Von den Drucksachen der Silberkommission sind erschienen und durch die Reichsdruckerei in Berlin SW.,
ranienstraße 90,91, zu beziehen: die Protokolle der 12. B vom 26. Mai d. J. 8 Bogen), der 13. Sitzung vom 28. Mai d. J. (10 Bogen) und der 14. Sitzung vom 29. Mai d. J.
(9 ½ Bogen).
8 Der General⸗Lieutenant von ö“ er, Inspekteur der Feld⸗Artillerie, ist von Berlin abgerei
Der Königliche Gesandte in Karlsruhe, Wirkliche Geheime Rath von Eisendecher hat einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub nach Kiel angetreten.
Der Hanseatische Gesandte am hiesigen Allerhöchsten Hofe Dr. Krüger hat Berlin mit Urlaub verlassen.
Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Senator der freien und Hansestadt Lübeck Dr. Klügmann ist hier angekommen.
n der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ werden Nachrichten über den Saaten⸗ stand um die Mitte des Monats Juni 1894, zusammen⸗
estellt im Kaiserlichen Statistischen Amt, veröffentlicht.
Köln, 24. Juni. Seine Majestät der König und Seine önigliche Hoheit der Kronprinz von Dänemark trafen, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, gestern Abend gegen 6 Uhr, von Ems kommend, hier ein. Um 9 ½l Uhr reiste der König über Hannover nach Lübeck und Kopenhagen weiter.
Bayern.
Die Regelung des bäuerlichen Erbrechts in Bayern soll nunmehr in durchgreifender Weise in Angriff genommen werden. Die M. „Allg. Ztg.“ berichtet darüber:
In Bayern gestattet das Gesetz vom 22. Februar 1855, die landwirthschaftlichen Erbgüter betreffend, daß gewisse landwirthschaft⸗ liche Güter förmlich als Erbgüter errichtet werden, und es stellt auch das Verhältniß der Anerben an solche förmlich errichtete Erbgüter fest. Dagegen bestehen in Bayern keine allgemeinen Bestimmungen, die schon kraft des Gesetzes gewisse landwirthschaftliche Güter für geschlossen erklären und eine gesetzliche Erbfolge in dieselben eröffnen. Das bayerische und das Bamberger Landrecht, sowie mehrere Landes⸗ ordnungen kleinerer Bezirke treffen wegen des Wahlvorrechts der Söhne und Töchter, wegen der Heimath u. s. w. für den Erbgang in Immobilien verschiedene Bestimmungen. Welche bäuerliche Erbfolge nun thatsächlich stattfindet und in welcher Ausdehnung ein ungetheilter Uebergang von Bauerngütern an einen Erben schon jetzt gemäß der herrschenden Sitte und Gewohnheit erfolgt, ist noch nicht festgestellt. Bei der Wichtigkeit dieser Frage ist es zu egcnhen daß, auf An⸗ regung des Ministeriums des Innern, das Justiz⸗Ministerium im Mai 8 Erhebungen über folgende vier Punkte angeordnet hat: 1) ob nach der im betreffenden Bezirk oder in einzelnen Theilen desselben herrschenden Sitte die dem land⸗ oder forstwirthschaft⸗ lichen Betriebe dienenden, mit einem Wohnhause versehenen Güter von Einem Erben übernommen werden; 2) ob diese Uebernahme des Guts durch einen Erben in Uebergabsverträgen und in letztwilligen Verfügungen angeordnet wird, oder ob sie, mangels solcher Verträge und Verfügungen, bei Auseinandersetzung eines Nach⸗ lasses unter den Miterben vereinbart zu werden pflegt; 3) ob es hier⸗ bei Sitte ist, den Werth des übernommenen Guts nicht nach dem Verkaufswerth, sondern niedriger, etwa nach dem Ertragswerth, in Anschlag zu bringen und außerdem dem Anerben einen Vorzug zu ge⸗ währen, dann, ob und in welchem Maße die hiernach den übrigen Erben zu leistende Abfindung hinter deren gesetzlichem Erbtheil zurück⸗ bleibt; endlich 4) ob die erwähnte Sitte in Abnahme begriffen ist oder nicht. .
Sachsen.
Seine Majestät der König begab sich am Sonnabend Vormittag mit Sonderzug vom Bahnhof Niedersedlitz nach Freiberg zur Si der dortigen Erzgebirgischen Gewerbe⸗ und Industrie⸗Ausstellung und kehrte Nachmittags nach dem Lustschloß Pillnitz zurück. — Vorgestern ist Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Henriette von Belgien und
estern Seine Katferliche und Königliche Hoheit der Erz⸗ herog Carl Ludwig von Oesterreich zum Besuch der Königlichen Majestäten in Pillnitz eingetroffen.
Die Erste K r hat in ihrer Sitzung vom 23. d. M. die Gesetzentwürfe, die Verbrauchssteuern in den Gemeinden und einen Nachtrag zur Gehaltsordnung betreffend, in der von der Zweiten Kammer beschlossenen Fassung bei namentlicher Abstimmung angenommen.
Mecklenburg⸗Schwerin.
Seine Königliche Hoheit der E1“ sich, wie die „Mecklb. Nachr.“ melden, einer Einladung Seiner Majestät des Kaisers folgend, zu den in dieser Woche auf der Kieler Föhrde stattfindenden Segel⸗Regatten nach Kiel begeben, dort an den Wettfahrten theilnehmen und voraussichtlich Ende der Woche nach Schwerin zurückkehren. ö
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.
