Papiere jetzt in Frankreich domiziliert sind, ist eine Friedensgarantie, wie sie stärker nicht sein kann; man wird nicht so leicht einen Krieg anfangen, der diese Papiere werthlos macht. Daß ein einzelner Staat die Währungsfrage regeln könnte, daran denkt niemand; das kann nur durch eine große internationale Verein⸗ barung gemacht werden. Die Verhältnisse sind doch heute nicht be⸗ sonders erfreulich; es sind die ganzen Staaten im südlichen Europa bankerott. Als im Anfange des Jahrhunderts die Produktions⸗ verhältnisse der Münzmetalle sehr schwankend waren, da hat der lateinische Münzbund es vermocht, das Werthverhältniß zwischen Gold und Silber vollständig aufrecht zu erhalten. Da das Silber in jedem Augenblick ausgemünzt werden konnte, konnte es im Werth nicht sinken. Die Wichtigkeit der Frage an sich
für die Landwirthschaft wird jeder begreifen, der
damit beschäftigt hat. Die gesteigerte Kaufkraft des Goldes zu leugnen, wozu Herr Bamberger den Versuch gemacht bat, ist eine Spekulation auf die krasse Unwissenheit des Publikums. Die Währungskommission in England hat das allgemein anerkannt, und zwar sowohl die Anhänger der Goldwährung, wie der Doppel⸗ währung. Wer eine Pacht übernommen hat und dabei sich aus⸗ gerechnet hat, daß er 1000 Zentner Roggen verkaufen muß, um die Pacht zu decken, muß jetzt vielleicht 1500 Zentner verkaufen. Das ist ein Beweis dafür, daß die Kaufkraft des Goldes gestiegen ist. Bis 1873 zeigt sich eine Steigerung der Preise, von da ab ein Sinken derselben, d. h. eine Stei⸗ gerung der Kaufkraft des Goldes. Ich freue mich, daß die Regierung die Nothwendigkeit eingesehen hat, dieser Sache wieder ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der österreichische Handelsvertrag hat die finanzielle Verlegenheit mit herbeigeführt, denn sonst würden wir für Preußen aus dem Reich 25 Millionen Mark zur Verfügung haben. Herr von Eynern hat sich beschwert über das Verfahren bei der Einkommensteuer. Es ist vielleicht nicht immer richtig verfahren worden; aber man kann auch beobachten, das Land Seen. sich an die Einkommensteuer. Ich habe nur den einen Wunsch, daß in den höchsten Rekursinstanzen die Arbeitskräfte so vermehrt werden möchten, daß die Rekurse schneller erledigt werden. Denn wir haben vielfach jetzt noch nicht die Entscheidungen aus der ersten Einkommensteuerveranlagung und sind bei prinzipiellen Fragen n der größten Verlegenheit. Ich hoffe, daß die Berathung des Budgets zu einem gedeihlichen Ergebniß führen und daß unsere wirth⸗ schaftlichen Verhältnisse eine Besserung erfahren mögen.
Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Auf Herrn von Kardorff's Ausfüh⸗ rungen kann ich angesichts der bevorstehenden Interpellation jetzt nicht eingehen; ich hätte, nachdem bereits zwei Redner meiner Partei ge⸗ sprochen haben, nicht gesprochen, wenn nicht die freundliche Ein⸗ ladung des Finanz⸗Ministers Miquel, das Zentrum möge sich an seiner Reichs⸗Finanzreform betheiligen, eine höfliche Reaktion erforderte. Vorab möchte ich bemerken, daß der von Herrn von Zedlitz geforderte Beweis für die imparitätische Behandlung der Katholiken nicht er⸗ bracht werden kann; denn es wird niemals offen gesagt werden, daß die Zurücksetzung von Katholiken ihres Bekenntnisses wegen erfolgt. Aber daß die Zahl der katholischen Beamten eine so geringe ist, ist doch ein seltsames Räthsel; namentlich in den höchsten Stellen zeigt ich ein auffallendes Mißverhältniß, trotzdem doch eine gleichmäßige Ver⸗ heilung der Geistesgaben angenommen werden muß. Ich bin ein großer Verehrer der hohen Begabung des Finanz⸗Ministers; aber die Art, wie er hier gestern einen Triumph gefeiert hat, entspricht nicht seiner Begabung. Es ist noch mehr bedenklich, als wenn es vom
arlament geschieht, wenn von der Regierung aus Reichstagsfragen n den Einzellandtagen angeregt werden, wenn man in den letzteren ffen um Bundesgenossen wirbt. Die großen Parteien hier, die auf Herrn Miquel's Seite stehen, haben 73 Stimmen über die Mehrheit, aber im Reichstage stehen sie mit 51 Stimmen hinter der Mehrheit urück. Mit diesen Mehrheitsparteien hier verbinden uns nicht an⸗ genehme Erinnerungen, namentlich wegen des Wahlgesetzes. Wenn Herr Miquel unsere Zustimmung im Reichstag wünscht, dann sollte r die Mehrheit, die ihm hier zur Verfügung steht, benutzen zur
Reform des Wahlrechts; wir werden ihm unsere Stimmen zur
