bedürfen, wie eine solche Steigerung wirken wird auf die grubengare Sohl⸗ ledergerberei in Deutschland, wie sie wirken wird auf die Rothgerberei, die namentlich die Oberleder, die Zeugleder, die feineren Ledersorten herstellt, wie eine solche Produktionsvertheuerung endlich wirken würde auf unsern Lederexport und auf unsere Schuhwaarenindustrie. Es liegt
nämlich die Gefahr vor, daß, wenn man die Produktionskosten durch.
Einführung eines Quebrachoholzzolles wesentlich vertheuert, dieser Nutzen zunächst nicht der grobgaren deutschen Sohlleder⸗
serberei zu gute kommt, sondern dem ausländischen Leder⸗ import; denn durch den belgischen Handelsvertrag ist der Zoll auf Leder bekanntlich von 36 auf 30 ℳ pro 100 kg ermäßigt; da aber zur Herstellung von 100 kg Leder etwa 500 kg Gerbstoff gehören, so hat die Erleichterung der Produktionskosten im Inlande nur 5 %✕ 50 ₰, d. i. 2,50 ℳ für 100 kg Leder betragen, während der Schutzzoll gegen den Lederimport um 6 ℳ ermäßigt ist; es liegt also eventuell die Gefahr vor, daß an Stelle der stärkeren Entwickelung der einheimischen Lederindustrie, die mit einheimischem Material arbeitet, eventuell ein stärkerer Lederimport vom Ausland eintritt. Wenn man aber auch von diesen Bedenken absehen wollte, so liegt ferner die Gefahr vor, daß an Stelle der exotischen Gerbe⸗ mittel eventuell die zollfrei eingehenden Rinden und Lohen, namentlich Oesterreich⸗Ungarns und Frankreichs treten. Die französische Rinde ist bekanntlich wesentlich feiner und hochwerthiger wie die deutsche, und von den deutschen Lederinteressenten wird auch behauptet, daß die deutsche Rinde minderwerthiger sei wie die österreichische, weil die ausländische Rinde besser getrocknet und sortiert sei. Würde nun
der Fall eintreten, daß an Stelle des Quebrachoholzes die ausländische Lohe und Rinde tritt, so würde die wirthschaftliche Wirkung, die die
Herren für den deutschen Schälwald erreichen wollen, möglicherweise theilweise in Frage gestellt werden können, wenngleich eine Preis⸗ erhöhung der heimischen Rinde immerhin zu erwarten wäre.
Meine Herren, die Sache ist also außerordentlich verwickelt und bedarf eventuell einer eingehenden Prüfung. Die verbündeten Regierungen haben diese Frage noch nicht zum Gegenstand weiterer Erörterungen gemacht; ehe sie sich darüber schlüssig machen sowohl bezüglich etwaiger internationaler Verhandlungen wie bezüglich der Erwägung der Einführung eines Zolls auf ausländische Gerbestoffe, werden sie zunächst abwarten, wie die Mehrheit dieses Hauses votieren wird. Ich habe es aber für meine Pflicht gehalten, auf die Schwierigkeiten, den Zweck zu erreichen, den Sie eigentlich verfolgen, schon jetzt auf⸗ merksam zu machen. Im übrigen stehen die verbündeten Regierungen durchaus auf dem Standpunkt: ein Arcanum, der Landwirthschaft generell zu helfen, giebt es nicht, sondern nur eine wohlwollende Detailarbeit von Fall zu Fall kann den Wünschen der Landwirth⸗ schaft entgegenkommen; ein solcher an sich sachlich berechtigter Wunsch ist unzweifelhaft der Schutz des Schälwalds, bei der wirthschaftlichen Bedeutung, die er namentlich für Gebirgsgegenden hat, wo ihm die Aufgabe zufällt, die steilen Hänge festzuhalten, um zu verhindern, daß die unterliegenden Fluren allmählich unter dem Ge⸗ rölle begraben werden.
Wir werden also zunächst abwarten, wie sich die Mehrheit des Reichstags zu der Frage stellt, und dann unsererseits in eine nähere Prüfung der Angelegenheit eventuell eintreten. (Bravo! rechts.)
Abg. Wurm (Soz.): Wir werden ganz entschieden gegen die W“ beantragten Zollerhöhungen stimmen, die nur die ärmere Bevölkerung belasten; würden. Ebenso werden wir gegen den Quebrachozoll stimmen. Auch in der Gerberei⸗Industrie sind Tausende von Arbeitern beschäftigt, und diese Industrie würde schwer geschwächt werden, wenn der Zoll eingeführt würde. Wenn die Schälholz⸗ waldungen eingehen, so ist das nur die Folge davon, daß die alte e e nhg veraltet ist. Wir stimmen auch gegen die Kommissions⸗
athung.
25 Kröber (südd. Volksp.) wendet sich gegen die Abänderung der Zollbestimmungen für den im Grenzverkehr, die haupt⸗ sächlich die kleinen Schneidemühlen treffen würde. 1
Um 5 ½¼ Uhr wird die weitere Berathung vertagt.
Höhe der Schneedecke in Zentimetern 8 am Montag, den 21. Januar 1895, um 7 Uhr Morgens.
Mitgetheilt vom Königlich preußischen Meteorologischen Institut. Die Stationen sind nach hebieten geordnet.)
Memel (Dar Zestliche Föstenflässs sterb Pregel) Memel (Dange) 7, Tilsit (Mem „ Insterburg ( el) 10, Heilsberg (Pregel) 5, Königsberg i. Pr. (Pregel) 6.
Weichsel.
Groß⸗Blandau (Bobr. Narew) 10, Czerwonken (Bobr,
) —, Marggrabowa (Bobr, Narew) 11, Klaussen (Pi a) —, Neidenburg (Wkra) 12, Osterode (Drewenz) 5, Altstadt (Drewenz) 5, Thorn 9, Konitz (Brahe) 23, Bromberg (Brahe) 12, Berent (Ferse) 3, Marienburg (Nogat) 9.
Kleine Flage zwischen Weichsel und Oder. Lauenburg i. P. (Leba) 4, Köslin (Mühlenbach) 10, Schivelbein (Rega) 9. Ob er.
