1893 / 299 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Dec 1893 18:00:01 GMT) scan diff

Deutsche Reich und der Entwurf von Bestimmungen über den Nachrichtendienst in Viehseuchenangelegenheiten. Der Vorlage, betreffend die Jahresberichte der Gewerbe⸗Aufsichtsbeamten, wurde zugestimmt und einer Eingabe, betreffend Zulassung ur ärztlichen Prüfung, stattgegeben. Eine Eingabe, betreffend die Abänderung des Verfahrens bei Abnahme von Eiden vor Gericht, wurde dem Reichskanzler überwiesen. Ueber die für die Besetzung von Stellen bei den Disciplinarkammern zu machenden Vorschläge und über verschiedene Eingaben in Zoll⸗ und Steuerangelegenheiten wurde Beschluß gefaßt. End⸗ lich wurden die Entwürfe von Vereinbarungen über erleichternde Vorschriften für den wechselseitigen Verkehr zwischen den Eisen⸗ bahnen Deutschlands, der Niederlande, Oesterreichs und Un⸗ garns, sowie der Schweiz genehmigt, ebenso zwei Vorlagen über die Abänderung von der Anlage B zur Verkehrsordnung für die Eisenbahnen Deutschlands. 8

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Der heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ ist eine „Besondere Beilage“ (Nr. 5), enthaltend Ents chei⸗ dungen des Reichsgerichts, nebst Titel und Sachregister 1893, beigefügt.

Der Ober⸗Hofmeister Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Freiherr von Mirbach ist gestern vom Urlaub zurückgekehrt.

Der neuernannte Regierungs⸗Assessor Scholtz ist der Königlichen Regierung zu Trier zur dienstlichen Verwendung überwiesen worden.

Der neuernannte Regierungs⸗Assessor Berger ist bis auf veiteres dem Landrath des Kreises Zeitz, Reg.⸗Bez. Merse⸗ urg, zur Hilfeleistung in den landräthlichen Geschäften zu⸗ etheilt worden. v11“

Bayern.

Die Kammer der Abgeordneten genehmigte gestern die provisorische Steuererhebung und berieth dann den Antrag des Abgeordneten Baer auf Entschädigung für Verluste an Rindvieh, die durch die Maul⸗ und Klauenseuche ver⸗ ursacht würden. Der Minister des Innern Freiherr von Feilitzsch erklärte, daß nach dem Reichs⸗ gesetz über die Viehseuchen und nach dem Beispiel anderer Länder für Bayern zur Zeit kein Anlaß bestehe, einen solchen Gesetzentwurf einzubringen. Wenn ein solches Gesetz ge⸗ wünscht werde, dann sollten auch die Viehbesitzer die Kosten dafür aufbringen. Wenn die Viehversicherungsfrage eine weitere Gestactung erlange und eine Landesversicherung geschaffen werde unter Mitwirkung des Staats und vielleicht mit einer Subvention desselben, dann werde allen Wünschen entsprochen sein. Schließlich wurde der Antrag mit der Be⸗ schränkung auf die bösartige Klauenseuche mit großer Majorität angenommen.

Württemberg.

Der heutige „Staats⸗Anzeiger für Württemberg“ ver⸗

öffentlicht die Ernennung des Staatsraths Pischek zum

Minister des Innern.

Hessen. ,

Die Erste Kammer beschloß gestern eine Adresse an Seine Königliche Hoheit den Großherzog und vertagte sich sodann auf unbestimmte Zeit. In der Zweiten Kammer legte der Finanz⸗Minister Weber das Finanzgesetz und den Etat für 1894/97 vor. Die ordentlichen Ausgaben sind darin pro Jahr mit 27 080 000 vorgesehen, die außerordentlichen mit 22 018 000 Die Leistungen an das Reich sind für 1894/95 mit 1 078000 über die Antheile Hessens an den Neichs⸗ steuern hinaus eingestellt. Zur Vermeidung einer Erhöhung der directen Steuern ist die Weinsteuer mit 300 000 wieder eingestellt worden. Die Höhe der Staatsschuld be⸗ läuft sich auf 37 800 000 und wird am Ende der nächsten Finanzperiode auf 58 586 000 steigen. Der Netto⸗Activbestand der Staatskasse beträgt 16 120 000 Für das Ressort des Ministeriums des Innern und der Justiz werden 852 000 ℳ, für das Finanz⸗ Ministerium 219 000 ℳ, für den Museumsbau 1 ½ Millionen Mark gefordert. Die Kammer beschloß gleichfalls eine Adresse an den Großherzog und wählte sodann die Ausschüsse.

Mecklenburg.

Der Landtag hat den „Meckl. Nachr.“ zufolge gestern den Cö“ die Kleinbahnen dahin lautend an⸗ genommen, daß das Expropriationsrecht für solche Bahnen ge⸗ währt werde, Landeshilfen aber auszuschließen seien.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Sdeine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen ist gestern Nachmittag in Coburg eingetroffen und auf dem Bahnhofe, wo zugleich feierlicher Empfang stattfand, von Seiner Königlichen Hoheit dem Herzog begrüßt worden.

Schwarzburg⸗Rudolstadt.

Der Gesetzentwurf über die Abänderung des Ver⸗ sammlungsrechtes, der u. a. die Bestimmung enthält, daß minderjährige Personen von der Theilnahme an Versammlungen ausgeschlossen sein sollen, ist vorgestern vom Landtag angenommensworden.

Schwarzburg⸗Sondershausen.

Der Landtag hat in seiner Sitzung vom 12. d. M. den Entwurf eines Berggesetzes und in der vom 13. d. M. das neue Einkommensteuergesetz in den §§ 1 bis 17 nach eingehender Debatte angenommen. Die Regierung hatte von vornherein ihr Entgegenkommen zu etwa gewünschten Aende⸗ rungen zu erkennen gegeben und zu einer Anzahl von Ab⸗ änderungsvorschlägen der Deputation ihre Zustimmung erklärt.

Reuß ä. L. Seine Durchlaucht der Fürst hat sich vorgestern zur Theilnahme an Jagden des Prinzen Wilhelm zu Schaumburg⸗ Lippe nach Nachod in Böhmen begeben.

