1894 / 34 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Feb 1894 18:00:01 GMT) scan diff

erhebli schärfer gefaßt werden. Die bestehenden landwirth⸗ schaftli Vereine, Zentralvereine, das Landes⸗Oekonomie⸗ Kollegium und der Deutsche Landwirthschaftsrath haben ja gut gewirkt, aber sie haben doch das Gewicht wie eine gesetzlich organisierte Körperschaft. Redner hat aber Bedenken bezüglich der Besteuerung; die Grenze, bis zu welcher die Kammern ohne weiteres Steuern er⸗ heben könnten, sei zu hoch gegriffen. Die Bedenken wegen der Wahlen seien nicht stichhaltig; denn es sei ja jeder ; über⸗ vs das Wahlrecht nach ihren Bedürfnissen zu regeln. Die Staats⸗ zuschüsse, welche die landwirthschaftlichen Zentralvereine erhalten, müßten nicht vermindert, sondern erhöht werden; denn sie reichen nicht an das heran, was Handel und Gewerbe vom Staat erhalten. Eine besondere Beachtung verdient noch das Wahlrecht der Pächter, welches durch Vertrag zwischen 8. und Verpächter geregelt werden soll. Die Grenze für das Wahlrecht sollte nicht zu hoch ge⸗ setzt werden, damit nicht eine zu Zahl der Landwirthe vom hlrecht ausgeschlossen wird. Man sagt, die Landräthe seien konservativen Wahlen gewesen. Das bestreite ich; aber wenn es wahr wäre, so wäre die Geburt bei uns immer noch ziemlich von statten gegangen; bei den Freisinnigen war es schwieriger: da mußte der Doktor helfen und zur Zangengeburt schreiten. Daß eine Verschiedenheit der Inter⸗ essen zwischen großem und kleinem Grundbesitz besteht, erkennen wir nicht an. Wenn ein Bauer sich bei Herrn Rickert Rath holt, so kann er mir leid thun. Die Deutsche Landwirthschaftsgesellschaft wird von der Vorlage gar nicht berührt; denn sie hat mit den wirth⸗ schaftspolitischen Dingen nichts zu thun. Außerdem gehören ihr meist nur die größeren Grundbesitzer an. Was Herr Rickert bei dieser Gelegenheit vom Bunde der Landwirthe wollte, ist schleierhaft ge⸗ blieben. Die Einigkeit der Landwirthe scheint ihm doch ein Dorn im Auge zu sein. Wir werden mit Vertrauen an die Berathung der Vorlage der Regierung herantreten. Wenn auch von hoher Stelle gesagt ist, daß Deutschland ein Industriestaat werden müßte, so halten wir das doch für ein großes Unglück. Wir verzweifeln nicht daran, 8 es gelingen wird, bessere Zustände für die Landwirthschaft herbei⸗ zuführen. Wenn wir das nicht hofften, dann müßten wir ja auch an der Zukunft des Vaterlandes verzweifeln. bg. Graf Strsc ni (Zentr.): Ich bin dem Abg. von Czarlinski dankbar dafür, daß er Herrn Rickert, der erst am Ende der Rednerliste stand, seinen Platz eingeräaumt hat. Ich habe die Rede des Abg. Rickert so erwartet, wie sie ausgefallen ist. Wenn Herr Rickert etwas bekämpft, muß für uns Landwirthe entschieden etwas Gutes daraus entstehen. Redner ist im allgemeinen mit der Vorlage einverstanden, wünscht aber, daß den Landwirthschaftskammern eine größere Bedeutung beigelegt würde, als die Vorlage es thue. Der Minister, fährt er fort, wird hoffentlich den dahin gehenden An⸗ trägen Folge geben. Die Ziele sind sehr weit gesteckt, aber die Be⸗ fugnisse der Kammern sind nicht groß genug. Sie können gehört werden als Begutachter; besser wäre es doch, sie „müssen“ gehört werden, denn sonst würden sie z. B. beim Abschluß des österreichischen Handelsvertrags doch nichts bedeutet haben. Da könnte man lieber bei den Zentralvereinen bleiben. Aus den landwirthschaftlichen Vereinen heraus kann man im Osten die Landwirthschaftskammern nicht schaffen; ob das im Westen möglich wäre, lasse ich dahingestellt. Aus den Zentralvereinen werden allerdings die bewährten Mitglieder genommen werden für die Land⸗ wirthschaftskammern; sie werden also in ihrer alten Thätigkeit bleiben; aber sie werden mehr Leute und mehr Geld hinter sich haben und dadurch eine höhere Bedeutung bekommen. Die lokale hätig⸗ keit der Zweigvereine wird nothwendiger und wichtiger als je werden. Die Landwirthschaftskammern müssen frei bleiben von allem bureau⸗ kratischen Einfluß und von jeder politischen Tendenz. Ueber die Mit⸗ wirkung der Kammern bei den Preisnotierungen der Produktenbörsen ist nichts Genaueres bestimmt; hoffentlich geschieht das noch in der Kommission. Den Kammern muß die Berathung des Statuts überlassen werden; gewisse Muster und Direktiven kann die Regierung geben; aber das Statut sollte nicht oktroyiert werden. Auch die Ruflifung der Kammern sollte ausgeschlossen werden, sonst sind sie in ihrem Votum nicht frei. Die Wahlen sind zu kompliziert; man darf keinen Unterschied zwischen dem großen und kleinen Grundbesitz machen. Die Nothlage der Landwirthschaft ist entstanden daraus, daß die Einnahmen nicht mehr die decken. Deshalb ist die Vorlage keine Abhilfe für jetzt. Die em entgegenzutreten hat die Regierung die Verpflichtung, weil sie es zum großen Theil verschuldet hat. Durch das Aktiengesetz hat die Staats⸗ regierung das platte Land entvölkert; sie hat unseren Viehexport zer⸗ stört, sie hat die gemischten Transitläger eingeführt, und was ist der russische Handelsvertrag anders als eine Beasn tigung der ausländischen Landwirthschaft? Deshalb glaube ich, daß diese Vorlage noch nicht das letzte Wort der Regierung sein wird. Je schneller sie vor⸗ wärts geht, desto mehr wird sie sich den Dank der Landwirthe ver⸗ dienen.

Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden

Meine Herren! Der Haupteinwand gegen die Vorlage bezieht sich darauf, daß die landwirthschaftlichen Zentralvereine und überhaupt die freie Vereinsthätigkeit dasselbe leisten können, was die Landwirth⸗ schaftskammern leisten sollen. Dem gegenüber bemerke ich in Wieder⸗ holung dessen, was ich gestern gesagt habe, daß die Königliche Staats⸗ regierung nicht beabsichtigt, durch diese Vorlage die Thätigkeit der landwirthschaftlichen Vereine, namentlich in der lokalen und in der Kreisinstanz irgendwie zu beeinträchtigen; diese Vereinsarbeit ist auch in der Folge absolut nothwendig.

