1894 / 20 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Jan 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Deutsche Kolonien.

Nach einem Telegramm aus Kapstadt hat der Major

von Francois am 1. d. M. in der Dorisibschlucht bei Gans⸗

berg Henrik Witbooi geschlagen und ihm große Verluste

zugefügt. Dabei wurden 40 Pferde und eine große

Menge von Rindern und Schafen erbeutet. Von der Schutz⸗ truppe wurden nur drei Soldaten leicht verwundet

Oesterreich⸗Ungarn.

Die „Budapester Korrespondenz“ erfährt von bestunter⸗ richteter Seite aus Paris: Der französische Ministerrath habe in der jüngsten Zeit wiederholt eingehend die Frage des Weinzolls in Oesterreich⸗Ungarn berathen und vorläufig die Forderung aufgegeben, daß der er⸗ mäßigte Zoll für italienische Weine im Grenzverkehr auch auf Weine französischer Provenienz ausgedehnt werde, da die französische Regierung sich überzeugt habe, daß Oesterreich⸗Ungarn absolut nicht in der Lage sei, darauf bezügliche Konzessionen zu machen, und weil Retorsionsmaßregeln seitens Frankreichs umsoweniger angezeigt seien, als Oesterreich⸗Ungarn leicht als Gegenretorsion beispielsweise die Vereinbarung über den Schutz des literarischen Eigenthums aufheben könnte, wo⸗ durch den französischen Schriftstellern und Künstlern ein nach Millionen zu zählender Schaden erwachsen würde.

Der oberösterreichische Landtag beschloß dem „W. T. B.“ zufolge in seiner gestrigen Sitzung, die Regie⸗ rung zu ersuchen, von dem Bau der Tauernbahn abzusehen und durch Verlängerung der Kremsthalbahn bis Liezen sowie durch den Bau einer Bahn Divacca —Lack für Ober⸗ Oesterreich, Böhmen und die übrigen betheiligten Länder eine bessere Verbindung mit Triest zu schaffen. Der Landes⸗ ausschuß wurde beauftragt, den böhmischen Landesausschuß zu einer gleichen Petition an die Regierung einzuladen. Im dalmatinischen Landtag brachte gestern der Abg. Bianchini einen Antrag ein, worin die Bestellung eines Zivil⸗Statthalters für Dalmatien gewünscht wird.

In der gestrigen Verhandlung des Omladina⸗Pro⸗ zesses wurde mit dem Verhör derjenigen Angeklagten, die sich auf freiem Fuß befinden, begonnen. Einer davon wurde sofort nach dem Verhör wieder entlassen, weil er erklärte, daß er andernfalls seinen Dienst verlieren werde und seine Eltern

u unterstützen habe. Ein Anderer wurde gleichfalls nach dem erhör sofort entlassen, weil er kränklich ist und schon während der Untersuchungshaft fünf Wochen im Gefängnißhospital unter⸗ war. Dieser Angeklogte ist derselbe, der am Freitag den

Vertheidiger veranlaßt hatte, an den Justiz⸗Minister einen Protest wegen des angeblich gesundheitswidrigen Zustandes des Ver⸗ handlungssaals zu richten. Der Angeklagte, Handlungslehrling Serak, der sich auch wegen eines Bücherdiebstahls bei seinem Dienstherrn zu verantworten hat, behauptet, die Bücher wären ihm als Falle hingelegt worden. Auf die Bemerkung des Prä⸗ sidenten, daß er nicht in die Falle gerathen sein würde, wenn er die Bücher hätte liegen lassen, erwiderte Serak in schreiendem Ton: „Hätten Sie, Herr Vorsitzender, die Bücher dort liegen gesehen, Sie hätten sie auch mitgenommen.“ Der Angeklagte wurde sofort zu 48 Stunden Disziplinararrest verurtheilt. Der achtzehnjährige Zimmermaler Stacina, der Nachts dabei betroffen wurde, wie er die Kaiserlichen Adler an Briefkasten besudelte, behauptete, er sei berauscht und der Meinung ge⸗ wesen, daß er als Zimmermaler eine Wand anstreiche. Andere

Angeklagte nahmen alles zurück, was sie beim Verhör durch die Polizei ausgesagt hatten. Die Proteste der Vertheidiger gegen die angebliche Gesundheitsschädlichkeit des Saales wurden von dem Ober⸗Landesgericht zurückgewiesen.

Zwischen dem Vize⸗Präsidenten des ungarischen Unter⸗ hauses von Perczel und dem Abgeordneten Graf Ladis⸗ laus Szapäͤry fand infolge einer Rede Perczel’s im Unter⸗ hause ein Säbelduell statt, bei dem beide Gegner leicht ver⸗ wundet wurden. 1

Der Präsident des Senats Challemel⸗Lacour, der infolge von Krankheit erst gestern den Vorsitz übernehmen konnte, eröffnete, wie „W. T. B.“ berichtet, die Sitzung mit einem Appell zur Einigung, die in einer Zeit besonders nöthig sei, in welcher der alte Geist chimärischer Bestrebungen wieder erwache, der Frankreich schon so viel Uebel ein⸗ gebracht habe.

In der gestrigen Sitzung der Deputirtenkammer interpellierte der Deputirte Brunet die Regierung über Madagaskar; die Lage daselbst sei beklagenswerth, Frank⸗ reich habe die Pflicht, Genugthuung zu verlangen und seine Rechte aufrecht zu erhalten. Der Minister⸗Präsident Casimir Périer erwiderte, es würde unklug sein, zu erklären, ob eine Expedition beabsichtigt sei oder nicht; die Lage sei übel, aber irgend eine neue ungünstige Nachricht sei nicht eingetroffen. Die erforderlichen Vorstellungen seien erhoben worden; Frank⸗ reich werde wissen, seinen Rechten Achtung zu verschaffen. Der Minister⸗Präsident erklärte im übrigen seine Zustimmung zu einer von Brunet, wie folgt, abgefaßten Tagesordnung: „Die Kammer ist entschlossen, die Regierung in allem zu unterstützen, was diese zur Aufrechterhaltung der Stellung und der Rechte Frankreichs auf Madagaskar, sowie zur Wieder⸗ herstellung der zum Schutze der französischen Staats⸗ angehörigen und zur espektierung der französischen Farben unternehmen wird.“ Diese Tagesordnung wurde einstimmig angenommen. 1

Der Kanzleichef der ö Botschaft in Berlin de Chappedelaine ist zum General⸗Konsul in Mannheim, der bisherige General⸗Konsul in Mannheim

Cor zum General⸗ Konsul in Hamburg ernannt worden.