Verfügung stellen. Herr Rickert hat es getadelt, daß hier Reichstagsreden gehalten werden, und hat selbst eine solche gehalten; er hat sogar im Namen des Reichstags gesprochen, obwohl er meines Wissens dazu keinen Auftrag hatte. Ich kann weder im Namen des Reichstags, noch im Namen meiner Freunde über die Finanzreform sprechen, auch nicht im Namen meiner Freunde in diesem Hause. Dem Finanz⸗Minister werfe ich nicht Schwarzmalerei vor; ich entferne mich von ihm nicht in Bezug auf die Anschauung unserer Finanzverhält⸗ nisse. Wir müssen dringend wünschen, aus den unheilvollen Finanz⸗ verwirrungen herauszukommen. Mit der preußischen Steuerreform hat er einen hoffnungsvollen Anfang gemacht, aber er hat doch z. B. in Bezug auf die Eisenbahnen vor den Thatsachen Halt machen müssen. Die Erörterung der Wirkungen der clausula Francken⸗ stein gehört in den Landtag; denn es handelt sich nicht um einen Miauel'schen Finanzplan; der Gedanke, den Einzelstaaten Ueberweisungen zukommen zu lassen, ist nicht von Herrn Miquel ausgegangen. Herr Rickert bestritt, daß geplant gewesen wäre, den Einzelstaaten Gelder aus dem Reich zu überweisen. Das entspricht durchaus nicht den Thatsachen. Denn schon in der Begründung des Zolltarifs von 1879 ist dieser Gedanke bekundet worden und namentlich auch bei der Berathung der clausula Franckenstein, die Windthorst damals bezeichnete als eine staatsrechtliche Maßregel, um dem Reichstag sein Einnahmebewilligungsrecht zu sichern; ferner aber, um den Einzel⸗ staaten die Ueberschüsse aus dem Reich zu sichern zur Reform ihrer Steuern, u. a. auch zur Ueberweisung der Realsteuern an die Ge⸗ meinden. Den gleichen Gedanken sprach auch Fürst Bismarck damals aus. Aus der Franckenstein'schen Klausel ist dem Reich und den Einzelstaaten Nutzen erwachsen, sowohl in finanzieller Be⸗ ziehung als durch die Förderung des Föderalismus. Preußen hat überwiesen erhalten von 1879 bis 1893 rund 1 ½ Milliarden Mark, natürlich ohne Abzug der Matrikularbeiträge; der Reingewinn für Preußen war 222 Millionen Mark. Das ist für unseren Etat nicht zu unterschätzen. Es geht der clausula Franckenstein wie der lex Huene: zuerst wenig Freunde und nachher, wenn sie zu wirken aufhört, allgemeines großes Trauergeleit. Man hat für den Rückgang der Ueberweisungen die Regierung verantwort⸗ lich gemacht; wir in den Einzelstaaten haben auch unseren Antheil an der Schuld. Ein energischer Finanz⸗Minister oder Reichs⸗Schatzsekretär hätte vielleicht die Entwicklung hindern können. Aber die Thatsachen waren stärker als einzelne Minister und als die Parlamente. Ich wünsche, daß die Franckenstein'sche Klausel wieder in Wirksamkteit treten kann. Wenn die Franckenstein'sche Klausel verhindert hätte, daß die Matrikularbeiträge die Ueberweisungen übersteigen, dann wäre sie vollkommen gewesen. Ein festes Verhältniß zwischen dem Reich und den Einzelstaaten muß geschaffen werden; aber ist jetzt der Zeitpunkt dazu und sind die Mittel vor⸗ handen? Es ist kaum möglich, die Mittel für die Militärvorlage aufzubringen, geschweige denn noch etwas Anderes; wir sind der Meinung, der Augenblick sei der denkbar ungünstigste. Die Aufgabe der Parlamente ist im wesentlichen die Negative, die Kritik; positive Vorschläge kann nur die Regierung machen, der die nöthigen Beamten zur Verfügung stehen. Die Frage wird noch erschwert durch die Beseitigung der Schuldentilgung im Reich; die Vermehrung der Schulden ist bedenklich geworden, und was der Finanzplan in Aussicht nimmt, reicht nicht zu, um das herzustellen, was hergestellt werden muß. Und das muß ich sagen, mit den Steuervorlagen, nament⸗ lich mit der Weinsteuer, kann ich. mich auch als preußischer Ab⸗ geordneter nicht befreunden. Ich schließe mit einer Auslassung Windt⸗ horst's, der vor Jahren schon gesagt hat, man dürfe im allgemeinen Interesse die Regierung nicht im Stiche lassen.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel: 1 Meine Herren! Die Aeußerungen des Herrn Dr. Lieber über die Nothwendigkeit einer Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzel⸗ staaten, über die grundsätzliche Erhaltung der Franckenstein'schen Klausel, über die Nothwendigkeit einer Ergänzung derselben zur Er⸗
reichung der Ziele, welche die Franckenstein'sche Klausel verfolgte, haben die Hoffnungen, die ich gestern an die Haltung wenigstens eines großen Theils — denn ich darf wohl annehmen, daß Herr Dr. Lieber doch in diesen Beziehungen einen großen Theil seiner politischen Freunde vertritt — knüpfte, vollauf bestätigt. Schon hieraus wird Herr Dr. Lieber doch entnehmen können, daß der leise Vorwurf, den er mir zu machen scheinen wollte, als wenn ich gewissermaßen das Zentrum in Gegensatz in Beziehung auf die Steuerreform stellen wollte zu den übrigen Mehrheitsparteien, nicht begründet ist. Ich habe auch gestern genau diese selbe Ueberzeugung gehabt und dieselbe Hoff⸗ nung ausgesprochen; von dem Bestreben also, das Zentrum in eine isolierte Stellung zu bringen, ist bei mir auch nicht entfernt die Rede gewesen. Eben deswegen kann es aber auch nicht zutreffend sein, wenn er mich warnt: „sich hier auf eine Mehrheit zu stützen, welche im Reichstag mit denselben Parteien garnicht zu erreichen ist.“ Ich weiß sehr wohl die Bedeutung des Zentrums im Reichstag zu würdigen, und um so erfreuter bin ich über die grundsätzliche Zustimmung zu der Nothwendigkeit der Finanzreform, wie Herr Dr. Lieber sie soeben ausgesprochen hat.