Ebenso besteht unter Zusammenhalt der Begründung und des Textes des Gesetzentwurfs gar kein Zweifel darüber, daß nach Absicht der Königlichen Staatsregierung die landwirthschaftlichen Zentral⸗ vereine nicht gegen ihren Willen aufgehoben, resp. den künftigen Landwirthschaftskammern inkorporiert werden können. Es ist in dem § 2 des Gesetzes gesagt: die Landwirthschaftskammern könnten diese Funktion übernehmen, um darauf hinzuweisen, daß eine Vereinigung dieser beiden Organisationen erwünscht ist. 1

Eine derartige Verschmelzung im Wege der Vereinbarung ist ja gar nicht etwas Außerordentliches. Wir haben derartige Vorgänge gehabt bei der Einführung der Provinzialordnung. Es bestanden damals Kommunalverbände in einzelnen Landestheilen. Ohne Schwierigkeiten ich habe selbst dabei mitgewirkt sind in der Mark und Pommern die Kommunalverbände mit ihren vielseitigen Obliegenheiten im Wege der Vereinbarung in den Provinzialverbänden aufgegangen. Ganz in derselben Weise wird auch eine Verschmelzung der Zentralvereine mit den Landwirthschaftskammern stattfinden können und meiner Ueberzeugung nach stattfinden.

Also, ich wiederhole, die nutzbringende Thätigkeit der landwirth⸗ schaftlichen Vereine und ihrer Institutionen wird von der Königlichen Staatsregierung in keiner Weise verkannt, es wird auf die fernere freiwillige Arbeit nicht verzichtet, und es wird auch in den Landwirth⸗ schaftskammern der breiteste Raum vorhanden sein, um diese Thätigkeit auszuüben,

Nun leugne ich gar nicht,

die Hebammen der

daß, als die Frage der Land⸗ wirthschaftskammern zuerst an mich herantrat, ich den Ein⸗ druck gehabt habe: im Lande wird man nur das Wort „neue Steuern“ heraushören, und es müsse Bedenken erregen, ob diese Organisation den nothwendig damit verbundenen großen Wahlapparat rechtfertige. Am nächsten lag es ja vielleicht, wenn man eine bessere Vertretung der Landwirthschaft für nöthig hielt, die bestehenden land⸗ wirthschaftlichen Organe, das heißt die Vereine, mit vermehrten

Rechten auszustatten. Man hätte sagen können: es ist jedem Land⸗ wirth unbenommen, in die landwirthschaftliche Vereinsorganisation einzutreten und sich dadurch eine Einwirkung auf die Beschlüsse und Verwaltung der landwirthschaftlichen Vereine zu verschaffen; deshalb ist es unbedenklich, den bestehenden Vereinen ein Besteuerungsrecht beizulegen. Bei den Vorverhandlungen hat man jedoch diesen Weg nicht für gangbar gehalten. Man kam allseitig zu der Ueberzeugung, daß die gewünschte festgegliederte Vertretung der Landwirthschaft mit Besteuerungsrecht auf Wahl aller Berufsgenossen beruhen müsse. Das hat zu den Landwirthschaftskäammern geführt. Wir haben eine allmähliche Um⸗ wandlung der bestehenden landwirthschaftlichen Zentralvereine in Land⸗ wirthschaftskammern erwogen, entsprechend den Beschlüssen des Landes⸗ Oekonomie⸗Kollegiums. Dieses hohe Haus hat dann aber im vorigen Jahre einen weiter gehenden Beschluß gefaßt, und da war die Re⸗ gierung in der schwierigen Lage, welcher Seite sie gerecht werden sollte.

Der entscheidende Grund für die Vorlage, wie sie gemacht ist, war folgender. Sobald man der Frage näher trat: welche Ursachen bestehen für den landwirthschaftlichen Nothstand? ich brauche ab⸗ sichtlich den Ausdruck, weil unlängst einer der Herren aus einer Korrektur meinerseits falsche Schlüsse gezogen hat also: sobald die Regierung ihrerseits anerkannte, daß innerhalb unserer landwirth⸗ schaftlichen Verhältnisse ein Nothstand vorliegt, und das wird, soweit ich übersehen kann, heute von keiner Seite mehr bestritten hatte sie sich auch. die Frage vorzulegen nach den Gründen und nach dem, was dagegen zu geschehen habe.

Herr Graf Strachwitz hat soeben verschiedene Gründe für die landwirthschaftliche Nothlage angeführt und gesagt: die Verschuldung des Grund und Bodens ist nicht entscheidend; entscheidend sei viel⸗ mehr, daß die Regierung viele Unterlassungssünden begangen und auch positive Maßregeln zur Schädigung der Landwirthschaft eingeführt habe. Ich will hierauf nicht des näheren eingehen; aber er ist im Unrecht, wenn er die Schuld allein auf die Regierung geworfen hat, die Regierung hat alles, was sie gethan hat, Hand in Hand mit den parlamentarischen Körperschaften und den gesetzlich geordneten Vertretungen des Landes und des Reichs gethan.

Ich will meinerseits auf den russischen Handelsvertrag und auf die ganze Handelsvertragsaktion hier nicht weiter eingehen; ich würde es bedauern, wenn die Frage der Landwirthschaftskammern verquickt würde mit der ganzen Diskussion über die Handelsverträge und nament⸗ lich über den russischen Handelsvertrag. Diese Angelegenheit hat für die Landwirthschaft eine größere Bedeutung, sie muß meines Erachtens in voller Objektivität behandelt werden.

Gegen die einzelnen Bestimmungen der Vorlage sind die ver⸗ schiedensten Bedenken erhoben. Ich habe bereits gestern gesagt: diese Bedenken haben wir erwogen; sie sind vorhanden; suchen Sie die Wege wir werden sie mit Ihnen in der Kommission suchen —, wie man sie heben kann! Sie werden bei Vertiefung in die ganze Angelegenheit zu der Ueberzeugung kommen: das, was vorgeschlagen ist, ist nicht ohne Grund vorgeschlagen.

