1895 / 38 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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Worten, die höheren Beamten der Eisenbahnverwaltung sollen sich der Hauptsache nach nicht aus Assessoren und Baumeistern ergänzen, sondern aus speziell ausgebildeten Eisenbahn⸗Fachtechnikern. Die Vor⸗ bildung dieser Fachtechniker hat, wenn sie zum Ziel führen soll, jeden⸗ falls bereits in einem früheren Stadium, sagen wir etwa bei den Juristen nach dem Referendar⸗Examen oder einer kurzen Be⸗ schäftigung beim Amtsgericht und bei den Technikern etwa nach dem Bauführer⸗Examen, zu erfolgen. Das wird zur Folge haben, daß nicht mehr der akademisch vorgebildete und nach abgelegtem zweiten Examen zum Baumeister ernannte Bau⸗ techniker den Betrieb auf den Eisenbahnen leitet, sondern daß der Betrieb in Zukunft in die Hände dieser Fachspezialisten kommt, natur⸗ gemäß; denn dazu werden ja die Herren in dieser speziellen Vor⸗ bereitung befähigt. Es wird dasselbe allerdings voraussichtlich für die Juristen der Fall sein, wir werden die Juristen auch nicht mehr nach dem Assessor⸗Examen nehmen, sondern in einem früheren Stadium für das Fach vorbereiten. Wir hätten dann also künftig in der Eisenbahnverwaltung vier Gruppen von höheren Beamten: Erstens die speziell ausgebildeten Fachtechniker, denen die Auf⸗ gaben des Betriebes, des Verkehrs und der Verwaltung zufielen, zweitens und drittens akademisch ausgebildete Techniker, Bau⸗Ingenieure und Maschinen⸗Ingenieure, für die eigentlichen Bau⸗ und Konstruktions⸗ Geschäfte, für deren sachgemäße Erledigung die Vorbildung der ersteren Gruppe natürlich nicht ausreicht, und viertens akademisch gebildete Juristen, die beide Staatsexamen gemacht haben, für die rein juristischen Angelegenheiten. Naturgemäß werden aber die Stellen für die Kategorien, die außerhalb der eigentlichen Fachvorbildung ihre Befähigung erlangt haben, verhältnißmäßig weniger zahlreich sein, als das heutzutage der Fall ist. Das ist ein Bedenken, welches vielfach schon hervorgehoben worden ist und welches un⸗ zweifelhaft eine gewisse Berechtigung hat.

Herrn Abg. Schultz möchte ich ferner darauf aufmerksam machen, daß die Voraussetzung, von der er ausgegangen ist, die in die Bauführerstellung übergeführten Baumeister erhielten während der Tage, wo sie krank oder beurlaubt sind, nicht ihre vollen Einkommensbezüge, irrig ist. (Zuruf links.)

Meine Herren, es besteht nicht etwa in der Eisenbahnverwaltung eine scharfe Scheidung derjenigen Dienste, die von seiten der Bau⸗ meister ausgeführt werden, und derjenigen Dienste, die von seiten der Bauführer ausgeführt werden; im Gegentheil, die Grenzen der beider⸗ seitigen Thätigkeit verwischen sich in der Praxis. Die Ueberführung der Baumeister in Bauführerstellung hat im wesentlichen eine rein formale Bedeutung. Bei der Neuorganisation sind 64 Baumeister⸗ stellen im Etat abgesetzt worden, weil sie nicht mehr erforderlich sind. Dagegen ist nicht beabsichtigt, nunmehr die bisherigen Inhaber dieser Stellen, die aus etatlichen Gründen nicht mehr in Baumeisterstellen beschäftigt werden können, in untergeordnetem Dienste zu beschäftigen; das ist durchaus nicht der Fall. Die Herren werden zum großen Theil nach wie vor dasselbe thun, was sie auch bisher gethan haben, bei irgend einem Bau ent⸗ weder als Bauleiter, oder als Gehilfen älterer Kollegen zu fungieren. Es besteht in dieser Beziehung also keine Ursache, daß die Herren un⸗ zufrieden sein könnten. Ich bemerke hierzu, daß mir aus der Reihe dieser Herren noch keine Beschwerde zugegangen ist. (Hört! hört! Zuruf links.) Meine Herren, der Standpunkt ist sicher falsch, wenn Sie sagen: Sie werden sich hüten. Das wäre ein wenig er⸗ freuliches Zeichen unserer Zeit. Ich glaube für mich beanspruchen zu können, daß diejenigen Beschwerden und Klagen meiner Beamten, die an mich herankommen, sorgfältig geprüft werden. Es wäre sehr traurig, wenn die Herren glaubten, durch die Presse oder in sonstiger Weise erst auf mich einwirken zu müssen; es wäre dann richtig, was ich gesagt habe, daß in den Kreisen der Eisenbahnbeamten sich das Gespenst unserer Zeit einzuschleichen sucht. (Sehr richtig!) Das wäre für die Beamten, wie für die Verwaltung gleich bedauerlich. (Bravo!) Meine Herren, was nun die zwölf Baumeister anbetrifft, die auf Wartegeld gesetzt sind genau entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes, welches der Landtag der Monarchie im vorigen Jahre genehmigt hat, so sind diese zwölf Herren bereits auf acht reduziert. (Hört! hört!) Das ist durchaus nicht beabsichtigt, uns vollständig darauf zu beschränken, den Herren ohne Rücksicht auf ihre soziale Lage nur die im Gesetz vor⸗ gesehenen 900 zu überreichen. Ich werde gern bereit sein, und es ist finanziell gar kein Bedenken vorhanden, bei diesen acht Herren das⸗ jenige zu thun, was nothwendig ist, sie über den todten Punkt in ihrer Beschäftigung ohne Bedrängniß hinweg zu bringen, und daß das geschehen wird, meine Herren, davon können Sie fest überzeugt sein! (Bravo!)

Auf die juristische Erörterung der Sache kann ich hier nicht ein⸗ gehen, und zwar aus dem Grunde nicht, den ich schon bei der ersten Lesung gesagt habe, weil die grundsätzliche Frage ja vor dem Richter zum Austrag kommen wird. Ich kann hier unmöglich in ein Rechts⸗ plaidoyer eintreten, das möglicherweise präjudiziell sein würde für die eine oder die andere Partei vor dem Richter.