Das Großherzogliche Hoflager im Belvedere bei Weimar ist am Sonnabend Mittag aufgelöst und nach Schloß Dorn⸗ burg verlegt worden, wo gestern das Geburtsfest Seiner
Königlichen Hoheit des Großherzogs gefeiert wurde. Sachsen⸗Altenburg. rre Hoheit die Herzogin ist, wie die „Mgdb. Ztg.“ nehe 1809 d. M. nach Altenburg zurückgekehrt und hat gestern dort ihren Geburtstag begangen.
Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Der Landtag des Herzogthums Coburg ist der „Cob. Ztg.“ zufolge zum 2. Juli d. J. einberufen. Reuß ä. L.
Seine Durchlaucht der Fürst sowie die Prinzessinnen Hermine und Ida sind am Sonnabend Mittag von Burgk
nach Greiz zurückgekehrt.
Oesterreich⸗Ungarn.
Der General⸗Adjutant des Kaisers, Graf Paar, fuhr, wie aus Wien gemeldet wird, heute Vormittag 11 Uhr bei der französischen Botschaft vor, um dem Botschafter Lozé das Beileid des Kaisers anläßlich der Ermordung des Prä⸗ sidenten Carnot auszusprechen. b
Das „Fremdenblatt“ erfährt von wohlunterrichteter Seite, daß der esuch des Erzherzogs Joseph bei dem
den 28 8. unn dort u einem sensationellen Zwischenfa aufzubauschen ge⸗ sein könnte, ein einfacher Akt der Höflichkeit gewesen sei. Es wäre ein Lufan, daß der keitsbesuch, den der anläßlich der Inspizierung der Honved⸗ Truppen in Semlin weilende Erzherzog dem Souverän des befreundeten Nachbarstaats abstatiete, mit der Abreise des Königs zusammenfiel. Der Erzherzog wäre bei dem Besuch nicht, wie Belgrader Meldungen zu berichten wußten, in ungarischer Magnatengala, sondern in der Uniform eines Generals der Kavallerie erschienen. (Vgl. Serbien.)
Der Kriegs⸗Minister, General von Krieghammer und der Generalstabs⸗Chef Freiherr von Beck wurden am Sonn⸗ abend auf einer Uebungsreise des Generalstabs von einem Unfall betroffen. Beim Passieren der Tarnopoler Landstraße bei Brzezany scheuten die Pferde des Wagens, in welchem die Genannten saßen, als ein Infanterie⸗Bataillon unter den Klängen der Musikkapelle vorbei⸗ marschierte. Der Wagen stürzte in den Wassergraben. Der Kriegs⸗Minister erlitt einen Bruch des rechten Oberarms und der Generalstabs⸗Chef nur eine leichte Kontusion an den Beinen. Der Zustand beider ist unbedenklich. 16
Im ungarischen Oberhause erklärte Minister⸗Präsident Dr. Wekerle am Sonnabend, er halte es in Uebereinstimmung mit den geäußerten Wünschen für zweckmäßig, daß die weiteren kirchenpolitischen Vorlagen in der Herbstsession zur Berathung gelangten. Bei der Verhandlung über den Gesetz⸗ entwurf wegen Versorgung der staatlich nicht ver⸗ sorgten Lehrkräfte betonte der reformierte Bischof von Ssasz die Nothwendigkeit der weiteren Entwickelung des Schul⸗ wesens und forderte namentlich bei den Mittelschulen als Endziel ihre Verstaatlichung. Der Minister Eötvös sprach sich gegen die Verstaatlichung aus und bezeichnete es als höchst er⸗ sprießlich, daß verschiedene Konfessionen und Gesellschaften Schulen errichteten. Es sei die vornehmste Pflicht des Staats, solche Gesellschaften und Kirchen möglichst zu unter⸗ stützen. Die Vorlage wurde unverändert angenommen, ebenso
König von Serbien,
das Valutagesetz und die Handelskonvention mit
Rußland. Die Delegationswahlen werden in der nächsten Sitzung, welche in etwa acht Tagen stattfindet, vorgenommen werden.
Die liberale Partei hat dem vom Oberhause beschlossenen Zusatzparagraphen zur Zivilehevorlage ihre Zustim⸗ mung ertheilt.
In Lemberg fand zu Ehren der dort eingetroffenen Reichsraths⸗Abgeordneten am Sonnabend Abend ein Bankett statt, bei welchem der Präses der galizischen Landesausstellung Fürst Sapieha einen Trinkspruch auf den Kaiser ausbrachte, worin er der Freude Ausdruck gab, die Vertreter aller Nationen versammelt zu sehen, er trinke auf das Wohl des Grafen Hohenwart als des ältesten Abgeordneten. Der Trinkspruch wurde enthusiastisch aufgenommen. Graf Hohenwart hob in seiner Erwiderung die Bedeutung der durch die Selbstthätigkeit des Landes geschaffenen Ausstellung hervor, trank auf das Wohl der galizischen Freunde und sprach seinen Dank aus für die bewiesene unvergeßlich bleibende Freundschaft. Nach einem Toast des Abgeordneten Smolka auf den Präsidenten des Abgeordneten⸗ hauses Freiherrn von Chlumecky brachte letzterer einen Toast auf das Präsidium der Ausstellung aus und pries die glänzenden Eigenschaften des Polenvolks sowie dessen Fort⸗ schritte auf materiellem und kulturellem Gebiet.
Großbritannien und Irland. 1“ Der Herzog und die Herzogin von Sachsen⸗Coburg⸗ Gotha nahmen am Sonnabend bei der Königin im Schloß Betcha den Lunch ein. Hieran nahm auch der Großfürst⸗ Thronfolger von Rußland theil, der aus Walton on
Thames eintraf. Die Herzogin von York ist am Sonnabend von einem
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Frankreich. Der Präsident der französischen Republik Carnot ist gestern Abend in Lyon ermordet worden.
