Geistlichen im ganzen Rheinland die Lokalschulinspektion entziehen
wolle.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat von einem Plan des Kultus⸗Ministers gesprochen, der in diesem Umfang garnicht existiert. Ich möchte die ganze Sache doch auf das Niveau zurückführen, auf dem sie steht. Nach der bekannten Instruktion vom Jahre 1811 sollen die Leiter der größeren Schulsysteme eine etwas selbständigere Stellung einnehmen. Das ist das einzige, was ich jetzt auszuführen im Begriff stehe. Nicht die Größe der Stadt ist dabei entscheidend, sondern die Größe des Schulsystems, und ich finde das vollkommen in der Ordnung, daß dabei die Hauptlehrer eine entscheidende Mitwirkung an der Schulaufsicht haben. Ich denke nicht daran, vie Geistlichen deshalb aus der Schule herauszudrängen, sondern ich habe ausdrücklich darauf Bedacht genommen und habe es auch erklärt, daß die Geistlichen im Schulvorstand vertreten sein sollen, und daß sie dort ihren Einfluß geltend machen können. Daß dagegen irgend⸗ welche erhebliche Bedenken obwalten können, kann ich um deswillen nicht annehmen, weil auch von geistlicher Seite aus wiederholt nahe⸗ gelegt worden ist, diese Maßregel zu treffen, und zwar um deswillen, weil die Herren Geistlichen selbst erklärt haben: wir können in unseren großen Gemeinden zur Zeit unseren geistlichen Pflichten nicht mehr in dem Umfange gerecht werden, wie es uns unser Gewissen gebietet, und wir bitten deshalb, uns auf dem Gebiete der Schule einiger⸗ maßen zu entlasten.
Das ist der ganze Umfang der Maßregel, um die es sich handelt. Ich glaube diese aber in diesem Umfange vollkommen aufrecht er⸗ halten zu können.
Abg. Conrad⸗Pleß (Zentr.) wiederholt die Klage über die Art des Religionsunterrichts in Oberschlesien, die er als wenig ersprießlich bezeichnet, und bittet den Minister, einen Kommissar dorthin zu senden, um sich über die Früchte dieses Un⸗ terrichts zu informieren, namentlich auch über die Haltung der Lehrer zur Religion und Kirche, und danach seine Maßnahmen zu treffen.
Abg. Lückhoff (frkons.) bittet den Minister um eine Auskunft über die Verwaltung der Stiftung Mons pietatis.
Minister der geistlichen 2ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Ich bin bereit, die Erklärung über die Stiftung „Mons pietatis“ so weit zu geben, als ich nach Lage der Verhältnisse dazu im stande bin. Ich bin in der That in Bezug auf diese Stiftung insofern in einer eigenthümlichen Lage, als die Verwaltung der Stiftung nicht von mir unmittelbar, sondern von der obersten Behörde der evan⸗ gelischen Landeskirche ressortiert, vom Evangelischen Ober⸗Kirchenrath. Ich muß aber anerkennen, daß, so lange ein Bedürfnißzuschuß für diese Stiftung im Staatshaushalt erscheint, ich auch verpflichtet bin, die Verantwortung dafür zu übernehmen, daß die Stiftung ordnungs⸗ mäßig verwaltet wird, und das hat mich veranlaßt, in Bezug auf die Anfragen, die hier bei der zweiten Lesung gestellt sind, nähere Erkundigung einzuziehen und der Sache näher nachzugehen.
In einem Punkte, den der Herr Vorredner soeben berührt hat, in Bezug auf die Klage über die angeblich mangelnde Berücksichtigung des reformierten Bekenntnisses in der Verwaltung der evangelischen Landeskirche überhaupt würde ich mich nicht als zuständig ansehen; ich glaube, daß das eine Beschwerde ist, welche in die Generalsynode oder Provinzialsynode gehört, und die nicht dem Minister, sondern dem Kirchenregiment gegenüber geltend zu machen ist.
Ich habe nun seit der zweiten Lesung versucht, über die Punkte, über welche in einer Reihe von Artikeln in der „Reformierten Kirchen⸗ zeitung“ Beschwerde geführt worden ist, und welche der Abg. Dr. Sattler das vorige Mal zur Sprache gebracht hat, nähere Aufklärung zu erlangen. Diese Aufklärung hat noch nicht vollständig gegeben werden können. Aber einiges habe ich doch über die Sache in Er⸗ fahrung gebracht, und ich bin sehr gern bereit, das mitzutheilen, auch meine Stellung in der Sache hier darzulegen.
Ich muß anerkennen, ganz unbegründet sind diese Beschwerden nicht. Nach der Stiftungsurkunde sollen die Mitglieder des Direktoriums der Stiftung „Mons pietatis“ dem reformierten Bekenntniß an⸗ gehören; und hier ist in der That seit Einführung der Union auch nach meiner Ueberzeugung nicht immer die wünschenswerthe Klarheit innegehalten worden. Es ist das ja auch ganz begreiflich. Nach der Einführung der Union sind die konfessionellen Gegensätze innerhalb der evangelischen Landeskirche — und ich glaube, wohl sagen zu können: Gott sei Dank! — einigermaßen ausgeglichen; und es ist gewiß auch im allgemeinen nicht wünschenswerth, diese konfessionellen Gegensätze innerhalb der evangelischen Landeskirche aufs neue schärfer als noth⸗ wendig zu betonen. Darin aber muß ich dem Herrn Abgeordneten Recht geben: die Kabinetsordre vom Februar 1834 betont ausdrück⸗ lich, daß auch innerhalb der evangelischen Landeskirche das reformierte Bekenntniß noch zu Recht besteht; und da es sich hier um rechtliche Verhältnisse handelt, so sind diese strikte zu inter⸗ pretierenden Vorschriften der Stiftungsurkunde meines Erachtens auch innezuhalten, und es ist Sorge dafür zu tragen, daß diese rein refor⸗ mierte Stiftung auch von reformierten Männern verwaltet werden soll. (Bravo!) In dieser Beziehung, meine Herren, ist nicht immer mit aller Vorsicht zu Werke gegangen; mir ist es wenigstens von einem der Herren bekannt, daß er nicht dem reformierten, sondern ausgesprochenermaßen dem lutherischen Bekenntniß angehört. Ich halte das nicht für stiftungsgemäß, und ich glaube, darauf wird hinzuwirken sein — und ich bin auch bereit, soweit es in meiner Macht steht,
arauf hinzuwirken — daß in Zukunft bei Erledigungen diese Stellen schließlich mit Leuten des reformierten Bekenntnisses besetzt werden.
