1894 / 296 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 Dec 1894 18:00:01 GMT) scan diff

1 Königliches Schauspielhaus. „Der Konigsbote“, ein auspiel in drei Aufzügen von Adolf Wilbrandt, ging gestern Abend mit schönem Erfolg in Scene. Das Stück spielt um das Jahr 1014 auf dem Hofe eines alten norwegischen Häuptlings Ingimund, der ebensowenig von Odin lassen, wie sich der Herrschaft des norwegischen Königs Olaf unter⸗ werfen will. Der Königsbote Otfried, den der fromme und kluge König Olaf zum wilden Ingimund sendet, überwindet den hartnäckigen Widerstand des Häuptlings durch seine kühne und ge⸗ wandte Rede, aber mehr noch durch seine Thaten. Das stille Heldenthum des Königsboten, der seine aufwallende Leidenschaft sh des Häuptlings lieblicher Tochter Helgs mannhaft unterdrückt, weil ie seines Freundes Wolfhard heimliche Geliebte ist, und der seines reundes Leben durch geduldig getragene Schmach und durch die Kraft eines Armes beschützt, rührt auch das wilde Herz Ingimund's. Die rößte Sorgfalt hat der Dichter auf die Charakterzeichnung des önigsboten verwendet, der die Handlung beherrscht; Klugheit, Mannhaftigkeit, Opfermuth, brennende Liebe und schwermuthvolle Entsagung sind die Charakterzüge, durch die die Theilnahme der Zuschauer an erster Stelle auf ihn gelenkt wird. Neben ihm tritt am bedeutendsten der rauhe Häuptling Ingimund hervor, dessen Wildheit aber nicht ganz echt erscheint“ denn im Grunde ist sein naives Herz einem lustigen Scherz nicht abgeneigt, und beinahe mit fröhlicher Laune nimmt er trotz seiner schein⸗ baren leide schaftlichen Erregung das Ruhe gebietende Wort des Königsboten auf. Der mächtige Häuptling verwandelt sich so im Laufe der Handlung zu einem nach Kinderart trotzigen und eigenwilligen Mann mit edlen Herzensregungen. Die übrigen sonen sind zwar gleichfalls kräftig und klar gezeichnet, gewinnen aber ür den Fortgang der Handlung, von Wolfhard abgesehen, nur geringe Bedeutung. Der erste Akt erscheint wegen längerer Wortgefechte etwas weitschweifig. Im zweiten Akt setzt die Handlung dann kräftiger, fast tragisch ein, um im dritten mit Humor zu enden. Der größte Reiz des Dramas liegt im Dialog, der auch dann fesselt, wenn er das Fortschreiten der Handlung hemmt.

Die Inscenierung war sorgfältig vorbereitet worden und ent⸗ sprach glücklich der Stimmung, die der Dichter wecken will; wenn die lärmenden, zechenden Helden laut und fröhlich die Bühne füllten, man den Eindruck germanischer Urwaldskraft. Herr Molenar gab den Recken Ingimund rauh und trotzig, mit Augen, die ebenso zornig wie trunkfroh leuchten konnten. Die Rolle des Königsboten gab Herrn Matkowsky zu einer kraftvollen und vornehmen schauspielerischen Leistung Gelegenheit. Fräulein Lindner war eine liebliche Helga und Herr Purschian ein leiden⸗ schaftlicher Liebhaber. Alle übrigen Darsteller fügten sich trefflich dem

Zusammenspiel ein. Lessing⸗Theater.

Am Sonnabend begannen die italienischen Vorstellungen, die Eleonora Duse mit ihrer Gesellschaft veranstaltet. Als trittsaufführung war „La Signora dalle Camelie“ („Die Kameliendame) des jüngeren Dumas gewählt. Die Titelrolle gab Frau Duse, die aufs neue sich als eine Schauspielerin von nncna eshlicher Begabung und Größe erwies. Das Dumas'sche Stück ist an sich keine hervor⸗ ragende dramatische Leistung nach modernem Geschmack; die grotzen theatralischen Wirkungen werden auf Kosten der Wahrscheinlichkeit und Naturwahrheit erzielt. Die ganze gesellschaftliche Anschauung, die der Handlung zu Grunde liegt, erscheint uns schief und unver⸗ ständlich; aber in diesem Rahmen ist die Gestalt der Marguerite Gauthier in ihrer opfermuthigen Entsagung von dem Dichter am klarsten herausgearbeitet und fesselt darum das Interesse fast aus⸗ schließlich. Frau Duse versteht es, den hypersentimentalen Charakter durch ihr einfaches Spiel und die Ruhe und Sicherheit ihres Wesens in eine klarere und reinere Atmosphäre zu erheben, so daß aus der unnatürlich empfindsamen Heldin eine menschlich glaubhafte Erscheinung wird. Neben dieser Gestalt verschwinden fast alle übrigen Mitwirkenden und scheinen nur vor⸗ handen, um dem Spiel der Frau Duse als Folie zu dienen. Bei ihren früheren Gastspielen hatte Frau Duse in Signor Andé einen Mitspieler, der durch seine schauspielerische Kraft sich neben ihr Geltung verschaffte, wodurch die Gesammtwirkung wesentlich er⸗ höht wurde. Von der vüsee. Vorstellung bleibt als bedeutend nur die Leistung der Frau Duse zu erwähnen, die auch den verdienten

lebhaften Beifall fand.

Im Königlichen Opernhause wird morgen „Hänsel und Gretel“ (Fräulein Dietrich, Fräulein Rothauser, Frau Goetze, Ferr Hierauf folgt das Ballet „Karneval“ (Damen dell'Era,

rbanska). Im Königlichen Schauspielhause gelangen morgen das Lust⸗ spiel „Halali“ (Damen von Mayburg, Poppe, Schramm, Herren lein, Keßler, Grube, Pässchian⸗ ertzer) und „Militärfromm“ (Fräulein Lindner) zur Aufführung.

Im Neuen Theater wird morgen und am Sonntag, Nach⸗ mittags 3 Uhr, „Figaro's Hochzeit“, am Mittwoch und Donnerstag „Andrea“ gegeben. Am Freitag findet die erste Aufführung des Lust⸗ spiels „Der kleine Mann’ statt, das am Sonnabend und Sonntag Abend wiederholt wird. 3

Im Theater Unter den Linden bleiben die Operette „Der lustige Krieg“ und das „Tanzdivertissement“ bis einschließlich Freitag auf dem Spielplan. Am Sonnabend geht zum ersten Mal an dieser Bühne die Operette „Boccaccio“ von Suppé in Scene.

