1894 / 250 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Oct 1894 18:00:01 GMT) scan diff

gewiesen, daß die Steuerpflichtigen zur Vermög nzeige zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet sind, und auch die vor⸗ Fassungen der öffentlichen Bekanntmachung wegen Abgabe der Steuererklärung (Muster VIIIa) und der besonderen Aufforderung zur Steuererklärung (Muster IXa) lassen keinen Zweifel daruͤber, daß eine Verpflichtung zur Abgabe einer Vermögensanzeige nicht besteht. . Um jedem Irrthum in dieser Hinsicht auch bei denjenigen Personen vorzubeugen, welche in den Besitz eines Formulars zur Vermögensanzeige gelangen sollten, ohne die öffentliche Bekanntmachung gelesen oder eine besondere Aufforderung er⸗ halten zu haben, hat der Finanz⸗Minister unter dem 17. d. M. mittels Rundschreibens an die Königlichen Regierungen und an die Direktion der Verwaltung für die direkten Steuern in Berlin verfügt, daß die sämmtlichen Formulare zur Ver⸗ mögensanzeige (Muster 6 zur Anweisung vom 3. April d. ) auf der ersten Seite oben mit folgendem Vermerk zu versehen sind: „Eine Verpflichtung zur Vermögensanzeige besteht nicht“.

Durch eine in Nr. 73 des offiziellen „Java'schen Courant“ vom 11. v. M. veröffentlichte Verordnung der niederländisch⸗ indischen Regierung ist jede Ein⸗ und Ausfuhr außer von Staatswegen und mit einer besonderen Erlaubniß der Militär⸗ oder höchsten Zivilbehörde 8 der Nord⸗ und Westküste der Insel Lombok bei Geldstrafe von tausend bis fünfzigtausend Gulden und Beschlagnahme der Waaren verboten worden.

Unter „Nord⸗ und Westküste der Insel Lombok“ wird der Küstenstrich verstanden, der sich zwischen Laboean Tring im Suden und Ajer Poetih im Norden erstreckt.

8 Der ig Kaiserlichen Gesandten in Stockholm ernannte bisherige Gesandte in Lissabon Graf von Bray⸗Steinburg ist auf seinem neuen Posten eingetroffen und hat die Geschäfte der Gesandtschaft übernommen.

Der Regierungs⸗Rath Dr. Baltz zu Münster ist an das Königliche Polizei⸗Präsidium zu Berlin versetzt, und es ist ihm zugleich die Stelle als Dirigent der III. (Bau⸗) Abthei⸗ lung dieser Behörde übertragen worden. Der Regierungs⸗Assessor Dr. von Doetinchem de Rande zu Wiesbaden ist dem Königlichen Ober⸗Präsidium zu Muͤnster, und der Regierungs⸗Assessor Heising zu Cochem der Königlichen Regierung zu Aachen zur weiteren dienstlichen Verwendung überwiesen worden. Dem Regierungs⸗Assessor Gerbaulet zu Aachen ist die kommissarische Verwaltung des Landrathsamts im Kreise Cochem, Regierungsbezirk Koblenz, übertragen worden.

Der Regierungs⸗Assessor Schubert in Hörter ist zum Spezial⸗Kommissar bestellt und ihm die Verwaltung der

Spezial⸗Kommission III in Höxter übertragen. 8 1 Die Regierungs⸗Referendare Freiherr von Rössing aus Hildesheim, Rösing aus Trier, Roedenbeck aus Cassel, Dr. jur. de Weerth aus Düsseldorf, Reinecke aus Osna⸗ brück und Dr. jur. Wiedenfeld aus Marienwerder haben

die zweite Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst d

Bayern. In der protestantischen St. Markuskirche in München wurde gestern Vormittag in Anwesenheit des kommandierenden Generals, Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Arnulf die Weihe der neuen Fahnen für die vierten Bataillone des I. Armee⸗Korps vollzogen. Die Fahnen wurden von einem Offizier, 8 Unteroffizieren als Fahnen⸗ trägern und 20 Mann des Infanterie⸗Leib⸗Regiments zur Kirche gebracht und auf den mit Blumen geschmückten Altar niedergelegt. Beethoven's „Ehre Gottes“, gespielt von der Kapelle des 1. Infanterie⸗Regiments, leitete die Feier ein. Nach mehreren Versen des Liedes „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ hielt der amtierende Geistliche eine An⸗ sprache, worin die Bedeutung der Fahne für den Soldaten besonders hervorgehoben wurde. Mit einem Gebet schloß der Weiheakt und nach dem Liede „Nun danket alle Gott“ und einem von der Regimentskapelle gespielten Choral die kirchliche Feier. Heute erfolgt die Weihe durch die katholische Geist⸗ lichkeit sowie die Nagelung der Fahnen. Baden. Seine Königliche Hoheit der Großherzog trifft der „Karlsr. Ztg.“ zufolge heute von Berlin in Karlsruhe ein und gedenkt, nach kurzem Aufenthalt daselbst, sich nach Baden⸗ Baden zu begeben. Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.

Die Nachrichten über den Verlauf der Reise Ihrer König⸗ lichen Hoheiten des Erbgroßherzogs und der Erbgroß⸗ herzogin lauten sehr günstig. Höchstdieselben sind am Sonn⸗ tag in Lugano ange Dort dürfte dem Vernehmen nach ein Aufenthalt von einem oder zwei Tagen gemacht und dann die Reise nach Pegli fortgesetzt werden, woselbst

Seine Königliche Hoheit der Großherzog mit dem Erbgroß⸗

herzog und der Erbgroß in zusammenzutreffen gedenkt. Durch Erlaß vom 12. Oktober, der in Vertretung des

Großherzogs vom Erbgroßherzog gezeichnet ist, ist die

VI. ordentliche Landes⸗Synode zum 11. November ein⸗ berufen worden.

. Reuß ä. L.

S Seine Durchlaucht der Fürst hat sich nach seiner

Rückkehr von Berlin am 21. d. M. zur Fortsetzung der dies⸗ jährigen Herbstjagden wieder nach Schloß Burgk begeben.