Leobschütz (Zinna) 0, Ratibor 5, Beuthen
Orpeln 3., Habelschwerdt (Glatzer Neisse) 9, B
Neisse) 62, Reinerz (Glatzer Neisse) 38, Glatz
Neisse) 14, Görbersdorf (Glatzer Neisse) —, Friedland (
Neisse) 43, Weigelsdorf (Glatzer Neisse) d, Rosenberg (8. tober)
Breslau 7, — ( 3, Fraustadt (Landgraben)
— Krummhübel (Bober) —, Wang (Bober) Eich⸗
Peecen Zese c Berlts cegäder haß ebemmenbeb hn⸗ Lausitzer Neisse) 6, 5.
(Ien- ”, 2he 18 e n sa 8seec-eneene
7. , euftettin „
„Ceaschehree (Warthe) 21, Landsberg (Warthe) 5, Seesth. 8,
Pammin (Ihna) 6, Prenzlau (Uecker) 8, Demmin (Peene) 7.
pulb I8 Flüsse —2 g . eöbe⸗ üin us „ au 9 8 1 eEe Gesz11. brne cgee azae
ei lensburg 1, au) 10, er ä 5(Mnen 10
Elbe.
Torgau 13, Dessau (Mulde) 5, Rudolstadt (Saale) 6,
(Saale) 8 Ilmenau Serr. —, Stadtilm (Saale) 8, 6.en
(Saale) 16, Erfurt ( ) 4, Sondershausen (Saale) 9, Nordhausen Saale) 12, (Saale) 5, ö9 (Saale) 10,
U ““ agdeburg eustrelitz 3, (Havel) 2, Berlin (Havel) 8 Vlanien bei vIM Heneczoff, Kr. 2 2 3. 2
0) 7, Brandenburg (Hereh 5. 8 894 9 2 * 8— — 0 42—— 6 7 zen — 2
“
Meiningen (Werra) 14, Liebenstein (Werra) 15, Fulda (Fulda) —, Altmorschen (Fulda) —, Schwarzenborn (Fulda) 12, Cassel Fulda) 3, Uslar 4, Herford (Werra) 0, Scharfenstein (Aller) 62,
lsenburg (Aller) 22, Braunschweig (Aller) 11, Celle (Aller) 4, Göttingen (Aller) 6, Herzberg (Aller) 6, Klausthal (Aller) —, Seesen (Aller) 5, Hannover (Aller) 4, Bremen 0, Oldenburg (Hunte) 0, Elsfleth 0. .
Kleine Flüsse zwischen Weser und Ems. Jever —. Ems.
Gütersloh (Dalke) 0, Münster i. W. 0, Lingen —, Osnabrück Haase) —, Löningen (Haase) 0, Aurich 1, Emden 0.
Rhein.
Darmstadt 0, Coburg (Main) 13, e (Main) 21, Frankfurt (Main) 0, Wiesbaden 4, seisenheim 0, Birkenfeld (Nahe) 3, Schweinsberg (Lahn) 0, Rauschenberg (Lahn) —, Mar⸗ burg (Lahn) 3, Weilburg (Lahn) 0, Schneifel⸗Forsthaus (Mosel) 30, Bitburg (Mosel) —, von der Heydt⸗Grube (Mosel) 90, Trier Mosel) 0, Neuwied 0, Siegen (Sieg) —, Hachenburg (Sieg) —, Köln 0, Krefeld 0, Arnsberg (Ruhr) —, Brilon (Ruhr) 3, Lüdenscheid (Ruhr) 5, Alt⸗Astenberg (Ruhr) 68, Mülheim (Ruhr) —, Kleve —, Ellewiek (Yssel) —, Aachen (Maas) —.
Der Höhe von 1 em Schneedecke entsprachen:
am — Januar 1895 in Czerwonken 18. Marggrabowa 20. Neidenburg 21 Bnstodt 18. ivelbein 21. Leobschütz 17. Wa
ng 20. Ostrsowo 1. Samter 19. Rudolstadt 19. Nordhausen
3 wasser. 1 Potsdam
—80n 0—
(Rega)
0snEUe”qS;Sc
18. Brandenburg 18. Liebenstein
—. Fulda
20. Schwarzenborn 19. Uslar “ 20. Celle 1 —. Klausthal . p. d. Heydt⸗Grube 16.
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Neuwied Brilon
vR+R+K R K R₰K 7 RK KZ1 R RW 111““
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Handel und Gewerbe.
Bremen, 22. Januar. (W. T. B.) (Börsen⸗Schlußbericht.) Raffiniertes Petroleum. (Offizielle Notierung der Bremer Petroleum⸗Börse.) Fester. Loko 5,30 Br. — Baumwolle. Schwach. Upland middl. loko 28 ¼ ₰. — Schmalz. Flau. Wilcox 36 ¼ ₰, Armour shield 35 ½ ₰, Cudahy 36 ½¼ ₰, Fairbanks 30 ₰. — Speck. Niedriger. Short clear middling loko 33, Januar⸗Februar⸗Abladung 33. Wolle. Umsatz 86 Ballen.
Hamburg, 22. Januar. (W. T. B.) Kaffee (Nachmittags⸗ bericht.) Good average Santos pr. März 76 ½, pr. Mai 76, pr. Sep⸗ tember 75 ¾, pr. Dezember 74. Ruhig. 8
Zuckermarkt. (Schlußbericht.) Rüben⸗Rohzucker I. Produkt Basis 88 % Rendement neue Usance, frei an Bord Hamburg pr. S. 9,17 ⅛, pr. März 9,22 ½, pr. Mai 9,37 ½, pr. August 9,65. — Fest.
i 22. Januar. (W. T. B.) Wegen Schneegestöber keine Wollauktion.
An der Küste 1 Weizenladung angeboten.
96 % Javazucker loko 11 ¼ fest, Rüben⸗Rohzucker loko 9 fest. — Chile⸗Kupfer 40 ¾, pr. 3 Monat 41 ½.
