Aus⸗ lagen dafür zu machen hatten.
Daß dieser Standpunkt nicht ewig einzuhalten war, das, meine Herren, lag auf der Hand. Was wollte man denn für die Industrie mit der Schutzzollpolitik, die man im Jahre 1879 einführte? Man wollte ihr erstens den heimischen Markt wahren und zweitens sie für den Export stärken, damit Deutschland in die Lage käme, diejenigen Artikel des Auslandes, die wir einführen müßten, mit ausländischem Gelde zu bezahlen. Man wollte durch eine Verstärkung unseres Exports die Mittel gewinnen, um Kaffee, Taback, Reis, Baumwolle, Petroleum und wie alle die Artikel heißen, die wir vom Auslande in großen Massen und nothwendiger Weise beziehen müssen, bezahlen zu
nnen. Nun, meine Herren, die Absicht ist vollständig gelungen. Seit dem Jahre 1879 ist unsere Industrie aber derartig gestärkt worden, daß sie heute ohne Export überhaupt nicht mehr existiren kann.
Meine Herren, es ist vielfach hervorgehoben worden, daß der heimische Markt für die Industrie die Hauptsache sei. Vollständig richtig, das acceptire ich und halte es noch heute für richtig. Aber, meine Herren, es liegt nicht mehr so, daß der einheimische Markt für unsere Exportindustrie genügt. Wir brauchen zu dem heimischen Markt ganz erhebliche Absatzgebiete im Auslande. In einzelnen Industrie⸗ zweigen geht es so weit, daß 25 bis 30 % alles dessen, was im In⸗ lande producirt wird, nicht mehr, selbst bei den normalsten Verhält⸗ nissen, im Inlande consumirt werden kann, sondern als Absatzgebiet das Ausland braucht.
Ich bin also der Meinung, meine Herren, wenn die Schutzzoll⸗ politik von 1879 den gewollten Zweck erreicht hat, unsere Industrie so zu stärken, daß sie eine kräftige Exportindustrie wird, so muß man auch in dem Augenblick, wo die Gefahr vorliegt, daß der auswärtige Exportmarkt verloren geht, in Consequenz der Schutzzoll⸗ politik dafür sorgen, daß diese Gefahr beseitigt wird, und das läßt sich nur durch den. Abschluß von Handelsverträgen erreichen. Man mußte der Industrie die Möglichkeit gewähren, das, was sie während der Schutzzollperiode gewonnen hatte, sich auch in der Zeit zu er⸗ halten, wo die Tarife der Auslandsstaaten und die Verträge, die sie untereinander geschlossen haben, ohne unser Zuthun nicht mehr so günstig für Deutschland liegen, wie dies im Jahre 1879 und in den folgenden Jahren der Fall war. Ich komme also, meine Herren, zu dem Schluß: wer im Jahre 1879 den Zweck gehabt hat, unsere deutsche Industrie derartig zu stärken, daß sie zu einer großen internationalen Exportindustrie wird, der muß heute, als am 1. Februar 1892 die alten Handelsbeziehungen erloschen waren, auch dafür eintreten, daß der Exportmarkt unserer Industrie erhalten, und daß Handelsverträge abgeschlossen würden. Es handelt sich nicht um ein Verlassen, nicht um einen Einbruch in unsere Schutzzollpolitik, sondern um eine nothwendige, ja, ich behaupte, um eine gewollte Folge der Schutzzollpolitik, die im Jahre 1879 in⸗ augurirt worden ist. Ich erkläre somit als Leiter der preußischen Handels⸗ und gewerblichen Interessen in vollster Ueberein⸗ stimmung mit der gesammten deutschen Industrie, daß die Ablehnung dieser Verträge einen empfindlichen Schlag für unsere Industrie bedeutet. Ich habe in Uebereinstimmung mit der gesammten deutschen Industrie die Ueberzeugung, daß unserer Landwirthschaft kein Schade zugefügt wird, wenn die Differenz im Getreidezoll von 5 ℳ zu 3 ℳ 50 ₰ Rumänien gegen⸗ über beseitigt wird, und infolge dessen kann ich nur wieder in Ueber⸗ einstimmung mit unserer gesammten deutschen Industrie den Wunsch haben, daß diese Verträge angenommen werden. (Bravo.)
Abg. von Ploetz (dcons.): Die Verhandlungen der Commission haben unsere Anschauungen nicht ändern können, daß die Landwirth⸗ schaft benachtheiligt wird. Wenn wirklich der Export nach Rumänien etwas eingeschränkt wird, so ist das nicht so bedenklich als die Schwächung des einheimischen Marktes, der einheimischen Kaufkraft. Deshalb sind wir vom Bund der Landwirthe immer gegen den Ab⸗ schluß von Handelsverträgen aufgetreten. Die letzten Verhandlungen haben uns eine große Anzahl von Mitgliedern zugeführt aus Gegenden, wo der Bund der Landwirthe bisher noch garnicht agitirt hat. Es sind Zuschriften gekommen z. B. aus Württemberg, aus Metz, vom Rheinischen Bauernverein, unterzeichnet Graf Hoensbroech, welche
egen die Handelsverträge protestiren und deren Verwerfung empfehlen. us Teltow ist eine Resolution gekommen, in welcher die Versammelten erklären, daß sie eintreten für das Christenthum und die Monarchie und gegen die Socialdemokratie, aber die Verwerfung der Handels⸗ verträge verlangen. Der Reichskanzler hat mich persönlich angegriffen; ich gehe darauf nicht ein; wir wollen für unsere Person nichts erreichen, wir werfen uns in die Schanze für die Allgemeinheit. Ich habe darauf gehalten, daß keine Angriffe gegen die Regierung in unsere Presse ommen; aber das war auf die Dauer nicht zu halten, weil die offiiöse Presse Artikel brachte, auf die wir nicht im Salonton ant⸗ worten konnten; das hätten die Bauern nicht verstanden. Es herrscht unter den Landwirthen die feste Ueberzeugung, daß diejenigen Ab⸗ geordneten, welche vor den Wahlen freiwillig Versprechungen abgegeben baben. dieselben auch halten. Die Stimme des einen Abgeordneten, der mit Spitzfindigkeiten seine Erklärungen anders auslegt, geben wir preis. Der Staatssecretär Freiherr von Marschall, der diesen Ab⸗ geordneten in Schutz genommen hat, behauptet, daß wir selbst nicht gewußt hätten, was wir damals wollten. Ich hätte gewünscht,