Italien.

Der „Agenzia Stefani“ zufolge stände die Vertagung der Deputirtenkammer und des Senats bis zum 20. Fe⸗ bruar bevor.

Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ aus Palermo hat General Morra ein Rundschreiben an die Präfekten von Sizilien mit Anweisungen Sengch einer Revision des Gemeindebudgets gerichtet. Darna sollen vor allem die obligatorischen Ausgaben auf das absolut Nothwendige beschränkt, die fakultativen Ausgaben, die nicht in den Bedürfnissen des allgemeinen Interesses liegen,

estrichen und die kommunalen Steuerlisten geprüft werden. Das Nundschreiben trifft auch Maßnahmen zur Verbesserung der Hehen n der Arbeiterklassen im Einvernehmen mit den Kapitalisten und Grundbesitzern.

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Der „Popolo Romano“ erfährt aus Catania, daß in den dortigen öffentlichen Gärten drei mit Dynamit gefüllte Kistchen und eine Schachtel mit Lunte aufgefunden worden seien. Die Kistchen trügen die Etiquette eines ausländischen Anarchistencomités.

2 Serbien.

Der „Politischen Korrespondenz“ ist aus Belgrad die Inhaltsangabe einer Erklärung zugegangen, die der König Milan im Namen und auf Ersuchen des Königs Alexander den Führern der radikalen Partei gegeben habe. Diese Erklärung besage: die radikale Partei habe seit der Erkrankung von Dokic das Königliche Regierungsprogramm illusorisch gemacht, statt Verfassung und Gesetz herrsche im Lande Ungesetzlichkeit und Intoleranz gegen Nicht⸗Radikale. Die täglich einlaufenden Beschwerden seien unberücksichtigt geblieben, des Königs Mahnungen hätten kein Gehör gefunden, ja, des Königs Recht zum Empfang von Beschwerdedeputationen sei bestritten worden. Schon dieser letzte Umstand habe die Krisis herbeiführen müssen. Der König habe beschlossen, den Radikalen nicht mehr Carte blanche zu gewähren; er verlange die Wahrnehmung der auswärtigen Angelegen⸗ heiten nur durch die Krone, den Minister⸗Präsidenten und den Minister des Auswärtigen; er mißbillige und be⸗ daure Konflikte, wie den jüngsten mit dem Wiener Kabinet und erachte Berufungen von serbischen Gesandten ohne Wissen des Königs, wie jüngst die von Pasic, für unzulässig. Ebenso unstatthaft sei es, daß das unverantwortliche radikale Zentral⸗ comité sich durch Proteste gegen Regierungsakte und gegen Ernennungen von Beamten über die Regierung stelle. Ferner mißbillige der König die Verschwendung der Staatsfinanzen zu Parteizwecken und die Vernachlässigung der Armee⸗Interessen. Der König wünsche für sich eine engere Verbindung mit der Armee durch Herstellung einer königlichen Militärkanzlei, begehre die Aufhebung bezw. Abänderung einiger, der Verfassung wider⸗ sprechender Skupschtinabeschlüsse, sowie die Einstellung des Prozesses gegen die liberalen Minister. Der König könne ohne Stellung von Garantien seitens der Radikalen eine neue radikale Regierung nicht berufen. Der König sei übrigens entschlossen, durchaus auf dem Boden der Konstitution zu bleiben; alle anders lautenden Darstellungen seien tendenziöse Erfindungen der Radikalen. 1

Im Verlauf des vorgestrigen Tages empfing der König wiederholt den serbischen Gesandten in Wien, Simic.

Am Sonntag Abend berief der König, wie „W. T. B.“ berichtet, die Radikalen Katic, Vukovic, Gruic, Milo⸗ savljevic, Andra Nikolic, Pacu und andere zu einer Konferenz, die bis 3 Uhr Morgens dauerte, aber resultatlos verlief. Der König verlangte die Annahme mehrerer For⸗ derungen seitens der Leitung der radikalen Partei, wie das Recht, den Kriegs⸗Minister und die Gesandten selbständig zu ernennen, die Außerkraftsetzung der die Eltern des Königs betreffenden Gesetzgebung, sowie die Niederschlagung des Prozesses gegen das liberale Kabinet, und beklagte sich über die Haltung der radikalen Presse. Im Laufe des Vor⸗ mittags erklärten Gruic und Vukovic, die radikale Partei könne die vom König aufgestellten Punkte nicht annehmen, womit die Kombinationen mit dieser Partei als abgebrochen zu betrachten sind. Später empfing der König Garaschanin, Novakovic, Avacumovic und Ribarac behufs Bildung einer Koalition der Liberalen und der Fort⸗ schrittspartei, um so die Bildung eines Ministeriums zu ermöglichen. Nach längerer Konferenz erklärten Garaschanin, Novakovic, Avacumovic und Ribarac, sie würden die Frage der Koalition im Plenum der Parteileitungen zur Berathung vorlegen und dem König das Ergebniß mittheilen. Wie ver⸗ lautet, hätten die Fortschrittler sich entschieden, eine Koalition mit den Liberalen nicht einzugehen. Die Berathung der Libe⸗ ralen dauert fort, eine Lösung dürfte auch heute kaum möglich sein. .

In der Skupschtina wurde ein Brief des Minister⸗ Präsidenten Gruic verlesen, worin dieser seine Demission anzeigte. Gjuric wollte eine Debatte hervorrufen, was von der Mehrheit abgelehnt wurde. Die Skupschtina wurde sodann auf unbestimmte Zeit, zunächst bis zur Bildung eines Kabinets, vertagt, doch hält man es nicht für aus⸗ geschlossen, daß eine Vertagung bis zum November er⸗ olgen könne.

Der radikale Zentralausschuß meldete die Ankunft des Königs Milan sofort allen Subcomités. Die Militär⸗ verwaltung und das Kommando über die Gendarmerie befinden sich vorläufig in den Händen des Kommandanten der Donau⸗Division, Koka Milovanovic, der mit der proviso⸗ rischen Vertretung des Kriegs⸗Ministers betraut ist. Mehrfach verlautet, daß die Königin Natalie nach Belgrad kommen werde. Im Lande herrscht überall Ruhe.

Bulgarien.

Das Kriegsgericht, das über den ehemaligen Offizier Luka Iwanow und dessen Bruder Stojan wegen der Verschwörung gegen das Leben des Prinzen Ferdi⸗ nand und des Minister⸗Präsidenten Stambulow zu ur⸗ theilen haben wird, hat sich, wie „W. T. B.“ meldet, kon⸗ stituiert. Die Verhandlung wird am nächsten Freitag be⸗ ginnen.