Sodann ist ein zweiter Punkt der Beschwerde derjenige, daß die Unentgeltlichkeit der Verwaltung gefordert wird. Meine Herren, in ieser Beziehung giebt die Stiftungsurkunde keinen Anhalt; sie sagt weder, daß die Mitglieder des Direktoriums Remunerationen aus Stiftungsgeldern empfangen dürfen, noch verbietet sie das. Aber ich darauf aufmerksam: nach den Rechnungen der Stiftung Anfang an Remunerationen in wechselnden Be⸗ die Mitglieder des Direktoriums gezahlt worden. Das hatte anfangs auch gar kein Bedenken, so lange diese Mitglieder zuͤgleich Mitglieder der obersten reformierten Kirchenbehörde in Preußen waren; später, als das weg⸗ gefallen ist, hätte man vielleicht darauf Bedacht nehmen können, ob man die Sache nicht auch billiger machen könne. Ich muß zugeben: die Kosten der ganzen Verwaltung sind im Verhältniß zu dem Ver⸗ mögen der Stiftung ziemlich hoch. Jetzt sind aber diese Remunera⸗ tionen, und zwar immer durch Allerhöchste Kabinetsordre, zugebilligt, und man wird sie den Inhabern der Aemter nicht ohne weiteres ent⸗
früher erhobene
trägen an
erledigt werden, sich zu fragen, ob man denn nicht reformierte Leute in guter Stellung findet, die sich bereit erklären würden, auch unent⸗ geltlich diese Verwaltung zu führen. Ich bin bereit, darauf hinzu⸗ wirken. Man wird auch darauf aufmerksam zu machen haben, daß vielleicht die Beamten der Stiftung zu reichlich bemessen sind. Bei einer Stiftung mit einem Vermögen von etwa 600 000 ℳ und etwas darüber scheint es mir allerdings etwas zu weit zu gehen, wenn man nicht nur einen mit 900 ℳ besoldeten Rendanten, sondern auch noch einen besonderen Expedienten, einen besonderen Kalkulator hat und einen besonderen Registrator angestellt hat, die alle aus der Stiftung Remunerationen beziehen. Ich glaube, diese drei letzten Aemter ließen sich sehr wohl auch im Nebenamt vereinigen; kurz, ich bin sehr gern bereit, die Verwaltung der Stif⸗ tung darauf aufmerksam zu machen, daß bei Erledigung der Stellen darauf Bedacht zu nehmen wäre, die Sache etwas einfacher und auch etwas billiger zu machen.
Meine Herren, der Hauptbeschwerdepunkt geht dahin, daß aus den Stiftungsmitteln, und zwar stiftungswidrig, diese Zuwendungen an Nicht⸗ reformierte, ja, sogar an lutherische Gemeinden und Geistliche gemacht worden seien. Wenn man die Rechnungen der Stiftung ansieht, so läßt sich nicht leugnen, daß dieser Beschwerdepunkt einige Berechtigung zu haben scheint, denn es steht in einem Falle ausdrücklich da: „Zah⸗ lung an den lutherischen Geistlichen soundso.“ (Hört! hört!) Aber, meine Herren, es läßt sich doch in der Sache nichts ändern, und sie ist auch nicht so stiftungswidrig, wie sie aussieht; denn diese Zahlung beruht auf einer Allerhöchsten Kabinetsordre aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, und es hat sich leider bis jetzt noch nicht ermitteln lassen, auf welchen Rechtsverhältnissen diese Ordre aufgebaut ist. Wahrscheinlich liegt die Sache so, daß es sich um eine Gemeinde gehandelt hat, in der früher promiscue Lutheraner und Reformierte untereinander waren, die sich dann auseinandergesetzt und getheilt haben in eine lutherische und reformierte Gemeinde mit gemeinsamer Kirche, und daß bei dieser Gelegenheit der reformierte Theil der Gemeinde eine übrigens sehr geringfügige Entschädigung an den lutherischen Pastor übernommen hat, und diese Entschädigung scheint, soweit ich bis jetzt übersehen kann, nunmehr auf den Fonds „mons pietatis“ übernommen worden zu sein, der nun damit der reformierten Gemeinde eine Entlastung schuf und so die Zahlung an den lutherischen Geistlichen leistete. Es ist also im tiefsten Grunde wahrscheinlich garkeine Zuwendung, die als Unterstützung einem lutherischen Geistlichen hat gewährt werden sollen, sondern es handelt sich hier anscheinend um die Entlastung einer reformierten Gemeinde, die eine Rechtsverpflichtung hat gegen den lutherischen Geistlichen, und dagegen ist auch garnichts zu machen; denn die Sache beruht auf rechtlicher Verpflichtung und es würde im Prozeßwege zweiffellos die Verpflichtung anerkannt werden.
