1894 / 83 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 09 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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unwürdige V

usgesprochen hatte, bestiegen die Majestäten und der Herzog der Abruzzen unter den Zurufen einer großen, auf der Riva degli Schiavoni angesammelten Menge das Boot des „Moltke“ und fuhren mit dem Gefolge unter den Salutschüssen der Artillerie und den Klängen der preußischen Nationalhymne an Bord des im Hafen Malamocco ankernden „Moltke“. Der „Volturno“ „Molitke“ bei der Abfahrt das Geleit.

Ihre Majestät die Kaiserin und Königin ver⸗ brachten am Sonntag, wie W. T. B. aus Abbazia meldet, die Morgenstunden im Park. Um 11 Uhr wohnten Ihre Majestät mit den Kaiserlichen Prinzen und dem Hofstaat dem in der Villa Amalia abgehaltenen Gottesdienst bei und unternahmen Nachmittags mit sämmtlichen Prinzen und der Suite eine

Spazierfahrt in der Richtung nach Medua.

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Aus Stuttgart meldet „W. T. B.“: Der „Schwäbische

Merkur“ und nach ihm der „Staatsan eiger für Württem⸗

berg“ veröffentlichen eine Erklärung des Minister⸗Präsidenten Freiherrn von Mittnacht gegen Artikel des „Stutt⸗ garter Beobachters“ und auswärtiger Blätter, worin nachdrücklich Verwahrung gegen die Verdächtigungen der genannten Blätter eingelegt wird, daß Freiherr von Mitt⸗ nacht in irgend einer Beziehung zu den bekannten Angriffen des „Kladderadatsch“ gegen hohe Reichsbeamte stehe. Freiherr von Mittnacht erklärt eine derartige Behauptung für eine rleumdung.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bagyerische Ministerial⸗Rath von Heller ist hier angekommen.

Sigmaringen, 9. April. Seine Königliche Hoheit der Fürst von Hohenzollern ist nach Baden⸗Baden abgereist

und wird sich von dort nach Florenz begeben.

Württemberg. Der „Staats⸗Anzeiger für Württemberg“ veröffentlicht

den Entwurf des Verfassungsgesetzes, der den Ständen

vorgelegt ist. Das Gesetz betrifft Aenderungen in der 1““ der Ständeversammlung. Die Kammer der

tandesherren soll bestehen neben den des Königlichen Hauses und den Standesherren aus höchstens 10 lebenslänglich ernannten Mitgliedern, zwei vom Könige als evangelischem Landesbischof ernannten Vertretern der evangelischen Kirche, dem katholischen Landesbischof, den Vorständen der Zentral⸗ stellen der Landwirthschaft und der Gewerbe, je einem Ver⸗ treter der Städte Stuttgart, Ulm und Heilbronn. Letztere werden vom König aus je drei von den bürgerlichen Kollegien präsentierten Kandidaten be⸗ rufen. Das Stimmrecht ist persönlich auszuüben, jedoch können die Standesherren in Krankheitsfällen den Sohn oder präsumtiven Nachfolger mit der Stellvertretung beauf⸗ tragen. Die Zahl der Mitglieder der Ersten Kammer erhöht sich dadurch von 33 auf 45. Die Kammer der Ab⸗ geordneten soll bestehen aus 8 (bisher 13) Mitgliedern des Ritterschaftsadels, aus 4 (bisher 6) evangelischen Prälaten, einem Domkapitular und dem ältesten katho⸗ lischen Dekan, dem Kanzler der Landes⸗Universität, einem gewählten Vertreter der Technischen Hochschule, je drei Vertretern der landwirthschaftlichen Gauverbände und Handels⸗ kammern, vier Abgeordneten der Stadt Stuttgart (bisher einer) und je einem der Städte Tübingen Ulm, Heil⸗ bronn, Reutlingen, Ellwangen und Ludwigsburg, endlich aus 63 Vertretern der Ober⸗Amtsbezirke, zusammen aus 95 Mitgliedern gegen 93 bisher. Die übrigen Bestimmungen betreffen den Wahlmodus. Stuttgart wird in vier räumlich begrenzte Wahlbezirke getheilt. Die Wahl der landwirthschaftlichen und Handels⸗Abgeordneten erfolgt durch Listenwahl. Gleichzeitig ist ein Gesetzentwurf eingebracht worden, der diese Wahlen regelt. 18

Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. .“ Ihre Königliche Hoheit die Großherzogin beging gestern

die Feier ihres 70. Geburtstags. Aus dieser Veranlassung waren dem „W. T. B.“ zufolge in Weimar anwesend: Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, Seine Hoheit der See von Sachsen⸗Altenburg, Ihre Hoheiten der erzog Johann Albrecht von Mecklenburg⸗Schwerin und Gemahlin sowie Seine Durchlaucht der 1I und Ihre Hoheit die Prinzessin Reuß. Abends fand Familien⸗ tafel und später Galavorstellung im Hoftheater statwtt.

Braunschweig. Seine Königliche Hoheit der Prinz Friedrich Hein⸗ 88 von Preußen ist in der Nacht zum Sonnabend, von Baden⸗Baden kommend, in Braunschweig eingetroffen.

