1895 / 21 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 24 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Aegmmngneem˖nssnnü

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 5. Sitzung vom Mittwoch, 23. Januar. 1

In der fortgesetzten ersten Berathung des Staats⸗ haushalts⸗Etats (s. den Anfangsbericht in der gestrigen Nummer d. Bl.) spricht der Abg. von Eynern (nl.) wie folgt, weiter:

Auch dem Antrage Kanitz gegenüber nehmen wir dieselbe Stellung ein wie der Freiherr von Erffa, d. h. wir wollen denselben prüfen. Wir wollen abwarten, ob uns neue Gründe vorgeführt werden, wonach die frühere Beurtheilung des Abg. von Bennigsen über den Antrag nicht gerechtfertigt ist. Aber hat denn der Antrag Kanitz, außer daß er einen agitatorischen Werth hat, die geringste Aussicht, auch in der bescheidensten Form im Reichstag angenommen zu werden? Der ganze Westen, auch die Mitglieder des Zentrums aus diesen Landestheilen, werden gegen ihn stimmen. Wir sind gar nicht abgeneigt, mit Ihnen (nach

rechts) eine gemeinsame Thätigkeit zu versuchen in Bezug auf die

Regelung der Börsenverhältnisse; wir wollen uns auch sehr gern der unterwerfen, die von seiten der Königlichen Staatsregierung eansprucht wird und werden darf. Wenn wir jetzt an der Spitze der landwirthschaftlichen Abtheilung einen Mann finden, der in der Pro⸗ vinz, in der er bis jetzt thätig war, das Vertrauen aller seiner Fach⸗ genossen genießt, so hoffen wir, daß durch die Thätigkeit des Freiherrn von Hammerstein⸗Loxten unserer Thätigkeit eine bestimmte. feste und durchzuführende Richtung gegeben wird, und daß wir von den Phantasien und Utopien, mit denen vielfach eine Agitation im Lande getrieben wird, hier im Hause nichts mehr erfahren. Der Krone steht das Recht zu, die Minister zu ernennen und zu entlassen. Die Ausführungen des Abg. Richter über die Verantwortlichkeit der Minister hierbei halt? ich weder für hübsch noch nützlich, aber das Recht dazu muß man ihm zuertennen. Es kommt dadurch auch ein frisches Element in die Debatte. Ueber einen der ersten Schritte, die der neue Minister⸗Präsident gethan hat, nämlich den Fürsten Bismarck in Friedrichsruh zu besuchen, ist im ganzen Volk kein Zweifel, daß diese Annäherung an den größten lebenden Staatsmann segenbringend für unser Vaterland sein wird; denn wir schöpfen daraus die Ueberzeugung, daß die deutsche Nation in den jetzigen schwierigen Fragen der Rathschläge des Fürsten Bismarck nicht zu entbehren braucht. Wenn die Dinge im Reichstag so weiter gehen, wird sich der Reichstag sein eigenes Grab graben. Wenn der Reichstag die Bedürfnisse der Staaten nicht be⸗ friedigt und uns in finanzielle Kalamitäten hineinstellt, wird die Noth uns dazu drängen, eine preußische Partei zu bilden. Ich habe die Ueberzeugung, daß dann das deutsche Bürgerthum sich zusammen⸗ thun und sich von dem zersetzenden Einfluß frei machen wird, den heute die Agitationspolitik des Abg. Eugen Richter in unserem Vaterland und allen bürgerlichen Parteien ausübt. Wenn wir uns auf den gemeinsamen Boden der Liebe zum Vaterlande stellen, so werden wir in diesem Zeichen siegen.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Ich will im allgemeinen auf die hochpolitischen Bemerkungen des Herrn Abg. von Eynern nicht eingehen, sondern mich an mein Ressort halten, aber da ich der erste Minister bin, der ihm in der Rede folgt, will ich doch davor warnen, daß in dieser Weise die spezifisch preußi⸗ schen Interessen durch Ankündigung einer preußischen Partei gegen die im Reich durch den Reichstag legal vertretenen Anschauungen betont werden. (Sehr wahr! links.) Meine Herren, ich halte ein solches Vorgehen, daß die eine Volksvertretung in der Weise über die Ver⸗ tretung des Deutschen Reichs spricht, für viel gefährlicher als das, was damit bekämpft werden soll.

Meine Herren, ich persönlich hätte mich ja wohl über den Reichs⸗ tag und seine Voten bisher am meisten zu beklagen gehabt, aber ich würde mich doch hüten, solche Dinge auszusprechen, ja in eine solche Stimmung zu gerathen. Ich hoffe, schließlich werden die Macht der Gründe und die Nothwendigkeit, die in den Dingen liegt, auch im Reichstage noch zu einem guten Ziel führen, und man würde dann um so mehr bereuen, sich in einen solchen unnöthigen Gegensatz gegen

denselben gesetzt zu haben. (Sehr gut! links.) Meine Herren, im übrigen muß ich sagen, daß ich eigentlich keine Veranlassung hätte, dem

Abg. von Eynern viel zu erwidern, weil ich annehmen muß nach der bis⸗ herigen Geschichte seiner politischen Freunde und nach ihren Abstim⸗ mungen, daß er in wesentlichen Beziehungen allein steht, und ich hätte daher wenig Veranlassung, mich um ihn zu kümmern. (Heiterkeit.) Aber, da ich sehe, daß Herr’ von Eynern so übel und melancholisch gestimmt ist und gegen alle Parteien, gegen alle Minister seine sehr spitzen Be⸗ merkungen auszustreuen sich bewogen findet, so halte ich mich einem so angesehenen Mitgliede dieses hohen Hauses gegenüber doch ver⸗ pflichtet, ihm einige tröstende Bemerkungen zu machen. (Seiterkeit.)

Meine Herren, der Herr Abgeordnete plaidiert gegen die Ein⸗ kommensteuer und die Deklaration. Es waren seine politischen Freunde, die dafür am allerentschiedensten eingetreten sind. Er be⸗ klagt die üblen Folgen des Kommunalsteuergesetzes und er erwartet⸗ daß nach zehn Jahren sich zeigen werde, was das für ein verkehrtes Gesetz sei, während er selbst es war, der für dieses Gesetz eingetreten ist und in diesem Gesetz einen großen Fort⸗ schritt erblickt hat. Er beklagt, daß wir eine außerordentliche Schulden⸗ tilgung haben, während der Herr Abg. Dr. Hammacher unter Unter⸗ stützung seiner ganzen Partei in einer Zeit, wo ich weder Minister noch Abgeordneter war, zu meiner großen Genugthuung diese außer⸗ ordentliche Schuldentilgung durchgesetzt hat.