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daß er dafür Beweise vorbrächte. beßeht, dann ist ja der Staatsanwalt immer leich da, wir haben noch niemals mit ihm zu thun gehabt. ir sind scharf aufgetreten, weil die Freunde des Handelsvertrages uns scharf ange⸗ risen haben. Es wird jetzt erzählt, die Reichsregierung werde die ufhebung der Zuckerprämien inhibiren, sie werde den Identitätsnach⸗ weis aufheben. Solche Dinge sollten jetzt nicht in die Oeffentlichkeit gebracht werden. Es ist einzuwirken versucht worden auf die Vorstände der Gruppen des Bundes der Landwirthe, um die Abgeordneten zu entbinden von ihrem Versprechen, ge⸗ gen die Handelsverträge zu stimmen. Im Osten hat man aber erklärt, wenn auch die Aufhebung des Identitätsnachweises für den Osten mehr bedeutet, als die Zoll⸗ differenz von 1,50 ℳ, so wolle man doch jetzt davon nichts wissen. Der Reichskanzler hat von seinem Wohlwollen für die Landwirth⸗ schaft gesprochen. Aber das ist nur ein Wort, es kommt auf die Auffassung an. Er hat auch vom Meuntengitergeses gesprochen. Das ist ein Gesetz für das Staatswohl, es bringt der Landwirthschaft keine höhere Rente. Der Topf ist bis zum Ueberlaufen voll. Unsere Bewegung geht niemals gegen die Reichs⸗ regierung, sondern nur gegen die wirthschaftlichen Maßnahmen. Das Wort „demagogisch“ paßt also durchaus nicht. Daß wir die Majorität benutzen, ist selbstverständlich; die Regierung benutzt sie auch, z. B. bei der Militärvorlage. Sollen wir auf die Benutzung der Majorität verzichten? Das verlangen ja selbst die Social⸗ demokraten nicht. Wir werden immer eintreten für die Majestät des Thrones und die Autorität des Staats. Der Staatssecretär Freiherr von Marschall hat die Thätigkeit der Regierung und des Bundes in Vergleich gestellt. So eitel sind wir garnicht, daß wir eine Thätigkeit entfalten wollen, wie sie die Regierun eigentlich ent⸗ falten sollte für das Wohl der Landwirthschaft. ie schöpferischen Ideen werden uns abgesprochen. Aber was ist alles vorgekommen! Die Handelsverträge lagen in der Luft, wir haben uns dagegen gewehrt. Dann kamen die Reichstags⸗ und die Landtagswahlen. Die Futternoth hat uns stark beschäftigt, ebenso die Maul⸗ und Klauenseuche, und unsere Arbeit ist nicht ganz vergeblich. Die landwirthschaftlichen Verhältnisse sind nicht überall schlecht, so z. B. in Rußland. Nur wo eine hoch entwickelte Induftrie vorhanden ist, leidet die Landwirthschaft. „Das Kartell mit der Industrie hat sich bewährt; aber wenn jetzt eine Durchbrechung desselben erfolgt, dann wird man die Wünsche, die früher zurück⸗ gestellt sind, z. B. einen Zoll auf Wolle u. s. w., energischer als früher vertreten. Ich bedaure ein solches Ergebniß. Die Viehzölle sind auch herabgesetzt; die Regierung erklärt zwar, das Vieh würde jetzt nicht hereingelassen; aber wenn das nicht im Gesetz fest⸗ gelegt ist, dann erfolgt nachher doch eine Ueberschwemmung mit rumänischem Vieh. Daß die Maul⸗ und Klauenseuche durch importirtes Vieh eingeschleppt ist, beweist eine amtliche Bekannt⸗ machung am Viehhof in Köln, welche von verseuchtem österrei⸗ chischen Vieh spricht. Von der russischen Grenze wird mir mit⸗ getheilt, daß die Vorschrift, daß die Viehwagen nach Ruß⸗ land sofort, ohne daß der Dünger davon entnommen wird, zurückgehen sollen, von den Bahnbeamten selbst nicht beobachtet wird; der betreffende Beamte hat den Dünger auf sein Gehöft bringen lassen. Wenn solche Dinge passiren, wie können wir dann Sicherheit haben, daß nicht russisches Getreide in Rumänien eingeschmuggelt wird? Die Vieheinfuhr ist mit 100 Mill. Mark zurück⸗ gegangen, die Einfuhr aber ebenso viel gestiegen. Das sind die Folgen der Handelsverträge. Die Annahme des Handelsvertrages mit Rumänien ist ein Schlag ins Gesicht gegen Rußland. Die Handelsverträge mit Oesterreich und Italien haben einen politischen Hintergrund. Was soll daraus werden, wenn wir allen Staaten diese Verträge gewähren, nur Rußland nicht? Wir fürchten uns vor Rußland nicht; aber reizen sollten wir diese Großmacht auch nicht. Wer den Vertrag mit Rumänien annimmt, kann den russischen Vertrag nicht gut ablehnen; jedenfalls wird das für den russischen Vertrag ins Feld geführt werden. Die Ablehnung des Ver⸗ trages ist nothwendig, weil die Landwirthschaft keine Schädigung mehr vertragen kann, weil wir keine dauernden Verträge mehr abschließen wollen, die die Währungsverhältnisse nicht regeln und die Verhältnisse zwischen Industrie und Landwirthschaft verschieben.
