1894 / 19 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Jan 1894 18:00:01 GMT) scan diff

hie und da in einer Scene vorübergehend auftreten. Gelegenheit, sich vortheilhaft bemerklich zu machen, hatten unter ihnen nur die beiden Damen Casselmann und Emfeld, welche die Gesangseinlagen im vierten Bilde glücklich zur Geltung brachten. Der freundlichen Auf⸗ nahme, die die Posse fand, entsprach der lebhafte Beifall, der jedem scenischen Bilde folgte.

Neues Theater.

Am Sonnabend wurden an dieser Stätte zum ersten Mal die schon von Aufführungen am Residenz⸗Theater bekannten beiden Werke, die Tragikomödie „Gläubiger“ von Paul Strindberg und das Lustspiel „Flattersucht“ (La Papillonne) von Victorien Sardou, in deutscher Bearbeitung von August Förster, mit gutem Erfolg aufgeführt. Beim ersten Stück, das, wenn auch in geist⸗ reicher und ergreifender Weise geschrieben, seinem Gegenstand nach doch weniger anspricht, weil es ohne einen versöhnenden Abschluß nur die tiefste Verderbniß des Weibes zu zeigen bestimmt ist, nöthigte das meisterhafte Spiel des Fräulein ertens, sowie der Herren Rittner und Jarno den Zuschauern Bewunderung ab. 1

Die darauf folgende „Flattersucht“ erregte trotz der unmög⸗ lichen Voraussetzungen, die dem Stück zu Grunde gelegt sind, durch dessen ungewöhnlich ausgelassenen die lebhafteste Heiterkeit. Auch hier läßt sich über die Darstellung nur Lobenswerthes sagen. Der auf Abwege gerathene Ehemann Herr von Champignac fand in Herrn Jarno einen ungemein lustigen Vertreter, während seine Frau in anziehender Weise von Fräulein Hofer gegeben wurde. anz besonders aber verdiente und fand die allgemeine Anerkennung das neckische Spiel des Fräuleins Nina Sandom, als junge Wittwe Camille, der es gelingt, den Gatten von seiner krankhaften Flatter⸗ sucht zu heilen, und den Frieden zwischen den Eheleuten wieder her⸗ zustellen. Herr Kraus gab den verliebten und tölpelhaften Fridolin mit übersprudelnder Laune. 11“

Konzerte.

Das amerikanische Künstlerpaar Mary Howe⸗Lavin (hoher Sopran) und William Lavin (Tenor), das sich auf einer Kunst⸗ reise durch Europa befindet, erschien am Sonnabend zum ersten Mal vor dem hiesigen Publikum. Beiden ging bereits von ihrer Bühnen⸗ thätigkeit her ein sehr ehrenvoller voraus, der durch den Vortrag mehrerer Opern⸗Arien glänzend gerechtfertigt wurde. Nach der Ouvertüre zu Verdi's „Aida“ trug Herr Lavin die große Arie „Himmlische Aida“ aus der genannten Oper vor und ließ hierin eine starke und in allen Lagen gleichmäßig klangvolle, bis ins hohe C beguem hinaufsteigende Stimme erkennen, die mit dramatischer Lebendigkeit des Ausdrucks sich vereinigte, sodaß rauschender Beifall und Hervorruf erfolgte. Dieselben Vorzüge traten auch noch in einer Arie von Halévy und in einem Duett von Verdi sehr wirksam hervor. In noch höherem Maße wurde das Publikum in Staunen versetzt durch die Koloraturgewandtheit der Sopranistin, die sich mit Leichtigkeit bis ins dreigestrichene E hinaufschwang mit vorausgehenden Trillern und rapiden auf⸗ und abwärts gehenden chromatischen Gängen von perlender Klarheit, wie sie zunächst in der mit virtuosen Schwierigkeiten reich ausgestatteten Arie aus „La Perle du Brésil“ von David zur Geltung kam. Beiden fehlte niemals Reinheit der Intonation und Deutlichkeit der Aussprache. Einige Zugaben wurden freundlichst gewährt. Von vielen Seiten des zahlreich erschienenen 1 wurde der Wunsch laut, daß das ungewöhnli begabte Künstlerpaar sich noch öfter hier hören lassen möge. Das Philharmonische Orchester, das unter Mannstädt'’s Leitung noch eine kleine sehr melodische Pisce von Massenet vortrug, leistete diersg, wie in der Begleitung der Opern⸗Arien wiederum sehr Lobens⸗ werthes. .

Ueber das Konzert der Damen Elisabeth Jaensch (Sopran) Gund Margarethe Liebig (Klavier), das an demselben Abend im Saal Bechstein stattfand, ist nicht viel Erfreuliches zu berichten. Die Sängerin besitzt weder eine wohlklingende, noch genügend aus⸗

ebildete Stimme, die zu einem öffentlichen Auftreten berechtigen könnte. Ha egen ließ die Pianistin in einem Trio von Spohr, in welchem sie . die Herren Gülzow (Violine) und Sandow (Cello) wirksam

unterstütt

wurde, sowie im Vortrag einiger Soli von Nepo und Chopin eine sorgfältig geschulte Technik und verständnißvolle Auffassung erkennen.

Im Königlichen Schauspielhause gehen morgen Gustav Freytag's „Journalisten“ mit Herrn Keßler als Bolz und Frau Clara Mevyer als Adelheid in Scene. 8

Im Konzerthause wird morgen der Komponist Herr Professor Emil Hartmann aus Kopenhagen e eigene Kompositionen, und zwar „Schottische Ouvertüre“, „Fünf nordische Volkstänze“ und 1“ olka“ unter persönlicher Leitung zur Aufführung ringen.