1“

3 Der Kaiser empfing gestern ö in Budapest den englischen Botschafter Zia Pascha, der ein Abberufungs⸗ schreiben überreichte. Heute Morgen begiebt sich Zia Pascha nach Konstantinopel, um alsdann nach seinem neuen Be⸗ stimmungsort Paris abzugehen. Der König von Griechenland und der König von Serbien tauschten im Laufe des gestrigen Vormittags Besuche aus: der König von Griechenland überreichte dabei dem König Alexander das Großkreuz des Erlöser⸗Ordens. Gestern

Vormitlag empfing der König von Serbien den Minister des

Auswärtigen Grafen Kälnoky.

Der Prinz Georg von Griechenland ist gestern Nach⸗ mittag in Wien eingetroffen.

Der dem österreichischen Abgeordnetenhause vor⸗ gelegte Gesetzentwurf über die Errichtung von Arbeiter⸗ ausschüssen und Einigungsämtern bestimmt: Ausschüsse können bei den einzelnen Unternehmungen auf Grund eines von dem Unternehmer entworfenen Statuts eingerichtet werden; die Wahlen erfolgen durch die Arbeiter und sind geheim. Die Aufgabe der Ausschüsse ist, ein gutes Einvernehmen zwischen den Unternehmern und den Arbeitern zu fördern, die Unter⸗ nehmer bei Verhandlungen mit der Arbeiterschaft zu unter⸗ stützen und für eine guͤtliche Verständigung zu wirken. Die Einigungsämter werden errichtet von den politischen Landes⸗ behörden, eventuell von dem Handels⸗Ministerium, sie sollen aus Vertretern der gewerblichen Unternehmer und der Arbeiter be⸗ stehen und bezwecken die Herbeiführung einer gütlichen Ver⸗ ständigung über die Fortsetzung oder die Wiederaufnahme der Arbeitsverhältnisse. Die Wahlen erfolgen direkt durch die Gesammtheit der Unternehmer einerseits und der Arbeiter andererseits. Die Regierung legte ferner einen Gesetzentwurf vor über die Regelung der Sonn⸗ und Feiertagsruhe im Gewerbebetrieb.

In Pirano in Istrien ist es in der Nacht zum Montag aus Anlaß des Austausches des italienischen Bezirksgerichts⸗ schildes in eines mit italienischer und slovenischer Auf⸗ schrift zu Ruhestörungen Eine zahlreiche Volks⸗ menge zog durch die Straßen mit Rufen: „Hoch Oesterreich! Hoch Istrien! Hoch die Nationalliga! Nieder mit den Slaven!“ und schleuderte Steine gegen das Bezirksgericht und gegen die Wohnungen zweier angeblich slavenfreundlicher Domherren. Die Gendarmerie stellte schließlich die Ruhe wieder her. Eine Kompagnie Militär ist dorthin entsandt worden.

Im Finanzausschuß des ungarischen Unterhauses erklärte der Minister des Innern Hieronymi, die Reihen⸗ folge der Verwaltungsreformen sei in das Regierungsprogramm aufgenommen; das Disziplinar⸗ und Gemeindegesetz werde bald dem Unterhause vorgelegt werden. In Bezug auf die Natio⸗ nalitätenfrage konstatierte der Minister, daß von Agitationen und Aufregung in den siebenbürgischen Landestheilen jetzt keine Rede sein könne; eine Aenderung des Nationalitätsgesetzes würde unmotiviert sein, doch sollten die nothwendigen Verfügungen in den zu schaffenden Reformgesetzen Aufnahme finden. Be⸗ züglich der Alfölder Arbeiterfrage bemerkte der KNinister, deren Ursachen seien offenbar volkswirthschaftlicher Natur, doch hätten auch sozialistische Emissäre und Flugschriften die Auf⸗ reizungen verursacht. Zur Zeit herrsche in Alföld Ruhe. Auf Bemerkungen, die der Abg. von Horanzky bezüglich der Siebenbürger Reise des Ministers des Innern machte, er⸗ widerte letzterer, er habe anläßlich dieser Reise am ersten Tage vor seinen Wählern erklärt, was ihn auf ihr geleitet habe. Die Erwerbung unmittelbarer Infor⸗ mationen sei der Zweck seiner Reise gewesen; er habe in der That so werthvolle Informationen gewonnen, daß er niemals Ursache gehabt habe, die Reise zu bereuen; ja, sobald die Verhältnisse es ihm gestatten würden, werde er die Reise wiederholen. Hinsichtlich des Wahlgesetzes erklärte der Minister, er habe es nicht mit der Nationalitätenfrage in Verbindung gebracht, vielmehr in wiederholten Aeuße⸗ rungen betont, daß der Zensus zwischen den einzelnen Gegenden Ungarns eine weit größere Ungleichheit ver⸗ ursache, als zwischen Ungarn und Siebenbürgen; allgemeine Gesichtspunkte erforderten also, daß der Zensus auf gleichen Grundlagen basiert werde. In Betreff der Alfölder Arbeiter⸗ frage bemerkte der Minister schließlich noch, er habe die Aifölder Arbeiterversammlungen verboten; da jedoch seiner Ansicht nach solche Ausnahmeverfügungen nicht lange Zeit hindurch auf⸗

recht erhalten werden könnten, habe er eine bezügliche Anfrage an die Gemeindebehörden gerichtet, und werde nach Maßgabe der einlaufenden Berichte verfügen. 1 1

Der Abgeordnete Emerich Veszter kündigte gestern in einer Rede seinen Wählern seinen Austritt aus der Nationalpartei, der er bisher angehört habe, an und führte aus, die Nationalpartei habe ihre ablehnende Haltung in der kirchenpolitischen Frage nicht aus prinzipiellen, sondern lediglich aus taktischen Erwägungen eingenommen. Nun habe Graf Apponyi mit seiner Parteitaktik die Partie verloren und die Nationalpartei müsse jetzt mit der liberalen Partei unbedingt fusionieren, weil sie sonst ihren letzten Halt einbüßen würde.

Großbritannien und Irland.