Oesterreich⸗Ungaru.

Der Kaiser empfing gestern den niederl sandten Mazel in Abschiedsaudienz. 8

Das österreichische Abgeordnetenhaus lehnte, wie

„W. T. B.“ meldet, gestern den Antrag des Jun czechen Herold auf Nichtgenehmigung des Ausnahmezustands mit 185 gegen 73 Stimmen ab. Der Antrag des Ausschusses, den Ausnahmezust and zur Kenntniß zu nehmen, wurde mit 185 gegen 73 Stimmen angenommen. Ferner wuͤrde der weitere Antrag Herold auf sofortige Aufhebung der Suspension der Geschworenengerichte mit 186 gegen 75 Stimmen abgelehnt. In der gestrigen Abendsitzung ergriff nach Bekanntmachung der zur Vorlage über das Budgetprovi⸗ sorium angemeldeten Redner der Minister⸗Präsident Fürst Windischgrätz das Wort und erklärte: obwohl der Gesetzentwurf rein finanziell sei und als solcher durch den Finanz⸗Minister vertreten werden werde, wolle er doch von der Stelle aus, auf die er durch das allerhöchste Vertrauen berufen sei, die An⸗ nahme des Gesetzentwurfs empfehlen. Das Ministerium sei noch nicht in der Lage, auf einen Regierungsact hinzuweisen, der geeignet sei, dort, wo der Regierung noch kein Vertrauen ent⸗ gegengebracht werde, Vertrauen zu erwecken, und wo ein wohlwollendes Vertrauen bestehe, dieses zu bestärken. Allein das Ministerium habe eine Ermächtigung nöthig, damit der Staatshaushalt nicht ins Stocken gerathe. Das Mi⸗ nisterium glaube somit auf die Ertheilung einer solchen Er⸗ mächtigung hoffen zu dürfen. Wie in einem monarchisch regierten Staat überhaupt, gründe sich die Amtswirksamkeit jeder österreichischen Regierung, auf zwei Momente: das Ver⸗ trauen des Monarchen und die Unterstützung der gesetzgebenden Körper. Was die letzteren anlange, so habe es die politische Situation mit sich gebracht, daß zunächst die drei großen Parteien sich behufs gleichwerthiger Cooperation zu gemein⸗ samer legislatorischer Arbeit aneinander geschlossen hätten. Das Hinzutreten werthvoller Stimmen habe bereits will⸗ kommen geheißen werden können, und es möge gestattet sein, die Hoffnung auszudrücken, daß der Coalitionsgedanke, wo er bereits Wurzel gefaßt, sich befestigen und kräftigen, Freunde erwerben und Feinde versöhnen möge. (Lebhafter Beifall.) Die Aufgaben der Regierung seien schwierig und ihre Lösung nur erreichbar, wenn seitens derjenigen, die dazu bereitwillig die Hand böten, manches zurückgestellt werde im Interesse einer gemeinsamen einverständlichen Vollbringung drin⸗ gender Arbeiten. (Beifall.) Dazu sei es nothwendig, daß alle Cooperirenden ein gemeinsames Interesse des Staats und den Schutz der erhaltenden Elemente anstrebten (Beifall) und auch ihrerseits das Vertrauen hätten, daß das Ministerium alles vermeiden werde, was geeignet sei, ihre Grund⸗ anschauungen zu verletzen. Er (der Minister⸗Präsident) könne unter Hinweis auf die Antrittserklärung der Regierung die Versicherung beifügen, daß die Regierung redlichen guten Willens sei, das in der Erklärung Gesagte einzuhalten. (Bei⸗ fall.) Er bitte um Annahme des Gesetzentwurfs. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Die „Prager Zeitung“ protestirt ebenfalls gegen die vorgestrige Rede des Abg. Gregr und führt aus, daß es kein böhmisches Volk geben würde, wenn nicht das weise und milde Geschlecht der Habsburger dasselbe mit mächtiger Hand be⸗ schützt hätte.

Großbritannien und Irland.

In der gestrigen Sitzung des Obe rhauses führte, dem „W. T. B.“ zufolge, der Marquis von Salisbury aus, es sei höchst ungewöhnlich, vom Hause zu verlangen, daß es im Januar tagen solle; er behalte sich das Recht vor, hinsichtlich der von der Regierung beabsichtigten Arrangements Vorschläge zu machen. Nach Annahme der dritten Lesung der Haftpflicht⸗ bill vertagte sich das Haus bis zum nächsten Dienstag.