Meine Herren, sodann hat Herr Dr. Lieber mir einen, glaube ich, ebenso wenig begründeten Vorwurf gemacht: daß ich nämlich ohne Grund und ohne Noth die Frage der Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzelstaaten hier in diesen Landtag hineingetragen hätte; es sei doch nicht gerathen, diese Reichsfragen hier im Landtag zu besprechen. Ich bin persönlich immer ein Gegner davon gewesen, ohne zwingende Veranlassung und in zu weit gehender Weise in den Einzel⸗Landtagen Fragen zu besprechen, in denen das Reich allein zuständig ist. Man kann ja natürlich den einzelnen Landtagen das Recht nicht bestreiten, namentlich auch durch Reden und Beschlüsse auf die Haltung der Re⸗ gierungen in ihrer Eigenschaft als Bundesrathsmitglieder einzuwirken, indirekt also die Reichspolitik zu beeinflussen. Aber ich erkenne voll⸗ kommen an, daß die gesammte staatsrechtliche Konstruktion unseres deutschen Staatswesens hier den Einzel⸗Landtagen große Reserve auflegen muß. Wenn das im allgemeinen richtig ist, hier trifft es nicht zu, denn hier haben wir die Fragen unseres eigenen preußischen Etats zu erörtern. (Sehr richtig!) Hier haben wir die Frage zu beantworten: Wie ist die Einwirkung des Reichs auf unsern Etat gestaltet? Ist es nicht für den preußischen Staat eine unbedingte Nothwendigkeit, daß die finanzielle Politik und Ordnung im Reich sich ändert, damit wir selbst einen geordneten Haushalt erhalten können? Herr Dr. Lieber selbst hat doch auch im weiteren Fortgang seiner Rede die Richtigkeit des Standpunkts aner⸗ kannt, da er ja in ausführlicher und ganz zutreffender Weise den Zu⸗ sammenhang der Franckenstein'schen Klausel mit unserem eigenen Finanzwesen und dem Finanzwesen der Einzelstaaten dargelegt hat. Er hat dann aber gewissermaßen tadelnd gesagt, ich hätte zugestanden, daß ich für diese Reichs⸗Finanzreform die Hilfe und Unterstützung der preußischen Landesvertretung erstrebt habe. Ja, meine Herren, wenn es sich hier in erster Linie um die finanzielle Ordnung der Einzel⸗ staaten handelt — denn das Reich ist ja heute in der schönen Lage, einfach die Matrikularumlagen zu erhöhen und alle Ausgaben auf die Einzelstaaten zu werfen —, wenn die preußische Regierung dabei mit⸗ wirkt, diesen Uebelständen entgegenzutreten, muß es da nicht der preußischen Regierung von dem größten Werth sein, hier, wo es sich um das Wohl und Wehe unseres eigenen Staats handelt und um unsere eigene finanzielle Ordnung, sich der Zustimmung, der moralischen Unterstützung seitens der preußischen Landesvertretung zu vergewissern?! Ich gehe aber weiter. Herr Dr. Lieber hat gesagt: Gegen wen sucht denn der Finanz⸗Minister Hilfe, doch nicht etwa gegen den Reichstag? Daß auch fär den Reichstag bei seiner Be⸗ schlußfassung es von hohem Werth sein muß, zu wissen, wie ist denn die Meinung in den Einzel⸗Landtagen, die ja diese Frage unmittelbar angehen, das kann doch nicht dem geringsten Zweifel unterliegen; der Reichstag kann nicht seine Beschlüsse fassen, ohne einigermaßen sich von den Anschauungen in den Einzelstaaten zu unterrichten. Haben die anderen Einzelstaaten und namentlich auch die politischen Freunde des Herrn Dr. Lieber in den Landtagen nicht genau ebenso verfahren? Erinnert man sich nicht der vieltägigen Debatten im bayerischen Landtag über die Stellung, die der bayerische Landtag zu den vorliegenden Fragen einnehmen soll? Haben nicht die gleichen Erörterungen und sogar Beschlüsse, die ich garnicht wünsche — denn es genügt mir der Stimmungsausdruck, wie er hier statt⸗ gefunden hat — auch im bayerischen Landtag stattgefunden, wo auch genau, wie der Herr Dr. Lieber für die Erhaltung des Föderativ⸗ systems in Deutschland und der finanziellen Ordnung in den Einzel⸗ staaten, der Führer des dortigen Zentrums sich für die Nothwendigkeit der Ordnung des Finanzwesens im Reich ausgesprochen hat? Ich glaube also, ich bin ganz korrekt innerhalb der Kompetenz des preußischen Staats und der Aufgaben des preußischen Landtags geblieben, und ich hoffe, diese Debatten hier werden noch nach vielen Richtungen hin nützlich und klärend wirken.
Nun meint aber Herr Dr. Lieber, es sei doch sehr fraglich, ob der jetzige Zeitpunkt zur Durchführung einer solchen Reform richtig gewählt sei. Ich habe darüber gestern schon gesprochen: ich kann mir wohl denken, daß viele der Meinung sind, diese Reform hätte vor sieben, acht Jahren schon versucht und vielleicht gleich mit der Franckenstein'schen Klausel beschlossen werden sollen. Da will ich nun Herrn Dr. Lieber zugestehen, daß die Erfahrungen über die Wirksamkeit der Franckenstein'schen Klausel allerdings gewiß nothwendig waren, um zu diesem Ergebniß zu gelangen. Wenn ich damals, was nicht der Fall war, im Reichs⸗ tag mitgewirkt hätte, würde ich wahrscheinlich auch nicht klüger ge⸗ wesen sein wie die Herren, die damals die Franckenstein'sche Klausel vertraten. Heute aber wissen wir, daß sie in einer gewissen Richtung ergänzt werden muß, wenn sie denjenigen Zweck erreichen soll, den die Urheber ihr unterlegten.
Nun frage ich aber: in welcher Entwickelung befinden wir uns? Wenn der Reichstag die eigenen Einnahmen des Reichs jetzt nicht wesentlich vermehrt, so stehen wir unausbleiblich vor einer perma⸗ nenten Steigerung der Matrikularumlagen. (Sehr richtig!) Wenn wir die Hoffnung haben könnten, die Lage würde sich erleichtern, indem der Bedarf sich in Zukunft verringert, indem die Einnahmen aus Zöllen und Verbrauchsabgaben so sehr anwachsen, daß das Verhältniß der Ueberweisungen zu den Matrikularumlagen sich in Zukunft günstiger stellen würde — dann wäre es vielleicht rationell, noch einige Jahre zu warten, um sich die Durchführung diefer schweren Aufgabe zu erleichtern. Wir wissen aber genau das Gegentheil. Die Situation wird immer schwieriger werden, und die Mittel, die zur
Durchführung der Reform erforderlich sind, werden immer gewaltiger werden. Und, meine Herren, in der Zwischenzeit werden diejenigen Uebelstände, die in der heutigen Finanzordnung des Reichs, in seinem Verhältniß zu den Einzelstaaten liegen, weiter wirken. Also die Sache wird immer schwieriger. Und doch sagt Herr Dr. Lieber mit Recht: diese Reform muß einmal durchgeführt werden. (Sehr gut!)
Also man kann sich nicht damit trösten, man kann die Sache nicht von sich schieben, sie ist nicht bloß eine Finanzfrage. Glauben Sie nur, in der Frage steckt die andere große nationale, politische Frage, ob auf die Dauer ein erträgliches Verhältniß zwischen Reich und Einzelstaaten in Deutschland bestehen wird. (Sehr richtig!) Da soll man nicht diese Sache zurückschieben, man soll, wie unser früheres hiesiges verehrtes Mitglied, Herr Graf Bethusy, einmal sagte, die ge⸗ botene Gelegenheit bei der Stirnlocke ergreifen. (Heiterkeit.)
Ich hoffe daher, daß die Berathung im Reichstag doch zu einer Durchführung der Reform, wenigstens zum wesentlichen Theil, führen wird. Ich habe meinerseits gegen Reichstag nicht das geringste Miß⸗ trauen ausgesprochen. Ich habe gestern und als ich hier zum ersten Mal über die Sache sprach, ausdrücklich meine Zuversicht aus⸗ gesprochen, daß es auch in dieser Reichstagssession gelingen wird, wenigstens im wesentlichen die Reform zu Ende zu bringen.