Die Direktion des Konzerthauses veranstaltet morgen zum Besten der „Deutschen Reichsfechtschule“ (Wohlthätigkeitsverein zum Zwecke der Waisenpflege) ein populäres Konzert. Eintrittskarten zu besonders ermäßigtem Preise sind bei allen Fechtmeistern sowie in der Geschäftsstelle des hiesigen Verbandes, im französischen Dom, Abends 5—7 Uhr, zu haben.

Offizieller Strecken⸗Rapport

der Königlichen Hofjagd im Springer Saupark

am Mittwoch, den 12. und Donnerstag, den 13. Dezember.

Die Jagd ergab mit einer am Nachmittag des 12. am Haller⸗ mundskopf und einer am 13. Vormittags am Sinngrün abgehaltenen Suche der Findermeute auf Sauen, sowie dem am Nachmittag des⸗ selben Tages im Hallerbruch abgestellten Jagen auf Damwild und Sauen die Gesammtstrecke von 140 groben und 171 geringen Sauen, 9 Schauflern und 21 Stück Damwild. Davon entfallen auf die 1““ Seiner Majestät des Kaisers und Königs 54 grobe, 6 geringe Sauen und 4 Schaufler, Ihrer Königlichen Hoheiten des Erbgroßherzogs von Oldenburg und des Fürsten von Hohenzollern bezw. 22 Sauen, 2 Schaufler und 4 Stück Damwild und 18 Sauen, 3 Schaufler und 3 Stück Damwild, Seiner Hoheit des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg⸗Schwerin 22 Sauen, Seiner Durchlaucht des Prinzen Albert von Sachsen⸗Altenburg 31 Sauen und Ihrer Durchlauchten der Prinzen Christian Victor und Albert zu Schleswig⸗Holstein 22 bezw. 17 Sauen. Das Wetter war der Jagd an beiden Tagen äußerst günstig. 8 8

Mannigfaltiges.

Die vor einiger Zeit ins Leben gerufene „Deutsche Gesell⸗ schaft für volksthümliche Naturkunde“ wird in der ersten Hälfte des Januar ihre erste Generalversammlung abhalten. Alle Meldungen und⸗Mittheilungen sind wie bisher an den Schriftführer Dr. L. Staby, SW., Dessauerstraße 23, zu richten.

Abgesandte von 21 deutschen Universitäten und 9 Technischen Hoch⸗ schulen, welche insgesammt 35 000 deutsche Studierende ver⸗ traten, hatten sich am Sonnabend hierselbst in den Victoriasälen versammelt, um über eine dem Fürsten Bismarck für dessen 80. Geburtstag, am 1. April 1895, zugedachte Huldigung der akademischen Jugend Beschluß zu fassen. Wie wir dem Bericht der „N. Pr. Ztg.“ entnehmen, wurde nach längerer Berathung die Her⸗ stellung einer Ehrengabe beschlossen, für welche der vom Professor Lessing ausgeführte Entwurf der Versammlung bereits vorlag, Letztere beschloß ferner, sich prinzipiell für eine Huldigungsfahrt zu entscheiden, für den Fall, daß diese angenommen werde. Wenn es sich ermögiichen läßt, soll im Anschluß an die Huldigung in Ham⸗ burg ein Kommers veranstaltet werden. Die Ueberreichung der Ehrengabe soll durch die Kommission erfolgen und eine etwaige Rede von dem Vertreter der Universität Göttingen gehalten werden.

Ueber die Witterung im November berichtet die „Stat. Corr.“ nach den Beobachtungen des Königlichen meteorologischen In⸗ stituts: Ein milder, sehr trüber, aber doch trockener Monat liegt mit

dem vergangenen November hinter uns. Seine Mitteltemperatur übertraf die normale im Südwesten um mehr als 1 Grad, sonst sogar um mehr als 2 Grad. Dieser Wärmeüberschuß ist vornehm⸗ 19 den hohen Temperaturen in der ersten Hälfte des Monatz zuzuschreiben, welche um mehr als 5 Grad über dem vieljährigen Durchschnitte lagen; zu Ausgang des Monats dagegen sank die Temperatur mehrere Grade unter die normale und meist auch unter den Gefrierpunkt. Entsprechend der trüben Witterung war die Tages⸗ schwankung der Temperatur eine äußerst geringe; sie betrug gewöhn⸗ lich weniger als 5 Grad. Niederschläge sind in ganz Norddeutschland erheblich zu wenig und zu selten gefallen, insbesondere in Schlesien und Thüringen, wo nur ein Viertel der normalen Menge gemessen wurde. Schnee ist fast nur gegen Ende des Monats beobachtet worden und rief außer im Hochgebirge nirgends eine nennenswerthe oder länger andauernde Schneedecke hervor. Besonders hervorzuheben ist die außerordentlich große Bewölkung, der zufolge die Sonnenschein⸗ dauer kaum ein Fünftel der überhaupt nstgen betrug. Die einzige Ausnahme hiervon zeigen die höchsten Berggipfel, wo sogar eine beträchtliche Zahl heiterer Tage notiert worden ist. In der ersten Hälfte des Monats veranlaßten Depressionen im Nordwesten, denen hoher Luftdruck im Osten gegenüberstand, warme Winde aus dem süd⸗ westlichen Onadranten. Die Temperatur stieg infolge dessen rasch bis zum 3. und blieb dann bis zur Mitte des Monats unter mancherlei Schwankungen übernormal. Am 16. November jedoch trat ein Umschlag ein, als der Kern hohen Luftdrucks cch von Osten her mehr nach Zentral⸗Europa verlagerte. Nächtliche Aus⸗ strahlung bei Windstille, abwechselnd mit schwacher Luftströmung aus dem kalten Innern Rußlands, brachte die Temperatur nunmehr schnell zum Sinken. Mit geringen Aenderungen bestand diese Wetterlage bis zum 28. des Monats, wo eine tiefe Depression im Norden ihren Einfluß über Deutschland erstreckte und zum Monatsschlusse bei west. lichen Winden einige Erwärmung, aber auch Regen⸗ und älle im Gefolge hatte.

