1894 / 16 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 19 Jan 1894 18:00:01 GMT) scan diff

isprechung erwirkt haben, keineswegs unschuldig, vielmehr mit vollem t als schuldig verurtheilt war. Durch diese sachlich ungerecht⸗ isprechungen ist der unbegründeten Ansicht, daß die Zahl Verurtheilung Unschuldiger im Wachsen begriffen sei,

Vorschub geleistet. 8

Daß ein solcher Zustand im Interesse der bürgerlichen Gesell⸗ schaft und des Ansehens der ichte nothwendig einer Abänderung bedarf, best nicht weiter ausgeführt zu werden.

3) Wegfall mehrerer der als Ersatz für den Mangel der Berufung Cürqekührten Garantien in erster Instanz. ebl Wie 2..e S. v-S b. die Ersatz 91222

lende B g vem Verfahren ter Instanz eingeführten Garantien, welche eine richtige Entscheidung der Söhabaae ver⸗ bürgen sollten, im wesentlichen als unwirksam erwiesen. ie er⸗ wähnten Garantien haben zum theil sogar schädlich gewirkt, indem sie zur Verzögerung und Schwächung der Strafrechtspflege beigetragen .Inwiefern dies auf die einzelnen hier in Betracht zu ziehenden Bestimmungen zutrifft, wird an den einschlägigen Stellen näher dar⸗ eelegt werden. „Hier dürfte der inweis auf die in der Praxis be⸗ annte Wirkung einiger dieser Vorschriften genügen. Die Besetzung der erkennenden Strafkammern der Landgerichte mit fünf Richtern 77 des Gerichtsverfassungsgesetzes) in Verbindung mit dem Aus⸗ schluß des Berichterstatters aus der erkennenden Kammer 23 Absatz 3 daselbst) hat einen überflüssigen Verbrauch an Richter⸗ kräften in der ersten Instanz zur Folge gehabt. Es erscheint um so unbedenklicher, die Zahl der Mitglieder der Strafkammer bei er Hauptverhandlung auf drei herabzusetzen als dem Angeklagten durch die Berufung eine neue Instanz zur Würdigung der Thatfrage ewährt wird. Es liegt auch keine Veranlassung vor, die Berufungs⸗ ammern bei den Landgerichten von der absetzung der Mitglieder⸗ zahl auszunehmen. Schon jetzt ist bei diesen Kammern die Dreizahl der erkennenden Richter zugelassen, wenn es sich um Uebertretungen oder Privatklagesachen handelt, und es haben sich Thatsachen nicht er⸗ eeben, welche die Rechtsprechung der in dieser Besetzung entscheidenden llegien minderwerthig erscheinen ließen. 8 Das durch § 199 der Strafprozeßordnung eingeführte Zwischen⸗ verfahren gehört zu denjenigen Vorkehrungen, welche hauptsächlich mit Rücksicht auf das Fehlen einer Berufung in das Gesetz aufgenommen worden sind. Die Vorschrift hat sich als eine besonders unzweck⸗ mäßige erwiesen, denn die Befolgung derselben führt regelmäßig zu

einer erheblichen Verschleppung des Prozesses, während sie anderer⸗

seits dem Angeklagten diejenigen Vortheile nicht einmal gewährt, auf welche sie abzielt. Nach Einführung der Berufung bedarf es der Auf⸗ rechthaltung der Bestimmung jedenfalls nicht mehr. 3

Allerdings soll die 1- Frtcw, Keers letzteren in weiterem Umfange, als die Zulassung des bezeichneten Rechtsmittels, erfolgen, nämlich auch

ür das Verfahren vor dem Reichsgericht und vor dem Schwurgericht. In diesen Strafsachen rechtfertigt sich ihre Beseitigung aber durch die für dieselben obligatorisch vorgeschriebene 1“ durch welche die Sache bereits gründlich vorbereitet und dem Angeschuldigten richterliches Gehör gewährt ist, sowie durch den Umstand, daß dem Angeklagten in der Hauptverhandlung ein Vertheidiger zur Seite stehen v Diese beiden Umstände bieten hinlängliche Gewähr dafür, daß sein Interesse gehörig wahrgenommen und er in seiner Vertheidi⸗ gung nicht beschränkt werde. 8 8

Der § 244 der Strafprozeßordnung entzieht dem Gericht (von den daselbst bestimmten Ausnahmen abgesehen) das Recht, den Um⸗ fang der Beweisaufnahme zu bestimmen, und nöthigt dasselbe zur Erhebung aller, auch der vom Angeklagten herbeigese en Beweise, selbst, wenn es dieselben für unerbeblich erachtet. Durch diese er⸗ fahrungsmäßig vom Angeklagten nicht selten mißbrauchte Vorschrift wird die Zeit der Gerichte vielfach auf die Behandlung unerheblicher Dinge verschwendet, die Beweisaufnahme verwickelt, der Anlaß zu Vertagungen und Verschleppungen gegeben und einer tendenziösen Aus⸗ beutung der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen zur Erörterung von Vorkommnissen Raum geschaffen, welche, mit dem Gegenstande der Verhandlung selbst nur in losem Zusammenhange stehend, geeignet sind, die berechtigten Interessen und das Empfinden der an der Sache betheiligten Personen ohne genügenden Grund empfindlich zu ver⸗ letzen.

Mit Einführung der Beruf in den landgerichtlichen Straf⸗ sachen wird für diese Sachen der § 244 unbedenklich wegfallen können. In Sachen, in denen eine Berufung nicht stattfindet, soll er beibehalten bleiben.

Bei Würdigung der Nothwendigkeit der Abschaffung der vor⸗ bezeichneten und einiger anderen, später zu besprechenden Kautelen darf nicht außer Acht gelassen werden, daß die Berufung an sich zu einer erheblichen Verlängerung der Dauer vieler Strafprozesse führen wird. Diese unbestreitbare Thatsache läßt die Forderung der Ent⸗ fernung aller nunmehr en werdenden Erschwernisse aus beiden Instanzen um so dringlicher und berechtigter erscheinen.

4) Erweiterte Zulassung des Kontumazialverfahrens.

Die —— 3 her 28 5 59 1 geas uü⸗ veenes verfahren dsätzlich ausgeschlo eem sie von nschauung ees. ist, daß der Angeklagte nicht ungehört verurtheilt werden dürfe, und daß der erkennende Richter seiner Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit nur dann vollkommen ge⸗ nügen könne, wenn er selbst den Angeklagten vor sich sehe und mit seiner Ve igung höre. Abweichungen von diesem Grundsatz sind nur in beschränktem Umfange zugelassen. ]

Diese Abweichungen genügen jedoch dem chen Bedürfniß nicht, sie bewegen sich vielmehr in zu engen en, wie die leb⸗ hasten, von allen Seiten her lautgewordenen Klagen überzeugend dar⸗

ärtigen

von den Gerichten und von den Vertheidigern übereinstimmend als

icht minder schwer fallen die Nachtheile ins Gewicht, welche den selbst und swnve ere den unbemittelten

Leebenat es Per zahiher geflehcett ee Wene e lich, wie dies oftmals der Fall, der Aufenthalts⸗

einen erheblichen en; au

vfe den; falls ihm aber mern die

ußten. die Angeklagten im Fall eines Zwangs⸗ R c. auf de n en, *8 der hierzu erforderlichen Geldmittel nur neuen strafbaren Handlungen verleiten kann. en Uebelständen wird auch durch die Bestimmung des § 232 Absatz 1 nur in ungenügendem Maße abgeholfen, da die Zulässigkeit

des dort behandelten in ge Grenze schlossen ist. en Verfahrens -e e.