Amerika.

Die Kommission des Repräsentantenhauses für Mittel und Wege hat, wie „W. T. B.“ aus Washington berichtet, beschlossen, einen Einkommensteuer⸗Entwurf einzubringen, wonach von Einkommen über 4000 Dollars eine Steuer von 2 Proz. erhoben werden soll.

Das Repräsentantenhaus hat ein Amendement zu der Tarifvorlage angenommen, wodurch die Zuckerprämien gänzlich beseitigt werden.

Afrika.

Wie dem ‚„Reuter'schen Bureau“ aus Kairo gemeldet wird, bestätigt sich das Gerücht, daß der Khedive während seiner jüngst unternommenen Nilreise ungünstige Bemer⸗ kungen über den Zustand der Lacnen Armee und die britischen Offiziere, die Kommandos in derselben 5 gemacht und infolge dieses Zwischenfalls seinen 8 esuch in der Grenzprovinz abgekürzt habe. Die Be⸗ merkungen des Khedive seien von dem Oberstkommandierenden der egyptischen Armee Kitqhener, der den Khedive auf seiner Reise begleitet hatte, in Kniro mitgetheilt worden, und die egyptische Regierung, der nichts bekannt gewesen sei, habe den Khedive telegraphisch um Auskunft gebeten. 1b

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Parlamentnrische Nachrichten.

In der heutigen 33. Sitzung des Reichstags, welcher die Staatsse kretäre Dr. von Boetticher und Nieberding beiwohnen, erbittet und erhält das Präsidium die Ermächti⸗ gung, Seiner Majestät dem Kaiser zum Geburtstage die Glückwünsche des Hauses darzubringen.

Bei der darauf folgenden Fortsetzung der Besprechung der Nothstandsinterpellation der Abgg. Auer u. Gen. erhält

zunächst das Wort der Abg. Dr. Kropatscheck (dkons.)

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen 3. Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher die Staats⸗Minister Dr. von Schelling, Freiherr von Berlepsch, Dr. Miquel, von

eyden und Dr. Bosse beiwohnen, wird zunächst von dem

ingang der Interpellation der Abgg. von Kröcher und Genossen, betreffend den ferneren Abschluß von Handelsver⸗ trägen (s. u.), und des Vertrags zwischen Preußen und Lübeck, betreffend den Elb⸗Travekanal, Mittheilung gemacht.

Die allgemeine Rechnung über den Staatshaus⸗ halts⸗Etat für 1890/91, die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben für 1892/93 und der Gesetzentwurf, betreffend die Deckung der Ausgaben des Jahres 1892,93, werden der Rechnungskommission überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats für 1894/95 und des Gesetzentwurfs, betreffend die Ergänzung der Einnahmen in diesem Etat.

Abg. von Strombeck (Zentr.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß im Domänen⸗Etat Mittel für den Bau von Ar⸗ beiterwohnungen ausgeworfen seien, daß auch für die Förderung der Kleinbahnen gesorgt und daß die Reorganisation der 5 aufsicht vollendet sei. Die Ausdehnung des Systems der Dienst⸗ altersstufen auf die höheren Beamten sei durchaus zu billigen, aber eine große Ungleichheit bestehe bezüglich der Archivbeamten. Während die übrigen Beamten ihr Höchstgehalt meist schon nach zwölf Jahren erreichen, erreichen die Archivbeamten ihr in Berlin erst nach achtzehn, in den Provinzen erst nach vierundzwanzig Jahren. Redner behält sich vor, diese Frage später näher zu untersuchen. Redner spricht die Hoffnung aus, daß die Einnahmen des Eisen⸗ bahn⸗Etats sich bald noch mehr heben werden, als dies jetzt schon der Fall sei. Der Kultus⸗Etat enthalte wie früher noch eine große Anzahl von Imparitäten; so seien für vierzehn evangelische Geistliche z. B. über 14 000 Bedürfnißzuschüsse angesetzt; in einem andern Kapitel aber für vier katholische nur 2000 ℳ, also für die katholischen Geistlichen nur die Hälfte dessen, was für die evangelischen pro Kopf ausgesetzt sei. Für die katholischen Geistlichen könnte überhaupt noch

etwas mehr Geld ausgeworfen werden; freilich hindere die schlechte Finanz⸗

lage daran. Die Unterstützung des Schulwesens seitens des Staats verdiente auch wohl eine neue Regelung; das alte System der Vertheilung sei nicht mehr zweckmäßig und sachentsprechend. Ueberhaupt sei es zu bedauern, daß für Kunst, Wissenschaft und sonstige Zwecke keine Mittel ausgeworfen sind. Redner geht dann auf die Verknüpfung der Reichs⸗ und der Staatsfinanzen ein und bedauert, daß die Finanz⸗ politik des Reichs dazu führe, daß die Matrikularbeiträge zu stark wachsen. Darin liege ein Beweis dafür, wie nothwendig es sei, wenn so große Ausgaben wie für die Militärvorlage bewilligt würden, auch zugleich für die Deckung derselben zu sorgen. (Bei der großen im Hause herrschenden Unruhe und der undeutlichen Sprechweise des Redners sind nicht alle Einzelheiten der Rede zu verstehen.) Er be⸗ schwert sich darüber, daß unter den Beamten die Katholiken zu schwach vertreten seien. Das sei eine alte Klage der Katholiken und auch in den Denkwürdigkeiten des Generals Leopold von Gerlach sei das offen anerkannt. Der Evan⸗ gelische Bund wolle allerdings nichts davon wissen, daß die Katholiken mehr die höheren Beamtenstellen besetzen sollen; das gehe aus einer Rede des Grafen Wintzingerode und des Herrn Konsistorial⸗ Leuschner hervor. Redner verliest aus diesen Reden einige Stellen.