Ich sage also: die Regierung ist zu der Ueberzeugung gekommen und hat anerkannt, daß in den landwirthschaftlichen Verhältnissen ein Nothstand besteht. Bei Würdigung der Gründe legt ein Theil mehr Werth auf die Währung, ein anderer auf die Vertheuerung der Produktion, andere auf die ausländische Konkurrenz durch die ganze Umgestaltung unserer Verkehrsmittel, durch die Telegraphie, durch die Dampfschiffahrt, die Dampfschiffahrt ist ja eigentlich erst seit den siebziger Jahren für den Frachtverkehr in Thätigkeit getreten. Daneben steht die Ver⸗ schuldung. Herr Graf Strachwitz sagt: die Verschuldung hat geringere Bedeutung. Wir dürfen uns aber nicht verhehlen: alle die anderen Fragen, wenn sie auch im Sinne der Landwirthschaft gelöst werden, wirken immer nur steigernd auf den Werth des Grund und Bodens; bei der Erbschaft und beim Verkauf wird der gesteigerte Werth täg⸗ lich neu eskomptiert, und es wird eine stets gesteigerte Verschuldung eintreten. Aus diesem Grunde ist diese Frage in den Augen der Staatsregierung eine der wichtigsten vom Standpunkte des Staatsinteresses, weil durch die stets steigende Verschuldung der Grundbesitzerstand, der unabhängig auf seiner Scholle sitzt, zusammenschmilzt; und dieses Standes bedürfen wir im Interesse des Staatsganzen. Es ist mit einem Verwalter des Grund und Bodens, der zwar auf der Scholle sitzt, aber für andere arbeitet, und der zusammenbricht, wenn eine ungünstige Konjunktur kommt, dem Staats⸗ interesse nicht gedient. So lange die Einnahmen aus Grund und Boden steigen, kann eine steigende Verschuldung ertragen werden; wenn wir aber in rückläufiger Konjunktur sind, kann man auf anderen Gebieten sich einschränken und sparen; aber die Zinsen muß man weiter bezahlen. Kein Mensch wird bestreiten können, daß die ganze Gestaltung unseres Verschuldungswesens nicht vom Standpunkt des Grundbesitzes gemacht worden ist, sondern vom Standpunkt des Gläubigers, zur Sicherung und zum Schutz der Kapitalien. Es ist auch ganz natürlich, daß das geschehen ist; aber es läßt sich doch darüber nachdenken, und wir haben in einzelnen Landestheilen in den Landschaften bereits Organisationen, die die Frage geregelt haben vom Standpunkt des Schuldners und nicht von dem des Gläubigers. Wenn nun in den Augen der Staatsregierung auf dem Gebiete der Verschuldungsfrage Uebelstände bestehen, so ist die Prüfung nothwendig, ob und wie die Möglichkeit gegeben ist, die bestehenden Organisationen weiter zu entwickeln, nicht vorhandene Organisationen neu zu schaffen und zu ergänzen. Es kann ferner nicht mit Recht gesagt werden, daß die Frage des Erbrechts am ländlichen Grundbesitz jetzt neu und unerwartet in die Diskussion hineingeworfen ist die landwirthschaftlichen Kreise und die ländliche Bevölkerung sind mit dieser Frage nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten befaßt und wenn meine Wahrnehmung richtig ist, so bricht sich auch Jahr für Jahr mehr auch in den Kreisen der Wissenschaft der Gedanke Bahn, daß das jetzige Erbrecht an Grund und Boden, wenn wir einen gesicherten Grundbesitzerstand erhalten wollen, nicht genügt und geändert werden muß. Ich erinnere an die Erfahrungen mit der Höferolle in den ein⸗ zelnen Landestheilen. Da, wo sie geeigneten Boden, vorfand, und wo alle Betheiligten dahin wirkten, daß diese Institution zum Leben kommen konnte, wie in Hannover, ist sie mit durchschlagendem Er⸗ folg eingeführt worden; in anderen Landestheilen hat sie nicht zum Ziele geführt und wird nicht benutzt, obwohl in diesen Landestheilen ganz dieselben Verhältnisse vorliegen und thatsächlich noch heute der bäuerliche Besitz wie vor Jahrhunderten ungetheilt an ei nen Erben über⸗ geht zu einem mäßigen Ertragsanschlage. Die Sitte ist noch aufrecht erhalten, aber die Sitte ist mehr und mehr im Verschwinden begriffen. Deshalb ist es meines Erachtens nothwendig, daß man mit der Sitte auch die Rechtsinstitution wieder in Uebereinstimmung zu bringen

versucht. Das ist eine Aenderung des Erbrechts, die nicht neu zur Diskussion gestellt ist, sondern die betheiligten Kreise immer beschäftigt hat. Wenn man aber diese Frage in Arbeit nehmen will das ist das Entscheidende für die Staatsregierung, Ihnen diese Vorlage zu machen so hat sie ihrer Ueberzeugung nach nicht die erforderlichen Organe, um die öffentliche Meinung in aus⸗ reichendem Maße für diese Angelegenheit zu interessieren, um die be⸗ theiligten Berufskreise mit der Angelegenheit zu erfüllen und für einzelne Landestheile auch das, was dort nothwendig ist, zu schaffen. Es muß mit den bäuerlichen Kreisen, wenn eine derartige Gesetz⸗ gebung vorbereitet wird, in weiterem Umfange in Fühlung getreten werden, als es zur Zeit möglich ist; es muß die Gelegenheit zur Diskussion gegeben werden, es muß klar gestellt wer⸗ den: was wollen die hauptsächlich betheiligten Kreise. Ich führte früher schon an, wenn man an die Frage des Erbrechts herantritt, so kann man auf den Gedanken kommen, daß im Interesse der Ver⸗ hinderung der weiteren Verschuldung des Grundbesitzes von einer Beseitigung aller Hypothekenschulden mit einem Schlage ist nicht die Rede gewesen, die Vorlage giebt keine Veranlassung diese Frage zu diskutieren bei der Erbtheilung nicht die kündbare Hypothek, son⸗ dern eine ablösbare Rente für die Erbtheiler zweckmäßig ist. Kommt man zu einem derartigen Entschluß, dann muß die Gelegenheit durch Institute gegeben sein, diese Renten im Interesse der Erben in Kapital umwandeln zu können; ebenso bei der allgemeinen Ver⸗ schuldung handelt es sich um Schaffung der Möglichkeit, die kündbare Hypothek durch unkündbare Rentenschulden ersetzen zu können. Man sagt, dazu haben wir ja schon die Landschaften und man brauchte bloß zu erweitern. Ja, wir haben sie in einzelnen Theilen des Landes, in anderen Distrikten aber nicht; dort befassen sich andere Institute und Kassen mit den Aufgaben der Landschaften. Der Gedanke, die Landschaften u. s. w. auf weitere Besitzklassen auszudehnen, ist nicht so einfach. Ebenso wenig wie die landwirthschaftlichen Zentralvereine gegen ihren Willen umgestaltet werden können, kann die Auf⸗ gabe der Landschaften ohne deren Zustimmung erweitert werden. Es ist ferner zu erwägen: liegt es im allseitigen Interesse, daß diese Organisationen für alle Besitzklassen dieselben sind oder nicht? Es sind das Fragen, die einer derartigen umfassenden Bearbeitung in den einzelnen Landestheilen bedürfen, daß es nach der Ueberzeugung der Regierung nothwendig ist, für diese Zwecke die organisierten Land⸗ wirthschaftskammern zu besitzen.