Statthaftigkeit

xPeahe 1 perrurgen velg⸗ ehen in 2 2

die sollen bei allen Arten

die bestehenden

erken entspricht dem früberen des Reiches und unterli ZEEE

Neuerung geschaffen

stimmung des Entwurfs der An e bereits in der Ladun auf die Zulässigkeit dieses rfahrens hingewiesen sein (Artikel I § 215). Uebrigens hebt der Entwurf ausdrücklich hervor, —6 bes 18 n in Eesepget des Ver⸗

ndlun reiten wenn die Anhörun en zur Aufklärung des Sachresbalts nicht erforderlich ist. Lrift diese Voraussetzung nicht zu, so muß gemäß § 229 das persönliche Ers geklagten und eventuell dessen Vorführung oder geordnet werden.

Anders freilich liegt die Sache bei dem Schwurgericht. In den Rahmen des schwurgerichtlichen Verfahrens paßt eine Kontumazial⸗ verhandlung nicht, wie denn auch eine solche in den Fällen, in denen sie nach der Strafprozeßordnun Feö ho gewesen wäre, kaum jemals vorgekommen ist. Es empfichli sich daher, für E5 Strafsachen das Kontumazialverfahren ganz auszuschließen. Dasse gil auch von denjenigen Haen welche in 88 Instanz vor das

c. es gehören 8 it Rücksicht darauf, das das Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten in allen vor den chöffengerichten und vor den Straf⸗ kammern zu verhandelnden Sachen für zulässig erklärt ist, verliert die in dem § 232 der Strafprozeßordnung enthaltene Bestimmung, nach welcher der Angeklagte unter Umständen auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden konnte, ihre ung.

Wenn die Beseitigung dieser Vorschrift sich hiernach von selbst verstand, so erschien es angemessen, an dieser Stelle nunmehr solche Fälle besonders zu berücksichtigen, in denen es für die Strafkammer oder das Schöffengericht von Werth sein kann, eine nähere Auslassung des Angeklagten über die Anklage zu erhalten, in denen es aber wegen der weiten Entfernung des Aufenthaltsorts des Angeklagten und des von ihm mit Rücksicht darauf zu erkennen gegebenen Wunsches, der Hauptverhandlung fern bleiben zu dürfen, unbilli sein würde, den zngerlagten perszalichen Flchrinen * 8 8 1 Fällen soll eine kommissarische Vernehmung Angekla⸗ tatthaft sein (Artikel II § 232).

Nachdem das Kontumazialverfahren in erweitertem Umfang für zulässig erklärt ist, mußte für das Verfahren in der Berufungsinstanz die Vorschrift des § 370 der Strafprozeßordnung, zufolge welcher die Berufung des Angeklagten im Falle seines Nichterscheinens in der EE“ s sofort verworfen werden soll, beseitigt werden.

it dieser Beseitigung des allegierten Paragraphen ist einem auch im Reichstage bereits geäußerten Wunsche Rechnung getragen.

In Konsequenz des erweiterten Kontumazialverfahrens mußte im Artikel II § 229 für die San in denen dasselbe Platz greifen darf,

inen des An⸗ erhaftung an⸗

dem Gerichte die Befugniß gewährt werden, von dem Erlaß eines Haft⸗ oder Vorführungsbefehls gegen den ausgebliebenen Angeklagten

Abstand zu nehmen. Denn da diese Maßregel nicht mehr, wie bis er, das einzige Mittel darstellt, dem Verfahren Fortgang zu schaffen, dieses Ziel vielmehr durch die Kontumazialverhandlung erreicht wird, wird sie in den leichteren Fällen und bei nicht vorliegendem Flucht⸗ verdacht oft entbehrlich werden. Ihre obligatorische Beibehaltung würde daher insoweit nur zu einer Beschwerung des Verfahrens und zu unnöthiger Vermehrung der Kosten führen. Dagegen bleibt der Erlaß eines Haft⸗ oder Vorführungsbefehls vorgeschrieben, insofern das Gericht von der Befugniß zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten Gebrauch nicht macht oder nicht machen kann, in dem Verfahren vor dem Reichsgericht und vor dem Schwur⸗ gericht also ohne Ausnahme.

Für die Berufungsinstanz bedurfte es besonderer Bestimmungen über die Möglichkeit, in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, nachdem der § 370 in Wegfall kommt, nur hinsichtlich des nicht auf freiem Fuße befindlichen Angeklagten. Diese Bestimmungen sind im Artikel II § 364a getroffen und werden in dem speziellen Theile der

ündung gerechtfertigt. (In einer Anlage sind die Vorschriften zahlreicher ausländischer Staaten über Kontumazialverfahren wiedergegeben. Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß die meisten dieser Staaten ein solches Verfahren mindestens in dem jetzt hier angestrebten Umfange besitzen.)

1 5) Beeidigung der Zeugen.

Als bei Berathung der Strafprozeßordnung bestimmt wurde, daß fortan die eines Zeugen regelmäßig vor seiner Vernehmung erfolgen solle, war hierbei die Erwägung maßgebend, daß eine solche Beeidigung mehr als die nachherige geeignet sei, den Zeugen zur An⸗ gabe der Wahrheit zu bewegen, weil sie den Zeugen von vornherein unter den Eindruck der Eidesleistung stelle. Nach den bisherigen Er⸗ fahrungen der Praxis hat jedoch diese Auffassung sich nicht als be⸗ rechtigt erwiesen; vielmehr haben sich die bereits im Schoße der Justizkommission des Reichstags gegen die sogenannte promissorische Eidesleistung erhobenen Bedenken als begründet berausgestellt.

Es hat sich nämlich ergeben, daß der Voreid bei dem Zeugen ein nicht allgemein vorhandenes Maß von Bildung, Einsicht, Ueberlegung und Gewissenhaftigkeit voraussetzt, und daß er bei dem nur zu häufig konstatierten Mangel jener Eigenschaften die Ermittelung der Wahrheit ernstlich gefährdet, insofern er die wohlthätigen Wirkungen einer noch während der Vernehmung erfolgenden richterlichen Ermahnun beziehungs⸗ weise einer Konfrontation beschränkt und beeinträchtigt. Eehah ecsgeasß

sich ein Zeuge nur schwer zur Aenderung wahrheitswidriger An⸗

bewegen, wenn er dieselben einmal eidlich bekräftigt hat. Ueber⸗

ies aber leidet selbst im Fall einer solchen nachträglichen Korrektur

die Heiligkeit des Eides, weil aus einer der Eidesleistung nachfolgenden

Modifikation der beschworenen Auessage schon auf eine Verletzung der Eidespflicht geschlossen werden kann.

