1894 / 16 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 Jan 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Meine Herren, dieser Erklärung liegt meines Erachtens that⸗ sächlich ein Körnchen Wahrheit zu Grunde. Wenn man von der Schaumweinsteuer spricht, von dem Genuß des Schaumweins als Luxuswein, so schwebt doch den meisten Menschen immer noch in der Phantasie vor: es ist Champagner, und Champagner zu trinken ist Luxus. Aber Schaumwein und Schaumwein ist thatsächlich etwas außerordentlich Verschiedenes. Wir haben den echten französischen Schaumwein, der uns in den Gasthöfen mit dem humanen Preis von 10 bis 15 verkauft wird. Wir haben ferner den Schaumwein der sogenannten Grenzfirmen, der an⸗ geblich nur aus importiertem französischen Rothwein hergestellt wird, der aber diesseits im Zollgebiet fabriziert ist, und der unter fran⸗ zösischer Marke in den Handel kommt. Wir haben ferner den echten deutschen Schaumwein, der durch Flaschengährung hergestellt wird; wir haben endlich den sogenannten nachgemachten deutschen Schaumwein, der durch eine Kohlensäure⸗Imprägnierung hergestellt wird, und der im Handel schon verkauft wird zum Preise von 1 pro Flasche. Es giebt nun eine Anzahl Leute, die sagen: „Der Schaum⸗ wein ist ein Luxusgegenstand, den kann man besonders be⸗ steuern und recht hoch. Wohin würden wir nun kommen, wenn man den Schaumwein allein besteuerte! Wer im Ausbruch der Freude seines Herzens als Sanguiniker sich einmal eine Flasche Schaumwein leisten will, kauft sich eine Flasche, die vielleicht 2 50 kostet; aber der stille Phlegmatiker, der aus gleicher Ursache eine Flasche Burgunder zu 10 trinkt, würde nichts für seinen Genuß bezahlen; der wäre steuerfrei, wenn man den Schaumwein allein besteuerte. Man würde diesen Schaumwein lediglich deshalb besteuern, aus dem einzigen Unterscheidungsmerkmal, weil er schäumt; und das scheint mir wirklich für eine Besteuerung gegenüber dem Preise namentlich der Inlandsgewächse kein genügend ausreichendes Unterscheidungsmittel.

Ich möchte noch auf ein Monitum hinweisen, was in den Inter⸗ essentenkreisen gegen die Motive gesagt wird. Es wird gesagt, die Motive zeigten einen großen Mangel an Kenntniß, wie uns das ja

allen unseren Gesetzentwürfen gegenüber vorgehalten wird, darin, daß

wir die Klaretweine für Nachprodukte erklärten. Der Klaret wäre eine schwache Pressung des lothringischen Rothweins, vollständig farblos, der vorzugsweise zur Champagnerfabrikation in Elsaß⸗ Lethringen verwendet wird. Wenn uns dieser Einwand gemacht wird, so kann ich nur sagen: es liegt der Irrthum auf Seiten der Sachverständigen. Wir haben hier in den Motiven nicht von dem Klaret gesprochen, sondern von dem Klaretwein, der dadurch erzeugt wird, daß von der ersten Pressung noch eine zweite gemacht und mit einem Zusatz von Zuckerwasser versehen in den Handel kommt. Diesen Wein haben wir, da er doch noch zu einem erheblichen Theil wirklich Naturwein ist, allerdings nicht unter die Bestimmung „Kunstwein“ rangiert, sondern noch als Naturwein gelten lassen. Die mangelhafte Kenntniß der Sache liegt also nicht auf Seiten der Regierungsvorlage.

Meine Herren, in einem Punkte waren die Interessenten alle einig, nämlich in der Besteuerung des Kunstweins. Auf allen Ver⸗ sammlungen wurde uns großmüthig gesagt: ja, den Kunstwein mag die Regierung so hoch besteuern, wie sie nur will. Wir wären dazu sehr gern einverstanden, wenn wir nur wüßten, wo diese schwarze Kunst der Fabrikation von Kunstwein geübt wird. Bei den Erhebungen, die wir angestellt haben über die Fabrikation von Kunstwein, haben wir eigentlich festgestellt, daß unendlich wenig Kunstwein fabriziert wird. Wenn so wenig Kunstwein thatsächlich fabri⸗ ziert würde, dann könnte wirklich der deutsche Trinker seinen Wein schlürfen in dem glücklichen Gefühl, es giebt ja gar keinen Kunstwein. Es hat sich in der ganzen Agitation nirgends die Kunst⸗ weinfabrikation gemeldet; bei den ganzen Verhandlungen im Publikum über dieses Gesetz habe ich nicht feststellen können: wo haben sich nun eigentlich die Herren Kunstwein⸗Fabrikanten versammelt? (Heiterkeit.)

Ich glaube also, meine Herren, einerseits die Besteuerung des Schaumweins allein, und andererseits die Besteuerung des Kunstweins würde doch ein sehr geringes finanzielles Resultat liefern, eine mit Fürstlicher Großmuth hingeworfene Börse mit magerem Inhalt! Lediglich die Besteuerung des Schaumweins würde auch gegenüber der Freilassung des übrigen Weins von der Steuer durchaus ungerecht sein. Wenn schließlich gesagt ist, meine Herren, daß durch diese Steuer auch ein Konsumrückgang eintreten könnte, so muß ich sagen: ich vermag diese Befürchtung nicht zu hegen. Bei uns ist der Konsum an Wein gegenüber anderen Ländern ich will nur eins sagen: in Italien fallen auf den Kopf 95 1, in Spanien 115 1, bei uns nur 61 nur ein geringer; mit Rücksicht ferner auf die geringe Steuer jetzt ruht ja auf dem Wein nur eine Reichs⸗ abgabe von 57 Zoll pro 100 1 wird sie sich auch in Zukunft schließlich in der einzelnen Flasche auf einen minimalen Betrag redu⸗ zieren; ich kann hiernach nicht annehmen, daß ein Konsumrückgang wegen dieser Steuer eintreten wird.