Es ist gesagt, diese Landwirthschaftskammern werden garnichts bedeuten, es sind todtgeborene Kinder. Meine Herren, die Land⸗ wirthschaftskammern werden die Bedeutung haben, die der von ihnen geleisteten Arbeit entspricht.

Ich will für jetzt auf die einzelnen Bedenken, welche angeregt sind, nicht weiter eingehen; Herr Rickert hat ja eine ganze Reihe Fragen aufgeworfen. Er hat, was mich gewundert hat, in den Vordergrund gestellt, daß keine Veranlassung sei, die Landwirthschaftsammern zu bilden, da die landwirthschaft⸗ lichen Zentralvereine ganz dasselbe leisten könnten, obwohl, wenn ich nicht irre, gerade von der Seite (links) aus an mich die denunziatorische Anregung herangetreten ist, die landwirthschaft⸗ lichen Vereine als solche dürften sich nicht mit öffentlichen Fragen, die immerhin das Interesse der Landwirthschaft betreffen, befassen. (Sehr gut!) Es ist dies heute von dem Herrn Abg. Rickert selbvse⸗ verständlich nicht ausgesprochen, es ist aber die Frage durch die Presse mehrfach an mich herangetreten. Sie hat eine gewisse Berechtigung, meine Herren, ich erkenne das vollständig an; der landwirthschaft⸗ liche Verein als solcher ist in meinen Augen nicht berechtigt, sich mit öffentlichen Angelegenheiten zu befassen. Der Strafrichter ist ja der Frage auch schon näher getreten. Ich habe mich als Landwirthschafts⸗Minister nicht bewogen gefühlt, die Thätigkeit der Lokalbehörden gegenüber den Lokalvereinen zu kontrolieren.

Im übrigen ist ja nicht unbekannt, daß man eine derartige Ver⸗ sammlung, in der man öffentliche Angelegenheiten besprechen will polizeilich anzumelden hat. Aber wenn der landwirthschaftliche Verein das gewohnheitsmäßig thut, so wird er ein politischer Verein und als solcher unterliegt er allen Bestimmungen des Vereinsgesetzes. Nachdem nun diese Frage aufgeworfen ist, ob landwirthschaftliche Vereine wirthschafts⸗ politische Fragen besprechen dürfen, ist es allerdings im Interesse einer geordneten Vertretung der Interessen der Landwirthschaft nothwendig, der Landwirthschaft gerade wie bei den Handelskammern eine staatlich anerkannte Vertretung zu geben. 8

Es ist die Frage aufgeworfen, in welchem Umfange durch die Vorlage den Grundbesitzern ein Wahlrecht beigelegt werde. Wenn man einen Strich bei 30 Thaler Grundsteuerreinertrag macht, dann sind es ungefähr 530 000 Personen. Man darf nicht vergessen: die Landwirthschaftskammern sollen die Vertretung sein derjenigen, welche wirklich Landwirthschaft ausüben, bei denen also der landwirthschaftliche Beruf die Haupt⸗ sache ist, nicht derjenigen, die bloß ein Haus mit etwas Gartenland besitzen. Das sind in diesem Sinne keine Landwirthe. Im übrigen, meine Herren, sagt die Vorlage ja nicht, daß bei 90 Grundsteuer⸗ reinertrag erst das Wahlrecht beginnen dürfe; das soll der Regelung für die einzelnen Landestheile, je nachdem in ihnen die Verhältnisse liegen, überlassen werden. Ich bin garnicht zweifelhaft, daß in vielen Landestheilen weiter herabgegangen wird; es sollte nur verhindert werden, daß nicht irgendwo zu viele Grundbesitzer ausgeschlossen werden können, sondern daß mindestens diese zur Kammer wählen müssen.

Wenn andere Herren Bedenken gehabt haben gegen die Wider⸗ standsfähigkeit der Landwirthschaftskammern, ihrerseits zu viel Aus⸗ gaben zu beschließen, und deshalb das Maximum des Ausgabe⸗ bewilligungsrechts heruntergesetzt haben wollen, so steht dem meines Erachtens gar kein Bedenken entgegen. Die Regierung wollte nu kein Mißtrauen zeigen, daß die Landwirthschaftskammern in dieser Beziehung nicht selbständig genug sein würden, das zu beschließen, was der Landwirthschaft frommt.

Es ist noch gesagt, die Landwirthschaftskammern seien nicht noth⸗ wendig, um die Klagen vorzubringen, die die Landwirthschaft habe; das könnten die landwirthschaftlichen Vereine auch. Ich stehe da voll⸗ ständig auf dem Standpunkt, daß das viele Klagen nichts nützt. Es

kommt darauf an, diejenigen Gründe, welche zum Klagen Veranlassung geben, kennen zu lernen, zu verarbeiten und zu praktischen Vorschlägen

auszugestalten, und das wird geschehen, so hoffen wir, unter der 1 arbeit der Landwirthschaftskammern. Man soll bei den Klagen nich

bloß der Regierung Vorwürfe machen, sondern man muß auch mit⸗

arbeiten, wie etwas zu bessern ist. sj Nun noch ein Wort zu der Behauptung: Es sei von hoher Stelle

gesagt, Preußen resp. Deutschland müsse ein Industriestaat werden. Das ist so nicht gesagt worden; es ist in den betreffenden Ausführungen bloß die Industrie damals vielleicht in dem Grade in den Vorder⸗ grund gestellt, wie ich heute die Landwirthschaft in den Vorder⸗ grund gestellt habe. (Zuruf.) Sie können sagen, das eine ist das Richtige, das andere das Falsche; das ist individuelle Meinung. Ich habe bloß ausführen wollen: damals ist die Industrie betont worden, wie ich heute die Landwirthschaft betone. Aber keiner der Herren, die am Regierungstisch stehen, wird darüber zweifelhaft sein können, daß nicht das einseitige Gedeihen eines Standes für das Wohl des Vaterlandes nothwendig ist, sondern das Gedeihen aller Erwerbsstände (sehr richtig!), und alle die Herren, welche die Forderungen der Landwirthschaft vertreten, werden mir darin beipflichten, daß, wenn Preußen und Deutschland der reine Agrarstaat ohne Industrie geblieben wäre, er nimmermehr die Stelle hätte einnehmen können, die er heute einnimmt, sondern daß zum Gedeihen des Ganzen Industrie und Landwirthschaft gedeihen müssen.

(Sehr richtig!)