Staatssecretär Freiherr von Marschall:
Die Mittheilung des Herrn Vorredners, daß er durch den Gang der bisherigen Verhandlungen von der Unrichtigkeit seiner Anschauungen nicht überzeugt sei, hat mich nicht überrascht. (Heiterkeit links.) Mein Ehrgeiz ist auch niemals so hoch gegangen, ich habe immer nur den einen Wunsch gehabt, es möge sich der geehrte Herr Vorredner als Haupt des Bundes der Landwirthe endlich einmal dazu ent⸗ schließen, die Richtigkeit seiner Anschauungen zu beweisen. (Sehr gut! links.) Darauf warte ich noch bis zur Stunde. Der geehrte Herr Vorredner hat auch jetzt dieselbe Taktik verfolgt, wie im Beginn unserer Sitzungen, daß er dasjenige, was er behauptet und ich bestreite, also das thema probandum, zur Prämisse nimmt und darauf seine logischen Deductionen aufbaut. Er hat von Anfang an bis jetzt be⸗ hauptet, dieser Vertrag mit Rumänien legt der deutschen Landwirth⸗ schaft Opfer auf; ich habe stets behauptet, das trifft nicht zu, und nach allen unseren Verhandlungen hat der Herr Abg. von Ploetz heute wiederum gesagt, wir können diesen Handelsvertrag nicht an⸗ nehmen, weil er eben der Landwirthschaft Opfer zumuthet, die sie nicht ertragen kann. Also, meine Herren, ich behaupte nochmals, die Behauptung des Herrn Vorredners, daß der Vertrag mit⸗Rumänien der deutschen Landwirthschaft Opfer auferlege, ist unrichtig. Will man diese Frage entscheiden, so genügen nicht Telegramme und Zu⸗ schriften (Sehr gut! links und aus der Mitte), sondern es bedarf einer sorgfältigen Prüfung des einschlägigen Materials; und nachdem der Herr Vorredner nicht die Güte gehabt hat, den Beweis seiner Behauptungen zu liefern, so werden Sie mir gestatten, daß ich in rein sachlicher Weise den Gegenbeweis antrete. Auch der Gegner der Handelsverträge wird mir zugeben, daß die Frage: welche Wirkung hat die Ermäßigung eines 5 ℳ⸗Zolls auf 3 ℳ 50 ₰ für die deutsche Landwirthschaft, von verschiedenen Gesichtswinkeln aus zu betrachten ist, je nachdem es sich darum handelt, zum ersten Mal einem Staat diese Ermäßigung zu gewähren oder, nachdem die Ermäßigung bereits einer Gruppe von Staaten eingeräumt ist, nun auch einem anderen Staate die Meistbegünstigung einzuräumen. Auch derjenige, der der Ansicht ist, die erste Ermäßigung habe der deutschen Land⸗ wirthschaft ein Opfer auferlegt, muß mir zugeben, daß die Diffe⸗ renzirung eines Staats wie Rumänien keinen Vortheil für die Land⸗ wirthschaft bietet, wenn der Nachweis geliefert wird, daß im Fall dieser Differenzirung dieselbe Quantität von Getreide zu demselben Preise aus anderen meistbegünstigten Staaten hereinkommt. (Sehr richtig! links und aus der Mitte.) Und, meine Herren, das behaupte ich und das beweise ich. Man sagt — und das hat auch der Herr Abg. Dr. Schaedler angeführt —, wenn wir das rumänische Getreide ausschließen, so sind wir einen lästigen Concurrenten los. Das würde doch nur dann zutreffen, wenn bei Ausschluß des Ge⸗ treides, das bisher von Rumänien nach Deutschland kam, dieses Getreide in Rumänien selbst zur Verzehrung gelangte. Das ist aber nicht der Fall. Wenn wir vom 1. Januar an das rumänische Getreide differenziren, so geht das bisher aus Rumänien nach Deutsch⸗ land eingeführte Getreide mit dem übrigen Getreide — es verhält sich etwa wie 1⁄10 zu ½⁄0 zu der rumänischen Gesammtausfuhr — auf den Weltmarkt und sucht dort ein anderes Obdach, und die
Wenn die Presse Ausschreitungen
Schiff, was mit Weizen und Roggen
.
nächste Wirkung, die dieses in Deutschland differenzirte rumänische Getreide auf dem Weltmarkt haben muß, ist die, nicht den Preis zu erhöhen, sondern den Preis zu drücken (sehr richtig! links und aus der Mitte), und zwar deshalb, weil das rumänische Getreide mit dem Makel behaftet ist, daß es in einem großen Importlande wie Deutsch⸗ land nicht mit anderem Getreide concurriren kann. Genau dasselbe haben wir gesehen, als wir vor 1 ½ Jahren den russischen
Weizen ausschlossen. Da ging der russische Weizen, der bei uns nicht
mehr hereinkam, auf den Weltmarkt und drückte dort, bis er ein anderes Obdach gefunden, den Preis. Und nun, meine Herren, glauben Sie doch nicht, daß es den Weltmarkt oder, sagen wir, den
großen Getreidefirmen in London, Paris, Antwerpen, Amsterdam nicht
gelänge, die Verschiebung herbeizuführen, daß man das rumänische Getreide, das differenzirt ist, dort unterbringt, wo es unter gleichen Bedingungen concurrirt, und nach Deutschland das Getreide aus meistbegünstigten Ländern schickt. Ich glaube, jeder Kenner des Ge⸗ treidemarkts wird lachen, wenn in der Beziehung ein Zweifel aus⸗ gesprochen wird. (Sehr richtig! links und aus der Mitte.) Es kostet vielleicht ein Telegramm, und nicht mal das: Das nach Antwerpen gesandt wird, kann dort, wenn der Zoll auf 5 ℳ erhöht ist, einfach das Ge⸗ treide abladen; dasselbe geht in den belgischen Consum, und statt dessen kommt argentinischer Weizen in derselben Quantität nach Deutschland. Ich würde diese Behauptung nicht mit der Bestimmt⸗ heit aufstellen, wenn ich nicht zahlenmäßig den Beweis dafür liefern könnte. Ich bitte Sie, die Tabelle anzusehen, die dem Bericht bei⸗ gefügt ist. Daraus ergiebt sich, daß infolge der Differenzirung des russischen Getreides der russische Weizenexport nach Deutschland, der noch im Jahre 1891 über 5 Millionen Doppelcentner betragen hat, in diesem Jahre auf 160 000 Doppelcentner zurückgegangen ist. Nun sind wir aber nicht etwa dadurch einen Concurrenten los geworden, sondern an Stelle des russischen Weizens, der zu uns nicht mehr hereinkam, trat nach dieser Tabelle zum geringsten Theil Weizen aus Rumänien, zum größten Theil aus den Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika und Argentinien. Wenn Sie den Vertrag verwerfen sollten, würde ich ganz zweifellos im nächsten Jahre in der Lage sein, Ihnen dieselbe Tabelle ergänzt vor⸗ zulegen; dann würden Sie unter rumänischem Weizen keine Einfuhr oder nur eine minimale finden, und genau ebenso viel, als da ausgefallen ist, in den Rubriken der meistbegünstigten Staaten. (Sehr richtig! links und aus der Mitte.) Das sind Dinge, über die man nicht im Zweifel sein kann; und wenn man ein⸗ wendet: ja, wie kommt es denn, daß, wenn es so gleichgültig ist, ob das Getreide aus Rumänien oder aus Argentinien oder aus den Ver⸗ einigten Staaten kommt, die Rumänen einen so großen Werth darauf legen, das Getreide gerade uns zuzuführen, — das ist der Einwand, den der Herr Abg. Graf Mirbach gestern gemacht hat — so antworte ich darauf: aus dem einfachen Grunde, weil, wenn ich drei oder vier Lieferanten habe, die mir eine Waare unter gleichen Bedingungen liefern können, ich sagen kann: mir ist es gleichgültig, ob der Lieferant A., B. oder C. liefert — aber daraus folgt nicht, daß es dem Lieferanten A. auch gleich ist, ob er die Lieferung hat oder B. u. s. w. (Sehr richtig! links und aus der Mitte.) Genau so liegt es hier. Die Rumänen haben allerdings ein großes Interesse daran, daß sie uns ihr Getreide theuer verkaufen können, anstatt es auf den Weltmarkt zu bringen und es dort, weil es differenzirt ist, billiger unterzubringen. Wir haben daran kein Interesse, uns ist es gleichgültig, ob das Getreide für uns aus dem einen meistbegünstigten Lande kommt, oder aus einem anderen. Darüber ist nach der Tabelle kein Zweifel: wenn differenzirt wird, so kommt aus einem differenzirten Lande kein Getreide mehr, und es wird ersetzt durch die Getreidezufuhr aus einem meist⸗ begünstigten Lande.