Es ist von der Agitation so dargestellt, als wäre man in Deutsch⸗

land und wenn es sich darum handelt, Front gegen eine Steuer zu machen, wird ja immer vollkommene Einigkeit behauptet in der Opposition gegenüber dem Weinsteuerprojekt nicht nur in den Kreisen der Interessenten, sondern auch in den Kreisen des Publikums voll⸗ kommen einig. Ich möchte demgegenüber doch die Aeußerung einer Stimme hier verlesen, von der Sie mir zugestehen werden, daß sie ein gewisses Gewicht hat, wiederum die Stimme des bayerischen Landtags⸗ Abgeordneten Dr. Deinhardt⸗Deidesheim auf der großen Interessenten⸗ versammlung in Mainz: „Meine Herren, wir Fachleute sehen in der Steuer, wenn wir ihre Folgen als Händler oder als Weinbauer betrachten, ebenso einstimmig einen Fehler, als die große Mehrzahl der Konsumenten bis jetzt die Steuer gern begrüßt. Machen wir uns darüber keinerlei Illusionen. Ich habe noch selten ein Steuerprojekt gesehen, das von der Majorität so freudig aufgenommen worden ist, als dieses Weinsteuerprojekt.“ (Heiterkeit.)

Von anderer Seite ist uns gesagt worden, dieses Weinsteuer⸗ projekt würde ja noch einen schlechteren Empfang haben als das Tabackfabrikatsteuerprojekt. Meine Herren, ein schlechter Empfang ist meines Erachtens immer eine sehr üble Sache; aber manchmal ist ein schlechter Empfang für den Empfänger unangenehmer als für den Empfangenen, und ich möchte wünschen und hoffen, daß die Majorität es hohen Reichstags der Majorität der Konsumenten, deren Stimme in dem eben verlesenen Passus festgelegt ist, beistimmt und diese Wein⸗ steuer ebenfalls mit Freude begrüßt. (Seiterkeit.)

Abg. Schmidt⸗Elberfeld (fr. Ver.): Die Einzelheiten der orlage und die thatsächliche Lage der Dinge müssen doch zu ganz

anderen Schlüssen führen, als sie der Schatzsekretär gezogen hat. Bier und Wein werden nicht neben dem Branntwein in Mitteldeutschland und im Süden getrunken, sondern statt des Bronntweins. (Sehr richtig!) Man beabsichtigt doch nur eine Besteuerung der besitzenden Klassen, und die kann man haben ohne diesen großen neuen Steuer⸗ apparat, ohne die Unmasse neuer Steuerbeamten, durch eine Be⸗ steuerung der höheren Einkommen. Von einer Liebesgabe für die Winzer habe ich auch in der Vorlage nichts gefunden. (Heiterkeit.) Von ausgleichender Gerechtigkeit kann man wirklich bei dieser Vorlage nicht reden. Wenn der Wein schon einmal bluten soll, braucht man doch nicht gleichzeitig drei Bader an drei verschiedenen Stellen zum Aderlaß schreiten zu lassen. Wenn im Südwesten des Reichs der Weinkonsum noch vorhanden ist bis in die untersten Klassen hinein, dann soll doch auch dafür gesorgt werden, daß dieses e Volksgetränk erhalten bleibt. (Sehr richtig!) Der Wein⸗ auer ist auch allgemein ein wohlhabender Großgrund⸗ besitzer; gerade bei den kleinen Qualitätsweinen ist das am wenigsten der Fall. Im Rheingau giebt es 3000 Besitzer, von denen über 2000 unter 1 Hektar haben und nur 87 über 3 Hektare. Die kleinen sind am unsichersten daran, weil ihre Reben die empfindlichsten sind, und sie würden durch die Steuer in ihrer ökonomischen Lage unbedingt verschlechtert werden. Ein Theil der Steuer wird anz zweifellos auf die Winzer abgewälzt werden, das giebt die Vor⸗ lage selber zu. Ein Theil des Verbrauchs wird fortfallen, und dieser Konsumausfall 1— nothwendig den Winzer schädigen. Der Groß⸗ händler wird die Steuer zu erlegen haben in dem Augenblick, wo er vom Winzer den Most kauft, und da wird doch der Winzer heran müssen, er mag wollen oder nicht. Dem Großhändler ist außerdem freigegeben, wenn er an den Konsumenten liefert, seinerseits die Steuer zu tragen; damit wird das Prinzip, die Steuer möglichst weit vom Hersteller weg zu egen, durchbrochen. Der große Konsum der steuerpflichtigen Weine liegt zwischen 1 und 2 die Flasche. Der Konsument wird nicht etwa 1,05, 1,60, 2,20 zahlen, sondern bei seinen bisherigen Preisen bleiben; der Verkäufer wird die Differenz auch nicht tragen; es wird also Qualitätsverringerung oder Schmiererei eintreten. Die Kunstweinfabrikation kann man nicht eindämmen durch hohe Besteuerung, sondern lediglich durch ein Verbot. Könnte man sie treffen, ich würde der erste sein, der zustimmt. Will man das, dann muß man den Kunstwein doch ebenso definieren, wie es das Weingesetz von 1892 thut; das geschieht aber nicht, hier wird der Tresterwein, den das Weingesetz als eine Verfälschung deklariert, noch als Naturwein bezeichnet. Wenn man solche Steuergesetze macht, wird die sogenannte Mouillage, die im Weingesetz nicht verboten ist, in Flor kommen; es wird eine unerlaubte Vermehrung des Weins eintreten, die man nicht einmal als Kunstwein treffen kann. Die Kellerkontrole ist auch lange nicht so harmlos, wie die Begründung sie ausgeben will. Jeder Weinhändler muß seine Kellereinrichtung genehmigen lassen und kann bis zu 25 000 Geldbuße aus diesem Ansaß verurtheilt werden; auch sonst sind Ordnungsstrafen bis zu 1000 zugelassen, und der Steuerbeamte hat es in der Hand, mit solchen Summen die Betheiligten zu strafen; ebenso sind auf Uebertretungen jeder beliebigen Verwaltungsverordnung, die nicht einmal allgemein, sondern direkt einem bestimmten Manne vFegenüber erlassen ist, Ordnungs⸗ strafen bis zu 1000 gesetzt. Gleiche Chikanen sind bei der Be⸗ steuerung zu erwarten. Der Steuerbeamte hat in jedem Privat⸗ keller das Recht der Untersuchung, und der betheiligte Konsument muß sich dem fügen. Die Ertragsberechnung in der Vorlage ist ganz oberflächlich, sie kann auch nicht zuverlässig aufgestellt werden; jeden⸗ falls ist sie um so weniger ausschlaggebend, als eben der Känstwein in der Vorlage vollständig fehlt. Die Verwaltungskosten werden bloß mit 15 % berechnet, während die Wiesbadener Handelskammer mindestens auf 380 % kommt und die Erhebung in Elsaß⸗ Lothringen nach einer dort aufgemachten Berechnung von dem Bruttoertrage der Steuer zwei Drittel in Anspruch nehmen soll. Das Großkapital ist besonders an der Abkehnung des Gesetzes interessiert. Die Um⸗ gehung des Gesetzes wird auf die einfachste Weise erfolgen; vor allem wird man durch den erlaubten Zusatz von Zuckerwasser den Werth des Hektoliters unter 50 herabdrücken und so den Wein steuerfrei machen. Die prozentuale Werthsteuer ist eine Prämie auf die Abgabe falscher Angaben und auf die Ueberwälzung auf den Pro⸗ duzenten. Wir können deshalb für das Gesetz nicht stimmen und sind auch gegen eine Kommissionsberathung.