Nach diesen Beispielen, die ich noch sehr vermehren könnte, kann ich unmöglich annehmen, daß der Herr Abg. von Eynern namens seiner politischen Parteifreunde hat sprechen können. Ich will aber auf das Einzelne doch mit ganz kurzen Worten eingehen. Der Herr Abg. von Eynern sagt: man klage doch über die Durch⸗ führung dieser neuen Steuern viel im Lande. Nun, meine Herren, ich möchte den Künstler sehen, der eine so große Umgestaltung des Steuerwesens durchführen könnte, ohne daß nicht von der einen oder anderen Seite geklagt würde. Diejenigen was ja namentlich am Rhein vielfach der Fall ist —, die nun erheblich stärker zur Steuer auf Grund einer gerechteren Veranlagung herangezogen werden, daß die nicht in einer besonders günstigen Stimmung sich befinden, ver⸗ denke ich ihnen gar nicht. (Heiterkeit.)

Aber, der Reformator wird sich von vornherrin immer auch auf die andere Folge gefaßt machen müssen, daß diejenigen, die entlastet sind, nicht rühmen, sondern schweigen. (Sehr richtig!) Sie nehmen das als etwas Angenehmes hin. Die allgemeinen Staatsinteressen treten überhaupt in den Augen der Menschen, namentlich wenn sie Steuern bezahlen müssen, nur zu leicht zurück. Daß mannigfach geklagt wird, das wird immer so sein, das wird nie aufhören; das ist kein berechtigter Vor⸗ wurf gegen eine Reform. Bei andern großen Reformen ich will Sie nur erinnern selbst an die Reformen nach den Jahren 1805 und und 1806 wurde da nicht auch geklagt? nur daß von einer andern Seite geklagt wurde. Geklagt wird bei solchen eingreifenden Reformen immer werden, und das beste ist, man läßt sie klagen. (Heiterkeit.)

Meine Herren, der Herr Abg. von Eynern hat sich auch darüber unwillig geäußert und auf die üblen Folgen hingewiesen, daß die

5

Einkommensteuer jetzt heruntergehe oder wenigstens nicht wesentlich steige. Nun, kommt das von der Steuerreform? Das kommt von dem Niedergang, dem Stillstand wenigstens der gewerblichen Ent⸗ wickelung, an welchem die Steuerreform keine Schuld hat. Im Gegentheil, es ist ein Vorzug einer richtigen Besteuerung, daß das Steuererträgniß heruntergeht mit dem Einkommen der betreffenden Zensiten. Die Grundsteuer mußte bezahlt werden ohne Rücksicht auf die Schulden und ohne Rücksicht auf das Erträgniß (Sehr wahr!); Gebäudesteuer mußte 15 Jahre gezahlt werden ohne Rücksicht auf das jeweilige Einkommen von den Gebäuden, und bei der Gewerbesteuer geht es gerade so. Das ist gerade der Vorzug dieses ganzen Steuersystems, welches wir jetzt ein⸗ geführt haben, und es ist merkwürdig, daß, nachdem diese Dinge, ich möchte sagen, zum Ueberdruß hier verhandelt sind, man immer wieder mit solchen verkehrten Vorwürfen kommt. (Heiterkeit.)

Meine Herren, der Herr Abgeordnete beklagt sich darüber, daß die Staatsregierung in einer Zeit des wirthschaftlichen Rückgangs das Eisenbahnwesen ins Stocken gerathen lasse, was sehr üble Folgen in Beziehung auf die Bestellungen in der großen Industrie habe, wo dann gerade in Zeiten, wo die Industrie durch Privataufträge nicht genügend beschäftigt sei, auch der Staat nicht einträte, und nun, wenn -mal wieder die Privatindustrie stärker in Anspruch genommen werde durch private Bedürfnisse, der Staat auch käme und dadurch gewaltige Schwankungen entständen. Meine Herren, es ist auch dies eine höchst wichtige Frage für die Staatsverwaltung, und ich behaupte, daß gerade der Minister der öffentlichen Arbeiten mit meiner Unterstützung alles gethan hat, was in seiner Macht stand, um diese großen Schwankungen, die allerdings in sehr übler Weise gewirkt haben, thunlichst auszugleichen. Das Einzelne wird bei Gelegenheit der Berathung des Eisenbahn⸗Etats noch näher erörtert werden können.

Auch ist es nicht richtig, daß der Eisenbahnbau ins Stocken ge⸗ rathen sei. Wir haben, trotzdem in vielen Beziehungen die Selbst⸗ hilfe und Selbstverwaltung beim Kleineisenbahnwesen an die Stelle des Staats treten kann und getreten ist, und auch das Klein⸗ eisenbahnwesen in sehr erfreulicher Weise sich entwickelt, auch dadurch die Nachfrage nach Schienen und Eisenmaterial erhöht ist, doch keineswegs die Forderungen für Sekundärbahnen plötzlich ein⸗ gestellt oder ganz übermäßig vermindert, wir fahren auch damit in diesem Jahre Sie werden ja das Gesetz bekommen in der gewohnten Weise fort.

Endlich haben wir uns nicht darauf beschränkt, nur 200 000 einzustellen für die Förderung des Kleineisenbahnwesens, sondern ich habe doch deutlich genug ausgesprochen, daß wir einen erheblichen Betrag für die Förderung des Kleineisenbahnwesens durch eine Anleihe Ihnen zu beschaffen vorschlagen.

Das sind also alles ganz unzutreffende Vorwürfe. Nur eins muß ich ablehnen: Wenn hier und da bei mangelhafter klarer Unter⸗ scheidung von der Großindustrie gefordert werden sollte, daß, wenn sie keine Beschäftigung hat, der Staat ihr Beschäftigung schaffen muß, so weit kann ich der Großindustrie nicht entgegenkommen. Der Staat muß doch eine gewisse Neutralität beachten dabei, zwar nicht gegen die allgemeine Wohlfahrt, aber gegen die Interessen einzelner. Er müuß im allgemeinen dann bestellen und dann kaufen, wenn es auch mit seinen eigenen Interessen harmoniert; aber bestellen und kaufen und machen lassen, ohne daß seine eigenen Bedürfnisse es for⸗ dern, das wäre allerdings zu weit gegangen.

