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naiver Weise aus den fremden Rechten — oft gegen deren ent⸗ schiedenen Willen — nur entnahm, was den heimischen Anschauungen entsprach“ (Dernburg). Das A. L.⸗R. hatte diesem usus modernus Pandectarum einen breiten Raum gewährt und somit römische und deutsch⸗rechtliche Elemente zu einer Einheit verschmolzen. ie historische Schule, die Renaissance des klassischen römischen Rechts, blieb vor der Einseitigkeit jeder noch 17 berechtigten, gegen übermächtige Strömungen ankämpfenden Reaktion nicht bewahrt. Indem sie die Auffassung des römischen Rechts auf Grund genaueren und eindringenderen Verständnisses der Quellen von Irrthümern und Verdunkelungen reinigte, vergaß sie zu fragen, ob dies reine römische Recht das wirklich rezipierte sei, ob es mit dem Ergebnisse der Ge⸗ vöb als welche die Rezeption sich doch darstellt, sich deckte. Die Abweichungen der gemeinrechtlichen Praxis und Doktrin waren verpönte Ketzereien der Neueren. Diese Strömung, die noch bis heute auf die gemeinrechtliche Praxis einen unheilvollen Einfluß ausübt, vermochte selbstverständlich ein Verständniß für das Landrecht nicht zu gewinnen. Umgekehrt beschränkte die neuerwachende Wissenschaft des deutschen Rechts sich zunächst auf Erforschung des historisch Gegebenen; die juristische Durchbildung des Stoffes an der nd der aus dem römischen Rechte gewonnenen allgemeingültigen Begriffe wurde nicht versucht, die Kluft der Germanisten und Ro⸗ manisten schien unüberbrückbar; für jene hatten die Reste deutsch⸗ rechtlicher Entwickelung im A. L.⸗R. nur die Bedeutung von Beleg⸗ stellen für ihre Sätze; es fehlte die Würdigung des A. L.⸗R. als eines aus beiden Elementen geformten Ganzen. Dies konnte erst anders werden, seit, wesentlich auf Gerber's Anregung, die Annäherung der beiden Rechtsdisziplinen sich vollzog und seit Teichheitig dem von der deutschen Rechtswissenschaft vernachlässigten A. L.⸗R. in einer preußisch⸗rechtlichen Literatur eine wissenschaftliche Würdigung und Fortbildung zu theil wurde.
Erst die Lehrbücher von Bornemann (1834), C. F. Koch (1845), v. Daniels (1851), Foerster (1865), in neuerer Zeit von Dernburg (1870), Eccius (1880), O. Fischer (1887) haben die im A. L.⸗R. überreich vorhandenen Quellen rechtswissenschaftlicher Entwickelung erschlossen und zugleich durch die einheitliche Behandlung des ganzen Rechtsstoffes der Ueberwindung jenes Dualismus wesentliche Dienste geleistet. So ist die Werthschätzung des A. L.⸗R. mit seinem zu⸗ nehmenden Alter gewachsen und frisches wissenschaftliches Leben auf dem früher für unfruchtbar gehaltenen Grund emporgediehen.
Aber auch die öffentlich⸗rechtlichen Theile des Landrechts haben, gerade in neuester Zeit, sich stets aufs neue als fruchtbar erwiesen. Seitdem der Irrthum eines als liberal geltenden Doktrinarismus überwunden ist, daß die Umwandlung Preußens in einen konstitutionellen Staat eine völlig neue Grundlegung seines Staatsrechts bedeute, seit⸗ dem man in der Verfassungsurkunde und den von ihr geschaffenen Ein⸗ richtungen zwar eine tiefgreifende Umbildung, aber keine Neubildung unseres Rechtszustandes erblickt, kommen die publizistischen Titel des A. L.⸗R. wiederum zu Ehren. Die neu eingeführte Verwaltungs⸗ gerichtsbarkeit ermöglichte eine Ausbildung jenes Rechtsstoffes, wie ihn nur die Judikatur gewähren kann, und was sie aus ihm zu ge⸗ winnen vermochte, beweist, um nur ein Beispiel herauszugreifen, die Bedeutung, welche der früher wenig beachtete § 10 II 17 A. L.⸗R. in der Rechtsprechung des Ober⸗Verwaltungsgerichts für die Ab⸗ grenzung der Befugnisse der Staatsgewalt angenommen hat.
Seit dem Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 arbeitet man im Deutschen Reich an der Schaffung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs. Denen, welche die Zeit bis zur Vollendung zu lang wird, möge der Hinweis darauf zum Trost gereichen, daß zwar Carmer und Svarez ihr Werk in 14 Jahren vollendeten, daß ihnen aber 70 Jahre voll vergeblichen Strebens vorher gegangen waren. Gerade die letzte Zeit hat aber der Hoffnung auf baldige Vollendung des Bürgerlichen Ge⸗ setzbuchs neue Nahrung gegeben. Wenn sonach menschlicher Voraus⸗ sicht nach dem A. L.⸗R. ein baldiges, wenn auch an Ehren reiches Ende bevorsteht, so kann es doch noch einmal uns seinen vollen Werth erweisen, indem es uns den Maßstab liefert, nach dem an die Schluß⸗ fassung des neuen Entwurfs die Kritik anzulegen sein wird. 1
Das A. L.⸗R. entstand unter dem mächtigen Antrieb eines Rechtsfalls, des Müller Arnold'schen Prozesses, bei dem die formale Rechtslage mit dem Rechtsbewußtsein des großen Königs in Wider⸗ spruch trat. Auch heute ist es eine weit verbreitete Volksmeinung, daß das von den Gerichten gesprochene Recht mit dem Rechts⸗ bewußtsein des Volks sich nicht decke. Das in immer bedenklicherem Maße um sich greifende Streben, die Thätigkeit der Gerichte ein⸗ zuengen, Verwaltungsgerichte, Schiedsgerichte, besondere Gerichte zu bilden, ist ein Anzeichen jener Strömung. Ihr zu begegnen, wird eine Hauptaufgabe des neuen Gesetzbuchs sein eh Daß dazu eine weitgehende Kasuistik, wie das A. L.⸗R. se ietet, nicht ausreicht, daß eine solche vielmehr zur Fessel für den
ichter wird, hat die Erfahrung eines Jahrhunderts elehrt. Wohl aber wird die mächtigste Stütze für eine segensreiche Wirksamkeit der Gerichte das Streben nach jener die juristische Konstruktion und die formale Konsequenz überwindenden Billigkeit bilden, die das charakteristischste Merkmal des A. L.⸗R. bildet. Dies Ziel wird in ihm erreicht gerade durch den Einfluß, der deutsch⸗rechtlichen Ideen, beispielsweise durch die weitere Ausdehnung des absoluten Rechtsschutzes der Dinglichkeit und durch die Rücksichtnahme auf den guten Glauben, eingeräumt ist. In dieser Richtung wird das Streben des Entwurfs, die landrechtlichen Gedanken fortzubilden, sich trotz mannigfachen Widerspruchs gemein⸗ rechtlicher Juristen siegreich gerade durch die Berufung auf die land⸗ rechtlichen Erfahrungen behaupten können.