Abg. Dr. Bürklin (nl.): Ich bin nach den Ausführungen des Vorredners, denen ich ganz beistimme, in Verlegenheit und hätte lieber esehen, daß vor mir ein Freund der Vorlage gesprochen hätte. glber unter der großen Menge der gemeldeten Redner befindet sich nur ein einziger Freund der Vorlage, und das Präsidium scheint denselben für ein späteres Stadium der Debatte aufsparen zu wollen. Die Erregung in den Kreisen ist keine künstlich gemachte, wie der Schatzsekretär anzunehmen scheint, sie dauert in unvermindertem Maße an, dieser Weinsteuer gegenüber sind Landwirthschaft und Industrie, Norden und Süden, darin einig, daß hier ein Mißgriff ge⸗ macht ist, der noch dazu nicht einmal für den Fiskus etwas Erkleckliches abwirft. Der Gedanke, der als captatio benevolentiae den Motiven voransteht, daß der Wein vom Standpunkt der ausgleichenden Gerechtigkeit besteuert werden müsse, wie Bier und Brannt⸗ wein besteuert seien, hat etwas für sich, und diesem Satze verdankt die Weinsteuer auch eine gewisse Popularität, die unleugbar vorhanden ist; aber bei näherer Betrachtung erweist sich der Gedanke, wie die ihm in der Vorlage gegebene Ausführung als unrichtig. Bier und Branntwein werden im ganzen Deutschen Reich produziert, Wein nur im Süden und Westen des deutschen Vaterlandes. Die steuer⸗ technische Durchführung ist ein weiterer Grund gegen das ganze Fe. jekt, auch wenn die Weinsteuer die gerechteste Steuer von der Welt wäre. Daß der Wein das Getränk der Wohlhabenden ist, ist in dieser Allgemeinheit auch nicht richtig, er ist im Süden und Westen ein Volksgetränk im eminentesten Sinne des Worts. Nun hat man die Werthgrenze von 50 pro Hektoliter erfunden, um den Wein zum Luxusverbrauchsgegenstand zu machen. Der Abg. Dr. Buhl hat in Mainz nur von dem sogenannten Luxuswein gesprochen, der herangezogen werden könnte; was aber Luxuswein ist, davon hat er damals nicht gesprochen; er legt die Grenze sehr viel höher als die Vorlage. Die Grenze ist viel zu niedrig gegriffen, um Luxus⸗ und Volksgetränk, Qualitäts⸗ und gewöhnliche Weine scharf zu trennen. Die Weine von 50 80 werden in der Pfalz in allen Volks⸗ kreisen bei allen Kirchweihen aus⸗Schoppengläsern getrunken. Aber man mußte so tief greifen, weil sonst aus der ganzen Besteuerun nichts herausgekommen wäre. In meinem Wablk eis befindet sich die größte weinbautreibende Gemeinde des Deutschen Reichs; in die 4000 Morgen theilen sich aber 2000 Grundbesitzer, auf jeden kommen zwei Morgen oder ein halber Hektar. Diese kleinen Produ⸗ zenten werden die Steuer ganz oder zu einem Theile tragen müssen. In Württemberg wird der größere Theil des Weines direkt von der Kelter verkauft und steuerfrei getrunken. Was der Staatssekretär in dieser Beziehung eröffnete, beweist nichts für seine Behauptungen. Das künftige Weinsteuergesetz hat den Winzern schon jetzt einem Herbste gegenüber, der vielleicht seit 20 Jahren der beste ist, schwere Ent⸗ täuschungen bereitet. Die Werthsteuer wird gerade in ihrer schärfsten Form als prozentuale Steuer den Winzer ruinieren; der Handel wird sich mit der äußersten Zähigkeit zu schützen suchen. In dem Kampf wird der Winzer, als der schwächere Theil, unter allen Umständen unter⸗ liegen, denn der größte Theil der Winzer muß den Wein in den ersten Tagen des Herbstes nolens volens verkaufen. Ein Kunstwein⸗ steuergeset haben wir in Baden; es hat bisher ganz kümmerliche Er⸗ träge geliefert. Das liegt daran, daß gewisse Formen der Kunst⸗ weinfabrikation außerordentlich schwer zu Hasfen sind. Die Kunstwein⸗ fabrikation wird sogar nach meiner Meinung aus dieser Vorlage und natürlich sehr gegen ihre Absicht einen neuen Impuls erhalten. Ich würde ein Gesetz nicht verstehen, welches der schwierigen Lage des Winzergewerbes eine neue Erschwerung hinzufügt. Ich finde vollständig begreiflich, wenn der badische Minister im badischen Landtage erklärt hat, daß, wenn Baden für diesen Entwurf eingetreten wäre, es sich in Widerspruch gesetzt haben würde mit der ganzen Politik der Für⸗

sorge für die Landwirthschaft, der wir uns seit 15 Jahren hin⸗

geben. Die Kontrole muß eine widerwärtige sein, und trotz der schärfsten und straffsten Kontrole wird der Zweck des Gesetzes doch nicht erreicht werden. Wie soll der Zollbeamte einen Wein richtig taxieren können? Wie soll er die Qualitäten aus⸗ einanderhalten 2 Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Daß die Winzerbevölkerung des Deutschen Reichs aus partikularistischen Rücksichten gegen die Vorlage eintritt, ist eine agitatorische Ueber⸗ treibung; aber man soll diese auf den Reichsgedanken eingeschworene Bevölkerung nicht ohne Noth verstimmen, und das würde durch dieses Gesetz geschehen. Ich halte die Vorlage für undurchführbar, sie wird nicht einbringen, was die Regierung erwartet; was aber eingebracht wird, wird von den Winzern, den Produzenten genommen werden entgegen der Absicht der Regierung; es wird wesentlich eine Pro⸗ duktions⸗, nicht eine Konsumtionssteuer sein. Die Nationalliberalen sind einig in der Ablehnung der Vorlage. Einige aber wollen den Luxus auf dem Gebiet des Weinkonsums, soweit es ohne Belästigung des Winzers geschehen kann, besteuern; hauptsächlich den feinen I und die Schaumweine wollen diese besteuern. Die

köglichkeit davon näher zu untersuchen, wird Aufgabe der Kom⸗ mission sein, welche bereits die Steuergesetze beräth; an diese Kommission beantrage ich die Vorlage zu überweisen.