So ist es auch in einem zweiten Fall. Derselbe liegt so: Es bestanden in einer Stadt der Mark vier Gemeinden, drei reformierte und eine lutherische. Die Union wurde von den Gemeindeorganen angenommen und zugleich beschlossen, künftig mit drei Geistlichen auszukommen; diejenige Stelle, deren Inhaber zuerst sterben würde, solle nicht wieder besetzt werden und die Einkünfte dieser Stelle zur Aufbesserung für die drei anderen dienen. Nun starb unglücklicher⸗ weise zuerst der Reformierte, der einen ziemlich hohen Zuschuß aus der Stiftung mons pietatis bezog; die Folge war, daß nunmehr die drei anderen Geistlichen sich in diesen Zuschuß mit den übrigen Ein⸗ künften des Verstorbenen theilten. Die Stiftungsverwaltung versuchte übrigens, den Zuschuß zurückzuziehen, wurde aber damit im Prozeß⸗ wege in allen drei Instanzen abgewiesen. So beruht auch dieser Zu⸗ schuß auf rechtlicher Verpflichtung, es ist unmöglich, davon ab⸗ zukommen. Im übrigen hat sich nicht entdecken lassen, daß unierte oder lutherische Geistliche Zuschüsse aus der Stiftung bekamen. Das Direktorium versichert ausdrücklich, es halte sich verpflichtet, mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit darüber zu wacheu, daß in Bezug auf die Zuwendung an ausschließlich reformierte Gemeinden die Be⸗ stimmungen des Fonds innegehalten werden.
Nun, meine Herren, ich werde einen eingehenden Bericht der ge⸗ sammten Verwaltung der Stiftung herbeizuführen suchen und werde dabei darauf hinwirken, daß die strengste Innehaltung der Stiftungs⸗ vorschriften, die nach meiner Ueberzeugung rechtlich strikte interpretiert werden müssen, erfolgt. Ich glaube dabei auf das Entgegenkommen des Evangelischen Ober⸗Kirchenraths als der nächsten Aufsichtsbehörde rechnen zu können; ich glaube, dabei werden die bisher mit Beziehung auf diese Stiftung erhobenen Beschwerden wohl ihre glückliche Er⸗ ledigung finden. (Bravo!)
Abg. Rickert (fr. Vg.) fragt, ob ein Urtheil des Kammergerichts ergangen sei, wonach eine Polizeiverordnung über die Beendigung der Schulpflicht der gesetzlichen Unterlage entbehre. Damit würde die landrechtliche Vorschrift über die Schulpflicht in die Luft ge⸗ stellt ein al, Direktor Dr. Kuegler: Eine Zeitungsnotiz habe dem Minister Veranlassung zur Rückfrage bei der betreffenden Re⸗ gierung gegeben. Die Antwort sei noch nicht eingegangen. Im
andrechtlichen Gebiet habe aber der Erlaß solcher Polizeiverord⸗ nungen niemals eine Beanstandung gefunden.
Abg. von Eynern (nl.) knüpft zunächst an die Ausgaben für Kunst einige Bemerkungen über die Düsseldorfer Akademie und die Kunstpflege überhaupt; die Angriffe der „Jungen“, die sich als Origi⸗ nale aufspielen, auf die Kunstpflege des Staats seien vollständig unberechtigt. Herr von Heereman habe gestern die Rede gehalten, die man seit 15 Jahren von ihm gehört und die dahin gehe, daß der preußische Staat noch nicht alles so geordnet habe, wie es die Kurie wünsche. Trotz aller Friedensgesetze sei das Zentrum nicht zufrieden; der Minister solle seine Information nicht von seinen Beamten, son⸗ dern von den katholischen Geistlichen entgegen nehmen. Trotzdem, fährt Redner fort, die katholische Kirche in Preußen die größte Freiheit ge⸗ nießt, größer als in jedem anderen Staat, auch im Kirchenstaat, verlangt das Zentrum immer mehr, namentlich die Auslieferung der Staatsschule an die Kirche. Angesichts der Spaltung im
entrum — der Brief Lieber's ist ein Beweis dafür — hält das eine Agitation für nothwendig. Durch seine Klagen und ragen wühlt es das Volk auf und stört den Frieden, den alle Shegee wollen. Eine gewisse Beunruhigung herrscht im Lande darüber, daß viele Erbschaften auf Betreiben der Geistlichen an die katholische Kirche fallen. Der Minister sollte einmal eine Uebersicht eben über die Erbschaften, die an die Todte Hand gefallen sind. Bei der offenen Weise, wie das Zentrum seine Politik treibt, muß das Zentrum mit diesem Verlangen einverstanden sein.
Abg. Dr. Friedberg (nl.) bezeichnet die Lage der Lehrer, welche, an Volksschulen angestellt, kommissarisch an Mittelschulen beschäftigt werden, als mißlich. Sie verlöͤren dadurch ihre Steuerfreiheit, würden aber in Bezug auf ihre Pension ꝛc. als Volksschullehrer behandelt. Redner wendet sich dann gegen die Anführungen des Abg. Dr. Krantz über die Doktorpromotionen und hält seine früheren Be⸗ hauptungen aufrecht; er weist auf eine Anzeige in den „Hochschul⸗
und Leipzig empfiehlt. Eine
Doktorpromotionen in Heidelberg, Jena und Leipzig eine einheitliche Hrdnung der
Erklärung der Leipziger Fakultät meine, 3 he Doktorpromotionen auf Grund der preußischen Einrichtung önne wohl nicht erreicht werden. Es handele sich um eine deutscke Ein⸗ richtung, von der nur die genannten drei Universitäten abwichen.