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8 Oesterreich⸗Ungarn. 8 1

In der vorgestrigen Sitzung des österreichischen Abgeordnetenhauses bezeichnete der hnc s hinihee Dr.

von Plener bei der Fortsetzung der Generaldebatte über das Budget die Finanzlage als günstig. Der Minister 8 für die nächsten Jahre Ueberschüsse voraus trotz der tteigenden Bedürfnisse 8 die gemeinsamen Angelegenheiten, namentlich für Heer, Lokalbahnen, Valutaregelung u. s. w., die eine Erhöhung der Einnahmen nöthig machen, welche banbtfachlich auf dem Gebiet der Branntweinsteuer zu uchen sei, und betonte die Wichtigkeit der Erhaltung großer Kassenbestände wegen der Valuta⸗Aktion. Sodann ging der Minister zur Besprechung der Wahlreform über und erklärte, es sei natürlich, daß das Kräfteverhältniß der großen Par⸗ teien nicht durch eine radikale Wahlreform verschoben werden solle. Die gemäßigten Parteien dürften das Reich nicht einem solchen Experiment aussetzen, weshalb man ich zur Abwehr dieses umwälzenden Versuchs und zur ufstellung neuer Grundsätze für die Aenderung des Wahl⸗ rechts geeinigt habe. Das Hereinzerren der Krone in die De⸗ batte sei ungehörig, da einzig und allein die Regierung die Verantwortung trage; die Regierung werd sich ihrem

wohlüberlegien Standpunkt nicht abdrängen lassen. Das Wahlrecht der Arbeiter bilde kein novum, sondern sei die Ausgestaltung des thatsächlich bestehenden Systems; der neuen, hinsichtlich der Steuerleistung aͤußerst schwachen Gruppe könnten nicht allzuviele Mandate zugewiesen werden, um das Kräfteverhältniß der bisherigen e. nicht u stören. Der Minister versicherte sodann auf das be timmteste, 8 die Regierung die Wahlreform ernstlich wolle. Schließlich verwahrte sich der Minister gegen die Behauptung, die Regie⸗ rung habe durch Uebergabe der Geldbestände an die Bank dieser ein Geschenk gemacht. Die Befürchtungen, daß alle Privat⸗ und Staatsschulden mit Gold zu zahlen seien, seien unbegründet, da noch eine Reihe von Jahren das Silberkurant beizubehalten sei; auch die obligatorische Einführung der Kronen⸗ rechnung, die nur aus technischen Gründen noch nicht erfolgt sei, werde die Zahlungsverhältnisse nicht ändern. Die Durchführung der ganzen Valutaregeluug sei nur in einzelnen, natürlich aufeinander folgenden Stadien möglich. Hinsichtlich der Sprachenfrage führte der Minister aus, daß die Deutschen in Böhmen Zeichen großer Mäßigung gegeben hätten, indem sie im Landtage den Gedanken ausgesprochen hätten, daß die beiden Landessprachen gelernt werden müßten. Die gegen den Statthalter Grafen Thun vorgebrachten Re⸗ kriminationen bezeichnete der Minister als Uebertrei⸗ bungen; in einem so leidenschaftlich aufgeregten Lande wie Böhmen sei es schwer, die Autorität der Behörden aufrecht zu erhalten. Der Minister gab der Ueberzeugung Ausdruck, daß das böhmische Volk den von den jungczechischen Rednern geäußerten Haß gegen die Armee und andere Justitutionen nicht theile; thatsächlich lasse sich auch die An⸗ erkennung der Armee mit der Oppositionsstellung wohl ver⸗ binden. Durch die Koalition sei eine bedeutende Arbeit bereits geleistet, die Koalition schließe auch die anderen Gruppen nicht aus; denn die gemeinsame Arbeit sei die Basis der neuen Konstellation. Hierauf erklärte der Abg. Kaiser namens der Deuschnationalen, diese stimmten für das Eintreten in die Spezialdebatte, was jedoch nicht die Be⸗ willigung des Dispositionsfonds in sich schließe. Sodann wurde ein Antrag auf Schluß der Debatte angenommen. Der Generalredner gegen das Budget, der jungczechische Abg. Herold, erklärte: der Minister⸗Präsident habe das Bestehen einer böhmischen Frage nicht anerkannt, der Finanz⸗Minister aber kenne sie gut und habe vielleicht den Ehrgeiz, sie lösen zu wollen. An der böhmischen Frage sei noch jedes Kabinet ge⸗ scheitert. Falls die Jungczechen verschwinden sollten, würden wohl nicht gemäßigtere Elemente ihren Platz einnehmen. Der Generalredner für das Bugdet, Abg. Menger, äußerte, die europäische Lage erheische schon lange die Einigung der Deutschen und Polen. Von der Partei des Redners sei kein koalitionswidriger Vorstoß zu erwarten. Es würde bedauerlich sein, wenn ein solcher von anderer Seite erfolgen sollte. Die Durchführung einer möglichst weit reichenden Wahlreform sei eine Ehrensache der Koalition. Nach dem Schlußwort des Berichterstatters Szcepanowski, der ausführte, daß die Koalition dem Bedürfniß des Reichs und der einzelnen Länder entspreche, wurde das Eintreten in die Spezialdebatte mit sehr großer Majorität beschlossen.

Die Leichenfeier für den Abg. Dr. Schmeykal ver⸗ lief, wie „W. T. B.“ meldet, in Prag in großartiger Weise. Der Finanz⸗Minister von Plener widmete dem Verblichenen einen tiefempfundenen Nachruf, worin er dessen politisches und

atriotisches Wirken betonte und das deutsche Volk aufforderte, as Andenken Schmexykal's durch Befolgung seiner stets wieder⸗ holten Mahnung zur Einigkeit und Einmüthigkeit zu bewahren. Im Namen der deutschen Landtags⸗Abgeordneten sprach der Abg. Schlesinger, in dem der deutschen Vereine Forchheimer. Der öe wohnten der Statthalter, der Oberst⸗Land⸗ marschall, der Bürgermeister, zahlreiche Abgeordnete beider Nationalitäten, der Vorstand der deutschen Linken und Depu⸗ tationen fast aller deutschen Gemeinden und Vereine Böhmens bei. Hierauf wurde die Leiche nach Böhmisch⸗Leipa übergeführt, wo die Beisetzung unter überaus lebhafter Betheiligung der Bevölkerung stattfand. Der ganze Ort war mit Zeichen der Pnc geschmückt. Am Sarge wurden zahlreiche Ansprachen gehalten.