Im Unterhause brachte am 12. d. M., wie die „Allg. Corresp.“ berichtet, der Abg. Keir Hardie die auffallende Zahl von Todesfällen durch Verhungern und Selbstmord und das Wachsen der Armuth zur Sprache und bewies mit Zahlen, daß der Pauperismus in ganz England in allen Districten mit einer einzigen Ausnahme im letzten Jahre zugenom⸗ men habe. In London gebe es zur Zeit 100,000 völlig Ar⸗ beitslose. 50 000 hätten nur gelegentliche und ungenügende Beschäftigung. Ein gleiches Verhältniß finde überall im Lande statt. Jeden Tag verhungere wenigstens ein Mensch in England. Unverzüglich sollte wenigstens der achtstündige Arbeitstag in allen Staatsanstalten eingeführt werden. Ueber⸗ zeit sollte strengstens vermieden werden. Für die Marine könnten 8 bis 10 Schnellkreuzer gebaut werden. Brachliegendes Land solle man wieder bebauen und den unglücklichen Insassen der Arbeitshäuser das Leben etwas erträglicher machen. Im Namen der Negierung erwiderte der Secretär des Localber⸗ waltungsamts Sir W. B. Foster: Ueber Fälle von Ver⸗ hungern sei elf Jahre lang eine Statistik geführt worden. Im letzten Jahre seien nur 6 Leute mehr als früher verhungert. In London seien im Jahre 1892 31 Leute verhungert. Darunter befänden sich aber neun Kinder, deren Todesursache wahr⸗ scheinlich mehr ungeeignete, als Mangel an Nahrung gewesen sei. Nur 4 Erwachsene schienen wirklich verhungert zu sein. Freilich, auch das sei eine Schmach. ob wirklich viele Fälle von Selbstmord, der Furcht zu verhungern, zuzuschreiben seien. In London möchte die Regulirung der Themse vielleicht vielen Un⸗ beschäftigten Arbeit verschaffen. Im übrigen habe das Localverwaltungsamt die Localbehörden aufgefordert, nütz⸗ liche Bauten zu unternehmen. Sir J. Gorst meinte, daß vor allem wieder mehr Leute auf dem flachen Lande be⸗ schäftigt werden müßten. Balfour wollte von all' diesen Mitteln nichts wissen. Der britische Arbeiter sei auf den Unter⸗ nehmungsgeist des britischen Kapitalisten angewiesen. Solche Strikes, wie der letzte Kohlenstrike, lähmten die Unternehmungslust. Der britische Arbeiter möge vorsichtig sein, damit das britische Kapital nicht ins Ausland wandere. Schließlich wurde der Antrag Keir Hardie's auf Vertagung des Hauses mit 175 gegen 33 Stim⸗ men abgelehnt. In der gestrigen Sitzung erwiderte nach einer Meldung des „W. T. B.“ der Staatssecretär des Innern Asquith auf eine bezügliche Anfrage: die bestehenden Gesetze böten kein Mittel, um die von Frankreich ausgewiesenen Anarchisten zu verhindern, nach England zu kommen. Die Regierung sei der Meinung, daß noch keine Zustände sich ergeben hätten, um eine Abänderung der Gesetze wuünschenswerth erscheinen zu lassen. Im weiteren Verlauf der Sitzung erklärte der Parla⸗ mentssecretär des Colonialamts Buxton, daß die Ein führung der Goldwährung in British⸗Honduras beschlossen sei, die Regierung werde aber die Details erst feststellen, wenn sie Kenntniß von den Ansichten der Regierung von Honduras er⸗ langt haben werde. Der Parlamentssecretär des Auswärtigen Sir E. Grey gab die Erklärung ab, daß England noch keine Ein⸗ ladung zur Brüsseler Conferenz zum Schutz des industriellen Eigenthums erhalten habe, näthin der Tag des Zusammen⸗

Der Redner zweifelte,

tritts der Conferenz wohl noch nicht definitiv festgestellt sei. Das Protokoll 1 der betreffenden Madrider Conferenz sei von Großbritannien, Frankreich, Spanien, der Schweiz, Tunis und Portugal ratificirt worden. Der Premier⸗Minister Gladstone erklärte, er bestimme den nächsten Dienstag für die Debatte über den die Vermehrung der Flotte betreffen⸗ den Antrag Hamilton's. Die Regierung werde diesen durch einen Unterantrag bekämpfen, der besage, es sei die erste Pflicht des verantwortlichen Ministers, hin⸗ reichende Maßregeln zu treffen, um die Flotte für die Vertheidigung des Landes und den Schutz der Interessen des Reichs in Stand zu setzen. Das Haus vertraue dem Ministerium, daß es zur gehörigen Zeit dem Parlament die geeigneten Vorschläge machen werde. Der Premier⸗Minister theilte sodann im weiteren Verlauf der Sitzung mit, die Weihnachtsferien würden vom 22. bis 27. De ember dauern. Dorrington beantragte die Vertagung des um gegen die Absichten der Regierung hinsichtlich der Sitzungen des Hauses zu protestiren. In der hierauf folgenden lebhaften Debatte erklärte der Premier⸗Minister Gladstone⸗ der klare Zweck der Opposition sei, die Regierung zu zwingen, die Kirchspielrathsbill aufzugeben; die Re ierung werde das nicht thun. Schließlich wurde nach vierstündiger Debatte der Antrag Dorrington's mit 165 gegen 115 Stimmen verworfen.

Der Abg. Labouchere hat im Unterhause einen auf Abschaffung des Oberhauses zielenden Antrag ange⸗ kündigt. Der Antrag besagt, daß das Bestehen eines Zweiges der Legislatur, deren Mitglieder nicht von ihren Mitbürgern erwählt seien, gegen den Grundsatz der Selbstregierung ver⸗ stoße, und daß ferner die Thatsache, daß die Meinungen der großen Mehrheit derer, die im Hause der Lords säßen und stimmten, stets von einer und derselben politischen Parteifarbe seien, es unmöglich mache, daß die Regierung des Landes durchgeführt werde in Gemäßheit der Ansichten der Wähler, wenn je diese Ansichten gegen die der besagten Mehrheit seien. Das Unterhaus beantrage deshalb die Abschaffung aller erblichen Rechte oder der Rechte, die aus dem Besitz eines Bisthums herrührten, im Par⸗ lament zu sitzen und zu stimmen, und fordere die Minister Ihrer Majestät auf, ihm eine Bill vorzulegen, welche diesen Beschluß durchführe.

E““ Frankreich. v“ 8

Der Minister des Innern Raynal und der Justiz⸗ Minister Dubost haben, wie „W. T. B.“ berichtet, an die Präfecten und General⸗Staatsanwälte Rundschreiben gerichtet, in denen sie diese auffordern, die Bestimmungen des Preßgesetzes über die Hinterlegung von Pflichtexemplaren orgsam zu überwachen, die bezüglichen neuen Gesetze zur Anwendung zu bringen und die Polizei⸗Commissare anzuweisen, den Versammlungen beizuwohnen und über gesetzwidrige Aeußerungen ein Protocoll aufzunehmen.

Der Papst hat der französischen Regierung gegen⸗ über durch Vermittelung des Nuntius anläßlich des am Sonnabend stattgehabten Attentats seinem Abscheu über das⸗ selbe und seinem tiefen Mitgefühl mit den Opfern des An⸗ schlags Ausdruck gegeben.