In einer gestern vor seinen Wählern in Leven gehaltenen Rede stellte der Staatssekretär des Innern Asquith nach⸗ drücklich in Abrede, daß der jüngste Ministerrath zur Berathung ernster, zwischen Frankreich und England schwebender Fragen einberufen worden sei: die zwischen diesen beiden Ländern strittigen Fragen seien vielmehr derart, daß sie durch freund⸗ schaftliche Uebereinkunft geordnet werden könnten. Ebenso un⸗ begründet sei die Behauptung, daß die englische Diplomatie in den großen europäischen Hauptstädten eine schwere Nieder⸗ lage erlitten habe. Seine Handelsinteressen im äußersten Osten erlaubten England nicht, dem chinesisch⸗japanischen Kriege als gleichgültiger Zuschauer gegenüberzustehen; thatsächlich be⸗ stehe unter den Großmächten vollkommene Uebereinstimmung in dieser Angelegenheit.

Frankreich.

In der Budgetkommissionäußerte sich gestern der Minister der Kolonien Delcassé über die Sudanfrage und erklärte, diese Regierung wolle in ihren Erwerbungen nicht weiter gehen, diese aber aufrecht erhalten und organisieren. Die Regierung habe deshalb, um mit der militärischen Epoche abzuschließen, einen Zivil⸗Gouverneur ernannt. 1

Der Ackerbau⸗Minister Viger hielt, wie der „Köln. Ztg.“ berichtet wird, am Sonntag bei der Eröffnungsfeier der Ackerbauschule von Clion, Departement Indre, eine Rede, worin er sagte, die französische Landwirthschaft mache zwar gegenwärtig eine Krisis durch, doch werde sie durch das Schutzzollsystem möglichst gemildert. Der Minister griff sodann in scharfer Weise die Sozialisten an, die ihre Agitation nunmehr auch unter die ackerbautreibende Bevölkerung trügen, und warnte die Landleute ein⸗ dringlichst, den sozialistischen Sophistereien Gehör zu schenken. Derzeit zähle Frankreich vier Millionen kleiner Grundbesitzer, die, falls der Grund und Boden Kollektiveigenthum des sozialistischen Staats werden sollte, über kurz oder lang in das Heer der Feldarbeiter eingereiht werden würden. *Die heutigen Pariser Morgenblätter beschäftigen sich mit dem Wiederzusammentritt der Kammern und äußern sich vorwiegend dahin, daß trotz der Unent⸗

der gegenwärtigen Lage, die einen weiten

Ueberraschungen biete, das Ministerium

nicht unmittelbar ernste Gefahr laufe, daß es vielmehr die

angekündigten Interpellationen ziemlich leicht überwinden

werde. Auf größere Schwierigkeiten dürfe das Kabinet bei

der Berathung des Budgets stoßen; die Gegner des Kabinertz

rechneten auf unvorhergesehene Stimmverluste für dasselbe

um dessen Sturz herbeizuführen. Nußland.

Das gestern Abend 8 Uhr 15 Minuten in St. Peters⸗ burg ausgegebene Bulletin über das Befinden des Kaisers Alexander lautet: 8

„In der Nacht auf den 22. d. M. schlief der Kaiser mit Unter⸗ brechungen gegen fünf Stunden und stand wie gewöhnlich auf. Der Appetit war etwas geringer, die Kräfte sind nicht vermehrt.“

Nach Mittheilungen, welche der hiesigen russischen Botschaft gestern in später Abendstunde aus Livadia zugegangen sind, hält die Besserung in dem Befinden des Kaisers an.

Gestern Vormittag ist die Prinzessin Alix von Hessen mit der Großfürstin Sergius in Simferopol eingetroffken und auf dem Bahnhof feierlich empfangen worden. Das Stadthaupt begrüßte die Prinzessin und überreichte ihr Salz und Brot auf einer silbernen Schüssel. Die Gemahlin des Gouverneurs und andere Damen überreichten prachtvolle Blumensträuße. Beim durch die Stadt läuteten die Glocken; die Be⸗ völkerung —grüßte die Prinzessin ehrfurchtsvollst. Die Fahrt von Simferopol nach Jalta legten die Prinzessinnen bei prachtvollem Wetter und 20 Grad Wärme in offenem Wagen zurück. Der Weg war an vielen Stellen mit Triumph⸗ pforten aus Laub und Blumen geschmückt. In Aluschta, auf halbem Wege, wurde die Prinzessin Alix vom Großfürsten⸗Thron⸗ folger und von ihrem Schwager, dem Großfürsten Sergius begrüßt. Hier wurde das Frühstück serviert. Nach 5 Uhr Nachmittags erreichten die hohen Herrschaften Jalta. Der Großfürst⸗Thronfolger saß im Wagen an der Seite seiner Braut. In Jalta erwartete eine dichtgedrängte Volksmenge das Brautpaar und begrüßte es auf das herzlichste. Die Ankunft in Livadia erfolgte, wie der „Regierungsbote“ meldet, um 5 ½ Uhr Nachmittags. Die Prinzessin Alix begab sich direkt zum Kaiser und zur Kaiserin und sodann mit der Kaiserin und anderen Gliedern der Kaiserlichen Familie in die Schloß⸗ kirche, wo ein Gottesdienst abgehalten wurde. Die Personen des Gefolges empfingen die Prinzessin beim Eingang der Kirche.

Wie der „Kölnischen Zeitung“ aus St. Petersburg ge⸗ meldet wird, verlaute daselbst, der Kaiser habe die Regelung der Thronfolge befohlen und der Reichsrath hierüber berathen. Es handele sich hierbei um den etwaigen Thron⸗ folger nach einem etwaigen Thronwechsel. Der Großfürst Georg, der, käme der Großfürst⸗Thronfolger auf den Thron, der neue Thronfolger sein würde, so lange keine Leibeserben da wären, werde infolge seiner Krankheit auf die Thronfolge verzichten und der jüngere Bruder, der Großfürst Michael Alexandrowitsch, den Thronfolger⸗

eid leisten. Italien.