Es ist gesagt, wenn man die Gefahr erkennt, die für eine Sache besteht, so ist dieselbe schon halb überwunden. Gewiß, damit daß die Staatsregierung diese Vorlage gemacht hat, hat sie den Weg zur Be⸗ kämpfung der erkannten Gefahr beschritten. In Betreff der früheren Jahre, nicht Jahre sondern Jahrzehnte, kann man zweifelhaft sein, ob unsere Gesetzgebung, weil wir mit dem reinen Agrarstaat nicht mehr vorwärts kommen konnten, sich nicht vorzugsweise in der Richtung bewegt hat, Handel und Industrie zu fördern. Jedenfalls ist das der Erfolg gewesen. Meine Herren, jetzt ist es nothwendig, daß wir für die Landwirthschaft, die nicht gleichen Schritt gehalten hat, und die unter dem überraschen Steigen und Wachsen der Industrie zurück⸗ geblieben ist, Wege einzuschlagen suchen, die die Landwirthschaft wieder auf die gleiche Stelle neben Handel und Industrie bringen. (Bravo!)

Abg. Richter (fr. Volksp.): Mit Herrn Lamprecht bin ich bereit, über die Reichstagswahlen zu sprechen, wenn er einmal selbst erst Mitglied des Reichstags sein wird. Sein Schmerz ist begreiflich, da sein Wahlkreis, eine Hochburg der Konservativen, durch einen Freisinnigen, und noch dazu durch einen Bauern vertreten sein wird, während Herr Lamprecht durchgefallen ist. Graf Strachwitz hat sich in Gegensatz gestellt zu einer Bewegung in seiner Heimath, wo die Bauern sich gegen die Großgrundbesitzer und Grafen erklären, weil diese andere Interessen als die der Landwirthschaft vertreten. Herr Strzeda ist in diesem Sinne gewählt worden. (Widerspruch im Zen⸗ trum.) Im übrigen habe ich kein Interesse, mit Ihnen über notorische Dinge zu streiten. Mit Herrn von Puttkamer, wohl meinem schärfsten politischen Gegner, stimme ich diesmal’ voll⸗ ständig überein. Es andelt sich darum: ob antliche Formen oder freies Vereinswesen zur Vertretung der Berufsinter⸗ essen. Ich stehe mit Herrn von Puttkamer auf dem letzteren Stand⸗ punkt. Ich könnte den Landwirthschaftskammern nur zustimmen aus Bosheit gegen die Agrarier; aber dies ist doch kein Stand⸗ punkt für die Gesetzgebung. Es ist ein verzopfter Gedanke aus der Zeit, wo es noch kein Vereinswesen gab, daß man eine amtliche Vertretung für die Berufsinteressenten schafft. Wenn Handelskammern nicht beständen, würde ich keinesfalls ihre Einführung empfehlen. Diese Ansichten habe ich schon vor 25 Jahren gegenüber dem Handelskammergesetz vertreten. Wenn Sie mir nur die Hälfte des Vereinswesens geben, über welches die Landwirthschaft verfügt, so könnten wir auf die Handelskammern ruhig verzichten. Wenn Sie ein Vorbild haben wollen, wie wenig die Landwirthschafts⸗ kammern bedeuten werden, so vergleichen Sie die Bedeutung des Landes⸗Oekonomie⸗Kollegiums gegenüber dem Deutschen Landwirthschafts⸗ rath, dem Verein der Steuer⸗ und Wirthschaftsreformer und dem Bund der Landwirthe. Diese Vereine gefallen mir nicht in ihrer Thätigkeit, aber sie bedeuten politisch das Hundertfache dessen, was das Landes⸗Oekonomiekollegium bedeutet. Was ist aus den Gewerbe⸗ kammern geworden? Sie bestehen in den meisten Provinzen nicht mehr, weil den Provinzen die Arbeit der Gewerbekammern die Kosten nicht mehr werth schien. Und wo ist der vielgerühmte Volkswirth⸗ schaftsrath geblieben? Man fragt heute nicht nach dem Titel, sondern nach der Autorität der Person und dem Gewicht der Gründe, welche vorgebracht werden. Die Handelskammern sollen die merkantile Richtung der Gesetzgebung verschulden. Wie sehr verkennen Sie doch die Bedeutung der Handelskammern! Ich bin der entgegengesetzten Meinung; diese legitime Vertretung der Interessen ist viel weniger werth als die freie Thätigkeit. Die Regierung kann garnicht gezwungen werden, solche Korporationen zu befragen. Die Eisenbahnverstaatlichung, die neue Zollpolitik, die sozialpolitische Gesetzgebung u. s. w. hat man durchgeführt, ohne die Handelskammern zu fragen. Und wenn die sicht aufbäumen, dann werden sie unter Zensur gestellt und dürfen keine Berichte mehr drucken lassen, die nicht vorher ein Geheimer Rath zensiert hat. Man wundert sich über das Auflösungsrecht, welches die Vorlage beabsichtigt.

Eine solche Bestimmung steht im Handelskammergesetz nicht, aber

die Regierung hat doch mit der Auflösung gedroht, und eine Handels⸗ kammer, die Görlitzer, hat sich infolge dessen in eine Privatvereinigung umgewandelt. Die Landwirthschaftskammern sollen die öffentliche Meinung bearbeiten. Dazu sind sie zu schwerfällig, dazu müssen sie zu viel Rücksichten nehmen, ebenso wie die Handelskammern, über deren Köpfe hinweg man die verschiedenen freien Vereine gegründet hat, welche weit mehr bedeuten, als die Handelskammern. Was bleibt von der Thätigkeit der Handelskammern? Die Berichte und die Statistik! Ja, die sind so gut wie die Handelskammer⸗Sekretäre, und besoldete Sekretäre können freie Vereine auch anstellen. Die Landwirthschafts⸗ aammern haben gar keine Legitimation, für die Arbeitnehmer der Landwirthschaft mitzusprechen. Wenn man von Amtswegen Korpora⸗ ionen organisiert, müssen die Arbeiter doch auch gehört werden. Bei den Fachgenossenschaften, der Handwerker ist auch ein Gehilfen⸗ ausschuß vorgesehen. Warum werden hier die Arbeiter außer Betracht Plaffen?, Die Wirthschaftsbeamten, die Inspektoren auf den größeren Gütern überragen doch die Grundbesitzer in vielen Punkten; von ihnen ist aber auch gar keine Rede. Wenn 530 000 Landwirthe wahlberechtigt sind, dann fällt die Hälfte der selbständigen Landwirthe schon überdies beim Wahlrecht aus. Was berechtigt diese eine Hälfte, im Namen der ganzen landwirthschaftlichen Bevölkerung zu sprechen? Landwirthschaftskammern und Vereine können nicht neben einander existieren, sie müssen einen Kampf auf Leben und Tod führen. Der inister meinte heute, die Zentralvereine könnten daneben bestehen leiben, während in den Motiven das Gegentheil gesagt und sogar behauptet wird, daß die Kammern das ganze landwirthschaftliche