Meine Herren, wenn ich noch einmal auf diese sogenannte außer⸗ ordentliche Schuldentilgung der Name ist verkehrt, und ich werde in dem nächsten Etat beantragen, diesen Namen zu streichen (Heiterkeit) zurückkomme, so beruht diese sogenannte außerordentliche Schuldentilgung darauf, daß man sagte: wenn wir die Privateisenbahn verstaatlicht haben, wenn wir die Prioritäts⸗Obligationen, die diese amortisieren mußten, konvertieren in Staatspapiere dann sollten wir doch wenigstens so solide sein, wenn wir auch leider alle anderen Staatspapiere nicht amortisieren, wenigstens diejenige Amortisation fortzusetzen, welche bestand, als wir diese Privateisenbahn unter Be⸗ rücksichtigung dieser stattfindenden Amortisation der Prioritäts⸗ Obligationen in das Staatseigenthum überführten. Das ist doch wohl das Nothdürftigste, was eine solide Staatsverwaltung thun muß, und ich habe immer bedauert, möchte ich sagen, daß nicht das Staats⸗ Ministerium damals diesen Antrag stellte, sondern daß er aus dem Hause hervorgehen mußte. Ich habe mich wohl gehütet, trotz unseres Defizits, trotzdem es momentan gleichgültig ist, ob ich das Defizit vermehre oder vermindere durch Einstellen oder Einführen einer Schuldentilgung, in diesem Defizitjahre diese Position fallen zu lassen, weil es dann schwieriger gewesen wäre, sie in guten Jahren wieder aufzu⸗ nehmen. Ich will lieber jetzt eine Anleihe machen, als daß ich diese Position für Schuldentilgung vermindere.

Die Frage der Schuldentilgung ist das muß jeder Beobachter dieser Dinge zugeben für einen Staat, und namentlich für einen parlamentarisch geregelten Staat, ganz anders zu be⸗ urtheilen als für einen Privatmann. Man hat mir soviel vorgeworfen, daß ich suche, finanzielle Fragen auf gesetzliche Grundlage zu bringen, man hat sogar die Finanzreform im Reich, die weiter nichts bedeutet, als eine angemessene Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzel⸗ staaten, einen Automaten genannt. Das können nur solche Leute thun, die von der Sache nichts verstehen. Einer Schuldentilgung kann nan sich wohl entschlagen, wenn man in jedem Augenblick seiner selbst Herr ist, aber ein parlamentarisch regierter Staats⸗ körper hängt weit mehr von der augenblicklichen Stimmung, von dem Druck der Bedürfnisse, von den momentanen Mehrheiten ab, als das selbst bei einem wohlorganisierten Privat⸗ mann der Fall ist. Wenn wir keinen Zwang zur Schuldentilgung haben, dann wird immer die Gefahr vorhanden sein, daß bei Ueber⸗ schüssen diese Ueberschüsse für andere Zwecke als zur Schuldentilgung verwendet werden (sehr richtig! rechts), und umgekehrt, beim Defizit erst recht keine Schulden getilgt, sondern neue gemacht werden. Daß das schließ⸗ lich zu einer Ueberschuldung des Staats führen muß, ist klar, und gerade für mich ist diese Frage viel weniger eine rein finanzielle, oder welchen Ausdruck soll ich gebrauchen? sondern eine psychologische Frage. Wir sind auch in unseren Parlamenten und in den Regierungen Menschen; es ist gut, wenn die Menschen bisweilen vor feste Schranken kommen, die sie nicht nach augenblicklichen Stimmungen beseitigen können. (Sehr richtig! rechts.) Soviel also über den Vorschlag des Herrn von Eynern, diese sogenannte außerordentliche Schuldentilgung fallen zu lassen.

Nun kommt der Herr Abgeordnete schließlich auf die Gemeinden.

Er scheint nicht behaupten zu wollen, daß die Ueberweisungen neuer

Steuerquellen im Betrage von etwa 100 Millionen Mark gar keine Wirkung gehabt haben, oder gar eine schädigende. Aus einigen seiner Aeußerungen könnte man allerdings annehmen, als wenn er für die kleineren Gemeinden besorgt sei, daß man ihnen die Grund⸗ und Gebäudesteuer überwiesen hat. Der Herr Abgeordnete giebt allerdings zu, daß er nicht für die großen Gemeinden zu sprechen brauche. Wenn er dies nicht anerkannt hätte, so würde ich ihn auf seine eigene Vaterstadt Barmen verwiesen haben, und daß nach seinen eigenen Mittheilungen allerdings durch die Kommunalabgaben⸗Gesetzgebung durch die Ueberweisung der Real⸗ steuern eine sehr erhebliche Verminderung der Zuschläge zur Ein⸗ kommensteuer eingetreten ist, und daß diejenigen Herren, die etwa durch das neue Steuersystem überhaupt höher in der Staatssteuer zu stehen kommen, sich doch einigermaßen dadurch trösten können, daß sie um so niedriger in der Kommunalsteuer stehen. Und das war auch einer der Zwecke dieser Vorlage. Der Herr Abg. von Eynern will nun hauptsächlich der Tröster der ganz kleinen Ge⸗ meinden sein und sagt, gerade für diese hätten die Getränkesteuern eine so große Bedeutung; die Getränkesteuern haben für die Dörfer keine wesentliche Bedeutung; die Getränkesteuer ist im wesentlichen ein Interesse der großen Städte. (Sehr richtig!) Deswegen bin ich durchaus nicht dagegen; im Gegentheil, ich bin ein Freund davon in all' den Fällen, wo eine ganz erhebliche Belastung der direkten Per⸗ sonalsteuer, wie das in den großen Städten vielfach der Fall ist, vor⸗ handen ist.