Ich möchte aber eins zurückweisen: es ist gesagt worden, wenn ich nicht irre, von dem Herrn Abg. Wallbrecht, es sei eine große Beunruhigung unter den betreffenden Beamten durch die Mittheilung in den „Berliner Politischen Nachrichten“ entstanden, die doch offenbar von dem Herrn Minister selber oder von den Kreisen der Regierung ausgegangen sei. Meine Herren, von mir rührt der Artikel nicht her, ich weiß überhaupt von dem Artikel nichts; ich würde auch derartige Mittheilungen, die von vornherein ziffermäßig irrig waren, unmöglich in der Presse zu verbreiten suchen.

Meine Herren, eine Beunruhigung kann aber auch durch den Artikel materiell nicht entstanden sein; denn jeder der Herren, der hier in Betracht kommt, hat im Monat September v. J. bereits

anz genaue Mittheilung bekommen, was die Staatsregierung mit ihm vor hat. Also er wußte längst vor dem Erscheinen des Artikels in den „Berliner Politischen Nachrichten“, welche Bestimmung über ihn getroffen war.

Es kann auch kein Regierungs⸗Baumeister, meine ich, über seine cchtliche Stellung zur Verwaltung im Unklaren sein. Es ist ganz ichtig: bis zum Jahre 1886 ist den Herren speziell eine entsprechende

Mittheilung hierüber gemacht worden; seit dem Jahre 1886 aber ist das nicht mehr nöthig gewesen, weil im Jahre 1886 die Vorschriften über die Ausbildung und Prüfung für den Staatsdienst im Baufach von meinem Herrn Amtsvorgänger erlassen worden sind, und weil in diesen Vorschriften, von denen jeder Beamte, der in die Staatsbauverwaltung eintreten will, unzweifelhaft doch Einsicht nimmt, ausdrücklich gesagt worden ist, wie hier schon wiederholentlich

mitgetheilt worden ist, daß ein Anspruch auf dauernde entgeltliche Beschäftigung den Regierungs⸗Baumeistern nicht zusteht. Ich kann unmöglich annehmen, daß irgend ein Bauführer oder Baumeister diese Bestimmung nicht gekannt hat.

Meine Herren, dann ist auch von allen drei Herren Rednern darauf hingewiesen worden, daß es doch dringend wünschenswerth sei, den vielen Petitionen, die jahraus jahrein hier im Hause verhandelt werden, die Berechtigung dadurch abzuschneiden, daß in weiterem Maße, als das bisher geschehen ist, die Lage der Beamten verbessert werden möge. Meine Herren, die Staatsregierung ist, glaube ich, mit dem Landtag der Monarchie in der Beziehung durchaus fortschreitend vorgegangen. Ich habe schon in früheren Jahren mitgetheilt, um welche Summen es sich dabei für die Vergangenheit bereits handelt. Es sind die etatsmäßigen Gehälter in den letzten zehn Jahren um nicht weniger als 17 655 000 erhöht; es sind die Lohnerhöhungen für Hilfs⸗ beamte und solche Personen der Verwaltung, die im Arbeiter⸗ verhältniß beschäftigt werden, um 22 533 000 erhöht worden, im ganzen 40 942 000 für die Verbesserung der Lage der Beamten in den letzten zehn Jahren ausgegeben worden. (Hört! hört!) Dabei ist nicht in Berücksichtigung gezogen, was sonst an Wohlfahrtseinrichtungen und dergleichen ausgegeben worden ist, was auch viele Millionen ausmacht. Meine Herren, die Gehälter der Beamten der Staatseisenbahn⸗Verwaltung stehen, allerdings mit Aus⸗ nahme in den höheren Stellen, erheblich höher als die parallelen Gehälter bei den Privatverwaltungen; sie stehen auch zumeist höher als die Gehälter der im Staats⸗ oder Privatdienst beschäftigten Eisenbahnbeamten in unseren Nachbarländern. (Hört! hört!) Meine Herren, woher kommt es denn, daß, wenn eine Eisenbahn ver⸗ staatlicht wird, der Etat der Gehälter so erheblich aufsteigt? Der Herr Finanz⸗Minister weiß aus früheren Anlässen davon ein Lied zu singen. Wenn eine Verstaatlichung von Privateisenbahnen demnächst noch einmal stattfinden sollte, wird sich dasselbe Verhältniß zeigen. Die Beamten der Staatsverwaltung haben außerdem noch die Sicherung, daß sie für ihre Lebenszeit angestellt sind, daß nicht Willkür sie aus ihren Stellen bringen kann, sondern daß sie gesetzlichen Bestimmungen unterliegen, und daß auch für ihre Hinterbliebenen in sicherer Weise Fürsorge getroffen worden ist.

Ich sage das nicht, um daraus ein Argument herzuleiten, daß nunmehr etwa mit der Verbesserung der Beamtengehälter innegehalten werden soll. Ich beklage es auf das lebhafteste mit dem Herrn Finanz⸗Minister, daß die Finanzlage, in der wir seit einigen Jahren stehen, uns verhindert, die Absichten so rasch auszuführen, die bereits bezüglich der Erhöhung der Beamtengehälter bestehen. Ich glaube aber, meine Herren, daß man mit Rücksicht dieser Erwägungen weder der Staatseisenbahn⸗Verwaltung, noch dem Herrn Finanz⸗Minister den Vor⸗ wurf machen darf, daß die Staatsregierung sich der Lage ihrer Beamten nicht genügend annähme. (Sehr richtig! rechts.) Aber, auch wenn wir wirklich in rascherem Tempo mit der Verbesserung der Lage der Staats⸗ eisenbahnbeamten vorgehen wollten, so würde ich nicht in Aussicht nehmen können, daß die Zahl der Petitionen sich verringert (sehr richtig! rechts, Heiterkeit); die Zunahme der Beamten⸗Petitionen hängt leider mit Dingen zusammen, die Sie hier im Hause und die die Staatsregierung nicht ändern, die nur aus der eigenen Erkenntniß der Beamten sich bessern können. (Bravo! rechts und im Zentrum.)

Abg. Wetekamp (fr. Volksp.) tadelt die ungleichmäßige Be⸗ soldung der Beamten, namentlich der im äußeren Dienst be⸗ schäftigten; für diese müsse besser gesorgt werden. Es komme im allgemeinen weniger auf eine Gehaltserhöhung als auf eine Ge⸗ haltsregelung an. Die wohlwollenden Aeußerungen des Ministers würden hoffentlich bald in Thaten umgesetzt werden. Er bitte, die Zahl der Ftamchie angestellten Beamten thunlichst zu erhöhen.