Abg. v. Czarlinski (Pole) führt Beschwerde darüber, daß in einem westpreußischen Dorfe an Stelle eines abgebrannten katholischen Schulhauses ein evangelisches gebaut werde. — Ministerial⸗Direktor Dr. Kuegler: Es werde ein evangelisches Schulhaus von der Regierung gebaut; der Neubau des katholischen Schulhaufes, zu dem die Regierung eine Beihilfe gebe, sei durch Schuld der Gemeinde verzögert worden.
Abg. Wetekamp (fr. Vp.) empfiehlt eine Verminderung der Zahl der Pflichtstunden für die Lehrer an den höheren Lehranstalten, die jeßt stärker belastet seien als früher.
Abg. Knebel (nl.) bringt Beschwerden der Volksschullehrer des Regierungsbezirks Koblenz zur Sprache, welche sich bei der Gehalts⸗ regulierung gegenüber den Lehrern in Nassau und Westfalen zurück⸗ gesetzt fühlen. .““ Ministerial⸗Direktor Dr. Kuegler: Die Gehaltsregulierung hängt von den Gemeinden ab; die Gemeinden des Regierungsbezirks Wies⸗ baden haben sich freigebiger den Lehrern gegenüber gezeigt, als die des Koblenzer Bezirks. 3 1“
Abg. Cahensly (Zentr.) bemängelt, daß die Zahl der katholischen höheren Beamten in Nassau nicht der Zahl der katholischen Be⸗ völkerung entspreche. 8 8
Abg. Dr. Porsch (Zentr.) beklagt, daß katholischen Geistlichen vielfach noch nicht die Schulaufsicht übergeben sei, und erklärt sein Einverständniß mit den Ausführungen des Abg. Dr. Friedberg be⸗ züglich der Promotionen. Die Rede des Herrn von Heereman sei nicht neu gewesen, aber die des Herrn von Eynern auch nicht. Wenn die Beschwerden des Zentrums beseitigt seien, dann würden die Reden verstummen; so lange das nicht geschehen, müßten die Dinge immer wieder vorgebracht werden, bis auch Herr von Eynern über⸗ zeugt sei. Für die Kurie, erklärt Redner, verlangen wir nichts; wir wollen nur die Freiheit der römisch⸗katholischen Staatsbürger schützen, wir wollen den früheren
Zustand wiederherstellen. Der jetzige Zu⸗ stand ist von kirchlicher Seite nur als
ein aditus ad pacem bezeichnet worden. Wir stören den Frieden nicht, wir wollen ihn herbei⸗ führen. Deshalb wehren wir uns gegen Maßnahmen der Behörden, die zwar nicht ungerecht, aber auch nicht. wohlwollend sind. Redner bringt sodann einige Fälle zur Sprache, in denen weibliche Ordens⸗ niederlassungen in ihrer Thätigkeit behindert worden seien, und be⸗ schwert sich darüber, daß bei Legaten an die Kirche gegen den Willen des Erblassers große Stücke des Vermögens an entfernte Verwandte des Verstorbenen ausgeliefert worden seien. Liberale Männer sollten solche Eingriffe in die Testierfreiheit nicht billigen. Uebrigens seien auch Zuwendungen an die Todte Hand wirthschaftlich besser als die Anhäufung von großen Kapitalien in den Händen einzelner Personen oder Familien. Denn die wirthschaftlichen Verhältnisse seien so schlecht, daß man nicht Geld genug haben werde für Waisen⸗ und Siechenhäuser.
Abg. Fuchs (Zentr.) greift auf die zweite Lesung zurück und hält dem Abg. Dr. Schultz⸗Bochum gegenüber seine Behauptung aufrecht, daß in den Stadtverwaltungen die Evangelischen stärker vertreten seien als die Katholiken.
Abg. Dr. Enneccerus (nl.) weist darauf hin, daß bei Erb⸗ schaften an die Todte Hand offiziell geprüft werden müsse, ob Ver⸗ wandte benachtheiligt seien und ob eine Ueberreduͤng stattgefunden habe. Eine solche Prüfung finde bei allen solchen Erbschaften statt, und bisher sei noch von keiner Seite Klage geführt worden.
Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. von Eynern (nl.) und Dr. Porsch (Zentr.. wird die Debatte geschlossen. 8
Der Etat des Ministeriums der geistlichen ꝛc. Angelegen⸗ heiten wird genehmigt, ebenso der Staatshaushalts⸗Etat im ganzen.
Zu dem Wort der
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Ich will hier nur die Bemerkung machen, daß ich diejenigen Kon⸗ sequenzen, welche etwa aus den noch ausstehenden Beschlüssen des Reichstags wegen Vermehrung der Reichseinnahmen sich ergeben, welche auf den Etat nicht einwirken, wohl aber auf den vermuthlichen Abschluß des Etats, auf die Rechnung Einfluß haben werden, mir vor⸗ behalte näher darzulegen bei Gelegenheit der demnächst bevorstehenden Verhandlungen des hohen Hauses über den Generalbericht der Budget⸗ kommission in Betreff unserer Vermögenslage. Ich werde dann dar⸗ thun, daß trotz der jetzt bevorstehenden Beschlüsse des Reichstags doc nicht sehr wesentlich unsere Finanzen, deren schwierige Situation herbeigeführt ist durch die Finanzlage des Reichs, gebessert worden.
Das Etatsgesetz wird hierauf ebenfalls genehmigt.
Damit ist die dritte Lesung des Etats beendet.
Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Aenderungen der Wegegesetzgebung der Provinz Hannover.
Abg. von Berg kkonf.) tritt für die “
Abg. Seer (nl.) fragt, ob bald eine Wegeordnung für Posen werde vorgelegt werden. 1
Abg. Brandenburg (Zentr.) hält eine kommissarische Be rathung für nothwendig, da die Vorlage nicht genügend begründet sen
Die Abgg. von Tzschoppe (frkons.) und Dr. Sattler (nl) sprechen sich gegen Kommissionsberathung aus. Die Kommissionsberathung wird abgelehnt. Schluß 3 ½ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch
2
Etats⸗ und Anleihegesetz nimmt das
11 Uhr.
—
des Kaiserlichen
Nr. 15 der „Veröffentlichungen 8 1 folgenden Inhalt
Gesundheitsamts“ vom 11. April hat Inhat Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten (Cholera, . fluenza u. s. w.). — Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera r. 8 Oeffentliches Gesundheitswesen in Frankfurt a. M., 1892. 8 dich im Kreise Memel. — Gesetzgebung u. s. w. (Deutsches Reich Schweineseuche ꝛc. — ( deh Viehseuchen⸗ Nachrichtendient (Reg.⸗Bez. Cassel). Schulhäuser. — (Sachsen). Eingeführte Sch ugn thiere. — (Sachsen⸗Altenburg). — Arzneitaxe. — (Reuß 1. 80 — steckende Krankheiten. — (Brasilien). Hafen⸗Gesundheitsdienst. 1 Gang der Thierseuchen in Frankreich, 4. Vierteljahr. — Debge g. Rußland, 1. Oktober bis 13. Januar. — Desgl. in Schweden,
— Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Preuß. Marienwerder, Bayern, Sachsen). — Rechtsprechung. Kammergericht). Großhandel. Oeffentliches Anpreisen S mitteln. — Verhandlungen von gesetzgebenden Körperschaften, Bgöalu⸗ Kongressen u. s. w. Ausstellung der Versammlung deutscher Ileis forscher und Aerzte. — Deutscher Verein für öffentliche Ggulbfebe pflege. — (Italien). Butter. — Vermischtes. (Italien). Ge — (Schweiz, St. Gallen). Quacksalberei, Hebammenwesen 8 392 — (Belgien). Wirkungen des Nahrungsmittelgesetzes, 1891 un shj — Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Städten mit nde und mehr Einwohnern. — Desgl. in größeren Städten des u, gg. — Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. alag in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. — Witterung. — (Bute Gerichtliche Entscheidungen zum Nahrungsmittelgesetz. X
u. s. w., Milch).
von
n der Lage sein, wenn die Stellen
nachrichten“ hin, in welcher ein Doktor sich zur Vorbereitung für
eutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
1894.
Rüben⸗Verarbeitung sowie Einfuhr und Ausfuhr von im Monat März 1894.
rMr
Berlin, Mittwoch, den 18. April
1
Zollgeb
Zucker im deutschen
verarbeitet haben.
Einfuhr von ausländischem
Zucker in den freien Verkehr.
Ausfuhr von inländischem Zucker der Klasse:
Verarbeitete Rüben⸗
mengen. Raffi⸗ nierter
Rohzucker. Zucker.
des Gesetzes vom 31. Mai 1891.
Ostpreußen Westpreußen Brandenburg Pommern 66 chlesien . J11““ Schleswig⸗Holstein “ “ essen⸗Nassau 8 heinland. .
100 kgnetto.
1 500 99 179
Bayern.. Sachsen.. Württemberg Baden. Helen ecklenburg Thüringen .. Oldenburg. . Braunschweig. elt. Z 111““ Bremen ... Hamburg . . “ W1 Lothringen ... Luxemburg. .
1 933 8 39 791 4 179 41 184 709 5 531
3 986 —
““ Hierzu in den Monaten August 1893 bis Februar 1894
501 601 2 743 103
236 198 1 380 962
6 482
106 433 878 39 461
Flemmens August 1893 bis März 1894. n demselben Zeitraum des Vorjahres
Berlin, im April 1894.
106 433 878 97 895 152
1 617 160 1 842 302
45 943 32 136
3 244 704 3 172 668
Kaiserliches Statistisches Amt.
von Scheel.
2
Parlamentarische Nachrichten.