Wien, 17. Dezember. Gestern Nachmittag fand, „W. X. B.“ meldet, im Rathhause die feierliche Uebergabe des von den Damen Wiens gespendeten Ehrenbanners für die E’ genossenschaft anläßlich des fünfundzwanzigjährigen Bestandes dieser Genossenschaft statt. Die Feier, an welcher der Erzherzog Carl Ludwig als Vertreter des Kaisers, ferner die Minister Fürst Windisch⸗ grätz, Marquis Bacquehem, von Madeyski, sowie der Statthalter, der Präsident des Abgeordnetenhauses und die Spitzen der Gesell⸗ schaft theilnahmen, gestaltete sich zu einer erhebenden Loyalitätskund⸗ gebung für den Kaiser und den Erzherzog Carl Ludwig.

Paris, 15. Dezember. Die Leichenfeier für Ferdinand von Lesseps fand, wie „W. T. B.“ meldet, heute in der Kirche Rue des Gros Cailloux in Anwesenheit mehrerer Mitglieder des diplomatischen Korps sowie einer überaus zahlreichen Menge statt. Auf dem Kirchhof Pore⸗Lachaise wurden mehrere Reden gehalten. Eine militärische Ehrenbezeugung wurde dem Todten nicht erwiesen, weil der Leichnam im Grabgewölbe beigesetzt wurde und militärische Ehrenbezeugungen nur in der Wohnung des Verstorbenen dargebracht werden können. 18 1

Nach Schluß der Redaktion eingegangene Depeschen.

Bukarest, 17. Dezember. (W. T. Ferdinand von Rumänien ist heute abgereist.

Kopenhagen, 17. Dezember. (W. T. B.) Wie ver⸗ lautet, erklärten sich die beiden öu des Folkethings, Christensen Stadil und Trier, mit dem abge⸗ tretenen Präsidenten Högsbro solidarisch und legten heute ihre Mandate nieder.

B.) Der Prinz früh nach Coburg

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Wetterbericht vom 17. Dezember, 8 Uhr Morgens.

haus.

Bar. auf 0 Gr u. d Meeres p. red. in Millim

761

Christiansund

Kopenhagen. 760 Stockholm.

anda. 747

t. Petersbg. 748.

Cork, Queens⸗ towo 763 Cherbourg. . 767 768 611718 burg. 764 ahrwasser Memel . 751 FEö““ 751 766 768 768 765 763 759 758 757

SA 88

wolkenlos Steinmann.

wolkenlos halb bed. Schnee

* Porbodogbroee

Regen bedeckt wolkig wolkenlos e he. wolkenlos

wolkig halb bed. Nebel

wolkig wolkenlos Schnee wolkig wolkig Eehe⸗

nee bedeckt bedeckt

771 wol

761 1 1 halb bed. 761 1 1 wolkenlos

Uebersicht der Witterung.

8 Hochdruckgebiet, zeen Kern über frankreich liegt, breitet sich nordwärts nach Skan⸗ mäßigte dinavien aus, während über Nordwest⸗ und Nordost⸗ Géne.

Europa Depressionen lagern. Der Luftdruckver⸗ theilung entsprechend wehen über Deutschland vor⸗

wiegend westliche bis nördliche Winde, welche auf dem Streifen Swinemünde München vielfach stark

auftreten; in Nordwestdeutschland ist Aufklaren eingetreten und herrscht jeßt vorwiegend heiteres

Wetter, welches sich demnächst weiter ostwärts aus⸗

breiten dürfte, während in den südlichen und öst⸗

lichen Gebietstheilen stellenweise Schneefälle statt⸗

finden. Die Temperatur ist in Deutschland fast

überall ““ sodaß größtentheils wieder leichter

ost eingetreten ist. In Deutschland ist überall

Niederschlag gefallen. Deutsche Seewarte.

bote.

S2lSUoe ESUb8aeenenbaöeneeöhA

Sans⸗Gene. West⸗ Mittwoch,

Ein

44. Male:

Theater⸗Anzeigen.

Königliche Schauspiele. Dienstag: Opern⸗ 269. Vorstellung. Märchenspiel in 3 Bildern von Engelbert Humper⸗ dinck. Text von Adelheid Wette. vom Ober⸗Regisseur richtung vom Ober⸗Inspektor Brandt. Kapellmeister Weingartner. Burleske in 2 Aufzügen von Emil Graeb. Musik von Adolf Steinmann. Anfang 7 ½ Uhr.

Schauspielhaus. 282. Vorstellung. Halali. Lust⸗ spiel in 4 Aufzügen von Richard Skowronnek. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube.

Militärfromm. Genrebild in 1 Aufzug von Gustav 12 Bi von Moser und Thilo von Trotha. sept Ober⸗Regisseur Max Grube. Anfang

r

Uhr. Mittwoch: Opernhaus. 270. Vorstellung. Mar⸗ Oper in 5 Akten von Charles Gounod. ext nach Goethe's F Michel Carré. Ballet von Emil Graeb. vFrn Frau Emma Albani, als Gast.)

2 Schauspielhaus. 283. Vorstellung. Der Königs⸗ Schauspiel in 3 Aufzügen von Adolf Wil⸗ brandt. Die Philosophin. zug von Friedrich Roeber. Anfang 7 ½ Uhr.

Dentsches Theater. Dienstag: Die Webe Anfang 7 ½ Uhr.

Mittwoch: Blau. Cyprienne.

Donnerstag: Gespeuster.

Berliner Theater.

½4 Uhr: Die Karlsschüler. Preise.) 7 ½ Uhr: Madame Sans⸗

Donnerstag: Mabdame Saus⸗Gene.

Lessing⸗Theater. Dienstag: Dritter und letzter Duse⸗Abend. Anfang 7 ½ Uhr.

Mittwoch: Zwei Wappen.

Donnerstag: Zwei Wappen.

Residenz ⸗Theater. Direktion: Sigmund Lautenburg. Dienstag: Zum Der Unterpräf⸗kt. 3 Akten von Leon Gaudillot. Schönau. Vorher: Villa Vielliebchen. Lust⸗

Villa Vielliebchen.

Hänsel und Gretel.

In Seene gesetzt Tetzlaff. Dekorative Ein⸗ Dirigent:

Ballet. Dienstag:

Karneval. 3 Akten von Johann

Dirigent: Musikdirektor

Sonntag,

Ausstattungsoperette mit Idern.