Der Herr Abgeordnete beklagt sich, daß wir zwar im Bundesrath die Vorlage eingebracht hätten, nach welcher eine gleichmäßige Be⸗ steuerung des Weins durch die Kommunen stattfinden könne, aber nicht des Biers, und er meint, das Bier wäre die Hauptsache, und es wäre durchaus berechtigt, das Bier in den Kommunen schärfer heranzuziehen. Meine Herren, über die Frage läßt sich streiten, ob man die Grenze, die jetzt der Bierbesteuerung der Kommunen gestellt ist, demnächst noch wird etwas erweitern können; aber Sie wollen doch auch die Lage der Regierungen in Erwägung ziehen und die allgemeinen Staatsinteressen. Darüber kann doch kein Zweifel sein, daß namentlich die staatliche Besteuerung des Biers gegenwärtig in den Staaten des Norddeutschen Bundes eine niedrige ist, und daß die Forderung, in dieser Beziehung demnächst zu einer Reform zu kommen, die auch den Staaten einmal zu gute kommt, durchaus berechtigt ist. (Sehr wahr! rechts.) Wenn nun die Ge⸗ meinden vorab, und namentlich große Städte, die es viel⸗ leicht am allerwenigsten gebrauchen, sehr hohe Bierbesteuerung in diesem Augenblick einführen, wo wir zu einer Reform der staatlichen Biersteuer noch nicht gelangen können, so ist das doch wirklich, darf ich sagen, eine sehr große Bescheidenheit nicht. (Heiterkeit.) Ich mache jetzt ja die Erfahrung, daß die Kommunen überall geneigt sind, Steuern aller Art zu erfinden, und ich wenigstens bin ein wahres Kind gegen diese Bestrebungen (Heiterkeit); dabei mache ich überhaupt die Erfahrung, daß, trotzdem wir den Gemeinden Grund⸗, Ge⸗ bäude⸗, Gewerbe⸗ und Bergwerkssteuer überwiesen haben, die Gemeinden vielfach damit noch nicht zufrieden sind, sondern ganz einfach durch ihre Vorschläge beispielsweise in die staatliche Erbschaftssteuer eingreifen: manche Städte möchten sich nebenbei auch noch die Erbschaftssteuer überweisen lassen. In das Stempelsteuer⸗ wesen durch die Umsatzsteuer wird ja auch sehr herzhaft eingegriffen. Daß da auch schon einigermaßen seitens der allgemeinen Staats⸗ verwaltung Halt geboten werden muß, daß man die Gemeinden darauf hingewiesen hat, daß in keinem Lande der Welt jemals so viel für die Gemeinden geschehen ist, wie durch diese Kommunalsteuerreform, von welcher der Herr Abgeordnete jetzt so üble Folgen fürchtet, das, glaube ich, kann uns nicht verdacht werden.

Meine Herren, natürlich glaubt jeder an die gute Wirkung des Werkes, an dem er mitgearbeitet hat, und wenn Herr von Eynern auf die Entscheidung über diese Fragen nach zehn Jahren verweist, so reiche ich ihm die Friedenshand und sage: dann wollen wir den Streit bis über zehn Jahre vertagen! (Heiterkeit.)

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Wenn ich mir erlaube, Sie für einige kurze Be⸗ merkungen um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten, so habe ich damit ab⸗ sichtlich gewartet, bis die großen Gesichtspunkte, von denen aus hier die gesammte finanzielle Lage unseres Vaterlandes an der Hand des Ihnen vorgelegten Etats erörtert sein würde, hier zur Aussprache gelangt sind; ich bin aber gestern und vorgestern von einigen der Herren Redner so bestimmt auf einzelne Fragen meines Ressorts an⸗ geredet worden, daß ich es für eine Pflicht der Loyalität halte, die Antwort darauf ihnen nicht schuldig zu bleiben, und ich werde mich dabei mit Rücksicht auf die späte Zeit der Debatte, in der ich das Wort ergriffen habe, so kurz wie möglich fassen.

Von verschiedenen der Herren Vorredner ist als eine der wich⸗ tigsten Angelegenheiten meines Ressorts die Frage berührt worden, wie es mit der Vorlegung des Lehrerbesoldungsgesetzes stehe. Die Sache liegt mir in der That dergestalt am Herzen, daß ich unmöglich stillschweigend über diese Anfrage hinweggehben kann. Ich habe im Laufe der vorigen Etatsdebatte die Gründe wiederholt entwickelt, aus denen die Vorlegung eines all⸗ gemeinen Volksschulgesetzes zur Zeit weder thunlich noch zweckmäßig erscheint. Nach dieser Richtung hin hat sich die Situation nicht geändert. Sie ist aber auch noch nach einer anderen Richtung hin dieselbe geblieben. Gewisse Unebenheiten, Mißstände und Unzuläng⸗ lichkeiten auf dem Gebiet unseres Lehrerbesoldungswesens sind heute noch gerade so in demselben Maße vorhanden, wie das im vorigen Jahre der Fall war; und, meine Herren, im vorigen Jahre wurde von allen Seiten dieses Hauses zu meiner großen Genugthuung anerkannt, daß es dringend wünschenswerth sei, diesem Mißstand und Uebelstand abzuhelfen. Da ich nun nicht in der Lage bin, dies im Wege eines Volksschulgesetzes thun zu können, so habe ich mit aller gebotenen Vorsicht in der vorjährigen Etatsdebatte erklärt: ich werde den „Ver⸗ such“ machen, ob man nicht im Wege eines Lehrerbesoldungsgesetzes vorgehen kann, welches diesem Bedürfniß abhelfen kann, ohne damit den ganzen großen und verderblichen konfessionellen Streit bei dieser Gelegenheit wieder aufzurühren; und dieses Versprechen wenn. man es ein Versprechen nennen will; ich habe nicht versprochen, ein Lehrerbesoldungsgesetz vorzulegen, sondern ich habe ver⸗ sprochen, den Versuch zu machen, ob ich auf diesem Wege zum Ziel kommen könnte habe ich insoweit eingelöst, daß i unmittelbar nach Schluß der vorigen Landtagssession Grundzüge eines solchen Gesetzes aufgestellt habe. Ich habe sie dann, nachdem sie

