„ der am Donnerstag, 5. d. M., unter dem Vorsitz des
Vize⸗Präsidenten des Staats⸗Ministeriums, Staatssekretärs des
Innern Dr. von Boetticher abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesraths wurden der Antrag Preußens, betreffend einen Nachtrag zu dem Antrage auf Abänderung der Gewerbeordnung, den Ausschüssen für Handel und Verkehr und für Justizwesen und die vom Reichstag bei der Berathung des Reichs⸗ haushalts⸗Etats für 1894/95 gefaßten Resolutionen dem Reichskanzler überwiesen. Von der Vorlage, betreffend Ausprägung von Reichs⸗Gold⸗ und Silbermünzen im Jahre 1893, wurde Kenntniß genommen. Endlich wurde uber die Seiner Majestät dem Kaiser zu unterbreitenden Vor⸗ schläge wegen Besetzung dreier Rathsstellen beim Reichsgericht und dreier Mitgliedsstellen beim Reichs⸗Versicherungsamt sowie über eine Eingabe, betreffend Schwundvergütung für ver⸗ arbeiteten Branntwein, Beschluß gefaßt.
Die Nr. 4 der „Sonderausgabe der Amtlichen Nachrichten des Reichs⸗Versicherungsamts, In⸗ validitäts⸗ und Altersversicherung“, vom 1. April d. J., enthält folgende Revisions⸗Entscheidungen:
Ein sogenannter Weberei⸗Faktor einer rheinischen Textilfirma, der nicht am Sitze des Betriebes, sondern in einem mehrere Kilometer davon entfernten Orte wohnte und jeweilig von der Firma eine Anzahl von Ketten ins Haus er⸗ hielt, Hatte nur dafür zu sorgen, daß die Ketten zu bestimmter Zeit fehlerfrei an die Firma abgeliefert wurden. Wo, wann und durch wen er die Ketten bearbeiten ließ, unterlag seinem freien Ermessen. Der Faktor ist für nicht versicherungs⸗ pflichtig erachtet worden.
Die Bekanntmachung des Reichskanzlers, betreffend die Erstreckung der Versicherungspflicht nach dem Invaliditäts⸗ und Altersversicherungsgesetz auf die Haus⸗ gewerbetreibenden der Tabackfabrikation, vom 16. Dezember 1891 findet auf einen Hausgewerbetreibenden, welcher für eine Tabackfabrik ausschließlich Zigarrenkisten anfertigt, nicht Anwendung.
Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 des Invali⸗ ditäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes kann erst dann in Betracht kommen, wenn alle Voraussetzungen für die Bewilligung der Invalidenrente, wie sie für die Uebergangs⸗ zeit in dem § 156 a. a. O. vorgesehen sind, vorliegen, ins⸗ besondere auch der Nachweis erbracht ist, daß während der Dauer eines Beitragsjahres auf Grund der Versicherungs⸗ pflicht die gesetzlichen Beiträge entrichtet sind oder doch deren Entrichtung durch eine mit vorübergehender Erwerbsunfähigkeit verbundene Krankheit verhindert worden ist.
Durch § 17 Abs. 2 des Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsgesetzes ist das Erforderniß der Bei⸗ tragsleistung in allen Fällen beseitigt, in denen der Versicherte durch Krankheit behindert ist, seine bisherige versicherungspflichtige Thätigkeit, d. h. seine berufsmäßige Lohnarbeit, die nicht immer ein Verhältniß zu einem bestimm⸗ ten Arbeitgeber zu sein braucht, fortzusetzen. Danach ist auch die Zeit einer mit Erwerbsunfaͤhigkeit verbundenen Krankheit, während deren der Versicherte bei Fortdauer des bisherigen Arbeitsvertrags seinen Lohn fortbezogen hat, ohne daß eine Beitragsleistung für diese Zeit erfolgt war, gleichwohl gemäß § 17 Abs. 2 a. a. O. als Beitragszeit angerechnet worden.
Folgende Grundsätze hat das Reichs⸗Versicherungsamt auf erhobene Einsprüche gegen die Rentenvertheilung des Rechnungs⸗Bureaus ausgesprochen:
Die Rechtmäßigkeit der bis zum Rentenbeginn er⸗ folgten Markenverwendung kann im Rentenvertheilungs⸗ verfahren nicht mehr angefochten werden.
Der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit von Arbeitsbescheinigungen über vorgesetzliche he baffiguns ist im Rentenvertheilungsverfahren nicht ausgeschlossen.
Militärische Dienstleistungen, welche vor dem Inkrafttreten des Invaliditäts⸗ und Alters⸗ versicherungsgesetzes stattgefunden haben, belasten das Reich nicht.
Ebenso wie die Instanzen im Rentenfeststellungsverfahren sind auch die mit der Vertheilung der Renten be⸗ trauten Stellen — Rechnungsbureau und Reichs⸗ Versicherungsamt — an die auf Grund des § 122 des In⸗ validitäts⸗ und JC1’““ ergangenen Ent⸗ scheidungen der Verwaltungsbehörden jedenfalls in⸗ soweit nicht gebunden, als es sich um die Beurtheilung vorgesetzlicher Zeiträume handelt.
Eine Rentenvertheilung gemäß § 160 des In⸗ validitäts⸗ und Altersversicherungsgesetzes ist zwischen Versicherungsanstalten und Kassenein⸗ richtungen wie zu Ungunsten, so auch zu Gunsten der letzteren ausgeschlossen. Dieser Grundsatz hat auch auf eine erst nach dem 1. Januar 1891 zugelassene be⸗ sondere Kasseneinrichtung Anwendung zu finden.
Der Königlich bayerische Gesandte am hiesigen Aller⸗ höchsten Hofe Graf von Lerchenfeld⸗Köfering ist von kurzem Urlaub nach Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandtschaft wieder übernommen.
Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Großherzoglich mecklenburgische General⸗Zolldirektor Oldenburg ist hier angekommen.
Der Regierungs⸗Rath von Wilmowski zu Berlin ist an die Königliche Regierung “ versetzt worden.
Der Regierungs⸗Assessor Moser zu Berlin ist der König⸗ lichen Regierung zu Stettin zur weiteren dienstlichen Ver⸗ wendung überwiesen worden.
