1894 / 55 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 05 Mar 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Im Valuta⸗Ausschuß des österreichischen Ab⸗ geordnetenhauses betonte vorgestern, wie die „Presse“ mittheilt, der Finanz⸗Minister Dr. von Plener, die gegen⸗ wärtige Vorlage sei nicht überstürzt, sondern im wesentlichen zwischen beiden Regierungen schon in den ersten Monaten des vergangenen Jahres vereinbart worden. Die prinzipiellen Einwendungen gegen die Einlösung der Staatsnoten überhaupt seien, nachdem die Währungsgesetze im Jahre 1892 be⸗ schlossen worden, nicht mehr zu erörtern, sondern es müsse mit der gesetzlich angeordneten Einlösung der Staats⸗ noten begonnen werden. Der Minister trat sodann der Be⸗ hauptung entgegen, daß das zur Einlösung bestimmte Quantum Staatsnoten zu groß sei, denn man könne mit Recht erwarten, daß das gesammte bereits beschaffte Goldquantum zur Ein⸗ lösung verwendet werden werde. Das Tempo sei nicht zu rasch, weil die Aktion thatsächlich bis zum Jahre 1898 dauern werde. Die Einlösung eines Theiles der Staats⸗ noten gegen Silberkronen widerstreite nicht dem Gesetz vom Jahre 1892; durch die Minderwerthigkeit der Silber⸗ münzen werde keine Verschlechterung der Wäßrungsverhaͤltnisfe eintreten. Der Minister wies hierbei auf Frankreich und Amerika hin. Die Besorgniß vor Falschmünzern sei bei den

Silberkronen unbegründet, auch in Frankreich und Deutschland]

naehme die Falschmünzerei der kleinen Silbermünzen nicht über⸗ hand. Hinsichtlich der Einwirkung der Einlösung der Staats⸗ noten auf den Geldumlauf müsse die Erfahrung ab⸗ gewartet werden. Die Regierung bedürfe einer ge⸗ wissen Latitude, um nach Bedarf Nachschübe oder Restriktionen vorzunehmen und das Quantum der einzuziehenden Fünf⸗ oder Fünfziggulden⸗Noten zu bestimmen. Der Vor⸗ behalt über das Recht der Regierungen, bei der österreichisch⸗ungarischen Bank hinterlegtes Gold zurückzuziehen, sei nur aus Klugheit und formell aufgestellt worden; die definitive Regelung des Gegenstandes habe bei der Erneuerung des Bankprivilegiums zu erfolgen. ie Auffassung, daß die Regierungen die Goldbestände beliebig von der österreichisch⸗ ungarischen Bank zurückfordern oder eine plöützliche Umkehr oder Ablenkung der bisher eingehaltenen Währungs⸗ politik ermöglichen wollten, liege der Regierung vollkommen fern. Der Minister hob schließlich die Gefahren hervor, falls von dem im Jahre 1892 beschlossenen Wege abgegangen werde. Niemand könne eine Verantwortung hierfür über⸗

der am Sonnabend in Villach vorgenommenen Reichsrathswahl wurde der Deutschnationale Dr. Stein⸗ wender mit 577 von 746 Stimmen wiedergewählt.

Am Freitag Abend wurde in Jungbunzlau im Mittel⸗ thor der dortigen Dekanatskirche eine Bombe aufgefunden, deren ö“ indessen erloschen war. Die Bombe war, wie „W. T. B.“ erfährt, genau so beschaffen, wie die am letzten Mittwoch vor dem Wenzels⸗Vorschußkassengebäude auf⸗ gefundene, nur fehlte die Gipsverkleidung. 1

Im ungarischen Unterhause interpellierte vorgestern

Abg. Vörös (Unabhängigkeitspartei) den Minister⸗ Präsidenten Dr. Wekerle, ob er Kenntniß davon habe, daß die ungarischen Regimenter, nach Sprache und Nationalität ruppiert, neue Dislokationen erhalten sollten. Der Minister⸗ Präsident erwiderte unter lebhaftem Beifall des Hauses, er werde sich über diese Angelegenheit informieren, müsse aber schon etzt erklären, daß bei dem Kriegs⸗Ministerium die Tendenz, ie ungarische Sprache durch irgendwelche Gruppierung in den Hintergrund zu stellen, absolut ausgeschlossen sei.

Gestern fand dem „W. T. B.“ zufolge in Budapest eine großartige Massenkundgebung zu Gunsten der libe⸗ ralen kirchenpolitischen Reformen seatt, zu der aus allen Theilen des Landes etwa 70 000 Fremde eingetroffen waren. Prächtiges Wetter begünstigte die Veranstaltungen. Nachmittags 3 Uhr wurde im Stadtwäldchen eine Massen⸗ versammlung unter freiem Himmel abgehalten. Die aus verschiedenen Richtungen mit Fahnen und Musiklapellen ein⸗ treffenden Zuzüge vereinigten sich am Eingang der Andrassy⸗ straße; einzelne Gruppen wurden durch berittene Mit⸗ glieder aus den ersten Magnatenhäusern angeführt. Voran schritt eine Deputation der Stadt Fiume; es folgten alsdann der Magistrat der Hauptstadt, Deputationen zahlreicher Komitate und Städte des Landes, Korporationen und Vereine. Den Ministern Dr. Wekerle, von Szilagyi, Graf Czaky und Hieronymi, die dem Aufzuge von den Fenstern eines Hauses in der Andrassystraße zusahen, wurden andauernde, stürmische Ovationen dargebracht. Vor den Häusern der Minister Graf Czaky und Hieronymi blieben die Gruppen stehen und sangen patriotische und nationale Lieder. Auf der mittleren Tribüne des Versammlungsplatzes nahm das Präsidium Platz: der Ober⸗ Kämmerer und fruͤhere Minister Baron Bela Orczy, der Ge⸗ heime Rath Graf Johann Palffy und der Vize⸗Präsident des Abgeordnetenhauses Graf Theodor Andrassy, Sohn des früheren Ministers des Auswärtigen, sowie zahlreiche Mit⸗ glieder des Reichstags und Notabilitäten. Auf dem Versamm⸗ ungsplatz selbst waren etwa 130 000 Personen anwesend. Nach Eröffnung der Versammlung wurde an den König ein Begrüßungstelegramm abgesandt. Nachdem elf Redner ge⸗ sprochen hatten, wurde eine Resolution angenommen, welche die liberalen kirchenpolitischen Reformen der Regierung, namentlich die Gesetzentwürfe über die Zivilehe, die Religions⸗ freiheit, Rezeption der Jsraeliten und die Konfession der Kinder billigt und in diesem Sinne eine Petition an beide Häuser des Reichstags abzusenden beschließt. Die Versamm⸗ lung begleitete die Reden für die Resolution mit großem Beifall und brach bei Erwähnung der liberalen Reformen jedesmal in endlose Eljenrufe aus. Um 5 ½ Uhr wurde die ersammlung geschlossen. Die Menge zerstreute sich ohne die geringste Ruhestörung. Die Stadt war reich beflaggt.