Die von Schlag u. Söhne in Schweidnitz neu erbaute Orgel im großen Saale des Evangelischen Vereinshauses in der Oranienstraße wurde gestern zum ersten Mal beim Gottes⸗ dienst in Gebrauch genommen, nachdem sie am Sonnabend von dem Königlichen Musik⸗Direktor Herrn Dienel geprüft und als ein wohlgelungenes Werk bezeichnet worden war. Mit einer Anzahl der wirksamsten Charakterstimmen versehen, unter denen die hart streichende „Gambe“, die sanfte „Voix céleste“, die oboeartige „Schalmei“ und die lieblichen „Flöten“ besondere Er⸗ wähnung verdienen, zeigte sich die Orgel sowohl in ihrer vollen Wirkung als auch in den verschiedensten Stimmmischungen als für den gottesdienstlichen Gebrauch besonders geeignet. g

Mannigfaltiges.

Der Geheime Regierungs⸗Rath Professor Dr. Zeller feierte heute in stiller Zurückgezogenheit seinen 80. Geburtstag. Nur die dem Jubilar persönlich nahestehenden Personen, wie der Wirkliche Ge⸗ heime Rath Dr. von Helmholtz nebst Gemahlin, Professor Lazarus, Frau Professor Schmoller u. g., sprachen bereits am Vormittag vor, zumeist mit schönen Blumenspenden. Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich sandte ein kostbares Blumenarrangement. Für das Kultus⸗

inisterium erschien der Geheime Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Althoff, um herzliche Glückwünsche auszusprechen. Die Professoren der Uni⸗ versität statteten in der zweiten Nachmittagsstunde ihre offiziellen Gratulationsbesuche ab. F. Telegramme bezeugten die Ver⸗ ehrung, die der Jubilar in allen Theilen der Welt genießt. In der Universität hatte die Studentenschaft gleichfalls eine Ovation geplant, der sich der Jubilar jedoch entzog.

Das Königliche Eisenbahn⸗Betriebsamt Berlin⸗Lehrte theilt Folgendes mit: Am 20. Januar cr., nach 4 Uhr Morgens, wurde auf dem mit einem Wärter besetzten Ueberwege bei Bude 64 a, am Bahnhof Stendal, ein mit vier Personen besetztes zwei⸗ spänniges Privatfuhrwerk vom Magdeburger Personen⸗ zuge 191 erfaßt. Es wurden hierbei beide Pferde getödtet und der Wagen stark beschädigt; Personen sind nicht beschädigt worden. Die Untersuchung ist eingeleitet. Der Wärter, welcher die Ueber⸗ wegsschranken nicht geschlossen hatte, ist vom Dienst zurückgezogen.

Am 1. Januar 1894 befanden sich in städtischer Waisenpflege 4822 Kinder (2531 Knaben, 2291 Mädchen). Aufgenommen wurden während des Vierteljahres Oktober⸗Dezember 1893 430 Kinder, da⸗

egen schieden aus 496 Kinder, sodaß sich die Kinderzahl vermindert be⸗ um 66. In Zwangserziehung befanden sich am 1. Januar cr. 457 Kinder (387 Knaben, 70 Mädchen). Davon waren entlaufen 30 Knaben, 3 Mädchen, im Gefängniß 14 Knaben, 1 Mädchen. Aufgenommen wurden während des Vierteljahres Oktober⸗Dezember 22 Kinder; dagegen schieden aus 18 Kinder, sodaß sich die Kinderzahl um 4 vermehrt hat.

An Geschenken und Vermächtnissen sind bei der Haupt⸗ Stiftungskasse während des Monats Dezember 1893 eingegangen 1045,80 ℳ, an Kollektengeldern 682,30 ℳ, aus schiedsmännischen Vergleichen und Zessionen 410,94 ℳ, für Neujahrsgratulations⸗ Ablösungen 4253,95 ℳ: zusammen 6392,99 ℳ.

—xAN

Der Jerusalems⸗Verein hielt gestern Abend im Interims⸗ dom sein Jahresfest ab. Dem von Lic. Weser erstatteten Bericht zufolge bellef sich die Einnahme, mit Einschluß der über 54 000 betragenden Weihnachtskollekte, auf 76 000 ℳ, sodaß unter Hinzu⸗ rechnung des Bestandes 85 000 zur Verfügung standen. Verausgabt sind 81 000 Die Kirche in Bethlehem konnte vollendet und ge⸗ weiht werden; in Haifa, am Fuße des Karmel, konnte den dort angesiedelten Württem 1855 ein Betsaal errichtet werden, in dem ein unter opferfreudiger Mitwirkung des Johanniter⸗Ordens bestellter Geistlicher, Prediger Deckert, wirkt. In Jerusalem konnte gegen⸗ über der Grabeskirche der Grundstein zu einer neuen Kirche gelegt werden; die Schulen in Bethlehem und Bethsala sind erfolgreich weiter⸗ geführt worden. Die Festpredigt hielt der früher in Jerusalem thätige Prediger Reinicke, dann sprach Schulrath Trinius das Schlußwort.

Das Ballfest des Vereins „Berliner Presser, welches am Sonnabend in der Philharmonie stattfand, war zahlreich besucht. Außer den Vertretern der schriftstellerischen Welt und einem starken Kontingent, welches die Berliner Bühnen stellten, waren auch viele Reichs⸗ und Staatsbeamte, Offiziere und Abgeordnete sowie Mit⸗ glieder des diplomatischen Korps erschienen. Besonders zahlreich war das Auswärtige Amt, voran duscch den Unter⸗Staats⸗ sekretär Freiherrn von Rotenhan und den Wirklichen Geheimen Legations⸗Rath Dr. Kayser, vertreten; ferner waren der Präsident der Seehandlung, Wirkliche Geheime Rath von Burchard, der General⸗Intendant der Königlichen Schauspiele Graf von Hochberg, der kommandierende Admiral, Admiral Freiherr von der Goltz, der Regierungs⸗Präsident von Tepper⸗Laski, die Botschafter von Frankreich, Italien und Amerika anwesend; auch Afrikareisende wurden in großer Zahl bemerkt. Die Vertheilung der üblichen Damenspende diesmal bestand sie aus einem Abreißkalender, zu welchem für jeden Tag Vereinsmitglieder dichterische Sinn⸗ sprüche gespendet hatten, wurde durch einen Gesangs⸗ vortrag der . Gudehus, Lieban, Bulß und Krolov eingeleitet. Während des ganzen Abends fand in einem malerisch drapierten Zelt, welches auf dem Orchestervodium aufgebaut war, eine Verloosung von Kunstgegenständen und Büchern statt, die namhafte Künstler und Dichter für diesen Abend zum Besten der Vereinszwecke gespendet hatten. Der Gesammtertrag, der den Wohlthätigkeits⸗ einrichtungen des Vereins zu gute kommt, dürfte ein sehr erheblicher sewesen sein; um die wohlgelungene Veranstaltung des Ganzen hat ich Redakteur Schweitzer am meisten verdient gemacht.