Der neuernannte Regierungs⸗Assessor Rasch aus Hildes⸗ heim ist bis auf weiteres dem Landrath des Kreises Lingen, Regierungsbezirk Osnabrück, zur Hilfeleistung in den land⸗ räthlichen Geschäften zugetheilt worden.
S. M. Kreuzer „Falke“, Kommandant Korrvetten⸗ Kapitän Graf von Moltke (Heinrich), ist laut telegraphi⸗ scher Meldung an das Ober⸗Kommando der Marine am 5. April von Sydney nach Apia in See gegangen.
Bayern.
Die Kammer der Abgeordneten hat gestern nach längerer Debatte mit großer Mehrheit den Ausschußantrag auf Gültigkeitserklärung der Nürnberger (sozialdemokratischen) Abgeordnetenwahlen angenommen. 8 8
Württemberg.
Nachdem die Trauung Ihrer Königlichen Hoheiten des Prinzen Johann Georg von Sachfen und der Her⸗ zogin Maria Isabella von Württemberg durch den Bischof Reiser vollzogen war, fand gestern im Empfangssalon des Kronprinzenpalais Defilier⸗Cour und sodann ein Frühstück bei Seiner Majestät dem König und Seiner Königlichen Hoheit dem Herzog Albrecht für die Fürstlichkeiten sowie im Residenzschloß für die Suiten statt. Das hohe neuver⸗ mählte Paar verließ Stuttgart um 4 Uhr Nach⸗ mittags und reiste nach Konstanz. Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Erzherzog Ludwig Viktor begab sich um 3 Uhr nach Darmstadt, Ihre König⸗ lichen Hoheiten die Prinzen Georg, Friedrich August und Albert von Sachsen, sowie die Prinzessin Ma⸗ thilde und Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Prinzessin Friedrich August kehrten um 6 Uhr nach Dresden zurück. Ihre Majestät die Königin von Sachsen reiste Abends 9 Uhr nach Baden⸗Baden ab.
S
Oesterreich⸗Ungarn. 8
Der Kaiser empfing gestern den Prinzen Ferdinand von Sachsen⸗Coburg in Privataudienz.
In der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses begann die Generaldebatte über das Budget. Vor⸗ gemerkt sind, wie „W. T. B.“ berichtet, 12 Redner pro und 12 Redner contra. Gestern sprachen 7 Redner, darunter der Jungczeche Pacak, der, von den Kossuthdemonstrationen aus⸗ gehend, sich gegen das politische und insbesondere das wirthschaft⸗ liche Uebergewicht Ungarns wandte und die Aeußerung des Minister⸗Präsidenten, er kenne keine böhmische Frage, bekämpfte. Der Abgeordnete Kaltenegger führte aus, die bedrängte wirthschaftliche Lage treibe den Bauern⸗ stand schließlich in die Arme der sozialistischen Partei. Der Abg. Suklje erklärte, die slovenischen Mitglieder des Hohen⸗ wartklubs seien bereit, das Koalitionssystem loyal zu unter⸗ stützen, wenn es ihnen ermöglicht werde, die Interessen ihres Volkes entsprechend zu wahren. Die Slovenen seien aus allgemeinen politischen Gründen gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im gegenwärtigen Zeitpunkte; der nationale Streit werde der sozialen Bewegung weichen.
Der Führer der Deutsch⸗Böhmen, Landtags⸗Abgeordneter Dr. Schmeykal ist gestern Nachmittag gestorben.
Großbritannien und Irland. In der gestrigen Sitzung des Unterhauses erklärte dem
Bericht des „W. T. B.“ zufolge der Präsident des Handels⸗
amts Mundella, die Regierung habe nicht die Absicht, die Handelspolitik des Landes zu ändern. Später nahm das Haus die zweite Lesung der Bill über den Schiedsspruch in der Beringsmeer⸗Angelegenheit an. Bei der Debatte über den großen Ausschuß für die schottischen An⸗ gelegenheiten beantragte Hamilton die Vertagung der Debatte. Der Staatssekretär des Krieges Campbell⸗ Bannerman bekämpfte den Antrag, der mit 250 gegen 232 Stimmen verworfen wurde. Dixon Hartland beantragte hierauf die Vertagung des Hauses. Dieser Antrag wurde von dem Chefsekretär für Irland Morley bekämpft und mit 246 gegen 231 Stimmen verworfen. Hierauf wurde die Debatte mit Zustimmung der Regierung vertagt.
Bei der in Mid⸗Lanarkshire vorgenommenen Ersatz⸗ wahl zum Unterhause wurde an Stelle des Liberalen Philipps, der sein Mandat niedergelegt hatte, der Liberale Caldwell mit 3965 Stimmen gewählt. Der unionistische Kandidat Stuart erhielt 3635, der Kandidat der Arbeiterpartei Smillie 1221 Stimmen.
Der Anarchist Meunier und sein Begleiter, der Anarchist Picken, erschienen gestern Vormittag vor dem Polizeigericht: der erstere unter der Beschuldigung des versuchten Mordes, der zweite unter der Beschuldigung, den Versuch gemacht zu haben, Meunier aus den Händen der Polizei zu befreien. Die Angelegenheit Meunier wurde behufs Hinzuziehung eines französischen Dolmetschers auf den Nachmittag vertagt. Picken, dessen dece heeüheit um eine Woche zurückgestellt wurde, erklärte, er habe Meunier suges vor acht henxte ec in Brüssel unter dem Namen Henri kennen gelernt und ihn bis gestern nicht wiedergesehen. Er bekannte sich offen zum Anarchismus. Nach der Wiederaufnahme des Verhörs des Anarchisten Meu⸗ nier berichtete der Polizei⸗Inspektor über dessen Verhaftung. Darauf wurde die Angelegenheit auf eine Woche vertagt.
8 86 Frankreich.
Der General⸗Gouverneur von Indo⸗China de Lanessan ist gestern in Begleitung von drei hohen tongkinesischen Beamten in Marseille eingetroffen. Die letzteren kommen als Abgesandte und werden, wie „W. T. B.“ meldet, vom Präsidenten Carnot in Privataudienz empfangen werden. De Lanessan erklärte die Lage in Tongking für so gut wie möglich; die Kolonic sei vollkommen ruhig und in günstiger Entwickelung begriffen.