Abg. Schaffner (nl.) bittet um Herstellung größerer Gleich⸗

mäßigkeit in den Gehältern der mittleren Eisenbahnbeamten. 1 Aog. reiherr von Erffa (kons.) weist die Ausführungen des Abg. Wallbrecht als Uebertreibungen zurück. Es handle sich lediglich um acht Beamte, und die Regierung habe es nicht an Wohlwollen gegen die disponibel werdenden Beamten fehlen lassen. Allerdings hätte sie besser gethan, wenn sie auch noch die acht Baumeister still⸗ schweigend untergebracht hätte.

Abg. Sander (nl.) tritt für Gehaltsaufbesserungen der Bahn⸗ meister ein. Diese seien bei den bisherigen Gehaltserhöhungen schlecht weggekommen, da die Kategorie in Bahnmeister erster und zweiter Klasse getheilt worden sei. Auch sei zu befürchten, daß durch den Fortfall von 12 Bahnmeistern bei der Reform, die vorhandenen Bahn⸗ meistereien überlastet würden. Es bestehe ferner die Befürchtung, daß den Bahnmeistern die Schreibhilfe entzogen und die Stellenzulage ge⸗ schmälert werden würde. 1

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Gerlach erwidert, daß eine Ueberlastung der Bahnmeistereien nicht eintreten werde. Die Stellen⸗ zulagen würden nur wegfallen bei solchen Bahnmeistern, die ander⸗ weitig Aufbesserung erfahren hätten. 18

Abg. Broemel (fr. Vg.) bemängelt die Aufstellung des Eisen⸗ bahn⸗Etats, der noch nicht übersichtlich genug sei. Bei der Gehalts⸗ abstufung nach Dienstaltersklassen seien einzelne Härten vorgekommen. Die Werkmeister z. B. hätten sich nach dem alten System besser ge⸗ standen als jetzt. Ein Werkmeister nehme eine ganz andere Stellung ein als vor zwanzig Jahren; es würde jetzt eine weit größere Summe von Kenntnissen von den Werkmeistern verlangt, und doch sei das Mindestgehalt jetzt kleiner als damals. Regierung und Landtag müßten gemeinsam dahin wirken, diesen Mißstand mög⸗ lichst schon im nächsten Etat zu beseitigen. 1

Abg. Im Walle (Zentr.): Das fortwährende Fordern von Gehaltserhöhungen für bestimmte Beamtenklassen erwecke den Anschein, als ob man nach außen Propaganda machen wolle. Alle Parteien seien ebenso wie die Regierung überzeugt, daß die Gehälter, nament⸗ lich der Subalternbeamten, aufgebessert werden müßten, sobald es die finanzielle Lage erlaube. 8 8

Abg. Mooren (Zentr.) bemerkt, daß die technischen Vorrich⸗ tungen auf den Bahnhöfen in Aachen so mangelhaft seien, daß Menschenleben gefährdet würden.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Da der Herr Abg. Mooren eine Antwort von mir wünscht und ich ihm in dieser Beziehung gern entgegenkommen möchte, so will ich hier kurz erwähnen, daß eine Petition vorliegt von Bewohnern der Stadt Aachen (Zuruf) also 10 000 Bewohnern der Stadt Aachen, die dahin geht, die nach ihrer Auffassung unhaltbaren Zustände der Aachener Bahnhöfe zu ändern. Die Zustände der Aachener Bahn⸗ höfe sind bereits seit einiger Zeit Gegenstand sehr ein⸗ gehender Erwägung seitens der Staatsbahnverwaltung. Die Aenderung der Zustände unterliegt aber ganz besonderen individuellen Schwierigkeiten. (Sehr richtig! rechts.) Die vorhandenen Bahnhöfe gehören nicht nur der preußischen Staats⸗ eisenbahnverwaltung, sondern es sind auch zwei fremde Eisenbahn⸗ verwaltungen betheiligt, und zwar zwei ausländische Eisenbahnverwal⸗ tungen, das ist die Belge und die Aachen⸗Maastrichter

Eisenbahn.

Eine fernere Reihe von Schwierigkeiten ergiebt sich aus den besonderen territorialen Verhältnissen in und um Aachen. Die dritte Gruppe von Schwierigkeiten ergiebt sich daraus, daß, wenn man an eine Veränderung der Bahnhofsanlagen geht, man die sämmtlichen in Aachen einführenden Linien ebenfalls umbauen muß.

Die vierte Schwierigkeit wird sich demnächst daraus ergeben, daß voraussichtlich die Verhandlung mit der Stadt Aachen bezüglich eines namhaften. Zuschusses zu diesen Kosten ebenfalls nicht ganz leicht zu erledigen sein wird. (Heiterkeit.)

Abg. von Buch (kons.): Wer Wünsche in Bezug auf ein Beamtenkategorien äußert, muß sich auch der daraus entipringenclne Konsequenzen bewußt sein. Auch wir sind uns bewußt, daß ein Aus⸗

leich der vorhandenen Härten nöthig ist. Bei der heutigen Finanz⸗ 185 ist das unmöglich; bessert sich dieselbe, dann hat die Regierung die Pflicht, eine Vorlage wegen Aufbesserung der Gehälter vorzulegen Sollte sie es dann nicht thun, dann würden wir dafür eintreten. Solange die Finanzen sich nicht bessern, müssen wir dem Herrn A. geordneten Im Walle beipflichten. b

Abg. Broemel (fr. Vg.) verwahrt sich gegen die Anschauung, als ob sine vorgebrachten Wünsche nicht auf rein sachlicher Prüfun beruhten. Er lege sich in seinen Wünschen noch Beschränkung auf⸗ Ihn und seine Freunde leite der Gesichtspunkt, g die Beamten die Ueberzeugung haben müßten, gegen ungerechte Entscheidungen der Regierung gebe es eine Appellation. Diese sei nur hier möglich. Er 8,8 die verletzenden Unterschiebungen, die ihm gemacht würden, zurück. b

Abg. von Tiedemann⸗Bonst (fr. kons.): „Ich begreife die Erregung nicht, in die Herr Broemel wegen der sachlichen Bemerkungen des Herrn von Buch gerathen ist. Er meinte, er lege sich noch Be⸗ schränkung auf; ich weiß dann nicht, was Uebertreibung ist. Herr Broemel hätte sich lieber an seine Freunde im Reichstag wenden sollen, damit diese die nöthigen Mittel bewilligen. Ehe nicht die Mittel vorhanden sind, ist es nicht nöthig, in eine sachliche Prüfung einzutreten. Daß Verbesserungen nöthig sind, erkennen auch meine politischen Freunde an. Ich möchte wissen, ob die Herren da drüben denken, daß sie durch ihre Art und Weise den Beamtenstand heben.