In Scene ge⸗

Direktion: Julius Fritzsche.

und Rich. Genée. Regie: Herr Unger. Federmann. Hierauf:

aust, von Jules Barbier und (Mar⸗ Anfang

Anfang 7 ½ Uhr.

Lustspiel in 1 Auf⸗ vpon Suppé.

8

8

r.

Thomas a. G. um 110. Male: osse mit Gesan

ingré's Reiße

Dienstag:

Anfang 7 ½ Uhr. (Er⸗

Gesangsposse mit Tanz.

Heimath. (Casa paterna.)

pien in 1 Akt von Benno Jacobson. Anfang 8 Mittwoch und folgende Tage: Der Unterpräfekt.

Friedrich ⸗Wilhelmstädtisches Theater. Chausseestraße 25/26.

Die Fledermans.

trauß. Anfang Mittwoch: Die Fledermaus. den 23. Dezember: neuer Ausstattung an Dekorationen, Kostümen und Requisiten: Orpheus in der Unterwelt. Große 4 großen Ballets in

88 8 Theater Unter den Linden. Behrenstr. 5557. Dienstag: lustige Krieg. Operette in 3 Akten von F. Zell Musik von Johann Strauß. Dirigent: Herr Kapellmeister Tanz⸗Divertissement. Arrangiert vom Balletmeister Herrn Louis Gundlach.

Sonnabend, den 22. Dezember: Neu einstudiert: Boccaccio. Operette in 3 Akten Musik von Franz

Zentral⸗Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Direktion: Richard Schultz. Dienstag: Emil Anna Bäckers. O, diese Berliner! und Tanz in 6 Bildern (nach durch Berlin“) Frergd Musik von Julius Einödshofer. Anfang

½ Uhr. Mittwoch: O, diese Berliner!

Adolph Ernst-Theater. Vom 17. bis inkl. Hr. 24. Dezember: Keine Vorstellung.

In Vorbereitung: Ein sideles Corps. Große n 4 Nach dem „A Gaiety Girl“ von Jonas Sidney frei bearbeitet von Eduard Jacobson und Jean Kren.

Saal Bechstein. Linkstraße 42. Dienstag, Anfang 7 ½ Uhr: Konzert der Sängerin Vera Goldberg, unt. gef. Mitw. d. Frl. Meta Lippold, des Herrn Wilh. Berger, sow. eines kl. gemischten Chors u. Leit. d. Herrn Prof. Ad. Schultze.

Birkus Renz

(Karlstraße). Dienstag, Außer⸗

ordentliche Vorstellung. IIo Ni En. (Beim Jahreswechsel in Peking.) Neue Mustkeinlagen. Poa ma, (gr. Pferdespringen). Außerdem Auftr. des Frl. Wally Renz, Tochter des Direktors als Schulreiterin mit dem Schulpferd Cromwell. Das Apportirpferd Mohr, hierauf Prinz Carneval und sein Gefolge, kom. equestr. Arrangement von Herrn R. Renz. Great Hurdle Race, geritten von Damen und Herren mit 20 Vollblutspringpferden. Auftret. des Schulreiters Herrn R. Renz mit dem Schulpferd Prinz. Auftreten der renommirtesten Künstlerinnen und Künstler. Auft. des unerreichb. E1“ Mr. Jules Keller, Mr. Levater Lee, August u. Clown. Gebr. Villand exzentr. Clowns. Anfang 7 ½ Uhr. Mittwoch u. Hüteenbe Tage: TIo Ni En.

8 Familien⸗Nachrichten.

Verlobt: Frl. Hildegard Kolbe mit Hrn. Ritter⸗ utsbesitzer Jankwitz (Hamburg-Ellguth teinau O.⸗S. Verehelicht: Hr. Regierungs⸗Assessor Dr. Wieden⸗ feld mit Frl. Agnes Kauffmann (Hörde). Geboren: Ein Sohn: Hrn. von Bredomw⸗ Schwanebeck (Berlin). Hrn. Stabsarzt Dr. Brix (Krossen a. O.). Hrn. Landrichter Hinderer Shn Eine Tochter: Hrn. Pastor Ruhm essel). G Gestorben: Verw. Fr. Erblandmarschall Francitka von Flemming, geb. von Schöning (Berlin). eh. Rechnungs⸗Rath Robert Kraatz (Berlin) Fr. Agnes von Stechow, geb. von Münchow (Dresden).

erette in

& Uhr. Mit vollständig

Der

Dora.

Josefine Große

von Julius

8

englischen Verantwortlicher Redakteur:

Blumenstraße Nr. 9. Konzert. Konzert Schwank in

Deutsch von Max

der Waisenpflege).

Konzerte.

Konzert⸗Haus. Dienstag: Karl Meyder⸗ zum Besten Reichsfechtschule (Wohlthätigkeitsverein zum Zwecke

J. V.: Siemenroth in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin⸗

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagl⸗ Anstalt, Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.)

1 Sieben Beilagen 8 (einschließlich Börsen⸗Beilage).

der Deutschen

(1919;

politik des

b Deutscher Reichstag. 7. Sitzung vom Sonnabend, 15. Dezember, 12 Uhr.

Die Besprechung der Interpellation der Dr. Paasche und Dr. Friedberg (nl.), betreffend Ab⸗ änderung des Zuckersteuergesetzes, wird fortgesetzt.

Ueber die Reden der Abgg. Dr. Meyer⸗Halle (fr. Ver.) und Spahn (Zentr.) ist bereits in der Nummer vom Sonn⸗ abend berichtet worden. Nach dem Abg. Spahn erhält das Wort der