Wien. Der Organisationsausschuß des schon für 1893 geplant gewesenen, wegen der Choleragefahr aber aufgeschobenen I. üter⸗ nationalen Samariter⸗Kongresses hat, einer Einladung des Exekutiv⸗Comités des VIII. Internationalen Kongresses für Hygiene und Demographie in Budapest 1894 unter dem Allerhöchsten Pro⸗ tektorat Seiner Majestät des Kaisers von Oesterreich, Königs von Ungarn Folge gebend, beschlossen, von der selbständigen Abhaltung des I. Internationalen Samariter⸗Kongresses, welcher, gleichzeitig mit dem hygienischen Kongreß tagend, in seiner eigenen beeinträchtigt gewesen wäre und auch den ähnliche Zwecke verfolgenden Kongreß für

ygiene und Demographie geschädigt hätte, zurückzutreten und mit seinen ämmtlichen, bisher angemeldeten ca. 450 Mitgliedern dem VIII. Inter⸗ nationalen Kongreß für Hygiene und Demographie in Budapest 1894 als dessen Sektion XX „Allgemeines Samariterwesen“ beizutreten. Zur Leitung dieser Sektion wurden ernannt: Geheimer Medizinal⸗Rath von Esmarch als Ehren⸗Präsident, Hofrath Theodor Billroth und Hofrath Ernst Ludwig als Präsidenten, Dr. Anton Loew als geschäftsführender Präsident, Dr. Artur Hof⸗ gräff als Sekretär. Von seiten Ungarns werden die Präsidenten und Sekretäre seinerzeit nominiert werden. Das Bureau der Sektion XX „Allgemeines Samariterwesen“ bleibt bis zur Abhaltung des Kon⸗ gresses in Wien, I., Kärntnerstraße 21.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Wetterbericht vom 22. Januar, 8 Uhr Morgens.

Wetter.

83 2 ϑ

Stationen.

in ° Celsius 50 C. = 40R.

Bar. auf 0 Gr. zu. d. Meeressp red. in Millim

Temperatur

bedeckt halb bed. Regen Dunst wolkenlos bedeckt wolkig Schnee

746 740 733 750 739 731 745 753

Belmullet.. Aberdeen.. Christiansund Kopenhagen. Stockholm paranda. t. Petersbg. Moskau...

Cork, Queens⸗

E1““ Cherbourg. Helder .... JZ“ Hamburg .. Swinemünde

Neufahrwasser Memel ——

Sen 1“” ünster... Karlsruhe .. Wiesbaden. 28

emnitzö.. Berlin. 758 Wien ö. . 767 Breslau 1762 Ile d'Aix. 762 Nizza... 767 Telest... 768

ObäSeehdoSsh Jborcoeanemneenes

bedeckt bedeckt bedeckt bedeckt bedeckt bedeckt bedeckt¹) bedeckt

bedeckt Regen bedeckt²) bedeckt wolkenlos bedeckt bedeckts wolken

3 bedeckt halb bed. wolkenlos Dunst

751 755 754 751 755 755 755 751 761 757 763 762 765 763

EÖSSSSEISESn’g

ℛϑıE 2öCSma†beerooeemmnehe†nDU⸗

¹) Nachm. Regen. ²) Nachm. Regen. ³) Gestern

Regen. Uebersicht der Witterung.

Ein tiefes Minimum unter 725 mm liegt westlich von den Lofoten, im Nord⸗ und Ostseegebiete starke westliche und südwestliche Winde hervorrufend; eine Theildepression ist in der Kanalgegend in Entwicke⸗ lung begriffen. Ein umfangreiches Hochdruckgebiet liegt über Süd⸗Europa. Bei an der Küste starken, im Binnenlande schwachen, vorwiegend südwestlichen Winden, dauert in Deutschland die milde, meist trübe Witterung fort, stellenweise ist etwas Nieder⸗ schlag gefallen. Neues starkes Fallen des Baro⸗ meters hat über West⸗Europa, insbesondere in der ame ene stattgefunden, sodaß Fortdauer der un⸗ ruhigen Witterung zu erwarten ist.

Deutsche Se

Theater⸗Anzeigen.

Königliche Schauspiele. Dienstag: Opern⸗ haus. Keine Vorstellung.

7. Symphonie⸗Abend der Königlichen Kapelle. Direktion: Herr Felix Weingartner, Königlicher Kapellmeister.

1) Ouverture „Euryanthe“ von Weber. 2) Zum 1. Male: Symphonie B-dur von Schubert. 3) Ka⸗ marinskaja, Phantasie über zwei russische Volkslieder von Glinka. 4) Ouverture „Leonore“ Nr. 3 von Beethoven. 5) Symphonie F-dur von Beethoven.

Anfang 7 ½ Uhr.

Billets zu 6, 5, 4, 3, 2 und 1 sind in der von Bote u. Bock, Leipziger⸗ traße 37, und an der Abendkasse zu haben.

8. Symphonie⸗Abend am 12. Februar 1894.

Schauspielhaus. 23. Vorstellung. Die Jour⸗ nalisten. Lustspiel in 4 Aufzügen von Gustav

reytag. Regie: Herr Keßler. (Adelheid: Frau

lara Meyer, Ehrenmitglied des Königlichen au⸗ spiels.) Anfang 7 Uhr.

Mittwoch: Opernhaus. 22. Vorstellung. Tann⸗ hänser und der Sen. auf Wartburg. Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner. Ballet von Emil Graeb. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Dirigent: Kapellmeister Dr. Muck. Anfang 7 Uhr.