In einer gestern in Budapest abgehaltenen Versamm⸗ lung der ungarischen liberalen Partei erklärte der Minister⸗ Präsident Dr. Wekerle, daß der Präsident des Abgeordneten⸗ hauses Banffy in der Angelegenheit der Leichenfeier Kossuth's lediglich die Beschlüsse des Hauses ausgeführt, und daß die Regie⸗ rung den weitestgehenden Forderungen der Pietät Rechnung ge⸗ tragen habe. Daher seien die von den Blättern angekündigten Angriffe gegen Banffy und die Regierung grundlos. Es würde sowohl der Pietät als auch dem Gemeininteresse widersprechen, wenn diese Fragen noch weiterhin auf der Tagesordnung blieben. Die Ausführungen des Minister⸗Präsidenten wurden mit großem Beifall aufgenommen.

Der serbische Kirchenkongreß ist für den Mai ein⸗ berufen worden, um zu den Kirchenvorlagen Stellung zu nehmen. Der Patriarch Brankowitsch äußerte, der „Köln. Ztg.“ zufolge, der Kongreß werde, als oberster Faktor der Prlechifc⸗sechi en Kirche, sich für die obligatorische Zivilehe aussprechen. adurch würden die Nationalitätsagitationen unter dem Vorwand der Kirchenvorlagen aufhören.

Frankreich.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Carcassonne erklärte gelegentlich eines in seinem Wahlkreise ihm zu Ehren vom Cercle républicain gegebenen Banketts der Handels⸗ Minister Marty, die Regierung respektiere jede Glaubens⸗ richtung, sie werde es aber niemals zulassen, daß ein Glaube für einzelne Personen Ausnahmestellungen schaffe; die Regierung werde dem Schul⸗ und Militärgesetz ohne Nachgiebigkeit und Schwäche Achtung verschaffen.

Wie das „Journal des Débats“ meldet, wurde gestern ein Geschäftsagent infolge der Denunziation seiner Hauswirthin, der er die Urheberschaft der Explosion im Restaurant Foyot bekannt haben sollte, SEevae später aber als geisteskrank erkannt und in ein Krankenhaus

ges chafft. Rußland.

Der Direktor des Departements für fremde Kulte im Ministerium des Innern Fürst Kantakusen⸗Speransky ist, wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg berichtet, auf seinem Landgute plötzlich gestorben.

Italien.

Der König wird, wie „W. T. B.“ meldet, morgen in Florenz G Morgen begiebt sich auch die Königin mit dem Prinzen von Neapel von Rom zum

Besuche der Königin von England nach Florenz. Am Mitt⸗ 88

Die „Riforma“ vom Sonnabend wendet sich in ihrem Leitartikel gegen die Bemühungen der Oppo⸗ sition, dem parlamentarischen Brauch zuwider, das Finanzprogramm vor dem Budget zu berathen oder wenigstens das Kriegs⸗ und das Marinebudget mit Rücksicht auf die Abstriche der Finanzkommission an diesen beiden Budgets zurückzustellen. Das Blatt verlangt, daß die Berathung des gesammten Budgets der Be⸗ rathung des Finanzprogramms vorausgehe, zumal die Finanzkommission nicht spezifiziert habe, wie sie die Erspar⸗ nisse von 20 Millionen bei dem Heer und der Marine ver⸗ wirklichen wolle.

Der Minister⸗Präsident Crispi erschien am Sonnabend in der Sitzung der Finanzkommission und erklärte, er sei keineswegs geneigt, die von dem Finanz⸗Minister Sonnino vorgeschlagene Rentensteuer aufzugeben. Hinsichtlich der Aus⸗ gaben für das Militär fügte Crispi hinzu, er könne keinen Centesimo weiterer Ersparnisse weder im Heeresbudget noch im Marinebudget zugestehen. Die bereits zugestandenen Ersparnisse bildeten das Maximum der Opfer, das den Bedürfnissen der Gegenwart eingeräumt werden könne.

In der vorgestrigen Sitzung der Deputirtenkammer wies bei der Berathung des Gesetzentwurfs über die Aus⸗ hebung der Jahresklasse 1874 * Militärdienst der frühere Kriegs⸗Minister Pelloux die Behauptung zurück, die der Minister⸗ Präsident Crispi am nämlichen Tage in der Finanzkommission gethan haben sollte, daß nämlich die Armee in der letzten Zeit geschwächt worden sei. Der Minister⸗Präsident Crispi er⸗ klärte unter größter Aufmerksamkeit des Hauses, die Regierung habe sich in der Kommission gegen die Forderung weiterer Er⸗ sparnisse erklärt, denn man habe hinsichtlich der Armee genügende Sparsamkeit walten lassen. Er habe niemand angreifen wollen, aber man dürfe künftighin die Armee nicht in dieser Weise an⸗ greifen und eine so gewichtige Füage leichthin behandeln. Italien habe zu große Opfer für seine Armee gebracht, als daß es deren Fortbestand in Frage stellen könnte. Uebrigens werde der Kammer nicht die Gelegenheit fehlen, diese Frage ausführlich zu behandeln. Pelloux erklärte sich durch diche Erklärung zufriedengestellt.

Vor dem Kriegsgericht in Palermo begann am Sonn⸗ abend der Prozeß gegen den Deputirten de Felice⸗Giuffrida und zehn andere Angeklagte, die das sozialistische Zentral⸗ comité der „Fasci lavoratori“ gebildet hatten.

Wie die „Agenzia Stefani“ mittheilt, hat die italienische Regierung dem Pilgerzuge spanischer Arbeiter ge⸗ nach Italien zu kommen, und keinerlei Einwendung bei er Regierung in Madrid erhoben, ihr aber mit⸗ getheilt, sie müsse ihr die Verantwortung dafür über⸗ lassen, wenn sich unter den Pilgern auch Anarchisten befänden. In diesem Fall würde die italienische Re⸗ gierung die ihr nothwendig erscheinenden Maßregeln um jede öffentliche Ruhestörung zu verhindern. Außerdem hat die Regierung den Vatikan verständigt, sie werde nicht ermangeln, ihre Phlicht zu thun. 1

Spanien.

Die nach auswärts verbreiteten beunruhigenden Gerüchte

über den Gesundheitszustand des Königs werden dem „W. T. B.“ zufolge von gut unterrichteter Seite als un⸗ begründet erklärt.