Abg. von der Gröben (dkons.) stellt sich als Freund der Vor⸗ lage neben demjenigen Freunde vor, den der Vorredner als den einzigen ansehe, und bestreitet, daß von irgendwelcher Uebereinstimmung in der Verwerfung der Vorlage die Rede sein kann. Die Verstimmung, die sich allerdings ziemlich allgemein gegen die Vorlage geltend mache, sei nur gegen die Form derselben gerichtet, besonders gegen die Kontrol⸗ geschäfte. Die ungünstige Lage der Winzer sei zum theil Schuld des italienischen Handelsvertrages. Die scharfen Kontrolvorschriften würden sich aber abändern und namentlich die Ueberwachung des Kellergeschäftes leichter und weniger belästigend gestalten lassen. An sich halte die konservative die Weinsteuer als Akt ausgleichen⸗ der Gerechtigkeit für eine Nothwendigkeit. Eine Schaumweinsteuer, und zwar eine scharfe Steuer, unter gleichzeitiger Zollerhöhung auf französischen Champagner, desgleichen eine Kunstweinsteuer seien ebenfalls Wünsche der Konservativen. Die Werthgrenze des steuerfrei bleibenden Weines sei aber in dem Gesetz zu niedrig; sie müßte höher gesetzt werden. Wolle man das Gesetz so gründlich umformen, wie diese Postulate es erfordern, dann müsse Kom⸗ missionsberathung stattfinden. Den guten Willen könne die Regierung von dem Reichstage verlangen, und wo sich ein guter Wille finde, werde sich auch ein Weg finden.

Abg. Dr. Braubach (Zentr.): Das Zentrum steht einmüthig auf dem Standpunkt, da das Gesetz nicht angenommen werden kann; es stützt sich dieses Urtheil im wesentlichen auf diejenigen Gesichts⸗ punkte, welche die Vorredner von links entwickelt haben. Die Lage des deutschen Winzerstandes ist in der ganzen deutschen Landwirthschaft die allerprekärste. Auf ihn aber würde, das steht unzweifelhaft fest, die Steuer mit dem größten Theile ihres Betrages abgewälzt werden. Der Winzerstand besteht aber nur aus kleinen und kleinsten Besitzern, die Großbetriebe sind verschwindend gering. Der Winzer verfügt im Durchschnitt nicht über Lager⸗ und Kellerräume; er muß jeden Herbst direkt verkaufen und kann sich daher den Wirkungen dieser Weinsteuer, wenn sie Gesetz wird, garnicht entziehen. An der Ahr, an der Mosel ist der letzte Herbst ein ungewöhnlich großer gewesen, und doch ist die Ernte dem Winzer nicht zu gute gekommen, so sehr hat die Vorlage bereits ihre Schatten voraus⸗ geworfen; die Steuergrenzen liegen viel zu niedrig; es gebe an der ganzen Ahr, an der ganzen Mosel keinen Spezial⸗ keinen Heckenwein der nicht, wenn er zur Besteuerung kommt, schon einen Werth von 50 und darüber pro Hektoliter erhalten hätte; die ganze Crescen würde also von der Steuer betroffen. Dazu komme ein unerträgliches System von Kontrolvorschriften, von denen die fakultativen die aller⸗

seien. Diese beiden Umstände allein schon machten

den Gesetzentwurf für das Zentrum unannehmbar. steuerung des Qualitäts⸗, des Schaum⸗ und Kunstweins würden wir uns bereit finden lassen, vorbehaltlich der Prüfung, wie weit das erstere steuertechnisch möglich ist.

Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Im Laufe der Berathung ist das Gesetz einer sehr herben Kritik unterzogen, und aus dem Inhalt dieser Kritik scheint der Vorwurf hervorzugehen, daß das Gesetz ohne genügende Kenntniß von der Weinproduktion und vom Weinhandel gemacht sei. Ich muß dem gegenüber einwenden, daß das Gesetz bearbeitet ist unter Zu⸗ ziehung von Kommissarien der süddeutschen Regierungen; daß uns die süddeutschen Regierungen Kommissarien hergeschickt haben, Männer, von denen es feststeht, daß sie ausgezeichnete Kenner der Materie sind.

Es sind uns dann eine Reihe von Vorwürfen im einzelnen gemacht worden. Es ist hingewiesen worden auf die hohen Verwaltungskosten des Gesetzes, die in gar keinem Verhältniß zum Ertrage der Steuer stehen würden. Woher der Prozentsatz von 30 %, der hier behauptet ist, entnommen ist, weiß ich nicht. Wir haben auch Sachverständige hierüber gehört; und ich will bemerken, daß man in Elsaß⸗Lothringen die Höhe des Prozentsatzes der Verwaltungskosten auf 10 % annimmt.

Es ist ferner auf die hohen Strafbestimmungen hingewiesen worden, die im Gesetz stipuliert werden. Ich habe bereits bei Er⸗ örterung der Tabacksteuer hervorgehoben, daß diese Strafbestimmungen wörtlich entnommen sind aus den Gesetzen bezüglich der übrigen Produkte, die der indirekten Besteuerung im Deutschen Reich unter⸗ worfen sind. Der Haupteinwand gegen das Gesetz basiert ja darauf, daß die Lage der Winzer dadurch verschlechtert werde. Zunächst ge⸗ statte ich mir, demgegenüber zu bemerken, daß nach den sachverständigen Feststellungen 55 % sämmtlicher Winzer an dem Gesetz überhaupt kein Interesse haben; um deshalb nicht, weil ihr Produkt im Werthe unter der Grenze von 50 steht; sie würden also nur der Landes⸗ gesetzgebung unterliegen.

Es hat mich in der That der Inhalt der Reden der Herren aus Süddeutschland, aus den Weinländern, überrascht; denn in Süddeutsch⸗ land, in Baden und Württemberg besteht doch bereits eine Weinsteuer, mit ganz ähnlichen Kontrolen, mit derselben Höhe des Prozentsatzes der Verbrauchsabgabe, mit einer höheren sogar, und ich habe nicht gehört, daß Sie hervorgehoben hätten, daß diese Steuer dort ab⸗ geschafft werden sollte. Wenigstens kann doch das Eine nicht ge⸗ leugnet werden: die Weinsteuer ist eine Luxussteuer im über⸗ wiegenden Theile von Deutschland; das Volksgetränk wird von der Reichs⸗Weinsteuer nicht erfaßt, und gerade aus der Mitte des Hauses ist uns ja entgegengehalten worden: warum erhebt man nicht Luxussteuern? Nun, die Weinsteuer und die Tabacksteuer sind Luxussteuern, die wir den Herren vorgelegt haben. Gegen die Taback⸗ steuer ist der Arbeiter ins Feld geführt worden, die großen Arbeiter⸗ entlassungen: deshalb sei die Tabacksteuer nicht acceptabel. Hier, bei der Weinsteuer, tritt an Stelle des Arbeiters der Winzer. Es ist ferner hingewiesen worden auf die kleinen Wirthschaften, auf die Zwergwirthschaften, die gerade bei dem Weinbau betrieben würden. Ich meine: es ist doch ganz gleichgültig, wie groß die Fläche ist, auf der das Produkt erzeugt wird, wenn es sich nur um die Besteuerung des Quantums des Produkts handelt.