Herr Dr. Lieber hat mit vollem Recht hervorgehoben, daß auch in Preußen die Finanzreform noch keineswegs beendet ist. Ich stehe ganz auf seinem Standpunkt und habe das mehrfach ausgesprochen unter voller Zustimmung meines Herrn Kollegen für öffentliche Arbeiten, daß wir auch bestrebt sein müssen, diese schwankenden Ver⸗ hältnisse der preußischen allgemeinen Finanzen zu den Eisenbahn⸗ und den übrigen Betriebsverwaltungen fester zu gestalten. Aber der Redner hat selbst anerkannt, daß ich mit Recht sage, gegenwärtig sei das un⸗ ausführbar, und zwar wegen der Ungeklärtheit unserer Finanzverhält⸗ nisse zum Reich. Er giebt also damit zu, daß wir in Preußen die nothwendigsten weiteren Reformen stecken lassen müssen, bis diese große Vorfrage entschieden ist. Das drängt wieder dahin, daß man diese Frage im Reich nicht aufschieben darf, sondern herzhaft in Angriff nehmen muß.
Meine Herren, über die einzelnen Steuern, die wir im Reichs⸗ tage vorgelegt haben, hier zu sprechen, würde allerdings verfehlt sein und eine gewisse Ueberschreitung unserer Kompetenz enthalten. Wie der Reichstag eine Aufgabe, die ihm gestellt ist, lösen wird, das ist allerdings seine Sache. Wir können uns nur darauf beschränken, unsere Meinung im Interesse Preußens darüber auszusprechen, ob die Lösung dieser Aufgabe eine Nothwendigkeit und ob sie dringlich ist. Und das ist nach meiner Meinung gegenwärtig zur Genüge geschehen.
Meine Herren, ich möchte die Gelegenheit benutzen, um noch kurz hier auf einige Einzelfragen in unserem spezifisch preußischen Etat einzugehen. Ich habe gesagt in der einleitenden Erläuterung des Etats, daß die Verhältnisse unseres speziellen Etats sich um etwa 20 Millionen gegen den laufenden Etat gebessert hätten. Diese Besserung liegt doch schließlich, abgesehen von den direkten Steuern, allein im Eisenbahn⸗Etat. Die Ergebnisse des laufenden Jahres sind günstiger, wie vorausgesehen worden war; aber ich möchte noch nicht so bestimmt, wie das von anderer Seite geschehen ist, annehmen, daß die günstigere Gestaltung der Einnahmen der Eisenbahnen, abgesehen von der von mir schon berührten Verminderung der Ausgaben, wesentlich oder gar lediglich durch die Verbesserung der allgemeinen wirthschaftlichen Ver⸗ hältnisse entstanden ist. Denn es sind besondere Ausnahmeverhältnisse in diesem laufenden Sommer gewesen, namentlich das Darniederliegen der Schiffahrt auf unseren großen Strömen infolge des geringen Wasserstands und vielleicht auch, was namentlich den Kohlenverkehr betrifft, die Rückwirkung der großen Strikes in England, die sehr günstig auf unsere Eisenbahneinnahmen gewirkt haben. Ob diese Um⸗ stände noch fortdauern werden im nächsten Jahr, das ist ja garnicht abzusehen, auch nicht wahrscheinlich. Und daher bleibe ich bei meiner von vornherein ausgesprochenen Ansicht stehen, daß, wenn wir die Nettoeinnahmen der Eisenbahnen gegen das Vorjahr von 338 auf 367 Millionen erhöht haben, mit Sicherheit nicht darauf zu rechnen ist, daß die Rechnung besser abschließen wird wie der Etat. Mein Herr Kollege nickt mir zu, und ich freue mich, daß er selbst auch diese Ansicht vertritt. Wir werden uns also keineswegs der Hoffnung hingeben, wie es hier und da in der Presse ausgesprochen ist, daß wir soviel besser abschließen, wie hier an⸗ genommen ist. Wir haben nicht diesen Etat grau oder schwarz gemalt, im Gegentheil, es sind auch sehr unsichere Veranschlagungen da, und man wird also nicht glauben können, daß wir allein uns zu helfen im stande wären ohne die Dazwischenkunft des Reichs.
Meine Herren, nun hat der Abg. Rickert gestern gesagt: was denn diese Schwankungen in den Matrikularumlagen bedeuten wollen gegen die Schwankungen der Eisenbahnüberschüsse, die weit größer seien, wie die aus dem Verhältniß zum Reich sich ergebenden Finanz⸗ schwankungen. Das ist doch der allergrößte Irrthum. Wenn wir im Reich diejenigen Schwankungen, die ich nicht wiederholen will, die der Abg. Dr. Lieber eben nochmals in Erinnerung gerufen hat, vor uns haben, wenn wir in einer Zeit von drei, vier Jahren Schwan⸗ kungen von 112 Millionen haben in dem Empfangenen und in dem zu Leistenden, so können derartige Schwankungen mit den Schwan⸗ kungen in den Eisenbahnergebnissen absolut nicht verglichen werden. Da haben wir von 1889/90 ab im ersten Jahre 296 Millionen, im zweiten Jahre 321 Millionen, dann kommen wir auf 311 Millionen herunter, bleiben bei 313 Millionen und endlich im Jahre 1892/93 auf 336 Millionen, etatisieren für das laufende Jahr 338. Millionen und für das folgende Jahr 367 Millionen. Das sind also Schwankungen von 10 bis 20-Millionen, die nicht im ent⸗ ferntesten den Vergleich aushalten können und nicht entfernt so be⸗ denklich sind wie die Schwankungen in den Finanzverhältnissen durch die Ueberweisungen und Matrikularbeiträge. Nichtsdestoweniger erkenne ich weniger der Schwankungen wegen als wegen einer soliden Finanz⸗ gebahrung überhaupt die Nothwendigkeit an, daß das sogenannte Eisenbahn⸗Garantiegesetz vom Jahre 1882 geändert wird, und die Eisenbahnverwaltung steht dabei auf demselben Standpunkt. In dem Augenblick, wo wir die Zukunft der Finanzen durch eine ander⸗ weite Ordnung des Reichs⸗Finanzwesens überhaupt zu übersehen im stande sind, wo wir — was für eine solche Reform unerläßlich ist — mit benannten Zahlen rechnen können, wird Ihnen ein solcher Gesetzentwurf vorgelegt werden. Ich halte das für den ruhigen Fortgang unseres preußischen Finanz⸗ wesens im höchsten Grade wünschenswerth.
Einige der Herren Redner haben sich doch noch nicht zufrieden gegeben mit denjenigen Ausgaben in unserem Etat, die als L.