Der Polizeipraͤfektur ist es bisher nicht gelungen, eine Spur von dem Urheber der Explosion im Restaurant Foyot zu entdecken. — Der Minister des Innern Raynal hat gestern Nachmittag die bei der Explosion Verwundeten im Hospital besucht.
Aus verschiedenen Orten Nord⸗Frankreichs sind 35 bel⸗ gische Arbeiter ausgewiesen worden, die Anarchisten sei 8
Italien.
Der König ist, wie „W. T. B.“ meldet, in Begleitung des Handels⸗Ministers Boselli und des Militärstaats heute früh nach Venedig abgereist, wo die Ankunft heute Abend um 6 Uhr erfolgt. Der „Agenzia Stefani“ zufolge wird der König wahrscheinlich auf der Rückkehr von Venedig die Königin von England in Florenz begrüßen.
Der deutsche Botschafter von Bülow ist gestern Abend von Rom nach Venedig abgereist.
Der Erzbischof von Catania, Kardinal Dusmet ist gestern gestorben. “ 5
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Belgien.
Der „Patriote“ meldet, daß die Eingangszölle auf Fühen und Gerste auf 3 Fr. für 100 kg erhöht werden ollen.
Rumänien.
Die Parlamentssession ist gestern geschlossen worden. Das betreffende, im Senat von dem Minister des Aus⸗ wärtigen Lahovari und in der Deputirtenkammer von dem Finanz⸗Minister Germani verlesene Dekret äußert sich dem „W. T. B.“ zufolge lobend über die Thätigkeit des Par⸗ laments und betont namentlich die ausgezeichnete finanzielle und wirthschaftliche Lage, die abgeschlossenen Handelskonven⸗ tionen und die bewilligte landwirthschaftliche Bank. Vor dem Schluß nahm die Deputirtenkammer mit 75 gegen 4 Stimmen eine Konvention mit Rußland, betreffend den direkten Verkehr der Grenzgerichtshöfe bezüglich der Mittheilung von Gerichtsakten, an.
Serbien.
Der Minister des Auswärtigen Lozanic hat, wie „W. T. B.“ berichtet, gestern das diplomatische Korps empfangen.
Schweden und Norwegen.
Wie „W. T. B.“ aus Christiania meldet, ist der Budgetausschuß des Storthing der Vorlage der Regie⸗ rung wegen Aufnahme einer neuen Staatsanleihe beige⸗ treten, schlägt jedoch vor, den Gesammtbetrag der Anleihe auf 38 Millionen Kronen zu erhöhen, um 3 Millionen für Eisenbahnbau mehr zur Verfügung zu stellen. — In einer Versammlung der Delegirten der der Linken angehörigen Vereine beantragte der Parteivorstand eine Re⸗ solution, worin die Durchführung des Storthingbeschlusses über das Konsulatswesen sowie ein eigenes nor⸗ wegisches Ministerium des Auswärtigen und allge⸗ meines Wahlrecht gefordert werden. Die Berathung der Resolution wurde auf eine spätere Sitzung verschoben.
Dänemark.
Niachdem das Folkething das Gendarmerie⸗Provisorium, wie gemeldet, verworfen hat, ist die sofortige Entlassung des Gendarmerie⸗Korps erfolgt. Die Löhnung wurde, dem
„W. T. B.“ zufolge, bis zum 1. Juli bezahlt. G“
Infolge des schlechten Gesundheitszustandes auf den in Buenos Aires in Quarantäne befindlichen portugiesischen Kriegsschiffen wird, dem „W. T. B.“ zufolge, die argen⸗ tinische Regierung verlangen, daß die Erkrankten ans Land in das Lazareth gebracht werden oder daß die Schiffe die Rhede von Buenos Aires verlassen.
Aus Santiago hatte das „Reuter'sche Bureau“ unter dem 4. d. M. gemeldet, daß die Ministerkrisis als beendet anzusehen sei. In dem neuen Kabinet habe Reyes den Vorsitz und das Ressort des Innern, Fontacilla das Auswärtige und Maciver die Finanzen übernommen. Nach einer späteren Meldung hat sich die Krisis aber gestern wieder erneuert, da der Präsident der Republik das Programm des neuen Kabinets verworfen hat und dieses infolge dessen wieder zurückgetreten ist.
Afrika.
Wie dem „Reuter'schen Bureau“ aus Kairo gemeldet wird, ist die Nachricht des „Gaulois“, daß die egyptische Regierung infolge der Vorstellungen des französischen General⸗ Konsuls Marquis de Reverseaux die geplante Konver⸗ tierung der unifizierten Schuld aufgegeben habe und daß England die Gesetzmäßigkeit des Standpunkts Reverseaux' anerkenne, völlig unbegründet. Die egyptische Regierung beabsichtige, die Konvertierung durchzuführen, sobald die Mächte dem ihnen unterbreiteten Erlaß zugestimmt hätten.
Parlamentarische Nachrichten.
Der heutigen 75. Sitzung des Reichstags wohnten der Reichskanzler Graf von Caprivi, die Staatssekretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Marschall, Dr. Graf von Posadowsky, sowie der Präsident des Reichsbank⸗Direktoriums Dr. Koch bei. Nachdem die allge⸗ meine Rechnung über den Reichshaushalt für das Etats⸗ jahr 1890/91 der Rechnungskommission überwiesen ist, kommt zur Verlesung die Interpellation der Abgg. von Kar⸗ dorff (R-p.) und Graf Mirbach (dkons.), betreffend die Neuausprägung von Reichssilbermünzen.
Staatssekretär Dr. Graf von Posadowskhy erklärte sich zur sofortigen Beantwortung der Interpellation bereit.
Zur Begründung der Interpellation erhielt der Abg. von Kardorff das Wort.
(Schluß des Blattes).
— Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags und der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.
— Auf der Tagesordnung der heutigen 42. Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der ö Dr. Miquel und der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen beiwohnten, stand zunächst die dritte Berathung der Vorlage, betreffend den Elbe⸗Trave⸗Kanal.
Ohne Genera’⸗ und Spezialdiskussion wurde die Vorlage unverändert genehmigt.