Die weite Fassung des Staatszwecks im A. L.⸗R. (§§ 1—3 I1 13) und dessen folgerichtige Durchbildung im einzelnen entsprechen den C aus denen es erwuchs. Die erwachende Selbständigkeit des Bürgerthums ließ lange jenes System im Licht einer unzulässigen Bevormundung erscheinen. Wesentliche Abschwächungen und Aenderungen (wie die Vormundschaftsordnung) wurden als Fortschritt begrüßt. Neuer⸗ dings ist eine rückläufige Bewegung eingetreten, und gerade in der Für⸗ sorge für die Schwachen wird das A. L.⸗R. auch dem neuen Bürger⸗ lichen Gesetzbuch als Muster vorgehalten. Richtig ist, daß nach dem Grundzuge der modernen CC die Fürsorgepflicht des Staats stärker betont wird, und daß das A. L.⸗R. gerade in dieser Hinsicht eine ees von Anregungen bieten kann. Allein, was dort, entsprechend der Gestaltung des Staats der Aufklärungszeit, durch Eingreifen der Obrigkeit erreicht wurde, wird jetzt durch organische Rechtseinrichtungen erstrebt werden müssen. Lehrreich ist aber die unausgesprochen dem A. L.⸗R. zu Grunde liegende Devise des „suum cuique“. Gegen⸗ über einer mit einem staatsvernichtenden Sozialismus kokettierenden Richtung, die in der Rechtswissenschaft an Boden zu gewinnen scheint, wird man am A. L.⸗R. lernen müssen, allen Klassen gerecht zu werden und so wenig wie die oberen gegen die unteren, die unteren gegen die oberen Stände zu bevorzugen. 1 8 1
Die Neigung zur Kritik hat gegenüber dem ersten Entwurf. eines Bürgerlichen Ge 85 vielfach zu einer weitgehenden Verherrlichung des A. L.⸗R. auf Kosten des Entwurfs geführt. Ihr gegenüber mögen Eccius' treffliche Worte hier eine Stelle finden: „In den wesentlichsten Punkten wird der landrechtliche Jurist in dem neuen Recht eine Fort⸗ bildung seines Rechts erkennen, und das Bewußtsein, in dem gemein⸗ Recht Großes F zu haben, wird bei der praktischen
nwendung des neuen Rechts lebendig werden, — auch wenn dasselbe in unserer mit der Kritik leicht fertigen Zeit noch schärferen Tadel findet, als einst das Landrecht gefunden hat.“
Wir dürfen sonach am 1. Juni die Jubelfeier des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten begehen zwar in dankbarem Rückblick dß das, was es uns in dem verflossenen Jahrhundert, ja bis auf den heutigen Tag gewesen ist, aber auch in der zuversichtlichen Hoffnung, daß es in wenigen Jahren als das größte der deutschen Partikularrechte mit allen seinen Gefährten nicht untergehen, sondern aufgehen wird in dem einheitlichen Rechte des Deutschen Reichs.
dem Grafen
kann.
16. Sitzung vom 30. Mai 1894.
Im weiteren Verlauf der Berathung des Gesetz⸗ entwurfs über die Landwirthschaftskammern (s. den Anfangsbericht in der Mittwochs⸗Nummer d. Bl.) nimmt nach oo a innch das Wort der
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Meine Herren! Lassen Sie mich zunächst die Stellung der Staats⸗ regierung zu der gegenwärtigen Vorlage, wie sie vom Abgeordneten⸗ hause diesem Hohen Hause zugegangen ist, kennzeichnen. Die Staats⸗ regierung steht allerdings nach wie vor auf dem Stand⸗ punkt, daß die Vorlage, die sie gemacht bat, in den haupt⸗ sächlich abgeänderten Punkten das Bessere vorgeschlagen hatte. Abgeändert ist die Vorlage hauptsächlich in drei Richtungen: die obligatorische Einrichtung ist in eine fakultative umgeändert, das Wahlrecht ist umgestaltet und die Unterverbände sind beseitigt. Unterverbände der Landwirthschaftskammern waren in Aus⸗ sicht genommen, um je nach dem Bedürfniß der einzelnen Landestheile in diesen besondere Organisationen in das Leben rufen zu können. Meine Herren, die Staatsregierung kann ihrerseits, wenn diese Bestimmung auch beseitigt ist, doch der jetzigen Gestaltung zustimmen, weil durch eine andere Formulierung des Steuer⸗Paragraphen die Möglichkeit geschaffen ist, auf einem anderen Wege, durch Steigerung oder Abschwächung des Besteuerungs⸗ rechts die einzelnen Ausgestaltungen in den einzelnen Landestheilen, die dersel bedürfen, eintreten lassen zu können. Die Wahl durch die Berufsgenossen war in Aussicht genommen aus dem Gedanken, welchem Herr Graf Knyphausen Ausdruck gegeben hat: daß durch die Vorlage, dem von seiten des anderen Hauses noch im vorigen Jahre mit großer Mehrheit ausgesprochenen Wunsche ent⸗ sprechend, eine korporative Zusammenfassung des Berufsstandes der Landwirthe verwirklicht werden sollte. Beabsichtigte man das, dann lag es nahe, die Wahl durch die Berufsgenossen selbst vornehmen zu lassen. Die landwirthschaftlichen Zentralvereine konnten nicht, wenn man nicht ihr gesammtes Wahlsystem und ihre ganze Existenzunterlage um⸗ gestalten wollte, unter Aufrechterhaltung ihrer jetzigen Ver⸗ fassung als Wahlkörper benutzt werden. Nun hat das andere Haus, weil es die Wahlaufregung — und dies erkenne ich ja als ein berechtigtes Moment an — nicht haben wollte, als Wahlkörper jetzt die ländlichen Abgeordneten der Kreistage hin⸗ gestellt, welche ja ihrerseits aus den Wahlen des größeren und kleineren Grundbesitzes hervorgegangen sind und infolge dessen als eine legitime Vertretung der ländlichen Besitzer angesehen werden können. Immerhin bleibt dies eine Abschwächung des korporativen Gedankens. Zum dritten ist die Umgestaltung aus der obligatorischen Einrichtung im § 1 in eine fakultative beliebt.