Hierzu tritt der fernere Umstand, daß auch etwaige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Eidesleistung sich vielfach erst aus der Wer⸗ nehmung selbst oder aus der weiteren Beweisaufnahme ergeben. In solchen Fällen führt der Voreid leicht dahin, daß Personen beeidigt werden, welche nach den gesetzlichen Vorschriften hätten unbeeidigt bleiben sollen. Die im § 60 dem Richter gewährte Befugniß, unter Umständen die Beeidigung bis nach Abschluß der Vernenung aus⸗ zusetzen, ist nicht geeignet, der bezeichneten Gefahr vorzubeugen, da sich häufig nicht im Voraus ermessen läßt, ob die Voraussetzungen für jene Befugniß thatsächlich vorliegen. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß viele Zeugen bei ihrem Erscheinen . die Neuheit und Feierlichkeit der Verhandlung in Unruhe versetzt werden und sich dann nicht in der genügenden Sammlung befinden, um die ihnen gemachten Vorhbaltungen richtig zu verstehen. Es ist bedenklich, gerade in einem solchen Momente die Ableistung des Eides zu erfordern, zumal auch der Vorsitzende dann nur schwer in der Lage sein wird, seine Eides⸗ vermahnung der Individualität des Zeugen und seiner Wissenschaft zur Sache anzupassen.

Endlich ist der Voreid auch mit der erheblichen Unzuträglichkeit verknüpft, daß die Generalzeugenfragen dem gen zweimal vorgelegt werden müssen. Die 2 gung muß nämlich gegenwärtig erfolgen: einmal vor der Eidesleistung, um die Personlichken des Zeugen fest⸗ zustellen und ein Urtheil über die Zulässigkeit und Angemessenheit der Beeidigung zu ermöglichen 56, 57), und sodann nach der Be⸗ eidigung, um die betreffenden Angaben des Zeugen der ö1“ zu unterwerfen. Es liegt auf der Hand, daß der Gang der Verhand⸗ lung dadurch in störender Weise - n, 523 wird.

Die vorerwähnten Uebelstände sich namentlich in den öst⸗ lichen Provinzen der preußischen Monarchie mit besonderer Schärfe und in besorgnißerregendem M lbar gemacht; ja die Vorstands⸗ beamten einzelner üenn, n. Ober⸗Landesgerichte bezeichnen den § 60 geradezu als eine „Quelle des Meineides. Eine gleiche Auffa ung ist in den Verhandlungen des preußischen Landtags wiederholt zum

Fr Grnt rcha, ls Aufgabe der Gesetzgebung, den Voreid

als Aufgabe der ng, orei durch den2 2 des Berfuh

in eff der Frage, in welchem Stadium des rens die der een zu bewirken sei, hat die Strasprozeß⸗ ordnung für einen gr. Theil des Deutschen Reichs insofern eine ie bestimmt, daß die Beeidigung regelmäßig erst in der Hauptverhandlung stattzufinden habe. Das Gesetz ist hier⸗ bei von der Erwägung ausgegangen, daß eine solche Bestimmung dem

11“

Verhältnisse entspreche, in welchem das Vorverfahren zu dem Haupt⸗

verfahren stehen müsse, insofern der Zweck des ersteren nur in ein vorläufigen Aufklärung des Sachverhalts bestehe, während die lichen Beweisakte vor den Richtern, welche das Urtheil zu fällen haben, A3EEEö Erxwägn 3 on dem theoreti andpunkte aus soll dieser ägun eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden; die Praxis 5 hat ergeben, daß die immung des bisherigen § 65 eine ver⸗ 2 lte ist und daß gerade aus ihr ernste Gefahren für die Strafrechts⸗ pfleg⸗ entpringen. Viele Zeugen lassen sich erfahrungsmäßig nur durch die Beeidigung zur Angabe der Wahrheit bestimmen, halten dagegen im Falle einer uneidli u Vernehmung absichtlich mit ihrer Wissen⸗ schaft zurück. Ein Verhalten der Zeugen ist auf Beweg⸗ ründe der verschiedensten Art zrückzuführen. In der Mehrzahl der älle liegt ihm eine Beeinflussung seitens des Angeschuldigten oder seiner Angehörigen zu Grunde, und die Gewissenhaftigkeit der Zeugen ist vielfach nicht so stark, daß sie derartigen Beeinflussungen wider⸗ stände, sobald die Abgabe einer unwahren Erklärung wie dies mangels der Beeidigung der Fall etwas Gefahrloses darstellt. „Wie aus einer großen Anzahl von Ober⸗Landesgerichtsbezirken mitgetheilt ist, haben sich, je mehr es bekannt geworden, daß die Zeugen im Vorverfahren regelmäßig unbeeidigt bleiben, desto mehr auch die Fälle gehäuft, in denen unwahre Zeugenaussagen abgegeben werden. Ja vielfach ist der Fall vorgekommen, daß ein Zeuge, der in der Hauptverhandlung seine im Vorverfahren abgegebene Aussage als un⸗ wahr widerrief, als Grund der früheren Ver eugnung der Wahrheit ausdrücklich angab, er habe gewußt, daß er im Vorverfahren nicht zu

schwören brauche.

Die Gefahr, welche hiernach aus der Vorschrift des § 65 der Strafprozeßordnung erwächst, besteht hauptsächlich darin, daß infolge der im Vorverfahren uneidlich abgegebenen unwahren Aussagen die Erhebung begründeter Anklagen unter⸗ bleibt und daß demzufolge die Schuldigen der verdienten Strafe ent⸗ gehen. Von einzelnen Justizbehörden sind flagrante Fälle dieser Art mitgetheilt, in denen der Schuldige straflos ausgegangen sein würde, wenn nicht nachträglich der Staatsanwalt durch einen Zufall von der Unwahrheit der Zeugenaussagen Kenntniß erhalten hätte. Ein solcher Zufall aber mit welchem überdies das Gesetz nicht rechnen kann wird nur selten eintreten, und es ist nicht zu bezweifeln, daß seit der Einführung der Strafprozeßordnung die Zahl der Fälle nicht gering ist, in denen auf Grund solcher unwahren Zeugenaussagen das Ver⸗ fahren eingestellt wurde.