Schauspielhaus. 24. Vorstellung. Schiller⸗Cyelus. 9. Abend. Die Braut von Messina, oder: Die feindlichen Brüder. Trauerspiel in 5 Aufzügen oon Schiller. Die zur B gehörige Musik von B. A. Weber. In Scene hesctt vom Ober⸗ Regisseur Max Grube. Anfang Uhr.

Deutsches Theater. Dienstag:

Käthchen von Heilbronn. Mittwoch! Der Herr Seunator. Donnerstag: Der Talisman.

Berliner Theater. Dienstag: Aus eigenem

Recht. Anfang 7 Uhr. Mittwoch: Zum 1. Male: Das Recht auf Glück. Donnerstag: Aus eigenem Recht.

Lessing⸗Theater. Dienstag und folg. Tage: Madame Sans⸗Gene. (Zweites Parquet 3 ℳ).

Wallner-Theater. blümchen.

Friedrich-Wilhelmsüädtisches Theater. Chausseestraße 25.

. Mittwoch 8 Mauer⸗

Dienstag:

in 3 Akten (nach einer älteren Idee) von E. Schlack

Der Lientenant zur See. Operett⸗

Scene gesetzt von Julius Fritzsche. Dirigent: Herr Kapellmeister Federmann. Anfang 7 Uhr. Mittwoch: Der Lieutenant zur See.

Residenz-Theater. Direktion: Sigmund Lauten⸗ burg. Dienstag: Zum 30. Male: Der Mustergatte. (Le premier mari de France.) Schwank in 3 Akten von Albin Valabrègue. Vorher: Im Negligé. Plauderei in 1 Akt von Hans von Rein⸗ fels. Anfang 7 ½ Uhr.

Mon tag: Dieselbe Vorstellung.

Neues Theater. Schiffbauerdamm 3—5. Direktion: Sigmund Lautenburg.

Dienstag: Flattersucht. Lustspiel in 3 Akten von Victorien Sardou. Deutsch von Dr. August Förster. Vorher: Nach zwei Jahren. Lustspiel in 1 Akt von Almäsi Tinamér. Deutsch von Josef Jarno. Anfang 7 ½ Uhr.

Mittwoch: Dieselbe Vorstellung.

Donnerstag: Sappho. 1

reitag: Zum 1. Male: Gisela. Schauspiel in

4 Akten von Elsa v. Schabelsky.

Viktoria-Theater. Belle⸗Alliancestraße 7/8.

Dienstag: Die Kinder des Kapitän Grant. Ausstattungsstück mit großem Ballet in 12 Bildern. Anfang 7 ½ Uhr.

Mittwoch: Die Kinder des Kapitän Grant.

Theater Unter den Linden. Dienstag:

Salon Pitzelberger. Operette von J. Offenbach. venuf⸗ rahma. Ausstattungs⸗Ballet. Anfang r. Sonnabend: Zum 1. Male: Der Obersteiger. Operette in 3 Akten von M. West und L. Held. Musik von Carl Zeller.

Adolph Ernst⸗Theater. Dienstag: Zum 127. Male: Charley’s Taute. Schwank in 8 97 vFangon T. Lerder e

ajazzi. Parodistische Posse mit Gesang in von 8 Jacobson und Foffe Jacobson. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr. 1

Mittwoch: Charley’s Tante. Die Bajazzi.

Bentral-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30.

Dienstag: Ein toller Einfall. Schwank in 4 Akten von Carl Laufs. Hierauf: Zum 31. Male: Berlin 1893. Revue in 2 Abtheilungen von L. Leipziger. Anfang der Vorstellung 7 ½ Uhr, der Revue 9 ¼ Uhr.

Mittwoch: Dieselbe Vorstellung.

8

Saal Bechstein. Dienstag, Anfang

und L. Herrmann. Musik von Louis Roth. In

Konzert der Sängerin Alma Schmidt.

Konzert-Haus. Dienstag: Karl Meyder⸗ Konzert unter freundlicher Mitwirkung des Kom⸗ ponisten Herrn Emil Hartmann. B Schottische Ouverture“, „Fünf nordische Volks⸗ tänze“, „Konzerthaus⸗Polka“ von Hartmann, unter persönlicher Leitung des Komponisten.

Birkus Renz (Karlstraße). Dienstag, Abends

7 ¼ Uhr: Ein Künstlerfest. Neue Ausstattung, neue Einlagen. U. a.: Signorina

Kinder⸗Orchester.

Außerdem: Der ostpreußische Hengst „Blondel“ vorgeführt vom Direktor Fr. Renz. 6 Rappen und Karussel von 30 Pferden, vorgeführt von Herrn R. Renz. Das Schulpferd „Prinz“, ger. von Herrn R. Renz. „Cromwell“, geritten von Fräulein Oceana Renz. Der Handequilibrist Mr. Nelson. Die Akrobaten auf dem Telephondraht Zalva, Esvana und Alvar. Mr. Lavater Lee ꝛc.

Preise wie gewöhnlich.

Mittwoch: Ein Künstlerfest. 8

Sonnabend (Kaisers Geburtstag): Parade⸗Fest⸗ Vorstellung.

AREEEVUEIHEESEMIEREHMAEENxTEIRRNR. NEn N.n

Familien⸗Nachrichten.

Verlobt: Frl. Mathilde Hanssen mit Hrn. Vize⸗ Konsul Christian von Jecklin (Hambur Londoch Verw. Fr. Stabsarzt Antonie Pee⸗ Flehinghaus, mit Hrn. Hauptmann Hans Frhrn. von Forstner (Berlin—Bernburg). Frl. Ella von der Lochau mit Hrn. Hauptmann Kurt von Brixen (Breslau).

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Hauptmann von Eckartsberg (Potsdam). Hrn. Wasser⸗Bau⸗ inspektor Muttray (Tilsit). Hrn. Regierungs Assessor Dorgerloh (Liebau). Eine Tochter⸗ Hrn. Rittmeister von (Darmstadt).