Großbritannien und Irland. Die Königin hat, wie amtlich gemeldet wird, das Ent⸗ lassungsgesuch Gladstone's genehmigt. Die Stellung des Premier⸗Ministers wurde dem Earl of Ros ebery ange⸗ boten, der sie auch angenommen hat. Heute wollte die Königin, wie „W. T. B.“ berichtet, in London eintreffen und Lord Rose⸗ bery im Buckingham⸗Palast in Audienz empfangen.

Lord Rosebery hatte gestern Besprechungen mit den Mitgliedern des E Kabinets, die ihm ihre Mit⸗ wirkung bei ber Kabinetsbildung zusagten. Als Mitglieder des neuen Kabinets werden genannt: Lord Kimberley als Minister des Auswärtigen, J. Morley als Minister für Ferig und Herbert Gladstone als Chef Setretär für Irland.

em Vernehmen nach theilte Sir W. Harcou rt Lord Rosebery in einem Schreiben mit, daß er auf den einhelligen Wunsch seiner bisherigen Amtsgenossen einwillige, seinen Posten als Kanzler der S atkkammer zu behalten und die Führung der Liberalen

im Unterhause zu übernehmen. Gestern Nachmittag fand unter dem Vorsitz Lord Rosebery's die erste Sitzung des neuen Kabinets statt. Der Premier⸗ Minister theilte der Königin telegraphisch mit, daß das neue Kabinet vollzählig sei, indem er zugleich die Namen der neuen Minister angab. Von den vorgestrigen Abendzeitungen erklärt der „Observer“, Lord Rosebery nehme den Posten des Minister⸗Präsidenten nur widerstrebend an; er würde vorgezogen haben, das Portefeuille des Auswärtigen zu behalten, und gebe nur den von allen Seiten an ihn ge⸗ richteten Bitten nach, um eine schwere Krise von der liberalen Partei abzuwenden. Die „St. James Gazette“ glaubt, der Rücktritt Gladstone's bedeute den Zerfall der unter dem Namen „Gladstone'sche Partei“ vereinigten Gruppen. Es werde Lord Rosebery schwer fallen, ein Einigungsband zu finden. Die „Pall Mall Gazette“ fragt, was aus Homerule werde, wenn Gladstone fort sei; nur Gladstone und Morley seien wirklich von der Nothwendigkeit von Homerule über⸗ zeugt; die anderen Minister hätten sich sur Unterstützung der Homerulevorlage verpflichtet, ohne von deren Nothwendigkeit überzeugt zu sein. Es sei wahrscheinlich, daß Homerule endgültig werde fallen gelassen werden. Die ituation sei seit Monatere eine unmögliche, die Nachfolger Gladstone’s könnten den Folgen derselben nicht entgehen. Der „Globe“ meint, Lord Rosebery könne den Posten eines Premier⸗Ministers kaum übernehmen, ohne sich der Mitwirkung Harcourt's, dessen Abfall die baldige Auflösung des Parlaments herbeiführen würde, zu vergewissern. Die „Westminster Gazette“ beklagt die feindliche Haltung eines Theils der radikalen Partei gegen Lord Rosebery und empfiehlt auf das wärmste, sämmtliche Gruppen der liberalen Partei möchten einmüthig zusammen⸗ stehen, da sonst die Partei zerstückelt werden werde. Die heutigen Blätter geben einmüthig ihrer Befriedigung über die Ernennung Lord Rosebery's zum Premier⸗Minister Aus⸗ druck. Die „Times“ meint, vom Standpunkte der nationalen Fragen sei Lord Rosebery der geeignetste Nach⸗ folger Gladstone’'s; wer auch immer Minister des Aus⸗ wärtigen sei, die auswärtige Politik werde keine Aenderung er⸗ fahren; wahrscheinlich werde der Unschlüssigkeit betreffs Ver⸗ mehrung der Flotte ein Ende gemacht werden, aber die all⸗ gemeine Politik der Regierung würde im übrigen beibehalten werden. Der „Daily News“ zufolge stimmt die Ernennung Lord Rosebery's zum Premier⸗Minister mit dem allgemeinen Wunsche der liberalen Parte überein. Das Blatt billigt ferner die Ernennung Lord Kimberley's zum Minister des Aus⸗ wärtigen und glaubt, Lord Rosebery werde ein Programm der Entschiedenheit und des Fortschritts befolgen. Der „Standard“ erklärt, jedermann werde es bedauern, daß Lord Rosebery von dem Posten des Ministers des Aus⸗ wärtigen scheide, Lord Kimberley habe nicht die für diese Stellung nothwendigen 1“ doch sei er noch mehr als irgend einer seiner Kollegen hierfür geeignet. Die „Financial News“ hält die Ernennung Morley's zum Staatssekretär für Indien für unheilvoll