Es ist bei den gegnerischen Reden immer von der Voraus⸗ setzung ausgegangen worden: ja, die Steuer wird unter allen Um⸗ ständen auf den Winzer zurückgewälzt, und es hat mich deshalb um so mehr befremdet, daß die Maßregel, die wir im Gesetz ergriffen

Aeußerung kurz vorlese.

Für eine Be⸗

2*

haben, um den Winzer in einem Falle zu unterstützen, gerade zum Sprungbrett für Angriffe gemacht ist. Wir haben nämlich mit

vollem Bewußtsein, daß darin eine Abweichung von dem Wein⸗ teuergesetz des Jahres 1892 liegt, uns entschlossen, daß der Klaret⸗ wein nicht als Kunstwein behandelt werden soll, und wir haben as gethan, damit der elsaß⸗lothringische Winzer noch die zweite Pressung von den rothen Trauben benutzen und als Wein verkaufen ann. Gerade aber diese Latitüde, die wir hier zu Gunsten des Winzers in das Gesetz gebracht haben, ist uns hier vorgehalten

Nun wird als eine absolut feststehende Thatsache hier behauptet, um gegen das Gesetz den Hebel anzusetzen: der Winzer wird die Steuer tragen. Ich habe hier eine Aeußerung vor mir aus süddeut⸗

schen Kreisen, die ich doch für sachverständig in dieser Frage halten

muß, nämlich eine Eingabe der Handels⸗ und Gewerbekammer in Stuttgart. Der Herr Präsident wird nachsichtig gestatten, daß ich diese Es ist dort gesagt:

Wir wissen die Mehrzahl unserer Mandanten hinter uns, wenn wir uns nicht durchaus ablehnend gegen eine, den feineren Sorten aufzuerlegende Reichs⸗Weinsteuer verhalten u. s. w. Jedenfalls wider⸗ spricht es allen bisherigen Erfahrungen, wenn man ohne weiteres voraussetzt, daß die künftige Reichs⸗Weinsteuer lediglich den Wein⸗ gärtner treffen müsse; vielmehr dürfte dieser Fall bei der von uns befürworteten Werthgrenze von mindestens 70 nur in seltenen Ausnahmejahren eintreten.

Im allgemeinen gilt die Erfahrung, daß der Erzeuger von Rohprodukten nur im Falle einer überreichen Ernte die indirekte Steuer nicht auf den Konsumenten überwälzen könne. Ist aber bei uns je einmal in einem Jahrzehnt so viel Wein gewachsen, dann hat der Preis nur bei einem sehr geringen Prozentsatz den Betrag (auch nur von 50 ℳ, und nur bei einem Minimum den) von 70 erreicht. Eine solche Preishöhe erreicht in Württemberg der Wein durchschnittlich nur in denjenigen Jahren, in welchen die Ernte unter dem Mittel bleibt. Dann aber hat, wenigstens in Württem⸗

berg, der Produzent den Käufer bei der ausgesprochenen Vorliebe für das einheimische Gewächs in der Hand. Gerade in Württem⸗ berg, wo in den Weinorten die Hälfte des Jahreserzeugnisses von Privaten gekauft und eingekellert wird, ist der Weingärtner durchaus nicht so von den Händlern oder Wirthen abhängig, wie dar⸗ gestellt wird.

Meine Herren, diese offizielle Erklärung einer Handels⸗ und Gewerbekammer eines Weinbau treibenden Landes spricht klar gegen die Behauptung, daß die Steuer auf den Winzer abgewälzt wird. Gestatten Sie mir noch eine Schlußbemerkung. Die Tabacksteuer ist bekämpft,⸗ die Weinsteuer, die in einem überwiegenden Theil von Deutschland unzweifelhaft eine Luxussteuer ist, wird bekämpft. Ich habe die Ueberzeugung: wenn wir eine solche Steuer, die wir ja im einzelnen reformieren können wir können ja sogar über die Frage des Einheitssteuergesetzes uns unterhalten wenn diese Weinsteuer, die für einen überwiegenden Theil von Deutschland ein Genußmittel der wohlhabenden Klassen trifft, abgelehnt wird, so wird der noth⸗ wendige logische Schluß der sein: Luxussteuern haben in Deutschland überhaupt keine Aussicht auf Annahme. (Widerspruch.)

Abg. Dietz (Soz.): Für Württemberg würde die Reichs⸗Wein⸗ steuer den Winzer thatsächlich ruinieren. Meine Partei ist gegen die Vorlage aus dem doppelten Grunde, weil wir grundsätzlich keine Mittel für die Heeresverstärkung bewilligen und weil die Vorlage wieder eine ganze Menge Existenzen um ihr Brot bringen muß. Wäre die Vorlage vor der Bewilligung bekannt gewesen, es wäre damit anders gekommen. Der Kommunionwein soll nach dem Gesetz frei sein. Warum nicht auch der Krankenwein? Die Sympathie mit den Winzern hat nach der Auffassung der Rechten einen agrarischen Charakter. Wenn diese Weinsteuervorlage wirklich einen agra⸗ rischen Charakter hat, dann sind wir wenigstens ganz außer stande, ihn zu entdecken. Die Klagen der Landwirthe über den Nothstand sind ja nicht ganz unberechtigt; die Schuld aber liegt an der kapitalistischen Entwickelung der heutigen Gesell⸗ schaft; unter ihr ist die Landwirthschaft das erste, was zu Grunde gehen muß. Auf die Dauer wird sich nicht eine Hälfte der Menschheit von der anderen durch hohe Getreidepreise ausbeuten lassen. Der kleine Weinbauer und Winzer ist von allen landwirthschaftlichen Arbeitern am schlechtesten daran. Und nun kommt dieses Gesetz, für welches der Winzer schließlich doch die Zeche bezahlen muß. Will der Wein⸗

ärtner überhaupt leben, so muß er mit Frau und Kind für wahre

pungetähne in den Fabriken Nebenbeschäftigung suchen. Solche Zu⸗ tände führen die Winzer unserer Partei in die Arme. Auch die Lage der kleinen Weinhändler ist eine schlimme. Durch die rigorosen Bestimmungen des Gesetzes würde ihnen der Garaus gemacht wer⸗ den. Ich bitte Sie, die Vorlage im Plenum abzulehnen.