Manchester, 22. Januar. (W. T. B.) 121 er Taylor 4 ½, 30r Water Taylor 6, 20r Water Leigh 5 ½, 30 r Water Clayton 5 ¼, 32r Mock Brooke 5 , 40r Mavoll 6 ½, 40r Medio Wilkinson 6 ¾4 32r Warpcops Lees 5 ¼, 36r Warpcops Rowland 6, 36r Warpcope Wellington 6 ⅛, 40r Double Weston 6 ¾, 60 r Double courante Qua⸗ lität 9 ½¼, 32* 116 vards 16)16 grey Printers aus 32 1/461 144. Ruhig.
St. Petersburg, 22. Januar. (W. T. B.) Produkten⸗ markt. Talg loko 52,00, pr. August —. Weizen loko 8,00. Renoen Joko 5,30. Hafer loko 3,30. Hanf loko 4,00. Leinfaat
11,00.
Amsterdam, 22. Januar. (W. T. B.) Java⸗Kaffee good ordinary 52 ½. — Bancazinn 37 ¼.
New⸗York, 22. Januar. (W. T. B.). Die Börse eröffnete schwach und mit niedrigeren Kursen und schloß nach vorübergehend allgemeiner Steigerung wiederum schwach. Der Umsatz der Aktien betrug 135 000 Stück.
Heute wurden dem Schatz anderthalb Millionen Gold ent⸗ nommen zur Verschiffung in das Ausland. Die „Fulda’ hat das
esstern erwähnte Gold nicht mitgenommen; dasselbe wird Ende dieser Woche verschifft werden.
Weizen anfangs schwach, dann fallend auf Realisierungen und matte 2 sowie en Pfahi se e digag. 222 übergehend bessere Stimmung. S wach. — ais fallen während des ganzen Börsenverlaufs mit wenigen ionen auf leb⸗ hafte für entfernte Termine.
Weizen⸗Verschiffungen der Woche von den atlantischen der Vereinigten taaten nach Groß⸗ britannien 000, do. nach Frankreich 5000, do. nach anderen Häfen des Kontinents 46 000, do. ven Kalifornien und Oregon nach L-örenn 23 000, do. nach anderen Häfen des Kontinents
Waarenbericht. Baumwolle, New⸗York 5 16, do. New⸗
5 i¾, leum träge, do. New⸗VYork 5,80, do. Philadelph a 5,75, do. ,6,50 nom., do. Pipe line cert. p. Februar 99, West. steam 6,90, do. Rohe & Brothers 7,20, Mais kaum behauptet, do. p. Januar 48 ⅛4, do. p. 49 ½, do. p. Mai 49 ¼, Weizen kaum behauptet, rother W „ do. Weizen p. Januar do. p. Mai 60 ⅛, 188 Pf, hr 2n .
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Kupfer
2 ⅛½, 10. der vergangenen Woche ausgeführten 9 788 484 Dollars gegen 7 616 723 3 in der
Chicago, 22. Januar. . B.) AhüeSrF — etwas ab auf allgeweine Lianidation nfel nbeit. Sluß
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ver am Vorabend sehr böige, lebhafte Ostwind, de us. 8 er
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führung einer Hochfahrt in Frage zu stellen schien, legte sich in d
Nacht, und um 5 Uhr früh schritten in Staßfurt die ten Premier⸗ Lieutenant Groß und Märker bei dem Lichte rasch hergestellter elek⸗ trischer Scheinwerfer zur Füllung des „Phönix“ mit 2000 chm Wasserstoff. Entsprechend den besonderen Zwecken und Umständen dieser Fahrt, nahm Herr Berson einige Aenderungen vor. So wurde der über 80 Pfund schwere Anker nicht mit⸗ genommen. Den 200 m langen Schleppgurt legte er schon vor dem Beginn der Fahrt in der Richtung des Windes auf dem Felde aus, um nicht allein die schwere Arbeit des Herunterlassens — derselbe wiegt 82 8 — verrichten zu müssen und die physischen Kräfte bereits am Anfang der Fahrt stark ö Die Auf⸗ hängung sämmtlicher Instrumente und Korbutensilien wurde nach reiflicher Erwägung möglichst derart getroffen, um auch bei starker Erschöpfung in großen Höhen die gleichzeitige Führung und Be⸗ herrschung des Ballons und die gewissenhafte Wahrnehmung der wissen⸗ schaftlichen Beobachtungen zu gestatten. Um 10 Uhr 28 Minuten ertönte das Kommando: „Los!“ In einer Viertelstunde waren bereits 2000 m erreicht. Staßfurt war in nordwestlicher Richtung überflogen, prachtvoll lag der ganze Harz am Horizont zu den Füßen des Luftschiffers. Es war allgemeinen dunstig, und dichte Schaaren kleiner Wölkchen bedeckten hin und wieder die Erde. Die Temperatur nahm anfänglich bis in erhebliche Höhen zu; in 1500 m herrschten über 5 Grad Wärme. Abwechselnd machte Herr Berson stets eine doppelte, möglichst vollständige Reihe von Ablesungen der Instrumente, warf einen Blick auf den Ballon, seine Leinen und die Erde und schleuderte zwei Sack Ballast mit einem Male über Bord. Eine Stunde nach der Abfahrt waren in dieser Art 5000 m überschritten worden; die Temperatur sank auf —18 Grad, und es wurde sehr trocken. Die Sonnenstrahlung war nur schwach. Bei 4200 m hatte sich das erste leichte Herzklopfen nach Heben der schweren Sand⸗ säcke eingestellt; doch waren nun auch die frei im Korbe auf⸗ gestapelten Sandvorräthe verbraucht. Um 11 Uhr 49 Minuten erreichte Herr Berson 6000 m, das Thermometer sank auf — 25,5 Gr.; über seinen Zustand schrieb er die Notiz: „Leichtes Herzklopfen, leichte Befangenheit, sonst wohl.