Abg. Graf Limburg⸗Stirum (kons.): Die vorgebrachten Beweise sind doch durchaus nicht ausreichend, um nachzuweisen, daß eine Imparität besteht. Graf Wintzingerode ist doch keine politische Autorität für uns und kann uns nicht an die Rockschöße gehängt werden. Wenn man über Imparität klagen will, dann muß man doch erst eine andere Untersuchung der Verhältnisse anstellen. Nach der klaren Rede des Finanz⸗Ministers erscheint es mir überflüssig, eine Rekapitulation des Etats vorzunehmen. Ich könnte es nicht besser machen und würde die Herren nur ermüden. Mit den großen Gesichtspunkten, die der vorgetragen hat, bin ich vollständig einverstanden.

sch finde es sehr gut, daß man einen Netto⸗Etat beigegeben hat, damit diejenigen, welche über die Finanzen zu befinden haben, klar sehen, denn gerade der Netto⸗Etat weist darauf hin, wie weit man sparsam sein muß und wieweit man sich Ausgaben gestatten kann. Gegen die Ausdehnung der Dienstaltersstufen habe ich nichts einzu⸗ wenden; aber ich kann es nicht billigen, daß einzelne Beamten⸗ kategorien, die jetzt besser davonkommen, weil sie schneller avan⸗ cieren als andere Beamten, ihr altes System beibehalten wollen, wie dies bezüglich der Postbeamten im Reich geschieht. Die Mindereinnahmen in der Forstverwaltung zeigen, wie bedenklich die Handelspolitik ist, welche zu Handelsverträgen kommt mit Ländern, in denen Raubbau getrieben wird. Mit solchen Ländern kann die deutsche Forstwirthschaft erfolgreich nicht konkurrieren. Der Domänen⸗ Etat giebt den Stand der Landwirthschaft im allgemeinen an. Unsere Domänenpächter sind die tüchtigsten Landwirthe und die kapitalkräftigsten. Wenn es ihnen geht, muß es der übrigen Landwirthschaft noch schlechter gehen. Und es ergiebt sich, daß die Domäneneinnahmen erheblich zurückgehen, die Gegenden ausgenommen, wo Rübenbau ge⸗ trieben werden kann. Augenblicklich ist die Lage der Zuckerindustrie noch günstig; aber wenn die Handelsvertragspolitik fortgesetzt wird, wird die Zuckerindustrie bald schutzlos auf dem Weltmarkt dastehen. Es werden Zuckerfabriken auch in Gegenden eingerichtet, wo der Boden für den Rübenbau eigentlich nicht geeignet ist. Die Handelsvertrags⸗ politik halten meine Freunde einmüthig für einen Fehler. Wir tadeln die Aufgabe der Autonomie des Reichs in Bezug auf den Zolltarif, wir tadeln das Verlassen des Prinzips des Schutzes der nationalen Arbeit, d. h. des gleichmäßigen Schutzes der Industrie und der Landwirthschaft. Man hat einseitig Handel und Industrie begünstigt. Endlich tadeln wir die Verquickung von Handels⸗ politik und Politik. (Beifall rechts) Daß die Regierung den Nothstand der Landwirthschaft anerkannt hat, ist nicht genug, es muß der Landwirthschaft Ersatz“ geschaffen werden für ihre Verluste. Wir wünschen, daß bei ferneren Handelsverträgen die Quellen des nationalen Wohlstandes gleichmäßig geschützt werden. Wir sind in einer Stärke wiedergekommen, die wir noch nie hier im Hause be⸗ sessen haben. Unsere Wiederwahl in dieser Zahl ist dem Umstande zu⸗ zuschreiben, daß die Kreise, aus denen wir kommen, unsere Stellung⸗ nahme zur Handelspolitik im Reichstag gebilligt haben. (Zustimmung rechts.) Die Grundlage unserer Finanzen ist noch eine verhältnißmäßig gesunde. Denn wenn nach Verzinsung der Eisenbahnschuld noch 132 Millionen Ueberschuß vorhanden sind, wenn wir einen großen Domänen⸗ und Forstbesitz haben, dann kann man nicht sagen, daß die Grundlagen schlecht sind. Aber unsere augenblickliche Finanzlage ist eine ungünstige. Unser Verhältniß zu den Eisenbahnen ist nicht das Schlimmfte; das Schlimmste it vielmehr das Verhältniß zum Reich. Die Verstaatlichung der Eisenbahnen halten wir auch heute noch für eine gute und heilsame Maßregel. Wenn die Kosten der Eisenbahnen gestiegen sind, dann müssen auch höhere An⸗ sprüche an das Publikum gestellt werden bezüglich der Personentarife. Denn wenn das Publikum immer vollkommener und schneller fahren will, dann kann es auch dafür bezahlen. (Zustimmung rechts.) Be⸗ WMlich der Beziehungen zum Reich stehe ich ganz und gar auf dem

tandpunkt der Regierung. Die Matrikularbeiträge des Reichs

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schwanken in einer Weise, daß von einer ordentlichen Finanzwirthschaft in den Einzelstaaten keine Rede mehr sein kann. Eine Ordnung dieses Verhältnisses ist eine der Grundlagen unserer zukünftigen Politik. (Zustimmung rechts.) Von 1889 bis jetzt haben wir eine Differenz von 115 Millionen in der Höhe der Matrikularbeiträge. Die dem Reichstag vorgelegte Finanzreform ist eine sehr einfache, wie alle guten Dinge einfach sind. Bleiben die Matrikularbeiträge immer um 40 Millionen hinter den Ueberweisungen zurück, so ist das ein gutes Verhältniß und wir würden, wenn dieses Gesetz schon jetzt bestände, nur einen Fehlbetrag von 15 Millionen haben. Das Gesetz wird aber auch der opulenten Finanzwirthschaft im Reich einen Hemmschuh anlegen; die Finanzwirthschaft im Reich ist eine solche, daß man sich in einen anderen Staat versetzt glaubt. Es herrscht im Reich ein Ressortpatriotismus sonder Gleichen. Das liegt an der Organisation der Behörden unter sich. Hier hat der Finanz⸗Minister eine maßgebende Bedeutung beim Etat; der Reichs⸗Schatzsekretär spielt nur eine relativ untergeordnete Rolle; der Reichskanzler entscheidet, und wenn Männer von den Verdiensten des Herrn von Stephan dem Reichs⸗Schatzsekretär gegenübertreten, so wird der letztere unterliegen., Aber die Reichs⸗Finanzreform enügt noch nicht; man sollte von preußischer Seite darauf hinwirken, baß eine ähnliche Kontrole bei der Vorbereitung des Reichs⸗ Etats eingeführt wird. Einen Reichs⸗Finanz⸗Minister wollen wir nicht, denn dadurch würde der föderative Charakter des Reichs zerstört werden. Im Bundesrath kann eine wirksame Kontrole des Etats⸗ jahres nicht stattfinden; mehr als acht Tage beschäftigt sich derselbe kaum mit dem Etat. Mit gegenseitiger Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit ist es nicht gemacht; Energie und Entschiedenheit ist nothwendig. Ich empfinde eine große Genugthuung darüber, daß ich die Regierung voll und ganz unterstützen kann; denn es ist uns sympathischer, die Regie⸗ rung stützen und stärken zu können, als in Einzelfragen ihr widersprechen zu müssen. Wir halten unentwegt fest an dem obersten Grundsatz unserer Politik, daß die Machtstellung der Krone, wie sie besteht, erhalten wird, daß wir jedem Versuch widerstehen werden, an der Machtstellung der Krone etwas zu mindern. (Beifall rechts.) In diesem Sinne spreche ich meine 1u“ darüber aus, daß die Regierung sich veranlaßt gesehen hat, ein so bedeutendes Dokument, wie den Erlaß des hochseligen Königs Wilhelm, wieder rung zu rufen. Solche Dokumente können!