Abg. von Veltheim (kons.) bittet um Beschleunigung der für die im Nieder⸗Barnimer Kreise projektierten Bahn⸗

auten.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich möchte nur die Herren Eisenbahn⸗Direktoren kurz in Schutz nehmen, die die Arbeiten nicht ausführen können, wenn sie nicht genügende Kräfte an Landmessern haben. Daran mangelt es augenblicklich sehr. Das ist auch voraussichtlich der Grund gewesen, warum diese Vermessungen sich so weit hingezogen haben. Ich bin aber gern bereit, nach Kräften hinzuwirken, daß die Arbeiten bald erledigt werden; die Erledigung hat für die Eisenbahn⸗ Verwaltung nicht minderes Interesse, als wie für die Grundbesiter

Abg. von Schalscha (Zentr.): Ich halte es für unschicklich, in solcher Zeit mit derartigen Forderungen für die Beamten hervor⸗ zutreten. (Präsident Freiherr von Heereman weist diesen Ausdruck als unparlamentarisch zurück.) Ich spreche ja nur von den außer dem Hause Stehenden. Ein großer Mannesmuth gehört nicht dazu, solche Forderungen zu vertreten. Jetzt hält es jeder Beamte, sobald er eine Anstellung erhalten hat, für seine erste Aufgabe, unzufrieden zu sein. Nicht auszukommen ist keine Kunst, wohl aber das Gegentheil.

Abg. Broemel: Gerade die Herren, die immer die be⸗ und unberechtigten Klagen der Landwirthe hier anbringen, sollten sich doch über die Klagen der Beamten nicht beschweren. Herr von Schalscha richtet einen ungerechten und unpassenden Vorwurf

xegen uns. (Der Präsident rügt diesen Ausdruck.) Auch auf jener eite (zur Rechten) sind doch viele Beamte; will man etwa den Landräthen auch Petitionen vorwerfen?

Abg. Bachem (Zentr.): Die Beamten haben ein Recht zu petitionieren, das wir ihnen nicht beschränken dürfen. Wir haben die Petitionen zu prüfen, und wenn wir sie auch nicht erfüllen können, so haben wir sie doch nicht als ein Unrecht zu betrachten. Warum sollen die Beamten uns nun nicht schon jetzt Wünsche vortragen, die wir bei einer Besserung der Finanzen erfüllt zu sehen wünse hen?

Abg. Dr. Gerlich (fr. kons.): Wenn jeder, auch die nothleiden⸗ den Landwirthe, in so ausgedehntem Maße von seinem Petitionsrecht Gebrauch machen wollte, so würden alle Petitionen nicht in diesen Saal hineingehen. Wenn das so weitergetrieben wird, so wird es zum Unfug. Jetzt haben wir kein Geld zu Aufbesserungen; sollen wir uns für die Zukunft den Kopf zerbrechen? Bewilligen Sie doch (zur Linken) Steuer⸗ und Tariferhöhungen! Die Landwirthe ver⸗ armen, und die Beamten wollen Gehaltsaufbesserung! Ist unsere Finanzlage gut, so wird es auch dem Beamten gut gehen. Petitionen von Landräthen habe ich hier im Hause noch nicht gesehen. Ich bin gerade ftol⸗ darauf gewesen, auch mit geringem Gehalt Beamter, Landrath sein zu können. Der Werth der Beamten wird nicht nach dem Gehalt bemessen.

Abg. von Buch (kons.): Wir wollen das Petitionsrecht nicht beschränken, wollen die Petitionen nur vorsichtig prüfen. Wir sind ja auch immer bereit, Mittel zu bewilligen, finden aber auf der Linken kein Entgegenkommen.

Für Wohlfahrtszwecke sind rund 17 700 000 aus⸗ geworfen.

Abg. Broemel bemerkt, daß je näher der Zeitpunkt rücke, an dem der angesammelte Kapitalfonds aufgebraucht sein werde, um so ernster zu erwägen sei, wie die Ungleichmäßigkeit in der Heranziehung der Beamten zu den Beiträgen an die Pensionskassen auszugleichen sei. Redner fragt, ob die Regierung die nöthigen Zuschüsse aus den allgemeinen Staatsfonds leiste. 1

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Gerlach erwidert, daß eine Regelung dieser Angelegenheit bereits erfolgt sei. Nach Erwerb der Privatbahnen habe der Staat die Pensionskassen selbstschuldnerisch übernommen und die vorhandenen Beträge zu einem Garantiefonds

esammelt. Nach Aufzehrung dieser Gelder werde der nöthige Zu⸗ schuß vom Staat geleistet.

Für Unterhaltung und Ergänzung der Inven⸗ tarien sowie für Beschaffung der Betriebsmateria⸗ lien werden ca. 60 000 000 gefordert.

Berichterstatter Abg. Dr. Sattler bemerkt, daß die Ausgaben für Beschaffung von Materialien bisher auf Vorschuß⸗Konto gebucht und nach dem Jahresschluß erst auf die wirklichen Konti übertragen worden seien. Von jetzt ab sollen die Vorschuß⸗Konti überhaupt weg⸗ fallen, am Febvecschlaß aber die nicht verwendeten Summen auf die

onds des folgenden Jahres übernommen werden. In konstitutioneller

insicht zeige sich hier ein Fortschritt, da die Ber nicht der Prüfung der Ober⸗Rechnungskammer unterliegen. ie Budget⸗ kommission empfehle diese neue Art der Prüfung.

Abg. Broemel macht darauf aufmerksam, daß die von den Betriebsämtern abgeschlossenen, fortlaufenden Verträge den bisherigen Lieferanten gekündigt seien. Da die neuen Verträge von den an Zahl geringeren Eisenbahn⸗Direktionen abgeschlossen würden, sei eine Konzentration der Lieferungsvergebung zu befürchten, die er für bedauerlich halten würde.

Dritte Beilage

s⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger

8₰

Berlin, Dienstag, den 12. Februar

(Schluß aus der Zweiten Beilage)

Miinister der öffentlichen Arbeiten Thielen

Das Ersuchen des Abg. Broemel ist an und für sich vollständig berechtigt, und in Erkenntniß dessen ist auch bereits von mir die An⸗ ordnung getroffen worden, daß bei der Neuvergebung, der Materialien auf die bisherigen Lieferanten thunlichst Rücksicht genommen werden soll und nicht aus einer formalen oder Bequemlichkeitsrücksicht von der Verwaltung Beziehungen abgebrochen werden, die bis dahin allseitig zur Befriedigung bestanden.