Hierauf setzte das Haus die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1894/95 mit dem Etat der Eisenbahn⸗Verwaltung fort.
Bei den Einnahmen referierte der Abg. Dr. Sattler (nl.) namens der Budgetkommission über deren Verhandlungen in Betreff der Aenderungen des Eisenbahn⸗Garantiegesetzes, der Güterund Personentarife, der Staffeltarife ꝛc.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen: Die gesammte Betriebs⸗ einnnahme des Jahres 1892/93 betrug 921 Millionen. Wiewohl sie die Ein⸗ nahme des Vorjahres um 1 200 000 ℳ überstieg, blieb sie gegen den Etat um 45 Millionen zurück. Ich habe daraus die heilsame Mahnung ent⸗ nommen, für die Zukunft mit den Etatsveranschlagungen vorsichtiger zu sein und einen Sächerheitskoeffizienten vorzusehen. Das ist für 1894/95 geschehen und muß auch bei einem so großen Betriebsunternehmen ge⸗ schehen, welches von allen möglichen Konjunkturen abhängig ist. Es muß die Wahrscheinlichkeit vorhanden sein, daß unter normalen Verhältnissen sich ein höherer Ueberschuß ergeben wird, als im Etat vorgesehen ist, damit wir den ungünstigen Konjunkturen mit einiger Ruhe ent⸗ gegensehen können. Anderersests weisen die Ausgabetitel dieses Jahres einen ziemlich erheblichen Rückgang auf. Während früher der Be⸗ triebskoefsizient das Verhältniß der Ausgaben zu den Einnahmen 65 % erreicht hatte, gingen 1892 die Ausgaben um den verhältniß⸗
8 mäßig he Betrag von 14 ½ Millionen zurück. Dieses Ergebniß ist in erster
inie zu verdanken der Pflichttreue und der Umsicht der mir unterstellten Beamten. Es ist hier die Erkenntniß zum Ausdruck gekommen, daß eine sparsame und sorgsame
bei der gegenwärtigen Fenemolcge des Staats eine doppelte Pflicht ist.
Es sind namentlich Ausgaben zurückgestellt worden in der Absicht, keinerlei Ausführungen vornehmen zu lassen, die sich nicht in dem ge⸗ ebenen Moment als durchaus nothwendig herausstellen, und in der Absicht, auch im laufenden und namentlich in diesem Jahre noch Summen zur Verfügung zu haben für sich er⸗ gebende dringende Ausgaben. Die Ersparnisse des Jahres 1892/93 sind daher nicht erzielt dadurch, daß man nothwendige Aus⸗ aben unterlassen oder sie der Sorge der späteren Jahre überlassen hat, sondern es sind diejenigen Ausgaben, welche in dem Etat als
nothwendig vorgesehen waren, auch abgesehen davon, ob sie wirklich bereits zur Realisation gekommen waren oder nicht, dem Etatsjahr
1892/93 zur Last gesetzt und, soweit deren Uebertragung nach den Etats⸗ vorschriften zulässig ist, in das Etatsjahr 1893/94 übernommen worden. Die Summe dieser Ausgaben betrug 30 Millionen Mark. Es ist also in dieser Beziehung vorsichtig gewirthschaftet und nichts zu Lasten der Zukunft gesetzt, was die Gegenwart hätte tragen müssen, aber andererseits ist der Eisenbahnverwaltung die Möglichkeit gegeben, dringende Ausgaben zu bestreiten und gleichzeitig der gesammten Finanzverwaltung der Eisenbahn den Stempel einer gewissen Stetigkeit aufzuerlegen. Auf diese Weise ist es gelungen, den Betriebsüberschuß, der 1892/93 317 Millionen betrug, auf 343 Millionen zu erhöhen. Die Einnahmen im Etat 1893/94 von April 1893 bis Ende Februar 1894 ergaben gegen die gleiche Periode des Vorjahrs ein Mehr von 39 ⅛ Millionen; davon entfallen auf den Personenverkehr 10 Millionen, auf den Güterverkehr 26 Millionen und auf sonstige Einnahmen mehr als 2 Millionen Mark. Es ergiebt sich mithin ein Mehr gegen den Etat von 23 Millionen. Ich nehme an, daß der Monat März ungefähr die gleichen Einnahmen bringen wird wie im Vorjahr. Der Pheesonen. verkehr wird mit Rücksicht auf das Osterfest etwas höher sein, der Güterverkehr ungefähr der gleiche. Unter dieser Annahme
wird sich das Gesammtergebniß für 1893/94 auf rund 960 Millionen
stellen. Was die Gesammtausgaben betrifft, welche 1892/93 rund 583 Millionen betrugen und im Etat für 1893/94 auf rund 595 Millionen veranschlagt waren, so wird nach den letzten Schätzungen
ungefähr die Höhe des Vorjahrs erreicht werden. Es wird
sich damit gegen den Etat eine Ersparniß an Ausgaben von etwa 13 Millionen ergeben. Die Schätzung der Ausgaben eine etwas schwierige Aufgabe, und ich bitte Sie daher, mich nicht auf die gegebenen Ziffern festzunageln. Das System weiser Zurückhaltung von laufenden Ausgaben ist auch im Jahre 1893/94 zum Ausdruck gekommen, wenn auch nicht in dem⸗
selben Maße wie 1892/93. Große Etatsüberschreitungen sind also nicht zu befürchten. Wenn meine Zahlen richtig sind, so hat sich der Betriebskoeffizient von 65,44 % auf 60 % ermäßigt. Die finanzielle
Lage der Eisenbahnverwaltung ist daher wohl unzweifelhaft eine günstige, und ich darf wohl die Hoffnung aussprechen, daß, wenn nicht nichtvorherzusehende Ereignisse auf die Einnahmen und Ausgaben einen nachtheiligen Einfluß ausüben, wir im Jahre 1894 nicht ungünstige Erfahrungen in der Eisenbahnverwaltung machen werden.