“ Um 12 Uhr, also 1 ½ Stunden nach der Abfahrt, begann er bei 6750 m und — 29 Gr. künstlich Sauerstoff einzuathmen, mit vorzüglicher Wirkung. Sack auf Sack flog über Bord; 25 Minuten nach 12 Uhr überschritt der Ballon 8000 m, bei einer Lufttemperatur von — 39 Gr., und hiermit die Maximalhöhe vom 11. Mai (7930 m). Unvergleichlich besser war das Wohlbefinden als damals — doch durfte von jetzt an die Sauerstoffathmung nicht auf mehr als ein vaar Sekunden aufgehoben werden, ohne Schwindel und gefährliches Nachlassen der Kräfte herbeizuführen. Stetig die künstliche Athmung fortsetzend, verrichtete Herr Berson ständig und mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit alle Arbeiten. Ein einziges Mal fielen ihm die Augen zu; augenblicklich ermannte er sich jedoch mit lautem Schelten auf seine eigene Schlaffheit. Eigenthümlich dumpf scholl die Stimme in dieser dünnen Luft. Bei 7700 m hatte er die Höhe überschritten, in der Glaisher seine letzte Temperaturablesung vorgenommen; bei 8200 m gedachte Berson der beiden französischen, in dieser Höhe verstorbenen Forscher; bei 8500 m war auch die rößte Erhebung erreicht, die Glaisher am 5. September 1862 an seinem Barometer ablas, um hierauf in tiefe Ohnmacht zu fallen, aus der er erst erwachte, als sein Begleiter den Ballon in seinem weiteren Steigen aufhielt. Nach kurzer “ und Umschau in dem Ballastvorrath wagte Herr Berson den Aufstie noch weiter fortzusetzen. Die Temperatur war indessen au — 42 Gr. gesunken. Bei 9000 m Höhe durchschnitt der Ballon endlich die von Berson schon seit früh hoch am Himmel wabr⸗ genommene, nur ganz dünne schleierartige Schicht von Cirrostratus⸗ wolken. Sie bestanden nicht aus Eiskrystallen, sondern aus wohl⸗ gebildeten kleinen Schneeflocken. Um 12 Uhr 45 Minuten, also 2 ½ Stunden nach dem Anfang der Fahrt, zeigte das Barometer einen Stand von nur noch 231 mm, was einer rohen Seehöhe von 9600 und einer wahren Höhe von 9150 m entspricht. Das Thermometer war auf — 47,9 Gr. gesunken; selbst das Quecksilber im Barometer
hatte sich auf — 29 Gr. abgekühlt, und das Strahlungsthermometer
zeigte in voller Sonne nur — 23,8 Gr. 1 Jetzt hielt der Ballon inne. Es waren nur noch sechs große und ein kleiner Sack Ballast vorhanden, die zur Sicherheit des b⸗ gehens und der Landung nothwendig waren. Der Ballon war aus der dünnen Schneewolke gestiegen, rein von Wolken, doch nur matt⸗ blau wölbte sich über ihm der kalte Himmel. Das Befinden des Ferschens hätte es sicher gestattet, mit Vorsicht noch um 1000 öher zu gehen. Allein er durfte es nicht thun, ohne aeronautis⸗ direkt falsch zu handeln und noch am Schluß die gelungene Fah zu gefährden. In der größten Höhe von 9150 füh sich viel wohler als kurz vorher. Noch einmal erreichte der „Phönix“ fast dieselbe Höhe, etwa 9100 m, noch einma las Herr Berson — 47 Gr. ab und zog hierauf das kleine Manövrier ventil. Mäßig schnell begann jetzt der Ballon zu fallen, um schon bei 7500 m von selbst abzustoppen und wieder nach oben umzukehren. Doch brachte ihn ein mehrfacher Zug am Ventil zurück. Indessen wurde in einer Höhe von 8500 m ein Fluß mit mächtigen Win dungen überflogen — es war die Elbe, und zwar, wie sich später feststellen ließ, bei Dömitz. Die grimmige Kälte begann nun doch mit der Zeit ihre Wirkung zu äußern, Herr Berson zitterte in seinem Pelz an allen Gliedern so stark, daß er sich am Korbrande anhalten mußte. In langsamen Wellen ging der 6 Ballon hinunter, sodaß während des ganzen Abstiegs nur ein einziger Sack Ballast in 3500 m zu dessen Milderung verbraucht wurde. Dagegen war der „Phönix“ nur durch Ventilziehen von einem rapiden Wiederaufsteigen zurückzuhalten. Die Erde hatte sich indessen ganz mit einer geschlossenen Wolkenschicht bedeckt, und jede rientierung war verloren. Per lang andauernde Abstieg gestattete es, eine voll⸗ ständige zweite Reihe von Beobachtungen auszuführen. Auch jeßt wurde die höchste Temperatur in 1400 m mit nur beinahe + 6 Gr. efunden. Von hier an zur Erde wurde es wieder um 5 Gr. kälter. Roch eine volle Stunde nach der Kulmination war Herr Berson in 5200 m, zwei Finger waren ihm erfroren, doch brachte er sie durch Reiben wieder zum Leben. der Barograph war in der enormen Kälte vorübergehend stehen blieben. Als es 3 Uhr wurde und der Himmel im Norden be nach einem „Wasserhimmel“ der Seeleute aussah, beschloß der Forscher, den Ballon zu rascherem Fallen zu bringen. machte er in 500 m auf den unteren Wolken ein paar Wellenbewegungen, auf der Wolken⸗ oberfläche schwimmend; eine g e Stadt und Dampfpfeifen ließen sich vernehmen. In 250 m erschien die graue, von einem trüben immel bedeckte Erde, am Schleppgurt ü erflog der Ballon einen See und landete ziemlich leicht mit Hilfe herbeieilender Landbewohner Wum 3 Uhr 45 Minuten auf einem Sturzacker in Schönwohld, von Kiel, an demselben Abend, an welchem der Stifter des „Phönix“, Seine Majestät der Kaiser, in Kiel weilte. Der Abstieg hatte volle drei Stunden, der Aufstieg zwei Stunden zwanzig Minuten gedauert. Als wichtigste Uenaeg sind schon 88 : 1) Die Erreichung einer größeren H he, als dies bisher gelungen. 2) Die Feststellung einer ungemein tiefen Tempe⸗ ratur in dieser Höhe und eine sehr viel stärkere Temperaturabnahme zwischen 1500 m und 9200 m, als man bisher für den Winter je hat. 3) Temperaturumkehr früh und Abends m. 4) e. sehr schwache Besonnung, in der größten Höhe im satz zum Ma Wohl im Zusammenhang da ver öchsten Schichten und feiner ⸗2 bis in enorme heüben binauf (über 10 000 m), 6) Schner⸗ der Cirrostratuswolke in 9000 m. 7) Gewaltige Zu⸗ nahme der Windgeschwindigkeit nach oben; bei nahezu vollkommenecr Windstille auf der Erde wurden in fünf Stunden siebzehn Me über 310 km zrückgelegt, was einer mittleren Geschwindigkeit ven 16 ½ m in der Sekunde entspricht.