Präsident Carnot war Sonnabend Nachmittag in Be⸗ gleitung des Minister⸗Präsidenten Dupuy zur Besichtigung der Ausstellung in Lyon eingetroffen. Am Sonntag Vormittag hatte er auf der Präfektur die Spitzen der Behörden und den Erzbischof Couillé sowie die auswärtigen Konsuln empfangen, die ihm von dem italienischen General⸗Konsul Basso vorgestellt wurden; bei dieser Gelegenheit gab Basso den Wünschen für das Gedeihen Frankreichs Ausdruck. Nachmittags besuchte der Präsident die Ausstellung, am Abend nahm er im Palais der Handelskammer an einem Bankett theil und brachte hierbei ein Hoch auf die iei aus, beglückwünschte die Aussteller zu dem großen rfolg und betonte, ein einziges Herz schlage in allen Franzosen, wenn es sich um die Ehre, die Sicherheit und die Rechte des Vaterlandes handele; dieselbe Einigkeit verbürge die Be⸗ wegung, welche auf den Fortschritt und die Gerechtigkeit ge⸗ richtet sei und von der Frankreich der Welt ein Beispiel zu geben habe. Nach dem Bankett begab sich Präsident Carnot in das Theater. Es formierte sich vor dem Palais der
andelskammer Wagenreihe, in welcher der Landauer des Präsidenten Carnot als erster fuhr. Neben dem “ saß der Präfekt des Rhone⸗Departements Rivaud. Der Wagen Carnot's fuhr um 9 Uhr 10 Minuten unter jubelnden Zurufen der dichtgedrängten Menge ab. Carnot dankte, fort⸗ dauernd grüßend. Flsnac sprang in der Mitte der lang⸗ gestreckten Facade des Palais der Handelskammer ein Indi⸗ viduum auf das Trittbrett von Carnot's Wagen, welcher sofort hielt. Die Zunächststehenden sahen den Präsidenten Carnot er⸗ bleichen und in den Wagen zurücksinken; 8 stürzten auf das Individuum los, welches durch einen Faustschlag des Präfekten des Rhone⸗Departements auf die Straße hinabgeschleudert wurde. Präsident Carnot hatte einen Dolchstich in die Herz⸗ egend erhalten. Neben dem rothen Großkordon des Lidens der Ehrenlegion drang unaufhörlich Blut hervor. Der Verbrecher wollte vaeh die Menge, anfänglich wie versteinert, ergriff ihn und hätte ihn zerrissen, wenn 18 nicht eine große Anzahl von 3u der
enge entrissen hätte. Inzwischen fuhr der Wagen des Prä⸗ sidenten nach der Präfektur. Die Menge konnte den Präsidenten Carnot ausgestreckt auf den Wagenkissen, bewußtlos, regungs⸗ los und die erloschen, liegen sehen. Die Scene erschütterte die enge zu Thränen. Vor der Präfektur oben General Borius, der Präfekt des Rhone⸗ epartements und der Bürgermeister den Präsidenten mit großer Sorgfalt aus dem Wagen und brachten ihn in
eine senhe 9
das nächste Zimmer. Die herbeigeholten Aerzte hielten eine
Operation für nothwendig. Dr. Ollier erweiterte die von dem Mordstahl gemachte Wunde, die 8em tief war. Präsident Carnot erlangte hierauf die Besinnung wieder und sagte mit deutlicher Stimme zu dem Arzt: „Wie Sie mir wehe thun!“ Die “ vorgenommene gründliche Untersuchung ergab, daß die Verwundung eine schwere und der Zustand ein sehr bedenklicher sei, umsomehr als eine innere Verblutung zu befürchten war. Die Präfektur wurde abgesperrt, alle Zugänge zu dem Zimmer des Präsidenten Carnot wurden bewacht. Draußen harrte die Menge, Schrecken lagerte auf allen Gesichtern; überall hörte man die Frage, ob Prüfident Carnot mit dem Leben davon⸗ kommen werde.
Unterdessen hatte sich um 9 Uhr das Theater mit den zur Galavorstellung geladenen Gästen gefüllt, welche mit Un⸗ geduld die Ankunft des Präsidenten erwarteten. Plötzlich ver⸗ breitete sich das Gerücht, Präsident Carnot sei das Opfer eines Attentats geworden. Dieses Gerücht rief eine ö Bestürzung hervor, die Frauen schrieen auf, es entstand eine allgemeine Bewegung. Die offiziellen Persönlichkeiten verließen das Haus, um weitere Nachrichten zu bringen. Die ganze Be⸗ völkerung war in den Straßen versammelt, nirgends war eine Weiterbewegung möglich, da die allgemeine festliche Be⸗ leuchtung alle Bewohner als Zuschauer versammel. hatte. Um 9 ½ Uhr fuhr der Wagen mit dem Mini “ und dem Präfekten des Rhone⸗Departements in rascher Gang⸗ art vor dem Theater vor. Die Menge rief jubelnd aus: „Es lebe Präsident Carnot!“ Der Min ster⸗Präsldent Dupuy erhob sich erschüttert, winkte mit der Hand und antwortete: „Rufet nicht so! Präsident Carnot ist das Opfer eines Attentats geworden.“ Diese Worte machten einen furchtbaren Eindruck. Zuerst herrschte tiefes Stillschweigen, dann wurden von allen Seiten Verwünschungen und Racherufe gegen den Mörder laut. Der Präfekt des Rhone⸗Departements trat in das Theater ein und machte von der Präsidentenloge aus Mittheilung von dem Ereigniß. Die Menge schrie, in Wuth ausbrechend: „Tod dem Mörder, Rache dem Mörder!’“ Der Präfekt des Rhone⸗Departements Rivaud wollte die Einzelheiten erzählen, wurde aber bei jedem Wort von Zwischeteuen die der allgemeinen Erschütterung entsprangen, unterbrochen. Endlich theilte der Präfekt mit, daß angesichts des schrecklichen Ereignisses die Vorstellung nicht statt⸗ finden werde. Das Publikum verließ in dumpfem Schweigen das Haus.