Bei dem Titel „Bauliche Anlagen“ bittet

Abg. Ring (kons.) um viergleisigen Ausbau der Strecke Berlin Groß⸗Lichterfelde.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Die Frage ist von der zuständigen Eisenbahn⸗ direktion aufs sorgfältigste geprüft worden, und das Ergebniß dieser Prüfungen war, daß der zweigleisige Betrieb dieser Strecke unter der Voraussetzung, daß die im Etat vorgesehene Umänderung des Bahn⸗ hofs Lichterfelde vorgenommen würde, noch eine geraume Zeit ohne irgend eine Betriebsgefahr fortdauern könne. Da der viergleisige Ausbau dieser Strecke einen ganz außerordentlich großen Kosten⸗ aufwand verursachen würde, so war bei diesem Gutachten der für den Betrieb verantwortlichen Behörde meinerseits der viergleisige Ausbau der Strecke nicht vorzusehen.

Abg. Freiherr von Dobeneck (kons.) beklagt die Beschränkungen des Wagenverkehrs auf der Oderbrücke bei Güstebiese, welche die Cisenbahnverwaltung eintreten lasse, obgleich der anliegende Kreis Königsberg einen namhaften Zuschuß zum Brückenbau hergegeben habe.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Mir ist von der Sachlage nichts bekannt; bisher ist die Instanz des Ministers in dieser Angelegenheit nicht angegangen vorden; ich bin aber sehr gern bereit, die von dem Herrn Abg. von Dobeneck gewünschte Untersuchung eintreten zu lassen, und, wenn sich

dies ermöglichen läßt, den Wünschen des Herrn Abg. von Dobeneck und des Königsberger Kreises thunlichst Rechnung zu tragen.

Abg. Gleim (nl.) wünscht Verbesserungen auf dem Bahnhof delsungen, die vom Regierungstisch theilweise zugesagt werden. Abg. Reichardt (nl.) bittet um Beseitigung der Niveauüber⸗

bhnge 8. Stadt Magdeburg, die zu den größten Verkehrsstörungen nlaß gäben.

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Gerlach erwidert, daß ein Projekt für die Bahnüberführungen innerhalb der Stadt Magdeburg ausgearbeitet sei. Dieses Projekt erfordere einen Kosten⸗ aufwand von 4 Millionen und werde gegenwärtig geprüft, um dann mit dem Finanz⸗Minister die Summe zu vereinbaren, die für diesen Zweck in den nächstjährigen Etat einzusetzen sei.

Abg. Freiherr von Zedlitz (freikons.) macht auf den Zustand der Bahnhöfe auf der Linie Erfurt —Sangerhausen aufmerksam und bittet, die bei Sömmerda sich kreuzenden Bahnstrecken dem Eisen⸗ bahn⸗Direktionsbezirk Erfurt zu unterstellen.

Vom Regierungstisch wird Prüfung und thunlichste Be⸗ rücksichtigung der Wünsche zugesagt.

Nach Durchberathung des Ordinariums der Ausgaben wird die Weiterberathung auf Dienstag 11 Uhr vertagt (außerdem Etat des Finanz⸗Ministeriums).

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Kunst und Wissenschaft.

Ausstellung von Miniaturen und Zeichnungen im Neuen Museum.

Die Ausstellung von Handschriftenmalereien und Zeich⸗ nungen alter Meister, die am 5. d. M. im Ausstellungs⸗ saal des Königlichen Kupferstichkabinets eröffnet wurde, führt aus den Beständen der Sammlung eine Gruppe von Werken vor, die für die Geschichte der Malerei von besonderer Bedeutung sind. Für die Auswahl war indeß in erster Linie der Gesichts⸗ punkt maßgebend, die künstlerisch besonders hervorragenden Stücke der Sammlung einem größeren Publikum bequem zugänglich zu machen; daneben wurde eine möglichst umfangreiche Vertretung der Haupt⸗ schulen und ⸗Meister angestrebt. Zugleich sind eine Reihe wichtiger Neuerwerbungen der letzten Jahre bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal ausgestellt. Dem Zweck dieser Ausstellung, das Publikum all⸗ mählich einzuführen in das gleichzeitig Belehrung und Genuß ge⸗ währende Studium der Schätze des Kabinets, entspricht es am besten, wenn wir versuchen, unter allgemeinen Gesichtspunkten die Absicht zu erläutern, in der die hier vereinigten Kunstwerke entstanden. Da gilt es zunächst zwei Gruppen auseinander zu halten, die nach Bestimmung und Technik durchaus verschieden sind: die Handschriften⸗ malereien oder Miniaturen und die Zeichnungen. Die Miniatur dient zum Buchschmuck oder vielmehr zur Buchillustration. Die Sitte, Bücher d. h. Handschriften mit Bildern auszustatten, stammt aus dem Alterthum und war während des ganzen Mittel⸗ alters weitverbreitet. Anfangs⸗ und Schlußzeilen wurden nicht selten durch rothe Farbe (minium) hervorgehoben, und dies nannte man miniare. Da sich an diese einfachste Schmückung zuerst die Ver⸗ zierung der Initialen, später die selbständige malerische Illustration anschloß, nannte man auch die schter. Miniatur. Die Miniaturen⸗ handschriften bieten das wichtigste Material für die Geschichte der zeichnenden Künste im Mittelalter, da sie, in großer s erhalten, eine fast lückenlose Reihe von malerischen Erzeugnissen darstellen, deren sichere Datierung der Text der durch sie geschmückten Hand⸗ schriften ermöglicht. Das frühe Mittelalter ist in der Ausstellung nicht vertreten; die älteste ausgestellte Handschrift, eine französische Legende der h. Benedicta, gehört dem Anfang des XIV. Jahrhunderts, also der gothischen Stilrichtung an. Wohl auch französischen Ur⸗ sprungs ist die köstliche, in Deckjarben ausgeführte Darstellung des d. Michael, die die Reihe der Einzelblätter eröffnet. Der gothische Schwung der Linien, der Ausdruck des zart mit der Feder vorgerissenen Kopfes weisen das Blatt an die Grenze des XIII. uno XIV. ahrhunderts. Ein Schweizer Künstler des XIV. Jahrhunderts verzierte die im Jahre 1411 für einen Grafen Toggenburg hergestellte Bibelhandschrift mit derb aufgefaßten, aber lebendig komponierten Malereien. Das hier noch unsicher tastende Streben nach Naturwahrheit tritt uns dann in einer stattlichen Reihe von Bilderhandschriften und Einzelblättern des