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Der Abg. Richter geht um den Kern⸗ punkt der Frage herum; er verschweigt und vergißt, daß die Prämie, die bei uns gewährt wird, nicht ausreichend ist, den Vorsprung aus⸗ zugleichen, den Frankreich mit seiner viel höheren Prämie vor dem deutschen Export hat. Der Abg. Richter wies auf die Vermehrung der Sachsengängerei hin. Dieselbe ist freilich ein Uebel, aber wir haben nun einmal die große Zuckerindustrie, und wir können sie doch schließlich nicht todtsch agen. Solche Thatsachen sind unumstößlich. Die Zuckerindustrie ist eine große Exportindustrie, und wenn nicht eine schwere Krisis hereinbrechen soll, dann muß ihre Exportfähigkeit aufrecht erhalten werden. Den wirthschaftspolitischen nem gen des Abg. Richter kann ich nicht folgen. Die Möglichkeit des Ab⸗ schlusses der Handelsverträge hat ihre Wurzel in der Wirthschafts⸗ ürsten Bismarck; denn ohne Getreidezölle hätten wir kein Kompensationsobjekt zur Verfügung gehabt. Bezüglich der Zucker⸗ prämien ist schon 1891 festgestellt worden, daß, wenn die anderen Staaten mit der Aufhebung der Prämien nicht nachfolgen, wir auch bei den Prämien stehen bleiben werden. Ich kann daher der Regierung für die entgegenkommende Aufklärung nur meinen Dank cus gcheng f von Mirbach (dkons.): Ich

g. Graf von Mirba ons.): werde nur aphoristisch sprechen. Zu der Rede des Abg. Dr. Meyer bemerke ich, bonftisch durch dieselbe wiederum trotz seiner gegentheiligen Versicherung wie ein rother Faden ein tödtlicher Haß gegen die Landwirthschaft zieht. Dem Abg. Richter möchte ich besonders hinsichtlich des einen Punktes entgegnen, daß er am Freitag gesagt hat, die Viehzucht habe einen Aufschwung genommen. eiß denn der Abg. Richter nicht, daß diese Steigerung der Viehproduktion nur eine vorübergehenee war und entstanden ist in⸗ folge des Mankos, das die Trockenheit und der Futtermangel im Jahre 1892 hervorgerufen hatte? Von den Herren auf der Linken wird eine Nothlage des landwirthschaftlichen Gewerbes vielleicht ein⸗ mal implicite anerkannt, aber generell doch geleugnet. Ich muß des⸗ halb heute wiederholen, daß das mobile Kapital sich seit Dezennien nicht an landwirthschaftlichen Betrieben versucht. Privatleute freilich kaufen Güter, da kommen aber persönliche Motive in Betracht; wir müssen das Kapital, loösgelöst von Personen und also auch persönlichen Verhältnissen, in Gestalt der Aktiengesellschaften betrachten, wenn wir zu einem richtigen Schlusse kommen wollen. Und da nennen Sie mir eine einzige Aktiengesellschaft, welche sich mit dem Betrieb der Landwirthschaft ich rede nicht von Nebenbetrieben befaßt. Wir sind dem Staatssekretär für seine Bemühungen zu ganz be⸗ sonderem Danke verpflichtet; ich kann darin nur eine wirksame Für⸗ sorge auf sozialem Gebiete sehen, und auch wir wollen die wirthschaft⸗ lich Schwachen unterstützen. Die Herren von der freisinnigen Partei sind natürlich für Konzentration des Kapitals. Ich kann den Herren darin freilich nicht zustimmen, wohl aber bin ich mit den Wünschen nach einem Handelsvertrage mit Nord⸗Amerika einverstanden für den Fall, daß unsere wirthschaftliche Lage dadurch eine günstigere wird. Die wichtigste Frage wäre dabei die Restitution des Silbers. Die Aufhebung der segensreichen Materialsteuer haben meine politischen Freunde bis zum letzten Augenblick bekämpft. Ich will aber nun meine Freude darüber aussprechen, daß die Nationalliberalen jetzt auf unserer Seite stehen und bereit sind, die Mißstände zu beseitigen. Die wirthschaftliche Lage ist so ernst, daß zu wänschen ist, daß alle staatserhaltenden Parteien zusammenstehen, um nach dieser Richtung hin Erfolge zu schaffen.

Abg. Wurm (Soz.) verweist darauf, daß die Sachsengängerei durch das Zuströmen der Arbeiter aus dem Osten in die Zuckergegenden die Bevölterung vollständig degeneriert hat. Die polnischen Arbeiter begnügen sich mit der schlechtesten Ernährung und schicken ihr Geld in die Heimath. Und solche Verhältnisse soll das deutsche Volk noch unterstützen durch die Zuckerprämien? Nicht bloß die Prämien Frankreichs und Oesterreichs erschweren der deutschen Zucker⸗ industrie den Export, sondern es kommt dabei auch der Rohrzucker als Konkurrent mehr in Betracht als früher. Die Prämien helfen nicht; das haben auch die Interessenten selbst theilweise anerkannt; es hilft allein eine Steigerung des Konsums durch Verbilligung der Zuckerpreise. 507 Millionen Mark sind an Prämien in die Taschen der Zuckerinteressenten geflossen, und wie schlecht haben die Unternehmer für ihre Arbeiter gesorgt.

Abg. Graf von Limburg⸗Stirum (dkons.): Im Gegensatz

zu dem Vorredner behaupte ich, daß gerade die Zuckerindustrie für die arbeitende Bevölkerung in den Gegenden, wo sie betrieben wird, großen Segen bringt. Auch ich beklage, daß wir kein Schutzmittel gegen den amerikanischen Werthzoll haben; es ist traurig, daß wir nach Bindung unserer Zölle nicht in der Lage sind, uns mit gleichen Maßregeln zu revanchieren. Wenn die Zeit gekommen sein wird, werden wir daher zu Autonomie⸗Tarifen zurückkehren müssen. Amerika hat mit seinen Zollmaßregeln den Verträgen direkt wider⸗ sprochen; zu Zeiten des Fürsten Bismarck hätte so etwas nicht passieren können. Die Worte des Präsidenten der nordamerikanischen Union allein haben für uns keinen Werth, auch ist es nicht wahrscheinlich, daß 8 im Senat Anklang finden werden. Ob es aber der Würde des 8 eichs entspricht, sich einen offenen Vertragsbruch gefallen zu lassen, ist eine andere Frage. Ich zweifle nicht daran, daß Amerika für die Aufhebung des Zuschlagzolls wieder Konzessionen unsererseits verlangen wird. Von der Gewährung solcher Konzessionen aber wird doch im Ernst keine Rede sein können. Das letzte Zuckersteuergesetz weist denselben Fehler auf, welcher bei den jüngsten Handelsverträgen eee. worden ist. Man setzt bei den Gegnern und Konkurrenten oyalität voraus, findet sie aber nicht. Bei der Abfassung des Ge⸗ setzes erwartete man, daßs die Konkurrenzländer gleichzeitig mit uns mit der Ermäßigung der Ausfuhrprämien vorgehen würden. Das ist nicht geschehen und darum ist die v der deutschen Zuckerindustrie auf dem Weltmarkt durch das Ge etz von 1891 erheblich verschlechtert worden. Für unsere Zuckerindustrie kann nur der Gedanke der Feingensierugg Hilfe bringen unter gleichzeitigen Bemühungen, eine internationale egelung der Prämienfrage anzubahnen. .