In der vorgestrigen Sitzung der Deputirtenkammer begründete, wie „W. T. B.“ berichtet, der Deputirte Pelletan seinen Antrag, worin er Dupuy auffordert, die 8000 Fr. Subvention zurückzuzahlen, die er zur Zeit, als er Minister des Innern gewesen sei, an Ducret, den Redakteur der „Cocarde“, nach seiner Verurtheilung in der Norton⸗Angelegen⸗ heit gegeben habe. Der Redner tadelte den Gebrauch, der von den geheimen Fonds gemacht werde, die dazu gedient zu haben schienen, die Umtriebe Ducret's zu bezahlen. (Lärm.) Der Präsident der Kammer Dupuyforderte die Kammer auf, den Redner ruhig anzuhören. Pelletan verlangte die Dringlich⸗ keit für seinen Antrag. Habert warf Develle vor, daß er den Deputirten und Journalisten nicht davon Mittheilung ge⸗ macht habe, daß die Schriftstücke Norton's gefälscht gewesen seien. Develle erklärte, er habe dies den daber Interessierten gegenüber gethan. Mery stellte das in Abrede. Die Dring⸗ lichkeit wurde mit 286 gegen 126 Stimmen abgelehnt. Paschal Grousset brachte im Namen der Sozialisten eine Resolution ein, worin Dupuy aufgefordert wird, seine Ent⸗ lassung zu nehmen. (Lebhafte Protestrufe.) Hierauf wurde die Vorfrage verlangt, die unter großem Lärm mit 348 gegen 63 Stimmen beschlossen wurde. Im weiteren Verlauf der Sitzung richtete sodann Cochin eine Interpellation an die Regierung über das Verbot der Ausstellung kirchlicher Embleme in St. Denis. Der Unterrichts⸗Minister Spuller rechtfertigte die Gesetzlichkeit der Haltung der Munizipalität, fand sie aber tyrannisch. Die Regierung solle tolerant sein, sie dürfe nicht in der gegenwärtigen Stunde eine Politik der Aufhetzerei treiben. (Lebhafte lärmende Unter⸗ brechungen.) Brisson tadelte die Haltung Spuller’s als eine Erniedrigung und erklärte, die Republik vertheidige sich nur gegen erbitterte Gegner. Der Minister⸗Präsident Casimir Pörier erklärte, es würde unwürdig sein, eine engherzige beunruhigende Politik hinsichtlich der Katholiken zu führen. Die weltliche Autorität sei siegreich aus dem Kampfe gegen die religiöse Autorität hervorgegangen. Die Regierung werde den Rechten des Staats Achtung zu verschaffen wissen, aber sie werde bemüht sein, die Ursachen des Zwiespalts zu be⸗ seitigen (Lebhafter Beifall). Die Regierung bedürfe mehr als je einer starken Majorität, die ihr die Kraft gebe, mit Autorität zu sprechen, wenn sie außerhalb der Kammer spreche. Goblet warf der Regierung vor, mit den Katholiken herr⸗ schen zu wollen. Die Kammer nahm schließlich mit 302 gegen 119 Stimmen eine von dem Minister⸗Präsidenten acceptierte

Tagesordnung an, worin das Vertrauen See rs sche wird,

daß die Regierung die republikanischen Gesetze aufrecht erhalten und die Rechte des Laienstaats vertheidigen werde. Die Sitzung wurde hierauf aufgehoben,

In Marseille wurde gestern bei der Stichwahl zur Deputirtenkammer der Sozialist Carnaud gewählt.

Am Sonnabend Vormittag fanden in Paris zwölf Haus⸗ suchungen bei Anarchisten statt; eine Anzahl Schriftstücke wurde beschlagnahmt, sieben Verhaftungen wurden vorgenommen. Gestern früh nahm die Polizei dreizehn weitere Verhaftungen von Anarchisten vor, wobei zahlreiche anarchistische Zeitschriften und Broschüren beschlagnahmt wurden; außerdem wurden bei mehreren der Verhafteten mit Pulver und anderen Explosiv⸗ stoffen gefüllte Bomben entdeckt. 8

Rußland.

Der Staatsrath Timirjasew ist, wie dem „W. T. B.⸗ aus St. Petersburg berichtet wird, am Sonnabend Abend nach Berlin abgereist

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In der Sitzung der Deputirtenkammer vom Sonn⸗

abend erklärte, wie „W. T. B.“ meldet, nachdem mehrere Redner die von ihnen vorgeschlagenen Tagesordnungen be⸗ gründet hatten, der Minister⸗Präsident Crispi unter großer Aufmerksamkeit des Hauses, er werde kurz und offen erwidern und nicht auf die im Laufe der Debatte gefallenen bitteren Worte zurückkommen, ebenso wenig auf die unpassenden

schichtlichen Erinnerungen einzelner Redner, welche die

eignisse des Jahres 1848 auf eine Linie mit den gegenwär tigen Maßregeln gestellt hätten.