ereinswesen aufsaugen werden. Ich bin der Meinung, die freien

ereine werden das stärkere Element sein, wenn nicht die Sub⸗ ventionsfrage wäre. Wenn die Subvention den Vereinen entzogen wird, dann erhält die amtliche Organisation eine Ueberlegenheit. Bezüglich der Wahl hat Herr Sattler recht, daß sich beim Landrath einige Gemeindevorsteher und Rittergutsbesitzer einfinden werden, um die Wahl zu vollziehen. Es werden also nur dieselben Personen ge⸗ wählt werden, die im Provinzial⸗Landtag sitzen. Dieses Wahlsystem übertrifft das Landtagswahlsystem noch an Elendigkeit. Lieber sollte man doch dem Landrath die Ernennung der Mitglieder übertragen. o muß mich dagegen verwahren, daß der Landwirthschafts⸗ so abfällig über freiwillige Beiträge geurtheilt hat. 9 freiwilliger Beitrag sind mir lieber als 20 Steuern. euermüde ist das Volk; es müssen ja immer mehr neue Steuern vSineeehe wenn man alles von der Staatshilfe erwartet. Ich üünschte, man ließe die Landwirthschaftskammern bei Seite und 8 te danach, die landwirthschaftlichen Vereinigungen noch unabhän⸗ ge. machen. Wie sehr die landwirthschaftlichen Vereine Politik getrieben haben, wissen wir; jetzt kommt das Kammergericht und stellt

die Vereine unter das Vereinsgesetz. Der Minister will die Kammern schaffen, um sie von der Aufsicht der Polizei zu befreien. ⸗Man sollte Lieber das Vereinsrecht reformieren und namentlich die Verbin⸗ dung von Vereinen unter einander freigeben. Wenn erst die Konser⸗ vativen ein Interesse daran bekommen, dann wird das leicht zu erreichen sein. Namentlich sollten sich aber die landwirthschaftlichen Vereine von den Landräthen mehr emanzipieren. Die Landräthe, welche weder wegen ihrer landwirthschaftlichen Kenntnisse, noch wegen ihrer Persönlichkeit das verdienen, beherrschen solche Vereine. Nun einige Worte über das Agrarrecht, über die grundstürzenden Pläne der Regierung. Diese Pläne sind so umfassend, daß die Gutachten der Landwirthschaftskammern dagegen gar⸗ nichts bedeuten. Wenn sie die Pläne auch durchführen sollen, dann wird die Bedeutung der Landwirthschaftskammern eine ganz andere. Was sie aber dabei sollen, muß man doch wissen, ehe man über die Zusammensetzung derselben Beschluß fassen kann. Damit bin ich einverstanden, daß man sich auf den in jeder Beziehung unabhängigen auf freier Scholle stützen müsse. Den Land⸗ wirthen wird eine Zensur ertheilt, daß siernicht die Gelegenheit benutzt hätten, um durch Abverkauf kleinerer Stücke den Rest schuldenfrei zu machen. Diese Zensur ist unberechtigt und sehr hart, weil gesagt wird, daß die Bauern nicht so herschalbet sind wie die Großgrundbesitzer. Die Gesetzgebung selbst hat den Großgrund⸗ besitzer derart prämiiert, daß man sich hütet, etwas abzuverkaufen. Ferner bestand ein Gesetzesverbot gegen Niederlassung außerhalb der Dorfstraße. Gegen 1“ und Kolonisationen liegt ein ganzes Bündel hindernder Maßregeln vor. Der Einzelne, der parzellieren will, kann selten. gegen die Behörden alles durchfechten. Es treten gewerbsmäßige Güterschlächter ein, auf welche dann wieder ein gewisses Odium fällt. Welchen Scherereien sind die Kolonisations⸗ genossenschaften ausgesetzt gewesen, z. B. die Genossenschaft Pitschin in Westpreußen! Der junge Mann vom Lande kommt in die Garnison, und wenn er zurückkehrt, sieht er sich verurtheilt zu demselben Loos, welches seine Eltern hatten; es ist ihm nicht möglich, Grund und Boden zu erwerben. Wenn nicht nach Amerika, geht er in die Stadt, wo er sich wenigstens frei fühlt; und anstatt diese Gebundenheit zu vermindern, will man sie vermehren. Ob ein Haar staatssozialistische Professoren bei der Studier⸗ lampe sich für das Anerbenrecht interessieren, das bedeutet nichts. Dem Bauernstande widerstrebt das Anerbenrecht durchaus. Die Landgüterordnungen sind richtig, wie ein konservativer Redner damals sagte, ein Ladenhüter der Gesetzgebung geworden. Die Höferolle in Hannover ist ein Uebergang zu einer noch größeren Gebundenheit. Durch das Anerbenkecht wird der Gegensatz zwischen Arm und Reich in die bäuerliche Bevölkerung getragen. Beim Fideikommiß ist für die jüngeren Söhne gesorgt durch Offizierstellen und sonstige Anstellungen. Die jüngeren Bauern aber, wenn sie zurück⸗ gesetzt werden gegen den ersten Erben, werden direkt in die Arme der Sozialdemokratie getrieben. Dadurch wird nicht eine Wertherhöhung der Güter herbeigeführt, sondern eine Verminderung, weil über das Gut nicht frei verfügt werden kann. Man spricht von der Verallgemeinerung der landschaftlichen Kreditorganisationen. Diese paßt eigentlich nur ffur die größeren Grundbesitzer. Im Westen liegen die Verhältnisse schon so, daß man die Landschaften nicht be⸗ nutzen kann, daß man die Hypothekenbanken haben muß. Ich bin gar⸗ nicht der Ansicht, daß die mißliche Lage der Landwirthe in der Künd⸗ barkeit der Hypotheken begründet ist. Warum ist denn gerade in dem Osten, wo die Landschaften vorhanden sind, die Verschuldung am größten? Es wird geradezu als etwas Selbstverständliches betrachtet, daß der Gutsbesitzer so viel Schulden hat, als es innerhalb der land⸗ schaftlichen Taxe zulässig ist. Wo ist ein solches Verhäktniß im Handel und Gewerbe vorhanden? Bei den Landwirthen gehört der größte Theil des Guts den Gläubigern; der Rest hat alle Schwankungen der Ernten und Konjunkturen zu tragen. Damit ist der Ruin vorhanden. Die Land⸗ wirthschaft hat nicht nicht genug Kredit, sondern zu viel Kredit. Ich bin zweifelhaft, ob die ländlichen Kreditinstitute wirklich die gesetz⸗ lichen Begünstigungen verdienen, die ihnen zu theil werden. Die stärkere Amortisation der Schuld erinnert mich an den Rath, sich an dem eigenen Zopf aus dem Sumpf zu ziehen. Die Freiheit des Grund und Bodens muß verstärkt werden. Wenn dann den Grund⸗ besitzern zu helfen ist, so kann das ja auch durch Abverkauf von Land geschehen. Eine Zwangsorganisation würde ein großes Unrecht sein gegen die kreditwüͤrdigen Besitzer gegenüber den anderen. Verwahren muß ich mich gegen den Gedanken einer Benachtheiligung der Gläubiger, wie sie Herr von Manteuffel im Herrenhause in Aussicht gestellt hat. Das ist eine Konfiskation des Eigenthums. Es kann nichts Verhängnißvolleres gedacht werden, als daß man solche Grundsätze aus solchen Kreisen heraus zum Ausdruck bringt. Ich habe mich gefreut, daß sich Herr von Schorlemer dagegen verwahrt hat. Besonders aber widerspreche ich dem Ge⸗ danken, den Staatskredit dafür in Anspruch zu nehmen. Wozu würden die besitzlosen Arbeiter berechtigt sein, wenn man ihn für die besitzenden Klassen in Anspruch nimmt? Der Staatskredit wird schon für die eigentlichen Staatszwecke in bedenklicher Weise ö Hüten wir uns, auf solche Dinge einzugehen. Ich edaure, daß der Landwirthschafts⸗Minister nicht gegen diese drei Gedanken Widerspruch erhoben hat. Wenn das nicht ge⸗ schieht, dann wird eine gewaltige Erschütterung des Realkredits die Folge sein, und daraus folgt wieder eine Erschütterung des Personal⸗ kredits. Wenn sich nicht die parlamentarische Sitte eingebürgert hätte, die größeren Vorlagen an eine Kommission zu verweisen, würde ich die weitere Berathung der Vorlage im Plenum empfehlen; denn an dieser Vorlage kann nichts gebessert werden. Ich erkläre mir die Vorlage auch nur daraus, daß man wegen des russischen Handels⸗ vertrags eine gewisse bessere Stimmung bei den Agrariern erzeugen will. (Zuruf: Speck!) peck kann ich es nicht einmal nennen; es sind nur gemalte Gerichte für den agrarischen Hunger, über deren Be⸗ trachtung die Agrarier den russischen Handelsvertrag vergessen. Der russische Handelsvertrag ist so gut, daß er für sich allein marschieren kann; er wird sich die Annahme erzwingen, weil er eine politische Nothwendigkeit ist. Deshalb kann ich nur bitten, gegenüber dem Handelsvertrag den Degen einzustecken und nicht so viel damit herum⸗ zufuchteln, weil Sie sich dadurch immer noch mehr Blößen geben. Die Kette Ihres Widerstandes wird gebrochen werden, weil sie ge⸗ brochen werden muß. Abg. Knebel (nl.) bedauert, daß die Landwirthschaftskammern an die Stelle der Zentralvereine treten sollen, die eine segensreiche Wirksamkeit ausgeübt hätten; er verweist besonders auf die Thätigkeit des rheinischen Zentralvereins. Die Fühlung mit den kleinen Land⸗ wirthen, sagt Redner, wird verloren gehen, wenn an die Stelle des die Kammern treten. Der größere und kleinere Besitz aben nicht gleiche Interessen. Der größere Besitzer sieht bei seiner Viehzucht auf den Milchertrag, der kleinere auf die Arbeitskraft. Der größere Besitzer hat bei seiner Ferpercscsfehs andere Interessen als der kleine Besitzer, welcher Obstzucht treibt. ei den Landwirth⸗ schaftskammern werden die kleinen Landwirthe selten vertreten sein.