Nach einer Meldung der „Agenzia Stefani“ sind durch Dekrete vom gestrigen Tage gleichzeitig in allen Provinzen sämmtliche Vereinigungen, die sich als sozialistische italienische Arbeiterpartei, bezeichnen, aufgelöst worden, ebenso diejenigen Gesellschaften, die eine Sektion solcher Vereinigungen bilden, und Ver⸗ eine, die, obgleich zu philanthropischen oder wirthschaft⸗ lichen Zwecken gegründet, doch sich dem bezeichneten Parteiprogramm zugewandt haben, das zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft Streit errege und Umsturzideen verbreite. Die Maßregel war überall vor 7 Uhr Abends ausgeführt. Beschlagnahmt wurden Papiere, darunter mehrere sehr wichtige, Register und Abzeichen; bei den hervor⸗ ragendsten Mitgliedern wurden Haussuchungen vorgenommen. Trotzdem gegen die Maßregel protestiert wurde, kam ein be⸗ merkenswerther Zwischenfall nicht vor. In Mailand wurden 55 Gesellschaften von der Auflösungsmaßregel betroffen, darunter auch das Arbeiter⸗Konsulat. In den Provinzen Grosseto, Reggio di Calabria und Sardinien existieren keine sozialistischen Vereine und waren daher keine Auflösungen vor⸗ zunehmen; ebenso auf Sizilien und in der Provinz Massa Carrara, wo die in Frage stehenden Gesellschaften während des Belagerungszustandes aufgehoben worden sind.

Der Papst empfing gestern den vom Urlaub zurüͤck⸗ gekehrten preußischen Gesandten von Bülow. 1

Der „Moniteur de Rome“ hat sein Erscheinen ein⸗ gestellt. Der „Osservatore Romano“ meldet, der Grund hierzu ei nur in der auf Anordnung des Ministers des Innern er⸗ folgten Ausweisung des Direktors des genannten Blattes Abbé Böglin zu suchen. Der „Osservatore“ fügt hinzu, Böglin werde ebenso, wie der ebenfalls vor einiger Zeit aus⸗ gewiesene Redakteur Abbé Montennis, beschuldigt, die italieni⸗ schen Finanzen und die italienische Politik diskreditiert und der italienischen Regierung Verlegenheiten bereitet zu haben. Böglin ist gestern Nachmittag 4 Uhr an die Grenze nach Chiasso gebracht worden. v““

Spanien.

Die Minister sollen den Wunsch hegen, daß der Iaes.; Martinez Campos die Statthalterschaft auf Cuba übernehme.

Belgien.

Wie die „Indépendance Belge“ wissen will, wäre der Sozialist Alfred Defuisseaux in Mons gewählt und schon gestern aus der Haft entlassen worden.

Bulgarien. 1

Der Prinz Ferdinand von Sachsen⸗Coburg wird morgen in Sofia erwartet; er gedenkt die Sobranje persönli zu eröffnen. u“

Der Minister des Auswärtigen Natschewic ist aus Varna nach Sofia zurückgekehrt.

Der Verwalter des türkischen Kommissariats Nebil Ben hat gestern der bulgarischen Regierung die Mittheilung ge⸗ macht, daß der Sulkan dem Minister⸗Präsidenten Stoilom den Großkordon des Osmanié⸗Ordens und dem Minister des Aus⸗ wärtigen Natschewic den Großkordon des Medschidje⸗Ordens verliehen habe. Die „Agence balcanique“ bemerkt hierzu, es sei das erste Mal, daß bulgarische Minister in offizieller Weise von der Regierung des Suzeräns ausgezeichnet worden seien. In den politischen Kreisen habe diese Ordensverleihung lebhaften Ein⸗ druck gemacht; sie erblickten darin ein Zeichen des Vertrar des Sultans in die Richtung der Politik der bulgaris Regierung. Der Minister⸗Präsident Stoilow hat

an Großvezier ein Telegramm gerichtet mit der Bitte, dem Sultan seinen 1

ank auszudrücken. 8

Schweden und Norwegen.

Der frühere schwedische Minister⸗Präsident Baron Bildt ist gestern Nachmittag gestorben. e

Asien.

Eine Meldung der Londoner „Central News“ aus Hiroschima bringt aus einflußreichen japanischen Kreisen die Bestätigung, daß China auf Grundlage der Unabhängig⸗ keit Koreas und Zahlung einer Kriegsentschädigung Frieden schließen wolle. China werde aller Einmischung in Korea entsagen, während Japan bis zur Durchführung der Reform Korea bese t halten und außerdem, bis die Zahlung der Kriegsentschädigung erfolgt fei, gewisse Gebietstheile besetzen werde. Andererseits wird aus London gemeldet, daß in dor⸗ tigen unterrichteten Kreisen eine Bestätigung des Gerüchts über Friedensverhandlungen nicht eingegangen sei.

Dem „Reuter’'schen Bureau’ wird aus Chemulpo vom 16. d. M. gemeldet, daß die Tonghaks im Süden von Söul sich unruhig verhielten; nur der Mangel an Waffen verhindere sie, sich zu erheben und nach Norden vorzurücken. Vierhundert Mann japanischer Truppen befänden sich im Palast des Königs, weil der Vater des Königs im Bunde mit den Tonghaks sein solle. Die Chinesen mobilisieren eine große Streitmacht in Kuren (Kirin?) und Powtingfu. Der zweite Sohn des Königs von Korea habe Chemulpo verlassen, um als Spezial⸗ gesandter dem Mikado Geschenke zu überbringen. In Chemulpo würden 1800 japanische Verwundete gepflegt, auch in Söul befinde sich eine große Anzahl Verwundeter in Pflege; 2100 Verwundete seien in ihre Heimath befördert worden. In Ping-⸗jang befänden sich 1200 chinesische Verwundete. Viele Briefe, die an Europäer gerichtet seien, die in Korea wohnten, seien von den japanischen Behörden geöffnet worden; auch der Postbeutel für den englischen Konsul sei drei Wochen zurück⸗ behalten worden.