wiederholt im Kultus⸗Ministerium der Durchberathung unterworfen 8 11““ 8 .“ 6“ 8

waren, hinausgehen lassen, und zwar vertraulich an die Regierungs⸗ Präsidenten und Ober,Präsidenten, um ihr Urtheil über die Prin⸗ zipien, nach denen der Entwurf aufgestellt werden sollte, zu erbitten. Ich habe sie ausd ücklich als vertraulich bezeichnet, und zu meinem großen Bedauern ist gleichwohl bei dieser Gelegenheit ein Theil dieser Grundzüge, wenn auch etwas verstümmelt, aber doch in wesentlichen Punkten richtig, in die Oeffentlichkeit gelangt, und es hat das den großen Nachtheil gehabt, den ich sehr gern vermieden gesehen hätte, daß in die Lehrerwelt eine gewisse Bewegung gekommen ist, und daß nunmehr, nachdem bei der Landtagseröffnung das Gesetz nicht gleich vorgelegt ist, in den Preßorganen der Lehrer häufig von einer Ent⸗ täuschung gesprochen wird. Es thut mir das sehr leid, aber ich bin daran vollständig unschuldig. Nun liegt die Sache so, daß, nachdem die Gutachten der Regierungen und der Ober⸗Präsidenten, die ja vielfach auch die Landräthe und die Lokalbehörden darüber gehört haben, bei mir eingegangen sind, dieses sehr umfangreiche Material zunächst hat durchgearbeitet werden müssen, denn in den Grundzügen waren immer nsch Punkte genug, bei denen ich sehr wohl eine andere Lösung oder eine Abweichung von dem, was dort vorgeschlagen war, acceptieren konnte. Das ist geschehen, und nunmehr habe ich diese Gründzüge in der Gestalt, wie sie bei mir festgestellt worden sind, an meinen Kollegen, den Herrn Finanz⸗ Minister gehen lassen und mir dessen Aeußerungen über dieses Lehrer⸗ besoldungsgesetz erbeten. Darüber schweben zur Zeit. noch die Ver⸗ handlungen, und ich bin deshalb auch noch nicht in der Lage, auf den materiellen Inhalt dieses Lehrerbesoldungsgesetzes, wie wir es geplant haben, hier einzugehen; es muß das erst so weit vorbereitet werden, daß sowohl an die Allerhöchste Stelle als auch an das Staats⸗ Ministerium diese Dinge gelangen können. Dann werde ich bereit sein, sehr gern jede Auskunft zu geben, zu der ich in der Lage sein werde. Ich bin aber auch heute noch der Zuversicht, daß es bei dem drückenden Bedürfniß, das auf diesem Gebieke vorliegt, gelingen wird, zu einem Lehrerbesoldungsgesetz zu kommen und auf diesem Wege wenigstens einen großen Theil der Uebelstände, unter denen jetzt das Volksschulwesen und unser Lehrerstand leiden, zu be⸗ seitigen. Ich würde nicht meinen, daß ausschließlich die zu geringe Bemessung der Lehrergehälter den wesentlichen Grund bildet, weshalb wir diese Regelung in Angriff nehmen müssen, sondern es handelt sich namentlich darum, eine Ausgleichung herzustellen. Wir haben jetzt oft in den unmittelbar benachbarten Gegenden und Ortschaften eine so bunte Musterkarte und eine solche Verschiedenheit in den Be⸗ soldungen, daß dadurch bei denen, die etwas geringer stehen als ihre Nachbarn, Unzufriedenheit erregt wird. Diese Unzufriedenheit und Ungerechtigkeit möchte ich in erster Linie beseitigen nicht dadurch, daß ich eine große Schablone über das ganze Land ziehe, sondern dadurch, daß ich je nach den örtlichen Verhältnissen die Regelung der Lehrerbesoldung vornehme.

Meine Herren, ich hoffe, wenn ich das Lehrerbesoldungsgesetz vorlege, daß ich dann noch auf allen Seiten dieses hohen Hauses die Bereitwilligkeit finden werde, unserer Volksschule den Dienst zu leisten, daß endlich einmal unsere Lehrer so gestellt werden, wie sie es beanspruchen können. (Bravo! links.)

Sodann, meine Herren, muß ich ein paar Worte dem geehrten Herrn Abg. Bachem erwidern. Ich will nicht noch einmal auf alle die Punkte, die er berührt hat, eingehen, namentlich nicht auf den großen Gesichtspunkt der Parität. Der Herr Finanz⸗Minister hat gestern schon die Güte gehabt, nach dieser Richtung hin das Nöthige zu sagen; ich bin damit vollkommen in jedem Punkte einverstanden. Ich will nur darauf aufmerksam machen, daß einzelne Ausführungen des Herrn Abg. Bachem doch auch der Billigkeit nicht vollständig ent⸗ sprechen. Er hat sich namentlich beklagt, daß wir in dem Etat wiederum die Rate haben für den Berliner Dombau, und daß etwas Aehnliches für den katholischen Kirchenbau nicht ersichtlich ist. Ich will ganz davon absehen, daß der Berliner Dombau nicht ausschließlich auf das Konto zu setzen ist, daß damit der evangelischen Kirche ge⸗ dient werden soll; es steht ausdrücklich darin, daß es sich hier auch um eine Gruft für unser Fürstenhaus handelt, und daß diese Sache auch die Seite eines nationalen Denkmals an sich trägt. Aber ch will davon ganz schweigen; ich will nur darauf hinweisen, daß für den Kölner Dom (sehr richtig!) 6 345 252 lediglich durch Staatsunter⸗ stützung, die jährlich mit 150 000 eingestellt war, aufgewendet worden sind ganz abgesehen von den Prämienkollekten und dem Dombauverein, zu dessen Sammlungen nicht nur Katholiken, sondern auch andere Konfessionen beigesteuert haben. Ich finde es ganz in der Ordnung, daß das geschehen ist; aber wir wollen doch nicht so rechnen, als wenn jeder Thaler und jede Mark, die einmal die eine Konfession in diesem Jahre mehr bekommt, ein Unrecht gegen die andere wäre. So liegen die Dinge hier nicht. Hier entscheidet das Bedürfniß, wie gestern schon hervorgehoben worden ist. Und darauf können Sie sich verlassen, daß es nicht aus Animosität gegen die katholische Kirche geschehen ist, wenn ähnliche große Aufwendungen für katholische Kirchen⸗ gebäude in dem diesjährigen Etat nicht erscheinen.