Die Interpellation ist damit erledigt.

Es folgt der mündliche Bericht der Geschäftsordnungs⸗ kommission über das Schreiben des Reichskanzlers wegen der Eaffechtlichen Verfolgung des Abg. Liebknecht

cz.) wegen Majestätsbeleidigung. Die Kommission beantragt:

Die vom Staatsanwalt am Königlichen Landgericht I Berlin

beim Reichstage nachgesuchte Genehmigung zur Einleitung des Strafverfahrens gegen den Reichstags⸗Abgeord⸗ neten Liebknecht wegen Majestätsbeleidigung während der Dauer der gegenwärtigen Sitzungsperiode nicht zu ertbeilen.

u. G

Abgg.

Die Kommission für die Geschäftsordnung aufzufordern, unter Vorsitz des Präsidenten des Reichstags alsbald den Entwurf einer Abänderung und Vervollständigung der, Geschäfts⸗

ordnung auszuarbeiten und dem Reichstage zur Beschlußfassung

vorzulegen, durch welchen die Disziplinargewalt des Reichstags und des Präsidenten gegen die Reichstagsmitglieder während der Ausübung ihres Berufs in angemessener Weise verstärkt wird.

Referent Abg. Dr. Pies el (nl.): Die Geschäftsordnungs⸗ kommission hat den Antrag des Reichskanzlers, betreffend Ertheilung der Genehmigung des Reichstags zur strafrechtlichen Verfolgung des 19 Liebknecht, berathen. Nach zwei Richtungen wurde eine Ueber⸗ einstimmung der Kommission erzielt, mit Ausnahme des Abg⸗ Singer: erstens, daß in dem Vorfall vom 6. Dezember eine Persena der Gefühle des Hauses und ein Verstoß gegen die Würde des 1 zu sehen ist (Beifall). Alle waren außerdem einig darin, daß die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion nicht gezwungen werden könnten, an einer ihnen nicht genehmen Ovation theilzunehmen. Was nun die Sache selbst anlangt, so herrschte zunächst darüber Ueber⸗ einstimmung, daß Abg. Liebknecht durch gerichtliches Verfahren der Theilnahme an den Seh. des Hauses nicht entzogen werden dürfe. Die Debatte drehte sich darum, ob in Art. 30 der Ver⸗ fassung nach seiner Entstehung und seinem Sinne unter „Aeu⸗ ßerungen“ nur ausgesprochene Meinungen verstanden werden müßten. Die große Mehrzahl der Kommissionsmitglieder war der Ansicht, daß unter „Aeußerungen“ konkludente Hand⸗ lungen, also auch konkludente Unterlassung zu verstehen seien. Das entspricht der Praxis der Gerichte und der Auffassung der bedeutendsten Staatzrechtslehrer. Dann gingen die Meinungen aus⸗ einander über die Frage, ob die „Aeußerung“ „in Ausübung des Berufes“ erfolgt sei. Die Mehrheit der Kommission bejahte diese Frage. Von einer Seite wurde betont, daß in diesem Falle mit ganz besonderer Energie dem Antrage des Staatsanwalts entgegengetreten werden müsse, da es sich hier zum ersten Male um einen Versuch einer Einmischung in innere Angelegenheiten des Reichstages handle und auch Art. 27 der Verfassung in Frage komme. Von einem Mitgliede aus der Minderheit der Kommission wurde die Ansicht ausgesprochen, daß die Immunität nur gelte für Aeußerungen, die in Ausübung des Berufes als solchen gefallen seien, und nur für die „berechtigten“ Aeußerungen Geltung haben könne. Von anderer Seite wurde betont, daß es sich hier um ein politisches Vergehen handele, das von dem S. sartikel nicht gemeint sei. Die Ablehnung des Antrags des Reichskanzlers erfolgte mit 9 gegen 4 Stimmen. Mir ist außerdem noch der ausdrückliche Auf⸗ trag geworden, dem Hause mitzutheilen, daß die Ablehnung erfolgt sei nicht nur auf Grund des Art. 30, sondern auch des Art. 27. Es wurde sodann aus der Mitte der Kommission eine Resolution bean⸗ tragt, daß die Geschäftsordnungskommission über eine Verstärkung der Disziplinargewalt des Reichstags⸗Präsidenten als nothwendiges Korrelat der Immunität der Abgeordneten Beschluß fasse. Nachdem die Mehrheit der Redner in der Kommission sich dagegen erklärte, wurde diese Resolution zurückgezogen.