Wenn, wie gesagt, die Staatsregierung die Regierungsvorlage für besser hält, so glaubt sie doch, daß die Fassung, wie sie vom anderen Hause beschlossen ist, zur Durchführung gelangen kann, und ich persönlich wünsche, daß auch dieses Haus der Vorlage seine Zustimmung ertheilt, damit das Gesetz zur Verabschiedung gelangen Meine Herren, wenn ich so viel über die Stellung der Re⸗ gierung zu dieser jetzt abgeänderten Vorlage ausgeführt habe, so er⸗ übrigt es sich für mich, die gesammten Gesichtspunkte, die die Re⸗ gierung zu dieser Vorlage veranlaßt haben, hier zu rekapitulieren, sondern ich kann mich darauf beschränken, auf einzelne Hauptbedenken, die heute in den Vordergrund gestellt sind, einzugehen. Es ist von den drei Vertretern der landwirthschaftlichen Zentralvereine bezw. land⸗ wirthschaftlichen Hauptvereine, die das Wort ergriffen haben, haupt⸗ sächlich ausgeführt, daß durch diese Vorlage die landwirthschaftlichen Zentralvereine beseitigt werden würden. Meine Herren, in formeller Be⸗ ziehung wird das allerdings meiner Ueberzeugung nach eintreten, materiell absolut nicht. Wenn Sie den ganzen Gedankengang und die Entwicke⸗ lung der Vorlage verfolgen vom ersten Anfang an, so finden Sie stets von seiten der Interessenten wie von seiten der Staatsregierung den Gesichtspunkt in den Vordergrund gerückt, daß es sich nicht um Beseitigung, sondern um Weiterentwickelung der landwirthschaftlichen Zentralvereine zu einer lebensfähigeren, kräftigeren Organisation handelt. Meine Herren, sind denn die landwirthschaftlichen Zentral⸗ vereine die Vertreter der ganzen Landwirthschaft? Absolut nicht. In den landwirthschaftlichen Zentralvereinen ist nur ein Theil der Landwirthschaft organisiert und zusammengefaßt. Daneben giebt es in vielen Landestheilen kräftig organisierte Vereine, zum Beispiel die Bauernvereine, die sich zur Zeit den landwirthschaftlichen Zentral⸗ vereinen nicht angeschlossen haben und in ihnen deshalb nicht vertreten sind. Zur Zeit vertreten also die landwirthschaftlichen Zentralvereine nicht die gesammte Landwirthschast des Landestheils, für die sie be⸗ stehen, und ich glaube, es besteht auch bei Ihnen selbst die Ueber⸗ zeugung, daß sie die Landwirthschaft des betreffenden Landes⸗ theils nicht voll vertreten. In den landwirthschaftlichen Ver⸗ einen sind aber viele Elemente enthalten, die nicht zur Landwirthschaft gehören. Ich will nicht sagen, daß bei den Aufgaben, denen sich die landwirthschaftlichen — sowohl die zentralen wie die lokalen — Vereine gewidmet haben, diese Elemente nicht sehr schätzenswerth gewesen wären; sobald man aber den Ge⸗ danken einer korporativen Organisation ins Auge faßt, so gehören sie nicht hinein. Ich sage also, meine Herren: der ganze Entwickelungs⸗ gang der Vorlage ist der gewesen, daß man nicht entgegen den land⸗ wirthschaftlichen Zentralvereinen die Landwirthschaftskammern hat ins Leben rufen wollen, sondern durch Fortbildung und Weiterentwickelung derselben. Meine Herren, sind denn die landwirthschaftlichen Vereine von der Selbständigkeit — ihre Unabhängigkeit will ich bereitwilligst zugeben —, wie sie einer landwirthschaftlichen Vertretung beiwohnen muß? Ich sage: nein.
Meine Herren, es ist gesprochen von den Staatsmitteln, die den landwirthschaftlichen Vereinen gewährt werden. Die Königliche Staatsregierung denkt nicht daran, dieselben zurückzuziehen; sie hofft, daß für diesen Zweck mehr Mittel flüssig gemacht werden können, aber einen Rechtsanspruch darauf haben die Vereine nicht und es ist nicht ausgeschlossen, daß bei veränderter politischer Lage diese Mittel auch mal nicht bewilligt werden. Dann sind die Vereine nicht im stande, ihre Aufgabe zu erfüllen, sie sind nicht in der Lage, die Mittel selbst kzu beschaffen. Nur habe ich bei der ganzen Frage der Einführung der Landwirthschaftskammern, wie sie zuerst an mich herangetreten ist, ebenso wie die Herren, die dagegen gesprochen haben
HSe e ben
— die Empfindung gehabt, daß das eine Wort „Steuer“ die See
Sache unpopulär macht und sie diskreditiert. (Sehr richtig!) Und so liegt es auf der Hand, daß man trotz des Beschlusses des Landes⸗Oekonomie⸗Kollegiums zweifelhaft sein konnte, ob man seiten n des landwirthschaftlichen Ressorts die Sache energisch und kräfti verfolgen sollte. Aber die Verhältnisse haben sich inzwischen geänder Die Schwierigkeiten, in denen sich die landwirthschaftlichen Kreise befinden, sind offenkundig. Wenn nun vielfach — wie es heut wieder zum Ausdruck gekommen ist — gesagt wird: „Wir werden gehör aber es kümmert sich niemand um das, was wir sagen“, ja „da Hören“ muß dazu führen, daß die landwirthschaftliche Organisatio und Vertretung alle Interessen der Landwirthschaft und was für ihre Bedürfnisse nothwendig ist, in der öffentlichen Meinung so vertieft, daß es zum Gemeingut der Bevölkerung und als berechtigt anerkannt wird. So konnten die Handelskammern — trotz der Angriffe des Herr Grafen zu Inn⸗ und Knyphausen — als legitime Organe des Handels⸗ standes in jahrelanger Arbeit die wirthschaftspolitischen Fragen ver⸗ tiefen und zur Anerkennung durchringen. Eine fest fundierte un organisierte Vertretung der Landwirthschaft wird auch sie dazu kräftigen und ihr ermöglichen, ihrerseits diejenigen Fragen, die von Interesse und entscheidender Bedeutung sind, in dauernder Arbeit zu berathen und
zur Geltung zu bringen. Der Standpunkt ist nicht möglich, zu fordern:
„Wenn mich jemand fragt, so muß er auch thun, was meine Ansicht ist, und demgemäß seine Entscheidung treffen.“ Wenn die Landwirthschaftskammern ins Leben treten, wird bei der Verschieden⸗ artigkeit der Verhältnisse das Votum aus dem einen Landesthei anders lauten als aus dem anderen.