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meliorationen zu bezeichnen sind. Namentlich Herr Dr. Sattler hat sich darüber beklagt, daß man für die Korrektion der Flüsse, Ver⸗ besserung der Kanäle und Schiffahrtseinrichtungen nicht genug thäte. Demgegenüber möchte ich doch einmal darauf hin⸗ daß wir uns in diesem Augenblick in Ausführung und Verwendung von 168 Millionen laufenden Krediten befinden, — ganz abgesehen von den großen Ausgaben, die wir aus dem Ordi⸗ narium für diese Wasserbauten machen — und daß dieselben bereits zur Verwendung gekommen sind bis zum Rest von 46 Millionen. Ich möchte ferner darauf hinweisen, daß wir im Begriff sind, die Verhandlungen über den Bau des Dortmund⸗Rhein⸗Kanals zum Abschluß zu bringen und möglicherweise dem Landtag eine Vorlage gemacht wird. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Arbeiten zur Inangriffnahme des Binnenlandkanals in vollem Gange sind und daß Sie noch Vorlagen bekommen werden in Betreff der Ver⸗ bindung der Ostsee mit der Elbe, des sogenannten Travekanals.
Ich glaube, in so schwierigen Finanzzeiten, in denen wir uns be⸗ finden, kann man diese Beschwerden so nicht wohl erheben; im Gegen⸗ theil, man muß erkennen, es geschieht, was irgend möglich ist. Denn wollen Sie bedenken, daß Ausgaben von zehn Millionen für die Netze, für die Kanalisierung der Fulda fünf bis sechs Millionen außerdem noch aus dem laufenden Etat bestritten werden und daß wir in diesem laufenden Jahre mit meiner Zustimmung und hoffentlich mit Ihrem demnächstigen Willen mit Rücksicht auf den günstigen Wasserstand, die billigen Löhne, den Mangel an Beschäftigung alle diese Bauten so sehr beschleunigt haben, daß die bewilligten Jahresraten bereits erheblich überschritten sind.
Was nun die Eisenbahnen betrifft, so können Sie doch, was in dieser Beziehung extraordinär geschehen soll, heute noch nicht über⸗ sehen. Das kann ich Ihnen aber doch verrathen, daß Sie eine Vor⸗ lage mit sehr erheblichen Forderungen für Sekundärbahnen bekommen werden, und daß hier auch der Beweis wird geführt werden, daß keineswegs die Staatsregierung, wie man bei der Berathung des Ge⸗ setzes über die Kleinbahnen befürchtete, sich vollständig aus diesen Betrieben herauszuziehen gedenkt, um von nun an den Bau der Sekundär⸗ und Kleinbahnen allein dem Privatkapital und den Unter⸗ nehmungen der Verbände zu überlassen. Daneben wird wahr⸗ scheinlich Ihnen noch genauer mitgetheilt werden, daß doch auch der Bau der Kleinbahnen in sehr erfreulichem Fortschritt sich befindet, wenigstens in einer Reihe von Provinzen, und daß sehr wohl anzu⸗
nehmen ist, daß wir in dieser Beziehung uns erst in den Anfängen.
befinden, und daß man auch durch eine bessere Ordnung der recht⸗ lichen Verhältnisse der Kleinbahnen in dieser Beziehung noch fördernd einzuwirken bestrebt sein wird. 8
Meine Herren, von Ersparungen, die gegenüber den Ansätzen der Staatsregierung möglich wären oder erwünscht sein würden, habe ich bisher in den ganzen Debatten nicht das geringste gehört. (Wider⸗ spruch.) Es sind zwei Punkte angeführt, extraordinäre Verwendungen. Es ist erwogen, ob es nothwendig wäre, gegenwärtig den Bau eines Museums vorzubereiten durch Niederlegung eines Gebäudes, das jetzt zu Staatszwecken verwendet wird, und einen Ersatz desselben Ge⸗ bäudes für die Steuerverwaltung, ebenso ob es nothwendig wäre, ein Haus in der Wilhelmstraße anzukaufen. Das sind einmalige Verwendungen, die im großen und ganzen nicht viel ausmachen. Aber der laufende Etat ist nicht allein nicht bemängelt nach der Seite, daß zuviel da verausgabt werden soll, sondern umgekehrt, es ist ge⸗ sagt, in vielen Beziehungen ist noch viel zu wenig verausgabt. (Sehr richtig!) Ich konstatiere das nur, um zu zeigen, daß wir durch Ver⸗ minderung unserer eigenen Ausgaben unser mit 70 Millionen veranschlagtes Defizit nicht um irgend wesentliche Beträge herabsetzen können, daß es vielmehr nothwendig ist, sei es im Reich, sei es in Preußen, unsere Einnahmen zu vermehren. (Widerspruch.) Es wird das hier neben mir nicht angenehm vermerkt, aber es ist doch so. Ich würde sehr froh sein, wenn mir, sei es im Reich, sei es hier, jemand andere Wege zeigen könnte, wie man unser Defizit beseitigt. Aber darüber ist glücklicherweise allgemeine Uebereinstimmung, daß dieser Zustand, wo wir sogar wachsende Fehlbeträge in unserem Etat durch Anleihen decken, nicht bestehen bleiben kann (sehr richtig!), ohne daß die allergrößte Gefahr für die Solidität unseres Finanzwesens entsteht. Wenn also der Reichstag nicht helfen wollte — wir können ihn ja nicht zwingen — dann erblicke ich darin die Uebereinstimmung, daß wir uns in Preußen selbst helfen müssen, und daß wohl kaum ein anderes Mittel übrig bliebe, als erhebliche Zuschläge zur Ein⸗ kommensteuer eintreten zu lassen. Es wäre dies traurig, aber doch eine Nothwendigkeit.