ihm schwer werden, gegenüber den größeren Landwirthen mit seiner Meinung aufzutreten. In den Ortsvereinen spricht sich aber der kleine ann offener aus. Durch die Wahlen werden nicht die⸗ jenigen Persönlichkeiten in die Landwirthschaftskammern kommen, welche jetzt im Zentralverein thätig sind. Deshalb ist die Vorlage in der vorgelegten Form sehr bedenklich.

»Abg. Ring (kons.) wendet sich gegen den Abg. Rickert, an den sich Landwirthe auch aus der Umgegend von Berlin in Bezug auf dieses Hesch gewendet haben sollen. Er, Redner, vertrete Kreise in der Nähe Berlins und bezweifle, daß sich ein Bauer in seiner Noth an Rickert wende. „Es würden das wohl solche Bauern sein, welche in der Burgstraße ihren Weizen säen und draußen auf dem Lande ernten. Dann fährt Redner fort: Mit der Landwirthschaftsgesell⸗ schaft, welche Herr Rickert so gelobt hat, hat er, Gott sei ank, nichts zu thun; er hat sie auch nicht gegründet. Die Mitwirkung der Landwirthschaftskammern bei den Preisnotierungen der Produkten⸗ börse ist nicht jetzt zum ersten Mal angeregt. Fürst Bismarck

hat 1888 den Aeltesten der Berliner Kaufmannschaft klar gemacht

Wenn ein kleiner Landwirth überhaupt gewählt wird, so wird es

daß an den Lieferungsbedingungen für die Termingeschäfte nich bloß der Handel, sondern auch die Produktion ein 8 Pft Landwirthschaftskammern müssen möglichst selbständig sein, damit sie der Regierung gegenüber nmab hsi bleiben, auch wenn viel⸗ leicht eine Regierung mit Herrn Richter als Minister⸗Präsidenten und Herrn Rickert als Landwirthschafts⸗Minister kommen sollte. Des⸗ halb ist man in der Mark Brandenburg einverstanden damit, daß bis 10 % der Grundsteuer als Beitrag erhoben werden können. Die haben bisher ein stumpfes Schwert gehabt, mit welchem ee zu fechten persucht haben. Dieses stumpfe Schwert soll nun, wo uns Herr von Heyden so viel Geld anbietet, in ein scharfes Schwert verwandelt werden. Der Staat wird eine Form finden müssen, um einen Theil der Hypothekenschulden in Rentenschulden zu verwandeln; denn nicht bloß der Besitzer, sondern der unverschuldete Besitzer ist die beste Abwehr der Sozialdemokratie. Namentlich würde beimg Rentengutsgesetz eine Aenderung leicht dahin herbeigeführt werden können, daß kleinen Leuten von den Rentengutsbanken Geld gegen Rentenschuld gewährt wurde. 1

Um 4 Uhr wird darauf die weitere Berathung bis Don⸗ y42“

ESttatistik und Volkswirthschaft.

. EEböö6““ über die Thätigkeit des Reichskommifsars für das 8 Auswanderungswesen während des Jahres 1893. dem Reichstag vorgelegte Bericht des Reichskommissars autet: Die Beförderung von Auswanderern über deutsche Häfen ist im verflossenen Jahre gegen die vorhergehenden Jahre bedeutend zurück⸗

gegangen. Während 8 im Jahre 1890. 243 283 Personen, 289 225

J4“ 8

4 11114“ befördert wurden, belief sich die Zahl der Auswanderer im Jahre 1893 auf nur 168 272.