ins Gedächtniß gebracht werden. (Lachen links.) Wir wünschen daß wir einen mächtigen, in den Gang der Dinge persönlich eingreifenden Souverän haben. Das Recht der Krone, ihre Rath⸗ geber selbständig zu wählen, wollen wir unter allen Umständen auf⸗ recht erhalten. Wenn einzelne Stimmen ertönten, als ob eine unüber⸗ brückbare Kluft zwischen uns und der Reichsregierung bestehe, so weisen wir einen solchen Vorwurf zurück. Wenn wir auch einmal widersprechen müssen, so prüfen wir doch alle anderen Fragen unparteiisch; eine Vorlage deshalb abzulehnen, weil sie von einem bestimmten Minister ansgeht, würden wir für unpatriotisch halten. Aber unabhängig und selbständig wollen wir unsere Meinung sagen. (Beifall rechts.) Wenn der Souverän sich persönlich für eine Frage interessiert und persönlich dazu Stellung genommen hat, so kann man von Männern, die lange in der Politik leben, nicht fordern, daß sie ihre Meinung ändern wie eine Windfahne. Nur Ueberzeugungstreue und Selbständigkeit können eine wirksame Unterstützung der Krone sein. Damit schließe ich und wünsche, daß meine Auslassungen beitragen zur Klärung der Stellung der Parteien und der Regierung zu einander.

Bei Schluß des Blattes spricht der Abg. Dr. Sattlerinl.).

—— In der Kommission des Reichstags für den Gesetz⸗ entwurf wegen Abänderung des Reichsstempelabgabengesetzes wurde heute die Berathung des Tarifs der Stempelsteuer⸗ orlage fortgesetzt. Zur Verhandlung steht Nr. 4, welche die Kauf⸗ und Anschaffungsgeschäfte betrifft. Die Position war, wie mitgetheilt, in der vorigen Sitzung mit den ver⸗ chiedenen dazu gestellten Anträgen einer Subkommission überwiesen worden, welche, wie der Abg. Dr. Rintelen mittheilt, nicht über die Trage des Arbitragegeschäfts hinausgekommen ist. Die Höhe des tempelsatzes ist in der Subkommission noch nicht erörtert worden. ie Subkommission wird daher noch eine Sitzung abhalten und dann erst der Kommission ihre definitiven Anträge unterbreiten. Zur Diskussion wird nun der Antrag des Abg. Traeger gestellt, welcher dahin geht, die folgende Bemerkung zu Nr. 4 des Tarifs zu streichen: Den Kauf⸗ und sonstigen Anschaffungsgeschäften steht gleich die bei rrichtung einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Akti erfolgende Zutheilung der Aktien auf Grund vorher⸗ ehender Zeichnung, die bei Errichtung einer Aktiengesellschaft tattfindende Uebernahme der Aktien durch die Gründer und die Werthpapieren an den ersten Erwerber.“ Abg. Dr. Friedberg (nl.), welcher an Stelle des Abg. Dr. Ham⸗ nacher in die Kommission eingetreten ist, beantragt, nur die letzten Worte des Absatzes: „und die Ausreichung von Werthpapieren an den ersten Erwerber“ zu streichen. Staatssekretär Dr. von Posa⸗ vowsky erklärt sich gegen den Antrag Friedberg, worauf ieser seinen Vorschlag zurückzieht. Die Abgg. Gamp und Traeger beantragen nunmehr, die Worte in dem Absatz von „die bei Errichtung einer Aktiengesellschaft“ bis „durch die Gründer unde zu streichen. Dieser Antrag wird gegen 5 Stimmen abgelehnt. Zur Berathung kommt sodann die Berechnung der Stempel⸗ abgaben, welche nach der Vorlage erfolgen soll „vom Werthe des Gegenstandes des Geschäfts, und zwar bei Geschäften im Werthe bis 00 000 in Abstufungen von 20 bezw. 40 für je volle 1000 ℳ, bei Geschäften im Werthe von mehr als 100 000 in Abstufungen von 2 bezw. 4 für je volle 0 000 ℳ. Der Werth des Gegenstandes wird nach dem vereinbarten Kauf⸗ oder Lieferungspreis, sonst durch den mittleren Börsen⸗ oder Marktpreis am Tage des Abschlusses bestimmt. Die zu den Werth⸗ apieren gehörigen Zins⸗ und Gewinnantheilsscheine bleiben bei Be⸗ echnung der Abgabe außer Betracht. Ausländische Werthe sind nach den Vorschriften wegen Erhebung des Wechselstempels umzu⸗ echnen.“ Hierzu liegen folgende Anträge vor: Abg. Traeger will die ganze „Berechnung der Stempelabgabe“ streichen und dafür die entsprechenden Positionen und Bestimmungen des bestehenden Tarifs annehmen, bezw. beibehalten. Die Abgg. Freiherr Heyl u und Placke (nl.) beantragen, zu sagen⸗ „Vom Werthe des Gegenstandes des Geschäfts, und zwar in Abstufungen on 20, bezw. 30, bezw. 40 für je volle 1000 ℳ“. Abg. Gamp will hinzugefügt wissen: „Bei Geschäften unter 1000 wird die Steuer von einem Werthe von 1000 berechnet. Bei der Abstimmung wird der Antrag Heyl (Abstufungen von 20, 30, 40 für je 1000 ℳ) fast einstimmig angenommen, ebenso er Antrag Gamp (bei Geschäften unter 1000 wird die Steuer nit einem Werthe von 1000 berechnet). Dagegen wird der Antrag Traeger auf Streichung des Textes der Vorlage und Beibehaltung er bestehenden Bestimmungen abgelehnt. Die Berathungen der Kommission werden morgen fortgesetzt.