Bei den Einnahmen aus dem Personen⸗ und Gepäckverkehr weist
Abg. Graf von Kanitz (kons.) auf das rasche Anwachsen der Bevölkerung der großen Städte hin. Auf allgemeine Klagen wolle er sich nicht einlassen; die Entwickelung des Verkehrslebens habe diesen Mißstand herbeigeführt. Die Normierung der Beförderungs⸗ preise auf der Eisenbahn, fährt Redner fort, ist von weittragender Bedeutung für die Bewegung der Bevölkerung. Das Kaiserliche Statistische Amt hat dieser Angelegenheit seine Aufmerksam⸗ keit zugewendet und darüber schon vor zehn Jahren eine sehr interessante Arbeit veröffentlicht. Die Privatbahnver⸗ waltung har immer die großen Verfrachter bevorzugt, und dadurch sind die Plätze der Großindustrie begünstigt worden. Solche Bevorzugung ollte mit der Verstaatlichung der Eisenbahnen aufhören. Aber trotz⸗ em wir das Staatsbahnsystem fünfzehn Jahre haben, sind die ge⸗ childerten Mißstände nicht geschwunden; im Gegentheil hat die letzte Volkszählung von 1890 noch schärfere Mißstände als früher ergeben. Die Arbeiterschaft und das Großkapital ringen um die Herrschaft. Alle großen Städte sind im Reichstag durch die Sozialdemokratie ver⸗ reten. Die deutsche Bevölkerung hat sich in den verschiedenen Landes⸗ heilen sehr verschieden vermehrt; im Osten hat sie abgenommen und zwar nicht blos auf dem platten Lande, sondern namentlich uch in den kleinen Städten. Damit geht eine Verschiebung er Altersklassen 18 in Hand. Die arbeitskräftigen Altersklassen von 21 bis 30 Jahren machen in Ostpreußen 14, in Westfalen 15 %, n Berlin aber 20 % der Bevölkerung aus. Die Kinder unter zehn Jahren machen dagegen in Ostpreußen 25 %, in Berlin 19 % aus; benso liegt es bei den nicht mehr ganz erwerbsfähigen Personen über 30 Jahren. Man spricht von der Wanderlust der ländlichen Bevölke⸗
rung. Aber wenn man die Löhne in Berlin ansieht, wenn die Bau⸗
handwerker 36 ℳ wöchentlich verdienen, wenn alle Löhne,
elbst die Gesindelöhne höher sind als auf dem Lande,
o ist dieser Wandertrieb erklärlich. Berlin ist reich und ann diese Löhne bezahlen; nach der Einkommensteuer ist der Berliner dreimal reicher als der Westfale und neunmal reicher ls der Ostpreuße. Gegenüber dem Anwachsen Berlins und anderer Großstädte steht die rückläufige Bewegung auf dem platten Lande. Gegenüber den Anregungen, den Fernverkehr zu erleichtern, verhielt ich der Minister aus wirthschaftlichen und sozialen Gründen ablehnend. Dieselben Wirkungen aber, welche die Ermäßigung des Fernverkehrs mit ich bringen, haben auch die Ermäßigungen im Nahverkehr. Sie üben eine große Anziehungskraft auf die Bevölkerung aus und fördern den Bauschwindel. Das steht im Widerspruch mit den Versprechungen, die bei der Ver⸗ taatlichung der Eisenbahnen gemacht wurden. Meine Begeisterung ür die Verstaatlichung hat deshalb sehr abgenommen. Die Güter⸗ tarife, die Klassifikation der Güter entsprechen nicht den Erwartungen. Gegenüber den geheimen Begünstigungen, die früher stattfanden, be⸗ teht ein Heer von Ausnahmetarifen, die wesentlich der Großindustrie nd den Großstädten, in denen die Kapitalisten wohnen, u gute kommen. Im Berliner Nahverkehr geht der Fahr⸗ breis für das Kilometer zurück bis auf 1 Pfennig, also bis auf des normalen Satzes. So billige Fahrpreise bestehen
n keinem anderen Staate. Die billigen Arbeiterbillets haben einen icht zu unterschätzenden Werth, weil sie den Arbeitern das Wohnen n den Vororten gestatten; denn Wohnungen unter 200 ℳ giebt es n Berlin kaum noch. Aber die Arbeiter werden dadurch in die Vor⸗ tädte und die Vororte, in bestimmte Quartiere, zusammengedrängt. Eine solche Trennung der Gesellschaftsklassen verschärft die Gegen⸗ ätze und fördert die Sozialdemokratie. An den Arbeiterkasernen erdienen die Grundstücks⸗ und Bauspekulanten; mit den ge⸗ unden Wohnungen ist es auch in den Vororten nicht weit bder. Die Wohnungen in Berlin selbst sind nicht billiger, ondern theurer geworden. Berlin allein hat mehr Thalermillionäre ls die sieben östlichen Provinzen mit einer zehnmal größeren Be⸗ oölkerung. Die Wohnungsmiethen in Berlin sind auf 268 Millionen
Mark, d. h. zwei Drittel des Grundsteuer⸗Reinertrages ganz Preußens geschätzt worden. Das sind die Konsequenzen einer Begünstigung des ahverkehrs. Wer eine billige Wohnung in den Berliner Vororten
ezieht, betrachtet es als eine Pflicht des Staates, ihm eine billige und bequeme Flahrgelegenheit zu verschaffen; die Fahrpreise sind vielen och nicht billig genug. Die Bauspekulation verdient Millionen nd wird immer mehr angereizt; der Anspruch an Pomp nd Luxus der Wohnungen wächst. Die auhandwerker tellen im Winter das Hauptkontingent der Arbeitslosen. Dann wird der Nothstand proklamiert und die städtischen und staatlichen Be⸗ örden sollen für die in Berlin angehäuften Arbeitermassen Hers
Durch die billigen Fahrpreise haben die Arbeiter die Möglichkeit, illiger in den Vororten zu wohnen. Das kommt auch den Fabri⸗ anten in der Form billigerer Löhne zu gute. Ich gönne der Industrie es Gute; aber weshalb sollen zum Schaden anderer Landestheile die
Arbeiter künstlich in Berlin zusammengetriehben werden? Der Minister sollte die Fahrpreisermäßigungen einschränken, welche nur die Sozialdemokratie fördern und im Widerspruch stehen mit dem, was bei der Verstaatlichung versprochen ist. Ich weiß sehr wohl, daß ich in ein Wespennest gegriffen habe. Das Berliner Spekulantenthum und die mächttg⸗ haute finance hat ein Interesse an den Fahrpreisermäßi⸗ gungen. Man wird auch das Arbeiterinteresse gegen mich geltend machen. Aber ich bitte trotzdem den Minister, meine Bedenken zu prüfen; der Segen einer Reform auf diesem Gebiet wird im ganzen Lande gefühlt werden.