Also das Verlangen, daß immer eine Berücksichtigung jeder An⸗ sicht stattfinden muß, ist im Einzelfall ausgeschlossen, aber ich sage, die in sich organisierte und festgegliederte Landwirthschaft wird mit einem ganz anderen Schwergewicht auf den Plan treten, wie die jetzigen Zentralvereine. (Sehr richtig!) Nun darf ich Sie daran er⸗ innern, daß die Staatsregierung ihre feste Absicht kundgethan hat, di Fragen, welche für das dauernde Gedeihen einer gesicherten Land wirthschaft oder der Landwirthe, von Bedeutung sind, ihrerseits in Angriff zu nehmen und zu prüfen, wo bestehe Schäden und giebt es Mittel und Wege zur Abhilfe. Herr Gra von Klinckowstroem sagt allerdings, das nützt uns alles nicht, noth wendig ist, daß sofort die Rente des Grund und Bodens wieder gee⸗ hoben wird. Meine Herren, das können und sollen die Landwirthschafts kammern nicht thun. Geben Sie mir selber Mittel und Rathschläge dafür an. Herr Graf von Klinckowstroem hat den Antrag Kanitz erwähnt. Ich gehe auf die Diskussion desselben hier nicht weiter ein, nachdem die Sache im Reichstag soeben verhandelt ist und zu der bekannten Abstimmung geführt hat.
Meine Herren, die Landwirthschaftskammern können aber sehr
wohl, und das erwartet die Regierung von ihnen, daß sie gerade di
Bedürfnisse, wie sie in den einzelnen Landestheilen liegen, auch in Bezug auf Abänderung der Gesetzgebung klarstellen wird, daß sie dasjenige Material zusammentragen, was zur Fassung von Beschlüssen erforderlich ist, daß im Anschluß an sie und durch
sie sich neue Organisationen in Betreff der Landwirthschaft auf dem 8
Gebiete des Kredits schaffen lassen. Zu diesem Zweck ist die Staats regierung überzeugt, daß sie mit den vorhandenen Organisationen nicht auskommen kann, und sie wünscht deshalb diese Organisation zu
haben. Sie wünscht sie zu haben in friedlicher Umbildung und Aus⸗
bildung der jetzigen landwirthschaftlichen Zentralvereine. Meine Herren, geben Sie sich doch darüber keinen Illusionen Haben wir denn einen solchen Ueberfluß von Männern, daß die welche bisher bereitwilligst in dem Landwirthschaftlichen
hin.
jenigen,
Zentralverein gearbeitet haben, jetzt einfach bei Seite geworfen werden
und nicht wieder erscheinen? Die Herren werden so gut inz den Landwirthschaftskammern thätig sein, wie sie bis jetzt thätig waren,
und wenn man bisher ihnen für ihre Arbeit gedankt hat, so wird
man das in Zukunft eben so thun. Landwirthschaftskammern — und ich sage garnicht, daß, wenn die Vorlage zur Verabschiedung kommt, daß nicht solche Provinzen vorhanden sein werden, denn Graf Pückler und Graf von Knyphausen haben ja gesagt, sie wollen nichts damit zu thun haben —, so glaube ich doch,
Sind einzelne Provinzen gegen
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daß, wenn einzelne Landestheile von der Einrichtung Gebrauch machen werden und wenn die Sache vollständig Hand in Hand mit der
Staatsregierung und dem Zentralverein ins Leben gerufen ewird, dann auch die anderen Provinzen kommen. Das war Grund, weshalb die Minorität des Landes⸗Oekonomie⸗Kollegiums gegen fakultative Einrichtung der Kammern so groß war, weil alle Herren, die dagegen waren, sich sagten, wenn erst in einer oder zwei Provinzen die Sache gemacht wird, dann müssen wir doch nachkommen, wir werden sonst Institutionen zweiter Klasse, wenn eine kräftigere Organisation an einer anderen Stelle vor⸗ handen ist. Das war mit das entscheidende Moment, das die Ab⸗ stimmung des Landes⸗Oekonomie⸗Kollegiums beeinflußte. Ich gehe auf die
auch der
einzelnen Punkte der Herren Vorredner nicht weiter ein, ich wiederhole 8 nur noch einmal: wird diese Vorlage Gesetz, so wird in der Organisation
des gesammten Kreis⸗, Lokal⸗ und landwirthschaftlichen Vereinswesens
abfolut nichts geändert. Treten die Landwirthschaftskammern nach
meinem Wunsch ins Leben, so wünsche ich, daß sich dies Hand in
Hand mit dem landwirthschaftlichen Zentralverein vollzieht und zur Umgestaltung und Ausbildung derselben führt, und ich bin überzeugt, daß
auch die Wabl durch die ländlichen Mitglieder der Kreistage dazu führt, daß die Männer, welche in den landwirthschaftlichen Vereinen gearbeitet haben, auch in den neuen Kammern einen Platz finden werden. Zwischen den Landwirthschaftskammern und den Kreis⸗ und Lokal⸗ vereinen wird ganz selbstverständlich sich dasselbe Verhältniß her⸗ stellen, welches jetzt zwischen dem Zentralverein und den Kreis⸗ und Lokalvereinen besteht. Es ist kein Grund vorhanden, daß die bis⸗ herige Unterstützung, welche die Lokalvereine durch den Zentralverein fanden, ihnen nicht hinfort von den Landwirthschaftskammern werde zugeführt werden und deshalb glaube ich, meine Herren, Sie thun wohl, das Gesetz anzunehmen, es ist ein nicht unbedeutungsvoller erster Schritt. (Bravo!)
Freiherr von Maltzahn⸗Roidin tritt dem Grafen Pückler entgegen und führt aus, daß die landwirthschaftlichen Vereine, wie sie bestehen, eine Organisation zweiter Klasse gegenüber der auf Gesetz
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begründeten Organisation seien. Politische könnten nach der
neuen Praxis in den landwirthschaftlichen Vereinen nicht mehr be⸗ hahaat werden; die Vereine könnten sich nicht mehr unter einander in Verbindung setzen. Durch die Zwangsorganisation würden 8 kleineren und mittleren Grundbesitzer immer mehr herangezogen un instruiert über Dinge, die sie wissen müssen. Die Verhältnisse der
.“
„ Erster Gegenstand der Tagesordnung für die 5. Sitzung, am
Grundbesitzer seien viel schlimmer, als man es zugestehen wolle; in einzelnen Bezirken seien die Grundbesitzer garnicht einmal mehr unabhängig. Wenn, schließt der Redner, der Minister mit Ernst daran Füner zu helfen, dann müssen wir ihm unsere Unterstützung gewähren. — Freiherr von Landsberg: In Westfalen haben sich 1891 die landwirthschaftlichen Vereine ebenfalls ablehnend gegen eine Zwangs⸗ organisation verhalten; aber inzwischen haben sich die Verhältnisse geändert und auch die Stimmung innerhalb der Kreise der Land⸗ wirthschaft. Gerade Mitglieder der landwirthschaftlichen Vereine Westfalens haben sich im Abgeordnetenhause für die Vorlage ausge⸗ sprochen. Wenn die Regierung gesetzliche Maßregeln im Interesse der 8 muß dafür eine Organisation der Landwirthschaft geschaffen werden. 18 8
Fürst S Radziwill erklärt sich gegen die Vorlage nicht wegen der Form, wie sie aus dem anderen Hause gekommen ist, sondern wegen der Art und Weise, wie diese Form zu stande ge⸗ kommen. Der Regierung und der konservativen Partei sei er dankbar dafür, daß sie die Zumuthung abgelehnt hätten, einen Theil der Be⸗ völkerung aus nationalen Gründen von diesem Gesetz auszuschließen.