Genau so wird sich die Sache bezüglich der Donau verhalten. Der Herr Abg. Dr. Schaedler hat gestern auf die Möglichkeit hin⸗ gewiesen, daß die Donau aufwärts erhebliche Quantitäten von rumä⸗ nischem Weizen nach Bayern eingeführt werden könnten; und ich be⸗ greife, daß das die bayerischen Landwirthe erheblich interessirt. Es ist bereits von dem Herrn Abg. Dr. Lieber dargelegt worden, daß an sich die Menge des rumänischen Getreides, welches strom⸗ aufwärts geht, minimal ist gegenüber der Quantität des rumänischen Getreides, welches zur See nach den Nordseehäfen geht. Die ganze rumänische Getreideausfuhr hat, sozusagen, die Front Donau abwärts; nach der Richtung hin, nach dem Schwarzen Meer zu sind alle Erleichterungen und Einrichtungen getroffen zu einem reichlichen Getreidetransport, während das Umgekehrte die Donau hinauf der Fall ist. Bis zum Eisernen Thor geschieht außerordentlich wenig zur Unterhaltung der Wasserstraße. Die Verhältnisse am Eisernen Thor sind bekannt, und es werden Jahre vergehen, bis die Verhältnisse dort geordnet sind.
Außerdem ist — und das ist die Hauptsache — der Transport von Getreide Donau aufwärts in der Fracht erheblich theurer als auf der anderen Seite.
Ich habe gestern, nachdem ich die Rede des Herrn Abg. Dr.
Schaedler gehört habe, an unseren stellvertretenden Konsul in Galatz
telegraphirt, und er hat mir geantwortet, daß die Getreideausfuhr
auf der Donau seewärts im Jahre 1892 1 907 515 t betragen habe und in demselben Jahre Donau aufwärts 13 750 t nach Deutschland
gegangen sind. (Hört! hört! links.) Er hat mir ferner die Fracht⸗
sätze telegraphisch mitgetheilt, und danach stellen diese sich stromauf⸗
wärts erheblich höher als auf dem Seewege. Es kostet nach der Berechnung die Tonne Weizen von Rumänien auf dem Seewege über Amsterdam oder Antwerpen nach Mannheim 26 ℳ, und von Rumänien bis nach Regensburg 32 ℳ 60 ₰. (Hört! hört! links.)
Meine Herren, also das Geschäft ist doch nicht so lucrativ, daß man befürchten müßte, daß auf diesem Wege große Mengen von Ge⸗ treide bei uns importirt werden könnten. Der Transport auf der Donau dauert oft 5 bis 6 Wochen, und es ist vor zwei Jahren vor⸗ gekommen, daß Getreideschiffe sogar, wenn ich nicht irre, zwei Monate lang auf der Donau eingefroren sind.
Wenn Sie nun Rumänien differenziren, so würde auch dort das⸗ selbe eintreten, was ich vorher geschildert habe, daß nämlich nun zwar kein rumänisches Getreide die Donau hinaufkommt, aber ungarisches, bulgarisches und serbisches Getreide, und da haben Sie genau dieselbe Sache. Ich resümire mich also dahin: Die Landwirthschaft hat kein Opfer zu leisten, wenn dieser Vertrag angenommen wird; ja sogar, wenn ich mich auf den Standpunkt desjenigen stelle, der in der ersten Ermäßigung der Getreidezölle gegen Oesterreich⸗Ungarn und in der
Gewährung der Meistbegünstigung an andere Staaten ein Opfer für die Landwirthschaft sieht, so muß ich sagen: Wenn das Opfer einmal gebracht ist, will ich doch auch die Gegenleistung für dieses Opfer haben. Aber Sie muthen mir zu — ich spreche immer von dem Standpunkte aus, daß jemand an⸗ nimmt, es fei ein Opfer gebracht —, daß, nachdem nun das Opfer gebracht ist, soll ich, weil ich verstimmt bin, verzichten auf alle Vortheile, die die anderen Staaten mir gewähren als Austausch gegen dieses Opfer. (Sehr richtig! links und aus der Mitte. Zuruf.) — Der Herr Graf Mirbach wirft mir ein, daß von Verstimmung gar keine Rede sei. Das gebe ich bei ihm vollständig zu; ob es ander⸗ wärts überall zutrifft, ist mir einigermaßen zweifelhaft.
Da ich gerade beim Grafen Mirbach bin, möchte ich mir doch erlauben, einige wenige Worte auf seine gestrigen Bemerkungen z1 erwidern.
Es ist dem geehrten Grafen gestern zum ersten Mal etwas passirt, was ich für unmöglich gehalten hätte, nämlich ein lapsus auf dem Gebiete der Währungsfrage Erhat nämlich verwechselt das Aufgeld, welches ich bei Einwechselung von Goldstücken einem Wechsler geben muß, mit einem Disagio. Das sind vollkommen heterogene Begriffe. Wenn ich heute zu einem Wechsler gehe und verlange für 2000 ℳ Zwanzigfrankstücke, so muß ich Aufgeld bezahlen; kein Mensch wird aber sagen, das wäre ein Disagio gegenüber Frankreich. Es besteht in Rumänien kein Agio; der Wechselcurs Bukarest auf Wien steht zur Zeit pari, und es ist in der letzten Zeit sogar vorgekommen, daß der Wechsel auf Bukarest besser als auf Berlin gestanden hat.
Herr Graf von Mirbach hat gestern noch auf England exempli⸗ ficeirt. Daß die landwirthschaftlichen Verhältnisse in England sehr schlimm sind, ist unbestreitbar; England hat aber gar keine Getreide⸗ zölle. (Zuruf.) — Gewiß; ich möchte aber glauben, daß das doch
zergleiche sind, die kaum zutreffen, wenn man die Zustände der Land⸗
wirthschaft in einem Lande, das einen Getreidezoll von 3,50 ℳ hat, ohne weiteres vergleicht mit den Zuständen in einem Lande, wo gar keine Getreidezölle bestehen. (Sehr richtig! links.)