Abg. von Brand k(kons.) empfiehlt eine Petition in Eisenbahn⸗ angelegenheiten, die aus Friedeberg und Driesen an den Minister ab⸗ gegangen ist.
Bei Schluß des Blattes spricht der Abg. Brömel (fr. Vgg.).
Statistik und Vorkswirthschaft.
Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.
An Anträgen auf Gewährung von Renten sind bei der Hanseatischen Versicherungsanstalt eingegangen: a. an Alters⸗ renten im Laufe des Jahres 1891: 1105, 1892: 404, 1893: 381, in der Zeit vom 1. Januar bis Ende März 1894: 103, zusammen 1993; b. an Invalidenrenten im Laufe des Jahres 1892: 181, 1893: 301, in der Zeit vom 1. Januar bis Ende März 1894: 108, zusammen 590; mithin seit Beginn des Jahres 1891 an Rentenanträgen überhaupt 2583. Von den Anträgen auf Alters⸗ rente entfallen auf das Gebiet der freien und Hansestadt Lübeck 347, Bremen 439, 8588 1207, und von den Anträgen auf Invalidenrente auf das Gebiet von Lübeck 86, Bremen 219, Hamburg 285. Von den Anträgen auf Altersrente sind bis Ende März dieses Jahres erledigt: 1963, und zwar 1722 durch Renten⸗ gewährung, 213 durch Ablehnung und 28 auf sonstige Weise. Von den Altersrenten⸗Empfängern sind inzwischen aus⸗ 249, von diesen sind verstorben 240. Von den
nträgen auf Invalidenrente sind bis Ende März dieses Jahres erledigt 555, und zwar 396 durch Rentengewährung, 140 durch Ab⸗ lehnung und 19 auf sonstige Weise. Von den Invalidenrenten⸗ empfängern sind inzwischen ausgeschieden 53, von diesen sind ver⸗ storben 50. Auf die Gebiete der drei Hansestädte vertheilen sich die noch im Bezug der Rente befindlichen Personen folgendermaßen: Lübeck 253 Altersrenten, 43 Invalidenrenten, Bremen 334 Alters⸗ renten, 130 Invpalidenrenten, Hamburg 886 Altersrenten, 149 Inva⸗ lidenrenten. Die Jahressumme der bis jetzt gewährten Renten macht insgesammt 319 500 ℳ aus, von welchem Betrage 43 562,40 ℳ für die inzwischen ausgeschiedenen Rentenempfänger abzusetzen sind. Nach den Berufszweigen vertheilen sich die 2118 Rentenempfänger auf folgende Gruppen: Landwirthschaft und Gärtnerei 139, Industrie und Bauwesen 870, Handel und Verkehr 348, sonstige Berufsarten 165, Dienstboten ꝛc. 596 Rentenempfänger. -.“
ur Arbeiterbewegung.
Aus Stettin wird der „Köln. Ztg.“ zum Ausstand der
dortigen Steinsetzer (vgl. die gestrige Nr. 80 d. Bl.) geschrieben: Die Gehilfen haben am Montag die Arbeit eingestellt, nachdem ihnen von den Meistern eröffnet war, daß statt des bisher ohne Rücksicht auf die Leistung gezahlten Stundenlohnes von 50 ₰ für die Folge nur ein Höchstlohn von 40 ₰ für die Stunde gewährt werden könne und daß im übrigen die Bezahlung des einzelnen Arbeiters nach der Leistung bemessen werden müsse.
In Köln haben die Sozialdemokraten, wie der „Vorwärts“ berichtet, in einer E“ beschlossen, die diesjährige Maifeier nicht durch unbedingte Arbeitsruhe oder durch allgemeinen Umzug, sondern durch Veranstaltung einer Festversammlung in den Abendstunden des 1. Mai zu begehen. Die nicht arbeitenden Genossen machen Morgens gemeinschaftliche Spaziergänge ins Freie, die arbeitenden zahlen an die Parteikasse 20 bis 25 % des Tagelohns. Aus Dresden wird dem Beaatte geschrieben, daß die dortigen Brauergehilfen fast alle ihre Forderungen durchgesetzt haben. In einer am 1. April abgehaltenen Versammlung wurde berichtet, daß mon sich mit den Unternehmern dahin geeinigt habe, einen gemein⸗ samen Arbeitsnachweis zu errichten. Ferner wurde ein Minimallohn von 100 ℳ für den Monat bewilligt, die tägliche Arbeitszeit auf 10, die Sonntagsarbeit auf drei Stunden festgesetzt. Ueber das Wohnen außerhalb der Brauerei wird die Regelung den einzelnen Brauereien anheimgestellt. Die Versammlung beschloß, eine Wohnungs⸗ entschädigung von 10 ℳ pro Monat zu fordern.
In Altenburg haben, wie der „Vorwärts“ mittheilt, in der Metallwaaren⸗Fabrik von H. A. Köhler und Söhne sämmtliche Former sowie Hilfsarbeiter und Metallschleifer die Arbeit wegen Lohnkürzung gekündigt.