Der Justiz⸗Minister hatte mit Canovas eine Unter⸗ redung über den Gesetzentwurf wegen Unterdrückung der

Anarchisten. Canovas versprach, die Vorlage zu unterstützen.

Nach einer Meldung aus Cordoba von gestern plünderte daselbst ein Haufe Arbeitsloser eine Anzahl von Bäckerläden. Der Gouverneur stellte mit Hilfe von Gendarmerie die Ordnung wieder her.

Portugal. Die Königin Amalie ist nach einer Meldung des

„W. T. B.“ erkrankt, doch giebt ihr Zustand zu keinerlei Be⸗

sorgnissen Anlaß. v“

In Brüssel zog, wie „W. T. B.“ berichtet, am Sonn⸗

abend ein Haufe Anarchisten mit einer schwarzen Fahne

durch die Stadt unter dem Rufe: „Tod den Bourgeois!“

Auf der Grande Place kam es zu einem Zusammenstoß mit

der Polizei, welche die schwarze Fahne gewaltsam entfernte

und sechs Verhaftungen vonaahtmm. Rumänien.

Der Prinz und die Prinzessin Ferdinand von Rumänien haben sich nach einer Meldung des „W. T. B.“ am Freitag von Bukarest zu viertägigem Aufenthalt nach Jassy begeben. In der Begleitung befanden sich die Minister Catargi und Oleansscu mit Gemahlinnen, sowie der Minister Janescu. Bei der am Sonnabend früh erfolgten Ankunft in Jassy wurde das prinzliche Paar am Bahnhof von den Vertretern der Behörden begrüßt und ihm während der Fahrt nach der Kathedrale, wo ein Pedeum abgehalten wurde, enthusiastische Ovationen dargebracht. Im Laufe des

Tages werden die offiziellen Persönlichkeiten empfangen.

Der „Moniteur“ vom Sonnabend viraffentl t die Er⸗ nennung des Kommandanten der vierten Division in Bukarest, General Dona, zum Kommandanten des ersten Armee⸗Korps in Crajoba an Stelle des General⸗Lieutenants Anghelescu, der in Disponibilität tritt. Der frühere Kriegs⸗Minister Lahovari ist zum Kommandanten der Division in Bukarest ernannt worden.

Montenegro.

Der Fürst hat, wie „W. T. B.“ aus Cetinje berichtet, am Sonnabend dem türkischen Gesandten anläßlich des Beiram⸗Festes einen Besuch abgestattet.

Die montenegrinische Regierung hat eine Note an die Pforte gerichtet, worin die türkischen Grenzbehörden einer unstatthaften Nachsicht den Albanesen gegenüber beschul⸗ digt werden und deren Absetzung gefordert wird.

Schweden und Norwegen.

Die Delegirtenversammlung der Peartei der Linken hat sich, wie „W. T. B.“ aus Christiania meldet, für zeitgemäße Reformen zur Bekämpfung der Trunksucht ausgesprochen und dem Storthing anheimgestellt, den Arbeitern freie Abstimmung sowie Versammlungsfreiheit zu sichern. Der Vorstand wurde beauftragt, ein Wahlmanffest zu erlassen.

Amerika.

Nach einem in Paris eingetroffenen Telegramm aus Rio de Janeiro hätten die Truppen Peixoto's Curityba

heutigen 44.

nahmetarife für die überseeis

wieder genommen. Wie die „Times“ aus Buenos Aires von gestern meldet, hätten vier Transportschiffe und ein veereboboot der Aufständischen die Barre von Rio Grande do Sul passiert und 4000 Mann Hegbate um die Stadt anzugreifen. In Paris ist die Nachricht aus Buenos Aires eingetroffen, die EEöö“ Schiffe seien in die offene See gegangen. Der telegraphische Dienst in Brasilien sei auf⸗ hobeg einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Santiago vom Sonnabend habe der Präsident Montt es abgelehnt, sich mit einer der politischen Parteien zu identi⸗

Fen dagegen habe er erklärt, er sei bereit, mit einem 9

inisterium zu regieren, welches das Vertrauen des Kongresses besitze. Man glaube, daß die Bildung eines Koalitions⸗ Ministeriums von Liberalen und Konservativen absolut nothwendig sei. Afrika.

Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Sansibar von gestern hätte sich die britische Regierung gutem Vernehmen nach endgültig entschlossen, den Besitz von Uganda und die dortige lokale Verwaltung aufrecht zu erhalten. Ob und in welchem Umfange die Verwaltung von Sansibar aus geleitet werden solle, sei noch nicht bekannt.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die Sonnabendsitzungen des Reichstags und des G“ der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen 77. h des Reichstags, welcher die Staatssekretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Marschall und Nieberding beiwohnten, bemerkte bei der ersten Berathung des Handels⸗ und Schiffahrts⸗ vertrages mit Uruguay der

Abg. Graf Kanitz (dkons.), daß seine Fraktion zweifellos in ihrer überwiegenden Mehrheit diesem Handelsvertrag zustimmen werde. Der Vertrag enthalte allerdings die bedenkliche Bestimmung, daß Uruguay sich vorbehält, mit den südamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien und Paraguay noch besondere Verträge zu schließen, deren Vortheile dem Deutschen Reich nicht zufallen sollen; doch könne dieser Umstand nicht ausschlaggebend sein. Die deutsche Industrie sei vor zu cößen Hoffnungen auf die Ausfuhr nach Uruguay zu warnen; die deutsche Landwirthschaft könnte eventuell sogar direkte Nachtheile von dem Vertrage haben, jedenfalls werde sie keinen Gewinn davon haben. Redner bittet infolge dessen die verbündeten Regierungen, dem jetzt eingebrachten Antrag der Konservativen auf Fixierung des Preises für ausländisches Getreide ihr Wohlwollen zuzuwenden. Da der Antrag als Initiativantrag keine Aussicht habe, noch in dieser Session berathen zu werden, so würde Redner sehr er⸗ freut sein, wenn die Regierung vorher mit einem selbständigen Gesetz⸗

entwurf derselben Tendenz an den Reichstag käme.