Meine Herren, der Herr Abg. von Eynern hat gemeint, ich hätte zum ersten Mal davon gesprochen, daß unsere Finanzzustände gesunde und im Verhältniß zu andern Staaten glänzende wären. Ich glaube, dann hat er doch — was ich ihm nicht verdenken will — meine früheren Reden zum Etat nicht mehr in Erinnerung; denn ich habe stets dasselbe gesagt. Aber ich habe diesmal das Wörtchen „noch“ schärfer betont als je zuvor. Gewiß, wir haben noch günstige und im Verhältniß zu andern finanziell schlecht stehenden Staaten auch glänzende Finanzzustände, darüber kann gar kein Zweifel sein; aber ich habe immer betont, wir müssen sie auch erhalten. Das, was wir von unsern Vätern an sparsamer, solider, vorsichtiger Finanzverwaltung geerbt haben, das wollen wir auch unsern Nachkommen hinterlassen, und das ist eine Pflicht und Schuldigkeit nicht bloß der Regierung, sondern auch der Landesvertretung. Die hierfür erforderlichen Opfer müssen auch Sie zu bringen bereit sein und ich bin davon überzeugt. — Es ist sehr richtig hier unterschieden: unsere Bilanz als Staat steht un⸗ gemein günstig im Verhältniß zu der Bilanz der übrigen Staaten. Wenn wir unser Vermögen vergleichen mit unsern Schulden, so er⸗ giebt das eine außerordentlich günstige Bilanz. Aber auf diese günstige Bilanz hin haben wir nun auch in den letzten zwanzig Jahren unsere Beschlüsse bereits gefaßt. Von der Vermehrung der Schulden will ich ganz absehen; von der geringen Tilgung unserer Schulden, namentlich unserer Eisenbahnschulden seit dem Jahre 1880, habe ich Ihnen schon oft gesprochen. Wenn wir die gesammten Ueberschüsse der Eisen⸗
beahnen nur bis zu einer Tilgung der Schuld vom Jahre 1880 bis 1890
auf durchschnittlich 1 ½ % gebracht haben; wenn wir gegenwärtig unsere Schuld, welche beträgt 6 424 000 000 ℳ, mit im ganzen nur 41 Millionen tilgen, sodaß der Tilgungsbetrag herauskommt von 0,64; wenn Sie bedenken, daß dieser Tilgungsbetrag sich bezieht auf Schulden für gewissermaßen gewerbliche, industrielle Unternehmungen; wenn Sie be⸗ denken, daß wir bei den Eisenbahnen weder einen Reservefonds, noch einen Erneuerungsfonds einstellen, daß wir garnichts sonst abschreiben: so geht hieraus gan deutlich hervor, daß wir wie gesagt, auf diese
günstige Vermögenslage hinaus unseren Ausgabe⸗Etat in Gehalten, Einrichtungen aller Art in allen Staatsverwaltungszweigen bereits soviel angespannt und vermehrt haben, daß wir disse günstige Bilanz nicht mehr für uns anzuführen berechtigt sind, um zu glauben, wir könnten uns einer vorsichtigen, ich möchte sagen ängstlich vorsichtigen Behandlung unseres Etats entschlagen. Ob Sie, meine Herren, den Etat belasten durch Zinsen für Anleihen, macht gar keinen Unter⸗ schied, als in dem anderen Fall, wenn Sie ihn belasten durch dauernde Erhöhung aller sonstigen Ausgaben, Beamtengehälter, Vermehrung der Stellen, Dotation der Schulen u. s. w. Wenn Sie eine richtige Vermögensbilanz aufstellen wollen, dann müssen Sie die gesammten Verpflichtungen des Staats gegenüber den gesammten Einnahmen aus den Besitzthümern des Staats stellen; und wenn Sie diese Bilanz aufstellen würden, würden Sie finden, daß sie in den letzten zehn Jahren sich gewiß nicht verbessert hat.
Ich glaube, meine Herren, aus dieser Debatte wird sich das er⸗ geben, was sich fast jedes Jahr ergeben hat, aber in steigendem Maße: Vorsicht in den Ausgaben und, soweit nöthig, Entschlossenheit, die Höhe unseres Ausgaben⸗Etats mit dem dauernden Betrage unserer Einnahmen in Einklang zu bringen. (Bravo!)
Abg. Dr. Arendt (frkons.) bestreitet, daß die Katholiken nicht
paritätisch behandelt würden; die Rede des Herrn Lieber sei sehr staatsmännisch und belehrend gewesen, aber über die Stellung des Zentrums habe sie keine Klarheit gebracht, denn das Ende habe dem Anfang widersprochen. Aber das steht jetzt fest, fährt der Redner fort, daß der Jubel über das Scheitern der Finanzreform ein voreiliger war. Fehlbeträge im Etat sind nicht zu verwundern; sie sind bei schlechten wirthschaftlichen Verhältnissen nothwendig in einem Staat, der durch Betriebe aller Art mit dem wirthschaftlichen Leben enge Beziehungen hat. Trotz der schlechten Lage der Finanzen hätte man doch manche Ausgaben in Aussicht nehmen können, deren Zurückstellung allgemein schwer empfunden wird. Gerade der Zeitpunkt schlechter Finanzen ist recht geeignet für einen Reformplan, namenklich weil dem Unwesen des Schuldenmachens baldigst ein Ende gemacht werden muß. Wenn man sich die Steuervpolitik der freisinnigen Partei ansieht, dann kommt man auf den Gedanken, daß sie sich ihrer vollen Verant⸗ wortung nicht bewußt ist; das zeigt ihre Behandlung der Ein⸗ kommensteuer, der Börsensteuer ꝛc.; man hascht nur nach Popularität. Der Weinsteuer wird Widerstand entgegengesetzt; wenn eine Reichs⸗ Einkommensteuer vorgelegt würde, würden die Freisinnigen auch widersprechen. Es bleibt immer nur der Hinweis auf die Liebes⸗ aben. Der Reformplan im Reich hat nicht nur eine finanzielle, sondern auchz eine nationale Bedeutung; deshalb ist zu hoffen, daß das Zentrum demselben noch zustimmen wird. Ein Reichs⸗ Finanz⸗Minister wäre mir sehr sympathisch; aber nothwendig wäre auch die Wiedervereinigung des Reichskanzleramts mit dem Minister⸗Präsidium in Preußen, das sage ich ohne persön⸗ liche Hintergedanken, denn auch ich billige den Ruf: Fort mit Caprivi! nicht. Die wirthschaftlichen Mißstände führe ich auf die angeblich bewährte Goldwährung zurück. Von Sonderinteressen einzelner Berufsstände kann ich nichts entdecken. Trotzdem ich auch ohne Ar und ohne Halm bin, stehe ich auf Seiten der Agrarier. Von sieben mageren und sieben fetten Jahren kann man heute nicht reden. Die sieben mageren Jahre hatten ihre Ursache im Mißwachs; heute aber ist der Niedergang entstanden infolge veränderter Produktions⸗ und Verkehrsverhältnisse, die sich erst in Jahrzehnten vielleicht ausgleichen. Man sagt, der Handel und die Industrie müßten denselben Anspruch erheben wie die Landwirthschaft. Das ist nicht richtig. Ein Zigarren⸗ händler kann seinen Laden schließen und etwas Anderes an⸗ fangen; ein Fabrikant kann, wenn auch vielleicht mit Schaden, sein Geschäft liquidieren. Der Landwirth muß produzieren, wie auch die Verhältnisse sind. Die Doppelwährung soll nicht herbei⸗ führen, daß Goldschulden mit dem schlechten Silber bezahlt werden können, sondern der Werth des Silbers soll gehoben und dann follen die in Silber abgeschlossenen Schulden in dem vollwerthigen Silber zurückgezahlt werden. Wo waren denn Herr Rickert und seine Freunde, als alle Silberschulden in Goldschulden verwandelt wurden? Mit dem Abg. von Eynern freue ich mich des Ereignisses des Tages, der Wiederherstellung guter Beziehungen zum Altreichskanzler Fürsten Bismarck. Hoffentlich gelingt es, auch andere Schwierigkeiten zu beseitigen, namentlich auch die Gegensätze, die sich bei dem russischen Handelsvertrag herausbilden müssen. Hoffentlich klärt die Interpellation die Sachlage auf. “