Der Herr Abg. Bachem hat mir gestern sein und seiner Freunde Vertrauen zu meiner großen Genugthuung ausgesprochen. Ich bin dafür dankbar, und ich darf wohl sagen, daß ich es mir angelegen sein lasse, dieses Vertrauen zu verdienen. Ich darf aber auch ernst hinzufügen, daß ich dieses Vertrauen im vollsten Maße erwidere, und daß ich davon tief durchdrungen bin, daß namentlich im Staatsleben nichts tödtender und lähmender wirkt, als gegenseitiges Mißtrauen von solchen Leuten, die auf einander angewiesen sind. Allein, so fügte Herr Abg. Bachem hinzu, zum Minister haben wir wohl Vertrauen, aber nicht zu seinen Räthen. Meine Herren, das beklage ich aufs tiefste. Denn ich bin auf die Mitarbeit meiner Herren Räthe angewiesen, und ich habe allen Grund, mit dieser Mitarbeit, mit den angestrengten, hingebenden treuen und erfolgreichen Diensten meiner Räthe vollkommen zufrieden und ihnen sehr dankbar dafür zu sein. Ich vermag nur nicht einzusehen, was 8. Shalzeg meiner Räthe gerade der Landesvertretung gegenüber zu bat. Meine Herren, ich weiß nicht, wie es zur Zeit der ischen Abtheilung gewesen ist, ob es etwa damals so gewesen ist, daß damals nicht die Räthe nach den Anweisungen des Ministers, sondern daß der Minister nach den Anweisungen der Räthe geatbeitet hat. (Unruhe.) Ich glaube das nicht. Das kann ich Ihnen aber

nsichern, bei mir ist es nicht so; bei mir arbeiten die Räthe so 88n 6s wil, und ich arbeite nicht etwa wie meine Räthe es wollen. vüs 28. Meine Herren, nicht die Räthe sind der Landesvertretung Ba sondern ich; ich trage die Verantwortung Seiner Majestät Ronige gegenüber, und i

über, und diese Verantwortung nehme ich ganz und voll auf mich. Ich will nicht durch meine Räthe gedeckt sein. Meine Räthe können mich auch nicht decken; ich kann meine Räthe decken, aber nicht um⸗ gekehrt. (Bravo!)

Meine Herren, ich will nicht noch einmal auf die Forderung der katholischen Abtheilung tiefer eingehen. Ich habe im vorigen Jahre sehr ausführlich den Irrthum widerlegt, als ob die katholische Ab⸗ theilung dazu dienen konnte, das Verhältniß zwischen dem Ministerium und der katholischen Kirche zu bessern. Ich bin im Gegentheil der Meinung, daß der Schnitt zwischen den beiden Konfessionenen durch die Wieder⸗ einrichtung einer katholischen Abtheilung viel größer gemacht werden würde, als er jetzt ist. (Sehr richtig!) Nun aber, meine Herren, worauf kommt es an? Darauf kommt es nach meiner Auffassung an, daß wir diese Trennung, diesen Doppelkonfessionalismus, der doch nun einmal in unserem Vaterlande vorhanden ist, zwar anerkennen; er ist eine geschichtliche Thatsache, die nicht zu bestreiten ist, und wird auch durch Menschenwitz und durch Menschenmaßregeln nicht aus der Welt zu schaffen sein; da müssen wir Gottes Zeit abwarten. Solange aber die Sache besteht, ist eines möglich: wir können uns gegenseitig die Hände reichen. Der Staat kann gerecht sein gegen beide Kon⸗ fessionen, und beide Konfessionen können gemeinsam die Ziele ver⸗ folgen, die im Staat ihnen vorgesteckt sind. (Bravo!) Darauf hinzuwirken, meine Herren, ist vom ersten Augenblick an, wo ich hierher getreten bin, mein sehnliches Verlangen und Streben ge⸗ wesen, und ich habe die große Genugthuung, daß ein großer Theil der Herren vom Zentrum dies auch allmählich eingesehen hat und daß wir jetzt mit den Herren Bischöfen Gott sei Dank auf einem durchaus freundlichen und entgegenkommenden Fuß stehen. Meine Herren, das ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß jeder Theil seines Glaubens und seines Bekenntnisses sicher ist. Ich habe vom ersten Augenblick an, wo ich Minister geworden bin, kein Hehl daraus gemacht, daß ich mit meinem Herzblut an meinem evangelischen Bekenntniß hänge, und ich hoffe zu Gott, daß ich weder im Leben noch im Sterben es jemals verleugnen werde. Aber das schließt nicht aus, sondern ermöglicht gerade, daß ich auch für die Andersdenkenden und namentlich für die katholische Kirche Verständniß haben kann, daß ich Ihnen die Hand reichen kann, daß ich mir vorstellen kann, wie aus der katholischen Anschauung heraus gewisse Dinge, auf die weniger Gewicht bei uns gelegt wird, als wesentliche Dinge erscheinen, und daß wir Ihnen darin helfen müssen, soweit wir können, das ist mein guter redlicher Wille. Und wenn das geschieht, meine Herren, so hoffe ich, daß auch Sie mit uns Schulter an Schulter kämpfen werden, den irreführenden traurigen Mächten der Zeit gegenüber, und zwar zu Gunsten der christlichen Religion, Sitte und Ordnung, die wir vertheidigen müssen, ver⸗ theidigen müssen bis aufs Blut. (Lebhaftes Bravo.) u“

Abg. Gothein (fr. Vrgg): Die Rede des Abg. von Eynern war weiter nichts, als ein Liebeswerben um die Gunst der Konservativen. Das Defizit im Etat wird sich nur durch erhöhte Einnahmen aus den Eisenbahnen abstellen lassen. In der Verwaltung dieser herrscht noch viel zu viel Assessorismus. Der Bau der wird dadurch aufgehalten, daß man dem Unternehmungsgeist der Privaten nicht ent⸗ gegenkommt, ja ihn oft durch fiskalische Rücksichten hemmt. Der Bau der Wasserstraßen muß mehr gefördert werden, die Kanäle werden sich vollauf rentieren. In Bezug auf die Börsenenqubte gebe ich zu be⸗ denken, daß der Terminhandel gar nicht zu entbehren ist. In Schlesien ist gerade die Genossenschaft schlesischer Landwirthe der Hauptspekulant im Terminhandel. Die Agrarier agitieren mit fal⸗ schen Statistiken über Getreide⸗ und Brotpreise gegen die Handels⸗ verträge und für den Antrag Kanitz, der unserer bisherigen Handels⸗ politik widerspricht und entschieden zu verwerfen ist.