Um 11 ½ Uhr wurde ein offizielles Bulletin ausgegeben, welches besagte, der Zustand des Präsidenten Carnot sei beun⸗ ruhigend, aber nicht verzweifelt. Der Stich sei in die Leber gegend gegangen und habe einen reichlichen Blut verlust erzeugt, der aber zum Stillstand gebracht worden sei. Bald nach 11 ½ Uhr begann aber der Blutverlust wieder. Die Aerzte entschlossen sich noch mals zu einer Operation, um womöglich das Blut dauernd zu stillen. Während der Operation der Erweiterung der Wunde wurde der Körper plötzlich eiskalt. Dr. Poncet glaubte im Operieren üch fortfahren zu dürfen und, um den Körper wieder zu beleben, Fußwaschung mit sieden⸗ dem Wasser vornehmen zu müssen. Um Mitternacht wurde der Erzbischof empfangen; er blieb einige Augenblicke bei dem Sterbenden und zog sich dann in ein Nebenzimmer zurück. Um 12 ½ Uhr war der Präsident dem Verscheiden nahe, der Erzbischof wurde zurückgerufen und trat in das Zimmer des Präsidenten in Begleitung des Großvikars. Es war ihm noch möglich, Carnot die letzte Oelung zu ertheilen. Dieser hatte völlig klares Bewußtsein seines Zustandes. Er sagte zweimal: „Ich gehe diesen Augen⸗ blick hinüber“. Dr. Poncet beugte sich über den Verwundeten und sagte: „Ihre Freunde sind zugegen.“ Carnot erwiderte mit kaum vernehmbarer Stimme: „Ich bin glücklich darüber, daß sie da sind.“ Das waren seine letzten Worte. Einige Sekunden später hatte sein Herz zu schlagen auf⸗ gehört; um 12 Uhr 45 Minuten hauchte er seinen Feist aus. Der Präsident der Republik starb auf einem eisernen Feldbett, das zwischen den zwei Fenstern des von ihm bewohnten Zimmers aufgestellt war, zu Füßen des Paradebettes. Der von den Aerzten zur Verhütung der inneren Verblutung ausgeführte Schnitt war 12 cm lang und 8 em iief.
Ueber das Ereigniß hatte der Conseil⸗Präsident Dupuy alsbald an die Minister, die Präsidenten der Kammer und des Senats und an andere Staatswürdenträger nachstehende offizielle Depesche gerichtet: „Präsident Carnot wurde auf der Fahrt von der Handelskammer nach dem Großen Theater von einem Dolchstich getroffen; der Mörder wurde sofort verhaftet; er hielt mit einer Hand die Wagenlehne fest, mit der anderen den Dolch. Präsident Carnot wurde sofort nach der Präfektur gebracht, wo die ersten Aerzte Lyons um ihn bemüht sind. In dieser schmerzlichen Prüfung schließt sich die Regierund den Wünschen Frankreichs für den Präsidenten der Republi an. Gezeichnet: Dupuy.“ Madame Carnot reiste mit ihren beiden Söhnen und dem Dr. Planchon um 1 Uhr früh von Paris nach Lyon ab; bei ihrer Abreise hatte sie noch nicht die Nachricht von dem Tode ihres Gemahls erhalten.
Der Verbrecher ward von dem Ort des Attentats unter Bedeckung von mehr als zehn berittenen Gardisten nach der Polizeiwache gebracht, wo er sofort gefesselt wurde. Alsbald erschienen der Präfekt des Rhonedepartements und andere dazu berufene Persoönlichkeiten, um ihn zu verhören. Der Mörder antwortete ohne Erregung, aber auch ohne Groß⸗ Frtken in schlechtem Französisch und erklärte, er sei
taliener, G Cesario Giovanni Santo, sei 22 Jahre alt, wohne seit 6 Monaten in Cette und sei am Sonntag früh nach Lyon gekommen. Bei seiner Durchsuchung fand sich ein Arbeitsbuch vor, in Paris am 20. Juni 1894 abgestempelt; aus diesem geht hervor, daß er aus Montevisconti, Provinz Mailand, eheng. ist. Der Mörder schrieb sodann die Worte auf: Ccario iovanni Corso Duca Genova bei der wohlbekannten Familie Magni Francisco. Es war un⸗ möglich, aus ihm etwas Anderes herauszubringen; der Mörder blieb dabei, daß er nur vor den Geschworenen sprechen werde. Nach beendigtem Verhör wurde er in ein unterirdisches Gefängniß gebracht, wobei Gewalt angewendet werden mußte. Ein sechzigjähriger Mann Namens Domergue hatte den Dolch des Mörders aufgehoben und dem Polizei⸗Präfekten über⸗ geben. Der Dolch ist 25 cm lang, der Griff von vergoldetem Kupfer, die Scheide von Sammet mit . und rothen shtressen Als vetgbenesnge des Attentats wurde von dem Polizei⸗Präfekten außer Domergue auch der Polizeibeamte verhört, welcher den Mörder aus den Händen des Polizei⸗
Inspektors Dubois in Empfang nahm. Dubois war der
Person des Präsidenten Carnot attachiert den Mörder verhaftet. Der Mörder ist streng be⸗ wacht vor der angesammelten Menge, welche fort⸗ dauernd schreit: „Tödtet ihn!“ Den ganzen Abend hindurch erwarteten dicht gedrängte Massen vor der Präfektur Nach⸗ richten über das Befinden des Präsidenten mit der größten Theil⸗ nahme. Bei der Nachricht vom Tode Carnot’'s wuchs die Auf⸗ regung ungeheuer. Die Massen warfen sich auf die Restaurants, wo italienische Kellner bedienstet sind, andere stürmten auf das Ge⸗ fängniß los, den Tod des Mörders verlangend. Das Restaurant Casati wurde vollständig verwüstet, desgleichen die Cafés von Matessi und Materni. Die Polizei überall ein. v besondere Maßregeln zum Schutze des italienischen Konsulats getroffen. Als einige Personen ftcetzägfc Fahnen schwenkten, wurde ge⸗ schrien: „Nieder mit den Fremden!“ „Hinaus mit den Fremden!“ Vor dem italienischen Konsulat wurde die Menge mehrmals von der Polizei zerstreut und zog sich unter den ufen: „Es lebe die Armee!“ zurück.