Darauf erhält das Wort der Abg. Dr. Hammacher inl.). (Schluß des Blattes.)

Das Haus der Abgeordneten setzte in seiner itzung, welcher der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen und zahlreiche Kommissarien beiwohnten, die zweite Berathung des Ekats der Staats⸗Eisenbahn⸗

verwaltung bei dem zweiten Titel der Einnahmen: aus

dem Güterverkehr 659 700 000 ℳ, fort.

Der Abg. Gothein (fr. Vg.) hat dazu folgenden An⸗ trag gestellt:

Die Staatsregierung zu ersuchen: 1) unter Aufhebung der auf rein kilometrischer Grundlage beruhenden Normalgütertarife Staffel⸗ tarife für sämmtliche Arten von Gütern einzuführen; 2) mit den anderen deutschen Bahnverwaltungen in Verhandlungen wegen gleichmäßiger Durchrechnung der so gebildeten Tarife auch auf deren Strecken einzutreten.

Abg. Mohr (nl.); Der Elbe⸗Trave⸗Kanal solle gebaut werden,

um Lübeck von der Konkurrenz Hamburgs durch den v zu schützen. Desselben Schutzes bedürfe auch Altona, welches durch die Einrichtungen des Hamburger Freihafens geschädigt sei. Redner verlangt, daß die Gütertarife für Hamburg und Altona gleichgestellt würden, um den Vorsprung, den Hamburg durch seinen Freihafen hat, etwas auszugleichen. Statt dessen seien aber vielfach sogar Tarif⸗ erhöhungen für Altona eingetreten.

Gesehner Regierungs⸗Rath Möllhausen: Die Regierung er⸗ kennt die schwierige Lage Altonas Hamburg gegenüber vollständig an; deshalb ist auch der Skadt Altona ein Beitrag für ihre Hafenanlagen gegeben. Aber auch speziell die Eisenbahnverwaltung hat darauf Rücksicht genommen; deshalb sind die Gebühren für Be⸗

nutzung der Verbindungsbahn und der Quai⸗Bahnen erheblich herabgesetzt worden. Altona wünscht aber, daß die Tarife für Ham⸗

burg und Altona vollständig gleichgestellt werden: das ist für die Staats⸗Eisenbahnverwaltung unmöglich. Wenn die Tarife Altonas und Hamburgs gleichgestellt werden für den Verkehr nach dem Osten und Süden, müßten sie auch gleichgestellt werden für den Verkehr nach dem Norden, und davon würde Hamburg Vortheil ziehen. erner müßten auch für Harburg die Tarife ebenso wie für Ham⸗ urg und Altona berechnet werden, und das wird für die Staats⸗Eisenbahnverwaltung schließlich eine finanzielle Unmöglich⸗ keit sein. Die Tarife für die Lokotransporte sind allerdings erhöht worden. Die Lokotransporte finden sett e Hafen nach dem Bahnhof Altona auf einer Strecke mit großer Steigung. Diese Erhöhung mußte stattfinden, weil die Transporte so zahlreich wurden, daß die Ferntransporte dadurch beeinträchtigt wurden. Deshalb wurden die 8 grife he Betrage gleichgestellt, welcher für Fuhrwerke zu be⸗ zahlen ist. „Abg. Reichardt (nl.) empfiehlt eine Ermäßigung der Frachten für Zucker, nament lich um der deutschen Zuckerindustrie die Konkurrenz mit Desterreich zu erleichtern. s Ministerial⸗Direktor Fleck erklärt, daß darüber Verhandlungen weben. Abg. Gothein (fr. Vg.) empfiehlt die Vermehrung der Aus⸗ 7 Ausfuhr, namentlich auch für die Aus⸗ hr nach Süd⸗Amerika. Der Finanz⸗Minister, erklärt Redner, hat es als einen Köhlerglauben bezeichnet, daß alle Tarifermäßigungen kehreinnahmen mit sich bringen. Das ist richtig; aber die Er⸗

mäßigung der Stückgut⸗ und Eilgutfrachten hat Mehreinnahmen

herbeigeführt. Jedoch nicht jede Industrie ist in der Lage, davon ebrauch zu machen. Namentlich die Textilindustrie, welche im ebirge zerstreut liegt, muß erst ihre Sendungen als gewöhnliche rachten an einem Knotenpunkt vereinigen, um sie als Sammel⸗ adung verschicken zu können. Graf Kanitz hat die sozialen Ge⸗ fahren der jetzigen Zeit geschildert. Wenn auch nicht der Verkehr allein diese sozialen Zufltände geschaffen hat, sondern das Zu⸗ ammendrängen der Menschen immer dort stattfindet, wo die politischen Geschicke eines Landes entschieden werden, so hat doch der Güterverkehr die Zentralpunkte immer bevorzugt. Die Frachten spielen jetzt eine 8 Rolle bei den Preisfestsetzungen für die roduzenten und Konsumen ten. Der Produzent, der guf weite Ent⸗ ernungen Rohstoffe und Kohlen beziehen muß, steht schlechter da als derjenige, welcher beides in der Naͤhe hat. Wenn im Osten, die Landwirthe geringere Löhne zahlen

als im Westen, so wird dadurch auch die Lebensunterhaltung herunter⸗

edrückt, und die Aufgabe wäre gerade, die Lebensunterhaltung der rbeiter zu heben. Die Industrie entwickelte sich da, wo bereits ein