Roeren (Zentr.): Das ganze Haus hat den Vorgang, um den es sich handelt, mißbilligt; bezüglich meiner Partei kann ich nur auf unsere langjährige politische Haltung hinweisen; wir haben als Bürger eines monarchischen Staats immer die schuldige CEhrfurcht vor dem Monarchen bewiesen. Wir können uns aber nicht zu Be⸗ schlüssen verleiten lassen, welche für die Entwickelung unserer Ver⸗ fassung von den bedenklichsten Folgen wären. Denn bei Annahme des Antrags des Staatsanwalts würde die Immunität der Abgeord⸗ neten beseitigt; der Reichstag würde sich selbst für unfähig erklären, die Disziplin aufrecht zu erhalten. Ich habe die erste Nachricht für das Werk eines findigen Zeitungsreporters gehalten. Als sich der Ernst der Nachricht herausgestellt, hat die öffentliche Meinung so einmüthig dagegen Widerspruch erhoben, daß man die Zurückziehung des An⸗ trags hätte erwarten sollen. Man hätte dem Antrag eine Bedeutung nicht weiter beigemessen, wenn man hätte annehmen können, daß der Antrag der Initiative des Ersten Staatsanwalts in Berlin entsprungen sei. Allein die hierarchischen Verhältnisse der Staatsanwaltschaft ließen nicht annehmen, daß der Antrag ohne Anregung oder wenigstens ohne Genehmigung des Chefs der va i er waftens entstanden sei. Der neu ernannte Chef der Verwaltung hat dadurch zum ersten Male propria manu in die Privilegien dieses Hauses eingegriffen. Deshalb müssen wir uns prinzipiell mit der Sache beschäftigen. Der Antrag geht davon aus, daß der Vorfall eine Majestäts⸗ beleidigung involvierte und daß Art. 30 auf diesen Fall nicht anwendbar sei. Wir halten den Artikel für anwendbar, des⸗ halb brauchen wir uns mit der ersten Frage nicht zu befassen. Die Entscheidungen des Reichsgerichts sind oft so seltsam ausgefallen. Das dreifache Hoch auf Seine Majestät den Kaiser ist ein Akt der Hul⸗ digung, der dadurch nicht seines ethe beraubt werden sollte, daß das Einstimmen in das Hoch nicht mehr ein freiwilliges ist. Ob eine Beleidigung vorliegt oder nicht, ist gleichgültig; der Art. 30 ent⸗ scheidet. Die Deduktion eines der Regierung nahestehenden Blattes, daß der Abgeordnete aufhört, in der Ausübung seines Berufs zu han⸗ deln, wenn er eine strafvare Handlung begeht, kann ich nicht als richtig anerkennen. Auch die Deduktion des Staatsanwalts, daß es sich nicht um eine Aeußerung, sondern um eine Handlung handelt, ist juristisch nicht haltbar; wenn Handlungen strafbar sein sollen, aber Worte nicht, so würde derjenige, der eine wörtliche Majestätsbeleidigung begeht, straffrei bleiben; derjenige, welcher sie durch die That begeht wobei noch fraglich ist, ob sie überhaupt strafbar ist würde zu bestrafen sein. Der Art. 30 ist doch nur bestimmt dazu, den Abgeordneten völlige Unabhängigkeit und Freiheit der Bewegung zu schaffen, nicht aber ein Feld für die juristischen Interpretationskünste der Staatsanwaltschaft herzustellen. m die Streitfrage, ob unter dem Ausdruck der preußischen Verfassung: „Meinungen“ auch „Handlungen“ zu verstehen sind, zu beseitigen, hat man in der Reichsverfassung den Ausdruck „Aeußerungen“ angewendet. Deshalb ist der Antrag zu verwerfen, weil sonst der Reichstag das Recht der Selbstdisziplin aus der Hand eben würde. Die Frage der Verstärkung der Disziplinargewalt ist rüher schon mehrfach verhandelt worden. Bei der letzten Gelegen⸗ heit sprachen sich der Abg. von Helldorff und der Fürst Hohenlohe, der jetzige Statthalter von Elsaß⸗Lothringen, dahin aus, daß der Reichstag mit 6 sein Hausrecht wahren müsse. Wird doch in das Hausrecht des Reichstags eingegriffen, so müssen wir den Eingriff zurückweisen, und zwar so, daß er nicht wieder versucht wird. Es entspricht nicht der Würde des Reichstags, daß seine Ver⸗ handlungen von einem Polizeibeamten durchgesehen werden, um zu sehen, ob der Reichstag in angemessener Wene seine Berufsthätigkeit erledigt hat. Meine Freunde haben nichts dagegen, daß eine Ver⸗ schärfung der Geschäftsordnung herbeigeführt wird. Man kann sich darüber verständigen; aber im Anschluß an diesen Fall können wir die Resolution nicht annehmen, weil wir damit eingestehen würden, daß wir durch die Staatsanwaltschaft dazu veranlaßt sind. Wenn die Resolution doch angenommen werden sollte, so geschieht das un seits nicht, weil der Staatsanwalt dazu angeregt har⸗ u“

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe: 8

Der Herr Vorredner hat mit Beredsamkeit das Recht der Im⸗ munität des Reichstags vertheidigt; er hat Besorgnisse aus dem Antrag abgeleitet, denen ich entgegentreten muß.

Eingegangen ist folgende Resolution der⸗Abgg Abt (nl.) en. 1

Wenn er z. B. gesagt hat, daß künftig nach einer Sitzung der

sschen Staats⸗

Staatsanwalt aus den Aeußerungen, die hier in der Sitzung gefallen sind, einen Grund zur Anklage entnehmen könne, so möchte ich nur darauf hinweisen, daß es sich da eben um Aeußerungen, die gefallen sind, um Worte, daß es sich aber im vorliegenden Falle nicht um Aeußerungen, sondern um Thatsachen handelt. Ich möchte zunächst einmal die Thatsachen feststellen, wie sie gekommen sind.

In der Sitzung vom 6. d. M. hat ein Theil der sozialdemokra⸗ tischen Partei sich geweigert, aufzustehen bei dem Hoch, das auf Seine Majestät den Kaiser ausgebracht wurde. Diese Demonstration hat das monarchische Gefühl der Mehrheit des Reichstags, wie wohl nicht be⸗ stritten werden kann, verletzt. Gegenüber der allgemein sich geltend machenden Entrüstung der Mehrheit des Reichstags war der Herr Präsident, wie er selbst erklärte, nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen und eine Sühne eintreten zu lassen. Unter diesen Umständen blieb zur Herbeiführung dieser Sühne nichts Anderes übrig, als die Hilfe der

kraten.) Der Reichstag sollte durch den Antrag des Staatsanwalts den ich dem Reichstag übergeben habe, in die Lage versetzt werden, zu entscheiden, ob er die Verletzung seiner monarchischen Gefühle ahnden wolle oder nicht. (Sehr gut! rechts.)

Daß eine solche Verletzung der monarchischen Gefühle der Majorität des Reichstags stattgefunden hat, geht auch aus dem Um⸗ stande hervor, daß, wie man mir gesagt hat, und was ich nicht zu bezweifeln habe, den sozialdemokratischen Abgeordneten mitgetheilt worden ist, es werde ein Hoch auf Seine Majestät den Kaiser aus⸗ gebracht werden. Trotzdem blieb ein Theil der Herren ging hinaus Herr Liebknecht sitzen. Darin mußte der Reichstag, wie er es auch durch laute Kundgebungen bethätigt hat, eine Verletzung seiner Würde und seiner monarchischen Gefühle erblicken.