und hatte
InPari die Nachricht von dem Attentat furcht⸗ bare “ und Bestürzung. Zuerstverbreitete sich das Gerücht davon in den Theatern und den Restaurants. Das Publikum eilte nach den Ebö11“ um Einzelheiten zu erfahren. Nach itternacht wurde die Meldung von dem Attentat durch Extrablätter auf den Boulevards verbreitet. Sie rief überall Ergriffenheit und tiefstes Mitgefühl mit dem Präsidenten hervor. Einzelne Personen lasen den Umstehenden . Depeschen vor, wobei Viele die Thränen nicht zurückhalten onnten.
Die Präsidenten des Senats und der Kammer sowie die in Paris anwesenden Minister traten in der Nacht um 2 Uhr im Ministerium des Innern zu einer Berathung “ Der Kriegs⸗Minister General Mercier theilte mit, er habe an alle Armee⸗Korps den Befehl telegraphisch übermittelt, sich konsigniert zu halten.
Das „Journal officiell“ veröffentlicht heute folgende Note: „Der Präsident des Senats, in seiner Eigenschaft als Präsident der Nationalversammlung, bestimmte, daß beide Kammern zu dem Kongreß nach Ver⸗ sailles auf Mittwoch, den 27. Juni, 1 Uhr Nach⸗ mittags, einberufen werden, um zur Wahl eines Präsidenten der Republik zu schreiten.“
„Wie weiter aus Paris gemeldet wird, begaben sich sämmtliche Botschafter, Senatoren und De⸗ putirte heute Bone ae in das Elysée und trugen dort ihre Namen in die Kondolenzliste ein. Sehr viele Deputirte fanden sich in dem Palais Bourbon ein, um ihrer Trauer über den Tod Carnot’s Ausdruck zu geben. Der italienische Botschafter Reßmann begab sich um 9 ½ Uhr in das Ministerium des Innern und verweilte dort eine Viertelstunde. Der Minister⸗Präsident Dupuy traf um 10 Uhr in Paris ein.
In Lyon wurden zwei Individuen verhaftet, von denen das eine sagte: Das ist gut gemacht; das andere hatte den Ruf ausgestoßen: Es lebe die Anarchie! Ein Trupp Kürassiere mußte sie gegen die wüthende Menge schützen.
Von heute früh 4 Uhr 15 Minuten wird aus Lyon gemeldet: Die Erregung der Bevölkerung nimmt zu. Italiener und Leute, die man für solche hält, werden in den Straßen verfolgt. Die Zahl der Polizei⸗ Agenten ist verstärkt worden. Sie umringen die verfolgten Personen und bringen sie, um sie zu schützen, nach den Polizeistationen. Berittene Patrouillen ziehen in ge⸗ strecktem Galopp durch die Straßen, um an bedrohten Punkten Hilfe zu bringen. Infanteriesoldaten bewachen beide Zugänge der vom italienischen Konsul bewohnten Straße.
Die Blätter aller Richtungen geben ihrem Abscheu über das Attentat Ausdruck, das um so mehr unerklärlich, als Carnot durch sein stets korrektes Verhalten sowie durch die Lauterkeit seines Charakters sich die Achtung aller Parteien er⸗ worben hatte. Mehrere Pariser Blätter sind heute mit Trauerrand erschienen; einige konservative glauben, daß es sich um ein anarchistisches Attentat handle; die radikalen Blätter sprechen die Hoffnung aus, daß die Volksfreiheit und die Volksrechte unter dem Eindruck des Attentats nicht zu leiden haben werden, da das Verbrechen von einem Italiener begangen worden sei.
Aus Anlaß des gestrigen Jahrestags der Schlacht bei Solferino tauschten der italienische Botschafter Reßmann und Marschall Canrobert Besuche aus (vgl. Italien).
An sonstigen Nachrichten aus Frankreich ist noch nachzu⸗ tragen, daß Pelletan am Sonnabend in der Deputirten⸗ kammer die Regierung über die Dauer der Konvention mit den Essenbahngesellschasten des Südens interpellierte, wobei er seine Angriffe gegen die Konventionen erneuerte. Pelletan behauptet, die Gesellschaften, besonders die Südbahn⸗ Gesellschaft, hätten den Staat über die wirkliche Lage ge⸗ täuscht. Der Minister der öffentlichen Arbeiten Barthou sprach die Ansicht aus, daß die Konventionen mit der Orléans⸗ und der Südbahn, entgegen der Ansicht der Direktoren dieser Gesellschaften, im Jahre 1914 ablaufen. Der Staats⸗ rath sei augenblicklich mit dieser Frage befaßt, er habe sie zu entscheiden. Barthou erklärte, der Staat habe in dieser An⸗ 1 seine Pflicht erfüllt, die Kammer werde ihm ihr Vertrauen nicht verweigern. Ra 1. trat für die Konvention ein und schloß sich bezüglich der Bestimmung ihrer Dauer der Ansicht des Ministers an. Die Kammer nahm darauf mit 285 gegen 21 Stimmen eine Tagesordnung an, welche die Erklärung und die Haltung der Regierung billigt.