Im Hause der Abgeordneten ist von den Abgg. von Krröcher (kons.), von Dziembowski (freikons.), von Buch (kons.), von Tiedemann (Bomst) (freikons.) und Dr. von Heydebrand und der Lasa kons.) folgende Interpellation eingebracht worden: „Ist die Königliche Staatsregierung geneigt, im Bundesrathe ahin zu wirken, daß fernere, eine Ermäßigung der landwirthschaft⸗ lichen Zölle enthaltende Handelsverträge nicht zum Abschluß gelangen, ohne daß eine angemessene Ausgleichung mit den Geldwerthsverhält⸗ nissen der in Betracht kommenden Konkurrenzländer stattgefunden hat oder gleichzeitig stattfindet?“

—, Der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen hat dem Hause der Ab eordneten eine übersichtliche Darstellung des Ergebnisses der m Jahre 1893 abgehaltenen Verhandlungen des Landes⸗ eisenbahnraths und der darauf getroffenen Entscheidungen nebst nnn Verhandlungen und Drucksachen des Landeseisenbahnraths zugehen

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in die Erinne⸗ nicht oft genug

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Kunst und Wissenschaft.

Die philosophische Fakultät der Universität Frei⸗ burg i. Br. hat den Architekten Herrn Robert Koldewey in Hamburg in Anerkennung seiner Verdienste um die Er⸗ forschung der griechischen und orientalischen Architekturgeschichte zum Ehrendoktor der Philosophie ernannt.

1 Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 10. Januar 1894. Herr Archiv⸗Rath Dr. Bailleu sprach über Herzog Karl August von Beimar und Goethe und deren Beziehungen zum Fürstenbund. Ottokar Lorenz hat in einem kürzlich erschienenen Buch, in welchem er den bei der letzten Versammlung des Goethe⸗Vereins in Weimar gehaltenen Vortrag über „Goethe's politische Lehrjahre“ weiter ausführt, nach⸗ zuweisen gesucht, daß der im Jahre 1785 abgeschlossene Fürstenbund eigentlich von Goethe angeregt sei. Dieser Auffassung gegenüber hob der Vortragende hervor, daß der Fürstenbund ein Akt der Politik Friedrich's des Großen sei, und widerlegte zugleich die Ausführungen von Lorenz in ihren Einzelheiten wie in dem schließlichen Ergebniß. An zahlreichen Beispislen zeigte sich, wie mangelhaft und oberflächlich Lorenz die gedruckte Literatur benutzt habe. So giebt er von der Reise des Herzogs und Goethe's nach Berlin im Jahre 1778 eine Darstellung, die schon deswegen ganz verfehlt ist, weil beide den da⸗ mals abwesenden Friedrich den Großen gar nicht haben sehen können. Richtig ist, daß Goethe während des bayerischen Erbfolgekrieges einmal in einer Denkschrift von der Nothwendigkeit einer näheren Verbindung der deutschen Mittelstaaten unter einander gesprochen hat. Aber dieser Gedanke ist im 18. Jahrhundert zu verschiedenen Zeiten von den verschiedensten Personen angeregt worden; insbesondere hat riedrich der Große selbst schon während des siebenjährigen rieges lange und eifrig über einen Fürstenbund unterhandelt. Was der Herzog von Weimar mit dem Markgrafen von Baden und dem Fürsten von Dessau plante, war etwas Anderes als der Fürstenbund, den König Friedrich zustande brachte: es sollte ein Bund nur der Kleinstaaten werden, den Preußen und vielleicht auch Oesterreich garantieren sollten. Noch im Juli 1785, in denselben Tagen, wo in Berlin der Fürstenbund zwischen Preußen, Sachsen und Han⸗ nover unterzeichnet wurde, hat Herzog Karl August von Weimar in Meinberg gegen den bekannten Diplomaten Dohm seine entschiedene Mißbilligung eines sozusagen preußischen Fürstenbundes ausge⸗ sprochen. Erst die Einwirkung seines Onkels, des Herzogs Karl Wilhelm den er im August 1785 in Braunschweig be⸗ suchte, scheint ihn von der Aussichtslosigkeit eines kleinstaat⸗ lichen Fürstenbundes und der Nothwendigkeit des festen An⸗ schlusses an Preußen überzeugt zu haben. In der That ist dann der Herzog von Weimar am 29. August 1785 dem Fürstenbunde bei⸗ getreten. Ueber die Verhandlung, die der Unterzeichnung des Bundes voranging, machte der Vortragende interessante Mittheilungen auf Grund von Berichten des Geheimen Raths von Boehmer, der in König. 6 Auftrag nach Weimar gegangen war. Der Be⸗ vollmächtigte des Herzogs bei dieser Verhandlung war kein anderer als Goethe selbst, der dabei eine bis ins kleinste gehende Kenntniß der diplomatischen Formen und die peinlichste Sorgfalt bei Feststellung des Wortlauts des Vertrags bewiesen⸗ hat. Nach einem eigenhändigen Schriftstück Goethe’'s, das Boehmer nach Berlin gesandt hat, gab der Vortragende eine kurze Uebersicht der formalen Ausstellungen, die Goethe zu dem preußischen Exemplar der Vertragsurkunde gemacht hat. Seit dem Beitritt zum Fürsten⸗ bunde hat sich übrigens der Herzog von Weimar fest und treu an Preußen angeschlossen. Im Jahre 1787 trat er in die preußische Armee ein, machte den Feldzug in Holland, später den Krieg gegen Frankreich mit. Der Vortrag schloß mit dem Wunsche, daß Weimar ald seinem Herzog ein ähnliches literarisches Denkmal errichten möge, wie es neuerdings Baden für dessen Freund, den Markgrafen Karl Friedrich gethan habe. Herr Oberlehrer Dr. J. Bolte besprach einige von Bächtold im Zürcher Taschenbuch veröffentlichte Briefe, die ein junger Züricher, J. G. Schultheß, in den Jahren 1749 bis 1750 aus Berlin an seinen verehrten Meister Bodmer richtete. Schultheß berichtet darin von der theils begeisterten, theils spöttischen Aufnahme, die Bodmer’s Noachide in den literarischen Kreisen Berlins, bei Sulzer, Ramler, Mylius u. a. fand; er plant einen Besuch bei Klopstock, um „das Original seiner erhabenen eigenen Thränen zu die er so oft in seinen Gedichten weinet“, und erzählt mit Behagen von den Prügeln, die Bodmer'’s Gegner Gottsched für eine Rezension von Friedrich's des Großen Mémoires pour servir à l'histoire de Brandebourg von einem preußischen Osftzier erhalten haben soll. Herr Privatdozent Dr. Breysig behandelte die innere Politik des Kurfürsten Georg Wilhelm im Herzogthum Preußen während der Jahre 1620 und 1621. Unter Johann Sigismund war die monarchische Gewalt hier aufs äußerste ein⸗ geschränkt worden; der Kurfürst hatte schon die Ernennung der vor⸗ mundschaftlichen Regierung des Landes mit dem Zugeständniß einer durchgreifenden Revision des gesammten Verfassungs⸗ und Verwaltungs⸗ rechts in ständischem und polnischem Sinne erkaufen müssen, und als er dann zum reformierten Bekenntniß übergetreten war, hatte sich an der Sorge, die die strenglutherische Bevölkerung des Herzogthums sogleich erfaßte, der Kurfürst möchte das Land zum Uebertritt zu seiner Konfession zwingen, auch die politische Opposition von neuem entzündet. Johann Sigis⸗ mund mußte an die von neuem vom Landtag zu Hilfe gerufene geek.,e. die schmählichsten Konzessionen machen, er mußte offiziell zugestehen, daß die Reformierten zu den im Lande nicht zu duldenden Sekten gebörten; die fürstliche Macht war auf einem Tiefpunkt an⸗ gekommen. Da ist es nun merkwürdig, zu sehen, wie überaus geschickt und klug Georg Wilhelm und Schwarzenberg, der ihm schon damals zur Seite stand, diese üble Lage der Dinge zu wandeln gewußt haben. Der neue Kurfürst, ward; sich vor allem darüber klar, daß man nicht gegen Polen und die Stände zugleich kämpfen könne, daß man sich mit dem einen der Gegner verföhnen müsse. Er wählte die Stände und verstand so gut zu operieren, den Streit, den die Stände auch mit ihm sogleich begonnen hatten, durch eine so wohl erwogene Mischung nicht 88 verbindlicher Konzessionen mit dilatorischer Behandlung der Hauptfragen aus der Welt zu schaffen, daß er, als die polnischen Kommissare erschienen, den Rücken völlig frei hatte. Das alte Lock⸗ lied der Polen, denen eben jetzt bei dem Herannahen eines neuen Krieges mit Schweden mehr als je an der Ausdehnung ihres Ein⸗ flusses auf das baltische Küstenland lag: das Lied von ständischer Selbst⸗ herrlichkeit, verfing weder bei den im übrigen noch wenig kurfürstlich ge⸗ sinnten Ober⸗Räthen, den höchsten Beamten des Herzogthums, noch bei den Ständen. Den Gesandten gelang es nicht, ihre offenkundige Absicht, den Zwist zwischen Landesherrn und Unterthanen von neuem zu ent⸗ fachen, durchzusetzen; es kam so weit, daß der Landtag selbst um die Uebertragung der Regierung auf Georg Wilhelm und seine Belehnung anhielt. Durch große Geldkonzessionen an die Republik, kleine Hand⸗ salben für die Gesandten in Polen war ja der Staat ebenso bestechlich wie die Privaten wurden auch die letzten Hüeheab hinweggeräumt; schon im September 1621 war Georg Wilhelm legitimer Herzog von Preußen. Es war doch ein großer Erfolg: Der Kurfürst hatte, obwohl er in seinem Stammlande durch den mehr und mehr um sich greifenden deutschen Krieg sehr bedroht war, den ständischen und dann den polnischen Widerstand überwunden. Er zeigte schon damals, daß er, wenn er auch 9 der großen Politik wenig Glück gehabt hat, doch⸗in der kleinen ein Meister war.