Daneben ist andererseits bezeugt, daß Anklagen, welche auf Grund unbeeideter, aber anscheinend glaubwürdiger Aussagen erhoben waren, zur Freisprechung führten, da die Zeugen bei der eidlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung ihre Aussagen änderten. Unter Umständen haben auch eine ungerechtfertigte Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeschuldigten zur Folge vlüe

Die Vorschriften in dem Absatz 2 und 3 des § 65, nach welchen ausnahmsweise unter gewissen Voraussetzungen eine Beeidigung der Zeugen schon im Vorverfahren erfolgen darf, haben sich dem be⸗ zeichneten Mißstande gegenüber als unzureichend erwiesen. Denn die Gründe, welche im einzelnen Fall den Zeugen zu einer wahrheits⸗ widrigen Aussage bestimmen können, sind dem Richter wie dem Staats⸗ anwalt regelmäßig unbekannt, und es läßt sich deshalb bei der Ver⸗ nehmung nur selten übersehen, ob die gesetzlichen Vorbedingungen einer alsbaldigen Beeidigung thatsächlich vorliegen. Eine wirkliche Abhilfe

einzig und allein dadurch zu erreichen, daß nach dem Vorschlage

des Entwurfs die Beeidigung der Zeugen bei ihrer ersten Ver⸗ nehmung zur Regel erhoben wird.

Für eine dahin gehende Vorschrift läßt sich überdies eine Reih nicht unerheblicher Zweckmäßigkeitsgründe geltend machen. „Zlunächst ist es selbstverstandlich daß die Zeugen die Thatsachen über welche sie Auskunft geben sollen, bei ihrer ersten V am besten und genauesten im Gedächtniß haben. einmal beeidete Aussage in den späteren Stadien des Verfahrens auch dann Verwerthung finden, wenn der Zeuge inzwischen verstorben oder verschollen, seine abermalige Vernehmung also nicht ausführbar ist dem Protokoll über eine uneidliche Vernehmung hingegen wird immer nur ein Feringes Gewicht beigemessen werden können. Endlich ise ein im Vorverfahren uneidlich vernommener Zeuge in der Zeit bis zur Hauptverhandlung den thatsächlich nicht selten versuchten Be⸗ einflussungen durch den Angeschuldigten oder den Denunzianten er⸗ fahrungsgemäß mehr ausgesetzt und leichter zugänglich, als ein Zeuge, welcher seine Aussage bereits eidlich erhärtet hat.

Aus allen diesen bereits in dem Entwurfe von 1885 vorgetragenen

Gründen will die Vorlage die alsbaldige Beeidigung der vernommenen Zeugen wieder zur Regel erheben und Ausnahmen von dieser Regel

nur insofern gestatten, als dies zur Verhütung unzulässiger und über⸗ Füüssige Eidesabnahmen erforderlich erscheint.

n nothwendiger Konsequenz dieses Prinzips erschien es geboten,

für das Hauptverfahren die Verweisung auf den geleisteten Eid zu⸗

zulassen, da sonst die mehrmalige Beeidigung in derselben Sache zur

Regel werden würde. Eine solche Häufung der Eidesleistungen müßte dahin führen, die Bedeutung des Eides und den Glauben an die Heiligkeit desselben abzuschwächen. 1

Schon jetzt wird, wiewohl im Vorverfahren die Beeidigung nur ausnahmsweise erfolgt, die Unzulässigkeit der Verweisung auf den im Vorverfahren geleisteten Eid von der Praxis als eine nutzlose Er⸗ schwerung der E“ empfunden. 1

Es empfiehlt sich daher, den Grundsatz, welcher in dem früheren preußischen Recht (Verordnung vom 3. Januar 1849 § 55, Straf⸗ prozeßordnung vom 25. Juni 1867 § 254) enthalten war und sich dort bewährt hatte, in die Reichsgesetzgebung aufzunehmen und die Berufung auf den in derselben Strafsache früher geleisteten Eid all⸗ gemein zu gestatten. 8 8

„Endlich erschien es zweckmäßig, zur Z Mein⸗ eide dem Richter die Befugniß zu gewähren, die Vereidigung wegen offenbarer Unglaubwürdigkeit auszusetzen (Art. II § 56 a) und der die Heiligkeit des Eides beeinträchtigenden Häufung der Zeugeneide in einer Verhandlung durch Zulassung gleichzeitiger Beeidigung mehrerer Personen entgegenzutreten (Art. II §§ 60, 63).

6) Einführung eines abgekürzten, summarischen Ver⸗ fahrens für gewisse, eine schleunige Behandlung er⸗ heischende Strafthaten.

Nicht ohne Berechtigung ist in neuerer Zeit vielfach über Schwer⸗ fälligkeit und Langsamkeit der durch die Strafprozeßordnung hergestellten Prozedur Klage geführt worden. Wenn vorzugsweise im Strafrecht ein schleuniges Verfahren nothwendig ist, weil nur die schnell der Gesetzes⸗ verletzung folgende Strafe gehörig wirkt, so kann mit dem Geständnisse nicht zurückgehalten werden, daß die inländische Strafrechtspflege in dieser Beziehung von einem befriedigenden Zustand weit entfernt i ie Dauer der Strasprozesse beträgt selbst in einfachen Sachen in der Regel mehrere Monate, in umfangreichen meist 5 erheblich mehr. Ja es sind, namentlich in der neuesten Zeit, zahlreiche Fälle bekannt geworden, in denen die Erledigung des Prozesses bis zur, rechtskräftigen Entscheidung weit mehr als Jahresfrist in Anspruch genommen hat. 1

Unter den Ursachen, auf welche dies EE’ ist, nimmt die Gestaltung des Verfahrens selbst den ersten Platz ein. Die gegen⸗ wärtige Prozedur gewährt, wie an einzelnen Stellen bereits gez ist und an anderen noch gezeigt werden wird, dem Angeklagten so viele Behelfe zur Verschleppung und Verweitläufigung der Sache, 8 deren langsames Fortschreiten schon hierdurch allein ausreichend erklärt wird. Das Verfahren gleicht in vielen Fällen mehr einem langsamen und mühevollen Ringen der gesetzlichen 2 mit ihrem Verletzer, als der raschen und energischen Unterwerfung desselben unter das Recht, welche das öffentliche Wohl erfordert. 8

Dem Schuldigen gegenüber werden die Erschwernisse der Ver⸗ folgung zu einer Gefahr für die Rechtspflege und damit für die öffentliche Ordnung selbst, denn sie bestärken den Frevler in seiner Auflehnung gegen das Gesetz, erschüttern das ee. Vertrauen in die Kraft 2. Wirksamkeit der Strafjustiz und ermuthigen Andere zu ähnlichen Rechtsverletzungen, indem sie ihnen dieselben in dem Li⸗ der Gefahrlosigkeit jeigen. Der Entwurf bestrebt sich, durch Ab⸗ kürzungen und Vereinfachungen auf eine Beschleunigung des Ver⸗ fahrens in allen Strafsachen hinzuwirken. Daneben aber erschien es

oten, für solche Straffälle, welche vornehimlich Schleunigkeit der eceh, Jecn ein besonderes abgekürztes Verfahren ein⸗

orbild bietet das englische, französische und belgische echt.