V. Jahrhunderts selbstbewußt und von bestem Erfolge begleitet ent⸗ gegen., Mit besonderer Pracht stattete man im Norden die für Fürst⸗ lichen Gebrauch bestimmten Gebetbücher (Breviarien und Horarien) aus. Neben zahlreichen Erzeugnissen niederländischer Miniaturmalerei aus dem XV. und XVI. Jahrhundert sei auch auf das für die Pfalz⸗ räfin Margarete von Simmern 1481 82 illuminierte Gebetbuch Hungewiesen, das als ein charakteristisches Beispiel für die oberdeutsche

uchmalerei des XV. Jahrhunderts gelten kann. Dazu kommen

Illustrationen zu französischen Romanen (Nr. 4 und 5), die der welt⸗

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berühmten Burgundischen Schule angehören, mehrere Darstellungen der Kreuzigung Cbristi, die als Titelblätter für deutsche Meßbücher (Missalien) gedient haben, und eine besonders za rt durchgeführte Deckfarben⸗ malerei, die Kreuzabnahme Christi abbildend, die durch die Wappen der Gemahlin Kaiser Friedrich's III., Eleonore von Fereget als deren Besitzstück beglaubigt ist. (Nr. 6.) Der starke Einfluß der Schule Roger's van der Weyden, der in dieser Malerei, vielleicht dem Mittel⸗ stück eines Reisealtärchens, augenfällig ist, beweist, daß die Miniatur⸗ malerei auch in dieser Zeit in enger Beziehung zu der großen Kunst stand, wenngleich es bisher nur selten gelungen ist, einzelne Erzeugnisse derselben mit bestimmten Meisternamen in unmittelbare Verbindung zu bringen. Der Betrieb der Miniaturmalerei war durch Zunftgesetze von dem der Maler getrennt, und die Fälle, in denen ein Tafelmaler als Bönhase unter den „Illuministen“ erscheint, sind zu zählen. Gleichwohl ist es zulässig, auch die Miniaturen nach ihrer stilistischen Uebereinstimmung mit anderen Malereien zu lokalisieren. So dürfte beispielsweise die reichumrahmte Kreuzigung Christi (Nr. 9) der Regensburger Schule, speziell der Richtung Albrecht Altdorffer's zuzu⸗ weisen sein. In Italien nennen sich die Buchmaler häufiger in ihren Werken, als im Norden; so können wir die künstlerische Eigenart eines Liberale da Verona. (Nr. 10), eines Antonio da Monza (Nr. 24) und Giulio Clovio (Nr. 22), von denen Werke in der Ausstellung vorhanden sind, auf Grund beglaubigter Arbeiten bestimmt umschreiben. Oberitalien war die Heimath zahlreicher Miniatur⸗ maler, besonders die Mailänder Schule hat hervorragende Meister dieser Kunstgattung hervorgebracht, wie die prächtigen Fnitkalen aus Mailänder Meßbüchern (Nr. 26 u. 27) darthun. Interessant ist auch die lebendige Schilderung einer Vorlesung des Philosophen Henricus de Alemannia, die wir nach der Künstlerbezeichnung einem Laurentius de Voltolina, also wohl einem im Veltlin geborenen Künstler verdanken. Unter den italienischen Prachthandschriften des XV. Jahr⸗ hunderts, die in einer Vitrine aufgestellt sind, verdienen die aus der Hamiltonsammlung stammenden Handschriften des Horaz für erdinand I. von Neapel (1458 1494) wahrscheinlich in Verona oder

aduä hergestellt —, Xenophon’s Cyropaedie in der italienischen Ueber⸗ setzung Poggio's aus dem Besitz desselben Königs, die Kommentare zu Petrarca's Rime, die Briefe des h. Hieronymus und das esonders prunkvolle für den Kardinal Giulio de' Medici, späteren Papst Clemens VII., geschriebene Meßbuch einzeln ge⸗ nannt zu werden. Die charakteristischen Unterschiede zwischen der italienischen und niederländischen Ornamentik lassen sich in den in diesem Theil der Ausstellung vereinigten Buchmalereien be⸗ quem studieren. Während der niederländische und deutsche Miniatur⸗ maler naturalistisch durchgeführte Pflanzengewinde bevorzugt, in die er hie und da schalkhafte „dröleries“, groteske Menschen⸗ und Thier⸗ gestalten, einflicht, bekundet der Italiener ein strengeres architektonisches Stilgefühl, das im Aufbau und der Vertheilung der Dekoration zum Ausdruck kommt.

Die Handzeichnungen alter Meister sind in der Ausstellung nach Schulen und innerhalb derselben chronologisch angeordnet. Wir unterscheiden nach der Bestimmung solche Zeichnungen, die an sich bereits fertige Kunstwerke darstellen, durchgeführte Bildwirkung an⸗ streben, ferner vorbereitende Entwürfe, die einzelne Partien einer malerischen Komposition oder diese selbst in ihren Umrissen feststellen, und drittens freie Studien oder Skizzen, die einen, in der Natur beobachteten Moment festhalten. Zur ersten Klasse gehört das feine Silberstiftporträt eines Mannes aus der Schule der Eyks (Nr. 33), Dürer's aquarellierte Drahtziehmühle (Nr. 36), Holbein’s sonnengebräuntes Bildniß eines Engländers (Nr. 49), Tranach's Miniaturporträt Martin Luther's (Nr. 73) aus dem sog. ⸗„Reformatoren⸗ stammbuch“, Barthel Beham’s Brustbild eines jungen Mannes (Nr. 60), sowie das köstliche Porträt des Beham nahestehenden Meisters mit dem Zeichen B-B (Nr. 56) und Albrecht Alt⸗ dorffer's Anbetung der Könige (Nr. 57), in Clairobscurtechnik auf grundiertem Papier mit Weißhöhung ausgeführt. Unter den italienischen Zeichnungen gehören die fünf Blätter aus Sandro Botticellis Dante⸗Zeichnungen (Nr. 78, 81, 84, 86, 88) nur bedingt zu dieser Gruppe, es sind vielmehr Buchillustrationen im Sinne der Miniaturen; einzelne der zarten Silberstiftzeichnungen aus dem prächtigen, für Lorenzo di Piero Medici von dem großen Florentiner Meister illustrierten Dante⸗Kodex sind in der That mit Deckfarben „illuminiert“. Scheiden also diese Blätter aus der Klasse der selbständigen, bildartigen Zeichnungen aus, so bleibt in der italienischen Abtheilung nur noch eine kleine, überaus luftig getuschte Federzeichuung von Antonio Canaletto (Nr. 97) übrig, die chon durch die selbstbewußte Aufschrift ihres Schöpfers den Beschauer darauf hinweist, daß sie als fertiges Kunst⸗ werk betrachtet werden will. Groß ist die Anzahl solcher Zeichnungen in der niederländischen Schule. Wir nennen nur die in jedem Sinne vollendeten Landschaften von Adriaen van de Velde (110), Jan Goyen (112), Cuyp (114), Ruysdael (136), Everdingen (133) und Koning (132); aber auch Abverkamp's Aquarelle „Sommer“ und „Winter“ (117 und 118), Jordaens' Schäferscene (101) und Gerard Dous sitzende alte Frau (116) sind Kunstwerke für sich, wie Claude Lorrain's Waldlandschaft (105) und Greuze's Portrait eines Jünglings (141).