Abg. Wallbrecht (nl.) bedauert die Folgen der Reform der Eisenbahnverwaltung, durch welche 80 Regierungsbaumeister auf die Straße gesetzt worden seien. Er fordert Reformen im Eisenbahn⸗ tarifwesen und den Ausbau der Wasserstraßen. Um der Noth der Landwirthschaft abzuhelfen, schlägt Redner in erster Linie eine Reform des Zuckersteuergesetzes vor.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren, ich beabsichtige nicht, mich über die von dem Herrn Vorredner und dem Herrn Abg. von Eynern angeregte Frage der Abtrennung der allgemeinen Bauverwaltung von dem Ministerium der öffentlichen Arbeitern zu äußern. Ich halte es auch nicht für zweckmäßig, auf alle diejenigen Punkte heute zurückzukommen, welche im Laufe der Verhandlungen hier der Eisenbahnverwaltung zum Vorwurf gemacht worden sind, auf die Kritik zu antworten, die an der Eisenbahnverwaltung und dem von ihr aufgestellten Etatsentwurf geübt worden ist. Dahingegen halte ich mich für verpflichtet, einer Legende entgegenzutreten, die, wie ich aus der wiederholten Erwähnung entnehme, hier im Hause einige Beunruhigung hervorgerufen hat. Es ist das die Legende von den 80 Baumeistern, die der grausame Eisenbahn⸗ Minister am 1. April, wie der Herr Abg. Wallbrecht sagt, auf die Straße setzt. Meine Herren, thatsächlich liegt die Frage folgender⸗ maßen: Infolge der Neuorganisation wurden von den vorhandenen zahlreichen Baumeistern 64 disponibel. Durch die inzwischen ein⸗ getretene Pensionierung, Zurdispositionstellung älterer technischer Beamten, durch freiwilliges Ausscheiden und anderweite Unterbringung einzelner Beamten reduziert sich diese Zahl schon heute auf 43. Von diesen 43 werden voraussichtlich noch einige bis zum 1. April 1895 aus⸗ fallen. Diese 43 vertheilen sich nun folgendermaßen: Es werden von seither bei der Eisenbahnverwaltung beschäftigten Regierungs⸗Bau⸗ meistern 12 nach § 3 des Gesetzes vom 4. Juni 1894 mit Wartegeld zur Verfügung gestellt. 31 werden unter Belassung ihres gegen⸗ wärtigen Einkommens bei der Verwaltung, und zwar in Bauführer⸗ stellen, weiter beschäftigt. Den Herren ist auch eröffnet worden, daß sie bei sich darbietender Gelegenheit und diese Gelegenheit wird sich bei dem großen Umfang der technischen An⸗ forderungen innerhalb der Eisenbahnverwaltung in verhältnißmäßig kurzer Zeit finden wieder in die Baumeisterstellung einrücken sollen. Von den 12 nach § 3 des Gesetzes zu behandelnden Regierungs⸗ Baumeistern ist ein Theil nicht mehr verwendbar, weil ihre körper⸗ lichen oder geistigen Kräfte nicht mehr für die Aufgaben ausreichen, wie sie sich nach der Neuorganisation vom 1. April herausstellen. Neben dem Wartegeld, welches den zur Verfügung gestellten Herren nach §3 des Gesetzes zugebilligt ist und welches sich bei den älteren Herren auf etwa 900 bis 1000 erstreckt, ist in Aussicht genommen und es sind dafür auch die nöthigen Mittel im Etat vorgesehen —, im Falle des Bedürfnisses außerdem angemessene Beihilfen zu gewähren.

Meine Herren, das ist die thatsächliche Lage der Baumeister, welche zum 1. April innerhalb der Eisenbahnverwaltung nicht mehr verwendbar sind. Es ist also von dem § 3 nur bei 12 Baumeistern

ebrauch gemacht word

Was die rechtliche Frage anbetrifft, so möchte ich mich bezüglich derselben hier um so weniger äußern, als mir in Aussicht gestellt ist, daß diese Rechtsfrage vor den Gerichten ihren Austrag finden soll. Ich möchte hier nur bemerken, daß jeder Baumeister bei Aus⸗ händigung seines Patents ausdrücklich und schriftlich auf den § 51 der Ausbildungs⸗ und Prüfungsvorschriften vom 6. Juli 1886 hin⸗ gewiesen wird, welcher die Bestimmung enthält:

„Ein Anspruch auf dauernde entgeltliche Beschäftigung steht dem Regierungs⸗Baumeister nicht zu; doch kann er auf seinen An⸗ trag der Provinzialbehörde zur unentgeltlichen Beschäftigung, soweit sich zu solcher Gelegenheit bietet, überwiesen werden“.

Abg. Schwarze (Zentr.) hält die preußischen Fi .

Abg. S rze (Zentr.) h die ßi Finanzen für gar⸗ nicht so schlecht, wie sie geschildert würden; man habe ja noch die 38 Millionen, die auf die Eisenbahnschuld abgeschrieben worden. Im übrigen bittet Redner, bei den Kleinbahnbauten gerade die ärmeren Kreise zu unt rstützen, überhaupt den nothleidenden Distrikten i Westen wirthschaftlich mehr zu Hilfe zu kommen. 8

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

3 Ich will nur zwei Bemerkungen gegenüber den-Aeußerungen des Herrn Vorredners machen, zumal ich nicht behaupten kann, daß sch ihn in allen Beziehungen habe verstehen können.

Er hat zuerst ausgesprochen, der Staat wäre eigentlich sehr reich, von einem Defizit wäre gar keine Rede wenn ich ihn recht ver⸗ standen habe —, und in einigen Jahren würde erst recht nicht davon die Rede sein. Meine Herren, ich wollte, daß der preußische Staat sich in so guten Verhältniffen befände, wie der Herr Vor⸗ redner sie ansieht, und würde wünschen, daß ich den⸗ selben freudigen Glauben von der Finanzlage Preußens hätte; aber mit den Gründen, die der Herr Vorredner wenn ich ihn richtig verstanden habe angeführt hat, kann ich mir wenigstens diesen schönen Glauben nicht beibringen.