Wie aus Breslau Seexet wird, ist dort am Sonntag der Geheime Baurath Luedecke, Mitglied der Akademie des Bau⸗ wesens, im Alter von 68 Jahren gestorben. 88

Land⸗ und Forstwirthschaft. 8

Das Bureau des Landwirthschaftsraths von Elsaß⸗ Lothringen versendet soeben die im Druck veröffentlichten Ver⸗

handlungen der Session 1893 (30. und 31. Mai).

Das bei⸗ gegebene alphabetische Sachregister berücksichtigt nicht nur diese, son⸗ dern auch die früheren Sessionen 1888, 1889, 1890, 1891 und 1892 8 und die darüber publizierten Protokolle und ermöglicht somit in dankenswerther Weise eine Uebersicht über sämmtliche bisher von dem Landwirthschaftsrath verhandelten Gegenstände.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Türkei.

Der internationale Gesundheitsrath hat folgende Quarantäne-⸗ maßregeln getroffken: G 1) Die für Herkünfte aus den russischen Häfen des Schwarzen und Asowschen Meeres angeordnete Desinfektion von getragenen Sachen und Effekten der Passagiere und Schiffsmannschaft, sowie die ärztliche Untersuchung ist aufgehoben worden. Nur Herkünfte von

Odessa unterliegen einer ärztlichen Untersuchung. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 308 vom 28. Dezember 1893.)

2) Die gegen Salonik angeordnete Quarantäne ist durch eine vee Beobachtung ersetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 3

vom 4. Januar 1894.) 8 11XA1XA“ 3) Ebenso ist die Quarantäne gegen Tripolis (Afrika) in eine 8

24 stündige Beobachtung umgewandelt worden.

4) Die gegen Trapezunt bestehende Quarxcntäne von 10 Tagen ist auf 5 Tage herabgesetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 285 vom 29. November 1893.) 8

5) Die für Herkünfte von der verseuchten Zone von Konstantinopel angeordnete dreitägige Quarantäne ist durch eine 24 stündige Be⸗ obachtung nebst Desinfektion der den Passagieren und der Schiffs⸗ mannschaft gehörigen getragenen Sachen und Effekten herabgesetzt worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 268 vom 8. November 1893.) 8

Ebenso haben sich Reisende, welche sich auf der Ostrumelischen Eisenbahn ins Innere des Landes begeben, nur noch einer 24 stündigen Beobachtung und der Desinfektion zu unterziehen. (Vergl. „R.⸗Anz. Nr. 308 vom 28. Dezember 1893.) 1

6) Die 24stündige Beobachtung für Herkünfte von Palermo ist durch eine ärztliche vnteracftass ersegt worden. 1

7) Die ärztliche Untersuchung für Herkünfte aus Italien und Tunesien sowie aus Bartin und Amasra ist aufgehoben worden. (Vergl. „R.⸗Anz.“ Nr. 285 vom 29. November 1893, Nr. 290 vom 5. Dezember 1893, Nr. 308 vom 28. Dezember 1893, Nr. 3 vom 4. Januar 1894.)