Gestorben: Fräulein Kaethe Thiemann (Biesen⸗ thal). Hr. Major a. D. Hugo von Loos (Gör⸗ litz. Hr. Frhr. Arel von Wulffen, gen. Küchen⸗ meister von Sternberg (Berlin). Herr Ritter⸗ gutsbesitzer Edmund Honig (Gralow). Verw. Fr. Pfarrer Julie Sagelsdorff, geb. Schülen

(Königsberg). Hr. Pastor A. Effenberger

(Sprottau).

Redakteur: Dr. H. Klee, Direktor.

Verlag der Expedition (Scholz).

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ . Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.

Sechs Beilagen

(einschließlich Börsen⸗Beilage).

Varotti, die kleinste Solotänzerin der Welt.

zum Deutschen Reichs⸗Anz

88

eiger und Königlich Preußische

Berlin, Montag, den 22. Januar

Deutscher Reichstag.

31. Sitzung vom Sonnabend, 20. Januar, 1 Uhr. 8 * erste Lesung der Weinsteuervorlage wird fort⸗ gesetzt.

Ueber den Anfang der Rede des Abg. Payer (südd. Volksp.), der zunächst das Wort hatte, ist bereits in der vom Sonnabend berichtet. Abg. Payer fährt fort wie folgt:

ei den Vorverhandlungen mit Württemberg über dessen Bei⸗

tritt zum Deutschen Reich . November 1870 88 daß das Reich von seiner Befugniß zur Besteuerung des Weins mit Rücksicht auf die Weinländer nicht Gebrauch machen werde, und diese Ueberzeugung überwog damals so, daß von einer ausdrücklichen Festlegung dieses Punkts in einem Protokoll Abstand genommen wurde. Dieses Vertrauen rächt sich jetzt; wir haben eine Reichs⸗ Weinsteuer vorgelegt bekommen, welche um ganzer 12 Millionen willen so sehr die alten Zusicherungen verleugnet. Mit Ausnahme Baverns, das in neuerer Zeit der getreue Schildknappe Preußens ist, haben die süddeutschen Regierungen gegen dieses Projekt Ver⸗ wahrung eingelegt. Das ist der Weg nicht, den Reichsgedanken im Reich zu festigen! Gehen Sie hinaus ins Deutsche Reich und sehen Sie sich an, wie unheilvoll diese Vorlage im Süden gewirkt hat! 1887 rief der jetzige preußische Finanz⸗Minister Dr. Miquel nach der Reichstagsauflösung in einer Rede vor seinen Wählern in Kaiserslautern aus: „Mein Herz gehört der Pfalz!“ Möchte er doch jeßt in die Pfalz gehen und sich von der Stimmung dort überzeugen; ein Herz würde ihm mit Protest zurückgegeben werden! Der Vaterlands⸗ liebe und dem Einheitsgefühl der deutschen Nation wird es ja gelingen, über alle partikularistischen Bestrebungen hinwegzukommen. Aber dann muß man es uns nicht allzu schwer machen, für die Reichs⸗ regierung und den Reichsgedanken einzutreten. Ueber die Maßen kurz⸗ sichtig und nicht weise erscheint es mir daher, daß die verbündeten Regierungen den Partikularisten die Waffe dieses unseligen Gesetzes in die Hand gedrückt haben!

Königlich württembergischer Bevollmächtigter zum Bundes⸗ rath, Präsident des Staats⸗Ministeriums Dr. Freiherr von Mittnacht:

Der Herr Vorredner hat ebenvorhin eines Umstandes Erwäh⸗

nung gethan, der schon bei der Konferenz der Finanz⸗Minister im August vorigen Jahres und nachher im Bundesrath zur Sprache gekommen ist, der aber auch in der Presse und in Versammlungen, namentlich in Württemberg, berührt wurde ich meine die Thatsache, daß bei den Verhandlungen über den Beitritt Württembergs zur Ver⸗ fassung des Deutschen Bundes im Jahre 1870 zwischen den württembergi⸗ schen Bevollmächtigten und den Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes Erklärungen gewechselt worden sind in der Absicht auf eine etwaige künftige Besteuerung des inländischen Weines für Bundeszwecke. Da ich, was der Herr Vorredner schon angedeutet hat, einer der damaligen württembergischen Bevollmächtigten gewesen bin, so kann ich über das damals Verhandelte etwas nähere Mittheilungen machen, und ich halte es für gut, wenn, nachdem der Herr Vorredner den Gegenstand über⸗ haupt zur Sprache gebracht hat, diese Mittheilung in authentischer Weise erfolgt.

Zufolge einer Anregung des damaligen württembergischen Finanz⸗ Ministers hatten die württembergischen Bevollmächtigten im Herbst des Jahres 1870 zu erklären ich bemerke, daß dieser württember⸗ gischen Erklärung andere Regierungen sich nicht angeschlossen haben; man kann also nicht von einer süddeutschen Angelegenheit reden, sondern nur von einer württembergischen die württembergischen Bevollmächtigten hatten im November 1870 zu erklären: Sowohl für den Staatshaushalt Württembergs als auch für das Interesse seiner Bevölkerung müsse es vom empfindlichsten Nachtheil sein, wenn der Bund, in Anwendung des Art. 4 Ziffer 2 der Verfassung unter Aufhebung eines in Württemberg seit Jahrhunderten bestehenden Zustandes, es unternehmen würde, den inländischen Wein für Bundes⸗ zwecke zu besteuern. (Hört! Hört!) Die württembergischen Bevoll⸗ mächtigten seien deshalb angewiesen, zu beantragen, daß entweder der Wein von den der Bundesbesteuerung zu unterwerfenden Gegenständen ausgenommen, oder daß seine Besteuerung abhängig gemacht würde von der Zustimmung Württembergs. Die Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes haben darauf erklärt: sie seien und zwar aus formellen Gründen, nicht in der Lage, auf, einen dieser beiden erwähnten Anträge einzugehen; aber es biete nach ihrer Ansicht die Eigenthümlichkeit des Weines als Besteuerungs⸗ gegenstand eine vollkommen ausreichende Gewähr dafür, daß der Bund von seinem verfassungsmäßigen Recht in dieser Beziehung keinen Ge⸗ brauch machen werde. (Hört! hört!) Davon, eine auf die Wein⸗ erzeugung gelegte Steuer ins Auge zu fassen, würden schon die Er⸗ fahrungen namentlich in Absicht auf das finanzielle Resultat abhalten, die man in den norddeutschen Bundesstaaten mit der Weinsteuer, die dort bestanden, gemacht habe. Aber auch die andere, an den Verbrauch des Weines sich anschließende Besteuerungsform würde allerdings einen größeren Betrag zu ergeben in der Lage sein; aber das doch nur da, wo, wie das in den eigentlichen Weinländern der Fall sei, der Wein Gegenstand des Verbrauchs der ganzen Bevölkerung sei und wo zu⸗ gleich die erforderlichen Kontrolen den Organen für andere innere Steuern übertragen werden können. Diese beiden Voraussetzungen treffen nur in einem verhältnißmäßig nicht umfangreichen Theil des Bundesgebiets zu, und so werde auch die Wahl dieser zweiten Be⸗ steuerungsform für den Bund ausgeschlossen. (Hört! hört!)