Stamm geübter Arbeiter vorhanden war. Diese Möglichkeit fehlt in gewissen Theilen des Ostens, wo die Bedingungen für die Ansäͤssig⸗ machung einer größeren Zahl von Arbeitern nicht vorhanden sind. Der Grund und Boden ist im Osten zu sehr konzentriert, der Arbeiter kann sich nicht selbständig machen. So lange die Landwirthschaft des Ostens nicht eine dichtere Bevölkerung bei sich hat, wird sie mit ihren Produkten nach dem Westen gehen müssen. Deshalb ist die Seßhaftmachung von Arbeitern im Osten die Hauptsache. Der Handels⸗Minister hat die Wasserverhältnisse des Östens unter⸗ suchen lassen und gefunden, daß dort Industrieanlagen günstig Seh werden könnten. Aber die Industriellen sagen sich: as nützen die Wasserkräfte, wenn wir keine Arbeiter vorfinden und keinen Markt für unsere Fabrikate? Die Eisenbahnen haben ein Monopol, und leider sind ihre Tarife zu bureaukratisch und kalkulatorisch festgestellt, man hat einen Einheitssatz multipliziert mit der Zahl der Kilometer. Gegenüber diesem Einheitztarif die Ausnahmetarife nothwendig, und wenn die Hälfte aller ransporte zu solchen Ausnahmetarifen gefahren wird, so liegt darin die schlimmste Kritik der Tarife. Aber solche Ausnahmetarife werden nur bewilligt, wo die Eisenbahn mit einer Konkurrenz der zu rechnen hat. Daher richtet sich das Tarifwesen nach dem Grundsatz: Wer da hat, dem wird gegeben, und wer da nicht hat, dem wird das Wenige noch genommen, was er hat. Die Ausnahmetarife kommen in erster Linie den See⸗ plätzen zu gute. Das ist natürlich und liegt im Inter⸗ esse der heimischen Industrie und der Cfebae Aber dadurch werden künstliche eqeinsttezaege der Seeplätze gegenüber den anderen Plätzen geschaffen, die in gleicher Entfernung Güter, z. B. Kohlen, beziehen müssen. Redner tritt sodann für die Staffeltarife ein. Er habe sich gefragt, ob es zweckmäßig sei, den Antrag jetzt einzubringen. Aber nachdem im Beginn der Berathung des Eisen⸗ bahn⸗Etats Graf Kanitz die sozialen Nothstände darauf zurückgeführt habe, daß der Berliner Vororttarif so billig sei, da mußte der Antrag eingebracht werden, um zu zeigen, daß der Speer, der die Wunde schlug, auch im stande . sie zu heilen. Die schlechten Gütertarife, fährt Redner fort, haben die Kon⸗ zentration der Industrie befördert; die Verbilligung der Frachten durch die Staffeltarife wird eine Besserung herbeiführen können. Die höheren Löhne der Berliner Arbeiter entsprechen auch ihrer größeren Leistungsfähigkeit. Als in Gottesberg eine neue .o. anlage errichtet werden sollte, verdienten die Maurer aus den Weber⸗ dörfern 2,50 ℳ, die aus dem schlesischen Kohlenrevier 3 ℳ, Berliner Arbeiter aber bei niedrigen Aeccordsätzen 7,50 Redner empfiehlt schließlich seinen Antrag, den er allein gestellt habe auf Grund eigener Sachkenntniß und für den keine Partei die Verantwortung trage. Abg. Dr. Lotichius (nl.) bedauert, daß der neue Tarif für Minette⸗ Erze nicht auf die Umschlagsstation Oberlahnstein ausgedehnt sei; die Staatsbahnverwaltung befürchte davon einen Schaden von 50 bis 60 000 und eine Schädigung der westfälischen Eisenindustrie. Die Eisenwerke am Niederrhein bezögen nun ihre Minette⸗Erze auf dem Wasserwege aus dem Auslande zum Schaden Deutschlands und auch zum Schaden der Eisenbahnen, welche die Transporte ganz verlören. (Schluß des Blattes).

Im Reichstag ist von dem Abg. von Ploetz (dbkons.) folgender Antrag eingebracht worden: Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, einen Gesetzentwurf, betreffend die Einführung eines Ausfuhrzolls auf alle aus dem deutschen Zollgebiet ausgeführten Kali⸗ und Magnesiumsalze, vorzulegen.

Nr. 14 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamts“ vom 4. April hat folgenden Inhalt: Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten (Cholera, In⸗ fluenza u. s. w.). Gesundheitsstand und Sterbefälle, Februar. Maßregeln gegen Cholera ꝛc. Oeffentliches Gesund⸗

eitswesen im Reg.⸗Bez. Düsseldorf, 1889/91. Gesetzgebung u. s. w. (Preußen. Reg.⸗Bez. Easeh. Geisteskranke. (Baden). Thier⸗ heilmittel. (Oesterreich). Dürre Würste. (Schweiz). Fleisch und Fleischwaaren ausländischer Herkunft. Gang der Thierseuchen in der Schweiz, 4. Vierteljahr. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Deutsches Reich, Frankreich, Belgien). Recht⸗ sprechung. (Landgericht eegh. Ankündigung und Feilhalten der sol. acid. arsen. Unbefugte Bezeichnung „cand. med.“ Ver⸗ handlungen von gesetzgebenden Körperschaften. (Sachsen). Bezirks⸗ hebammen. Vermischtes. (Deutsches Reich). Rauchbelästigung. Preisausschreiben. (Preußen). Selbstmorde in der Armee, 1876/90. (Breslau). Chemisches Untersuchungsamt, 1892/93. Monats⸗ tabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 15 000 und mehr Einwohnern, Februar. Desgl. in größeren Orten des Auslandes. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Städten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Seage in größeren Städten des Aus⸗ landes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung.