Wie in der Anlage C. näher dargestellt, land und Frankreich eine Einrichtung, nach welcher auf frischer That ertappte und ergriffene Personen kurzer Hand dem Gericht nebst den Beweismitteln vorgeführt und von diesem nach sofortigem Eintritt in die Hauptverhandlung unverzüglich ab⸗

eurtheilt werden. Diese Einrichtung hat sich in beiden Ländern ewährt, da die Schnelligkeit der Prozedur und des Eintritts der Strafe den Betroffenen zum Bewußtsein bringt, daß die Uebertretung der Strafgesetze sofortiger Ahndung unterliegt. Dem Publikum wird dadurch die Macht der öffentlichen Ordnung mit dem Erfolge einer wirksamen Abschreckung vor Augen geführt. Besonders in größeren Städten 1“ den daselbst in der Oeffentlichkeit vielfach auf⸗ tauchenden bedenklichen Elementen, sowie bei Störungen des öffent⸗ lichen Friedens und der öffentlichen Ordnung hat sich diese beschleunigte Peereen als werthvoll erwiesen. Die durch die Presse veröffentlichten ittheilungen über die schnelle Bestrafung von Ruhestörern und Friedensbrechern wirkt beruhigend und erweckt Vertrauen auf die Rechts⸗ pflege. Es darf in dieser Beziehung an die rasche Aburtheilung der Theilnehmer an verschiedenen öffentlichen Excessen, welche in Paris in neuerer Zeit stattfanden, erinnert werden. Diese Aburtheilung erfolgte zu einem großen Theil schon am Tage nach der That.

In Belgien befindet sich eine ähnliche gesetzliche Institution noch in der Vorbereitung. Nachdem der Repräsentantenkammer der Ent⸗ wurf zu einer neuen Strafprozeßordnung vorgelegt worden war, forderte diese durch ihre Kommission in der Sitzung vom 20. November 1883 auf Grund der in Frankreich und England gemachten Erfahrungen von der Regierung die Einführung eines dem französischen Gesetze vom 20. Mai 1863 über die flagrants délits entsprechenden summwarischen Verfahrens (procédure spéciale pour le jugement immédiat des flagrants délits). Der Entwurf der Prozeßordnung ist noch nicht zum Abschluß gelangt. Die belgische Regierung glaubte jedoch, die Verwirklichung des schleunigen Verfahrens nicht weiter aufschieben zu sollen, und legte deshalb dem Repräsentantenhause in der Sitzung vom 15. April 1890 den Entwurf eines Spezialgesetzes „Instruction des flagrants délits devant les tribunaux correctionnels (Chambre des Représentants No. 150)“ vor, welcher im wesent⸗ lichen dem französischen Gesetze entspricht und dessen Wortlaut in der Anlage C ebenfalls mitgetheilt ist. 8

Die Mittheilung einiger Stellen aus dem Bericht der Kommission des belgischen Abgeordnetenhauses vom 20. November 1883 dürfte von Interesse sein.

Die erste betrifft die in Frankreich und England mit der summarischen Aburtheilung der délits flagrants gemachten Er⸗ fahrungen. Dieselbe lautet:

„En Angleterre tous les criminalistes attestent les excellents résultats de cette procédure expéditive. En Franceo . .. Dans une remarquable publication officielle „La justice criminelle en France de 1820 à 1880“, nous lisons ... .. „Cette innovation a été des plus heureuses, non-seulement en ce qu'elle abrège les détentions préventives et réduit considérablement les frais, mais encore en ce qu'elle a débarrassé les cabinets d'’instruction d'un grand nombre d'affaires, presque de moitié.“

Die andere Stelle bezieht sich auf die Gründe, welche für Ein⸗ führung eines ähnlichen Gesetzes sprechen:

„Sans doute, en admettant cette procédure sommaire pour le jugement des délits flagrants, on s'écarte considérablement des règles ordinaires de la procédure pénale. Mais pourquoi ces règles ne pourraient-elles pas, comme toutes les autres, subir une exception réclam ée par des motifs graves? Dictées par l'intérôt de la justice, ces règles peuvent être écartées en partie, quand le même intérêt, au lieu d'ôtre 1686, satisfaction plus rapide et moins coteuse. Dans les limites de la raison et de 1'équité, lées lois doiventse plier aux besoins sociaux.“*)

Es ist zu betonen, daß diese Stellen nicht in einem Regierungs⸗ entwurf, sondern in einem aus der Initiative der Volksvertretung hervorgegangenen Kammerbeschlusse enthalten sind.

Im Deutschen Reich ist durch den § 211 der Strafprozeßordnung ein Anfang in der bezeichneten Richtung gemacht worden. Derselbe ist indeß in zweifücher Hinsicht unzureichend. Er beschränkt sich nur auf das schöffengerichtliche Verfahren, während diejenigen Delikte, welche zu einer sofortigen Ahndung die gegründetste Veranlassung

eben, wie beispielsweise die meisten Vergehen gegen die öffentliche gegen die Sittlichkeit, gegen die körperliche Integrität, zur ehören. In Frankreich und Belgien betrifft, beziehungsweise bezielt das summarische Verfahren gerade die vor die tribunaux correctionnels gehörigen Sachen. Sodann ermangelt das deutsche Gesetz der nothwendigen Aus⸗ gestaltung im einzelnen, was zur Folge „hat, daß seine An⸗ wendung zumeist an den entgegenstehenden äußeren Schwierigkeiten (wie mangelnde Bereitschaft des Gerichts oder der Zeugen) und an der ausschließlichen Gewöhnung der Richter an die Formen des ordent⸗ lichen Prozesses scheitert. Nach den Berichten der Justizbehörden ist von demselben nur in einem sehr geringen Umfange und meist nur in großen Städten Gebrauch gemacht worden.

Diese Mängel bedürfen der Abhilfe.

Es ist daher im Art. II §§ 211 bis 211b einerseits die Aus⸗ dehnung dieses Verfahrens auf die Strafkammersachen und andererseits die Ausgestaltung desselben durch Spezialvorschriften, z. B. in Betreff der Zeugenladungen, der Zeit der Gerichtssitzungen, der Vertagun en ve s9 welche geeignet sind, ihm die thatsächliche Durchführbarkeit zu sichern.

Der Kreis der ihm zu unterwerfenden Strafthaten ist im eng⸗ lischen Recht nach einer großen Zahl einzeln bezei neter Delikte be⸗ stimmt. Im französischen und belgischen Recht beschränkt er sich auf délits flagrants, d. h. sül-. der Ergreifung auf frischer That, wobei aber alle mit korrektioneller Freiheitsstrafe zu ahndenden Strafthaten

besteht in Eng⸗

Zuständigkeit der Strafkammern

hierher gehören.

Letzterem Vorgange ist der Entwurf in Bezug auf die Straf⸗ kammersachen im 3SehsLe⸗ gegolgt. In Ansehung der schöffen⸗ gerichtlichen Sachen ist es lediglich bei dem bisherigen Recht belassen mit der Maßgabe, das dasselbe in den Rahmen des neuen, für Straf⸗ kammer und Schöffengerichte gemeinsamen Verfahrens eingefügt worden ist, um das letztere zu einem einheitlichen zu Fechen und die sachlich als Ausführungsbestimmungen anzusehenden Vors riften auch für die schöffengerichtlichen Sachen gelten zu lassen. Die Einzelheiten werden in dem er hen Theile nähere Erläuterung finden.