In der Deputirtenkammer richtete gestern Leygues eine Anfrage an die Regierung über das Sinken der Ge⸗ treidepreise, dessen Ursache er in der amerikanischen Ein⸗ fuhr, der Wirkung der zeitweisen Zulassung und der Ein⸗ richtung der Eisenbahntarife sowie der Organisation der Niederlagen erblickte. Der Redner gab der Ansicht Aus⸗ druck, daß, wenn hiergegen keine Maßregeln ergriffen würden, die französischen Landwirthe auf den Getreidebau ver⸗ zichten müßten. Der Ackerbau⸗Minister Viger antwortete, die Regierung sei ernstlich mit dem Niedergang der Getreide⸗ preise beschäftigt. Das gegenwärtige System der Niederlagen müsse geändert werden. Per Minister schloß mit der Er⸗ klärung, daß die Regierung die Interessen der Land⸗ wirthe vertheidigen werde. Der Minister der öffentlichen Arbeiten Jonnart äußerte, daß er mit einer der Eisenbahntarife für die Waareneinfuhr beschäftigt sei. Hierauf wurde die Discussion über den Antrag Basly auf eine Enquéte über den Strike im Departement Pas de Calais fortgesetzt. Millerand bestritt den politischen Charakter des Kohlenstrikes, bekämpfte unter Darlegung der Entwickelung des Strikes die Kohlengesellschaften und warf der Regierung vor, für diese letzteren Partei ergriffen zu haben. (Beifall auf der äußersten Linken. Protestrufe im Centrum.) Redner schloß unter Befürwortung der Ernennung einer Enquéte⸗Commissio Lamendin ssocialistischer Deputirter des Pas de Calais vertheidigte das Verhalten der Arbeiter, indem er die vo gekommenen Ausschreitungen dem Vorgehen der Gendarmen zuschrieb. Der Minister der öffentlichen Arbeiten Jonnart hob hervor, was der Ausstand den Arbeitern und dem fra zösischen Markt gekostet habe, rechtfertigte die Entlassung der abgelegten Arbeiter und betonte, daß das Syndicat es ge⸗ wesen sei, das den Ausstand beschlossen habe. Hierauf wurde der erste Theil des Antrags Basly mit 401 gegen 131 Stimmen abgelehnt; der zweite Theil auf Einsetzung einer Enquöte⸗ Commission über die Arbeitsbedingungen in allen Gruben wurde ebenfalls, nachdem ihn die Regierung zurückgewiesen hatte, mit 366 gegen 166 Stimmen abgelehnt. Vor der Ab⸗ stimmung erklärte der Minister⸗Präsident Casimir Pörier, daß er seine Stellung als Administrator der Gruben von Anzin niedergelegt habe, sowie er zum Präsidenten der Kammer ge⸗ wählt worden sei. Goblet kündigte hterauf an, er werde am Sonnabend einen Antrag auf Abänderung der Gruben verwaltung einbringen. Wie verlautet, beabsichtigt der radicale Deputirte Vigné, die Regierung wegen des Verbots der Aufführung von Hauptmann’s „Einsame Menschen“ zu interpelliren.

Der Werth der Einfuhr Frankreichs betrug im No vember cr. 333 Millionen Francs gegen 292 Millionen gleich zeitig im Vorjahre, die Ausfuhr 255 Millionen Francs gegen 315 Millionen im Jahre 1892.

Das „Petit Journal“ meldete gestern Vormittag die Ent⸗

deckung eines großen, angrchesthichen Complots. Die Polizeipräfectur dementirt diese Nachricht durchaus, ebenso wie diejenige von der Verhaftung eines gewissen Carl Stubb und der Auffindung einer geladenen Bombe bei ihm. Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Paris von heut früh sind etwa zehn weitere Verhaftungen erfolgt. een aus⸗ ländischen Anarchisten ist gestern der Ausweig ungs⸗ befehl zugestellt worden mit der F Frankreich binnen acht Tagen zu verlassen. Die Polizei setzt die Nachforschungen nach den Mitschuldigen Vaillant's sort. 11“ Nach Meldungen aus Algier ist der österreichische Aviso „Grelf“, der am 9. d. M. daselbst eingetroffen war, gestern früh von dort nach Gibraltar in See gegangen. An Bord

des Avisos befindet sich die Kaiserin von Oesterreich, Allerhöchstwelche unter dem Namen einer Gräfin von Hohenembs Italien. Die Agenzia Stefani“ meldet: Das Cabinet hat sich nunmehr in folgender Zusammensetzung constituirt: C rispi, Vorsitz und Inneres: Baron Albert Blanc, wärtiges; Calenda, Justiz: Sonnino, Finanzen und interimistisch Schatz: S aracco, öffentliche Arbeiten; Mocenni, Krieg; Mo rin, Marine; Baccelli, Unterricht; Boselli, Ackerbau; Ferraris, Post und Telegraphen. Belgien. In der Deputirtenkammer kündigte dem „W. T. B.“ z olge gestern der General Brialmont an, er werde dem⸗ nächst die Ernennung einer Militärcommission beantragen, die mit der Prüfung der Festungen und der Armee beauftragt werden solle. Der Minister⸗Präsident Beernaert erklärte namens der Regierung, es sei nicht Aufgabe der jetzigen

Aus⸗

Kammer, sich über militärische Fragen zu äußern, wohl aber der zukünftigen, nach dem neuen Wahlgesetz gewählten Kammer. Griechenland.

Die Kammer hat gestern laut Meldung des „W. T.

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die Vorlage über das finanzielle Arrangement in erster

Lesung genehmigt. . Rumänien. „Der Senat hat gestern mit 49 gegen 12 Stimmen de Adreßentwurf angenommen, nachdem, wie „W. T. B.“ berichtet, der Minister⸗Präsident Catargi sich gegen eine falsche Interpretation der ministeriellen Ausführungen aus⸗ gesprochen hatte. Der Minister⸗Präsident faßte die letzteren dahin zusammen: Pflege guter Beziehungen zu allen Staaten, Nicht⸗Einmischung in die Angelegenheiten fremder Staaten, Achtung ihrer Rechte, damit diese auch ihrerseits die Rechte Rumäniens achten. Serbien.