Mit Rücksicht auf den Hinweis auf die zahlreichen Arbeiter, die infolge der Ablehnung des rumänischen Vertrags Noth leiden können, bat der Herr Abg. Graf von Mirbach gesagt: was wollen die 60⸗ bis 70 000 Arbeiter gegenüber den 12 Millionen ländlichen Arbeitern! (Zuruf rechts.) Was wollen die 60⸗ bis 70 000, die jetzt mit Exporten nach Rumänien beschäftigt sind? Sie wollen garnichts, als daß man ihnen ihren Lohn und ihr Brot läßt, und das verlieren sie, wenn der Vertrag mit Rumänien abgelehnt wird. (Sehr richtig! links.) Und das ist nichts Demagogisches; das ist einfach die Constatirung einer Thatsache, der Thatsache, daß, wenn Sie diesen Vertrag ver⸗ werfen, die Landwirthschaft absolut keinen Nutzen hat, wohl aber 60⸗ bis 70 000 deutsche Arbeiter brotlos werden. Wenn dem Abg. Grafen von Mirbach die Constatirung dieser Thatsache nicht bequem ist, so begreife ich das voll⸗ ständig; von meinem Standpunkt als Vertreter der verbündeten Re⸗ gierungen muß ich mit ganz besonderem Nachdruck darauf hinweisen, daß das die ersten Folgen der Zollpolitik sind, die jetzt von der Rechten proclamirt wird, daß Tausende der ärmsten Leute brotlos werden. (Hört! hört! Sehr richtig! links. Bewegung rechts.) — Ich begreife diesen Widerspruch nicht. Allein im Königreich Sachsen sind 15 000 Arbeiter in dortigen Fabriken ausschließlich für den Export nach Rumänien beschäftigt; von dem Augenblick an, wo der Zollkrieg mit Rumänien beginnt, werden die Arbeiter entlassen und ihres Brotes verlustig. Und angesichts dieser Thatsachen hat der Herr Abg. von Ploetz die Güte gehabt, die Behauptung aufzustellen, daß, wenn wir diesen Vertrag annehmen, das eine Kräftigung des Proletariats sei.
Ich will Sie in dieser vorgerückten Stunde nicht weiter auf⸗ halten. Ich kann Sie nur auf das dringendste bitten: nehmen Sie diesen Vertrag an! Wenn Sie es nicht thun, wenn Sie die verbün⸗ deten Regierungen zwingen, die alten wirthschaftlichen Beziehungen mit dem uns auch politisch befreundeten Rumänien abzubrechen, so wird sich der tertius gaudens bald finden (sehr richtig! links), und der ist nicht die deutsche Landwirthschaft, der ist die ausländische Industrie. Und dann hätten wir Deutschen wieder einmal ein Princip
gerettet, und die anderen haben den Profit davon. (Sehr richtig!
links.) Dann würden die deutsche Industrie, die deutsche Landwirth⸗ schaft, die deutschen Arbeiter das Nachsehen haben. Ich bitte Sie, meine Herren, vermeiden Sie das! (Lebhaftes Bravo links und aus der Mitte.)
Abg. Dr. von Bennigsen (nl.): Meine Freunde werden in ihrer überwiegenden Mehrheit für den Vertrag mit Rumänien stimmen, eine Anzahl von ihnen wird ihn aber ablehnen. Dem Ahg. von Ploetz hat bereits der Staatssecretär die genügende und vollkommen über⸗ zeugende sachliche Antwort ertheilt. Ueber die Bedeutung und die Agitation des Bundes der Landwirthe könnte ich ihm noch allerlei er⸗
widern, ich unterlasse es aber, weil ein Theil meiner Freunde dem
Bund der Landwirthe angehört (Lachen links) und weil ich glaube, daß die Art und Weise, wie der Vorsitzende dieses Bundes hier die Thätig⸗ keit, die Bedeutung und Wirksamkeit des Bundes darstellt, zur Autorität und zum Erfolge des Bundes — vielleicht auch nach dem Urtheil mancher eigener Mitglieder desselben — wenig beitragen kann.
ie Bemerkung, daß auch eine Anzahl meiner Freunde dem Bunde angehört, hat hier ein Gelächter hervorgerufen. Worin ist diese Heiter⸗ keit begründet? Daß unter meinen Freunden sich Landwirthe in großer Zahl befinden, ist Ihnen allen bekannt, daß wir neben anderen Inter⸗ essen auch die der Landwirthschaft niemals vergessen haben, wissen Sie ebenfalls aus der Geschichte unserer Partei. Ich halte das landwirthschaft⸗ liche Interesse in Deutschland für eins der bedeutendsten, wenn nicht für das bedeutendste, und erkenne es als durchaus nothwendig und berechtigt an, wenn auch dieses so grogs Interesse sucht durch Organi⸗ sationen vertreten zu sein, um seinen Einfluß geltend zu machen. Da⸗ egen sollte man von anderen Standpunkten gar nichts einwenden önnen; das ist eine vollkommen berechtigte Thätigkeit. Die Land⸗ wirthschaft sucht sich Organisationen zu schaffen, sich in der Presse, durch Vereine, durch gegenseitige Verbindungen wirksam vertreten zu lassen, wie es Handel und Industrie und die Arbeiterschaft seit vielen Jahren thun. Aber nicht nur in der Presse, leider auch hier ist man solchem berechtigten Vorgehen mit ohn und Spott entgegengetreten. Da ist es begreiflich, wenn die zertreter der Landwirthschaft eine ewisse Verstimmung und Ver⸗ itterung daraus herleiten. Wir maßssen uns endlich gewöhnen, daß wir, wie die Parteien auch alle großen Interessen als gleichberechtigt ertragen können und legitime Organisationen und Vertretungen der⸗ selben nicht deshalb bekämpfen, weil es sich hier gerade um die Land⸗ wirthschaft und nicht um Industrie und Handel dreht. Der Hinter⸗ grund der anzen Erörterung ist nicht das, was im rumänischen Handels⸗ vertrag ste t; in der Discussion hier und in der Presse ist seitens der b eper des Vertrags von dem Inhalt und der gefährlichen Wirkung es Vertrags für die Landwirthschaft herzlich wenig die Rede gewesen. er Beweis. daß der Vertrag der Landwirthschaft einen wesentlichen chaden zufügt, ist weder geführt noch ernsthaft angetreten. Die
licher landwirthschaftlicher Noth