7) Veränderungen in der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte. 1 b

Die sachliche Zuständigkeit der Schöffengerichte ist bei der Be⸗ rathung des Gerichtsverfassungsgesetze;s unter großen Meinungs⸗ verschiedenheiten festgestellt worden. Ein einheitliches Prinzip liegt der getroffenen Regelung nicht zu Grunde; denn von dem leitenden Gesichtspunkte, den Schöffengerichten die Uebertretungen, den Straf⸗ kammern die Vergehen, den Schwurgerichten die Verbrechen zu über⸗ weisen, sind aus Zwech mägigkestsgründen so viele Ausnahmen gemacht worden, daß der Grundsatz selbst nicht mehr aufrecht erhalten erscheint.

Aus dem Svystem des Gesetzes lassen sich Bedenken gegen eine weitere Vermehrung dieser Ausnahmen nicht herleiten.

Eine solche erscheint aber angezeigt. Die Rechtsprechung der Schöffengerichte hat sich im allgemeinen insoweit bewährt, daß es keinen Bedenken unterliegt, ihnen namentlich von denjenigen Delikten, welche gegenwärtig nach § 75 des Gerichtsverfassungsgesetzes über⸗ weisungsfähig sind, bezüglich deren also bereits anerkannt ist, daß sie sich zur Aburtheilung durch Schöffengerichte an sich eignen, einige in

9 Chambre des Représentants, No. 150, Annexe, Séance du 20 Novembre 1883.

les magistrats sont unanimes à s'en féöliciter.

reçoit une⸗

der Regel einfache rhatbestände arsprünglich luzutheilen. r. 288

gilt von dem Hausfriedensbruche im Falle des .123 Absatz

Strafgesetzbuchs, den im § 183 daselbst vaseseen. Vergehen wider

die Sittlichkeit, der Körperverletzung in den Fällen der nur auf An⸗

trag eintretenden Verfolgung, sowie im Falle des § 223 a des Straf⸗ gsetzbuchs, der Bedrohung im Falle des § 241, des strafbaren

igennutzes in den Fällen der §§ 288 und 298, der sogenannten qualifizierten Jagd⸗ und Fischereivergehen in den Fällen der §§ 293 und 296, des Diebstahls im Falle des § 242, der Unter⸗

clagung im Falle des § 246, des Betruges im Falle des § 263

und der Sachbeschädigung im Falle des § 303 des Strafgesetzbuchs,

bei den zuletzt genannten vier Strafthaten jedoch unter der be⸗ schränkenden Voraussetzung, daß der Werth der entfremdeten Sache beziehungsweise der Betrag des Schadens einhundert Mark nicht über⸗ steigt. Wird diese Perthögernge überschritten, so verbleibt es in An⸗ sehung dieser vier Thatbestände bei dem bestebenden Rechte, na

welchem sie zwar zur Zuständigkeit der Strafkammern gehören, jed

den Schöffengerichten überwiesen werden. können. Von bisher nicht überweisungsfähigen Strafthaten erscheint es statthaft, diesen Gerichten die mit den oben aufgeführten Delikten nahe verwandten Fälle des strafbaren Eigennutzes im Sinne der §§ 289 und 291 des Straf⸗ gesetzbuchs zu unterstellen. Auf eine solche Erweiterung der ursprüng⸗ lichen Zuständigkeit der Schöffengerichte weisen auch äußere Zwed. mäßigkeitsgründe hin. Einerseits nämlich sind zahlreiche, namentlich kleinere, mtsgerichte gegenwärtig nicht voll beschäftigt, sodaß die

Vermehrung ihrer Aufgaben sich durch die Rücksicht auf eine bessere

Ausnutzung der vorhandenen Kräfte empfiehlt. Uebrigens ist hier und

da von der Befugniß der Ueberweisung bisher schon in einem so

großen Umfange Gebrauch gemacht worden, daß die Aenderung an manchen Orten im Grunde nur die Ersparniß von Schreibwerk und von Weiterungen bedeuten wird.

Erfahren die Landgerichte auf diese Weise eine Fhtlasteng. so wird es thunlich erscheinen, denselben andererseits einige bisher zur Kompetenz der Schwurgerichte gehörige Verbrechen zu überweisen, hinsichtlich deren das Bedürfniß na einer solchen Aenderung der Zuständigkeit schon früher hervorgetreten ist. Es gilt dies von den §§ 153 bis 155, 176, 268 Nr. 2, 272, 273 des Strafgefetbuchs vorgesehenen Verbrechen des Meineides, der Unzucht, der Urkundenfälschung, von den daselbst in den §§ 349 und 351 vorgesehenen Amtsverbrechen, sowie von den Verbrechen gegen die §§ 209 und 212 der Konkursordnung.

Hinsichtlich dieser Thatbestände hatte bereits der Entwurf von 1885 den gleichen Vorschlag gemacht und hrbenderrußen begründet:

„Was die in Frage stehenden Verbrechen der Ur ndenfälschung anlangt, so rechtfertigt sich deren Ueberweisung an die Strafkammern um deswillen, weil es üch dabei nicht selten um die Beurtheilung be⸗ sonders schwieriger Re⸗ handelt.

Bei den übrigen oben bezeichneten Verbrechen erfordert die zu⸗ treffende Beurtheilung regelmäßig die Beherrschung eines so verwickelten thatsächlichen Materials, daß selbst einsichtige und gewandte Ge⸗ schworene sich außer Stande fühlen, den ihnen gestellten Aufgaben zu genügen. Was insbesondere die im § 351 des Strafgesetzbuchs be⸗ handelten Fälle der Unterschlagung im Amte anlangt, 8 kommt hinzu, daß die Bedeutung S2a wie sich aus der hier besonders häufigen Bejahung der Frage nach dem Vorbandensein mildernder Umstände ergiebt, vielfach nicht von der Art ist, um deswegen den Apparat des Schwurgerichts in Bewegung zu setzen.“

Auf diese Begründung kann hier verwiesen werden.