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zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preufischen
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Berlin, Mittwoch, den 23. Januar
Staats⸗Anzeiger. 1895.
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Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 4. Sitzung vom Dienstag, 22. Januar.
Inn der fortgesetzten ersten Berathung des Staa haushalts⸗Etats (s. den Anfangsbericht in der gestrigen
Nummer d. Bl.) nimmt nach dem Abg. Bachem das Wort der
Präsident des Staats⸗Ministeriums, Fürst zu Hohenlohe:
Der Herr Vorredner hat im Eingang seiner Rede über die Ge⸗ rüchte gesprochen, welche über Ministerveränderungen kursieren, und hat sein Bedauern darüber ausgedrückt, daß diesen Gerüchten nicht entschiedener entgegengetreten werde. Es ist, meine Herren, sehr schwer, den zahlreich auftretenden Gerüchten immer entgegenzutreten; um aber dem Wunsche des Herrn Vorredners in einiger Beziehung zu entsprechen, will ich das Wort ergreifen, um Ihnen meine Ansicht über die bestehenden und kursierenden Gerüchte auszusprechen. Ehe ich das aber thue, muß ich mich zunächst wenden gegen einige Aeußerungen des Herrn Abg. Richter in der gestrigen Sitzung, der ich beizuwohnen zu meinem Bedauern verhindert war. Der Herr Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums hat bereits gestern darauf geantwortet; indessen glaube ich aber doch verpflichtet zu sein, einige Worte beizufügen, umsomehr, als der ge⸗ ehrte Herr Abgeordnete mir eine mehr ornamentale Stellung ange⸗ wiesen hat mit der gewohnten Courtoisie, die ihm eigen ist. (Heiter⸗ keit.) Herr Abg. Richter hat sich beschwert über den Mangel an Solidarität im Staats⸗Ministerium. Der Herr Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums hat schon gestern dargethan, wie unbe⸗ gründet dieser Vorwurf ist. Ich habe dazu nur zu bemerken, daß allerdings bei der Uebernahme meines Amts und bei der Bildung des Ministeriums nicht nach der in parlamentarisch⸗konstitutionellen Staaten üblichen Schablone verfahren worden ist. Indessen haben bei meinem Eintritt Besprechungen zwischen mir und den Ministern stattgefunden, die zu demselben Ziele führten und die bewiesen, daß wir in prinzipiellen Fragen in unseren Anschauungen übereinstimmten. Seitdem glaube ich nicht, daß die Regierung Anlaß zu der Annahme gegeben hat, sie sei nicht einig und es beständen in ihrem Schooße Meinungsverschiedenheiten. Allerdings können ja in einem Kollegium nicht alle Mitglieder der⸗ selben Ansicht sein; aber wir bemühen uns, in den Berathungen des Staats⸗Ministeriums unsere Meinungsverschiedenheiten auszugleichen, und wenn wir dann mit Beschlüssen an die Oeffentlichkeit treten, so sind wir einig geworden.
Der Herr Abg. Richter hat auch von Gerüchten über mögliche Ministerwechsel und Aehnliches und über die Unsicherheit unserer Zustände gesprochen. Ich muß die Schuld an diesen Gerüchten von mir ablehnen. In der That kursieren Gerüchte von Ministerver⸗ änderungen zahlreich, sie treten jeden Tag auf. Wie entstehen nun diese Gerüchte? Ich will Ihnen sagen, wie ich die Sache ansehe. Es giebt in Preußen viele Staatsmänner oder solche, die sich dafür halten. (Heiterkeit.)
Diese Staatsmänner, die unbeschäftigten zumal, haben gute
Freunde, die nicht begreifen können, daß der ihnen befreundete Staats⸗ mann noch nicht die Stelle einnimmt, für die sie ihn geeignet halten, daß, wie die Engländer sagen, the right man noch nicht on the right place sitze. Das kränkt sie, und was thun sie nun, diese Freunde? Sie gehen zu einem befreundeten Journalisten, und wer ist in unserer Zeit nicht mit einem Journalisten befreundet? (Heiterkeit.) Sie sagen ihm dann nicht etwa: Ich wünschte, daß mein Freund X Minister oder Botschafter würde, sondern sie sagen: Mein Freund X wird demnächst Minister oder Botschafter. Diese Nachricht — so meinen sie — könnte doch einmal an maßgebender. Stelle gelesen werden und eine gewisse Wirkung ausüben. Der befreundete Journalist, dem diese Nachricht gebracht worden ist und dessen Geschäft es mit sich bringt, sensationelle Nachrichten zu veröffentlichen, eilt dann nach Hause und läßt die Nachricht schleunigst drucken; denn etwas Sen⸗ sationelleres als die Abschlachtung eines Ministers oder etwa eines Botschafters giebt es nicht. (Heiterkeit.) Und so entstehen die Ge⸗ rüchte von Ministerwechseln. Nun glauben Sie nicht, meine Herren, daß ich von Vermuthungen spreche; mir stehen auf diesem Gebiete reiche eigene Erfahrungen zu Gebote. Ich spreche nicht von meiner Thätigkeit als bayerischer Minister. Damals waren die Zeiten zu ernst für Intriguen, und ich bin durch ein mich ehrendes glänzendes Mißtrauensvotum beider Kammern beseitigt worden. (Heiterkeit.) Anders war es schon in Paris. Der Pariser Botschafter⸗ posten ist ein sehr gesuchter; ich wurde viel beneidet und hatte zahlreiche Konkurrenten. Diese hatten nun wieder Freunde, und diese Freunde verbreiteten dann in der Presse, in deutschen und in französischen Blättern, daß der Fürst Hohenlohe alt und müde sei und demnächst seine Entlassung geben werde. Ich muß bemerken, daß das vor 20 Jahren war. (Eeiterkeit.) Aehn lich ist es in Straßburg gewesen; in den neun Jahren, die ich in Straßburg amtlich thätig war, sind keine sechs Monate vergangen, ohne daß in irgend einem Blatte — meistens in Berliner Zei⸗ tungen — die Nachricht auftauchte: der Statthalter sei alt und müde und würde durch den General X oder den Ober⸗Präsidenten Y ersetzt werden. (Heiterkeit.) Diese Erfahrungen haben zur Folge, daß mich alle Krisengerüchte sehr kühl lassen, und ich möchte Ihnen und allen nur wünschen, daß Sie meinem Beispiele folgten und die Sensationsnachrichten von Krisen an sich ablaufen ließen, wie Regen⸗ tropfen am Regenmantel. (Heiterkeit.) Nrun hat diese Sache aber auch eine ernste Seite, und zwar eine bedauerliche Seite. Der gewöhnliche Zeitungsleser besitzt nicht den Gleichmuth und die Gemüthsruhe, die mir eigen sind in der Be⸗ ürtheilung solcher Krisengerüchte, sondern er glaubt sie, nimmt solche Nachrichten als ernst und folgert daraus Unsicherheit unferer Zustände, und so entsteht Unzufriedenheit, Unruhe und Pessimismus.