Dem Hause der Abgeordneten ist folgender Gesetz⸗ entwurf, betreffend den Bau eines Schiffahrts⸗ kanals vom Dortmund — Ems⸗Kanal bis zum Rhein, vorgelegt worden: “ § 1. Die Staatsregierung wird ermächtigt, zur Ausführung eines Schiffahrtskanals vom Dortmund-— Ems⸗ Kanal (§ 1 Nr. 1 des 1e betreffend den Bau neuer Schiff⸗ fahrtskanäle und die Verbesserung vorhandener Schiffahrtsstraßen, vom 9. Juli 1886. Gesetz⸗Samml. S. 207) bis zum Rhein in der Gegend von Ruhrort und Duisburg mit Anschlußkanälen in der Richtung auf Bochum, Essen, Mülheim an der Ruhr und Ruhrort (Dortmund — Rhein⸗Kanal) 8 und einschließlich eines Schiffahrtskanals von Hamm an der Lippe bis zum Dortmund— Ems⸗Kanal in der Richtung auf Datteln (Kanal Hamm — Datteln) den Betrag von fünfundfünfzig Millionen sechshundert und fünfzigtausend Mark nach Maßgabe der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten fest⸗ zustellenden „läne zu verwenden. § 2. it dem Bau der im § 1 bezeichneten Wasserstraßen ist erst vorzugehen, nachdem die Rheinprovinz und die Provinz Westfalen oder andere öffentliche Verbände der Staatsregierung gegenüber in rechtsverbindlicher Form nachstehende Verpflichtungen übernommen haben, und zwar 1 “ des im § 1 aufgeführten Dortmund —Rhein⸗ na den durch die Kanalabgaben des Dortmund—-Rhein⸗Kanals etwa nicht gedeckten Fehlbetrag der von dem Minister der öffentlichen Arbeiten festgesetzten Betriebs⸗ und Unterhaltungskosten dieses Kanals bis zur Höhe von fünfzigtausend Mark für das Rechnungsjahr dem Staat zu erstatten und für die 3 ⅞ prozentige Verzinsung eines Baukostenantheils von zehn Millionen Mark während jeden Rechnungsjahres insoweit auf⸗ zukommen, als die Einnahmen aus den Kanalabgaben dieses Kanals nach Abzug der Betriebs⸗ und Unterhaltungskosten zur Bereigh ng des gesammten, für den Dortmund —Rhein⸗Kanal verausgabten Bau⸗ kapitals mit drei und einhalb vom Hundert nicht ausreichen; 2) hinsichtlich des im § 1 aufgeführten Kanals Hamm — Datteln den durch die Kanalabgaben des Kanals Hamm -—Datteln etwa nicht gedeckten Fehlbetrag der durch den Minister der öffentlichen Arbeiten festgestellten Betriebs⸗ und Unterhaltungskosten dieses Kanals bis zur Höhe von fünfzehntausend Mark für das Rechnungsjahr dem taat zu erstatten und für die 3 ½ % Verzinsung eines Baukostenantheils von einer Million Mark während jeden Fesfumng söehes insoweit aufzukommen, als die Einnahmen aus den Kanalabgaben dieses Kanals nach Abzug der Betriebs⸗ und Unterhaltungskosten zur Verzinsung des gesammten, für den Kanal Hamm⸗—Datteln verausgabten Bau⸗ kapitals mit drei und einhalb vom Hundert nicht ausreichen. st Uebersteigt das Aufkommen an Kanalabgaben bei einer Kanal⸗ recke in einem Rechnungsjahre die Betriebs⸗ und Unterhaltungskosten 8 die zur Verzinsung des Baukapitals mit 3 ½ % erforderlichen Be⸗ schae so ist der Ueberschuß 8 das betreffende Baukapital abzu⸗ hreiben und damit die von den betheiligten Verbänden übernommene insgarantie antheilig zu vermindern. de ie Beträge, welche von den betheiligten Verbänden auf Grund wer worbezeichneten Verpflichtungen der Staatskasse zu erstatten sind, ch en für jedes Rechnungsjahr von dem Minister der öffentlichen rbeiten und dem Finanz⸗Minister endgültig festgestellt. § 3. Bei der Aufbringung der zur Erfüllung dieser Verpflichtungen
seitens der Provinzen, Kreise und Gemeinden aufzuwendenden Mittel finden die gesetzlichen Vorschriften über die Mehr⸗ und Minderbelastung einzelner Kreise und Kreistheile sowie der §§ 9 und 20 des Kom⸗ munalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (Gesetz⸗Samml. S. 152) Anwendung.
§ 4. Der Finanz⸗Minister wird ermächtigt, zur Deckung der im § 1 erwähnten Kosten im Wege der Anleihe eine entsprechende Anzahl von Staatsschuldverschreibungen auszugeben.
Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchem Kurse die Schuldverschreibungen verausgabt werden sollen, bestimmt der Finanz⸗Minister.
Im übrigen kommen wegen Verwaltung und Tilgung der Anleihe, wegen Annahme derselben als pupillen⸗ und depositalmäßige Sicherheit und wegen Verjährung der Zinsen die Vorschriften des Gesetzes vom 19. Dezember 1869 (Gesetz⸗Samml. S. 1197) zur Anwendung.
8 § 5. Die Ausführung dieses Gesetzes wird, soweit sie nach den Bestimmungen der §§ 2 und 4 nicht durch den Finanz⸗Minister, bezw. unter seiner Mitwirkung erfolgt, dem Minister der öffentlichen Arbeiten übertragen. wir
des Entwurfs entnehmen
Der Begründung Folgendes:
Das Gesetz, betreffend den Bau neuer Schiffahrtskanäle und die Verbesserung vorhandener Schiffahrtsstraßen, vom 9. Juli 1886 (Gesetz⸗Samml. S. 207) bestimmt im § 1: „Die Staatsregierung wird ermächtigt: 1) zur Ausführung eines Schiffahrtskanals, welcher bestimmt ist, den Rhein mit der Ems und in einer den Interessen der mittleren und der unteren Weser und Elbe entsprechenden Weise mit diesen Strömen zu verbinden, und zwar zunächst für den Bau der Kanalstrecke von Dortmund bezw. Herne ꝛc. nach der unteren Ems ꝛc. 58 400 000 ℳ zu verwenden.“ 1
Der durch dieses Gesetz in Aussicht genommene Rhein —Weser — Elbe⸗Kanal stellt in Verbindung mit den bereits vorhandenen Wasser⸗ straßen eine Schiffahrtsstraße welche das ganze Staatsgebiet in der Richtung von Westen nach Osten durchzieht. Wenn alle größeren preußischen Flüsse von Süden nach Norden fließen und damit wesent⸗ lich dem Verkehr Deutschlands mit dem Auslande zu dienen geeignet sind, so ist die vorbezeichnete, quer durch den Staat sich erstreckende Wasserstraße zugleich im hervorragenden Maße dazu berufen, den inneren Verkehr des Staatsgebiets zu fördern.