Gegner haben wesentlich die Handelsvertragspolitik überhaupt an⸗ gefochten, um den möglichen Vertrag mit Rußland zu bekämpfen. Was die Handelsvertragspolitik anlangt, so erinnere ich daran, daß der Handelsvertrag mit Oesterreich — und ähnlich der mit Italien und der Schweiz — von einer ganz überwältigenden Mehrheit des Reichs⸗ tages, mit 243 gegen 48 Stimmen, angenommen ist. Unter diesen 243 Stimmen befanden sich rund 20 Stimmen der deutsch⸗conservativen Partei mit dem Vorsitzenden von Manteuffel an der Spitze und mit einer Zahl der angesehensten Mitglieder der Partei, die auch heute noch dem Reichstag angehören. Man erkannte es damals als noth⸗ wendig an, es nicht, wie Frankreich zu seinem Schaden versucht hat, mit einer autonomen Abschließung zu versuchen, man billigte es, wieder in die Handelspolitik einzulenken, um dabei so⸗ wohl die Interessen der Landwirthschaft wie die der In⸗ dustrie und des Handels zu wahren, und man billigte die Herab⸗ setzung des Getreidezolls auf 3 ½ ℳ Heute sagt man, das sei ein schweres Unrecht gewesen, man hätte auf dem Boden der Industrie Verträge schließen, für die Landwirthschaft aber alles beim Alten lassen sollen. „Aber den deutschen Unterhändler möchte ich kennen lernen, der mit einem Lande, welches wesentlich auf den Getreide⸗ export angewiesen ist, wie Oesterreich⸗Ungarn, einen Vertrag abschließen könnte, ohne daß hierin gewisse Zugeständnisse gemacht werden, um andere Zugeständnisse auf dem Gebiete der Industrie zu erlangen. Damals meinte eine ganze Anzahl der Agrarier: wenn wir eine aus⸗ reichende Garantie erhalten, daß unter den Satz von 3 ½ ℳ innerhalb der zwölf Jahre nicht heruntergegangen wird, dann sei das so werth⸗ voll, daß wir lieber auf die Hoffnung verzichten, daß die 5 ℳ uns für so lange Zeit erhalten bleiben. Damals zweifelte man sehr, daß der Satz von 5 ℳ bei dem damaligen exorbitanten Körnerpreis dauernd aufrecht zu erhalten sei. Man hielt 3¼ ℳ immer noch für einen genügenden Schutz und die Sicherung desselben für eine längere Reihe von Jahren für besser als die Unsicherheit. (Zurufe rechts.) Gewiß, formell ist der Satz von 3 ½ ℳ durch die Verträge nicht gesichert, die Verträge geben den anderen Contrahenten nur das Recht, darauf zu bestehen, daß über den Satz nicht hinausgegangen wird; daß er nicht unsererseits selbst herabgesetzt wird, dafür bieten die Verträge ja keine Garantie, aber eines der wesentlichsten officiellen Motive für den Abschluß der Verträge war doch, daß die ganze Wirthschaft in Deutschland für eine längere Reihe von Jahren in stabile geordnete Zustände kommen sollte, auf die sie sich dauernd einrichten konnte. Nicht nur die Industrie, auch die Landwirthschaft konnte verlangen, daß sie sich auf längere Jahre häuslich in ihrem Berufe einrichten konnte. Ich erinnere an die Erklärungen des Reichskanzlers und an meine eigenen. Wir fühlen uns moralisch gebunden, wenn es auch nicht in den Verträgen steht, während der zwölf Jahre unter die Sätze nicht herunterzugehen, um der Landwirthschaft einen dauernden Bestand der Zollpositionen ebenso zu gewähren wie der Industrie. Man kann sagen, das waren Er⸗ klärungen von Personen. Nein, so spielen sich die Sachen nicht ab. Oeffentlich im allgemeinen Einverständniß verhandelte Dinge sind vinculirend für alle, die in öffentlichen Stellungen sind. Nach solchen Verhandlungen und Erklärungen ist eine genügende Sicherheit vorhanden, daß in den zwölf Jahren der Satz von 3 ½ ℳ nicht herabgesetzt wird. Nachdem wir damals Ländern, die hierher Getreide exportiren, die Meistbegünstigung gewährt haben, können
wir jetzt die Regierung nicht an weiteren Handelsverträgen hindern, welche für unsere ganzen wirthschaftlichen Verhältnisse vortheilhaft sind. Bezüglich der Gefahr aus der Weizenausfuhr aus Rumänien sind die Ausfuͤhrungen des Staatssecretärs so überzeugend, daß der Versuch einer Widerlegung noch nicht ernsthaft gemacht ist. Wenn wir aus allen Ländern den Weizen zu 3 ½ ℳ hereinlassen, so kann es an der Preis⸗ bildung nichts ändern, ob noch von Rumänien ein Theil — bislang der zehnte Theil des dortigen Exports — zu demselben Satze herein⸗ gelassen wird. Differenziren wir Rumänien und muß dieses dann seinen Weizen auf dem Weltmarkt billiger verkaufen, so bringt uns der Preisdruck auf dem Weltmarkt eher Nachtheil als Vortheil. Hinsichtlich des Roggens kann ja die Sache anders beurtheilt werden; aber Rumänien producirt verhältnißmäßig wenig Roggen, weil die orientalischen Völker, speciell Rumänien, nicht gewohnt sind, viel Roggen zu consumiren. Darum ist auch die Gefahr nicht groß, daß durch den Schmuggel russischer Roggen als rumänischer eingeht. Ich mache gar kein Hehl daraus, zu erklären, daß die Roggenzollfrage in einem Vertrage mit Rußland nach ganz anderen Gesichtspunkten entschieden werden muß; daß dort die Rücksicht, ob die Landwirthschaft durch Compensationen genügend gedeckt wird, in den Vordergrund tritt. Denn Roggen wird vorzugs⸗ weise im Osten von Deutschland auf' dem leichten Boden gebaut; Deutschland hat daneben zur Zeit wenigstens einen bedeutenden Bedarf an Roggen, der durch Einfuhr gedeckt werden muß, und der Haupt⸗ lieferant für Roggen ist eben Rußland. Diese Erwägungen kommen aber bei dem rumäͤnischen Vertrag nicht in Betracht, daraus können gegen denselben Bedenken nicht hergeleitet werden. Wir halten das landwirth⸗ schaftliche Interesse für eins der bedeutendsten, wenn nicht das bedeutendste in Deutschland, und es ist deshalb sehr nöthig, daß alle, die im öffentlichen Leben stehen, Beamte und Volksvertreter, sich immer ein⸗ ehender damit beschäftigen. In England befindet sich die Landwirth⸗ schaft in einem bedauerlichen, selbst für den Bestand der Monarchie
sehrkichhe Rückgange; die bebaute Fläche und die Körnerproduction
aben dort ganz erschreckend abgenommen. In Deutschland wird es hoffentlich nicht dahin kommen. Die Landwirthschaft findet im öffent⸗ lichen Leben bei uns ihre Vertretung; alle auf Hebung der Land⸗ wirthschaft gerichteten Bestrebungen halte ich für berechtigt und wünsche ihnen, wenn sie ihre Zwecke legitim verfolgen, den besten Erfolg. Die Frage, wie es möglich ist, unter der veränderten Conjunctur des Getreides in Deutschland und in Europa die deutsche Landwirthschaft nachhaltig lebenskräftig zu conserviren, muß beant⸗ wortet werden. Diese Erhaltung wird möglich sein durch eine plan⸗ mäßig ineinandergreifende Thätigkeit von Gesetzgebung und Ver⸗ waltung in den großen und mittleren Einzelländern, aber auch im Reich. Wenn in Preußen diese große Frage ernsthaft in Angriff ge⸗ nommen wird — und sie darf nicht länger hinausgeschoben werden —, werden Sie (rechts) meine Freunde an Ihrer Seite finden; das sage ich vor allem den Herren rechts, welche vorzugsweise oder ausschließ⸗ lich die Interessen der Landwirthschaft zu vertreten glauben. (Ruf rechts: Weil Sie sie nicht verstehen!) Es giebt inmitten aller Parteien ebensolche Sachkenner der Landwirthschaft wie Sie! Auch die Parteien auf der Linken dürfen nicht verkennen daß eine Gesun⸗ dung unserer Zustände nur erfolgen kann, wenn nicht bloß Handel und Industrie, sondern auch die Landwirthschaft blüht. Kommt die Land⸗ wirthschaft herunter, so gehen auch die Löhne der Arbeiter zurück. Ich erkenne an, daß in einem großen Theile Deutschlands ein erheb⸗