8) Anderweite Regelung der Geschäftsvertheilung und Geschäftsbehandlung bei den Kollegialgerichten. Schon der Entwurf von 1885 hatte im wesentlichen die jetzt in

Aussicht genommenen Aenderungen der 8 661 bis 65, 69 Absatz 1 und

133 des Gerichtsverfassungsgesetzes vorgeschlagen und zu ihrer Recht⸗

fertigung Folgendes angeführt:

„Die über die Rechtiprechung der Strafkammern erhobenen Klagen mußten die verbündeten Regierungen zu einer ferneren Prüfung darüber anregen, ob sich diese Klagen lediglich auf die Struktur des Straf⸗ verfahrens beziehen, oder ob und inwieweit sie etwa durch die Art und Weise, in welcher die Strafkammern ihre Geschäfte erledigen, hervorgerufen sind. Auch die erheblichsten Mängel des Verfahrens können durch eine sorgsame und sachgemäße Behandlung der einzelnen Strafsachen ganz oder zum größten Theil ausgeglichen werden. Die Art des Geschäftsbetriebs und die Sicherheit der Rechtsfindung in den Strafkammern ist im wesentlichen von der Zusammensetzung derselben abhängig. Es mußte deshalb die Frage aufgeworfen werden, ob sich die durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 begründete Einrichtung des Präsidiums 63 des Gerichtsverfassungs⸗ gesetzes) und die von diesem ausgehende Bestimmung darüber, wie das in Betracht kommende Personal auf die einzelnen Kammern und Senate zu vertheilen sei, in der Praxis bewährt haben. Zu einer Erwägung dieser Frage waren die verbündeten Regierungen um so mehr veranlaßt, als der bei der Formation des Präsidiums seinerzeit eingeschlagene Weg ein durchaus neuer, unerprobter war. Weder in den bestehenden Gesetzgebungen der größeren außerdeutschen Staaten, noch in den vor dem 1. Oktober 1879 geltenden Gerichts⸗ verfassungen deutscher Rechtsgebiete ist eine dem Präsidium des v“ lim wesentlichen entsprechende Einrichtung zu finden; fast überall ist vielmehr die Vertheilung der Geschäfte unter die einzelnen Richter entweder der Landes⸗Justizverwaltung oder dem zuständigen Gerichtspräsidenten übertragen oder wenigstens diesen Faktoren ein entscheidender Einfluß hierbei eingeräumt. Nur in den verhältnißmäßig kleinen Rechtsgebieten, wie in den⸗ jenigen der Hansestädte, war in Abweichung von diesem Prinzip die Geschäftsvertheilung den Kollegien in ihrer Gesammtheit anvertraut; es leuchtet aber ohne weiteres ein, daß ein Verfahren, welches jedem einzelnen Richter gestattete, seine Wünsche offen zum Ausdruck zu bringen, sich von demjenigen, wo das vom Kollegium abgesonderte Präsidium prüft und entscheidet, gerade in einem erheblichen Punkte unterschied. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß die französische Gesetzgebung, welche allein von allen eine dem Präsidium ähnliche, wenn auch nicht in gleicher Weise unabhängig gestellte Institution durch das Gesetz vom 11. Oktober 1820 eingeführt hatte, im Jahre 1859 eine neue Formation, durch welche die Rechte der Justizverwaltung gesichert wurden, für erforderlich erachtete. Selbst die belgische Gesetz⸗ gebung, deren Streben auf thunlichste Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit gerichtet ist, hat sich damit begnügt, bestimmte all⸗ gemeine Regeln über die Art der Geschäftsvertheilung aufzustellen, diese selbst aber im Vertrauen auf die Umsicht des Präsidenten in die Verfügung exselben gestellt.

Diese Anschauungen fremder Rechtsordnungen könnten für die Frage nach der zweckmäßigsten Form der Geschäftsvertheilung wenig in das Gewicht fallen, wenn sie nicht auch durch die seit dem 1. Oktober 1879 in Deutschland gemachten Erfahrungen bekräftigt würden.

Insbesondere in Bezug auf die Zusammensetzung der Straf⸗ kammern sind sowohl in der Literatur als bei den einzelnen Justiz⸗ verwaltungen die leebagtescen Klagen laut geworden. Hervorragende

Praktiker haben die Geschäftsthätigkeit der Strafkammern einer

ungünstigen Kritik unterworfen.*) Mannigfache Klagen sind in dieser Beziehung von namhaften und weitverbreiteten Tagesblättern vor⸗ gebracht worden. Wenn in diesen Beschwerden auch viel zu wenig allen Schwierigkeiten, mit denen so manche stark beschäftigte Straf⸗ kammern zu kämpfen haben, Fennn getragen ist, so können sie doch mit Rücksicht auf die Erfahrungen der Justizverwaltungen nicht für ganz unberechtigt erachtet werden. Bereits im Jahre 1882 hat sich der preußische Justizminister veranlaßt gesehen, die Präsidenten der Ober⸗Landesgerichte darauf aufmerksam zu machen, wie man den Strafkammern vielfach die weniger brauchbaren Elemente zuzuweisen pflege und wie dem berechtigten Verlangen, daß nicht einzelne Richter ausschließlich mit Zivilsachen, andere ausschließlich mit Strafsachen beschäftigt würden, Rechnung zu tragen sei. 1

Diese Verfügung“**) fand seinerzeit sowohl in der Presse als in Fachkreisen eine lebhafte Zustimmung. Nichtsdestoweniger

*) Mittelstädt in den Preußischen Jahrbüchern Bd. 50 S. 190; v. Schwarze, Gerichtssaal Bd. 35 S. 404, 405, 408. **) Preußisches Justiz⸗Ministerialblatt 1882 Nr. 37 S. 306.

der Landwirthschaftskammer vor

ist s ee ntge seler, 1.speba bei 2 jetzigen verfassung nicht allzuvie olg zu offen. Die sohägcnene⸗ der Präsidien werden regelmeßis der Gefahr ausgesetzt sein, persönliche Wünsche sowie Rücksichten anf ihnen nahe⸗ stehende Kollegen allzu sehr in Rechnung zu ziehen; sie sind selbst auf das Lebhafteste dabei interessirt, als Genossen ihrer Arbeit möglichst ihnen sympathische Richter zu erwählen und können dieses Interesse um so freier verfolgen, als alle Anordnungen unter dem Namen des kollegialischen Präsidiums ergehen. So kann es nicht befremden, wenn die Anordnungen der Präsidien, auch abgesehen von den auf die Bildung der Strafkammern bezüglichen Verfügungen, in vielen Fällen Anlaß zu Beschwerden gegeben hahen.

Die gemachten Erfahrungen mußten die verbündeten Regierungen zu der Ueberzeugung führen, daß eine befriedigende Beseitigung der fraglichen Mißstände nur in der Weise zu erreichen ist, daß die An⸗ ordnung über Geschäftsvertheilung und Zusammensetzu Senate und Kammern dem Präsidium abgenommen und, „was zunächst die Landesgerichte anlangt, den Justizverwaltungen übertragen wird. Indem der Entwurf, hiervon ausgehend, zugleich vorschreibt, daß die Anord⸗ nungen stets für ein Geschäftsjahr getroffen werden müssen und da sie innerhalb desselben nur aus bestimmten Gründen, 62 Absatz 2 geändert werden dürfen, ist die Befürchtung ausgeschlossen, daß die Unabhängigkeit der Rechtspflege infolge der für e erachteten Aenderung irgendwie beeinträchtigt werden könne.