Im § 2 des Gesetzes vom 9. Juli 1886 war vorgeschrieben, daß mit der Erbauung des im § 1 unter Nr. 1 gedachten Schiffahrts⸗ kanals erst dann vorzugehen sei, wenn der e. Bum Bau er⸗ forderliche Grund und Boden der Staatsregierung aus Interessenten⸗ kreisen unentgeltlich und lastenfrei zu Eigenthum überwiesen oder die Erstattung der für den Grunderwerb staatsseitig aufgewendeten Kosten in rechtsgültiger Form übernommen und sichergestellt sei.
Die Erfüllung dieser Bedingung hat sich als eine Unmöglichkeit erwiesen, und es ist daher durch das Gesetz vom 6. Juni 1888 (Gesetz⸗Samml. S. 238) die von den Interessenten zu beschaffende Leistung auf den Betrag von 4 854 967 ℳ fixiert. Nachdem diese Summe aufgebracht war, konnte im Jahre 1892 mit dem Bau be⸗ gonnen werden; derselbe ist inzwischen so weit gefördert, daß im Jahre 1896 dessen Fertigstellung entgegengesehen werden darf.
In dem vorliegenden Entwurf wird vorgeschlagen, nunmehr die zweite Abtheilung des im Gesetze vom 9. Juli 1886 bezeichneten Kanals, nämlich diejenige vom Dortmund — Ems⸗Kanal nach dem Rhein, zur Se zu bringen, wobei schon hier hervorgehoben werden mag, daß es seitens der Staatsregierung in Aussicht genommen ist, auch für den letzten Theil des gesammten Kanalunternehmens, die trecke vom Dortmund — Ems⸗Kanal bis zur Elbe, dem Landtag eine
Vorlage zu machen, wenn die technischen Vorarbeiten und die er⸗
forderlichen Vorverhandlungen, insbesondere mit den vom Kanal zu berührenden Bundesstaaten, sowie mit den zu angemessenen Beiträgen heranzuziehenden Interessenten zum Abschluß gelangt sind.
In dem Gesetzentwurf wird ferner vorgeschlagen, gleichzeitig mit
dem eigentlichen Dortmund —Rhein⸗Kanal einen Kanal von Hamm an der Lippe bis zum Dortmund —Ems⸗Kanal herzustellen. Es muß nämlich der größte Theil des Dortmund —Rhein⸗Kanals und ein er⸗ hebliches Stück des Dortmund — Ems⸗Kanals, welcher demnächst einen Theil der großen Wasserstraße zur Weser und Elbe (des Mittelland⸗ kanals) bilden wird, aus der Lippe gespeist werden. Für den Dort⸗ mund—- Ems⸗Kanal war zu diesem Zweck ein Pumpwerk in Aussicht genommen, welches dem zu erwartenden Ver⸗ kehr genügt haben würde. Für den Dortmund-—Rhein⸗ Kanal widerräth es sich, die Speisung lediglich von Maschinen⸗ kraft abhängig zu machen und bei Erbauung des Mittellandkanals mit seinem voraussichtlich erheblichen Wasserverbrauch würde ein Zu⸗ leitungskanal aus der Lippe von Hamm aus ohnehin zur unabweis⸗ baren Nothwendigkeit. Es würde daher volkswirthschaftlich unrichtig sein, mit dem Aufwande von etwa 4 000 000 ℳ zur Zeit große Pumpwerke herzustellen und zu unterhalten, welche ihren Zweck sahe jetzt nur ungenügend erfüllen und die binnen kurzem nutzlos werden würden. Die Erbauung eines Kanals Hamm⸗ Datteln ermöglicht zuglei die Inanspruchnahme der Lippe zu Zeiten des Wasserüberflusses und eine Schonung des Wasservorraths des Flusses zu Gunsten der Anlieger in der trockenen Jahreszeit, worauf namentlich seitens der Landwirthschaft mit Recht Gewicht gelegt wird. Lediglich als Wasserzubringer her⸗ estellt, würde dieser Kanal einen Betrag von etwa 6 000 000 ℳ er⸗ ordern; da er aber auch als Schiffahrtsstraße eine wesentliche Be⸗ deutung hat, so erscheint es volkswirthschaftlich richtig, den Kanal unter Mehraufwendung von 4 000 000 ℳ als Schiffahrtsstraße her⸗ zustellen. Die Baukosten betragen für den eigentlichen Dortmund — Rhein⸗Kanal 45 650 000 ℳ, für den Kanal Hamm — Datteln 10000000, zusammen also 55 650 000 ℳ
6 Da die speziellen Vorarbeiten einen Zeitaufwand von 1 ½ bis 2 Jahren erfordern, so wird erst etwa zwei Jahre nach dem Perfekt⸗ werden des Gesetzes mit der eigentlichen Bauausführung begonnen werden können.
Die Baukosten für den Dortmund-— Rhein⸗Kanal werden fast ausschließlich in den Jahren 1896 bis 1900 aufzubringen sein, also zu einer Zeit, wo die Aufwendungen für den Nord⸗Ostsee⸗Kanal und den Dortmund — Ems⸗Kanal im wesentlichen ihr Ende erreicht haben.