Aus diesen Gründen, welche, wie die Bevollmächtigten des Nord⸗ deutschen Bundes nicht zweifelten, auch der Bundesrath des Nord⸗ deutschen Bundes theilen werde aus diesen Gründen werden nach der Ansicht der Bevollmächtigten des Norddeutschen Bundes die württembergischen Bevollmächtigten volle Beruhigung bezüglich der von diesen geäußerten Bedenken schöpfen dürfen. Es haben hierauf die württembergischen Bevollmächtigten, in der Voraussetzung einer entsprechenden Kundgebung auch des Bundesraths des Norddeutschen Bundes, auf die weitere Verfolgung der von ihnen angekündigten Anträge verzichtet; sie haben diese Anträge auf sich beruhen lassen. 8 Bundesrath des Norddeutschen Bundes aber hat nachher, im Reaee er 1870, den Erklärungen der Bevollmächtigten des Nord⸗ beutschen Bundes, wie ich sie angeführt habe, seine Zustimmung, seine Gutheißung ertheilt. (Hört! höͤrt!)

Dies ist der Hergang von 1870. Nun, meine Herren, aus den Verhandlungen von 1870 hat der Staat Württemberg sicher ein Sonderrecht in Absicht auf die Weinbesteuerung nicht erwirken können: die übrigen füddeutschen Staaten und Weinländer haben damals für den Gegenstand sich nicht hesonders interessiert. (Hört, hört!) Sie haben ein Sonderrecht für sich überhaupt nicht be⸗ ansprucht, und Württemberg konnte von Hause aus nicht hoffen, für sich allein ein Reservatrecht in Absicht auf Weinbesteuerung erreichen zu können. Die Erklärungen von 1870 haben nach meiner Ueberzeugung überhaupt keinen rechtlichen Inhalt, sie enthalten auch kein eigentliches selbständiges Versprechen, und das war auch der Grund, warum diese Verhandlungen den parlamentarischen Körperschaften im Jahre 1870 nicht mitgetheilt worden sind. Wenn in einer dieser Körperschaften damals von der Weinbesteuerung überhaupt die Rede gewesen wäre, dann hätte man natürlich das Vorgegangene zur Kenntniß der betreffenden Körperschaft gebracht; aber es wäre ganz gewiß dadurch damals in dem Sach⸗ verhalt und an dem weiteren Verlauf nichts geändert worden. Durch das Anerkenntniß nun aber, das ich überzeugungsgemäß aus⸗ gesprochen habe, daß die Verhandlungen und Erklärungen von 1870 Rechte nicht begründet haben, konnte ich nicht gemeint sein, auszusprechen, daß jenen Erklärungen überhaupt niemals irgend eine Bedeutung innegewohnt habe. Ja, meine Herren, wir württembergische Bevollmächtigte haben uns damals gesagt und sagen dürfen: die Erklärungen sind in entgegenkommender und beruhigender Weise abgegeben worden; es war auch die Absicht, ent⸗ gegenzukommen und zu beruhigen. Sie sind ausgegangen von einer Autorität, wie Delbrück eine damals gewesen ist, er ist noch eine. (Heiterkeit) Sie waren abgegeben im Zusammenhang mit dem doch sehr wichtigen Akt der Neubegründung der deutschen Ver⸗ fassung, und es hat der Bundesrath des Norddeutschen Bundes es für angemessen gehalten, die Erklärung seiner Bevollmächtigten ausdrücklich gutzuheißen. Welcher Werth nun aber, welche Be⸗ deutung, allerdings nach 23 Jahren, nach allem, was in dieser Zeit vorgegangen ist, beigemessen werden kann und beigemessen werden will den Erklärungen, die damals abgegeben wurden in Absicht auf einen Theil des seitdem nicht unberührt gebliebenen Getränk⸗ besteuerungssystems, das hat und hatte die württembergische Regie⸗ rung nach der einfachen Darlegung des Sachverhalts lediglich abzu⸗ warten. Nun aber der Entwurf einer Reichs⸗Weinsteuer vorliegt, so möchte ich nur das eine Wort noch sagen: überraschen konnte es nach dem von mir Angeführten wohl nicht, wenn die württembergische Regierung, obwohl sie von der Nothwendigkeit, neue Einnahmen für das Reich zu schaffen, durchdrungen ist, und obwohl sie auch den Wunsch theilt und theilen muß, eine schützende finanzielle Auseinander⸗ setzung zwischen Reich und Einzelstaaten herbeigeführt zu sehen wenn die württembergische Regierung trotzdem an den Bedenken, die sie in Absicht auf die Weinbesteuerung immer gehabt hat und die auch von anderen Seiten als gerechtfertigt anerkannt wurden, fest⸗ gehalten hat. Meine Herren, die speziell hierauf bezüglichen württem⸗ bergischen Verhältnisse haben sich nicht gebessert, sie haben sich un⸗ günstiger gestaltet: ungünstiger in Absicht auf den Staats⸗ haushalt Württembergs, ungünstiger auch in Absicht auf die Lage unseres Weingärtnerstandes. (Hört, hört! links.) Dieser Bevölkerungsklasse, die hart arbeitet, aber genügsam ist, die nie verzagt, die aber infolge einer Reihe von Fehljahren nachgerade an der Grenze der wirthschaftlichen Existenzmöglichkeit angelangt ist (hört, hört!) dieser Bevölkerungsklasse auch nur das geringste noch aufzulegen, was mit einer wirthschaftlichen Schädigung auch nur drohen kann etwas Weiteres will ich nicht sagen —, das kann in der gegenwärtigen Zeit keine württembergische Regierung unternehmen. Bravo! links.) Man würde das im Lande Württemberg angesichts der Haltung der württembergischen Regierung, die sie dieser Frage gegenüber stets eingenommen hat, einfach nicht verstehen.