Die Skupschtina hat gestern beschlossen, sich anläßlich des Ablebens des früheren Minister⸗Präsidenten Dokic bis zum 18. Dezember zu vertagen. Die Leiche Dokic's trifft dem „W. T. B.“ zufolge am 17. d. M., Nachmittags in Belgrad ein.

Amerika.

Der Senator Voorhees brachte, wie „W. T. B.“ aus Washington meldet, gestern einen Gesetzentwurf ein, betreffend die Ausprägung von 2 Millionen Dollars monatlich aus dem im Staatsschatz befindlichen Silber, welches von der Prägegebühr herrühre. Wenn dieser Silbervorrath er⸗ schöpft sei, solle man hinreichend Silber kaufen, um monatlich 2 Millionen Dollars zu prägen. Ferner beantragte Voorhees die Ernennung von Delegirten für die nächste internationale Münzconferenz.

Die argentinische Kammer berieth gestern das s. 3. von Romero mit Rothschild vereinbarte Ueberein⸗ kommen. 20 Deputirte beantragten die Vertagung der Berathung bis zum Mai und vollständige Bezahlung der Zinsen der Schuld in der Zwischenzeit. Zapata ist zum Justiz⸗Minster, Costa zum Minister des Auswärti nannt worden. 8

Afrika.

In Paris eingetroffene Nachrichten aus Tanger melden, der Sultan von Marokko habe den glücklichen Ausgang seines Feldzuges in Tafilett angezeigt und gleichzeitig seine An⸗ kunft in Marrakech (2) für den 20. d. M. in Aussicht gestellt.

Parlamentarische Nachrichten. v Deutscher Reichstag. ““

Der Bericht über die gestrige Sitzung befindet sich in der Ersten Beilage.

21. Sitzung vom 15. Dezember, 11 Uhr. 8

Der Sitzung wohnen bei der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssecretäre Dr. von Boetticher und Freiherr von Marschall und der Königlich preußische Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten von Heyden.

Aunuf der Tagesordnung steht die dritte Berathung der Handelsverträge mit Spanien, Rumänien und Serbien. Hierzu liegt ein Antrag des Abg. Grafen Kanitz (dcons.) vor, die Verträge nur auf ein Jahr, bis zum 31. De⸗ zember 1894, abzuschließen.

„Abg. Graf Bismarck⸗Schönhausen (b. k. F.): Ich bitte zunächst um Entschuldigung, daß ich auch meinerseits nach so vielen Reden Ihre Geduld noch in Anspruch nehme. Dafür habe ich zwei Gründe der Entschuldigung: einmal die Thatsache, daß bei der neulichen namentlichen Abstimmung 43 Mitglieder des Hauses fehlten, sodaß bei der verhältnißmäßig geringen Majorität immerhin eine Verschiebung heute noch möglich wäre. Ferner sind in der gestrigen Debatte eine ganze Anzahl verhältnißmäßig neuer Gesichtspunkte hervorgetreten, die uns mit Nutzen noch einige Minuten beschäftigen können. Daß wir acht Tage lang eigent⸗ lich nur Generaldebatten hatten, beweist die Wichtigkeit der Vorlage. Wäre der Vertrag vor zwei Jahren allein gekommen, hätte er nicht so viel Zeit in Anspruch genommen. Aber die Thatsache, daß die Debatten sich so weit ausgesponnen haben, beweist, daß die Empfin⸗ dung vorherrscht, daß die bisherigen Mittel des Schutzes der nationalen Production verlassen werden sollen und daß der erst ein halbes Jahr alte Reichstag eine Kritik an der Handels⸗ und Wirthschaftspolitik von 1891/92 üben wollte. Zu unserer Genugthuung haben die Redner vom Bundesrathstisch ich dagegen verwahrt, daß sie einen absoluten Freihandel inauguriren wollten. Sie haben sich zu einer conservativen Politik bekannt und wir haben gern davon Act genommen, aber wir stehen alle unter dem Eindruck, daß von der ersten Stelle im Bundesrath, seitens des Reichskanzlers, die Aeußerungen sowohl im Reichstag wie anderswo den Rückschluß gestatten, daß der Reichs⸗ kanzler ein eifriger Anhänger der Freihandelstheorien geworden ist. Den Schluß ziehe ich aus allen seinen Kundgebungen. Ich habe ja keine Gelegenheit, mich persönlich mit dem Herrn Reichskanzler. zu unterhalten, kann mich also nur an das halten, was in die Oeffent⸗ lichkeit dringt. Auf der Besorgniß, daß der große Aufbau von 1879 und 1881 erschüttert werden könnte, beruht die Abwehr dieser Seite vg Hauses gegen die jetzige Handelspolitik. An diesem Schutz von Material und Personal wollen wir festhalten, und da heißt es, auch: il n'y a que le premier pas qui coũte, et qui coũte cher, der Schaden wächst im Quadrat der Entfernung. Man will einen Helh und Zwietracht in die bisher festgefügte Allianz sämmtlicher die ductionsgenossen treiben, und Sie werden mir Recht geben, daß

„ländliche Bevölkerung im Spätherbst 1891 die Empfindung hatte,

daß sie von der Industrie etwas im Stich gelassen worden ist, und

wieder rückgängig zu machen.