Graf Pückler⸗Burghauß weist in Ergänzung seiner früheren Ausführungen darauf hin, daß die Beamten der bestehenden Zentral⸗ vereine in großer Sorge seien in Bezug auf ihre zukünftige Stellung.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Meine Herren! Meines Erachtens liegen in dieser Beziehung gar keine Schwierigkeiten und Unklarheiten vor. In Aussicht ge⸗ nommen ist eine vertragsmäßige Ueberführung der Zentralvereine in Landwirthschaftskammern im Wege der Vereinbarung. Also das ist der Platz, wo alle diese Sachen geregelt werden müssen. Selbstverständlich ist, wenn ein Beamter mit dauernden Ansprüchen angestellt ist, daß dies ein Passivum des Vereins ist, welches als solches mit der Ueberführung übernommen werden muß. Auch be⸗ züglich der auf Kündigung angestellten Beamten werden meines Er⸗ achtens keine Schwierigkeiten entstehen. Die Landwirthschaftskammern treten ja ganz an die Stelle der landwirthschaftlichen Zentralvereine.
Da würden keine Beamte überflüssig, sondern es werden gerade so viel beschäftigt, wie bisher.
Damit schließt die Generaldiskussion.
Zur Spezialdiskussion liegt ein Antrag des Freiherrn von Landsberg vor des Inhalts: durch die Kreistage nur eine konstituierende Versammlung wählen zu lassen, die über die Satzungen und über das Wabürecht⸗ für welches besondere Vorschriften gegeben sind 8 tufung nach der Grundsteuer, indirekte Waßl ꝛ.), Beschluß zu fassen habe.
Die 8§ 1 und 2 werden hierauf ohne Debatte genehmigt.
Bei § 3 empfiehlt
reiherr von Landsberg seinen Antrag, weil die Wahl der Land⸗ wirthschaftskammern durch die Kreistage in den westlichen Provinzen lebhaftes Mißtrauen hervorrufen würde.
Graf Schlieben erklärt sich gegen den Antrag.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
(Wir werden diese Rede morgen im Wortlaut nachtragen)
Der Antrag des Freiherrn von Landsberg wird hierauf in namentlicher Abstimmung mit 90 gegen 9 Stimmen abgelehnt.
Im übrigen wird die Vorlage ohne Debatte unverändert nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses genehmigt und chließlich im ganzen mit großer Mehrheit angenommen.
Es folgt die Verlesung folgender Interpellation des Rittergutsbesitzers von Platen⸗Venz:
„Durch den Orkan vom 12. Februar cr. sind in den sämmt⸗ lichen Küstenprovinzen des Staats und zum theil auch im Binnen⸗ lande durch umfangreiche völlige oder theilweise Zerstörung nament⸗ lich von ländlichen Wirthschaftsgebäuden, sowie von Mühlen⸗ und Fischereigeräthschaften sehr erhebliche Schäden verursacht. — Die letzteren sind geeignet — zumal im Hinblick auf die ohnehin schwere Nothlage der Landwirthschaft —, den Ruin sehr vieler Landwirthe, Eigenthümer wie Pächter, sowie Müller und Fischer unmittelbar herbeizuführen, in einer noch größeren Zahl von Fällen aber eine ernste und dauernde Gefährdung des wirthschaftlichen Nahrungs⸗ standes der Betroffenen zu veranlassen. — Die Unterzeichneten richten daher an die Königliche Staatsregierung die Anfrage, ob derselben der Umfang dieser Beschädigungen bekannt ist und eventuell welche Maßregeln dieselbe zu ergreifen gedenkt, um dem durch die ge⸗ dachten Zerstörungen geschaffenen Nothstande im Gebiete des Klein⸗ besitzes abzuhelfen.“
ittergutsbesitzer von Platen⸗Venz begründet seine Anfrage
namentlich unter Hinweis auf die Schäden, welche im Regierungs⸗ ezirk Stralsund angerichtet sind.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. von Heyden:
Wir werden diese Rede morgen im Wortlaut nachtragen.)
Damit ist die Interpellation erledigt.
1 s folgt der mündliche Bericht der Finanzkommission über den Gesetzentwurf, betreffend Regelung der Verhältnisse der bei der Umgestaltung der Eisen⸗ bahnbehörden nicht zur Verwendung gelangenden Beamten.
Ober⸗Bürgermeister Boie⸗Potsdam empfiehlt, die Vor⸗ 1 ö anzunehmen, was seitens des Hauses geschieht.
Ebenfalls unverändert gemäß den Beschlüssen des Ab⸗ eordnetenhauses wird hierauf der Gesetzentwurf zur
usführung des Reichsgesetzes vom 1. Mai 1894, betreffend Abänderung des Gesetzes über die Ab⸗ wehr und Unterdrückung von Viehseuchen, erledigt.
Schluß 3 ½ Uhr. Nächse 1
XXI. Versammlung von Vertretern der deutschen evangelischen Kirchen⸗Regierungen in Eisenach.
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29. Mai, war die mit der Perikopenfrage zusammenhängende Auf⸗ stellung der Leidensgeschichte Jesu nach den Evangelien. Die zu diesem Zweck gewählte Kommission hatte unter Zugrundelegung gewisser in der vorigen Tagung beschlossenen Grundsätze und steter Berücksichtigung der editio princeps der Bugenhagen'schen Leidensgeschichte einen Ent⸗ wurf ausgearbeitet, der den Mitgliedern der Konferenz zugesandt worden war. Geheimer Ober⸗Kirchen⸗Rath D. Hansen aus Oldenburg er⸗ stattete das Referat. Der Entwurf wurde, nachdem er in seinen einzelnen Abschnitten durchberathen und an wenigen Stellen verändert worden, einstimmig angenommen. — Hinsichtlich der evangelischen Deutschen in Nord⸗Amerika beschloß die Konferenz nach einem Referat des General⸗Superintendenten D. Trautvetter „mit Rücksicht auf das große Bedürfniß nach evangelischen Geistlichen unter den ausgewanderten Deutschen in den Vereinigten Staaten von Nord⸗ Amerika den hohen Kirchen⸗Regierungen zu empfehlen, daß sie ihren Kandidaten, wenn sie um die Erlaubniß nachsuchen, gestatten, in den Dienst evangelischer deutscher Gemeinden in Nord⸗Amerika zu treten, und diesen Geistlichen die Aussicht eröffnen, es würde ihnen unter Voraus⸗ setzung des Nachweises tadelloser Dienstführung die spätere Zulassung zum geistlichen Amt in der heimathlichen Kirche nicht erschwert werden“. — Wohl der wichtigste der diesmal gefaßten Beschlüsse war der über die revidierte Luther⸗Bibel. Nachdem die Konferenz
te Sitzung Donnerstag 1 Uhr.