Wenn er darauf hinweist, daß ja 38 Millionen Ueberschüsse ab⸗ geschrieben seien auf die Eisenbahnschuld, und daß man da nur diese 38 Millionen zu nehmen brauchte, dann hätte man schon 4 Millionen Mark Ueberschüsse bei den allgemeinen Staatsfinanzen, aber gewiß kein Defizit ja, meine Herren, wenn er nicht tiefer in die Finanzlage Preußens eindringt, so möchte ich dem Hause den Rath geben, ihm auch auf anderen Gebieten nicht zu folgen. Denn diese 38 Millionen sind leider schon verbraucht, die existieren garnicht mehr; das sind diejenigen 38. Millionen, welche allgemeinen Staatszwecken dienen und in Gemäßheit des allerdings sehr schwer verständlichen und unklaren, widerspruchsvollen Garantiegesetzes vom Jahre 1882 auf dem Papier hinterher noch abgeschrieben werden: dasjenige, was die Staatseisen⸗ bahn über die Verzinsung der Staatsschuld hinaus aufbringt und zu allgemeinen Staatszwecken verwandt wird, also nicht mehr da ist, nicht zur Deckung eines Defizits dienen kann, das wird zu Gunsten der Eisenbahnen auf dem Papier abgeschrieben. Wenn diese Abschreibung immer so weiter geht, dann wird allerdings eine Zeit kommen, wo die Staatseisenbahn⸗Kapitalschuld auf dem Papier nicht mehr existiert, aber statt dessen hat sie die Generalstaats⸗ kasse. Wenn man eben daraus so freudige Anschauungen über unsere Finanzlage hernimmt, dann muß ich doch sagen: das ist auf Sand gebaut.

Der Herr Vorredner hat dann aber ein wahres Wort gesagt, was indessen mit seinen eigenen Worten in Widerspruch steht; denn er hat gesagt: der Staat muß auch an die Unbemittelten und Schwachen denken und an diejenigen Kreise, die nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Darin hat er durchaus Recht, aber die erste Voraussetzung dazu ist, daß das von der Gesammtheit, also auch von den bessersituierten Einzelnen und Bezirken, dem Staat ge⸗ geben wird, was erforderlich ist, um diese hohe Mission zu erfüllen. Ich bedaure im täglichen praktischen Leben oft genug, daß ich dringende Bedürfnisse nicht befriedigen kann, und habe nicht verstehen können, wie diejenigen, welche selbst, wenn sie selbst nicht an diese hohen Aufgaben des Staats denken, sondern an ihre eigenen Ver⸗ hältnisse, dem Staat am allerersten diejenigen Mittel bestreiten, die unbedingt erforderlich sind, damit diese hohe Aufgabe des Staats erfüllt werden kann. Der Herr Vorredner möge glauben, daß solche dringenden Bedürfnisse, die, wie mir vollständig bekannt, in den in schwierigsten Verhältnissen stehenden Gebirgsgegenden im Westen vor⸗ handen sind, eher erfüllt werden können, wenn der Staat mit Ueber⸗ schüssen arbeitet, als wenn er gezwungen ist, jahraus jahrein Anleihen zu machen, um nur die nothwendigsten laufenden Ausgaben zu decken.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Einem neuen Schulgesetz werden wir alle Unterstützung zu theil werden lassen; allerdings werden wir die Unterstützung des Herrn von Eynern dabei entbehren müssen.

dvon Eynern hat sich heute wieder an die Spitze der großen preußischen Partei gestellt, bei der er die Vorhut, Herr Sattler den aupttrupp und Herr von Bennigsen vielleicht die Nachhut führt. Ich weiß nicht, was der König Gustav Adolf mit dem Schulgesetz zu thun hat. „Wenn dieser König im Reichstag von meinem Freunde Gröber angegriffen worden ist, so ge⸗ hört doch die Vertheidigung vor dasselbe Forum. Wenn von Herrn Gröber dieser scharfe Ausdruck gegenüber Gustav Adolf ge⸗ fallen ist, so war er ein Echo der Feier, die uns in unserm Innersten erregt hat. Sie konnte uns gar nicht unberührt lassen. Herr von Eynern hat gesagt, daß dem preußischen Bewußtsein damit ins Ge⸗ sicht geschlagen worden sei. Seit langer Zeit ist dem katholischen Bewußtsein nicht so schwer ins Gesicht geschlagen worden wie damals, als ein nicht unerheblicher Theil der Bevölkerung die Gastav Adolf⸗Feier in Scene setzte. Die Geschichte allein wird über Gustav Adolf entscheiden.

Schon in der Elementarschule haben wir gelernt, daß durch Gustav Adolf, den Sie als Heros feiern, ein Theil deutschen Landes losgerissen wurde und auch der Große Kurfürst die Schweden erst in den Schlachten von Rathenow und Fehrbellin hat besiegen müssen, damit nicht ein weiteres Stück deutschen Landes abgetrennt wurde. Dann erinnere ich an Stralsund; erst 1875 ist es gelungen, diese deutsche Stadt wiederzugewinnen. Herr von Eynern hat ge⸗ sagt: wenn Sie von Mordbrennern sprechen, so gehen Sie zu Tilly. Tilly war Kaiserlicher General, der im Interesse der Reichs⸗ einheit, im Interesse des Kaisers gekämpft hat egen die Einmischung eines Fremden in unserem Lande. Man muß die nationalen und religiösen Gesichtspunkte ausein⸗ ander halten. Es ist eine moralische Pflicht des Staats, die Zinsen der säkularisierten Güter der katholischen Kirche zu gute kommen zu lassen. Im Kultus⸗Ministerium giebt es eine Masse von Nebenfonds, die für kirchliche Zwecke verwendet werden sollen, über deren Verwendung wir aber nichts erfahren. Der Kultus⸗Minister hat es übel vermerkt, daß ich vom Berliner Dom gesprochen habe. Dieser Dom hat eine protestantische, nationale und auch monarchische Bedeutung; aus diesem Grunde haben wir die Mittel dafür bewilligt. Wenn er aber darauf hinweist, daß auch für den Kölner Dom Staatsmittel verwendet wurden, so erwidere ich, daß im Besitz des Staats sich viel rentbares Gut befindet, das dem Kölner Domkapitel gehört. Der Fümee Dom wird nicht restauriert; der Staat beschränkt sich darauf, ihn unter Dach und Fach zu bringen. Wir bringen dem Herrn Kultus⸗Minister Ver trauen entgegen, aber nicht seinen Räthen. Unter den Ministerial⸗