ortheile, welche der Industrie nicht viel eingebracht Niemand ist mehr überzeugt als ich, daß ein unbedingtes Zusammenhalten der nationalen Landwirthschaft und der nationalen Industrie nothwendig ist. Zu meiner Freude hat der Abg. Dr. von Bennigsen nicht nur sein warmes Herz für die Landwirthschaft zu tennen gegeben, sondern auch dringend empfohlen, daß beide Productionsgebiete zusammenhalten. Auch ein so einsichtiger Geschäfts⸗ mann wie der Abg. Freiherr von Stumm wird der Landwirthschaft nicht zumuthen wollen, daß wir uns sozusagen in eine societas Leonina mit der Industrie einlassen: leben und leben lassen. Daß uns diese Verbindung in den letzten zwölf Jahren unendlichen Segen gebracht und den nationalen Wohlstand vermehrt hat, ist über allen Zweifel erhaben. Wir wollen nicht hoffen, daß bei Industrie und Landwirthschaft die Fabel von den beiden feindlichen Löwen zur Wahrheit werde. Ich bin aber so optimistisch, zu glauben, daß diese kleinen Zerrungen sich unter den alten Freunden rasch ausgleichen werden. Der deutsche Arbeiter als Landsmann steht mir doch näher als der fremde. Die Abgg. Freiherr von Stumm und Krupp haben zwar höchst erfreulicher Weise persönliche Beziehungen mit ihren Arbeitern, aber im großen und lanzen kann sich doch bei den Actiengesellschaften ein solches perfön⸗ iches Verhältniß nicht herausbilden. In der vorigen Woche wurde der Rechten vorgeworfen, daß die ländlichen Arbeiter im Osten zu schlecht bezahlt würden, und daran der naivde Wunsch geknüpft, man möchte sie doch höher bezahlen. Wir würden ja sehr gern das thun, aber woher nehmen und nicht stehlen? Sehen Sie doch die Bücher der Landwirthe nach: alle Landwirthe mit Ausnahme derjenigen Bauern, die selber zu viel Hand anlegen und deren schwielige Faust Abends die Feder nicht führen kann, führen ein Buch. Sehen Sie doch einmal die Einkommensteuerlisten nach, und Sie werden einen Rückgang nicht nur bei den Großgrundbesitzern, sondern gerade bei den kleinen Bauern finden. In der langen Wahlcampagne stand zwar die Militärvorlage in erster Reihe, dann kam aber die Nothlage der Land⸗ wirthschaft, und ich wurde gefragt: was werden Sie thun, wenn neue Handelsverträge kommen. Allerdings lagen die Handelsverträge damals noch nicht vor, aber dieser Einwand, der auch neuerdings gemacht worden ist, ist nur ein Spiel mit Worten. Für die Landwirthe war es klar, daß sie die Kosten tragen müßten, wie 1891 auch. Da hieß es: vestigia terrent und exempla docent. Der Großgrundbesitz kann es ja länger aushalten, wenn die Landwirthschaft ruinirt wird, aber zuerst kommt der Bauernstand heran, das beste Element des Vaterlandes. Es handelt sich nicht darum, ob einzelne Großgrundbesitzer zu Grunde gehen, es handelt sich nicht um einzelne Personen. Der Einzelne würde gern wie Curtius Rufus in die Schranken springen, wenn er mit seinem Leibe der Allgemeinheit nützen könnte. Es handelt sich vielmehr um die Entwerthung des Grund und Bodens, also des Nationalvermögens. Die Bestellung eines Gutes von 500 Morgen in der Provinz Sachsen kostet jährlich etwa 12 000 Tagelohn. Der Tagelohn muß jeden Sonnabend ausgezahlt werden. Woher soll er kommen, wenn alles unverkäuflich bleibt? Der Großgrundbesitzer kann vielleicht noch günstig verkaufen, die kleinen Leute verpassen aber ge⸗ wöhnlich den Moment, wo sie höher losschlagen könnten. Kommen Sie nur aufs Land und sehen Sie, wie entbehrungsvoll der kleine Besitzer lebt und wie die Einkommensteuer zurückgeht. Die Ent⸗ werthung von Grund und Boden geht immer weiter, wenn diese Politik fortgesetzt wird. Der Erzbischof von Dublin, der als Kirchenfürst ein warmes Herz für seine armen länd⸗ lichen Mitbürger hat, weist in einer Broschüre klar nach, daß die Pächter, die auf lange abgeschlossen haben, bei dem ganzen Stand der Metallproduction und der Währungsverhältnisse bankerott werden müssen. Das Beste und Schlagendste, was bisher über die Währungsfrage gesagt ist, besteht in dem Axiom: Die Decke wird zu kurz werden. enn Sie uns nicht die Möglichleit geben, die länd⸗ lichen Arbeiter besser zu bezahlen, müssen diese natürlich aus⸗ wandern oder der Socialdemokratie in die Hände fallen. Darum operiren die Herren auf der Linken ja ganz logisch, wenn sie darauf hinarbeiten, die Landwirthschaft zu schädigen. Bei der letzten Wahl würden die Socialdemokraten noch viel mehr Stimmen bekommen haben, wenn die Noth der Landwirthe nicht den Bund der Landwirthe geboren hätte. Die Landwirthe wurden eben durch die Noth gezwungen, sich zusammenzuthun. Wenn immer vom Volk gesprochen wird, so gehört doch der Landwirth auch zum Volk, wir alle gehören zum Volk. Ich nehme für mich in Anspruch, daß ich ebenso zum Volk gehöre. Die kleinere Hälfte der ganzen Bevölkerung besteht aus Landwirthen, und für die müssen wir sorgen. Können wir die Arbeiter mehr be⸗ friedigen, so werden sie zu Hause bleiben und nicht den Irrlehren der Socialdemokraten anheimfallen. Alte Bauern haben mir schon im vorigen Jahre gesagt: Was sollen wir denn machen? die einzigen, die Courage haben, sind die Socialdemokraten. Man sagt, die Ablehnung des Vertrages würde 100 000 Industriearbeiter brotlos machen. Für die Landwirthschaft weist man aber die Schädigung ab. Da steht Behauptung gegen Behauptung, aber der große Rechenmeister, die Empirie, wird uns Recht geben, wenn die Décadence der landwirthschaftlichen Arbeiter weiter fortgeht. Können die ländlichen Arbeiter nicht genug verdienen, so werden die östlichen Provinzen entvölkert und durch Zuzug aus dem slavischen Osten Ersatz erhalten müssen. Unsere Arbeiter gehen nach Amerika, wenn sie noch genug zur Ueberfahrt realisiren können, und die slavische Bevölkerung rückt hierher nach. Dagegen müssen wir energische Maßregeln ergreifen. Frappirt hat mich, daß im Commissionsbericht, der ja schon als ein⸗ seitig angefochten ist, das wichtigste über den rumänischen Handels⸗ vertrag beim spanischen gesagt ist. Man sagt, ohne die Verträge von 1892 hätten wir vor einem bedenklichen Vacuum gestanden. Ob die Nothlage über die ja alle klagen: der Mittelstand, die Landwirthe, selbst die Börse, weil sie schlechte Geschäfte macht, größer waͤre als jetzt, wenn wir tabula rasa gemacht oder Provisorien abgeschlossen hätten, bleibt eine offene Frage. Wir haben uns bei den Provisorien mit Oesterreich ganz gut gestanden. Warum hat gerade das mächtige Deutsche Reich die größte Eile von allen Staaten gehabt? Die Oesterreicher hätten uns kommen müssen. Wir hätten erst wie andere Staaten unsere Zölle durch einen General⸗ tarif ad hoc erhöhen müssen und dann hätten wir eine günstigere Position gehabt. Unser Getreidezoll von 3 ½ ist wohl für zwölf Jahre nach oben gebunden, aber nicht nach unten. Regierungen können wechseln, auch die Herren von der Linken können einmal herankommen, und die würden es sich dann angelegen sein lassen, einen Reichstag wählen zu lassen, der die Zölle Ich kann mir nicht denken, daß man bloß, um sich die 3 ½ zu sichern, von 5 heruntergegangen sein soll. Man wirft einigen Reichstagsmitgliedern vor, früher anders gestimmt zu haben als jetzt. Ist ein Reichstag todt und begraben, so kann man nicht dem neuen eine Verantwortung für Abstimmungen des früheren zuschieben, wie man etwas vom Vater auf den Sohn ver⸗ erben läßt. Das ist eine andere Indivedualität, und außerdem sind die Abgeordneten doch inzwischen mit ihren Wählern in Berührung ge⸗ kommen und dadurch kann ein Pluszeichen zu einem Minuszeichen gemacht werden. Es soll der Plan bestehen, die Aufhebung der Zuckerprämien 1897 Pläne haben für uns keinen Werth, so lange sie Bundesrath und Reichstag nicht annehmen wollen, besonders nicht im Hinblick darauf, daß die Handelsverträge noch auf zehn Jahre festgelegt sind. Deshalb versuchen wir in die Speichen des Rades einzugreifen, so lange es noch geht, damit wir wenigstens etwas retten. Die sympathischen Aeuße⸗ rungen für die Landwirthschaft, die wir fast von allen Parteien gehört haben, sind ja sehr erfreulich, aber mit bloßen Zusprüchen und Klagen ist nichts gethan, davon kann man nicht satt werden. Wir müssen vielmehr Abhilfe schaffen, und diese liegt, so lange die Wäh⸗ rungsverhältnisse bestehen, nur in den Schutzzöͤllen. Man behauptet, Rumänien habe eine gute Goldwährung. Es hat aber schon einmal ein sehr erhebliches Disagio gehabt, und kann leicht wieder eins haben. Auch das Beispiel Italiens mahnt in dieser Beziehung zur Vorsicht. Durch Verwickelungen auf der Balkanhalbinsel, die ija immer die 8 Hf g Fpfßj