Der französische Kommissar, welcher Siam bereist, hat an den Minister für die Kolonien Delcassé berichtet, daß er am 31. März in Luang Prabang eingetroffen sei und überall eine herzliche Aufnahme gefunden habe. sämmtliche Mandarinen hätten feierlich den Eid der Treue für Frankreich geschworen.
Rußland. Der „Regierungs⸗Anzeiger“ theilt mit: anläßlich der Kommissionsberathungen über eine zeitweise allgemeine erabsetzung der Getreideausfuhrtarife habe das inanz⸗Ministerium die Ueberzeugung gewonnen, daß diese Maßregel kaum die inneren Getreidepreise werde heben können, dagegen würde sie einen künstlichen Fefasgenc auf die Häfen im “ ausüben. Der Plan sei daher aufgegeben worden. Nach einer Mittheilung der „Pol. Korr.“ aus St. Petersburg verfolgt die Reise des Finanz⸗Ministers Witte nach der urmanküste auch den Zweck, die Mittel zu studieren, durch welche die Konkurrenzfähigkeit der russischen Fischerei gegenüber der norwegischen gehoben werden könnte. Herr
Zwei Könige und
Witte wird den Rückweg über Norwegen und Schweden nehmen —* sich in verschiedenen Städten, darunter in Stockholm, aufhalten.
Italien.
In Anwesenheit des Herzogs von Aosta, des Grafen von Turin, zahlreicher Generale, der Spitzen der Behörden, des österreichisch⸗ungarischen Militär⸗Attachés Obersten von Pott sowie vieler Krieger⸗ und Arbeitervereine fand am Sonntag in Villafranca die feierliche Enthüllung des Denkmals für den Herzog Amadeus statt. Der Feier wohnte auch der Präfekt von Verona, Sormani⸗Moretti bei, welcher in der Schlacht bei Custozza mitgekämpft und dem ver⸗ wundeten Herzog Amadeus Beistand geleistet hat. Das Denkmal stellt den Herzog in dem Augenblick nach der Verwundung dar. Oberst von Pott legte namens des Maria⸗Theresien⸗Ordens einen Kranz nieder. Auf die Enthüllung des Denkmals folgte eine Gedenkfeier für die Gefallenen im Beinhause zu Belvedere bei Custozza, wo zwei von dem Maria⸗Theresien⸗Orden gewidmete Gedenktafeln mit den Namen der 1848 und 1866 gefallenen Offiziere enthüllt wurden. Zahlreiche Kränze wurden niedergelegt. Zwei Bataillone erwiesen die militärischen Ehren.
Wiie ferner aus “ (am Gardasee) gemeldet wird, fand gestern Vormittag in Anwesenheit des Sindaco und des
räfekten von Brescia in Solferino und Mittags in
an Martino die Gedenkfeier für die Gefallenen von 1859 statt. Bei der Feier in Solferino trug der Priester ein von der französischen Regierung gespendetes Meßgewand. Zahlreiche Vereine sowie eine große Menschenmenge wohnten der Feier bei.
Die Deputirtenkammer nahm in Fortsetzung der Be⸗ rathung der Finanzmaßregeln am Sonnabend Art. 1 der Vorlage an. Die Berathung des Art. 2 bezüglich Erhöhung der Grundsteuer um ein Zehntel wurde fallen gelassen, und die Kammer trat sofort in die Berathung des Art. 3 ein, in welchem die Einkommensteuer um 20 Prozent erhöht wird.
Im weiteren Verlauf der Seisagf begründete Imbriani seine Anfrage an den Kriegs⸗Minister über die dem Major Tassoni vom 3. Bersaglieri⸗Regiment wegen seiner auf Sizilien erworbenen besonderen Verdienste verliehene Ordensauszeichnung. Der Kriegs⸗Minister Mocenni forderte den Fragesteller auf, diejenigen zu respektieren, welche sich in der Kammer nicht vertheidigen können. (Sehr
ut.) Die Bezeichnung „Besondere Verdienste“ sei der übliche
usdruck für eine Gesammtheit mit besonderem Eifer geleisteter Dienste. Solche Dienste habe Major Tassoni geleistet, welcher vier Monate hindurch eine eminente militärische Begabung an den Tag gelegt habe. Imbriani erwiderte, er habe sich niemals hinter die parlamentarische Immunität ver⸗ schanzt und sei bereit, seine in der Kammer gethanen Aeußerungen auch außerhalb derselben zu verantworten. 8 Der Präsident mahnt zur Ruhe.) Es seien Offtziere,
ie an ihn geschrieben und sich über derartige Vorgänge be⸗ klagt haben. (Bewegung.) Der Se hielt seine Erklärungen aufrecht. Imbriani blieb dabei, die Ordens⸗ auszeichnung in diesem Falle als unpassend zu erklären. (Großer Lärm.
Der „Tribuna“ zufolge war Gerücht verbreitet, daß der Kriegs⸗Minister wegen dieses Zwischenfalls in der Kammer dem Minister⸗Präsidenten Crispi sein Portefeuille zur Verfügung gestellt habe, um sich volle Aktionsfähigkeit gegen Imbriani zu wahren. Man habe jedoch dem Kriegs⸗Minister zu bedenden gegeben, daß er, wenn er infolge dieses Zwischenfalls sein Amt nieder⸗ legen würde, einen einschneidenden Präzedenzfall gegen die parlamentarische Redefreiheit schaffe.