drei Jahrzehnte lang mit diesem Gegenstand beschäftigt gewesen ist, hat sie ihn nach einem Bericht des Propstes D. Freiherrn von der Goltz über die Verbreitung des revidierten Textes während der letzten zwei Jahre durch Annahme folgender Resolutionen zur end⸗ lichen Erledigung gebracht: „1) Die Konferenz nimmt mit Be⸗ friedigung davon Kenntniß, daß die Verbreitung der durch⸗ gesehenen Ausgabe von Luther's Bibelübersetzung durch die Bibel⸗ gesellschaft fortschreitet und daß der Kreis sich erweitert, in welchem die Aneignung derselben auch in dem Gebrauch der Kirche und Schule sich vollzieht oder anbahnt. 2) Indem die Konferenz ihre Be⸗ rarhungen über diese Sache abschließt, verbindet sie mit der dankbaren Anerkennung der Revisionsarbeit den erneuten Ausdruck der Hoffnung, daß durch freie und allmähliche Aneignung des revidirten Bibeltextes seitens der gesammten deutsch redenden Christenheit das ursprüngliche Ziel des Werks ereicht werde, die vorhandenen Verschieden⸗ heiten der deutschen Bibel zu beseitigen und neuer Zer⸗ splitterung vorzubeugen. Wie sie den Kirchen⸗Regierungen empfiehlt, bei ihren bezüglichen Maßnahmen das Ziel im Auge zu behalten, so erwartet sie von den Bibelgesellschaften, daß dieselben beim Druck des revidierten Textes aller weiteren Aenderungen sich enthalten. 3) Für Termin und Art der Ingebrauchnahme in Kirche und Schule die Konferenz den Erwägungen und Entschließungen der Kirchen⸗ Regierungen nach den besonderen Bedürfnissen und Erfahrungen in dem ihnen anvertrauten Aufsichtsbereich nicht vorgreifen zu sollen, nimmt aber in Aussicht, bei Herausgabe der ihrerseits zusammengestellten alten und neuen Perikopen, sowie der Leidensgeschichte den Bibeltext nach der durchgesehenen Ausgabe darzubieten.“ Diese Resolutionen wurden ohne Debatte angenommen, nachdem Prälat D. Doll einer⸗ seits und Abt D. Uhlhorn andererseits ihre Stellungen dazu näher präzisiert hatten und durch Konsistorial⸗Rath D. Polstorff die Er⸗ klärung abgegeben worden war, daß er keine Veranlassung habe, eine andere Stellung zu dieser Frage einzunehmen, als sie immer von ihm und seiner Kirchen⸗Regierung eingenommen worden sei, nämlich eine ablehnende, und endlich auch Konsistorial⸗Präsident Voigts erklärt hatte, daß er, da er eben erst in die Konferenz und in sein Amt eingetreten, sich der Abstimmung enthalten müsse. — Als Verhandlungs⸗Gegenstände für die nächste Konferenz, im Jahre 1896, wurden beantragt und angenommen: 1) Durch welche kirchliche Einrichtungen kann die erziehliche Einwirkung der Kirche auf die Jugend in den Jahren nach der Konfirmation gesichert werden? 2) Welches sind die Grundsätze, nach welchen das Ver⸗ hältniß der freien Evangelisationsthätigkeit zur organisierten Kirche bezw. zum organisierten Pfarramt zu regeln ist? Als Referenten für die erste Frage wurden Ober⸗Hofprediger D. Meier und General⸗ Superintendent D. Rogge, für die zweite Prälat D. von Burk und Präsident von Zahn bestimmt.
In der letzten Sitzung am 30. Mai wurde von dem General⸗ Superintendenten D. Trautvetter, der die Leitsätze des abwesenden Ober⸗Kirchen⸗Raths Lotze über die Abendkommunionen einzu⸗ leiten übernommen hatte, der Antrag gestellt, es möchte dieser Gegenstand von der Tagesordnung abgesetzt und in der nächsten Konferenz zur Verhandlung gestellt werden, nachdem vorher eine Umfrage bei den Kirchen⸗Regierungen darüber gehalten worden. Dieser Antrag fand die Zustimmung der Konferenz. An⸗ genommen wurde auch der Antrag, daß im Jahre 1896 über die Frage verhandelt werden möchte: „ob die von der Kirchen⸗Konferenz im Jahre 1861 vereinbarten Regulative über Einrichtung und Ausstattung evangelischer Kirchen in Rücksicht auf die Bedürfnisse der Gemeinden und die neuere Entwickelung des kirchlichen Gemeindelebens einer Ergänzung bedürfen“. Propst D. Freiherr von der Goltz und Ge⸗ heimer Kirchen⸗Rath D. Nicolai wurden als Referenten bestimmt. Ebenso wurde dem Antrag des Königlichen Landes⸗Konsistoriums in W zugestimmt, in nächster Tagung die Frage zu behandeln:
as kann seitens der Kirchenbehörden für die wissenschaftliche und praktische Fortbildung der im Amt stehenden Geistlichen geschehen? Abt D. Uhlhorn und Prälat D. Doll wurden zu Referenten ernannt. — Konsistorigl⸗Direktor Dr. von Müller erstattete endlich den Bericht über das „Allgemeine Kirchenblatt“ und Präsident von Zahn über die Konferenzkasse. — Mit einem Gebet des Abts D. Uhlhorn wurde hierauf die Sitzung und damit die XXI. ordentliche Versammlung der Konferenz geschlossen. 1
Statistik und Volkswirthschaft
Zur Arbeiterbewegung.
Zum Ausstand in den 11“ (vergl. Nrn. 118 und 124 d. Bl.) theilt die Firma Kleyer der ,Frkft.⸗ Ztg.“ mit, daß für sie der Strike mit dem gestrigen Tage beendet sei. Am Montag, so heißt es in der Mittheilung, arbeiteten etwa 430, Dienstag etwa 450, Mittwoch etwa 465 Leute in der Kleyer'schen Fabrik, und hunderte von Arbeitsuchenden mußten unverrichteter Sache umkehren, da der höchste Arbeiterstand jetzt bereits weit überschritten ist.