Nach 5 Uh Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Herrenhaus.

8888 Sitzung vom 18. Januar 1894. 1 ½ Uhr.

Den zweiten Gegenstand der Tagesordnung (s. den An⸗ fangsbericht in der gestrigen Nr. d. Bl.) bildete die Inter⸗ pellation des Freiherrn von Manteuffel: 88

„Anknüpfend an die Allerhöchste Thronrede, welche die schwierige Lage der Landwirthschaft anerkennt, richten wir an die Königliche Staatsregierung die Frage, ob dieselbe außer den angekündigten Maßnahmen noch fernere Schritte zur Beseitigung des stetig wachsenden Nothstandes in der Landwirthschaft zu thun gedenkt?“

reiherr von Manteuffel: Ich habe die Schaffung eines 1eog Agrarrechts, wie ein solches besonderes Recht für den Handel bereits Übesteh, schon früher angeregt und erklärt, 8. ich auf diese Frage immer wieder zurückkommen werde. Damals sagte der Finanz⸗Minister Miquel, daß die Regierung diese Frage in Er⸗ wägung nehmen werde, und man mußte sich mit dieser Antwort be⸗ nügen; jetzt sind aber Verhältnisse eingetreten, welche die Ein⸗ ringung der Interpellation nothwendig machten. Es läßt sich nicht leugnen, daß der allgemeine Nothstand der Landwirthschaft seit dem Juni v. J. sich erheblich verschlechtert hat, daß es die höchste Zeit ist, wenn man die bessernde Hand anlegen will, das jetzt zu thun, sonst stirbt der Kranke. Die Kommission für das Bürgerliche Gesetzbuch hat den erfreulichen 8 gefaßt, daß die Renten⸗ schuld zugelassen werden soll. Das ist noch nichts besonders Hoffnung Erweckendes, denn wie viele werden das Fertigwerden des neuen Ge⸗ setzbuchs erleben? Immerhin ist es aber bemerkenswerth, daß in einer Kommission, in welcher viele Gelehrte sitzen, ein olcher Beschlug gefaßt werden konnte. In der Thronrede ist die othlage der Landwirthschaft offen anerkannt und der Weg gewiesen, der eingeschlagen werden soll. Dafür sind wir wirklich dankbar. ie gegnerische Presse hat kein Recht, unsere Interpellation als eine abfällige Kritik der Thronrede zu behandeln. Daran hat niemand von uns gedacht. Die Vorlage wegen der Landwirthschaftskammern soll ja soeben im Abgeordnetenhaufe eingebracht sein; den Inhalt kennen wir aber noch nicht. Gegen die zuerst geplanten fakultativen

Landwirthschaftskammern habe ich mich von Anfang an ausgesprochen; sie müssen obligatorisch sein, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen. Die Handelskammern sind ausgerüstet durch die Macht des Handels; solche finanziellen Kräfte stehen uns nicht zu“ Gebote. Minder⸗ werthige Landwirthschaftskammern, deren Gutachten nur angehört aber nicht beachtet werden, haben keinen Nutzen. Der landwirthschaft⸗ liche Beirath bei den russischen Handelsvertragsverhandlungen war ein ziemlich unschuldiges Schlafmittel, welches kaum zur Beruhigung beigetragen hat. Von einer Organisation nicht bloß der Landwirth⸗ schaft, sondern auch anderer Stände in solchen Kammern kann eine Gesundung unserer Verhältnisse kommen, namentlich im Reiche mit seinem direkten Wahlrecht, während in den Einzelstaaten bessere Wahlrechte bestehen. Wenn bei den Sub⸗ hastationen so schlechte Ergebnisse erzielt werden, so liegt das an der geringen Publizität; denn die Amtsblätter werden zu wenig gelesen; nur die Güterausschlächter erfahren davon. Hier muß, so bedauerlich auch Subhastationen sind, dafür gesorgt werden, daß das Interesse der Betroffenen gewahrt wird. Was über die Verwandlung der Hypothekenverschuldung in eine Rentenschuld bisher offiziös bekannt geworden ist, ist recht erfreulich. Wenn die kundgegebenen Grund⸗ sätze wirklich zur Einführung gelangen, dann haben wir einen guten Schritt vorwärts gethan. Denn namentlich die Mobilisierung des Grundbesitzes und die Einführung der Grundschuldbriefe, die ohne allen Nutzen eingeführt sind, sind die Hauptursache aller Schäden. Die gesammte Hypothekenschuld wird man kaum in eine Rentenschuld zu verwandeln vermögen. Aber soweit es durchführbar ist, wird es leichter durchzuführen sein, als die Gegner denken. Man spricht von einer Konfiskation. Was ist es denn gefährlich, wenn der Hypothekengläubiger die Rente zu 95 übernimmt und nur zu 93 an den Markt bringen kann? Er wird nicht soviel Schaden haben als die Landwirthschaft, die jetzt unter den Hypotheken seufzt. Wer hat denn irgend welches Mitleid gehabt, als man die Feudalrechte mit dem 18 fachen Betrage des Werths, also sehr niedrig ablöste? Nebenbei bemerkt: bei den Rentengütergeschäften * man sehr vorsichtig ver⸗ fahren, die Regierung darf nicht allzu große Schwierigkeiten machen. Bedauerlich ist es, daß die Heimstättenfrage nicht gefördert ist. Alle diese Maßregeln reichen aber nicht aus; wenn man gründlich heilen will, muß man ein Anerbenrecht einführen. Die Versuche mit der Höferolle sind nur daran gescheitert, daß man die Sache freiwillig ge⸗ macht hat; sie muß obligatorisch gemacht werden. Von den Klein⸗ bahnen hat man für die Landwirthschaft mehr erwartet, als bisher eingetroffen ist. Von dieser preußischen Angelegenheit muß ich auf Dinge übergehen, in denen das Rei zu⸗ ständig ist; aber Preußen hat ja im Bundesrath einen maß⸗ gebenden Einfluß. Die ganze agrarische Gesetzgebung wird eine Reihe von Jahren dauern; ihre Wirkung wird erst sehr viel später eintreten, deshalb muß man im Reiche mit schnellen Mitteln helfen. Da ist das nächste die Währungsfrage, die einen schnellen Nutzen bringen kann. Den Identitätsnachweis will ich nicht berühren, sondern nur gegenüber einer Zeitungsnachricht erklären, daß wir und am allerwenigsten ich nicht umfallen werden beim russischen Handelsvertrage. Auch bezüglich des Börsengesetzes thut Eile noth. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie kann nur von einem kräftigen, gesunden Bauernstand geführt werden. Die verschiedenen Minister sind unter sich gleich geordnet; aber jetzt sind alle Blicke gerichtet auf den Minister für Landwerthschaft, von dem man Hilfe erwartet. Die ihm obliegende veshüee ist kein Kinderspiel; aber es giebt auch keine dankbarere Aufgabe, als der Landwirthschaft Preußens und Deutschlands zu helfen. Wenn die Minister diese Aufgabe lösen, dann werden sie sich ein monumentum aere perennius setzen. (Beifall.)