In Wse ervaren haben einer Mittheilung desselben Blattes
zufolge die Malergehilfen beschlossen, in den allgemeinen Aus⸗ stand einzutreten und ihn so lange fortzusetzen, bis alle Geschäfte die u
Forderungen bewilligt haben. rch diesen Beschluß sind Gehilfen, denen bereits die Früchte des Ausstandes zu theil wurden, gezwungen, die Arbeit wieder ruhen zu lassen. Die Maurer haben den Aus⸗ stängehen Unterstützung zugesagt. 1 us Wien meldet ein Telegramm des „D. B. H.“: In einer größeren Anzahl hiesiger Bildhauer⸗Ateliers striken die Gehilfen, weil ihre Arbeitgeber die Forderungen der Gehilfenschaft, bestehend in achtstündiger Arbeitszeit und einem Minimallohn von 3 Gulden täglich, nicht bewilligt haben. “
Aus Zürich berichtet der Berner „Bund“: Die auf Dienstag Abends anberaumte Besprechung zwischen Zimmerleuten und ihren Arbeitgebern hat nach zweistündiger Berathung damit geendet, daß die Arbeiter den Strike verkündeten. 8
Zum Ausstamd in den Kohlenbezirken Pennsylvaniens liegen folgende weitere Meldungen vor: An verschiedenen Orten der pennsylvanischen Coke⸗Gegenden, so schreibt man der Londoner „A. C.“ unter dem 4. d. M. aus New⸗York, haben die Ausständigen — meistens Ungarn und Slovaken — sich gröbliche Ausschreitungen zu Schulden kommen lassen. Die Weiber sind fast noch schlimmer als die Männer. Gerade sie dulden nicht, daß irgendwo in der vom Strike betroffenen Gegend gearbeitet wird. Alle⸗ “ südlich von Connellsville ruhen. Die Ausständigen drohen, die Fabriken zu demolieren, wenn ihre Forderungen nicht bewilligt werden. Auch Blut ist schon geflossen. Als die Ausständigen eine Fabrik stürmen wollten, traten ihnen die Beamten des Sheriffs ent⸗ gegen und verwundeten einen Ungarn lebensgefährlich. In Davidson wurde der Ober⸗Ingenieur der Firma H. C. Frick u. Co. durch einen Steinwurf getödtet. 60 mit allen möglichen Dingen bewaffnete ungarische Weiber griffen bei Alverton eine Fabrik an und trieben die Leute, welche die Stelle der Strikenden eingenommen hatten, hinweg. — Einer von „W. T. B.“ wiedergegebenen Reutermeldung vom gestrigen Tage zufolge dauert die Aufregung in dem Kohlendistrikt von Pennsylvanien fort. Der Sheriff und die mit Gewehren bewaffneten Polizisten haben Befehl erhalten, alle Auf⸗ ständischen zu verhaften oder zu erschießen. Im ganzen wurden am Mitrwoch zehn Ausständige getödtet, unter ihnen acht Ungarn, die wahrscheinlich von den Polizisten während der Verfolgung erschossen worden sind. Der Präsident und der Sekretär des Syndikats sind 8 Theilnahme an der Ermordung des Ingenieurs verhaftet worden. Gegen alle Mitglieder des Bureaus des Syndikats sind Haftbefehle erlassen worden. Durch die vorgenommenen Verhaftungen ist die Organisation der Strikenden erschüttert. — Ferner meldet „W. T. B.“ aus New⸗York mit dem ö zum theil übereinstimmend: Die letzten Meldungen über den Strike in West⸗Pennsylvannien lauten sehr beunruhigend. Man be⸗ fürchtete für den gestrigen Tag ernste Ferfcree Die Frick'schen Werke sollen von 1500 Strikenden umlagert sein; die Beamten der Firma befinden sich in dem Gebäude. Die Ausständigen,
Ingenieur getödtet hatten, wurden von der bewaffneten Macht ver⸗ folgt und eingeholt. Dabei entspann sich ein Kampf, in welchem 10 ungarische Arbeiter getödtet wurden.
Kunst und Wissenschaft.
„Der als Pifte des Epos „Dreizehnlinden“ bekannte Arzt Fr iedrich Wilhelm Weber, ehemaliges Mitglied des Abgeordneten⸗ auses, ist laut Meldung des „W. T. B.“ gestern Abend in Nieheim, Kreis Höxter, achtzig Jahre alt, gestorben.
— Ueber den schon kurz gemeldeten Schluß des Inter⸗ nationalen medizinischen Kongresses wird dem „W. T. B.“ aus Rom noch Folgendes berichtet: Der Schluß fand gestern in einer allgemeinen Sitzung statt, die zu einer begeisterten Kundgebung herz⸗ licher Sympathie und Achtung für Italien, für dessen Herrscherpaar und für Rom sich gestaltete. Der Saal des Eldorado war von einer sehr großen Zahl von Kongreßtheilnehmern gefüllt. In der Schlußrede führte der Unterrichts⸗Minister Baccelli aus: die zum Kongreß nach Rom Gekommenen hätten bestätigt, da es für hervorragende Geister ein höheres Vaterland gebe, die Wissenschaft. Nachdem der Minister, wie schon erwähnt, als Sitz des zwölften internationalen medizinischen Kongresses Rußland vorgeschlagen hatte, schloß er mit warmen Abschiedsworten an alle Kongreßtheilnehmer. Danilewsky erklärte im Namen der russischen Regierung die Annahme von Bac⸗ celli's Vorschlag, welchen die Versammlung durch Acclamation zu⸗ stimmend begrüßte. Nachdem die Vertreter der ausländischen Comités Ansprachen gehalten hatten, in denen sie Italien und der italienischen Regierung den herzlichsten Dank der Kongreß⸗ theilnehmerz aussprachen, dankte Baccelli, indem er mit den Worten schlos. die Eintracht der universalen Wissenschaft werde stets die herrlichsten Früchte tragen. Darauf wurde die Sitzung unter herzlichen gegenseitigen Zurufen und Händeschütteln aller Theilnehmer aufgehoben. — Später fand zu Ehren der Mitglieder des Kongrfffes in den Caracalla⸗Thermen ein Lunch statt, welcher, von prachtvollem Wetter begünstigt, verlief. Der Unterrichts⸗Minister Baccelli wurde bei seinem Erscheinen lebhaft begrüßt. Nachmittags wurde ein Blumenkorso und Abends eine glänzende Illumination veranstaltet. 1. nahm an allen Festlichkeiten den lebhaftesten
ntheil. 8
Land⸗ und Forstwirthschaft
Saatenstand in Rußland. — “ Nach den bei dem russischen Finanz⸗Ministerium seitens der Steuer⸗Inspektoren zu Mitte v. M. eingegangenen Mittheilungen hat sich der Stand der Wintersaaten im europäischen Rußland seit Mitte Februar weiter gebessert. In dem Gebiete nordöstlich von der Linie Reval⸗Zarizyn war Ende Februar und Anfangs v. M. reichlich Schnee gefallen, sodaß den Saaten dort bei einer Temperatur von 5 bis 150 unter 0 keine Gefahr drohte. Südwestlich von diesem Gebiete bis zur Linie Riga⸗Nowotscherkask und Zarizyn war die Schneedecke zumeist ungenügend, in den Niederungen standen Wasserlachen; doch scheint die Hoffnung berechtigt, daß die Saaten keinen Schaden gelitten haben, da sowohl in dem bezeichneten Landstrich wie überhaupt in den schneelosen Gegenden milde Witterung eingetreten ist. Auch aus den übrigen Gebietstheilen lauten die Nach⸗ richten günstig, doch ist bei der gegenwärtigen Jahreszeit selbst⸗ verständlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß noch starker Frost eintritt und den Saatenstand beeinträchtigt.