Lassen Sie mich schließen mit dem Wunsch, daß diese Gerüchte
anli de finden und verstummen möchten, und daß es uns ver⸗
Staatsschulden, alle an
gönnt sei, mit Ruhe unserer Arbeit ohne Störung nachgehen zu können zum Wohl des Vaterlandes! (Lebhafter Beifall.)
Abg. von Schalscha (Zentr.): Auch ich bin im allgemeinen mit der Steuerreform zufrieden, wenn auch über die Einschätzung, namentlich bei der Ergänzungssteuer, mancherlei Beschwerden besteben. Diese letzteren beziehen sich hauptsächlich darauf, daß bei Gütern Land und Gebäude einzeln eingeschätzt werden; das ist eine Ungeheuer⸗ lichkeit! Ueberhaupt müssen die kleinen Nörgeleien und Huälereien bei der Einschätzung aufhören und die jedesmalige Lage einer Guts⸗ wirthschaft oder einer Fabrik mehr berücksichtigt werden ;ʒ denn auf die Dauer müssen die Vermögenswerthe den Ertragswerthen folgen, und letztere sinken ja infolge unserer Wirthschaftspolitik mehr und mehr. Wir werden nicht fehlgreifen, wenn wir annehmen, daß der gesammte Besitz Preußens in Landwirthschaft und Forsten von 18 bis 19 Milliarden gegenwärtig auf 9 Milliarden vermindert, wie überhaupt das ge⸗ sammte Nationalvermögen seit zehn Jahren um 25 % zurückgegangen ist. Man nennt das eine Verschiebung des Nationalvermögens; ist es auch eine Verschiebung, wenn man dem Fuchs das Fell über die Ohren zieht? Nachdem die Landwirthschaft verarmt ist, verarmt allmählich auch die Industrie und das Kapital. Die Verschuldung ist in der Landwirth⸗ schaft progressiv gewachsen, der Verkaufswerth stetig gefallen. Im Augenblick können uns alle Maßregeln zur Regelung des Anerben⸗ rechts, zur Hebung des Kredits u. s w. nichts nützen, das ist alles Zukunftsmusik und leeres Stroh. Schnelle Hilfe ist den Landwirthen nur durch Hebung der Getreidepreise zu bringen und dieses Hilfs⸗ mittel liegt beim Reichstage. Den schwersten Schaden bringt uns die unterwerthige Valuta anderer Länder, die unseren Export schädigt, den Import aber begünstigt. In dieser Beziehung haben wir die schlimmsten Erfahrungen mit Argentinien mit seiner unterwerthigen Goldvaluta gemacht. Der argentmische Weizen beherrscht die Welt, der russische hat darunter zu leiden. Diesen Verhältnissen steht Deutschland hilflos und thatlos gegenüber; es läßt sich abzapfen bis auf den letzten Tropfen wie eine wohlerzogene Kuh. Wollte aber auch Deutschland auf diesem Gebiet etwas thun, es würde der Land⸗ wirthschaft nichts nützen; es kommt ganz darauf an, wie sich Rus⸗ land dazu verhält, und diesem gegenüber sind uns die Hände durch den Handelsvertrag vollständig gebunden. Eine Remedur der Valuta erscheint also gegenwärtig unmöglich. Diesen Ver⸗ hältnissen schnell und radikal abhelfen kann nur der Antrag Kanitz. Er ist geeignet, den künstlichen Druck, der auf den landwirthschaftlichen Preisen rubt, zu beseitigen. Seine Annahme würde keinen Bruch mit dem russischen Handelsvertrag bedeuten; denn Artikel 5 Alinea 2 bestimmt daß von den Bestimmungen des Handelsvertrags diejenigen Gegenstände aus⸗ genommen sein sollen, die in einem der Vertragsländer Gegenstand eines Monopols sind oder werden. Dieser Artikel ist in meinen Augen der verständigste des ganzen Handelsvertraas. Auf den her⸗ vorragenden Posten, auf denen sich die neuen Minister befinden, ist die Position oft recht schwer. Ich möchte aber sagen: Minister wer⸗ den ist eine große Ehre — Minister bleiben, unter Umständen nicht.