Die römischen Blätter von heute Morgen veröffentlichen Artikel, in denen sie ihrem Entsetzen und ihrer Entrüstung über das gegen Carnot ö Attentat Ausdruck geben, und dessen hohe persönliche Eigenschaften hervorheben.
Türkei.
Der Sultan empfing am Sonnabend den Herzog Adolf Friedirch von Mecklenburg⸗Schwerin und verlieh ihm das Großkreuz des Osmanié⸗Ordens. Der Bot⸗ schafter Fürst Radolin wohnte dem Empfang bei.
Rumänien.
Der Chef des Großen Generalstabs Poenaru ist zum Kriegs⸗Minister ernannt.
estern in Rom das
Serbien.
König Alexander ist, wie schon kurz erwähnt, am Sonnabend früh in Begleitung der Minister Andonowitsch und Gjorgjewitsch nach Konstantinopel abgereist. Vor Abgang des Zugs traf der Erzherzog Joseph von Oesterreich⸗ Ungarn mittels Sonderzugs auf dem Belgrader Bahnhof ein und wurde dort durch König Milan empfangen. Der Erzherzog war am Freitag bei seiner Ankunft in Semlin im Namen des Königs durch General Pantelic und Major Mischic begrüßt worden. Die Begegnung des Erzherzogs mit König Alexander war überaus peezlch Das Personal der österreichisch⸗ ungarischen Gesandtschaft war in Galauniform auf dem Bahnhof erschienen. — Bei seiner Ankunft in Nisch wurde König Alexander von einer großen Menschenmenge begeistert empfangen. Nachmittags sette der König seine Reise fort. 8
Amerika.
Aus Washington meldet „W. T. B.“: Der in der Tarif⸗ Vorlage festgesetzte Zoll für Diamanten dürfte durch den Senat keine Abänderung erfahren.
Nach Meldungen aus Buenos Aires macht die auf⸗ ständische Bewegung in Peru weitere Fortschritte. — Aus Rio de Janeiro wird gemeldet, daß dort sechs spanische Anarchisten verhaftet worden seien.
Afrika.
Aus Madrid wird hen thet. daß der neue Sultan von Marokko, Abdul⸗Aziz, in der nächsten Zeit eine außerordentliche Gesandtschaft an die europäischen Großmächte zu entsenden beabsichtige.
Parlamentarische Nachrichten.
Vorläufiges Resultat der engeren Reichstags⸗Ersatz⸗ wahl im 6. Schleswig⸗Holsteinschen Wahlkreis, Pinneberg ꝛc.: ohr 5* 13 296, von Elm (Soz.)
Nr. 25 des⸗Zentralblatts der Bauverwaltung“, heraus⸗ gegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 23. Juni hat folgenden Inhalt: Der gemeinwirthschaftliche n der Eisenbahnen. — Evangelische Kirche in Schwetz (Westpreußen). — Die Architektur auf der Berliner Kunstausstellung. — Umbau des Mühlendammes in Berlin. (Fortsetzung.) — Vermischtes: Grundstein⸗ legung für den neuen Dom in Berlin. — Abgeordneten⸗Versammlung des Verbandes deutscher Architekten⸗ und Ingenieur⸗Vereine. — Staats⸗ preis der Königlichen Akademie der Künste in Berlin. — Wettbewerb um eine Synagoge in Magdeburg. — Deutsche und Ausländer bei Wettbewerben. — Bild des verstorbenen Verlagsbuchhändlers Wilhelm Ernst in Berlin.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
In einer Strafsache wegen Postdefraudation ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, 1. Strafsenats, vom 12. April che der Strafrichter nicht befugt, durch das Urtheil neben der Strafe auch auf Ersatz des defraudierten Portos zu erkennen; dieser Ersatz⸗ anspruch der Post kann nur im Zivilprozeß verfolgt werden. „Nach § 30 des Postgesetzes in den Fällen des § 27 außer der Strafe das orto, welches für die Beförderung der Gegenstände der ost zu entrichten gewesen wäre, gezahlt werden, und es aften für dasselbe im Falle des § 27 iffer 1 Absender und Beförderer solidarisch. Dieser Anspruch des Postfiskus ist jedoch nicht strafrechtlicher, sondern seinem inneren Wesen nach zivilrechtlicher Natur. Er hat den Ersatz des der Post durch die Defraudation entzogenen Portos zum Gegenstand, betrifft also eine Art des Schadensersatzes. In Ermangelung besonderer gesetzlicher Bestimmungen kann ein solcher Anspruch im Wege des Strafprozesses nicht verfolgt und durch das Urtheil eines Strafgerichts nicht beschieden werden.“ (612/94.)