Minister für Landwirthschaft ꝛec. von Heyden:

Der Herr Interpellant hat zum Schluß seiner Begründung der Interpellation die Bedeutung der Landwirthschaft für unser ganzes Staatswesen in den Vordergrund gestellt. Durch die Thron⸗ rede ist zum Ausdruck gekommen, welche Bedeutung dem Bestande und der Erhaltung eines selbständigen, unab⸗ hängigen ländlichen Grundbesitzerstandes beigelegt wird, und es ist in der Thronrede anerkannt, daß viele ländliche Grundbesitzer sich in einer schwierigen Lage befinden. Es ist angedeutet, an welcher Stelle die größte Gefahr besteht und wo einzusetzen ist, um zu ge⸗ sunden Zuständen zu kommen. Wenn die Staatsregierung an diese Angelegenheit herantritt, so ist ja natürlich für sie ebenso wie für den Herrn Interpellanten von hervorragender Bedeutung, wie man den augenblicklichen Widerwärtigkeiten wehren könne. Von größerer Bedeutung aber für das Staatsganze ist die Frage, wie überhaupt gesundere Verhältnisse für den ländlichen Grundbesitz wieder hergestellt werden können. Und da deutet die Thronrede an und der Herr Interpellant hat das ganz richtig verstanden —, daß auch nach Ansicht der Staatsregierung einer der schwerwiegendsten Gründe, vielleicht der erheblichste für die jetzige Lage der Landwirth⸗ schaft, die übermäßige Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes ist, die noch in der für die ganze Natur des ländlichen Grundbesitzes ungeeig⸗ neten Form, der kündbaren Hypothek, verschärft zu Tage tritt. Wenn ferner eine Umgestaltung der ländlichen Kreditverhältnisse in Aussicht

genommen ist, um in der Folge auch ungünstige Zeiten überwinden

zu können, so ist damit deutlich gekennzeichnet, welche Richtung die Königliche Staatsregierung in dieser Beziehung einzuschlagen beah⸗ sichtigt.

Meine Herren, wenn bei vielen überschuldeten Grundbesitzern die Restkaufgelder und Erbantheile den erheblichsten Antheil an der über⸗ mäßigen Verschuldung haben, so ist, wenn man ins Auge faßt, wie diese übermäßige Verschuldung in der Zukunft beseitigt werden kann, zu unterscheiden zwischen der gegenwärtigen Verschuldung und der künftigen Vermehrung der Verschuldung. Wenn es unmöglich sein wird, mit einem Schlage die bestehende Verschuldung zu beseitigen und überzuführen in eine amortisierbare Rentenschuld, so ist der nächste Schritt, um künftige Verschuldungen vorzubeugen, eine der Natur des Grundbesitzes entsprechende Ordnung des Erbrechts.

Dabei muß man sich darüber klar sein, daß die Erhaltung eines unabhängigen ländlichen Grundbesitzerstandes mit der gleichen Ab⸗ findung aller Miterben unvereinbar ist. Damit ist die Frage des Herrn Interpellanten bezüglich des Miterbenrechts beantwortet. Man kann das zu lösen versuchen in der Form der Höfeordnung, oder in der Form des Anerbenrechts, und ein besonderes Erbrecht für den ländlichen Grundbesitz in Aussicht nehmen. Sie kommen damit von selbst auf den Gedanken, an Stelle der gleichen Erbtheile für die Miterben besondere ablösbare Tilgungsrenten einzuführen. Macht man den Schritt, so muß man die Möglichkeit gewähren, diese Renten in Kaäpital umsetzen zu können im Interesse der Mit⸗ erben. Sie müssen ferner Fürsorge treffen durch sonstige Kreditinstitute für den Personal⸗ und Realkredit des Gutsannehmers. Wenn Sie bloß die Beseitigung der Verschuldungsquelle durch Erb⸗ antheile in das Auge fassen, so erwachsen so weite Aufgaben, daß es unmöglich ist, ohne Inanspruchnahme der Mitwirkung der Landwirthe selbst diese Aufgabe genügend vorzubereiten, um sie zur gesetzlichen Verabschiedung zu bringen, und sie so zu gestalten, daß sie den ver⸗ schiedenen Ansprüchen in den einzelnen Landestheilen entsprechen. Meine Herren, indem die Staatsregierung anerkannte, daß die Lage des ländlichen Grundbesitzes keine befriedigende ist, übernahm sie mit

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diesem Anerkenntniß die Verpflichtung ihrersct, an der Stelle welche

sie als die augenblicklich bedeutungsvollste anerkennt, auch einzusetzen und ernsthaft die ihres Erachtens nothwendigen Maßnahmen ins Auge zu fassen. Hierzu bedarf sie der Mitwirkung der Betheiligten, und aus diesem Grund hat sie sich entschlossen, dem Landtag einen Gesetzentwurf vorzulegen über die Errichtung von Landwirthschafts⸗ kammern, und zwar sind dieselben, wie ich bereits vorher dem Herrn Interpellanten bestätigte, obligatorisch gedacht. 1 Details bezüglich der durch Wahl hervorgehenden Landwirthschafts⸗ kammern einzugehen erübrigt. Ich habe heute im Hause der Ab⸗ geordneten den Gesetzentwurf eingebracht, und er wird voraussichtlich den Herren noch heute gedruckt zugehen.