für Europa gewesen ist, können die Währungsverhältnisse

in Rumänien beeinflußt werden; deshalb begrüße ich den Antrag des Abg. Grafen Kanitz, es erst ein mal auf ein Jahr zu versuchen. Nach⸗ dem von sehr vielen Seiten der Esterreichische und italienische Vertrag jetzt gemißbilligt worden sollten wir langsamer vor⸗ gehen und diesen mittleren Vorschlag annehmen, wenn wir den Vertrag nicht 1 bshrn ablehnen können. Die zehn Jahre der Bindung der Zölle sprechen gerade bei dem Ver⸗ hältniß zu Rußland mit. Bestände zwischen Rumänien und Rußland eine chinesische Mauer, so wäre es etwas Anderes. Aber zehn Jahre ist eine lange Zeit, und wenn das findige Kapital für zehn Jahre Sicherheit hat, kann sich in Rumänien eine große Mühlenindustrie entwickeln und durch die Speculation können große Vorräthe dort aufgespeichert werden, die sich der schärfsten und kostspieligsten Controle entziehen. Nach meinen, auch amtlichen Erinnerungen habe ich kein großes Zutrauen zu dem Controlapparat bei der russischen Getreideeinfuhr. Die Regierungsvertreter haben selbst Bedenken gehabt und gesagt, wir müßten abwarten, wie die Controle functionirt. Bei unserer Sparsamkeit haben wir nur wenige Konsular⸗ beamte in Rumänien. Sollen vielleicht rumänische Getreidehändler bei der Controle verwendet werden? Bei dem weiten Gewissen dort im Osten wird man damit wunderliche Erfahrungen machen. Ein Prozeß in Czernowitz hat ergeben, daß Millionen defraudirt wurden. Warum sollen da in dem kleinen Rumänien nicht ähnliche Dinge passiren? Unser. Boden producirt rund 100 Millionen Doppel⸗Centner Getreide, das macht bei einem Preise von 150 ℳ, der aber zu niedrig ist, jährlich 1 ½ Milliarden kark, und daher verdient die Landwirthschaft einen Schutz. Die Landwirthe sollen unserer Ansicht nicht sein. Woher dann die Wahlbewegung? Die Bildung der Landwirthe wird unterschätzt, die Leute lesen die Zeitungen sehr genau. Käme es zu einem Appell an die Wähler, so würden noch mehr Agrarier in dieses Haus kommen. Das Ansehen des Deutschen Reichs soll durch die Ablehnung dieser politischen Vorlage geschädigt werden. Bei Militärvorlagen von größerer politischer Bedeutung hat man nicht geglaubt, das An⸗ sehen des Reichs durch die Ablehnung zu schädigen. So gering ist doch das Ansehen des Deutschen Reichs nicht, daß es durch die Ab⸗ lehnung dieser kleinen Handelsverträge an Ansehen verlieren könnte. Jenn das der Fall wäre, sollte man doch an die Wähler gehen, die werden die richtige Antwort darauf geben. Man führt das Beispiel Englands an. England ist gewiß das günstigste und reichste Land auf dem ganzen Globus. Trotzdem geht dort der Getreidebau ganz zurück und hält sich nur noch in der Nähe größerer Städte. Daß dort die Land⸗ wirthschaft ruinirt ist und die Auswanderung daher noch stärker ist al bei uns, wissen Sie alle. Sie sehen aber jetzt, eine wie starke Bewegun von Opferwilligkeit in England entstanden ist, um die Flotte zu ver mehren, damit sie stärker ist als alle anderen. Wir sind ja nicht in der selben Lage, können auch zu der Entwickelung nie kommen. Halten wir uns nur an das, was uns von der Natur gegeben ist, an unsere Land⸗ wirthschaft. Wir sind in der Lage, so viel Getreide selbst zu bauen, wie wir brauchen. Für den Fall kriegerischer Verwickelungen könnten uns sonst große Calamitäten bevorstehen. Dies treibt ja die Engländer dazu, ihre Beutel umzukehren, während sie sonst nach der Manchester⸗ theorie von dem ledernen Herzen und dem ledernen Beutel handeln. Zei uns ruht, Gott sei Dank, unsere Sicherheit auf der Landarmee, und die ist über alles Lob erhaben. Sobald der Landwirth genug zum Leben hat, bleibt er im Lande. Die Grundlage aller National⸗ ökonomie ist, daß der inländische Markt bei weitem der wichtigere ist. Ich schließe mit dem Wort des Dichters: „Ans Vaterland, ans theure, schließ' dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen!“ Bei Schluß des Blattes nimmt der Staatssecretär Frei⸗ herr von Marschall das Wort. Diese Rede werden wir morgen im Wortlaut bringen.