Deswegen haben wir dem Gesetzentwurf, wenigstens in der Gestalt, in der er jetzt eingebracht ist, im Bundesrath unsere Zustimmung nicht ertheilen können. 8

Gegen die Besteuerung des Schaumweins und des Kunstweins von seiten des Reichs hat auch die württembergische Regierung nichts einzuwenden. (Lebhaftes Bravo links und aus der Mitte.)

Abg. Roeren (Zentr.): Ein Vergleich zwischen Wein, Bier und Branntwein, wie er hier gezogen worden ist, ist gar nicht zulässig. Wein ist rein landwirthschaftliches Produkt, Bier und Branntwein sind mehr Produkte, deren Herstellung unter ganz anderen Voraus⸗ etzungen und Bedingungen sich vollzieht. Die vorgeschlagene Steuer wird unweigerlich auf den Winzer fallen. Der Winzerstand besteht aber in der Hauptsache aus kleinen, wirthschaftlich schwachen Ele⸗ menten; es ist ein Grundirrthum der Vorlage, wenn sie davon aus⸗ eht, daß die Weinbauer lauter kapitalkräftige, potente Leute seien.

ie ganze Redlichkeit und Schlichtheit, der ganze fromme Sinn des Winzers gehört dazu, sich und die Seinen in den heutigen schlechten Zeiten überhaupt noch aufrecht zu erhalten; man soll sich hüten, diese schwere Situation des Winzers durch solche Steuermaßregeln zu einer verzweifelten zu machen. Redner geht dann ausführlich auf die Kontrolmaßregeln der Vorlage ein, die thatsächlich den größten Zweifel an der Behauptung der verbündeten Regierungen wachrufen

müssen, daß es sich hier um eine Maßnahme der ausgleichenden Gerechtigkeit handle; er bittet, die Vorlage einfach 2SeS

Abg. von Kardorff (Rp.) (zur Geschäftsordnung): Es ist ja wohl schon vorgekommen, daß Bundesrathsmitglieder hier gegen Vorlagen des Bundesraths gesprochen; die Art aber, wie der Bevoll⸗ mächtigte für Württemberg hier so eben gesprochen hat, eröffnet eine so traurige Perspektive über die Zustände, wie sie sich jetzt im Bundesrathe eingeschlichen haben, daß ich, zumal diese Aeußerung in Abwesenheit des Reichskanzlers geschehen ist, hiermit die Vertagung beantrage, um dem Reichstag und den veérbündeten Regierungen zu geben, gegenüber dieser vollständig veränderten Sach⸗ lage Stellung zu nehmen.

„Abg. Rickert (fr. Ver.): Ich bin auch für die Vertagung der . das Ungewöhnliche der Situation veranlaßt mich dazu. Ich muß gestehen, daß auch mich die Erklärung des württembergischen Minister⸗Präsidenten Se he daß die verbündeten Regierungen einem Versprechen, welches Württemberg gegenüber gegeben ist, nicht entsprochen haben. Dem Reichstag ist es auch nicht viel anders gegangen. Die Situation wird dadurch noch komplizierter und ich

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laube, daß, nachdem die verbündeten Regierungen aus den dreitägigen Verbandlungen die Ueberzeugung gewonnen 2 müssen, daß 8 ich cssens 22 ein 1n. üer. wird, die für die orlage sein würden, dieselben sich werden die Frage vorlegen müssen, ob es nicht besser ist, diese Vorlage E 8 8

Königlich württembergischer Bevollmächtigter zum Bundes⸗ rath, Präsident des Staats⸗Ministeriums Dr. Freiherr von Mittnacht:

Der Herr Vorredner hat mich gänzlich mißverstanden. Ich habe gerade das Gegentheil bezüglich eines Versprechens gesagt. Der Herr Vorredner hat gehört oder glaubt gehört zu haben, daß ich erklärt hätte, ein Versprechen, das der württembergischen Regierung im Jahre 1870 gegeben worden sei, sei nicht gehalten worden. Ich habe im Gegentheil gesagt: die Erklärungen von 1870 haben nach meiner Ueberzeugung keinen rechtlichen Inhalt (Zustimmung), und haben namentlich kein eigentliches selbständiges Versprechen enthalten. Das habe ich gesagt, und das ist gerade das Gegentheil von dem, was der Herr Vorredner angeführt hat.

Abg. Gröber (Zentr.): Ich muß dem Abg. von Kardorff widersprechen. (Zustimmung.) Ein rechtlich bindendes 8, n das gebrochen sei, ist, wie eben noch einmal konstatiert, nicht gegeben. Es handelt 1 lediglich um einen Vorgang, wie er an sich nichts Ungewöhnliches enthält, daß eine Bundesregierung im Bundesrath überstimmt wird. Das kann im Bundesrath jeden Tag vorkommen, das muß sich jede Regierung jeden Tag gefallen lassen. Dem Vorgange ist nicht eine so große Bedeutung beizumessen, daß, wenn nun die überstimmte Regierung von ihrem Rechte Gebrauch macht und innerhalb der Plenarberathung ebenfalls ihren Standpunkt darlegt, nun der ganze Reichstag in ein Entsetzen gerathen und sagen sollte, das sei ein außergewöhnlicher Vorgang, und daß nun der Reichstag sich sofort vertagt. Die württembergische Regierung hat von ihrem verfassungsmäßigen Recht gemacht und wir unterstützen dieses Recht, wenn wir lediglich in der Berathung fort⸗ be (Zustimmung.) Deshalb bitte 8 den Antrag abzulehnen.