Meine Herren, der Herr Interpellant hat schon bei Begründung der Interpellation“ bemerkt, daß das, was duthe Landwirth⸗ schaftskammern und die in Aussicht genommene Gesetzgebung erreicht werden könnte, zur Hebung der augenblicklichen Nothlage nichts bei⸗ tragen könne. Er richtet deshalb an die Königliche Staatsregierun 8 die Frage, ob dieselbe außer den angekündigten Maßnahmen noch fernere Schritte zur Beseitigung des stetig wachsenden Nothstandes in der Landwirthschaft zu thun gedenke. Meine Herren, ich leugne gar⸗ nicht, wie ich diese Interpellation las, welche an die Thronrede an knüpft, daß ich sofort den Eindruck gewonnen habe: es kann und wir b sehr leicht den Eindruck machen, als ob die Interpellation eine Antwort auf die Thronrede sein solle, weil dieselbe nicht für die gegen⸗ wärtige Nothlage sofort Abhilfemaßregeln in Aussicht nähme, sondern bloß die künftige Gestaltung der-Verhältnisse im Auge habe. Ich habe den Eindruck gehabt, daß die Interpellation so würde verstanden werden können und sie ist ja auch so verstanden worden. Wie aber 8 auch der Herr Interpellant ausgeführt hat, habe ich mir gesagt, daß die Interpellation nicht so verstanden werden dürfe, weil mir aus den Zeitungen bekannt war, daß dieselbe bereits in Aussicht genommen war, ehe der Inhalt der Thronrede be kannt sein konnte. (Sehr richtig!) Damit ist ausgeschlossen, daß diese Interpellation eine Antwort auf die Thronrede sein konnte, und es hat mich gefreut, daß auch der Herr Interpellant diese Absicht aus⸗ drücklich in Abrede gestellt hat.

Dementsprechend hat sich der Herr Interpellant „in seinen weiteren Ausführungen mehr an das gehalten, was in der Thron⸗ rede angekündigt wird, was ja allerdings ihm im Detail nicht bekannt sein konnte, weil der Gesetzentwurf in seiner Begründung noch nicht vorlag, und sich weniger damit beschäftigt, was außerdem im gegenwärtigen Augenblick geschehen könnte, um für die schwierigen Verhältnisse der Landwirthschaft Abhilfe zu schaffen; er exkannte auch an, daß das, was man thun kann und thun muß, alles erst in der Zukunft wird wirken können. Wenn ich die Rentengutsgesetzgebung und die Heimstätten⸗ gesetzgebung mit dem, was ich bereits ausgeführt habe, als erledigt betrachten kann und nur anführen will, daß doch die ganze Ent⸗ wickelung der Rentengutsbildung in den hauptsächlichst betheiligten Landestheilen frischer und kräftiger vor sich geht, wie angenommen wird, und daß in diesem Augenblick bereits ungefähr 5000 Besitzungen selbständig eingerichtet und in Besitz genommen sind, und daß nach dem uns vorliegenden Material diese Entwickelung auch ferner noch

machen, daß nach der jetzigen Lage der Gesetzgebung die Staats⸗ regierung auf den Gang dieser freien Entwickelung nur einen ganz beschränkten Einfluß hat, weil eben die staatsseitige Mit⸗ wirkung nur da eintritt, wo nach frreier Entschließung des Besitzers eine Rentengutsbildung stattfindet. Ob es nothwendig sein wird, abgesehen von der Ablehnung der Mit⸗ wirkung der Staatsbehörden bei unzweckmäßigen Rentengutsbildungen noch die weitere Möglichkeit für die Staatsregierung herbeizuführen, dahin einzuwirken, daß die Rentengutsbildung und diese neue An⸗ siedelung wirklich dem Zweck entsprechen, den man von ihnen er⸗ wartet, daß es zu kräftiger und gesunder Gemeindebildung kommt, muß der weiteren Entwickelung überlassen bleiben. Die ganze Sache spielt erst seit zwei Jahren; es fehlt noch an Ma⸗ terial und an Personal, um in wünschenswerthem Umfange arbeiten zu können; es werden aber in dieser Beziehung Erwägungen angestellt und auch die erforderlichen Mittel hoffentlich bewilligt werden, um im einzelnen dem Rechnung zu tragen, daß wirklich eine gesunde und fest entwickelte Gemeindebildung eintreten kann.

Der Herr Interpellant ist dann auf Reichsangelegenheiten zu sprechen gekommen. Er hat die Börsenenquste erwähnt, und daß er gewünscht hätte, es möchte sofort auf diesem Gebiet ein Gesetz vor⸗ gelegt worden sein, bevor überhaupt das Gesetz über die Börsensteuer eingebracht sei. Ich glaube, wenn man billig ist, wird man doch kaum annehmen können, nachdem der Bericht der Enqustekommission eben erst im Druck vertheilt ist, daß jetzt schon das ganze zu einem Abschluß geführt werden könnte. (Widerspruch.)

Die Ansprüche sind ja auf diesem Gebiet verschieden; ich erkenne an, daß das allerdings ein weitgehender Anspruch ist, jedenfalls ist es für uns, in dieser Richtung zu wirken, nicht möglich. Dagegen ist seitens der einzelnen Instanzen und seitens der Regierung die Sache bereits in Arbeit genommen, und soweit die landwirthschaftlichen Ver⸗ hältnisse in Frage kommen, ist meinerseits Veranlassung getroffen, daß gerade das, was von landwirthschaftlicher Seite für nothwendig erachtet wird, in noch präziserer Weise zum Ausdruck kommen kann, als es in den Beschlüssen der Enqustekommission zum Ausdruck gekommen ist, indem in der nächsten Tagung dem Landes⸗Oekonomie⸗ kollegium Gelegenheit gegeben werden wird, gerade die landwirth⸗ schaftlichen Forderungen auf diesem Gebiet zu präzisieren.

Dann die Währungsfrage. Ja, meine Herren, wenn der Herr Interpellant glaubt, daß die Währungsfrage dasjenige sei, womit möglicherweise der Landwirthschaft schnell und erfolgreich geholfen werden könne, so glaube ich doch, daß er sie überschätzt; denn man mag dieselbe beurtheilen, wie man will, eine rasche Lösung wird sie kaum finden können. Aber nach dem, was in dieser Beziehung in neuerer Zeit durch die Presse gegangen ist, dem Schreiben des ost⸗ preußischen konservativen Vereins an den Herrn Reichs⸗ kanzler und der Antwort des Herrn Reichskanzlers auf dieses Schreiben, kann ich meinerseits namens der Staats⸗ regierung erklären, daß sie sich in keiner Weise der Erwägung ver⸗ schließt, daß der gesunkene Silberpreis einen Einfluß auf die allgemeine Preisbildung bei uns haben kann, und daß die Schwankungen im Silberpreise für die Erwerbsstände mit Schädigungen verbunden sind, und ich kann weiter namens der Staatsregierung sagen, daß sie im Hinblick auf die von dem Herrn Reichskanzler angekündigte Enquöte

in der Lage ist, zu erklären, daß nicht beabsichtigt wird, die gesammte

erheblich weiter gehen wird: so will ich auch darauf aufmerksaum