Am reichsten ist die Gruppe vorbereitender Studien unter den ausgestellten Zeichnungen vertreten. Bei Martin Schon⸗ gauer’'s Madonna (35) möchte man aus der subtilen Strichführung fast darauf schließen, daß die Komposition später in Kupferstich aus⸗ geführt werden sollte. Ebenso ist bei der unlängst erworbenen aquarellierten Federzeichnung Dürer's (40) der Zusammenhang mit dem Holzschnitt der Verkündigung im Marienleben offenbar, wenn⸗ gleich es sich hier nur um eine Fixierung der Komposition handelt, die der Holzschneider im einzelnen in die Sprache seiner Technik zu übersetzen hatte. Die beiden Apostelköpfe Dürer's (29 und 30) dienten als Vorlagen für das berühmte Gemälde der vier Apostel in der Münchener alten Pinakothek. Ebenso begegnen wir unter den zahlreichen Arbeiten Dürer's, die der Berliner Hand⸗ zeichnungssammlung einen Ehrenplatz unter verwandten Instituten arrn Studien zu seinem Rosenkranzbilde in Prag (39) und dem

eller'schen Altar in Frankfurt (37). Von besonderem Interesse ist auch die auf grün grundiertem Papier außerordentlich sorgsam durch⸗ geführte Komposition Dürer's „Simson schlägt die Philister“ (44), die gleich ihrem Gegenstück, der Auferstehung Christi in der Albertina, einem Bildhauer als Vorlage für das Grabmal Ulrich Fugger'’s in der Augsburger Annakirche gedient hat. Für eine unbekannte oder doch nicht erhaltene Komposition Dürer's war die Silberstiftstudie eines Lautenspielenden Engels (38) bestimmt, die aus der Sammlung Mitchell für das Berliner Kabinet erworben wurde. Hans Hol⸗ bein d. J. sehen wir im Dienste des Kunstgewerbes sein Landsknecht⸗ wappen (45) für eine Glasmalerei entwerfen und für den Einzug der Anna Boleyn in London die Feeüton (47) mit mytho⸗ logischen und allegorischen Gestalten staffieren. Hans Baldung Grien bereitete seine Helldunkelholzschnitte durch sorgfältige Zeich⸗ nungen vor, oder berechnete doch deren Wirkung durch solche Entwürfe (63). Sein Landsmann Matthäus Grunewald, der deutsche Correggio, ist mit dem Fragment einer Komposition (58) vertreten, die von der seltsamen Phantastik des Meisters ein treffendes Beispiel bietet. Cranach’s Silberstiftzeichnung der „Satyrfamilie“ (65) ist sicherlich auch in Farben von dem Meister ausgeführt worden, während der große Entwurf eines Flügelaltars mit angesetzten Flügelklappen (66),

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die Werkstatt wanderte, um hier von Schülerhänden in Farben über⸗ setzt zu werden. Vorlagen für den Kunsthandwerker stellen schließlich Peter Flvnt’s (72) Gewehrkolbenentwürfe dar