Abg. Rickert (freis. Vag.): Nach der Rede des Herrn Minister⸗ Präsidenten wissen wir nun, wo die Staatsmänner sind, die das Be⸗ dürfniß fühlen, sich an die Stelle der genannten Minister zu stellen. Die freisinnige Presse ist es nicht, die Krisengerichte in die Welt setzt, es ist eine andere gewisse Presse, die noch heute vollständig auf dem Boden des alten Kurses steht. Der Herr Minister⸗ Präsident hat behauptet, daß im Lande keine Unsicherheft berrschen würde, wenn die Krisengerüchte nicht in so beunruhigender Weise verbreitet würden. Die Thatsache der Unsicherheit ist vorhanden. Sie ist aber nicht die direkte Folge von Gerüchten oder von den letzten Minister⸗ wechseln, sie stammt vielmehr daher, daß ein Minister, von dem überall berichtet wurde, er befinde sich im Einverständniß mit seinen Kollegen und der Regierung, in kürzester Zeit danach seinen Posten verließ. Wie ist dies möglich? fragt man sich überall. Das ist der Grund der allgemeinen Unsicherheit, nicht Zeitungsartikel, die uns im übrigen ebensowenig irritieren werden wie den Herrn? inister⸗Präsidenten. Wir werden nie die Person, sondern nur die Sache zum Gegenstand unserer Erwägung machen. Wir haben den Grafen Caprivi bei dem Schulgesetz ebenso bekämpft, wie wir ihn bei den Handelsverträgen unterstützt haben. — Ich wende mich zum Etat. Wenn wir diesen so beurtheilen wollen, wie mein Kollege Bachem, dann würden wir drei Abtheilungen bekommen: eine katholische evangelische und jüdische. Ich habe für solche Fragen, offen gesagt, kein Verständniß. Konfession ist uns gleichgültig. Ich habe z. B. erst heute erfahren, daß der Herr Justiz⸗Minister katholisch ist. Wir fragen danach, ob ein Minister seinen Platz ausfüllt, nicht nach seiner Konsession, Wenn der Abg. Bachem esagt hat, die Katholiken seien treue Staatsbürger und würden dem Rofe ihres Königs jeder Zeit Folge leisten, — was meint er damit? Meint er den Krieg, so ist seine Versicherung überflüssig, da die Katholiken nur eine Pflicht erfüllen, wie jeder andere Staatsbürger. Soll es heißen, daß bei einer Reichstagsauflösung alle Katholiken im Sinne der Regierung wählen würden? Eine Erklärung wäre hier wohl nöthig, um Mißverständnisse nach oben und unten zu vermeiden. Was den Etat speziell betrifft, so, muß ich sagen, hat mir der Herr Finanz⸗Minister diesmal damit viel besser gefallen als früher. Der Herr Minister ist sanfter geworden, er sieht ein, daß gegen den Strom nicht zu schwimmen ist. Die Thatsache steht fest, daß der Nettoüberschuß um rund 22 ½ Millionen günstiger ist. Aller⸗ dings ist ein Defizit vorhanden, aber das ist nur neminell. Wenn der Etat fertig ist, wird sich dies anders ausnehmen. Wir wollen keine indirekten Steuern mehr. Wir müssen endlich damit aufhören und die Lasten auf die stärkeren Schultern laden. Auch wir wollen die Selbständigkeit der Finanzen des Reichs und die Selbständigkeit der ö Preußens. Aber wir können nicht eine Tabackfabrikatsteuer bewilligen, die Tausende von Arbeitern auf die Straße wirft. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Finanz⸗Minister Miazel sich auf eine Partikularvertretung stützen werde, um seine Reichs⸗ steuerpläne durchzusetzen. Was die Kleinbahnen anbelangt, so ist der Staat verpflichtet, Zuschüsse zu zahlen. Er hat es versprochen, als er die Verwaltung der Eisenbahnen in seine Hand nahm. Daß die Eisen⸗ bahntarifreform nicht vorwärts kommt, ist beklagenswerth. Das Gegengewicht gegen die Reform bildet der Finanz⸗ Minister. Die Tarife für Futter und Dungmittel müßten, wie Schulz⸗Lupitz auch räth, zuerst ermäßigt werden. Bedauerlich war mir der Einblick in den Kultus⸗Etat; bedauerlich ist es, daß die Schule mit so erbärm⸗ lichen Summen arbeiten muß. Damit der Herr Finanz⸗Minister mir nicht wieder sagen kann: Ihr wollt immer neue Ausgaben und wollt keine Einnahmen bewilligen! so erkläre ich mich hiermit bereit, einen Zuschlag zur Einkommensteuer von zwanzig Mil⸗ lionen zu bewilligen. Wie viel könnte der Herr Finanz⸗Minister ferner auch durch Konversionen sparen! Jetzt wird der Zinsfuß künst⸗ lich aufrecht erhalten, und man schädigt doch damit am meisten die Landwirthschaft, der man ebenfalls den Kredit vertheuert. Die Beun⸗ ruhigung in der Finanzwelt wird gerade jetzt begünstigt dadurch, daß man nicht weiß, was kommen wird. Auch jetzt hat sich der Herr Finanz⸗Minister auf eine direkte Frage nicht über die Konversionen ausgesprochen. Vorwärts, Herr Minister, mit den Konvertierungen! Wir geben “ Millionen zu an Zinsen für unsere
eren Länder zahlen nur 25 oder 3 % Zinsen. Was die Landwirthschaft und ihre Noth betrifft, so schädigt man durch das ewige Nothgeschrei ebenfalls ihren Kredit. Heute hat das wieder Herr von lscha gethan. Die schwierige Lage vieler Landwirthe erkenne ich an, aber man darf nicht übertrejben.