„Abg. Dr. nl.): Der württembergische Minister⸗ Präsident Dr. Freiherr von elhacht hat nur in Masübung seines verfassungsmäßigen Rechtes gehandelt, wenn er hier Aufklärung über die Gründe gab, welche die württembergische Regierung veranlaßt haben, ihr Votum gegen diese Vorlage abzugeben. nicht den Gedanken des Abg. Rickert an, gegen die Vertreter und die gründer der Reich verfassung den Vorwurf hat erheben wollen: durch die Vorlegun eines Reichs⸗Weinsteuergesetzes sei ein der württembergischen Re gierung gegebenes Versprechen gebrochen worden. Ich halte es nothwendig, daß dem Reichskanzler Gelegenheit geboten wird, sich hierzu zu äußern. Freunde bewegt, dem Vertagungsantrag zuzustimmen.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Wenn von seiten der Regierung, insbesondere des Schatzsekretärs, der Wunsch nach einer Vertagung ausgesprochen wird, so werde ich einem solchen Wunsche willfahren ganz ohne Prüfung, ob an sich nach meiner Ansicht die Sache berechtigt ist; denn ich bin der Meinung, daß man bei einer solchen Gelegenheit immer dem Wunsch eines Regierungsvertreters auf Vertagung Rechnung tragen muß. Wird ein solcher nicht geäußert, so haben wir gar keine Veranlassung, uns in diese Interna des Bundesraths einzumischen. Der württembergische Minister⸗Präsident Dr. Freiherr von Mittnacht hat nur von einem verfassungs⸗ mäßigen Recht Gebrauch gemacht, wie das schon früher bei anderen Gelegenheiten geschehen ist. Ich erinnere nur an den hessischen Minister⸗Präsidenten von Hofmann und an den Widerspruch der preußischen Regierung, als es sch um die Verlegung des Ober⸗ tribunals, des jetzigen Reichsgerichts, nach Leipzig handelte. Ich würde es für ganz falsch und nach außen ganz falsche Vorstellungen erweckend halten, wenn wir uns in diesem Augenblick vertagen wollten wo ein Vertreter einer Regierung auch einmal eine selbständige An⸗ sicht hat. Ich wünschte, daß dies viel öfter vorkäme und in Deutsch land ein gewisser Servilismus weniger Platz griffe, als es den An schein hat; es handelt sich hier keineswegs um etwas außergewöhn lich Sensationelles. Wir haben daher keine Veranlassung, eine Vertagung eintreten zu lassen. Aber ich finde, daß es nicht angebrach 8

* die württemhergisch Be

Steuergesetze einzubringen und nach einer solchen Diskussion no aufrecht zu erhalten. Ich würde es erklärlich finden, wenn 8 Schach sekretair die Vertagung beantragen wollte, um die Vollmacht des Bundesraths dafür einzuholen, diese ganze Vorlage zurückzuziehen. Abg. Singer (Soz.): Was die Vertagung anlangt, so wider⸗ spreche auch ich dem Antrage des Abg. von Kardorff Der Reichstag hat gar keine Veranlassung, aus dem Umstande, daß nicht mehr Bundesrathsmitglieder hier sind, als dasjenige, welches sih wiederholt als den Vater und Vertreter dieser Vorlage gezeigt hat, in die Vertagung einzutreten. Die Begründung des Abg. von Kardorf ist geeignet, den allerlebhaftesten Protest hervorzurufen. Er hätte sich diese zum Vortheil des Landes ersparen können. Wir müssen diesen Vorgang des Widerspruchs innerhalb des Bundesraths gerade als einen Vorzug betrachten gegenüber dem Verhältniß, wie es früher geherrscht hat, wo noch die eiserne Faust auf allen Bundesraths⸗ mitgliedern gelegen hat. Wenn das, was Abg. von Kardorff n 8 flana 88 Geltung 8 dann hätten wir keinen öderativen Staat mehr, dann wären die außerpreußise itgli des Bundesraths nur noch Statisten. nacen, Mhelaem Kardorff zwingt den Reichstag, in seiner Berathung fortzufahren. Was die Regierung zu sagen hat, kann sie uns auch später mittheilen. Die Erklärung des württembergischen Minister⸗Präsidenten Dr. Freiherrn von Mittnacht war für keinen Menschen, der Zeitung liest, ein Ge⸗ heimniß. Aus dieser Ursache sich zu vertagen, halte ich des Reichstags für unwürdig und bitte in der Berathung fortzufahren.

Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky:

Der Herr Abg. Richter hat erklärt, er wäre bereit, einem Ver⸗ tagungsantrag zuzustimmen, wenn der Reichs⸗Schatzsekretär als der anwesende Vertreter des Bundesraths eine solche Vertagung seiner⸗ seits befürwortete. Meine Herren, ich gehe von der Ansicht aus, daß das eine Frage der inneren Geschäftsordnung des Reichstags ist, ob er sich vertagen will oder nicht; die Reichsregierung hat keine Ver⸗ anlassung, sich für einen solchen Vertagungsantrag auszusprechen.

Es ist hier die Stellung der württembergischen Regierung heftig angegriffen worden. Ich muß demgegenüber erklären, daß die württembergische Regierung durchaus loyal verfahren ist. Sie hat uns nicht darüber im Zweifel gelassen, daß ihr dieses Weinsteuergesetz nicht sympathisch ist, und daß sie auch nicht in der Lage sein würde, im Bundesrath für dieses Weinsteuergesetz zu stimmen.

Die Königlich württembergische Regierung hat in diesem Fall doch nur von einem verfassungsmäßig ihr zustehenden Recht Gebrauch gemacht. (Sehr richtig!:) So kann die Einigkeit innerhalb des

Bundesraths nie sein, daß alle Beschlüsse im Bundesrath einstimmig

1894.

Ich erkenne auch

Diefer Gesichtspunkt ist es, der mich und meine

ist, nach einem solchen Widerspruch im Bundesrath, solche schlechten

Die Erklärung des Abg. von