„Wie der „Modb. Ztg.“ aus Oldenburg unter dem 29. d. M. berichtet wird, droht in den Glashütten in Osternburg unter den Glasbläsern ein Strike auszubrechen. Die Direktion der Glas⸗ hütten hatte vor kurzer Zeit ihren Arbeitern, deren sie etwa 500 be⸗ schäftigt, angekündigt, daß wegen der schlechten Geschäfte des Vorjahres und der unerfreulichen Aussicht für die fernere Geschäftsgestaltung mit dem 1. Juni eine Lohn⸗ herabsetzung eintreten müsse. Es handelt sich um eine Herab⸗ minderung von 20 ₰ für 100 Flaschen, was etwa 10 ℳ monatlich ausmachen wird. Andererseits hatte die Direktion die Prämien erhöht für diejenigen Glasarbeiter, die über eine gewisse Zahl Flaschen her⸗ zustellen vermögen und keine Ausschußwaare liefern. Die Glasbläser erhoben nun gegen solche Beschlüsse der Direktion Widerspruch und beschlossen in einer Versammlung, am 1. Juni zu kündigen, falls die Direktion auf ihrer “ bestehen sollte.
„Wie der „Vorwärts“ zum usstand der Berliner Brauerei⸗ böttcher mittheilt, haben bis zum Montag sich 215 Brauereihilfs⸗ arbeiter, 187 Brauer und 271 Böttcher bei dem zuständigen Bureau als unterstützungsberechtigt gemeldet. Im ganzen seien 670 Aus⸗ gesperrte mit 511 Kindern zu unterstützen.
Demselben Blatt wird gemeldet, daß die Tischler der Werkstatt von Kutschmar hier in Berlin, Stralsunderstraße 7, beabsichtigen, nach Fertigstellung ihrer angefangenen Accordarbeiten die Arbeit niederzulegen, weil ihnen trotz der niedrigen Löhne noch weitere erhebliche Abzüge gemacht wurden. Der Unternehmer lehne jede gütliche Vermittelun ab und wolle seinen Betrieb mit seinen Lehrlingen und den sie eventuell billiger anbietenden Arbeitskräften fortsetzen. — Die Lohn⸗ differenzen in der M. Pfennig'schen Bürsten⸗ und Pinsel⸗ fabrik, Köthenerstraße, 85 8n gütliche Verständigung beiderseits zur Zufriedenheit der Arbeiter geregelt.
Der Londoner Droschkenkutscherstrike dauert fort. Der englische Minister des Innern hat dem „Vorwärts“ zufolge eine Untersuchungskommission eingesetzt, welche den Strike beilegen sollte. Die Londoner Arbeiterpresse erklärt sich aber damit nicht zufrieden⸗ estellt und verlangt die Unterstellung des ganzen Droschkenwesens der
auptstadt unter die Verwaltung des Londoner Grafschaftsraths.
Aus New⸗York meldet ein Telegramm des „Bureau Reuter“ vom 29. d. M., daß . des Kohlenstrikes jetzt wallisische Kohlen von Cardiff und Cape Breton eingeführt werden. Der Gewerkverein der Bergleute in Cripple Creek in Colorado hat einen Ausschuß ernannt, welcher sich mit den Bergwerksbesitzern be⸗ rathen soll. Die Vorbedingung ist, daß jeder Vergarbeiter zum Gewerkverein gehören soll. Die Bergwerksbesitzer haben erklärt, daß
e niemals auf diese Bedingung eingehen könnten. In Penn⸗
ylvanien haben die Bergwerksbesitzer beschlossen, sofort neue
rbeiter zu verpflichten, selbst wenn sh des staatlichen Schutzes be⸗
dürften. In Birmingham, Alabama, ist die Lage noch immer
eine bedrohliche. Dagegen ist jetzt a und Lasalle alles
ruhig.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperru ngs⸗ Maßregeln.
Portugal. Durch Verfügung des Königlich portugiesischen Ministeriums des Innern ist der Hafen von Odessa seit dem 20. April für cholera⸗ verseucht erklärt worden. Die übrigen Russischen Häfen am Schwarz Meer gelten als choleraverdächtig.
Pocken.
Niederlande. In Rotterdam hat die Seuche während der letzten Monate eine stärkere Ausbreitung angenommen. Vom 31. De⸗ zember 1893 bis zum 7. April d. J. veranlaßte sie, wie das „Weeck- blad van het Nederlandsch Tijdschrift voor Geneeskunde“ mit- theilt, 143 Sterbefälle, vom 8. bis 28. April einer anderweitigen Mittheilung zufolge 56. — In Chicago hat die Zahl der Krank⸗ heitsfälle während des April weiter zugenommen und betrug 544; wieviel derselben tödtlich verliefen, ist bisher nicht mitgetheilt
Handel und Gewerbe.
Tägliche Wagengestellung für Koblen und Koks 1 E 1- n der Ruhr sind am 30. d. M. gestellt 10 818. nicht tzeiti In er esien sind am 29. d. M. gestellt 3760, necht t⸗ zeitig gestellt keine Wagen 8 8 .
Zwangs⸗Versteigerungen. 1
Beim Königlichen Amtsgericht I Berlin standen am
29. und 30. Mai die nachbezeichneten Grundstücke zur Versteigerung:
Swinemünderstraße 62, dem Geheimsekretär Adolph Bull ge⸗
hörig. Fläche 10,11 a. Nutzungswerth 13 800 ℳ Für das Meist⸗
“ von 180 500 ℳ wurde der Geheimsekretär H. Socher, Brunnen⸗
traße 95, Ersteher. — Steglitzerstraße 9, dem Maurermeister
Carl Winter gehörig. Fläche 9,30 a. Für das Meistgebot von
300 000 ℳ wurde der Kaufmann Felix Rosenthal zu Berlin
Ersteher. — Koloniestraße 102, dem Kaufmann Rich. Bruck gehörig. Ein Gebot wurde nicht abgegeben.
— Der gestern zur Subskription aufgelegte Betrag von 15 000 000 ℳ 3 ½ % Zentral⸗Pfandbriefe vom Jahre 1894 ist derartig erheblich überzeichnet worden, daß auf die gezeichneten Be⸗ träge nur wenige rozent zur Vertheilung gelangen dürften.