Von besonderer Wichtigkeit ist die zu den §§ 61 und 65 des Gerichtsverfassungsgesetzes in Aussicht genommtene Modifikation der über den Vorsitz in den Kammern bestehenden Vorschriften. Während daran festzuhalten sein wird, daß die betreffenden Funktionen von dem Präsidenten und den Direktoren, deren Ernennung der Justiz⸗ verwaltung zusteht, auszuüben sind, mußte es als ein dringendes Be⸗ dürfniß erkannt werden, die Bestimmung zu beseitigen, nach welcher im Falle der Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden der Vo tz auf dasjenige Mitglied der Kammer übergehen soll, welches dem Dienstalter nach und bei gleichem Dienstalter der Geburt nach das älteste ist. Diese Bestimmung hat zu den größten Mißständen fefuührt. indem sie zur Folge hatte, daß die verantwortungsvolle Thätigkeit des Vorsitzenden, an welchen nach der Natur des mündlichen Verfahrens besonders hohe Ansprüche gestellt werden, vielfach auf ältere Mit⸗ glieder des Gerichts übertragen werden mußte, welche dieser Aufgabe in keiner Weise gewachsen waren und welche eben um deswillen, weil ihnen diese Qualifikation mangelte, bei der Besetzung von Präsidenten⸗ und Direktorstellen nicht hatten berücksichtigt werden können.

Der Entwurf tritt dem bezeichneten Uebelstande dadurch entgegen, daß er abweichend vom Gesetze auch die wegen der Vertretung des ordentlichen Vorsitzenden zu treffenden Anordnungen der Justiz⸗ verwaltung anheimstellt.

„Den allgemein im Vorstehenden erörterten Gesichtspunkten ent⸗ spricht es, wenn im § 65 der Landesjustizverwaltung auch die Be⸗ stimmung darüber vorbehalten ist, wer eintretendenfalls den Präsidenten in den ihm als solchen obliegenden, durch das Gerichtsverfassungsgesetz bestimmten Geschäften zu vertreten habe.

Was das Reichsgericht anlangt, so sind im § 133 die für die Landesgerichte getroffenen Bestimmungen auf dasselbe mit der Modi⸗ fikation ausgedehnt, daß an die Stelle der Landesjustizverwaltung der Präsident des Reichsgerichts treten soll.“

Diese Ausführungen haben auch noch für die Gegenwart' volle Berechtigung. Die Uebelstände, denen sie Abhilfe schaffen sollten, haben fortgedauert und sind sogar in verstärktem Maße wahrgenommen worden. iederholt hat der preußische Justizminister seine oben er⸗ wähnte allgemeine Verfügung in Erinnerung bringen müssen und wiederholt auch die Justizbehörden auf die Nothwendigkeit einer schleu⸗ nigen Erledigung der Strafsachen aufmerksam gemacht. Durch eine derartige, bloß ermahnende Thätigkeit wird aber ein wesentlicher Er⸗ 8 nicht erzielt und der Verantwortlichkeit nicht genügt, welche der

in Bezug auf die Promptheit der Rechtspflege ob⸗ liegt. Soll diese Verantwortlichkeit zu einer Wahrheit werden, so muß den Landesjustizverwaltungen die Befugniß zurückgegeben werden, über die zweckmäßige Verwendung der Richterkräfte und die Verthei⸗ lung der Geschäfte unter denselben ihrerseits Bestimmung zu treffen.

Die einschlägigen Bestimmungen des Entwurfs von 1885 sind daher hier wiederholt worden, und zwar mit der einzigen sachlichen Abänderung, daß im § 133 an Stelle des Reichsgerichtspräsidenten der Reichskanzler tritt.

Entwurf eines Gesetzes über die Landwirthschaftskammern.

§ 1. en Zwecke der korporativen Organisation des landwirt schaftlichen Berufsstandes werden Landwirthschaftskammern errichtet, welche der Regel nach das Gebiet einer Provinz umfassen. Im Be⸗ dürfnißfalle können für eine Provinz mehrere Landwirthschaftskammern gebildet werden. b

§ 2. Die Landwirthschaftskammern haben die Bestimmung, die Gesammtinteressen der Land⸗ und Forstwirthschaft ihres Bezirks wahr⸗ zunehmen, zu diesem Behufe alle auf die Hebung der Lage des länd⸗ lichen Grundbesitzes ““ Einrichtungen zu fördern und die Verwaltungsbehörden bei den die Land⸗ und Forstwirthschaft be⸗ treffenden Fragen durch thatsächliche Mittheilungen, Anträge und Erstattung von Gutachten zu unterstützen. 8 1

Insbesondere haben die Landwirthschaftskammern auf Erfordern nicht nur über solche Maßregeln der Gesetzgebung und Verwaltung sich zu äußern, welche die allgemeinen Interessen der Landwirthschaft oder die besonderen landwirthschaftlichen Interessen der betheiligten Bezirke berühren, sondern auch bei allen Maßnahmen mitzuwirken, welche die Organisation des ländlichen Kredits und sonstige gemein⸗ same Aufgaben betreffen.

Die Landwirthschaftskammern haben außerdem den technischen Fortschritt der Landwirthschaft durch zweckentsprechende Einrichtunge u fördern. Zu diesem Zweck können sie die Anstalten, sowie di Bepflctamac und das gesammte Vermögen der bestehenden land⸗ wirthschaftlichen Vereine zur bestimmungsmäßigen Verwendung und Verwaltung übernehmen, oder solche Vereine in der Ausführung ihr Aufgaben unterstützen.

Den Landwirthschaftskammern kann eine Mitwirkung bei de Verwaltung der Produktenbörsen und bei den Preisnotierungen bei diesen, sowie bei Märkten übertragen werden.

§ 3. Die Errichtung einer Landwirthschaftskammer erfolgt au Grund eines den Vorschriften dieses Gesetzes entsprechenden, 809 Anhörung des Provinzial⸗Landtags zu erlassenden Statuts durc Königliche Verordnung. Aenderungen des Statuts bedürfen, soweit die Königliche Verordnung nicht etwas Anderes bestimmt, der König⸗ lichen Das Statut, sowie Aenderungen desselben sind 8 durch den „Staats⸗Anzeiger“ zu veröffentlichen. 8 8

§ 4. Das Statut muß innerhalb der durch dieses Gesetz ge⸗ gebenen Vorschriften Bestimmungen enthalten über:

1) den Sitz der Landwirthschaftskammer;

2) das nach dem Grundsteuerreiner trage Mindestmaß des zur Theilnahme an der Wahl berechtigenden Grundbesitze;

3) die Zahl der Mitglieder und ihre Vertheilung auf die eE. henfolge des Ausscheidens der Mitglied

ie Reihenfolge des Ausscheidens der Mi ieder; n 69 die für die Beschlußfähigkeit erforderliche Zahl der Mit⸗ glieder; 1 6) die Wahl und die Zusammensetzung des Vorstands, die Be⸗ 8 fugnisse des Vorstands und des Vorsitzenden; 1d

a die Form für die Legitimation des Vorstands und seiner Mit⸗ lieder; 1 8) die Voraussetzungen und die Form für die Zusammenberufung der Landwirthschaftskammer; 8

9) die Bezeichnung der e, welche der Beschlußfassung

eehalten bleiben;