Die Italiener benutzten Griffel und Feder fast ausschließlich zur Vorbereitung bildnerischer oder malerischer Kompositionen. So besitzt die Berliner Sammlung den Entwurf zu einer Kanzel im Dom zu Orvieto (76); und die Zeichnungen Lorenzo Costa's (79), Ercole Grandi's (89), Peruginos (85), Raffael's (90, 93), Fra Bartolommeos 91), dienten ebenfalls dazu, Kompositionen oder einzelne Theile derselben festzustellen. Claude Lorrain pflegte nachträglich von den Landschaften, die er gemalt hatte, Tuschzeichnungen anzufertigen, die er in einem sog. liber veritatis sammelte. Ein Blatt dieser Art (104) ist ausgestellt neben den Supraporten⸗ und Plafond⸗ Entwürfen von Huysum (98, 99) und Jacob de Wit (100). Von Bilderstudien anderer Niederländer sei die Röthelzeichnung einer sitzenden Frau von Rubens (108) erwähnt, die zur Darstellung eines Liebesgartens gehört, ferner die Reitergruppe von van der Meulen (139), die sicherlich in einem seiner großen Schlachtenbilder Platz gefunden hat, und die wie Vorlagen für die Radierung an⸗ muthenden Portraits von Cuyp (108). Die wichtigsten Aufschlüsse über das Verhältniß der Künstler zur Natur gewährt aber jene Gruppe von leicht hingeworfenen Skizzen, die, meist im Moment entstanden, eine beobachtete Situation, Gestalten oder Naturausschnitte künstlerisch festhalten. Sie füllten die Skizzenbücher der Maler, die sie auf ihren Reisen und Wanderungen bei sich führten. So läßt sich bei einer Reihe von Zeichnungen Dürer's durch die Gleichheit des Formats und Papiers ihre Zugehörigkeit zu einem Zeichenbuch nachweisen, das den Meister auf seiner Reise durch die Niederlande begleitete. Porträts wie das Brustbild eines bartlosen Mannes (Nr. 46) und Landschaften wechseln in diesem Skizzenbuch, dessen Inschriften jeden Zweifel über seine Entstehung ausschließen, in bunter Reihe mitetnander ab. Während Dürer in diesem Buche fast ausschließlich den Silberstift benutzte, der der älteren Zeit unseren Graphit ersetzte, sehen wir ihn daheim mit Kreide und Kohle in größerem Maßstabe Bildnisse seiner Angehörigen (31, 32, 43) und Freunde skizzieren. Auch die Feder⸗ zeichnung war eine beliebte Skizziertechnik, wie die I Frau Dürer's (41, aus der Sammlung Mitchell) beweist. icht weniger als dreiundsiebzig Blätter aus einem Skizzenbuch des älteren Hol⸗ bein besitzt das Berliner Kabinet; ein Standrahmen vereinigt eine Auslese der hervorragendsten (51, 54), unter denen das Doppelporträt der Brüder Hans und Ambrosius Holbein besondere Beachtung ver⸗ dient. Zahlreiche Skizzen von Hans Baldung Grien (59), Schäuffelein (64), Hirschvogel (62), Altdorffer (61) und Cranach (68) geben eine Vorstellung von der Art, in der unsere Altmeister Natureindrücke zu fixieren verstanden. Italien ist in dieser Gruppe mit Zeichnungen Vittore Pisano's (77), Verrocchio's (74), Signorelli's (82), Guercino's (94) und Michelangelo’s (95) vertreten. Namentlich Pisano's Aktstudien über⸗ raschen durch das vorgeschrittene Naturgefühl und die Sorgsamkeit der Einzelbehandlung; fast an jede dieser Zeichnungen knüpfen sich kunst⸗ geschichtliche Gedankenreihen, die auszuspinnen hier nicht der Platz ist, zumal auch die niederländischen Skizzen eine Fülle interessanten Stoffes bieten. Ueber de Gheyn (107), Breughel (113) und Rubvens (111) gelangen wir zu dem genialsten Meister der Skizze, zu Rembrandt. Fast alle ausgesteütten Zeichnungen des großen Hogrnders sprühen von Leben und Geist; sie sind mit einer Schärfe beobachtet, mit einem Gefühl für Licht und Luftwirkung in wenigen Strichen hingeworfen, daß sie allein genügen würden, Rembrandt's Bedeutung zu verbürgen. Seine Kunstsprache verlangt zu ihrem Ver⸗ ständniß kein Kennerauge, der Laie wird ebenso hingerissen von der Unmittelbarkeit seiner Ausdrucksweise, wie der gelehrte Kunstfreund; es giebt kaum einen zweiten Meister, der unserm modernen Empfinden näher und dennoch thurmhoch über dem Naturalismus unserer Tage steht. Nichts aber ist besser geeignet, eine Vorstellung von dieser nervösen, rück⸗ sichtslosen und leidenschaftlichen Künstlernatur zu geben, als seine Feder⸗ und Pinselzeichnungen, aus denen wir die Erregung des Schaffens⸗ aktes herauszufühlen vermeinen. Und doch, mit welcher Zartheit und Feinfühligkeit der Meister den Silberstift zu führen wußte, beweist uns das köstliche Porträt seiner Gattin Saskia (Nr. 122); wie sorgsam er Studien durchführte, der Entwurf des Louvrebildnisses „Der Phi⸗ losoph“ in rother und schwarzer Kreide (120); wie fein er malerische Wirkungen abzuwägen verstand, der Dichter Vondel (2) vor seinem Hause (Nr. 126). Niemals aber begegnet uns in seinen Skizzen jener selbstgefällige pointierte Vortrag, der die geistreiche Röthelzeich⸗ nung Antoine Watteau’s (Nr. 142) auf den ersten Blick als ein Werk des achtzehnten Jahrhunderts erkennen läßt.

Die Ausstellung, welche in dieser Weise die Geschicke der zeich· nenden Künste vom vierzehnten bis in das achtzehnte Jahrhundert mit einem fesselnden Kommentar begleitet, wird sicher das Kunstver⸗ ständniß weiter Kreise erweitern und vertiefen hersen.

Haäandel und Gewerbe.

Wien, 11. Februar. (W. T. B.) hor Fortsetzu old⸗ beschaffung begab der Finanz⸗Minister heute weitere 50 Millionen 4 % Goldrente, die Hälfte fest, die Hälfte in Option, zum Kurse von 101,25 Berliner hisance an das aus der Oesterreichischen Kredit⸗ anstalt, der Oesterreichischen Bodenkreditanstalt und S. M. v. Roth⸗ schild bestehende Konsortium.

New⸗York, 11. Februar. (W. T. B.) Die Börse eröffnete träge. Im weiteren Verlauf gaben die Kurse nach; am Schluß war träge Stimmung vorherrschend. Der Umsatz der Aktien betrug 145 000 Stück.

Weizen eröffnete schwach, gab im weiteren Verlauf infolge er⸗ warteter Zunahme der Ankünfte sowie infolge der Verkäufe des Aus⸗ landes und der Zunahme der unterwegs befindlichen Zufuhren und da auch die Abnahme der sichtbaren Vorräthe geringer war als erwartet wurde, im Preise noch weiter nach und stieg dann theilweise auf Ab⸗ nahme der englischen sichtbaren Vorräthe. Schluß stetig. Mais schwächte sich nach Eröffnung anläßlich großer Ankünfte und Reali⸗ sierungen etwas ab, erholte sich aber theilweise wieder und schlo stetig.

Waarenbericht. Baumwolle, New⸗York 5 ⅛, do. New⸗Orleans 5 ¼16, Petroleum träge, do. New⸗York 6,05, do. Philadelphia 6,00, do. rohes 6,80, do. Pipe line cert. p. Februar 107 ¾ nom., Schmalz West, steam 6,85, do. Rohe & Brothers 7,12, Mais stetig, do. p. Februar 47 ⅞, do. p. März —, do. p. Mai 48 ½, Weizen stetig, rother Winterweizen 58 ⅝, do. Weizen p. Februar 57, do. p. März 57 ½, do. p. April —, do. p. Mal 59 Getreidefracht nach Liverpool 2, Kaffee fair Rio Nr. 7 4, do. Rio Nr. 7 p. März 14,65, do. do. p. Mai 14,60, Mehl, Spring clears 2,40, Zucker 211⁄16, Kupfer 9,90.

Visible supply an Weizen 82 322 000 Bushels, do. an Mais 12 883 000 Bushels.

Chicago, 11. Februar. (W. T. B.) Weizen fiel auf Zunahme der für Kontraktlieferung verfügbaren Vorräthe, auf lebhafte Ver⸗ käufe an Schiffsbord sowie auf schwächere Kabelberichte und erwartete Fahacn⸗ der Ankünfte. Mais ging infolge großer Verkäufe und erkaufsordres im Preise zurück.

Weizen pr. Februar 50 ⅛, pr. Mai 53 ½. Mais pr. Februar 42. Speck short clear nomin. Pork pr. Februar 9,90.

Santiago, 11. Februar. (W, T. B.) Die chilenische Re⸗ gierung theilt mit, sie werde alle chilenischen Eisenbahnen

wohl bestimmt war, dem Besteller vorgelegt zu werden und dann in

ankaufen.