Der japanische Landtag ist, wie das „Reuter'sche Bureau“ aus Hiroshima meldet, heute geschlossen worden, nachdem alle Vorlagen der Regierung einstimmig angenommen worden waren. Der Landtag nahm eine Adresse an die Regierung an, worin diese aufgefordert wird, die Wünsche des Mikado so durchzuführen, daß der Sieg der Japaner ein vollständiger, der Friede wieder hergestellt und der Ruhm des japanischen Volks erhöht werde. Die Adresse ver⸗ langt schwere Bestrafung Chinas, damit die Besorgniß vor einem neuen Friedensbruch beseitigt werde, und erklärt, Japan könne die Dazwischenkunft einer anderen Nation nicht dulden, hindern würde, das Endziel des Krieges zu er⸗ reichen.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Als ein zureichender Arrestgrund im Sinne des § 797 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, V. Zivilsenats, vom 11. Juli 1894, der Umstand zu erachten, daß ein dem Schuldner gehöriges Grundstück das einzige Objekt ist, in das die Zwanasvollstreckung gegen den Schuldner mit Erfolg stattfinden kann, und daß ohne die Verhängung des Arrestes zu besorgen ist, der bee n werde inzwischen das Grundstück verkaufen oder bis zur Höhe des Werths verpfänden. „Das Grundstück der Beklagten in seiner gegenwärtigen Belastung stellt ein Vermögensobjekt dar, das nach der Meinung der Kläger geeignet ist, ihnen wegen ihrer Forderung nach Erlan⸗ gung eines exekutorischen Titels im Wege der Zwangsvollstreckung Befrie⸗ digung zu verschaffen, und das jeder Zeit ihrem Zugriff unterliegt, also ein bereites Vollstreckungsobjekt bildet. Diese Eigenschaften würden dem Grundstück entzogen werden, wenn es die Beflagte ver⸗ äußern oder bis zu seinem Werth mit Schulden belasten sollte. Zwar ist nicht ausgeschlossen, daß dafür beim Verkauf oder bei der Ver⸗ pfändung entsprechende Werthe in das Vermögen der Beklagten gelangten; aber daß diese ein ebenso bereites Exekutions⸗ objekt, wie des Grundstück bilden sollten, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Ist nun das Grundstück das einzige Objekt, in das die Zwangsvollstreckung mit Erfolg stattfinden könnte, so würde die EEE11“ aufs äußerste gefährdet sein, wenn die Beklagte ihr Vorhaben, das Grundstück zu verkaufen oder zu verpfänden, zur Ausführung brächte. Begründet ist hiernach die Besorgniß der Kläger, daß ohne Verhängtns des Arrestes die Voll⸗ streckung des Urtheils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Damit ist ein genügender Arrestgrund im Sinne des § 797 der 3.⸗Pr.⸗O. gegeben . ..“ (158 /94.) .

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Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.

Ist einem früheren Deutschen, der diese Eigenschaft auf andere Weise als durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande verloren hat, von der höheren Verwaltungsbehörde irrthümlich anstatt der gesetzlich vorgeschriebenen Naturalisations⸗Urkunde eine Auf⸗ nahme⸗UAUrkunde ertheilt worden, so ist, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, I. Senats, vom 1. Juni 1894, deshalb die geschehene Aufnahme in den Staats⸗ und Reichsverband nicht unwirksam; ebensowenig kann der Akt der Aufnahme sowie der der Naturalisation wegen Irrthums, Betrugs ec. von der Verwaltungsbehörde für ungültig erklärt und seiner Wirkungen nachträglich entkleidet werden. B., als Preuße zu Dortmund im Jahre 1844 geboren, war mit Entlassungs⸗ urkunde vom 26. März 1866 nach den Vereinigten Staaten von Nord⸗Amerika ausgewandert und hatte dort das Bürgerrecht erworben. Im Jahre 1873 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er sich in Mainz, sodann in Dortmund und seit 1878 in Hamburg aufhielt. Sein Gesuch um Naturalisation als Hamburger Staatsangehöriger wurde im Frühjahr 1890 von der dortigen Behörde abgelehnt. Am 11. Juni 1890 meldete er sich mit Mener aus Frau und fünf Kindern bestehenden Familie zum Aufenthalte bei der Polizei⸗ verwaltung zu Dortmund an, obgleich er thatsächlich seinen Wohnsitz in Hamburg garnicht aufgegeben hatte und auch seine Familie dort geblieben war, und stellte am 13. Juni 1890 da „er bis zu seiner erfolgten Uebersiedelung seit 1879 in Hamburg gewohnt habe, nunmehr 88 im Inlande seinen Aufenthalt dauernd zu nehmen beabsichtige“ den Antrag auf „Wiederaufnahme in den preußischen Staatsverband. Der Regie⸗ rungs⸗Präsident zu Arnsberg ertheilte dem B. und seinen 6 Familien⸗ angehörigen in Gemäßheit der §§ 6 und 7 des Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870 die Aufnahme⸗Urkunde, welche demnächst dem B. aus⸗ gehändigt wurde. B. kehrte hierauf nach Hamburg zurück und über⸗ reichte der dortigen Polizeibehörde seine Aufnahme⸗Urkunde. Diese Behörde aber behielt die Urkunde zurück und übersandte sie dem Regierungs⸗Präsidenten zu Arnsberg. Der Regierungs⸗Präsident hatte nämlich zufolge höherer Weisung durch Verfügung vom 19. März 1891 den B.: „da die der §§ 6 und 7 des Reichsgesetzes vom 1. Mai 1870 bei ihm nicht zutrafen und seine Anzeige von seiner Niederlassung in Dortmund als thatsächlich un⸗ richtig erwiesen sei, Fresoedert die ihm unter jener Voraussetzung ertheilte Aufnahme⸗Urkunde durch Vermittlung der Hamburger Polizei zurückzugeben, seine etwaigen Ansprüche aber im Verwaltungsstreit⸗ verfahren zur richterlichen Entscheidung zu bringen.’ Auf die Be⸗ schwerde des B. beim Ober⸗Präsidenten erfolgte der Bescheid, daß dem