Nr. 13 a des „Zentralblatts der ö herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Ar⸗ beiten, vom 4. April hat folgenden Inhalt: Wettbewerb um Vorschläge zur Klärung der Leipziger Schleusenwässer. Die Archi⸗ tektur der Renaissance in Toscana. (Schluß.) Zur Eisenbahn⸗ Oberbaufrage. Vermischtes: Wettbewerb für eine zweite Realschule in Stuttgart. Preisbewerbung, betreffend die Bebauung der Vor⸗ orte von Berlin. Schutz neuer Deichkörper gegen Wellenschlag. Neue Patente.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Die ng .. Annahme einer nicht eschuldeten, irrthümlich geleisteten Zahlung ist, nach einem ürtheit des Reichs⸗ gerichts, IV. Strafsenats, vom 26. Januar 1894, nicht ohne weiteres als Betrug zu bestrafen. Der Maurer K. hatte einen für ihn und drei andere Maurer gemeinschaftlich ausgestellten Lohnzettel durch Er⸗ höhung der darin von dem betreffenden Polier angegebenen Arbeits⸗ leistungen (Schichten) ohne Wissen der drei anderen Maurer verfälscht und es wurde einem Jeden infolgedessen von dem Bauführer mehr Arbeitslohn, als ihm zustand, ausgezahlt. Die an der Fälschung nicht betheiligten Maurer nahmen die Zahlung an, ohne den Bauführer auf seinen Irrthum aufmerksam zu machen. K. wurde wegen Urkundenfälschung und die drei anderen wurden wegen Betrugs angeklagt. Die Strafkammer sprach diese von der Anklage des Betrugs frei, und die Revision des Staatsanwalts wurde vom Reichsgericht verworfen, indem es begründend ausführte: „Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände wird sich die bloße Empfangnahme einer nicht geschuldeten Zahlung zunächst nur als ein Benutzen des bei dem Zahlenden vorhandenen Irrthums darstellen. Der erste Richter hat aber thatsächlich fest⸗ gestellt, daß das widerspruchslose Annehmen und Behalten des zuviel ezahlten Lohnbetrages als ein auf Täuschung berechnetes aktives Ver⸗ alten der Angeklagten nicht aufzufassen sei. Wenn sie hiernach nur den Irrthum des Jahlenden zu ihren Gunsten ÜF-S. aber keine Thätigkeit zur Unterhaltung desselben entwickelt haben, so konnte duch d8 ö des Betrugs gegen sie nicht festgestellt werden.“ 0 8

Durch vorbehaltene Kodizille kann, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Zivilsenats, vom 27. Januar 1894, im Gebiete des Preußischen Allgemeinen Landrechts die im Testament Erbeseinsetz ung weder aufgehoben noch abgeändert werden. „Es unterliegt keinem Bedenken, daß in einem Kodizill, wenngleich die Errichtung eines solchen in dem Testament ausdrücklich vorbehalten vhrben t, eine Erbeseinsetzung nicht ausgesprochen werden kann.“..

Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts. 8

Die Orts⸗Polizeibehörde ist, nach einem Urtheil des Ober⸗ Verwaltungsgerichts, I. Senats, vom 4. November 1893, im Ver⸗ kehrsinteresse befugt zu dem Verbote der Ableitung von Dünger⸗ jauche aus einem Gehöft nach einem vx Wassergraben, selbst wenn durch den üblen Geruch eine Gefährdung der Gesundheit der Anwohner und Passanten nicht zu befürchten ist. „An und für sich ist Kläger zu jener Wasserableitung überhaupt nicht, insbesondere aber dann gegenüber der Polizei nicht be⸗ fugt, wenn durch die üblen Gerüche die Anwohner oder das auf dem Bahnhof verkehrende Publikum belästigt werden. Gleich⸗ ültig ist hierbei, daß die Gesundheit dieser Mitglieder des ban ikums vielleicht direkt oder auch indirekt durch die Handlung des

lägers nicht gefährdet wird, da ganz abgesehen von den Voraus⸗

setzungen des § 10 II. 17 A. L.⸗R. jene erfügung durch die der Polizeibehörde weitergehende Befugnisse bezüglich der Leichtigkeit des Verkehrs einräumende Bestimmung des § 6 Litt. b. des Ge⸗- setzes über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850 gestůtzt 191“

. Ist ein Haus in der Weise aufgeführt worden, daß es mit einer Seitenfront nicht unmittelbar an die Grenze des Nachbargrund⸗ stücks anstößt, sondern sich 5,50 m davon entfernt hält, und hat dem⸗ zufolge jene Front mit Fenstern und Eingangsthür versehen werden können, so ist nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungs⸗ gerichts, IV. Senats, vom 19. Januar 1894 die Orts⸗Polizeibehörde efugt, sobald das Hausgrundstück ohne jenen freien Terrain⸗ streifen von 5,50 m Breite in anderen Besitz übergeht, die Umwandlung der mit Fenstern versehenen Front in eine „Brandmauer“ ohne Oeffnungen zu verlangen, selbst wenn der Besitzer des Terrainstreifens sich wirksam verpflichtet hat, denselben niemals zu bebauen es sei denn, daß die geltende Baupolizeiordnun eine derartige privatrechtliche Verpflichtung aus⸗ drücklich für wirksam erklärt. „Es ist unter den Parteien (dem Haus⸗ besitzer X. als Kläger und der Polizeiverwaltung zu L. als Beklagte) unstreitig, daß zur Zeit der Ertheilung der Genehmigung des hier fraglichen Baues an den Vorbesitzer des Klägers die Grenze des Nachbar⸗ grundstücks, nämlich des dem Fiskus gehörigen Privatweges, 5 ½ m von der Wand, deren Umwandlung in eine Brandmauer jetzt verlangt wird, entfernt war, daß aber der Kläger jenen 5 ½ m breiten Terrainstreifen nicht mit⸗ erworben hat, sodaß dieser im Eigenthum des Vorbesitzers blieb. Dadurch ist die Wand eine solche geworden, welche nunmehr an des Nachbars Grenze steht. Dieser Zustand widerspricht aber dem hier maßgebenden Baurecht. Der § 12 der näher bezeichneten Baupolizei verordnung sagt am Schlusse: „Ebenso sind Wände, welche an des Nachbars Grenze stehen, oder weniger als 5 ½ m von derselb entfernt sind 11), als Brandmauern herzustellen.“

Die fragliche Verpflichtung des Eigenthümers des grundstücks, jenen Terrainstreifen unbebaut zu la

rechtliche, und privatrechtliche Verträge sind i 1 geeignet, öffentlich⸗rechtliche Normen zu schaffen, sodaß die Polize behörde verpflichtet wäre, dieselben bei ihren polizeilichen Anordnungen zu beachten —, es sei denn, daß die maßgebenden Verordnungen solches ausdrücklich vorschreiben. Die hier anzuwendende Baupolizeiverordnun enthält aber eine solche Vorschrift nicht, dieselbe muß deshalb zu Anwendung kommen, wenn auch der Nachbar sich dem Kläger gegenübe keseficgte mehrerwäͤhnten Streifen Landes unbebaut z assen.“ (IV. 88.