G stand herrscht, möchte aber doch allzu pessimistischen und verzweifelten Stimmungen entgegentreten. Auch nach dem Nothstand anfangs der G Jahre folgte eine Blüthe der Landwirthschaft, und wenn auch damals noch der massen⸗ hafte Import vom Auslande nicht wie heute vorhanden war, so ist auch nicht gesagt, daß in dem heutigen Zustand sich nie⸗ mals etwas ändern wird. Der gefährlichste Concurrent Deutschlands sind die Vereinigten Staaten; der Import von daher kann aber un⸗ möglich auf die Dauer den heutigen Umfang behalten. Die Be⸗ völkerung nimmt dort noch zu, der beste Boden ist bereits voll in Benutzung, der Raubbau nicht mehr durchführbar, und es kann in der Getreideproduction sehr wohl dahin kommen, wohin es mit der Holzwirthschaft in einigen Gebieten Amerikas schon ge⸗ kommen ist, die den heimischen Bedarf nicht mehr deeckt. Tritt dies ein und ergehen die nöthigen gesetzgeberischen und Ver⸗ waltungsmaßregeln, dann ist ein Grund für diesen Pessimismus nicht abzusehen. — Der Beweis, daß der Vertrag die Landwirthschaft schadigt, hat nicht erbracht werden können. Die Industrie spricht sich, im Gegensatz zu der Situation gegenüber den großen Handelsverträgen, einhellig für die Verträge aus. Wenn die Vertreter der Landwirth⸗ schaft trotzdem den rumänischen Vertrag ablehnen, so haben sie nichr sachliche Gründe, sondern wollen anscheinend nur eine Kraftprobe be⸗
züglich des Umfangs ihres Einflusses veranstalten. Sie . be⸗ streiten das; draußen im Lande genirt man sich nicht, offen auszu⸗
zeigen, wie stark vorhanden,
einmal
sprechen, man müsse der Regierung mal Mißstimmung
man ist. Draußen im Lande ist eine Folge theils des Nothstandes, theils einer rücksichts⸗ losen Agitation; diese Mißstimmung will sich Luft machen, und da ist denn hier wohl mancher der Meinung: „Es rast der See und will sein Opfer haben“ und als Opfer mag der rumänische Handelsvertrag fallen, dann sehen die Leute draußen doch, wir thun etwas für sie. Das ist kein Phantasiegebilde, sondern mir von ganz ernsthaften Personen vorgetragen worden. Das Mittel könnte viel⸗ leicht 24 Stunden helfen, aber die Enttäuschung darüber, daß die Ablehnung des Vertrages an den Verhältnissen nichts besserte, würde bald folgen und der Zorn der Masse sich gegen diejenigen richten, die dieses drastische Beruhrgungsmittel verordnet haben. Bloßen Stimmun⸗ gen und Verstimmungen nachzugeben, sollten Volksvertreter und große Parteien sich doch schꝛuen. Das war früher im Reichstag anders, da faßte man die Aufgabe von Parteien und Vertretern doch höher auf. Das frühere Ansehen besitzt der Reichstag nicht mehr. Wenn er überhaupt niemals zu der imponirenden Autorität anderer Parla⸗ mente gelangt ist, so liegt das allerdings zum theil an der übermäch⸗ tigen Gestalt und Wirksamkeit des ersten Reichskanzlers; aber, wenn das ein Hinderniß war, ein viel schwereres ist doch die arge Zersplitte⸗ rung des Parteiwesens im Reichstag, wo auch jetzt keine Mehrheit für eine fortlaufende Politik vorhanden ist, kein durchgehender Zug, auf den das Volk sich stützen, mit dem die Regierung rechnen kann. Wenn Sie jetzt hier große Interessen einseitig geltend machen, auf Kosten, ja unter Vernichtung aller gleichberechtigten Interessen den Reichs⸗ tag⸗ zu derartigen Beschlüssen zwingen wollen, so ist das ein höchst gefährliches Spiel. Es handelt sich um Zölle auf die noth⸗ wendigsten Lebensmittel. Glauben Sie, daß die Landwirthschaft auf die Dauer die Stärke haben wird, gegenüber einer mächtigen Arbeiter⸗ bewegung und auch der gesammten Industrie solche Position behaupten zu können? Nein, es muß eine gewisse Uebereinstimmung von Land⸗ wirthschaft und Industrie da sein; wird sie leichtfertig und nur aus äußeren Gründen preisgegeben, wer weiß. ob sie jemals wieder zu stande gebracht wird! Ist es frivol, wenn die Industrie davor warnt, daß ganze Industrien ruinirt, Tausende von Arbeitern auf die Straße geworfen werden? Auch die Rück⸗ sicht auf die internationalen Beziehungen sollte hier nicht außer Acht bleiben. Wenn wir Rumänien preisgeben, wenn wir ver⸗ säumen, in den aufstrebenden Balkanstaaten festen Fuß zu fassen, wo ist der Ersatz? Wenn auch Amerika seine Schutzzölle herabmindert, unser Export dorthin wird von Jahr zu Jahr schwieriger, weil das Land sich immer mehr zum Industriestaat entwickelt; die südameri⸗ kanischen Länder aber bilden ein ganz unsicheres Gebiet, das theil⸗ weise von immerwährenden Revolutionen zerrissen wird. Da ist es doch viel wichtiger für die deutsche Industrie, sich am Balkan festzusetzen. Die Agrarier haben aber auch gar nicht die Kraft, eine solche einseitige Position dauernd festzuhalten, dazu ist die Unterlage für die Landwirthschaft in Deutschland nicht breit genug; sie müssen mit den anderen großen legitimen Interessen zusammengehen, und gerade in einem Augenblick, wo hinter der revo⸗ lutionären socialdemokratischen Bewegung der Anarchismus sich auf⸗ thut. (Stürmische Unterbrechungen und lebhafte Zwischenrufe bei den Socialdemokraten.) — Halten Sie das wirklich für lächerlich und gleichgültig? Ich habe schon mit Verwunderung im „Vorwärts“ gelesen, daß man der Sache doch die Bedeutung nicht beimessen könne, die ihr allgemein beigelegt werde, daß das Ganze eine Bourgeoismache sei, daß man nicht die richtige Bombe mit dem richtigen verbrecherischen Inhalt geworfen habe, daß das Resultat nicht viele Todte, sondern nur wenige Verwundete sei. Ich sage Ihnen, die Arbeiter, die hinter Ihnen tehen, haben den⸗ selben Abscheu vor diesen Unthaten wie die bürgerlichen Klassen. (Beifall rechts. Ruf bei den Socialdemokraten: Das hat mit dieser Sache nichts zu thun!) Das hat allerdings sehr viel damit zu thun; wenn wir in Europa mit solchen Dingen zu thun haben, wenn solche Gefahren international sich aufbäumen, da sollten die besitzenden Klassen aller Berufe das Bedürfniß empfinden, einig zu sein und ihre Interessen gegenseitig zu schonen!