ntrage auf Aufhebung der Verfügung des Regierungs⸗Präsidenten

nicht stattgegeben werden könnte. B. klagte nunmehr gegen den Ober⸗ Präf identen beim Ober⸗Verwaltungsgericht auf Aufhebung der Verfügung des Kegierungs⸗Präsidenten. und er erstritt ein obsiegliches Urtheil. ... Der Ausländer“, führt das Ober⸗Verwaltungsgericht aus, erwirbt wie der Reichsangehörige die Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat durch den staatshoheitlichen Akt der höheren Verwaltungsbehörde, nämlich durch die Aushändigung einer ÜUrkunde, deren zwiefache Bezeichnung als Naturalisations⸗ oder als Aufnahme⸗Urkunde zwar auf eine Ver⸗ schiedenheit in den Eigenschaften ihrer Empfänger, aber nicht auf eine solche in der Art ihrer rechtlichen Wirksamkeit als eines Formalakts hin⸗ deutet, die bei beiden ebenso die gleiche ist, wie die materiellen Wirkungen; denn beide Urkunden begründen durch die Aushändigung sowohl die Staats⸗ als auch die Reichsangehörigkeit, falls näml’c—h letztere, wie im Falle des § 7, nicht schon vorhanden ist. Nach den vom Reichstag endlich befolgten Empfehlungen des Bundeskommissars kann es ferner keinem Zweifel unterliegen, daß die vorgeschriebene Form der Verleihung Urkunde der höheren Behörde und Erwerb der Rechte und Pflichten durch deren Aushändigung lediglich um deshalb gewählt ist, damit jede fernere Prüfung ausgeschlossen werde, ob die thatsächlichen Voraus⸗ setzungen der Verleihung auch zur Zeit derselben bereits vorhanden waren, ob insbesondere bei der Aufnahme im Falle des § 7 der Betreffende auch wirklich Reichsangehöriger war. Der Mangel dieser Voraussetzungen eines Aufnahmeakts kann daher weder dessen Nichtigkeit verursachen, noch auch wie bezügl. der Naturalisation bereits nachgewiesen ist dessen nachträgliche Ungültigkeitserklärung begründen. Durch die vom Regierungs⸗Präsidenten ausgefertigte Aufnahme⸗Urkunde und durch deren Aushändigung ist Kläger daher wieder Angehöriger des preußischen Staats und des Deutschen Reichs geworden, welche Eigenschaft er nicht anders als aus den in § 13 des Gesetzes bezeich⸗ neten, hier nicht vorhandenen Gründen verlieren kann. Jerthümer, rechtlicher oder thatsächlicher Natur, konnten daher dem Regierungs⸗ Präsidenten nicht das Recht geben, die Aufnahme⸗Urkunde als eine nichtige oder ungültige zu behandeln.“ (I 610.)

Kunst und Wissenschaft.

8 1 8 5 8 W6“ ö““ Verein für Geschichte der Mark Brandenburg.

8 Sitzung vom 10. Oktober 1894.

Herr Professor Dr. Schmoller eröffnete die Sitzung mit einem ehrenden Nachruf für die jüngst verstorbenen Mitglieder, die Herren Gymnasial⸗Direktor Dr. Paul, Direktorial⸗Assistenten Dr. Weigel und Oberlehrer Dr. Landwehr, von denen der Letztgenannte sich durch Druckschriften, namentlich um die Märkische Kirchengeschichte verdient gemacht hat.

Herr Graf zur Lippe⸗Weissenfeld schilderte, wo und von wem, in welcher Gestalt und unter welchen Umständen dem König Friedrich II. das erste Monument errichtet wurde. Im allge⸗ meinen ist es richtig, daß dies im Ausland schon bei Friedrich's Leb⸗ zeiten geschah, und zwar zu Roßwald unweit Jägernd orf, durch den kunstbeflissenen Grafen Hoditz, einen schwärmerischen Verehrer des großen Preußenkönigs. Noch im Jahre 1860 befand sich in einem Speisesaale des Roßwalder Schlosses neben der Büste Kaiser Joseph's II. eine Büste Friedrich's, welche Hoditz mit angemessener Verzierung und einer lateinischen Beischrift versehen hatte, zur Erinnerung an des Königs Besuch in Roßwald gelegentlich seiner Reise zur Zusammen⸗ kunft mit dem Kaiser in Moöbrisch⸗Neustadt 1770. Aber weder diese Büste noch eine zweite mit italienischer Unterschrift —, angeblich während des Sommers 1773 in Roßwald entstanden, von deren Vor⸗ handengewesensein man dort 1860 nichts wußte, kann als Friedrichs⸗ Denkmal gelten. Anders verhält es sich mit einem im Hoditz'schen Park errichteten, jetzt längst verschwundenen, ebenso großartigen wie ge⸗ schmackvollen (Sandstein-) Bauwerk, von welchem in Roßwald die genaue Beschreibung aufbewahrt worden: Eine Statue, den König zu Fuß darstellend, unbedeckten Hauptes, in voller Uniform; seine rechte Hand umfaßt den Kommandostab, welcher auf einem seitwärtigen Postament durch die Krone gestützt ist. Unten stand ein lorbeer⸗ bekränzter Genius, umgeben von zwei allegorischen Figuren, auf Kriegs⸗ kunst und Waffenstärke bezüglich. Vorn am Fußgestell las man die lateinische Denkmalswidmung des Grafen Albert von Hoditz, welcher als „Oberhaupt der hiesigen Dorfschaften in unermeßlicher Liebe für einen so großen König.... sie anbringen ließ. Die Statuen⸗ umfassung war geschmückt durch den Königlichen Namenszug nebst einem Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Ein Wasserfall rauschte unterhalb dieses schönen Schaustücks. An den lebensfrohen Bauherrn, welchen der Philosoph von Sanssouci mit seiner Freundschaft beglückte, erinnert in Potsdam seit 1784 der Name Hoditz⸗Straße.