Rio de Jan eiro, 22. Januar. „W. T. B.“ meldet: Durch⸗ schnittlich sterben hier jeden Tag 11 Personen am gelben Fieber.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks

8 an der Ruhr und in Oberschlesien.

An der Ruhr sind am 22. d. M. gestellt 11 623, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen.

In Oberschlesien sind am 20. d. M. gestellt 3904, nicht recht⸗ zeitig gestellt keine Wagen.

Zwangs⸗Versteigerungen. 18

Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin stand am 22. Januar das Grundstüch Pücklerstr. 50, dem Kaufmann Gustav Hartung gehörig, zur Versteigerung; Nutzungswerth 10 930 ℳ; Mindestgebot 159 400 ℳ; für das Meistgebot von 195 000 wurde der Kansimane A. Wolffheim zu Berlin Ersteher. Aufgehoben wurde das Verfahren der Zwangs⸗Versteigerung wegen der nach⸗ benannten Grundstücke: Kochstr. 13a, der Frau Kaufmann E. Bernstein, geb. Schmidt, gehörig, sowie Chausseestr. 123 und ““ 1, dem Baumeister Eugen Kornfeld gehörig

Beim Königlichen Amtsgericht II Berlin stand im Wege der Zwangsvollstreckung das im Grundbuche von Weißensee Band 38 Blatt Nr. 1096 auf den Namen des Kaufmanns Paul Bretzke zu Neu⸗Weißensee, Pistoriusstraße 11, ein ftrogene. ebendaselbst belegene Grundstück zur Versteigerung; Flache a; Nutzungswerth 4300 ℳ; Mindestgebot 1201 ℳ; für das Meistgebot von 44 010 wurde der Fabrikant Gustav Boehling zu Berlin, Elsasserstr. 3, Ersteher. Das Verfahren der Zwangsver⸗ steigerung des im Grundbuche von Weißensee Band 37 Blatt Nr. 1083 auf den Namen des Bauunternehmers Emil Stübing eüigeeme zu Neu⸗Weißensee, Pistoriusstr. 28, belegene Grund⸗ stück ist aufgehoben.

Die vier großen Saar⸗ und Mosel⸗Stahlwerke Hayingen, Völklingen, Burbach und Neunkirchen haben, wie die „Köln. Z.“ meldet, in St. Johann⸗Saarbrücken auf eine Reihe von Jahren eine gemeinsame Verkaufsstelle für Träger⸗ und Winkeleisen errichtet.

Der Aufsichtsrath der Hamburger Kommerz⸗ und Dis⸗ konto⸗Bank wird, wie „W. T. B.“ meldet, bei der General⸗ versammlung die Vertheilung einer Dividende von 4 % für das Ge⸗ schäftsjahr 1893 vorschlagen. 8

Magdeburg, 22. Januar. (W. T. B.) Zuckerbericht. Kornzucker exkl., von 92 % —,—, neue 13,30, Kornzucker exkl. 88 % Rendement —,—, neue 12,75, Nachprodukte exkl., 75 % Rende⸗ ment 10,10. Ruhig. Brotraffinade I. 26,00, Brotraffinade II. 25,75, Gem. Raffinade mit Faß 26,25. Gem. Melis I. mit Faß 24,25. Ruhig. Rohzucker. I. Produkt Transito f. a: B. Ham⸗ burg pr. Januar 12,40 Gd., 12,45 Br., pr. Februar 12,47 ½ Gd., 12,50 Br., pr. März 12,52 ½ Gd., 12,55 Br., per April 12,57 ½ Gd., 12,62 ½ Br. Stil..

Leipzig, 22. Januar. (W. T. B.) Kammzug⸗Termin⸗ handel. La Plata Grundmuster B. per Januar 3,35 ℳ, per Februar 3,35 ℳ, per März 3,37 ½ ℳ, per April 3,40 ℳ, per Mai 3,42 ½ ℳ, per Juni 3,47 ½ ℳ, per Juli 3,50 ℳ, per August 3,50 ℳ, per September 3,52 ½ ℳ, per Oktober 3,57 ½ ℳ, per November 3,60 Umsatz 40 000 kg.

Bremen, 22. Januar. (W. T. B.) Börsen⸗Schlußbericht. Raffiniertes Petroleum. (Offizielle Notierung der Bremer Petroleum⸗ Börse.) Schwach. Loko 4,0. Baumwolle. Willig. Upland middling, loko 40 ½ ₰, Upland, Basis middling, nichts unter low middling, auf Termin⸗Lieferung, pr. Januar 40 ₰, pr. Februar 40 ₰, pr. März 40 ½ ₰, pr. April 40 ½ ₰, pr. Mai 40 ¾ ₰, pr. Juni 41 ₰. Schmalz. Höher. Wilcox 43 ½ ₰, Armour shield 43 ₰, Cudahy 45 ½ ₰, Fairbanks 36 ₰. Speck. Fester. Short clear middl. loko 37 ½, Januar⸗Abladung 37 ½. Wolle. Umsatz 126 Ballen. Taback. Umsatz 40 Fässer Maryland. 8

Wien, 22. Januar. (W. T. B.) Das amtliche Blatt wird morgen eine Verfügung wegen der Erhöhung des Zinsfußes der Salinenscheine um ½ % vom 24. d. M. ab veröffentlichen, sodaß zur Ausgabe gelangen: 3 ½ % Salinenscheine mit halbjähriger und 3 % mit vierteljähriger Verfallfrist.

Die Einnahmen der österreichischen Staatsbahnen be⸗ trugen im Jahre 1893 79 108 731 Gulden, was gegen 1892 eine Mehreinnahme um 6 261 551 Gulden bedeutet.

London, 22. Janugr. (W. T. B.) Wollauktion. Preise unverändert, gute Betheiligung.

An der Küste 1 Weizenladung angeboten.

96 % Javazucker loko 15 ¼ ruhig, Rüben⸗Rohzucker loko 12 ⅞H ruhig. Chile⸗Kupfer 41 ⅜, pr. 3 Monat 42 ⁄16.

Die Getreidezufuhren betrugen in der Woche vom 13. Januar bis 19. Januar: englischer zen 1976, fremder 26 001, engl. Gerste 3587, fremde 11 921, engl. Manchhferfte 18 503, fremde —, engl. Hafer 352, fremder 27 574 Orts., engl. Mehl 14 386, fremdes 23 782 Sack und 10 Faß.

Glasgow, 22. Januar. (W. T. B.) Die Verschiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 3439 Tons gegen 2985 Tons in der entsprechenden Woche des vorigen Jahres.