Es liege ihm fern, die Autorität des Parlaments schmälern zu wollen. Setn Vertrauen auf das parlamentarische Regime gehe so weit, daß er es für das einzige halte, welches das Wohl und Gedeihen Italiens verbürgen könne. Er erwarte das Votum der Kammer. Falle dasselbe günstig aus, so werde er sich dessen freuen. er, was er zu thun habe. Er habe es, als sich 2000 Bewaffnete in der Provinz Massa⸗Carrara erhoben hätten und in 20 Gemeinden Siziliens die Revolution proklamiert worden sei, für seine Pflicht gehalten, Vorsorge dafür zu treffen, daß die Ereignisse nicht größere Dimensionen annähmen. (Lebhafter Beifall.) Angesichts des Umstandes, daß die Bahl der den Fasci angehörigen Mitglieder nahezu 300 000 betragen habe, hätten die Streitkräfte Siziliens, die nach Beurlaubung der auszuscheidenden Altersklassen kaum 14 000 Mann erreicht hätten, nicht ausgereicht, um die Unruhen zu unterdrücken; die Verhängung des Belagerungszustandes sei daher die einzige wahrhafte Vorsichtsmaßregel gewesen, deren Ankündigung allein genügt habe, die Ruhe in Palermo auf⸗ recht zu erhalten, das Vordringen der Rebellen aus den be⸗ nachbarten Gemeinden nach Palermo zu verhindern sowie Beruhigung in der Bevölkerung hervorzurufen. Der Minister⸗ Präsident vertheidigte sodann mit zahlreichen Beweisgründen die Nothwendigkeit der Verhängung des Belagerungs⸗ zustandes und dessen Konsequenzen und wies entschieden jede Kritik des Vorgehens der Soldaten zurück. In den wenigen Fällen, in denen die Truppen schmer licher Weise ge⸗ gewesen seien, Feuer zu geben, sei dies aus Nothwehr geschehen. Der Fluch des vergossenen Blutes falle auf die Rebellen zurück. Man habe die Regierung über ihre Ab⸗ sichten gegenüber den Sozialisten befragt. Darüber zu debattieren, werde sich Gelegenheit finden, wenn er soziale Maß⸗ regeln vorschlagen werde. Wenn aber die Anarchisten die be⸗ stehenden Institutionen angreifen würden, werde er sie be⸗ kämpfen, wie er die Rebellen Siziliens und Massa⸗Carraras bekämpft habe. Wenn gesagt worden sei, daß die Besiegten von heute morgen die Sieger würden, so sei dies ein Irrthum. Es könnten d.g Unruhen und Tumulte vor⸗ kommen, aber keine Revolution, wenn deren Ausbruch nicht von einer großen Majorität der Bevölkerung gewünscht werde. Gegenwärtig würden die sozialistisch⸗kommunistischen Prinzipien von der ungeheuren Mehrheit der Nation, die der sozialistischen Propaganda nicht folge, zurückgewiesen; ihre Verirrungen würden immer ohne Wirkung sein. (Sehr gut.) Zum Schluß erklärte der Minister⸗Präsident, keinen Antrag annehmen zu können, der eine Absolution oder Aufforderung, die Ver⸗ hängung des Belagerungszustandes zu billigen oder irgend⸗ welche Zensur involvieren würde, und bat die Kammer, die von Damiani vorgeschlagene Tagesordnung anzunehmen. (Sehr lebhafter Beifall). Darauf wurde die Tagesordnung der Sozialisten, die einen Tadel gegen das Ministerium aus⸗ sprach, verworfen. Dafür stimmten nur fünf Sozialisten. Dagegen wurde die Tagesordnung Damiani, welche die auf Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens ge⸗ richtete Aktion der Regierung billigt und das „Ver⸗ trauen der Kammer ausspricht, die Regierung werde den öffent⸗ lichen Frieden mittels der entsprechenden leg islativen Maß⸗ nahmen definitiv zu sichern wissen, in namentlicher Abstimmung mit 342 gegen 45 Stimmen bei 22 Stimmenthaltungen an⸗ genommen.

Wie die „Agenzia Stefani“ berichtet, stehen von den 15 in die Kommission für die Finanzmaßnahmen ge⸗ wählten Deputirten 11 auf der zwischen der Regierung und den maßgebenden Parteien vereinbarten Liste.

Spanien.

Nach in Madrid eingetroffenen Meldungen aus Marakesch wären die Unterhandlungen zwischen dem Marschall Martinez Campos und dem Sultan beendet; Marokko werde eine Entschädigung von 20 Millionen Pesetas an Spanien zahlen. Man glaubt dem „W. T. B.“ zufolge in Madrid, daß das spanisch⸗marokkanische Abkommen heute unterzeichnet werden würde. Der Marschall Martinez Campos werde sich am Freitag in Mazagan nach Spanien einschiffen.

Gestern fand in Estella eine fueristische Kund⸗ gebung statt, woran sich mehrere tausend Personen be⸗ theiligten. Die Ordnung wurde nicht gestört.

Schweiz.

Bei der gestrigen Volksabstimmung wurde dem „W. T. B.“ zufolge der neue Artikel der Bundesverfassung, wodurch dem Bundesrath die Gesetzgebungskompetenz auf dem

Gebiete des Gewerbewesens verliehen werden sollte, mit einer Mehrheit der Volks⸗ und der Kantonsstimmen abgelehnt.

Belgien.

Die Kammer verwarf, wie die „Magd. Ztg.“ erfährt, in ser vorgestrigen Sitzung die Anträge des Generals Brialmont auf Verstärkung des belgischen Heeres um 240 000 Mann und den weiteren Ausbau der Maasbefestigung, sowie auf Erhöhung des Kriegsbudgets. 161“

Rumänien. 8

In der vorgestrigen Stzung der Deputirtenkammer entkräftete laut Meldung des „W. T. B.“ der Kriegs⸗Minister Lahovary in einer von wiederholtem Beifall begleiteten Rede die in den letzten beiden Sitzungen von dem liberalen Deputirten Fleva vorgebrachten Ausführungen über den Aus⸗ tritt von Kavallerieoffizieren aus der Armee. Der Kultus⸗ Minister Jonescu, der darauf sprach, verlas ein Schreiben eines höheren Offiziers, worin auf die glänzende Laufbahn des Generals Lahovary und auf die von Joan Bratiano und von der liberalen Regierung über ihn ausgesprochene schineichel⸗ hafte Beurtheilung hingewiesen wird. 8 5*

Selbst wenn das Ministerium zufälligerweise Irrthümer begangen haben sollte, könne unter der Dynastie Savoyen derartiges wie 1848 nicht vorkommen.

Im entgegengesetzteu Falle wisse

Antrages der

Montenegro.

Die Meldung serbischer Blätter, daß die Regierung von Montenegro dem gegenwärtigen serbischen Regime gegenüber eine feindselige Haltung einnehme, wird, wie „W. T. B.“ aus Cetinje meldet, von dem Amtsblatt für völlig unbegründet erklärt. Die Regierung stehe allen Parteiveränderungen in Serbien vollständig unparteiisch gegen⸗ über und weise jede gegentheilige Darstellung als Uebelwollen und nutzlose Herausforderung zurück.

Dänemark.

Der Finanzausschuß des Folkething genehmigte, wie „W. T. B.“ meldet, den geforderten Betrag für die Be⸗ theiligung Dänemarks an der Kunstabtheilung der Weltaus⸗ stellung in Antwerpen. Dagegen lehnte der Ausschuß wie

üher die in Verbindung mit den provisorischen Gesetzen ab. Infolge des Antrags der Seb Reichs⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung auf Herstellung einer telephonischen Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland hat der Ausschuß seine Zustimmung dazu gegeben, daß die Leitung Kopenhagen⸗Odense so gelegt werde, daß sie als Glied einer eventuellen Leitung via Odense⸗Kolding⸗ Hamburg⸗Berlin verwendet werden könne.