Herr Archivar Dr. Meinecke sprach im Anschluß an die soeben erschienene 2. Auflage von Delbrück's Gneisenau⸗Biographie über die Krisis der preußischen Politik im Jahre 1811 und referierte im ganzen zustimmend über die Auffassung Delbrück's, welche zwischen der Duncker'schen und Lehmann'schen vermittelt, letzterer aber näher steht. Er suchte weiter auszuführen, daß den entgegengesetzten Standpunkten des Königs und des Staatskanzlers Hardenberg einerseits und der von Scharnhorst, Gneisenau und Boyen vertretenen Kriegs⸗ partei andererseits dieselbe Verschiedenheit in der Auffassung Napsleon's zu Grunde lag, die auch heute noch zwischen den Forschern besteht. Der König und Hardenberg trauten zwar Napoleon sehr übles zu, aber hielten es doch für möglich, daß er durch die Kombinationen der europäischen Politik bestimmt werden könne, Preußen zu schonen. Scharnhorst und seine Freunde aber erkannten in ihm richtig die dämonische Natur des Eroberers, dessen Charakter und Handlungs⸗ weise mit Nothwendigkeit auf eine schließliche Vernichtung Preußens hindrängen werde.

Herr Dr. W. Naudé sprach über die Getreidehandels⸗ Fefütin und die Kornmagazinverwaltung Friedrich Wil⸗

elm's I. und Friedrich's des Großen. Die preußische Land⸗ wirthschaft hatte im 18. Jahrhundert unter der starken Konkurrenz des damals noch selbständigen Polen zu leiden. Das polnische Korn war in der Qualität besser, auf überseeischen Plätzen beliebter und in⸗ folgedessen auch bei den Kaufleuten der Ostseestädte ein begehrterer Artikel als das preußische Korn; vor allen Dingen war es auch weit wohlfeiler zu haben als das preußische Getreide, da die polnische Landwirthschaft im Verhältniß zu der preußischen unter ganz anderen, ungleich günstigeren Produktionsbedingungen mit unentgeltlichen Arbeitskräften auf reicherem Boden wirthschaftete. Das billige Korn des Ostens würde alle preußischen Innenmärkte überfluthet, dem ein⸗ heimischen Getreide allen Absatz geraubt haben, wenn nicht Fejedrig Wilhelm I. auf die Einfuhr polnischer Zerealien einen ohen Zoll gelegt, ja die Einfuhr zeitweise ganz untersagt hätte. Friedrich der Große sperrte die preußische Grenze völlig gegen Polen ab. Beide Monarchen gestatteten dem fremden Getreide nur den Transito durch ihre Lande, erlaubten den Kaufleuten der preußischen Ostseehäfen, polnisches Korn nur zur Wiederausfuhr über See, nicht für den Absatz im Lande anzukaufen, und sicherten der eingeimischen Land⸗ wirthschaft den inneren Markt ausschließlich. Da Polen Jahr für Jahr Ernteüberschüsse erzielte und gewillt war, bei der Absperrung der Grenze dieselben zu äußerst wohlfeilen Preisen herzugeben, so benutzte Friedrich der Große diesen Umstand, um in Polen als alleiniger Käufer aufzutreten, durch seine Agenten große Massen polnischen Getreides an Ort und Stelle aufzukaufen und sie über die Grenze schaffen zu lassen. In allen Meilen des Staats hatte der König Magazine, die er theils durch die polnischen Einkäufe füllte, theils durch Einkäufe in Preußen. Sank nämlich in irgend einer Gegend oder einer Provinz der Monarchie durch überreiche Ernten der Getreidepreis erheblich unter den Durchschnittspreis, so trat der König ein und kaufte den Landwirthen ihr Getreide zu einem mäßigen mittlern Satze ab; „sie wären ruinirt ohne meine Hülfe“, sagt Friedrich in seinem politischen Testament von 1752. Aber es ist völlig verkehrt, dem großen König auf Grund solcher Maßregeln ein⸗ seitige Interessenvertreang der Landwirthschaft vorzuwerfen. Friedrich war Merkantilist und ist der Schöpfer der preußischen Industrie. Er berücksichtigte in gleicher Weise alle Produktions⸗

zweige seines Landes. Dieselben Magazine, die er dazu

benutzte, den Landleuten über die wohlfeilen Jahre, in denen das Ge⸗ treide unter die Produktionskosten sank fortzuhelfen, öffnete der König in theuren Zeiten und verkaufte aus ihnen Korn zu billigeren Sätzen, als es auf dem Markt zu haben war, im Interesse der städtischen Bevölkerung, vor allem der Arbeiter der unter seiner Regierung zahl⸗ reich ins Leben gerufenen Fabriken. wollte bei diesem ganzen Ein⸗ und Verkauf keinerlei Gewinn für sich erübrigen; er wollte nur die Getreidepreise in seinem Staat in einer gewissen stän⸗ digen Gleichheit erhalten, „sie immerwährend dahin balanzieren, daß secbhe niemahlen zu hoch steigen, hergegen auch nicht zu sehr fallen, und daß der Bürger, Bauer, Beamte und Edelmann mit einander dabei bestehen können“, wie es in einer Kabinetsordre an den Chef des preußischen Magazinwesens, Minister von Katt heißt. Der große König war durch ununter⸗ brochene Berichte, die aus allen Provinzen über die Marktpreise der Zerealien, über Ernteaussichten und Ernteergebnisse im Kabinet einliefen, jederzeit genau öorientiert; er hatte für alle Theile der Monarchie durch jahrelange Erfahrungen ganz bestimmte Vorstellungen bei sich eingewurzelt, innerhalb welcher Grenzen das Getreide in Litthauen, in Hinterpommern, in Berlin, in Schlesien oder sonstwo schwanken dürfe, ohne daß es dem Landmann, dem Fabrikarbeiter, dem Bürger schade. Wurden aus irgend einer Stadt oder Gegend ungewöhnliche Kornpreise gemeldet, so griff der König mit Kauf für die Magazine oder Verkauf aus den Magazinen ein. Dem Ge⸗ treide. Ausfu Frhandel ließ Friedrich freie Bahn, jede Spekulation auf den Innenmärkten hingegen suchte er lahmzulegen. Die Erfolge des Fridericianischen Magazinsystems waren glänzend, die Schwankungen in den Kornpreisen verhältnißmäßig sehr geringfügig. Die Macht⸗ befugniß, welche Friedrich über das d a ene4 Nahrungsmittel seines Volks befaß, hat er keinen Augenblick seines Lebens zu Gunsten einzelner Stände oder Klassen der Gesellschaft mißbraucht; er hat sie jederzeit ganz; und gar in den Dienst des Staats, der Allgemeinheit, gestellt. In dem stolzen Gefühl seiner Königlichen Stellung schreibt der Monarch in sein zweites politisches Testament von 1768 die Worte: „Eine Aufgabe, werth eines Königs, ist es, in den Getreidepreisen eine genaue Richtschnur und Mittellinie zu halten zwischen den Interessen des Edelmanns, des Domänenpächters, des Bauern auf der einen Seite und den Interessen des Soldaten und des Fabrikarbeiters, die von ihrer Löhnung oder ihrer Hände Verdienst leben, auf 8 Seite“.