Durch die Fertigstellung des Nord⸗Ostsee⸗Kanals und des Dort⸗ mund — Ems⸗Kanals werden viele tüchtige Unternehmer und ein zahl⸗ reiches Arbeiterpersonal, sowie ein großes werthvolles Material an Arbeitsmaschinen frei, welche dann alsbald beim Dortmund —-Rhein⸗ Kanal zum Vortheil dieses Unternehmens sowohl wie zum Nutzen ins besondere der vielen Arbeiter eine zweckmäßige Verwendung würden finden können. Diese Foßen finanziellen und sozialpolitischen Vortheile würden durch einen Aufschub in der Ausführung des Dortmund — Rhein⸗Kanals verloren gehen. Einem Aufschube stehen aber auch sonst ernste Bedenken entgegen. Die schnelle Vermehrung der gewerblichen Unternehmungen sowie der Bevölkerung in dem schon jetzt sehr dicht bewohnten rheinisch⸗westfälischen Industriegebiet, deren Hauptsitz der Kanal durchschneidet, bringen eine dauernde Steigerung der braüfe von Grund und Boden mit sich; auch die technischen Schwierigkeiten der Bauausführung vergrößern sich von Jahr zu Jahr, so daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit die Ausführung des Kanals überhaupt unmöglich werden würde.
Ueber den Umfang des Verkehrs im rheinisch⸗west⸗ fälischen Industriebezirk und die Kohlenförderung des⸗ selben heißt es in der Begründung:
Die Einwohnerzahl des eigentlichen Industriegebiets beträgt 2,1 Millionen, dessen Fläche 3600 qkm. Bei gleicher Finmrtgene zahl, welche die Provinz Brandenburg (ohne Berlin) hat, ist der Flächeninhalt des Industriegebiets nur 1/⁄10 so groß.
An industriellen Betrieben, welche vorzugsweise Massengüter pro⸗ duzieren und verbrauchen, sind vorhanden:
175 Kohlenzechen mit einer Belegschaft von 139 000 Arbeitern,
95 Werke größter Art, und zwar Gußstahlfabriken, Hochofen⸗ betriebe, Puddel⸗ und Eisenwerke, Stahl⸗ und Blechwalzwerke, Zink⸗ hütten, Brücken⸗ und Schiffsbauanstalten, sowie eine sehr große An⸗ zahl anderer großer Betriebe, als Maschinenfabriken u. s. w.
Den ersten Rang in der Reihe der erzeugten Massengüter nimmt naturgemäß die Steinkohle ein, da es gerade der Reichthum an vor⸗ züglichen Steinkohlen ist, der dort die großartige Industrie ins Leben gerufen hat. Die jährliche Zunahme der ohlen⸗ und Koksproduktion hat in der letzten Zeit ziemlich regelmäßig 1 300 000 t betragen. Im Jahre 1891 erreichte die Produktion den sehr erheblichen Betrag von 37,4 Millionen Tonnen.
Als Beleg für die Größe des Massenverkehrs in diesem Industrie⸗ gebiet mögen einige Zahlen dienen, welche die Eisenbahngüterstatistik angiebt. Obwohl die Fläche des rheinisch⸗westfälischen Industrie⸗ gebiets nur 0,7 % von der Fläche Deutschlands ausmacht, ist der Eisenbahnverkehr daselbst an dem gesammten Verkehr Deutschlands mit 35,8 %. betheiligt. Auf die Fllächeneinheit berechnet, übertrifft somit die Größe des Güterverkehrs im Industriegebiet den ebenso berechneten Verkehr Deutschlands um das 98 fache. Die über⸗ raschende Thatsache, daß die Frachtmenge des rheinisch⸗westfälischen Industriegebiets etwa den dritten Theil der Frachtmenge von ganz Deutschland und annähernd die Hälfte derjenigen Preußens ausmacht, beweist in überzeugender Weise, daß daselbst ein Verkehr von ganz außerordentlicher Bedeutung vorhanden ist. Auf dem europäischen Festlande kommen derartige Verhältnisse nicht weiter vor.
Was insbesondere den Verkehr der westlichen Provinzen Deutsch⸗ lands mit den Nachbarländern in mineralischer und metallurgischer Produktion und Fabrikation betrifft, so betrug nach dem Jahresbericht der Handelskammer zu Essen von 1891 die Einfuhr 7,1 Millionen Tonnen und die Ausfuhr 14,2 Millionen Tonnen. Hiervon bestehen 5,4 und 10,9 Millionen Tonnen, oder 76 % der ganzen Summe aus Kohlen und Koks. Die Ausfuhr nach Holland und Belgien, die zum allergrößten Theil aus dem rheinisch⸗ westfälischen Industriegebiet erfolgt, beträgt beinahe 40 % der Ge⸗ sammtausfuhr Deutschlands. In wie bedeutendem Maße, namentlich in dem letzten Jahrzehnt, der Absatz von Kohlen aus dem Industrie⸗ gebiet zugenommen hat, läßt sich auch daraus erkennen, daß der Versand von Kohlen aus den Hüfes des Gebiets Ruhrort und Duis⸗ burg eine bedeutende Zunahme erfahren hat. Es betrug der Versand aus diesen Häfen:
im Jahre 1851 . 1860 . 1870
559 000 t 1 269 000 t “ 1 657 000 t 11e“ b1ö1895bob5b“
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß das jetzige rheinisch⸗ westfälische Industriegebiet noch auf lange Zeit eine bevorzugte Stellung behalten wird. Wie bereits gesagt, beträgt die jährliche Zunahme der geförderten Kohlen seit einer längeren Reihe von Jahren rund 1 300 000 t. Eine derartige Zunahme wird voraussichtlich auch in Zukunft stattfinden. Die Annahme, daß nach zehn Jahren das geförderte Kohlen⸗ quantum sich um 10 Millionen Tonnen vermehrt habe, ist deshalb
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sehr mäßig. Eine solche Zunahme würde rund 30 % der im Jahre