Schweden und Norwegen. Der Minister des Innern Thorne hat infolge von Differenzen innerhalb des Ministeriums bezüglich der Eisen⸗ bahnpolitik seine Demission eingereicht, die vom König an⸗ genommen wurde. Zum Minister des Innern ist dem „W. T. B.“ zufolge der ehemalige Minister Birch⸗Reichenwald ernannt worden.

Amerika.

Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Washington brachte Cullom am 1. d. M. im Senat eine Bill ein, worin die Einsetzung einer Tarifkommission verlangt wird, deren Aufgabe es sein soll, ein Zollsystem auszuarbeiten, bei dem sich die Höhe der Zölle nach dem Unterschied der in Amerika und im Auslande für die Herstellung des betreffenden Artikels gezahlten Löhne richtet. Die Kommission soll neun Mitglieder zählen; nicht mehr als vier dürfen ein und der⸗ selben Partei angehören.

Wie „W. T. B.“ aus Rio de Janeiro vom 3. d. M. erfährt, sind die Wahlen in der größten Ruhe verlaufen. Mit großer Majorität sind Prudente de Moraes zum Prähinten und Manoel Victorino Pereira zum Vize⸗ Präsidenten der Republik gewählt worden. In Paris eingetrof⸗ fenen Nachrichten zufolge hätte der Marschall Peixoto den Belage⸗ rungszustand bis zum 30. April verlängert. Die Gefängnisse in Rio de Janeiro seien mit Gefangenen angefüllt, die wegen politischer Verbrechen verurtheilt worden seien. Das Kriegs⸗ schiff „Nictheroy“ sei in Bahia zu dem Geschwader Peixoto's gestoßen. Die Bevölkerung von Santos sei den Aufständischen günstig gesinnt; letztere näherten sich der Stadt, die jedoch für uneinnehmbar gehalten werde.

Aus Montevideo wird gemeldet, daß die Präsidenten⸗ wahl auf heute vertagt wurde, da die beschlußfähige An⸗ zahl von Mitgliedern am Sonnabend nicht vorhanden ge⸗ wesen sei. In der Bevölkerung herrsche Unruhe; gerüchtweise verlaute, Stewart werde provisorisch die Präsidentschaft be⸗ halten und Herrera das Portefeuille des Krieges übernehmen.

Afrika.

„Das „Reuter'sche Bureau“ meldet aus Kairo von gestern, Oberst Wingate sei an Stelle Zohrab⸗Paschas zum Kon⸗ troleur der Truppen⸗Rekrutierung ernannt worden, behalte jedoch seinen Posten als Chef des Nachrichtendienstes der egyptischen Armee bei.

Dasselbe Bureau erfährt aus Bathurst, eine Abtheilung des westindischen Regiments unter Führung des Obersten Madden habe Busumballa nach leichtem Kampf besetzt. der Feind sei jedoch später zurückgekehrt und habe die englischen Vorposten angegriffen. Es sei ein heftiger Kampf entstanden, wobei neun englische Soldaten verwundet worden seien. Die Verluste des Feindes seien nicht bekannt, da er seine Todten und Verwundeten als⸗ bald fortgeschafft habe. Oberst Madden habe Busumballa befestigt, Verstärkungen seien sofort abgesandt worden. Der Verkehr mit Busumballa sei schwierig, da die Bewohner des umliegenden Gebiets feindlich gesinnt seien. 8

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die Sonnabendsitzungen des Reichs⸗ tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen 63. Sitzung des Reichstag 8 welcher die Staatssekretäre Dr. von Boetticher und Freiherr sowie der Königlich preußische Kriegs⸗ t von Schellendorff beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Militär⸗Etats fortgesetzt. -üpfend an die Reden der Abgg⸗ Bebel (Soz.) und 1 Volksp.) in der Sitzung vom Sonnabend äußerte sich der Königlich eußische Bevollmä tigte zum Bundesrath, Kriegs⸗Minister ronsart von Schellendorff über den Fall Kirchhoff und das Beschwerderecht in einem eingehenden Vortrag, den wir morgen im Wortlaut bringen werden. (Schluß des Blattes.)

Der heutigen 28. Sitzung des Hauses der Ab⸗

geordneten wohnten der Präsident des Staats⸗Ministeriums,

Minister des Innern Graf zu Eulenburg, der Finanz⸗ Minister Dr. Miquel und 8 Minister füͤr Lan neng schaft ꝛc. von Heyden bei.

Auf der Tagesordnung stand die Berathung des folgenden Abgg. Dr. Bachem (Zentr.) und Genossen:

—. Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem Ab eordnetenhause baldmöglichst, zunächst für alle Städte von mehr als 10 000 Einwohnern, statistische Mittheilungen über die Er ebnisse des Wahlverfahrens nach Erlaß des Aenderungen des Wahlverfahrens betreffenden Ge⸗ setzes vom 29. Juni 1893 zu machen, welche sowohl bezüglich der Wahlen um Abgeordnetenhause, als bezüglich der Gemeindewa hlen, soweit 1 diesen das Dreikla enwah ftsben gilt, unter Vergleichung mit en entsprechenden Zahlen bei früheren Wahlen den Einflu ersehen

lassen, den die neuere Wabhl⸗ und Steuergesetzgebung auf die Ver⸗ theilung der Wähler in die verschiedenen Wahlklassen ausgeübt hat.“