Zam Schluß wurde als ein Geschenk des Herrn Verfassers Bardeyts „Geschichte von Stadt und Ländchen viefas- 8 fand als eine wohlgelungene Gelegenheitsschrift die gebührende An⸗ erkennung.

Professor Dr. Berchthold, zur Zeit Rektor der Universität München, ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern kurzer Krankheit gestorben.

In Brighton ist, wie der „Köln. Ztg.“ gemeldet wird, vor kurzem Dr. William Moon, der bekannte Erfinder des nach ihm benannten Systems des Drucks für Blinde, im Alter von 75 Jahren gestorben. Dr. Moon erblindete im Jahre 1840, während er sich für den Eintritt in den geistlichen Stand vorbereitete. Darauf gründete er in Brighton ein Asyl für Blinde und erfand und ver⸗ vollkommnete sein System, das den Blinden das Lesen ermöglicht; jetzt ist es in 476 Sprachen und Dialekten im Gebrauch. 8

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗

Maßregeln.

Die Vorträge der Herren Professor Dr. P. Ehrlich und Dr. A. Wassermann über „Gewinnung, Wertbbestimmung und Verwendung des Diphtherie⸗Heilserums“ werden in der hiesigen Deutschen Gesellschaft für öffentliche Gesundheitspflege am

Freitag, Abends 7 ½ Uhr, im groß 3f

P

mischen Instituts der Uni sim Garten der Thierärztlichen Hochf ) f sind willkommen, doch können diess we

Nachfrage nach Plätzen nur in beschränkter Jahl gegen zeigung einer Einladungskarte Eintritt finden. Solche Karten werden unentgeltlich durch den Vorsitzenden der Gesellschaft. Geheimen Ober⸗ Regierungs⸗Rath Spinola im Direktions⸗Bureau der Charits und durch den Schriftführer Dr. Th. Weyl, Lützowstraße 105,

Nach der Hausordnung des Anatomischen Instituts können Damen nicht zugelassen werden.

Griechenland. 8 Die für Herkünfte von der Karamanischen Küste zwischen Calenderi und Mersine (inkl.) angeordnete 10 tägige Quarantäne ist aufgehoben und durch eine strenge ärztliche Untersuchung ersetzt worden. (Vergl.

2 —— 8 8— 2* „R.⸗Anz.“ Nr. 231 vom 1. d. M.)

Cholera.

Königsberg, 22. Okteber. In dem unmeit der Stadt Königs⸗ berg am Pregel g demühblen⸗Etablissement Kosse sind am W. d. M. n worden.

. 222 Derpbg⸗ * 8 m Danzig, 22. Ohhober. kemit sind bei, in Jungfer. Elbing, und in Marienb cin Cholerafall festgestellt

g g.— gelegenen

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 22. d. M. gestellt 12 542, nicht recht⸗ zeitig gestellt 159 Wagen.

In Oberschlesien sind am 20. d. M. t 4238, nicht rechtzeitig gestellt 471 Wagen. 8 Ausweis über den Verkehr auf dem Berliner Schlacht⸗ viehmarkt vom 20. Oktober 1894. Auftrieb und Marktpreise

nach Schlachtgewich, mit Ausnahme der Schweine. Lebendgewicht gehandelt werden. Rinder. Auftrieb 325 (Durchschnittspreie für 100 kg.) I. Qualität 122 130 ℳ. II. Qualite 110 116 ℳ, III. Qualität 96 104 ℳ. IV. Qualität 88— 92 Schweine. Auftrieb 5959 Stück. (Durchschnittspreis für 100 kg.) Mecklenburger 106 108 %ℳ Landschweine: a. gute 102 104 ℳ. b. geringere 94 100. ℳ, Galizier ℳ, leichte Ungarn det 20 % Tara, Bakonver 80 82 bei 27,5 kg Tara pro Stück. Kälber. Auftrieb 905 Stück. (Durchschaittspreis für 1 kx.) I. Qual. 1,28 1,40 ℳ, II. Qual. 1.20 1,26 ℳ. III. Qualität

1,16 Schafe. Auftrieb 9302 Stück (Durchschnittspreit

1 kg.) I. Qualität 0,92 1,20 ℳ, II. Qualität 0,70 0,88 ℳ. III. Qualität

““

Italien. 31. Oktober, 3 Uhr. Direktion der Artillerie⸗Gießwerkstätte in Genua: Lieferung von 3000 qm getheerter Leinwand. Kostenanschlag 8400 Fr. Kaution 840 Fr. Lieferungsfrist 40 Tage.

Portugal. 1“ Nächstens. Königliche Eisenbahn⸗Direktion in Lissabon: Liefe⸗ rung verschiedener Werkzeuge für den Gebrauch in Werkstätten. Aus⸗ kunft in den Geschäftsräumen der Gesellschaft zu Paris, 28 rus de chateaudun.

Niederkande.— 22. November. Provinzialverwaltung in Harlem: der Ufer⸗Arbeiten an der Insel Urk während eines Zeitraums dom

3 Jahren. Kostenanschlag 10 000 Gulden jährlich.