Abg. Richter (frs. Volksp.): Das wird sich erst zeigen, wenn die Interpellation zur Verhandlung kommt, die ja nur eingebracht ist, weil man für einen Antrag keine Aussicht hatte. Ich habe den gestrigen Berathungen nicht beiwohnen können; allein ich habe dabei nichts verloren, denn es war ja nur der Abhub des Reichstags, der hier aufgetischt wurde. Herr von Kardorff hat sogar versucht, die Debatte über den Nothstand hier fortzusetzen. Börsensteuern sind ja populär, aber es ist nicht immer leicht, populäre Steuern einzuführen. Die Niedergeschlagenheit hat sich wieder aufgerichtet an der Rede des Abg. Lieber; aber wenn man an diese Kurs⸗ steigerung Spekulationen anknüpft, dann möchte ich doch keine Hausse⸗ etenen an diese Rede des Herrn Lieber knüpfen. Der Widerspruch gegen die Weinsteuer beweist doch, daß man im Zentrum nicht geneigt ist, zur Durchführung der Finanzreform etwas zu thun. In eine akade⸗ mische Erörterung über die Finanzreform möchte ich nicht eintreten; es handelt sich um die formale Frage, ob ein neuer Geldschrank auf⸗ gestellt werden soll. Der Geldschraak mag sehr schön und neu sein, aber man ist nicht bereit, in den Geldschrank irgend etwas hineinzu⸗ legen. In Bezug auf die Zeit und die Mittel der Reform weicht Herr Lieber vom Finanz⸗Minister ab. Es bleibt also Greifbares zurück. Die jetzige Zeit ist allerdings die denkbar un⸗ günstigste, denn man müßte doch die vorliegenden erhältnisse ordentlich übersehen können. Die clausula Franckenstein ist nicht das Endziel finanz⸗ politischer Weisheit. Ich hüte mich, mich darüber näher auszusprechen, weil man damit nicht sicher ist, so lange man umhergeht auf der Steuer⸗ suche. So lange direkte Steuern im Reich nicht eingeführt werden, muß die Franckenstein'sche Klausel aufrecht erhalten werden. Denn nach dem Reformgesetz sollen die Ueberschüsse beim Reich bleiben. und die Einzelstaaten auf 40 Millionen Ueberweisungen fixiert werden. Was bedeutet die Vorlage? Das Reich will die natürlichen Mehr⸗ einnahmen der Reichssteuern für sich verwenden; die Einzelstaaten werden entschädigt mit einer festen Summe, die aber aus neuen Steuern genommen werden soll. Die natürlichen Mehreinnahmen des Reichs werden dadurch verwendbar für die Zwecke des Reichs. Diese ehreinnahmen sind amtlich auf 80 Millionen Mark be⸗ rechnet worden; sie erhöhen sich durch andere Mehreinnahmen auf 114 Millionen, und diese Summe soll frei gemacht werden von der Konkurrenz der Einzelstaaten. Es handelt sich also nur darum, neue Steuern auf Vorrath zu bewilligen. Der Finanz⸗ Minister hat mit vö verwiesen auf die Uebereinstimmung der drei Kartellparteien. Das macht ihm Freude und kostet uns nichts. Viel schlimmer wäre es, wenn man im Reichstage mit seiner Finanzreform einverstanden wäre. Uebrigens ist es mit der Einmüthigkeit der Z nicht weit her, ebenso wie mit der Einmüthigkeit der egierungen, die man ja an dem Vor⸗ gange vom Sonnabend im Reichstage beurtheilen kann. Gegen die Pabacksteuer haben sich Nationalliberale, und Konservative aus⸗ gesprochen, für die Weinsteuer nur Konservative; ob auch nur ein einziger Nationalliberaler für die Weinsteuer ist, weiß ich nicht. Hier kann man sich für neue Steuern begeistern, wo eine Abstimmung vor dem Lande nicht stattfindet, wo die Verant⸗ wortung fehlt. Uebrigens sind die anderen Einzel⸗Landtage auch nicht so begeistert. Der Finanz⸗Minister meint, man brauche im Reich nur Matrikularbeiträge auszuschreiben; aber ohne Zustimmung des Bundesraths können sie nicht ausgeschrieben werden. Warum erhebt
der Finanz⸗Minister nicht dort Widerspruch gegen die Erhöhung der “ “ 8 “
Ausgaben? Graf Limburg⸗Stirum will ein Vorverfahren einführen, ehe die Finanzvorlagen vom Reichstag in den Bundesrath gelangen. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber ein solches Vorverfahren würde z. B. bei der Militärvorlage nichts genützt haben. Die Grund⸗ züge derselben sind dem Staats⸗Ministerium mitgetheilt worden
man hat aber nicht gehört, daß der Finanz⸗Minister Widerspruch erhoben hätte auch nur gegen das Plus von Ausgaben, welches der Antrag Huene nachher als überflüssig bewies. “ ist allerdings hier getrxieben worden. Die Vermehrung der Reichsschulden im letzten Jahre rührt aus den Marine⸗ und Militärforderungen her, die doch von seiten der Regierung gebilligt wurden. So lange so große Anleihen gemacht werden, ist eine jede Schulden⸗ tilgung die reine Spielerei. Eine Besserung ist nur dadurch zu erreichen, daß man einmalige Ausgaben auf die laufenden Ein⸗ nahmen übernimmt; in dieser Beziehung hat der Reichstag mehr gethan als die verbündeten Regierungen. Herr Sattler hat das Defizit höher berechnet gls 70 Millionen. Ganz recht; die Ver⸗
minderung der Aktiven muß in Rechnung gestellt werder aber auch