Akg. Dr. Bachem (Zentr.) will auf die Frage der Wahlreform nicht zurückgreifen, weil daraus ein materieller Vortheil nicht ent⸗ stehen könne; er erinnert aber daran, 29 leichzeitig mit der Ge⸗ meindesteuerreform in der Thronrede eine Reform des Wahlrechts an⸗ gekündigt worden sei. Das zur Verabschiedung gelangte Wahlgesetz, fährt Redner fort, enthielt auch nicht die Spur einer Reform, einer Verbesserung der durch die Steuerreform eingetretenen Verschiebung des Wahlrechts. Es wäre wohl angebracht, wenn der Minister des Innern ausführen wollte, inwiefern er in dem Gesetz eine Reform erkennt. Es wird schwere Kämpfe kosten, zu einer Reform des Wahl⸗ gesches zu kommen; aber wir wollen Stimmung machen, wir wollen die Schäden des Systems nachweisen, ohne agitatorisch vor⸗ zugehen, bloß durch die Aufdeckung der Thatsachen. Das Wahl esetz, wie es besteht, hat nur einen provisorischen Charakter; die erfassung verspricht ein definitives Wahlgesetz, um welches man nicht herum⸗ kommen wird, nachdem eine Steuerreform durchgeführt ist, die doch die Gewähr einer Heeten Dauer in sich trägt. Die Statistik, so⸗ weit man sie jetzt at aufstellen können, zeigt überall große Ver⸗ schiebungen; die Wählerzahl in der ersten und zweiten Klasse ist zurückgegangen, die Zahl der Wähler dritter Klasse ist ganz erheblich gestiegen. Redner beruft sich auf seine Beobachtung in den rheinischen Städten; aber auch anderweit seien aus den Städten dieselben Ergebnisse gemeldet. Es zeigt sich, fährt Redner fort, daß dieses Verhältniß ein durchaus unhaltbares geworden ist. In Dortmund waren in der ersten Klasse 1891 250, 1893 nur 20 Wähler, in der zweiten Klasse 1440 bezw. 660 Wähler. Aehnliche Nachrichten liegen auch aus anderen Landestheilen vor. Es handelt sich nicht bloß um ein Interesse des Zentrums, sondern über⸗ haupt um die Interessen der gebildeten Theile der Nation und des Mittelstandes. Man sagte, bei Annahme unserer Anträge würden Leute in die erste und zweite Klasse kommen, die nicht hinein⸗ gehören; jetzt sind aber Leute in die dritte Klasse ge⸗ kommen, die nicht dorthin gehören; EoI11m Berkin die höchsten Staatsbeamten in die dritte Klasse gekommen. Das ist doch nicht mehr richtig, daß in der ersten Klasse nur Kapitalisten herrschen und der goße Blick der Staatsmänner und hohen Beamten garnicht mehr zur Geltung kommt. Beim Dreiklassenwahlsystem soll in der ersten Klasse der Befitz, in der zweiten die Bildung und in der dritten die breite Masse des Volks vertreten sein. Jetzt sind aber in den ersten beiden Klassen nur die Geldmächte vertreten. Wir wollen mit der Besserung nicht warten, bis die Mißstände 19 allzu sehr bemerkbar machen; wir wollen dabei auch nicht allein die Interessen der unteren Volksschichten wabren, sondern namentlich die des Mittel⸗ standes. Graf Limburg⸗Stirum meinte, man müsse mit der Wahl⸗ p setzgebung Schicht machen. Das geht nicht. Wenn die Verhältnisse i

s

e ch in zwanzig Jahren wieder so verschieben, wie sie sich jetzt ver⸗ choben haben, so wird man wieder ändern müssen. Ich bitte Sie, diese Fragen nach den Thatsachen zu beurtheilen und nicht in unser Herz zu sehen. Wir wünschen die Ausdehnung des Reichstags⸗ wahlrechts auf die Landtagswahlen, aber jetzt ist es bei der Zusammensetzung des Hauses nicht durchführbar; des⸗ wegen begnügen wir uns mit der Verbesserung des bestehenden Wahlrechts. Wir haben uns dabei auch noch die Beschränkung auferlegt, daß wir die Statistik nur für die Städte über 10 000 Ein⸗ wohner verlangt haben. Die Wirkungen der neuen Steuergesetze sind zum größten Theil schon eingetreten, sodaß man sie g eine Statistik erfassen kann. Man braucht nicht länger zu warten mit der Untersuchung. Es ist auch schließlich keine Zeit zu verlieren. Es könnten Zeiten kommen, in denen es nicht mehr möglich ist, ein Drei⸗ klassenwahlgesetz zu machen.

Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern Graf zu Eulenburg: Die Staatsregierung ist bereit, dem Antrag zu ent⸗ sprechen, soweit es sich ohne große Aufwendung von Zeit und Kosten ermöglichen läßt. Diese Einschränkung bezieht sich auf die Vergangen⸗ heit, wo das Material lückenhaft und zum theil gar nicht mehr vor⸗ handen ist. Es wird vielleicht genügen, für die letzte Vergangenheit die Arbeit zu machen. Eines besonderen Antrags hätte es wohl gar nicht bedurft, eine andere Anregung hätte auch genügt, denn ich habe bereits bei der Berathung des Wahlgesetzes dem Abg. Parisius gegenüber eine Wahlstatistik zugesagt, und bei der vritten Berathung habe ich erklärt, daß unsere Aufgabe jetzt darin bestehe, die Verhältnisse zu beobachten und damit die Grundlage zu finden, ob eine Verbesserung nothwendig ist. Das steht nicht in Widerspruch mit der Thronrede; denn das Wahlgesetz von 1893 enthält die Anträge des Zentrums zu der Wahlrechtsnovelle von 1891, und an die Stelle der staatlichen Realsteuern sind die Gemeindesteuern getreten. Ob diese Kautelen genügt haben, wird Gegenstand der eingehendsten Untersuchung sein. Um dafür Material zu gewinnen, sind die statistischen Untersuchungen bereits kurz nach den Wahlen angeordnet worden, und es wird hoffentlich nicht zu langer Zeit bedürfen, um die Ergebnisse dem Hause vorzulegen. In den nächsten Tagen kann viel⸗ leicht schon die Nummer der Statistischen Korrespondenz über die Landtagswahlen publiziert werden. Für die Gemeindewahlen wird die Statistik für die Gemeinden über 10 000 Einwohner bald fertig gestellt werden, für die anderen Gemeinden nach probeweisen Erhebungen, weil sonst die Arbeit zu umfangreich werden würde. Bezüglich der Kommunalwahlen ist die Befürchtung des Vorredners, daß in den beiden ersten Klassen eine Abnahme der Wählerzahl ein⸗ getreten ist, richtig; aber das Maß ist doch nicht so bedeutend, wie er fürchtet. Die Zahl der Wähler erster und zweiter Abtheilung ist herabgegangen in den Städten über 10 000 Einwohner auf 8,40, in den Landgemeinden mit industriellem Charakter auf 12,66, in den kleinen Städten auf 17,05 und in den Land⸗ gemeinden auf 23,89 %. Daneben giebt es aber Gemeinden, in denen das Verhältniß der Wähler der ersten und zweiten Ab⸗ theilung günstiger geworden ist, als früher. Die Wirkungen sind also außerordentlich verschieden, sodaß man sich wohl hüten muß, aus eklatanten Fällen ein allgemeines Urtheil abzuleiten. Anders steht es bei den Wahlen zum Abgeordneten⸗ hause. Die Verminderung der Wähler in der ersten und zweiten Klasse ist ebenfalls eingetreten, aber in sehr viel geringerem Maße als bei den Gemeindewahlen, und die Fälle sind häufiger, wo eine Verbesserung eingetreten ist. In den Städten über 10 000 Einwohner sind iin der ersten Klasse 2,39, in der zweiten 8,98 % der Wähler vertreten. Auf dem platten Lande ver⸗ hält es sich entgegengesett. Die Wählerzahl ist gestiegen in der ersten Ab⸗ theilung von 3,89 auf 4,03, und in der zweiten Kla se von 11,26 auf 13,63 %. Für den ganzen Staat ergiebt sich also eine; erminderung nur in der ersten Klasse von 3,6 auf 3,5 %, in der zweiten Klasse eine Ver⸗ mehrung von 10,82 auf 12,06 %. Sie sehen also, wir sind bei der Arbeit und werden das Ergebniß derselben, sobald es fertig gestellt ist, mittheilen. Zu vergessen ist aber nicht, daß wir einen großen Theil der Steuerreform noch vor uns haben. Es ist nicht allein die Ergänzungs⸗ steuer, welche noch nicht Se ist, sondern die Gemeindesteuer⸗ reform steht auch noch aus. ir hoffen, daß nicht nur die staatliche Grund⸗ und Gebäudesteuer fortfällt, sondern daß auch eine Herab⸗ minderung der Zuschläge zur Staatseinkommensteuer stattfindet. Deshalb müssen wir noch warten, ehe wir uns ein Urtheil bilden über die Abänderung des Wahlrechts. Ob das schon nach den Wahlen von 1895 möglich sein wird, lasse ich dahingestellt. Wir wollen möglichst schnell zu einem Ergebniß kommen. Bis dahin sollte es nicht nöthig sein, in eine agitatorische Behandlung der Angelegenheit einzutreten. Das ist ohnehin ein bedenkliches Beginnen auf dem Gebiete des Wahlrechts, weil, soweit es bisher in die Oeffentlichkeit gelangt ist, Klagen hervorgetreten sind über die Veränderung in den Abtheilungen, aber keine Klagen darüber, daß dadurch Aenderungen in der Zusammensetzung der Kommunalvertretungen eingetreten sind, die zur Schädigung der Gemeinden geführt haben. Für wünschens⸗ werth halte ich, das habe ich in der vorigen Session schon gesagt, eine Aenderung in den Städten.

(Schluß des Blattes. Wir werden diese Rede im Wort⸗ laut nachtragen.)

Die Reichstagskommission für den Handelsvertrag

mit Rußland setzte heute ihre Berathungen fort bei Art. 19, welcher

Ostseehäfen ins Auge faßt. Referent Möller nl.) ver⸗ tritt mit Wärme die nsicht, daß dieser Artikel zum Segen der östlichen rovinzen und namentlich der beiden Ostseestädte Danzig und Königs 8 gereichen würde, zumal die darin gesicherten Vortheile für zehn Jahre festgelegt würden. Korreferent von Frege (dkons.) bezeichnet diese Auffassung als viel zu opti⸗ mistisch und hebt die Befürchtungen der west⸗ und süddeutschen Mühlenbesitzer hervor. Redner besorgt ferner von dem Inkrafttreten dieses Artikels 19 nicht nur eine Schädigung des inländischen Getreide⸗ baues, sondern ebenso eine verstärkte Einfuhr fremden Hanfes und Flachses. Staatssekretär von Boetticher: Die Königlich prenftsch⸗ Regierung hat gegenüber den immer häufiger auftretenden Klagen aus dem Westen und Süden über die schädigende Wirkung der im FJahre 1891 eingeführten Staffeltarife beschlossen, in eine ernst⸗ liche Erwägung über die Aufhebung dieser Tarife einzutreten, und für morgen den Landes⸗Eisenbahnrath zu einer Sitzung einberufen, um zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Sobald das Gutachten dieser Körperschaft vorliegen werde, würde sich auch das Staats⸗ Ministerium sofort über die Frage der Staffeltarife schlüssig machen, und er hoffe, schon übermorgen eine endgültige Erklä⸗ rung darüber abgeben zu können. Abg. Graf Mirbach (dkons.) beantragt, daß die Frachttarife für Getreide nach Memel, Königsberg und Danzig wie bisher nur für die Ausfuhr übe See Geltung haben sollen. reiherr von Hammerstei beantragt, den Reichskanzler zu ersuchen, daß vor der Ratifikation der Vertrage eine nachträgliche Deklaration zu Art. 19 eingefügt werde, dahi gehend, die in diesem Artikel erweiterten Frachtsätze nach M i und Königsberg sollen nur für die Ausfuhr über