— Dem Rückversicherungs⸗Verband Deutscher Lebens⸗ versicherungs⸗Gesellschaften wurden im Jahre 1893 von seinen Mitgliedern neu überwiesen 53 Rückversicherungen über 1 097 700 ℳ; hierzu kommt der Bestand mit 923 Rückversicherungen über 20 312 315 ℳ Von dieser Gesammtsumme von 976 Rück⸗ versicherungen über 21. 410 015 ℳ kommen in Abrechnung der Abgang des Jahres mit 24 Rückversicherungen über 868 223 ℳ, sodaß Ende 1893 ein Bestand verbleibt von 952 Rückversicherungen über 20 541 792 ℳ und sich somit ein reiner Zuwachs ergiebt von 29 Rück⸗ versicherungen über 229 477 ℳ Die Einnahmen des Jahres betrugen 454 785 ℳ, dagegen die Ausgaben 440 337 ℳ, sodaß ein Ueberschuß von 14 447 ℳ verbleibt. ährend seines Bestehens vom 1. Mai 1877 bis 31. Dezember 1893 betrugen die Einnahmen des Verbandes 3 655 319 ℳ, dagegen die Ausgaben 2 679 869 ℳ, sodaß für die Mit⸗ glieder des Verbandes ein Gewinn von 975 449 ℳ übrig bleibt. Dieser Gesammtgewinn setzt sich aus folgenden Posten zusammen: 417 667 ℳ Minderausgaben für Sterbefälle, als rechnungsmäßig zu erwarten war, 252 535 ℳ Minderausgabe für Verwaltungskosten, 151 306 ℳ Zinsüberschuß über 3 ½ % Zins der Prämienreserve, 145 426 ℳ Gewinn aus erloschenen und reduzierten Rückversicherungen und 8514 ℳ andere Gewinne.
Magdeburg, 30. Mai. (W. T. B., Zuckerbericht. Kornzucker exkl., von 92 % —,—, neue 12,70, Kornzucker exkl. 88 % Rendemenr 11,85, neue 12,00, Nachprodukte exkl., 75 % Rendement 9,25. Ruhig, stetig. Brotraffinade I. —,—, Brotraffinade II. —,—, Gem. Raffinade mit Faß 25,50, Gem. Melis I., mit Faß —,—. Still. Rohzucker. I. Produkt Transito f. a. B. Hamburg pr. Mai 11,82 ½ Gd., 11,85 Br., pr. Juni 11,67 ½ Gd., 11,75 Br., pr. Juli 11,62 ½ Gd., 11,65 Br., pr. Oktober⸗Dezbr. 11,20 bez., 11,22 ⅛ Br. Ruhig, ses. 8*
Köln, 30. Mai. (W. T. B.) Bei der heutigen Verdingun der rechtsrheinischen Eisenbahn von 10o0 t Weicherblat war der Mindestfordernde Hoesch in Dortmund mit 8350 ℳ und von 100 t Herzstücken der Bochumer Gußstahl⸗Verein mit 179 ℳ
Leipzig, 30. Mai. (W. T. B.) Kammzug⸗Termin⸗ handel. La Plata Grundmuster B. per Juni 3,17 ½ ℳ, per Juli 3,20 ℳ per August 3,20 ℳ, per September 3,22 ½ ℳ, ver Oktober 3,25 ℳ, per November 3,25 ℳ, per Dezember 3,27 ½ ℳ, per Januar 3,30 ℳ, per Februar 3,30 ℳ, per März 3,32 ½ ℳ, per April 3,32 ½ ℳ, per Mai —,— ℳ Umsatz 50 000 kg.
Mannheim, 30. Mai. (W. T. B.) Produktenmarkt. Weizen pr. Mai 13,60, pr. Juli 13,30, pr. Nov. 13,55. Roggen pr. Mai 11,50, pr. Juli 11,15, pr. Nov. 11,70. Hafer per Mai 13,50, pr. Juli 13,50, pr. Nov. 12,25. Mais pr. Mai 10,00, pr. Juli 10,00, pr. Nov. 10,20.
Eutin, 30. Mai. (W. T. B.) Die heutige Generalversamm⸗ lung der Eutin⸗Lübecker Eisenbahn⸗Gesellschaft setzte die Dividende pro 1893 auf die Aktien Litt. A. mit 1 ½ % fest. Die Dividende ist sofort zahlbar.
Bremen, 30. Mai. (W. T. B.) Raffiniertes Pe⸗ troleum. (Offizielle Notierung der Bremer Petroleum⸗Börse.) Ruhig. Loko 4,75 Br. Baumwolle. Anziehend. Upland middl. loko 38 3. Schmalz. Ruhig. Wilcox 37 ½ ₰, Armour shield 37 ₰, Cudahy 37 ½ ₰, Fairbanks 32 ₰. Speck. Ruhig. Short clear middling loko 34.
Wien, 30. Mai. (W. T. B.) Die Generalversammlung der Ersten Ungarisch⸗Galizischen Eisenbahn genehmigte den Geschäftsbericht und ertheilte dem Verwaltungsrath Decharge. Der Vorsitzende erklärte auf eine bezügliche Anfrage, von der österreichischen Regierung sei keine Mittheilung darüber gemacht worden, wann die Einlösung der Aktien durch dieselbe erfolgen werde. Hinsichtlich der Reduktion des Aktienkapitals, welche infolge der Einlösung des ungarischen Theils des gesellschaftlichen Aktienkapitals nöthig ist, nahm die Generalversammlung einstimmig die Anträge des Ver⸗ waltungsraths an. Die Generalversammlung der Kaiser⸗Ferdinands⸗Nord⸗ bahn genehmigte die Anträge des Verwaltungsraths dessich d Verwendung des Reingewinns. Auf die Anregung, den Montanbesitz wegen des immer geringer werdenden Erträgnisses desselben abzustoßen, erklärte General⸗Direktor Jeitteles, der Verwaltungsrath werde die Frage erwägen. Der Juli⸗Kupon der ganzen Nordbahn⸗Aktie wird vom 1. Juli ab mit 111 Gulden eingelöst. 1 — 31. Mai. (W. T. B.) Ausweis der Südbahn in der Woche vom 22. Mai bis 28. Mai 792 176 Fl., Mindereinnahme
151 863 Fl. 1 Pest, 30. Mai. (W. T. B.) Produktenmarkt. Weizen per Mai⸗Juni 6,66 Gd., 6,68 Br., pr. Herbst 6,90 Gd., 6,95 Br. Roggen pr. Herbst 5,33 Gd., 5,35 Br., Hafer pr. Herbst 5,58 Gd., 5,59 Br. Mais pr. Mai⸗Juni 4,59 Gd., 4,60 Br., pr. Juli⸗August 4,70 Gd., 4,72 Br. Kohlraps pr. August⸗September 19,00 — 10,05. London, 30. Mai. (W. T. B.) Wollauktion. Preise stetig, lebhafte Betheiligung. An der Küste 18 Weizenladungen angeboten. 96 % Javyazucker loko 14 ¼ ruhig, Rüben⸗Rohzucker loko 11 ⅞ ruhig. — Chile⸗Kupfer 39, per 3 Monat 39 716. 8 „Paris, 30. Mai. (W. T. B.) 1n Die Liqui⸗ dationsthätigkeit und ablaufende Prämien bewirkten theilweise stärkere Realisationen; die Grunddisposition blieb speziell für Türkenwerthe
flau,