Die Ursachen dieses Rückgangs, besonders soweit derselbe Ham⸗ burg betrifft, dürften hauptsächlich in den Nachwirkungen der Cholera⸗ Epidemie des Jahres 1892, der allgemein gedrückten Lage der Ge⸗ schäftswelt und in dem aus gesundheitlichen Rücksichten erlassenen Verbot des Hamburger Senats, russische Auswanderer über Hamburg zu befördern, zu finden sein.

Dieses Verbot blieb bis gegen Schluß des Jahres in Kraft, ist

uswanderer, welche die in

jedoch inzwischen für diejenigen russischen Ruhleben bei Spandau errichtete Untersuchungsstation und Des⸗ infektionsanstalt passiert haben, aufgehoben worden. Der durch das Verbot herbeigeführte Ausfall mußte um so beträchtlicher werden, als die russischen Auswanderer einen Haupttheil der gesammten über Hamburg gehenden Auswanderung bilden und beispielsweise im Jahre 1892 50 % der letzteren erreichten. .

Ueber Bremen wurden russische Auswanderer während des ganzen Jahres unbehindert befördert; soweit thunlich, wurden sie zuvor nach der Untersuchungsstation in Ruhleben dirigiert.

„Ueber Stettin sind im verflossenen Jahre keine Auswanderer befördert worden. Die von dort nach New⸗York gehenden Dampfer der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt fuhren ohne Passagiere von Stettin ab, um in dänischen und schwedischen Häfen Skandinavier zur Beförderung aufzunehmen bezw. dorthin zurückzubringen.

Die vereinzelt auch im verflossenen Jahre in Hamburg vor⸗ ekommenen Cholerafälle veranlaßten die Hamburg⸗Amerikanische acketfahrt, ihre Schnelldampfer einige Male von Wilhelmshaven

anstatt von Cuxhaven aus zu expedieren. Da die dortigen Behörden mit derartigen Expeditionen bisher nicht bekannt waren, hat der Reichskommissar in jedem Fall eine gründliche Revision von Schiff, und sonstiger Ausrüstung vorgenommen und die ÜUnter⸗ ringung der Passagiere keeccgt ge

Die mit Passagieren na Brasilien fahrenden Dampfer wurden brasilianischerseits genöthigt, zunächst nach dem Süden zu gehen und dort eine mehrtägige Quarantäne durchzumachen, bevor sie ihren nörd⸗ licher gelegenen Bestimmungshafen anlaufen durften.

Im Monat Juni wurde eine vereinzelt gebliebene Auswanderer⸗ expedition nach New⸗York von Geestemünde aus beabsichtigt. Ein Bremer Pass agierexpedient hatte zu diesem Zweck einen englischen Dampfer ge artert, der bis dahin in England zum Truppentransport verwendet war. Die erforderlichen Einrichtungen für die Beförderung von Passagieren, welche dem Dampfer noch fehlten, wurden unter Aufsicht des Reichskommissars getroffen. In Ermangelung einer für das preußische Staatsgebiet gültigen Konzession des Unternehmers zur Auswandererbeförderung mußte indessen die Einschiffung auf der Bremerhavener Rhede erfolgen. Wegen der erheblichen Kosten des Unternehmens hat der Expedient seine Absicht, derartige Expeditionen periodisch zu wiederholen, aufgegeben.

Die indirekte Beförderung von Auswanderern über einen englischen Zwischenhafen findet jetzt, wenn auch nur in geringem Umfange, von Bremen aus statt, wobei die Einschiffung der Auswanderer bereits in der Stadt Bremen, nicht erst in Bremerhaven, erfolgt.

In Hamburg, von wo die indirekte Beförderung über englische

äfen jn früheren Jahren sehr stark betrieben wurde, hat sie im etzten Jahre fast ganz aufgehört.

Der Norddeutsche Lloyd hat eine zweite Linie nach New⸗York

unter dem Namen „Roland⸗Linie errichtet. Im Anfang wurden englische Dampfer für dieselbe gechartert, diese sind jedoch jetzt durch neugebaute eigene 8 ersetzt. Dieselbe Rhederei hat einige Passagierdampfer von geringerem Tiefgang für die Fahrt nach Süd⸗Amerika erbauen lassen, mit der Absicht, diese Schiffe nicht wie die übrigen Dampfer von Bremer⸗ haven oder Nordenham, sondern direkt von der Stadt Bremen aus zu expedieren. .

„Eine erhebliche Verbesserung im Betriebe der Auswanderer⸗ beförderung ist darin zu erblicken, daß vielfach bei unvollständiger Besetzung der Schiffe, sofern dies nach der Bauart möglich ist, eine nicht belegte Abtheilung des Zwischendecks als Speisesaal für die Zwischendecks⸗Passagiere eingerichtet wird. Auch hinsichtlich der Ver⸗ pflegung geschieht zur Zeit mehr als früher, wenigstens auf den nach N ord⸗Amerika gehenden Schiffen. Die Rhedereien gehen darin überall weit über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinaus. So erhalten die

leisch oder Wurst bezw. warmes Essen über den gesetzlich vor⸗ geschriebenen Proviant. 8

Den Wünschen des Reichskommissars hinsichtlich Einführung einer oder der anderen Verbesserung ist der betheiligten Rhedereien in der Regel auf das bereitwilligste entsprochen worden, wie auch Ausstellung, die etwa zu machen war, stets sofort abgeholfen wurde. 1 Die Revisionen der Schiffe sowie die Beaufsichtigung der Ein schiffung und Unterbringung der Passagiere hat wie in früheren Jahre in gründlichster Weise stattgefunden.

„Es wurden im Jahre 1893 über deutsche Häfen 168 272 Persone befördert. Davon gingen über Bremen 109 400 und über Hambur 58 872 Personen.

Unter den über Bremen beförderten 109 400 Personen, vo denen 39 852 Deutsche, 69 548 Ausländer waren, 49 * 66 171 Personen männlichen und 43 229 Personen weiblichen schlechts. Hiervon waren 92 387 Erwachsene, 13 893 Kinder i Alter von 1 bis 10 Jahren und 3120 Kinder unter 1 Jahr al Von den Auswanderern reisten einzeln 46 172 Männer, 18 447 Frauen ferner 44 781 Personen in 12 865 52 Direkt wurden beförder in 220 Schiffen 106 291 Personen, indirekt in 52 Schiffe ersonen.

3109 Pers Die Beförderung vertheilte sich auf die einzelnen Monate,

e

wie folgt:

wischendecks⸗Passagiere zum Frühstück und ebenso des Abends kaltes