Im einzelnen gehen uns noch folgende Nachrichten zu:
„In Liv⸗ und Kurland hat eingetretener gelinder Frost die über⸗ mäßige Feuchtigkeit im Boden beseitigt und den jungen Anwuchs vor dem Ausfrieren geschützt, sodaß der Stand als günstig bezeichnet wird.
In Polen ist die Vegetation infolge der warmen Witterung im Monat März weiter vorgeschritten als gewöhnlich; die Wintersaaten sind kräftig entwickelt und die Frühjahrsbestellung hat begonnen. An einzelnen Stellen macht sich Trockenheit bemerkbar, welche bei länger anhalténdem Regenmangel für die weitere Entwickelung der Saaten zu Befürchtungen Anlaß geben könnte.
In den Gouvernements Wilna, Kowno und Grodno scheint durch den Mangel an Schnee weniger Schaden angerichtet zu sein, als durch die übermäßige Feuchtigkeit in den Niederungen, worunter be⸗ sonders die früh bestellten Saaten etwas gelitten haben.
In dem ganzen Südwestgebiet herrschte seit Ende Februar warme und feuchte Witterung, welche der Entwicklung der Saaten förderlich gewesen ist. Klagen über Frost sind verhältnißmäßig wenig laut ge⸗ worden, sodaß der Stand im Durchschnitt als befriedigend bezeichnet werden kann. Besonders günstig lauten die Nachrichten aus Bess⸗ arabien und den nördlichen und westlichen Kreisen des Gouvernements Cherson, wo eine Ernte über Mittel erwartet wird. In Kiew und Podolien hat man mit der Sommerbestellung begonnen, und vielerorts ist Hafer bereits gesät. In einzelnen Kreisen der Gouvernements Kiew und Tschernigow hat die Larve der Hessenfliege stellenweise einige Verheerungen angerichtet.
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Handel und Gewerbe.
äͤgliche Wagengestellung für Koblen und Kols an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 5. d. M. gestellt 10 770, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen.
Zwangs⸗Versteigerungen. 8
Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin stand 5. April das Grundstück Wildenowstr. 6, dem Töpfermeister Joh. Krause gehörig, zur Versteigerung; Fläche 4,26“ a; Mindestgebot 28 350 ℳ; für das Meistgebot von 28 400 ℳ wurde der Dachdecker⸗ meister Reinhold Hieke, Grünauerstr. 4, Ersteher. — Ein⸗ gestellt wurde das Verfahren wegen des Maxim. John 'schen Grundstücks, Beusselstr. 50.
Beim König lichen Amtsgericht II Berlin standen zur Versteigerung: Grundstück zu Schöneberg, Ecke der Kyffhäuser⸗ straße und an der Straße N. belegen, dem Maurerpolier Joh. Bergert gehörig; Fläche 7,35 a; Mindestgebot 1544 ℳ; für das Meistgebot von 108000 ℳ wurden die Bank⸗Direktoren Eduard Sanden zu Potsdam und Paul Puchmüller zu Charlottenburg Ersteher. — Grundstück zu Friedenau, Albertstr. belegen dem Schlossermeister Ad. Sotscheck gehörig; Fläche 8,65 a; Mindest⸗
ebot 112 089 ℳ; für das Meistgebot von 113 000 ℳ wurde der
Bauunternehmer Herm. Pählchen zu Friedenau Ersteher. — Drei Grundstücke zu Südende an der Parkstr. und an der Teichstr. be⸗ legen, dem Baumeister Theodor Schiller gehörig; Fläche 78,54 a; Nutzungswerth 2500 ℳ, 15,18 a und 18,76 a; Mindestgebot 70331 ℳ, 300 ℳ und 350 ℳ; für das Gesammtgebot von 179 000 ℳ wurde die Frau Maurermeister Agnes Scheidler, geb. Draffke, zu Berlin, Perlebergerstr. 23, Ersteherin. — Aufgehoben wurde das Verfahren der Zwangsvollstreckung wegen der nachbenannten Grund⸗ stücke: zu Schöneberg belegen, dem Bautechniker Heinrich Neben⸗ dahl gehörig. Die Termine am 25. und 28. April 1894 fallen fort. — Zu Lichtenberg belegen, der verwittweten Frau Gutsbesitzer Minna Radecker, geb. Mengdehl, gehörig. Die auf den 4. und und 7. Mai 1894 anberaumten Termine fallen fort. — Der Termin zur Versteigerung des im Grundbuch von Deutsch⸗Wilmersdorf Band 31 Blatt Nr. 962 auf den Namen des Maurermeisters Max Fromm eingetragenen Grundstücks findet am 11. April 1894, Vor⸗ mittags 10 ¼ Uhr, statt.
— Börse zu Düsseldorf. (Amtlicher Preisbericht vom 5. April 1894.) — Auf dem Kohlenmarkt sind die Preise unver⸗ ändert. Der Eisenmarkt ist andauernd belebt bei langsam steigenden Preisen. (Berechnung in Mark für 1000 kg und, wo nicht anders bemerkt, ab Werk.) — Kohlen und Koks. 1) Gas⸗ und
lammkohlen: Gaskohle für Leuchtgasbereitung 10 — 11,00, Generator⸗ ohle 8,50 — 9,50, Gasflammförderkohle 8,50 — 9,50; 2) Fett⸗ kohlen: Förderkohle 7,50 — 8,50, melierte beste Kohle 8,50 — 9,50, Kokskohle 6 — 7,00; 3) N . Fö 7 8, 1 ierte