Bauten.

„Das Projekt zum Neubau der evangelischen Kirche in Fulda is fertig gestellt, und die Vorbereitungen zur Inangriffnahme der Bau⸗ ausführung sind getroffen. Letztere wird nach Ueberweisung der Bau mittel, welche bestimmt in nächster Zeit zu erwarten ist, begonne werden. Die Kirche wird 960 Sitzplätze enthalten. .“

Land⸗ und Forstwirthschaft.

„Weerr sich für die gewiß binnen kurzem, für die Landwirthschaft besonders, sehr große Bedeutung besitzende Knöterich⸗Art Poly gonum sachalinense 88 Schmidt interessiert, hat gegenwärtig im Botanischen Garten Gelegenheit, sich von dem rapiden Wachs thum dieser interessanten Pflanze zu überzeugen. Diese Art nimm einen größeren runden Platz ein zwischen dem See am Victoria⸗Haus und dem Palmenhaus. Im „System“ findet man aber auch die diesem Knöterich sehr nahestehende und nur sehr unwesentlich ver schiedene japanische Polygonum cuspidatum Sieb. et Zucc. An beiden Orten sind erst vor wenigen Tagen die dicken, rothgefärbten Sprosse über den Boden hervorgetreten, in dichter Menge den ihnen zugewiesenen Raum bedeckend, und schon haben sie eine ansehnlich Höhe erreicht; in zwei bis drei Wochen werden aber die Triebe schon etwa 2 m hoch sein. In seiner Heimath, dem öden Sachalin, hat dieser Knöterich gelernt, mit dem haͤrtesten und unfruchtbarsten Boden vorlieb zu nehmen. An den von ihm besiedelten Orten durch⸗ zieht er mit seinen dicken Wurzelstöcken überall den Boden und sendet dann, sobald die Vegetationszeit beginnt, seine Laubsprosse in solcher Menge nach oben, daß diese dichte Bäüsche, Staude an Staude gedrängt, bilden. Da nun diese Sprosse eine 2g von 3 m erreichen und mit riesigen, elegant geformten Blättern besetzt sind, auch in der Mitte des Som⸗ mers schöne große, weiße oder gelblichweiße Blüthenstände entwickeln, so resultiert hieraus der erste Vorzug dieser Pflanze, daß sie nämlich außerordentlich dekorativ wirkt und sich besonders schön als Mittel⸗ pflanzung von Staudenbeeten verwenden läßt, wenn man mit der nöthigen Vorsicht die allzustarke Ausbreitung ihrer Wurzelstöcke verhindert. Ansprüche an irgend welche eigen⸗ artigen Vegetationsbedingungen stellt Polygonum sachalinense absolut nicht. Sie gehört zu den genügsamsten Pflanzen und verträgt Temperaturschwankungen von + 400 C. und 300 C. ohne Schaden. Es lassen sich also mit ihr die sterilsten Orte ausnützen und zwar am besten in der Weise, daß man Rhizomstücke etwa in Abständen von 1. m in den Boden versenkt und im Falle von Trockenheit einigemal für ausreichende Wasserzufuhr sorgt. Ein Bearbeiten des Bodens ist durchaus unnöthig. Der größte Werth dieser Pflanze liegt nun darin, daß sie ein ganz hervorragendes Futter für Wiederkäuer, besonders auch für ferde liefert, die die jungen Triebe und Blätter mit großer Vorliebe ressen. Am besten vegselst man so, daß die Sprosse, nachdem sie etwa 1,50 m Höhe erreicht haben und noch ihre volle Zartheit besitzen, abgemäht werden, worauf sie sowohl als Grünfutter verwendet werden können, wie sie sich auch zum Trocknen ausgezeichnet eignen. Von den Franzosen, von denen schon am meisten Versuche mit dieser viel⸗ versprechenden Pflanze angestellt wurden, wurde festgestellt, daß schon im ersten Jahre zwei bis drei, in späteren aber drei bis vier Schnitte erzielt werden, und daß das Gewicht der grünen Ernte auf den preußischen Morgen von 1000 bis 2000 Zentner mit Sicherheit angegeben werden kann. (Vergleiche hierzu auch Gartenflora 1894. 5. pag. 134). Die chemische Analyse hat ferner ergeben, daß Polygonum sachalinense einen außerordentlich großen Gebalt an Nährstoffen aufweist und in diesem Punkt die Luzerne weit übertrifft. Aber diese Pflanze wird vielleicht auch einmal als Gemüse liefernd in Aufnahme kommen; denn ihre jungen gekochten Blätter sollen von vorzüglichem Geschmack sein, ähnlich dem von Spinat oder Sauerampfer, pikant, aber ohne irgend welche Schärfe. Sollten sich auch beim Anbau im großen nicht alle diese Vorzüge in ihrem ganzen Umfange als zu Recht bestehend erweisen, so steht doch zweifellos fest, daß die eben geschilderte Pflanze in vollstem Maße die des Landwirths wie des Gärtners verdient. Denn es dürfte wohl kaum eine andere Art genannt werden, die wie Polygonum sachalinense mit so hervorragenden Eigenschaften sie ist in gleicher Weise als dekorative wie als Futter⸗ und Ge⸗ müsepflanze werthvoll zugleich eine Bedürfnißlosigkeit ohnegleichen verbindet, welche bei ihren großen Erträgen nicht einmal eine Be⸗ stellung des Landes verlangt.