Nun hat allerdings der Herr Abg. Liebknecht in einer späteren Sitzung gesagt, er sei nur aus Zufall sitzen geblieben und eine absicht⸗ liche Demonstration habe nicht stattgefunden. Ich will die Wahr⸗ heit seiner Erklärung in keiner Weise in Zweifel ziehen; indessen möchte ich doch fragen: warum hat denn der Herr Abg. Liebknecht geschwiegen, als dann der Herr Abg. Singer in einer sehr ge⸗ hässigen Weise die Thatsache des Sitzenbleibens kommentiert und interpretiert hat? (Sehr richtig! rechts.) Das sind die Thatsachen, die mich dazu geführt haben, den Antrag des Staatsanwalts Ihnen zu überweisen. Sie haben, meine Herren, das Recht, darüber zu urtheilen und zu entscheiden, wie es Ihnen beliebt. (Bravo! rechts, Zuruf links.)

Abg. Graf Mirbach (dkons.): Der Abg. von Helldorff ist für uns keine Autorität; wenn er aber noch hier in unserer Mitte e, würde er wohl unferer 7 sein. Der Abg. von Helldorff ber auch bei seinen Worten solche Vorkommnisse nicht im Auge gehabt. Der Reichstag hat nicht zu prüfen, ob der vorliegende Thatbestand zu einer Verurtheilung führen muß oder nicht, das sind nur theoretische Erörterungen. Bei schweren strafbaren Handlungen, und wo der Thatbestand durch die Dauer der Session einer Verdunkelung unter⸗ liegen könnte, müssen wir dem Strafantrag Felge geben; aber meine Freunde vertreten auch seit einer Reihe von Jahren die Ansicht, daß bei Majestätsbeleidigungen das Strafverfahren nicht aufgehalten werden soll. Unser neulicher Antrag auf Ueberweisung an die Fommission war lediglich in diesem Sinne gestellt. Wir halten einfach an der Konsequenz unserer früheren Stellungnahme fest, wenn wir das Haus .- bitten, die Strafverfolgung zuzulassen. Nach den eigenen Erklärungen des Abg. Bebel über seine Stellung zur Krone treten die Sozial⸗ demokraten aus dem Rahmen der bestehenden Staatsordnung voll⸗ kommen heraus, und welche Konsequenzen man daraus ziehen kann, ist ziemlich einfach. Der Resolution können wir unsere Zustimmung nicht versagen. Der Präsident und namhafte Mitglieder des Hauses sind ja in Verbindung getreten, um eine Aenderung der Geschäfts⸗ ordnung herbeizuführen, die ein größeres Strafmaß giebt, und wir sehen diese Nothwendigkeit ein. Man wird mir nicht vorwerfen, daß ich jemals die Stellung, welche mir die preußische Verfassung im Herrenhause und die Reichsverfassung hier anweist, irgend⸗ wie verdunkelt oder verschoben hätte. Ich stehe mit allen meinen Frngden auf dem Standpunkt, daß wir für uns die völlige Unabhängigkeit de lege ferenda in Anspruch nehmen und ebenso den Schutz, den uns Art. 30 nach dieser Richtung gewährt. Ich habe mich stets bemüht, diese Auffassung zu be⸗ thätigen und in die Praxis zu übertragen. Aber auf welchem Stand⸗ punkt man sonst auch steht, so muß man doch zugeben, daß in diesem Privilegium und der unbeschränkten Redefreiheit für uns ein Kompelle und ein nobile officium dem Bundesrath gegenüber und nicht an letzter Stelle den verbündeten deutschen Fürsten gegenüber liegt: ein nobile officium, ihnen die Ehrfurcht zu geben, die wir ihnen allezeit geschuldet haben. Und von diesem Standpunkt aus werden meine Freunde in allen Fällen, wo es sich um die Verletzung eines Souveräns handelt, die Strasverfolgung eintreten lassen.

Abg. Singer (Soz.): Der Vorredner hat also einfach die Billi⸗ gung für einen Verfassungsbruch ausgesprochen, denn es handelt sich nicht bloß um die Immunität des einzelnen Abgeordneten, sondern vor allen Dingen um die Aufrechterhaltung und Ausführung der Ver⸗ I“ Allerdings beruht unsere Haltung auf der ee unserer Anschauungen; aber wir fallen dadurch nicht aus dem Rahmen der jetzigen Staatsordnung heraus, denn auf dieser (der linken) Seite des Bundesraths siten Männer, welche Vertreter von Republiken sind und mit dem Abg. Grafen Mirbach wohl nicht einverstanden sind. Der Reichskanzler meinte, es sei nichts Anderes übrig geblieben, als die Hilfe der Gerichte anzurufen. Das kommt schließlich darauf hinaus, daß ein Gendarm hier stationiert wird, eer bei jeder Ungehörigkeit, gegen die der Präsident nicht einschreiten kann, den Uebelthäter zum Feause hinausbefördert. Dem Zentrum dürfte es nicht unbekannt sein, daß ein ihm nahe stehender Landes⸗ vertreter, Herr Ruhland, beim Hoch auf den Monarchen sitzen ge⸗ blieben ist. Ueber den Artikel der „Norddeutschen Allg. Z.“ will ich nicht reden; es ist ihr eine grobe Fälschung nachgewiesen, sie hat die⸗ selbe noch nicht widerrufen. Ob die Regierun sich die es Blattes bedient, ist ihre Sache. Aber wichtiger ist die offiziöse hrc des Ministers des Innern von Preußen, die „Berliner Korrespondenz“. Sie spricht auch von dem Sturm patriotischer Entrüstung sogar im Volke. Mir ist davon nichts bekannt geworden. Es sind freilich schon andere Entrüstungsstürme hervorgerufen worden; warum nicht auch diesmal? Wenn der Minister des Innern Ent⸗ rüstungsversammlungen inscenieren will 8. will für jede einzelne zehn entgegensetzen, die das Gegentheil thun werden. Wenn die „Berliner Korrespondenz“ bei Ablehnung des Antrags mit anderen gesetzlichen Bestimmungen droht, so müssen wir doch f die früheren Vorgänge zurückkommen. Beim sogenannten Maulkorbgesetz hat sich gezeigt, daß mit Ausnahme der Re ten niemand gewillt war, die köse disziplin des Reichstags zu beschränken. Der national⸗liberale Prä⸗

sident von Simson hat sich damals entschieden gegen jede Beschränkung

Gerichte in Anspruch zu nehmen. (Heiterkeit bei den Sozialdemo-⸗