haben. Staatssekretär Freiherr von Marschall weist

Ost⸗ und Westpreußen mehr Getreide produzi

sei unmöglich, russisches Getreide nach Da

dort zu verzollen und dann zum inländischen Konsum zu verwenden er beruft sich auf eine frühere Rede des Abg. Grafen Mirbach welche bei ihm jedes Bedenken gegen den Art. 19 beseitigt habe Abg. von Bennigsen (nl.) hegt gleichwohl einige Bedenken gege die Bestimmungen des Artikels und empfiehlt wenigstens di Annahme des Antrages Hammerstein. Staatssekretär Freiher von Marschall entgegnet jedoch, daß in dieser Frag mit Rußland nicht mehr verhandelt werden könne. Abg Graf Mirbach Durch die Aufhebung des Identitäsnachweises werde zweifellos viel Getreide exportiert, und so könnte in den See städten ein gewisses Manko eintreten. Der Antrag Hammerstein sei immerhin empfehlenswerth; es handle sich dabei um eine intern Angelegenheit des Deutschen Reichs, und könne dieser Antrag als Inter pretation Rußland gegenüber gerechtfertigt werden. Er würde de Regierung rathen, die Frage des Identitätsnachweises vor der Ent scheidung über den Handelsvertrag zu lösen, denn nach Annahme des Handesvertrags könnte die Regierung Ueberraschungen erfahren; es se dann sehr fra lich, wie seine Partei stimme. Abg. Rickert (fr. Vg.) bezweifelt, daß die Konservativen gegen die Aufhebung des Identitäts nachweises stimmen werden. Abg. Freiherr von Hammerstein will gegen die Aufhebung des Identitätsnachweises stimmen, da nach seiner Ueberzeugung diese Masßregel nicht der Landwirthschaft, sondern nur dem Handel nützen würde. Staatssekretär von Ma rschall be⸗ tont nochmals, daß die Annahme des Antrags Hammerstein eine neuer⸗ liche Unterhandlung mit Rußland erfordere. Das aber gefährde nicht nur den Artikel 19, sondern den ganzen Vertrag. Abg. Sch Henne (nl.) erklärt sich für den Artikel, aber gegen den Handels⸗ vertrag. Es wird darauf der Antrag Graf Mirbach (Rp.) ab⸗ gelehnt, ebenso der Antrag Hammerstein mit allen gegen 8 Stimmen, Artikel 19 dagegen mit 16 gegen 8 Stimmen angenommen. Nächste Sitzung morgen.

Dem Herren haufe sind Gesetzentwürfe, betreffend das Pfand⸗ recht an Privateisenbahnen und Kleinbahnen und die Zwangsvollstreckung in dieselben, und betreffend die Erx⸗ richtung eines Amtsgerichts in der Stadt Ronsdorf, nebst Begründungen zugegangen.

Der Abg. Baumbach (Rp.) erklärt in der „Alt. Ztg.“: „Giebt die Reichsregierung mir vor der Abstimmung die 1a Zhch liche Gewähr, die Identität des Getreides aufzuheben wozu ja allerdings die Annahme im Reichstag gehört und das gleichzeitige Fallenlassen der Staffeltarife, so werde ich, auch im Interesse der heimischen Landwirthschaft, für den russischen Handelsvertrag stimmen, sonst gegen. Glaubt sich die Altenburger Landwirthschaft durch mein Votum geschädigt, so stehe ich nicht an, zu erklären, daß ich das Mandat in die Hände meiner Wähler zurücklege. Den Ver⸗ handlungen über die Deckungsmittel aus Anlaß der Vermehrung der Armee, halte ich mich jedoch verpflichtet, noch anzuwohnen.“ 8

In einer gestern in Neustadt a. d. H. abgehaltenen Ver⸗ sammlung erklärte sich, wie „W. T. B.“ meldet, der Vize⸗Präsident des Reichstags Dr. Bürklin für den russischen Handelsvertrag. In einer großen Versammlung zu Grünstadt wurde dem Reichstags⸗ abgeordneten Dr. Clemm⸗Ludwigshafen, der sich früher gegen den russischen erklärt hatte, die Abstimmung über den Vertrag freigestellt.

In demselben bequemen Taschenformat und der gleichen prak⸗ tischen Einrichtung, wie der s. Zt. an dieser Stelle angezeigte „Neue Reichstag“ hat eheimer Hofrath Josef Kürschner soeben ein Büchelchen, betitelt „Das preußische Abgeordnetenhaus“ (Deutsche Verlags⸗Anstalt in Stuttgart, Leipzig, Berlin, Wien) er⸗ scheinen lassen. Den Hauptinhalt bilden wie in jenem die kurz⸗ gefaßten nach den Provinzen geordneten Biographien der Abgeordneten nebst beigefügten Porträts. Vorangeschickt sind Tabellen über die Stärke der einzelnen Parteien des Hauses, die Vertheilung der Abgeord⸗ neten nach Berufen und nach der Geburt, über Religionsverhältniß und Alter. Den biographischen Abrissen folgen Uebersichten der einzelnen Frak⸗ tionen, Mittheilungen über die Zusammensetzung des Präsidiums und des Bureaus, die Lifte der Abgeordneten, welche zugleich Reichstags⸗ Mitglieder sind, und ein alphabetisches Register. Auch der mitgetheilte Auszug aus der Verfassung⸗ er Wortlaut des neuen Wahlgesetzes, die Geschäftsordnung nebst Sachregister sind dankenswerthe und an⸗ enehme Zugaben. Ohne Zweifel wird das nützliche kleine, vor dem Titelblatt mit dem Porträt Seiner Majestät des Kaisers und Königs geschmückte Büchlein sowohl bei den Mitgliedern des Hauses, wie bei allen, die an den parlamentarischen Verhandlungen Interesse nehmen, einer gleich guten Aufnahme begegnen, wie ichstag g

widmeter Vorgänger. 8

die Herstellung direkter senchlsee nach den deutschen

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Apotheker sind, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Strafsenats, vom 28. November 1893, als Kaufleute im Sinne des 1ö“ zu erachten und zur Führung von Handelsbüchern sowie zur rechtzeitigen Ziehung von Bilanzen verpflichtet.

Hat sich ein Handlungsgehilfe (Handlungsdiener oder ndlungslehrling) einer erheblichen Ehrverletzung gegen seinen 8 nzipal schuldig gemacht, so ist deshalb, 8 einem ÜUrtheil des Reichsgerichts, III. Zivilsenats, vom 8. Dezember 1893, der Prinzipal zur Entlassung des Gehilfen nicht wenn dieser durch eine Bes ET— Vaters, seitens des Prinzipals, sich sasder ungebührlichen Aeußerung gegen den Prinzipal hatte hinreißen

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