— Der Widerstand gegen eine von dem Vollstreckungsbeamten zu seiner Unterstü en bei der Vollstreckungshandlung zugezogene Person ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, I. Strafsenats, vom 10. Juli 1893, wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt aus § 113 des Strafgesetzbuches zu bestrafen, auch wenn diese Person gesetzlich für die Ausführung der Vollstreckungshandlung nicht erforderlich war und von dem Beamten lediglich auf Grund seines Ermessens zugezogen worden war. „Die Revision hält für unzulässig, daß die Strafkammer den Schutz des § 113 Abs. 3 des Strafgesetzbuchs einer vom Gendarmen zu seiner Unterstützung in der rechtmäßigen Aus⸗ übung seines Amtes zugezogenen Person zugesprochen hat, der die Eigenschaften eines Gemeindebeamten oder eines Mitgliedes der Ge⸗ meinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgte, abgingen. Sie erkennt, daß die hierbei ins Auge gefaßten Vorschriften des § 105 Abs. 2 der Strafprozeßordnung nur die Voraussetzungen der Recht⸗ mäßigkeit der Amtshandlung betreffen, während § 113 Abs. 3 Strafgesetzbuchs den Kreis der Personen bestimmt, die unter dieser Voraussetzung dem Beamten hinsichtlich der Strafbarkeit des Widerstandes gleichgestellt sein sollen. Jenen Vorschriften war nach den Feststellungen des Urtheils durch Zuziehung eines Gemeinde⸗ beamten entsprochen. Fand der Gendarm noch eine Unterstützung nöthig, so wurden die Wirkungen der so gesicherten Rechtmäßigkeit der Amtsausübung des ersteren auch der zugezogenen Person zu theil, und die Revision irrt in der Annahme, der Gendarm sei in der Wahl und in der Zahl der zur Unterstützung nöthigen Personen gesetzlich beschränkt. Hierüber hat lediglich sein pflichtmäßiges Ermessen zu ent⸗ scheiden. (U. 56/93.)
Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.
Gegen den in der Beschwerdeinstanz gefaßten Beschluß des 1“ über die Wählbarkeit eines Staats⸗ oder emeindebeamten, welche ihr Amt kraft staatlicher Ernennung oder Bestätigung verwalten, zum Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden eines Gewerbegerichts in Preußen kann, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, III. Senats, vom 30. November 1893, der Ober⸗Präsident die An⸗ fechtungsklage beim Ober⸗Verwaltungsgericht gemäß § 126 des Landesverwaltungsgesetzes, ohne an eine Frist gebunden zu sein, erheben. „Der § 126 des Landesverwaltungs⸗ gesetzes gilt für reichsgesetzlich geregelte Angelegenheiten ebenfalls, und zwar auch dann, wenn sie nach dem Erlaßse des Landesverwaltungs⸗ gesetzes den Landesbehörden zur Beschlußfassung zugewiesen sind. Eine Beschränkung tritt nur nach dem Grundsatze, daß das Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht, insoweit ein, als fuͤr eine einzelne reichs⸗ recphtliche Materie durch die für diese getroffenen reichs⸗ rechtlichen Bestimmungen die Klage aus dem § 126 ausgeschlossen wird. Dies ist hier nicht der Fall. — Da es an einer Bestimmung fehlt, welche auf dem in Rede stehenden Gebiet die Klage an eine Fri 8 bindet, so ist dieselbe nicht befristet. — Die für die Klage aus dem § 126, die Endgültigkeit des angefochtenen Beschlusses ist gegeben. Daß die Klage nach § 126 gegen erst noch einer ö bedürfende Beschlüsse nicht stattfindet, ist ungeachtet des § 15 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890 unerheblich; denn nach Satz 2 das. hatte eine Be⸗ stätigung der Wahlen des Ober⸗Bürgermeisters und des Bürgermeisters nicht zu erfolgen.“ (A. 25/93.)
— Die Genehmigung des Statuts einer preußischen Orts⸗ krankenkasse durch den Bezirksausschuß kann, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, III. Senats, vom 30. November 1893, von dem Regierungs⸗Präsidenten mittels Klage beim Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht gemäß 6 126 des Landes⸗Verwaltungsgesetzes vom 30. Juli 1883 angefochten werden; auch ist diese Klage an keine Frist ge⸗ bunden. „Daß der § 126 des Landesverwaltungssetzes nicht bloß bei Beschlüssen in landesgesetzlich geordneten, sondern auch bei Beschlüssen in reichs rechtlich geregelten Angelegenheiten platz greift, kann keinem Zweifel unterliegen. — Es können nicht einmal diejenigen reichsgesetzlich ge⸗ ordneten Angelegenheiten für nicht dem § 126 unterliegend angesehen werden, welche erst dem Landesverwaltungsgesetz und durch Spezialbestimmung den Beschlußbehörden übertragen worden sind... Die Frage kann vielmehr nur die sein, ob etwa für eine ein⸗ zelne reichsrechtliche Materie durch die für diese getroffe⸗ nen reichsrechtlichen Bestimmungen nach dem Grundsatz, daß das Reichsrecht dem Landesrecht vorgeht, die Klage aus dem § 1 ausgeschlossen wird. Diese Frage ist aber für die vorliegende Materie zu verneinen. — Im § 126 ist keine Frist für die Klage gesetzt. Eine Klagefrist könnte daher nur insoweit angenommen werden, a sie anderweit vorgeschrieben ist. Letzteres ist für die Klage auf der vorliegenden Gebiet nicht geschehen. — Die Voraussetzung für die Klage aus § 126, die Endgültigkeit des angefochtenen Beschlusses, ist hier vorhanden.“ (A. 26/93.)
Kunst und Wissenschaftt.
Zu dem Wettbewerb um eine Synagoge in Magdeburg waren im ganzen 26 Arbeiten eingegangen. Von ihnen gelangten wie das „Zentr.⸗Bl. d. Bauv.“ berichtet, fünf auf die engste Wahl keine jedoch löfte die Aufgabe so, daß ihr der erste Preis zuerkannt werden konnte. Das Preisgericht beschloß daher, eine andere als di im Programm genannte Preisvertheilung vorzunehmen, und ertheilte einen Preis von 2500 ℳ den Architekten Cremer u. Wolffenstein in Berlin, von 2000 ℳ dem Architekten Klingenberg in 2⸗e i. Gr. und von 1500 ℳ dem Architekten Theobald Hofmann in Leipzig Der Entwurf mit dem mo“ 1 kauf empfohlen.