Die Abgg. Dr. König, Liebermann von Sonnenber (b. k. F.) und Genossen haben folgenden Antrag im Reichstage . zt. Der Reichstag wolle beschließen: die Bundesregierungen zu ersuchen, dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach die Bestel⸗ lu ng von Postsendungen aller Art, mit Ausnahme von Telegrammen, Eil⸗ und Einschreibesendungen, an Sonn⸗ und Feiertagen nach 10 Uhr Morgens aufgehoben wird.

.— Die Abgg. Dr. Müller (Sagan) und Genossen (Fr. Vp. haben folgenden Antrag im Reichstage eingebracht: Der wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage in der nächsten Session einen Gesetzentwurf, betreffend die Rechtsverhältnisse der in Haus⸗ und Landwirthschaft beschäftigten P ersonen, welche nicht unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung oder des Handelsgesetzbuchs fallen, vorzulegen.

Statistik und Volkswirthschaft. 8

Das Wirthschaftsjahr 1893.

Die Handelska mmer für das Lennegebiet des Kreises Altena und für den Kreis Olpe ist die erste, die ihren Jahres bericht für 1893 veröffentlicht. Der Bericht wird mit Bemerkungen über die allgemeine Lage der Eisenindustrie eingeleitet, die als eine unbefriedigende namentlich wegen der niedrigen Preise und ungünstiger Erportverhältnisse dargestellt wird, während es im Eisengroßgewerbe abgesehen von einigen Zweigen an Arbeit nicht gemangelt hat. Ueber die Arbeiter⸗ verhältnisse sagt der Bericht, daß die gedrückte Geschäftslage auf sie nur wenig oder keinen Einfluß geübt habe. Ordentliche brauch⸗ bare Leute haben ausreichende Beschäftigung gehabt; und wo Lohn⸗ kürzungen vorgekommen, sind sie nicht so erheblich gewesen, daß sie nicht durch gesteigerte Arbeitsleistung ausgeglichen und der Verdienst unverkürzt geblieben wäre. 8 Zur Arbeiterbewegung.

Aus Hamburg berichtet der „Hamb. Corr.“ zum der Kaffee⸗Verleserin nen (vergl. Nr. 296 d. Bl.): Die F Land⸗ und Hilfsarbeiter und Arbeiterinnen von Hamburg und Um beßend hielten am Mittwoch Abend eine Versammlung ab, zu der besonders die auf den Kaffeeböden beschäftigten Arbeiter und Arbeite⸗ rinnen eingeladen und zahlreich erschienen waren. Ueber die Lage der Kaffee⸗Sortirerinnen bemerkte der Berichterstatter, daß die Venti⸗ lation auf den Kaffeeböden sehr viel zu wünschen übrig lasse. Ueber das Aecord⸗Arbeitssystem bei einer besonders genannten Firma erklärte er, daß die Arbeiterinnen, die den Kaßes zu sortiren haben, nicht wüßten, welcher Accordlohn gezahlt werde erst kurz vor Abschluß der Arbeitswoche könne man in Erfahrung bringen, wie viel überhaupt verdient worden sei. Nicht um Erhöhung der Löhne habe es sich bei der Arbeitseinstellung gehandelt, nur gegen die über⸗ mäßig lange Arbeitszeit, die theilweise bis gegen 8 Uhr Abend⸗ aus- gedehnt wurde, sowie gegen das Accordarbeits⸗ und Lohnspstem und gegen die Behandlungsweise verschiedener Vorgesetzten sei Protest er⸗ hoben worden. Die Versammlung beschloß, allen Theilnehmern den Eintritt in den Verband der Fabrik⸗ und Landarbeiter zu empfehlen.

Zum Ausstand der Arbeiter in den Berliner mechanischen Schuhfabriken wird berichtet, daß in einer Versar Sonntag eine Entschließung angenommen wurde, in der den . Arbeitern und Arbeiterinnen, die anderweitig nicht untergebracht werden können, zur Pflicht gemacht wurde, abzureisen. Die Verdeiratheton sollen je nach der Zahl ihrer Kinder in Arbeit gedracht werden. Die organisirten Arbeiter der Schäftebranche daden der Berliner „Volksz.“ zufolge beschlossen, die Ausständigen Schubsadrker in jeder Weise zu unterstützen. 8

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Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperxrungs⸗ Maßregeln. Portugal.

Alle deutschen Häfen sind seit dem 7. d. M. für rein don Cdolera erklärt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“Nr. 219 vom 12.2)