Abg. Kalmring (Rp.) erhält das Wort; in der großen Unruhe, welche nach der Rede des Abg. Dr. von Bennigsen entsteht, geht aber der Anfang seiner kurzen Rede verloren und es ist nur zu ver⸗ stehen, daß der Redner sich gegen den Handelsvertrag ausspricht; er mit den Worten: Hat der Bauer Geld, hat's die ganze Welt!
Abg. Dr. Schoenlank (Soc.): Der Abg. Dr. von Bennigsen
hat das hier gar nicht hergehörende rothe Gespenst aufmarschiren lassen. Es ist selbstverständlich, daß vernünftige Menschen das, was in Paris geschehen ist, mißbilligen müssen. Die Regierung hat sich dagegen vertheidigt, daß sie die Unterstützung der Socialdemokraten und Freisinnigen findet; es ist nicht unsere Schuld, daß dies so selten vorkommt. Wenn die Regierung etwas Nützliches will, werden wir sie immer unterstützen. Die Agrarier sprechen nicht für die Interessen der Landarbeiter, sondern für die der Gutsbezirke; wir vertreten die Interessen aller Arbeiter. Wenn es den ländlichen Arbeitern so gut ginge, warum ist denn die Auswanderung aus dem Osten Preußens so stark? Warum wächst denn die Zahl der Socialdemokraten auch auf dem platten Lande, wie der Erlaß des preußischen Minister⸗Präsidenten Grafen Eulenburg selbst zugiebt? Der Wahlkreis Teltow, aus welchem der Abg. von Plötz eine Resolution der Bauern mitgetheilt hat, hat mit erdrückender Mehrheit einen Socialdemokraten in den Reichstag ge⸗ schickt. Die Gründe der Nothlage der Landwirthschaft liegen ganz wo anders als in den Handelsverträgen; daran ist die Betriebsführung schuld, der kleine Adel hält sich nur durch die Liebesgabe; er wird zu Grunde gehen, weil er sich nicht einschränken kann. Geschichte wiederholen sich die Vorgänge; aber wenn sie das erste Mal tragisch sind, so erscheinen sie beim zweiten Mal tragikomisch. Die Ritterschaft wehrte sich vergeblich gegen die überhandnehmende Kaufmannschaft; sie unterlag. Die Organisation des Centralverbandes der Industriellen ist so stark, daß wir dagegen verschwinden, und bei diesem Tournier werden Sie (rechts) in den Sand gesetzt werden. Die Bauern wissen gar nicht, daß der Zustand, den der Vertrag für die Landwirthschaft herbeiführt, schon seit zwei Jahren besteht. Daß der Abg. Dr. von Bennigsen von der großen Arbeiterbewegung ge⸗ sprochen hat, ohne zu wiederholen, daß sie ihren Höhepunkt über⸗ schritten hat, hat mich gefreut. Daß die Regierung der Industrie⸗ arbeiter gedacht hat, ist erfreulich; sie hätte nur auch bei der Tabackssteuer daran denken sollen. Wenn die Arbeiter brotlos und unzufrieden gemacht werden, dann sind Sie (rechts) es, welche die Schuld daran tragen. Vom Parteistandpunkte aus könnten wir die Ablehnung des Handelsvertrages nur wünschen; Sie würden dann erst erleben, was es heißt, Leute, die schon nur von Hungerlöhnen leben, auf die Straße zu werfen. Die Vertragspolitik betrachten wir als einen Fortschritt und bitten deshalb um die Annahme der Ver⸗ träge. Jetzt wird es sich zeigen müssen, ob Sie für das Volkswohl eintreten oder nur die Intereßen der Agrarier vertreten.
Abg. Fürst Radziwill (Pole): Die Polen haben sich nicht davon üͤberzeugen können, daß die Handelsverträge die vitalen Interessen der Landwirthschaft so verletzen, daß wir dagegen stimmen müssen. Wir wollen durch die Ablehnung der Verträge die scharfen ökonomischen Gegensätze nicht noch vermehren. Wir wüns aber, daß alle Anforderungen, welche von der Landwirthschaft gestellt werden, sorgfältig geprüft und gefördert werden.
Abg. Gräfe (Rfp.) wendet sich gegen die gestrige Bemerkung des Abg. Buddeberg, 82 es der Landwirthschaft in der Oberlausitz nicht schlecht gehe. Den kleinen Gewerbetreibenden geht es ahber recht schlecht und das wird sich besonders beim diesjährigen Weihnachts⸗ geschäft zeigen. Ein ehemaliges nationalliberales Mitglied des Reichs⸗ tags macht jetzt draußen im Foyer Stimmung für die Handels⸗ verträge; früher äußerte er sich einmal, wenn ihm die Zölle nicht gefielen, köͤnnte er seine Fabrik nach Böhmen ver⸗ legen. Das kann der Bauer nicht; deshalb muß er geschützt werden. Wenn Rumänien die Herabsetzung des Zolles von 5 auf 3,50 ℳ verlangt hat, dann muß die deutsche Landwirthschaft dadurch Schaden
haben; deswegen werden wir geschlossen gegen die Handelsverträge