die Vermehrung der Aktiven und die Verminderung der Passiven. Es handelt sich nur um ein Kassendefizit. Auch ich berechne das Defizit um 13 Millionen höher als die Vorlage. Aber das Extraordinarium der Eisenbahnverwaltung, welches mit 20 Mi lionen aus den laufenden Mitteln gedeckt wird, ist eine Vermehrung des werbenden Kapitals. Dazu gehört auch die Erneuerung des Oberbaues und der Betriebsmittel über den Betrag inaus, der durch den Betrieb verbraucht wird Ebensolche Posten findet man bei der Bergwerks⸗, Forst und Domainenverwaltung. Alles das zusammen ergiebt eine Summe von 51 Millionen Mark. Dazu kommt das Plus von 41 Millionen Schuldentilgung, sodaß 92 Millionen Verbesserung dem Defizit von 83 Millionen gegenüberstehen. Das sind also 9 Millionen mehr. Es ist von anderer Seite schon darauf hingewiesen worden, daß der Etat sich schlechter stellt, weil man die Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer verfassungswidrig nicht in den Etat ein⸗ stellt. Um die paar Millionen Zuschuß für Schulen braucht man die Summe nicht zu kapitalisieren. Man verkauft ja gar keine An⸗ leihen, sondern rechnet sie nur gegen diese vorhandenen Beträge au Graf Limburg hat gesagt, nur die augenblickliche Finanzlage sei schlecht. Das ist richtig; deswegen darf man nicht dauernde Steuervorlagen machen. Wenn über die schlechte Schuldentilgung geklagt wird, so vergißt man, daß 1887 bis 1890 270 Millionen Schulden ordentlich ge⸗ tilgt worden sind. Daß die Finanzen den untersten Punkt überschritten haben, giebt auch der Finanz⸗Minister zu; das weisen auch die Rech nungen nach. Wie weit wir von normalen Verhältnissen entfernt sind, beweist der Umstand, daß, wenn man die Eisenbahneinnahmen nur nach den letzten 10 Jahren berechnete, man 30 Millionen mehr einstellen könnte. Die Etatsberathungen des Haufes werden ja an dem Etat sehr wenig ändern; sie unterscheiden sich darin von der Berathung des Reichstags; denn es fehlt hier der bewegliche Faktor in den Einnahmen. Es wird viel geredet, aber wenig übe den Etat, und es wird noch viel weniger daran geändert. Beim Etat des Reichstags kann das Haus Ersparnisse machen — das gesetz 8 Programm des Landtags ist sehr knapp bemessen; die Ar
eiten könnten sehr beschleunigt werden, wenn das Haus verzichten wollte, über Dinge zu sprechen, welche es nichts angehen, welche vor den Reichstag gehören. Sie erschüttern nur die Luft und haben nicht den geringsten Einfluß. 1
Finanz⸗Minister Dr. Miquel
Meine Herren! Gestatten Sie mir, den Ausführungen des Herrn Abg. Richter gegenüber einige Gegenbemerkungen zu machen. Im Eingang hat der Herr Abg. Richter in seiner Weise, die ich bereits im Reichstag charakterisiert habe, die Sache so dargestellt, als wenn diese Finanzreform, wie sie im Reichstag vorgeschlagen wird eigentlich zum Nachtheil der Einzelstaaten ersonnen wäre. E muß doch von der Befähigung der sämmtlichen Finanz⸗Minister aller deutschen Einzelstaaten einen sehr sonderbaren Begriff haben wenn er glaubt, daß sie eine Finanzreform vorlegten, die die Finanzen ihrer eigenen Staaten in einer solchen Weise schädigten, wie de Herr Abg. Richter die Sache dargestellt hat. Er verweist namentlich die Herren vom Zentrum darauf, daß ja die einzelnen Staaten au die vollen Ueberweisungen, die nach der Franckenstein'schen Klause möglich wären, verzichten, und daß das ein sehr schlechtes Geschäf sei, wenn Sie dagegen eine sichere feste Ueberweisung von jährlich vierzig Millionen bekämen und zugleich die Garantie, daß die Matrikularumlagen in Zukunft zu ihrem Nachtheil nicht mehr steigen können.
Nun, ich brauche dies bloß auszusprechen, um zu zeigen, wie irri diese Auffassung ist. Alle Finanz⸗Minister der Einzelstaaten sind über zeugt, daß die Aussicht, in Zukunft Mehrüberweisungen ohne di Finanzreform zu bekommen als 40 Milliionen, verglichen mit der Gefahr einer weiteren Steigerung der Matrikularumlagen, die den einzelnen Staaten zur Last kommen, absolut gleich Luft ist. Sie erblicken hierin einen sehr bedeutenden Gewinn der ganzen Reform nicht bloß für die Konsolidierung, Stabilisierung und Sicherung ihrer Finanzen, sondern auch in der direkten Garantie vo Mehrüberweisungen, für welche sonst kaum irgend eine denkbare Aus sicht gefunden werden kann. Ich glaube also, der Herr Abg. Richter braucht sich in der Beziehung nicht zu ängstigen für die Einzelstaaten. Die gesammten Regierungen wissen die Lage genügend zu beurtheilen um sich solchen Rathschlägen anzuschließen.
Nun sagt der Herr Abg. Richter: Ja, die Einmüthigkeit über die Nothwendigkeit einer Finanzreform, wie sie sich hier kundgegeben habe, sei im Reichstag garnicht vorhanden; dort sei in den Parteien erhebliche Meinungsverschiedenheit, auch in den sogenannten Kartellparteien Ich habe von einer Einmüthigkeit im Reichstag garnicht gesprochen nicht ein Wort, ich habe nur die Einmüthigkeit über die Nothwendig keit ei ner definitiven Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzel staaten hier im Hause gekennzeichnet. Wie die Sache sich im Reichs tag schließlich stellen wird, wenn die Abgeordneten im Reichstag vor die Fragen kommen, die ich schon im Reichstag den Herren vorgelegt habe, wie sie wohl empfangen werden würden, wenn sie weiter nichts mitbringen als eine so kolossale Steigerung der Matrikularumlage zu Lasten ihrer Heimathländer, oder ob sie das Reich angemessen heranziehen wollen zu solchen Ausgaben, die doch zweifellos im Reich gemacht worden sind, wird sich erst noch finden. In den Prophe⸗ zeiungen des Herrn Richter sind schon viele Parteien als sterbend oder todt bezeichnet, beispielsweise die nationalliberale Partei stirbt eigent⸗ lich schon seit zwanzig Jahren. (Heiterkeit.) Ich sehe noch nicht, daß das eingetroffen ist; wohl aber sehe ich, daß andere Parteien that⸗ sächlich im Absterben begriffen sind. (SHeiterkeit rechts.)
Der Abg. Richter sagt, diese ganze Finanzreform ist nichts werth Bedeutung liegt nur darin, daß Bundesrath und Reichstag dafür sorgen, daß die Ausgaben nicht allzusehr steigen und daß extraordi gäre Ver⸗ wendungen aus den laufenden Mitteln in thunlichst hoher. Maße ge⸗ zahlt werden. Ich verkenne das nicht entfernt und un terschreibe die beiden Sätze des Herrn Abg. Richter vollständig, voaß man damit viel erreichen würde. Aber den Satz wird mir niemand bestreiten können, daß es in der menschlichen Natur lieg’, wenn man stets parate Mittel zur Hand hat, sie leichter zu Ausgaben zu
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