Die Handelsvertragspolitik ist einmal auf zwölf Jahre festzelegt, lassen Sie doch also das Rütteln daran! Es wäre aber auch Zeit, daß sich die Herren Minister auch im Augenblick noch solidarisch mit dieser Politik erklärten. Was sollen denn die übrigen Mächte von der Stetigkeit deutscher Politik denken, wenn fortwährend an den vorjährigen Beschlüssen gerüttelt wird? Die Minister müßten auch heute diese Politik noch als eine segensreiche erklären. Auch die Konservativen unter Herrn von Manteuffel haben doch den ersten Schritt zu dieser Politik beim österreichischen Vertrag mitgemacht. Sie dringen nun auf den Antrag Kanitz, und auch hierüber hört man keine Aeußerung vom Regierungstische. Auch hier ist die Unsicherheit eine Folge der Haltung der Regierung. Der Graf Caprivi und der Führer der Nationalliberalen haben diesen Antrag für gemein⸗ und staatsgefährlich erklärt. Zweifellos wäre die Annahme des Antrags ein Bruch der Handelsverträge, und auch Graf Caprivi hat schon gesagt, daß, wenn wir mit solcher Bestimmung an den Handelsverträgen rütteln würden, so würden wir alles Vertrauen im Auslande verlieren. Auch die heutige Regierung muß im Staatsinteresse schnell eine Stellung zu dem Antrage nehmen. Versumpfen darf diese Frage nicht. Bei der früheren Abstimmung war doch nur eine kleine Zahl der Konservativen für den Antrag; auch heute wird dieser verloͤrene und vernichtete Antrag keine Majorität finden. Es wäre Wasser auf die Mühle der Sozialdemokraten, die in Konsequenz auch die Verstaat⸗ lichung von Grund und Boden verlangen würden. Ist es patriotisch, wenn man gerade jetzt die Agitation in das Land trägt und unerfüll⸗ bare Hoffnungen erweckt? So fördert man die Sache der Sozial⸗ demokraten. Der Graf von Caprivi ist dem Ansturm der Agrarier erlegen, und ich möchte die jetzigen Vertreter der Regierung dringend bitten, jetzt nicht zu schweigen, sondern eine klare bestimmte Erklärung abzugeben. Die Herren von jener Seite werden sich mit kleineren Gaben doch nicht zufrieden geben, ehe sie nicht so und so viel Mark
mehr für den Scheffel Getreide erhalten.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Der Herr Abg. Rickert sagte zuerst: ich will mich um Reichs⸗ fragen hier nicht bekümmern, es ist durchaus falsch, wenn Fragen, die nur im Reich entschieden werden können, hier im Abzeordnetenhause verhandelt werden; er endet aber damit seine Rede, daß er nichts Anderes verhandelt als Reichsfragen, zugleich aber mir vorwirft, daß ich hier Partikularismus triebe, indem ich Anträge hier im Landtage unterstütze, welche doch nur im Reich entschieden werden können. Diese Art von Logik und Konsequenz möge ein anderer begreifen, ich kann sie nicht begreifen. (Sehr gut! rechts.) Meine Herern, wenn der Herr Abgeordnete hier von uns verlangt, daß irgend eine bestimmte Meinungsäußerung über einen möglicher Weise in den Reichstag gelangenden Antrag sofort von uns hier namens des Staats⸗Ministeriums abgegeben wird — ja, meine Herren, dann hätten wir sehr viel zu thun. (Sehr gut! rechts.)
Ich kann mir in diesem Augenblick sehr gut denken, wie das Staats⸗Ministerium sich zu einem solchen Antrag, wenn er einge⸗ bracht würde, stellen würde; ich fühle aber keinen Beruf, diese Er⸗ klärung über einen Antrag, der überhaupt noch nicht einge⸗ bracht ist und der, wenn er eingebracht wird, nur im Reichstag ein⸗ gebracht werden könnte, abzugeben. Wird der Antrag Kanitz im Reichstag eingebracht, so bin ich sicher: eine bestimmte und deutliche Stellungnahme der Reichsregierung zu demselben wird nicht fehlen.
Meine Herren, ich möchte mir gestatten, einen kurzen Rückblie auf die verschiedenen Reden zu werfen, und da muß ich sagen: ich bin bei dieser Generaldebatte von denselben Gefühlen beseelt, von welchen ich noch beim Schluß jeder anderen Generaldebatte beseelt war. Fast alle Redner haben dasselbe Lied gesungen: Sparsamkeit! Sparsamkeit! — gleichzeitig: Geld ausgeben! Geld ausgeben! — gleichzeitig vollkommene Dunkelheit über die Art und Weise, wie das Geld herbeigeschafft werden soll, welches sie fordern. Das ist der Schluß fast jeder Generaldebatte. Ich will auf die einzelnen Reden in dieser Beziehung garnicht eingehen; selbst die stärksten und entschiedensten Männer der Sparsamkeit kommen schließlich doch immer an einen Punkt, wo sie scheitern und sagen hier muß mehr Geld ausgegeben werden!
Der Abg. Dr. Bachem beispielsweise verlangt das für die Kirche, der Abg. Richter für die Schule, ein Dritter für die Land⸗ wirthschaft, ein Vierter für Kleinbahnen, ein Fünfter für ander Bahnen, — es ist immer dasselbe Lied.
Meine Herren, wenn ich nun mit Thatsachen komme, wenn ich nachweise: in den letzten vier Jahren stecken wir im Defizit, und zwar sehr erheblich, insgesammt sind schon über 100 Millionen An⸗ leihen gemacht zur Deckung solcher Ausgaben, die die heutige Generation zu zahlen schuldig ist; wenn ich frage: welche Mittel können mir die Herren angeben, mit denen ich dieses Defizit decken soll, und welche Ausgaben können gestrichen werden? — keine Antwort! Wenn ich frage: woher sollen die Einnahmen kommen, wenn die Ausgaben nicht vermindert werden können? — allgemeine Bemerkungen! Herr Rickert in seinem guten Herzen ermahnt uns, nur nicht so ungeduldig zu sein, dieses Defizit ruhig weiter gehen zu lassen, die Zeiten werden schon besser werden. Ja, meine Herren, wenn das die Politik eines ernsten Finanzmanns ist, dann ist das die Politik, die immer weiter herabrutschen wird⸗ und mit welcher man schließlich in den Abgrund kommen könnte.
Der Abg. Richter beispielsweise, der die Kunst versteht, große Fragen zu verschleiern durch kleine Einwendungen, auf die dann die Aufmerksamkeit gerichtet wird, beklagt sich darüber, daß ich das Ver⸗ hältniß Preußens zum Reich verglichen habe unter Benutzung der Jahre 1892 und 1895/96 als Vergleichungspunkt. Nun, wenn ich weiter zurückgegangen wäre in den Vergleichungen, dann kommen noch ganz andere Zahlen heraus; dann stellt sich beraus, daß wir nach der Rechnung im Jahre 1888/89 vom Reich mehr überwiesen erhielten 41 Millionen, während wir jetzt, wie gesagt, nach diesem Etat 20 Millionen bezahlen müssen — Differenz von 60 Millionen; im Jahre 1889/90 Mehrüberweisungen 80 Millionen, im Jahre 1890/91 46 Millionen, im Jahre 1891/92 noch 41 Millionen und 1892/93 52 Millionen. Nun bin ich überzeugt, wenn ich diese erstgedachten Vergleichsjahre genommen hätte, dann würde der Abg. Richter erst cecht sich auf das hohe Pferd gesetzt haben und gesagt haben: das ist alles Blendwerk; — und heute, wo ich das schließlich noch für diese Ver⸗ gleichung im Sinne des Herrn Abg. Richter günstige Jahr 1892/99