1895 / 46 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 21 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

geradezu unrecht, daß diese neuen Positionen frei bleiben. Ich weiß nicht, ob ich mich da deutlich genug ausdrücke. Es sind eine solche Reihe von neuen Fällen hinzugekommen, die bisher durch die Steuergesetz⸗ gebung garnicht ergriffen wurden, die aber naturgemäß und billiger⸗ weise mit Stempeln belegt werden müssen, wie die bisher bereits un⸗ bestritten seit dem Jahre 1822 besteuerten Fälle, daß man dann in dieser Beziehung nicht zu ängstlich zu sein braucht, wenn man sich auch sagt: es wird dadurch eine mäßige Mehreinnahme dem Staate zufallen.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat an einen sehr charakte⸗ ristischen Vorfall erinnert, er sagte nämlich, ich habe bei der ersten Berathung des Einkommensteuergesetzes den Mehrbetrag auf etwa 15 Millionen geschätzt. Das ist vollkommen richtig. Ich habe die Mangelhaftigkeit unserer bisherigen Einkommensteuergesetzgebung noch unterschätzt gehabt, in dem Grade habe ich sie nicht für mangel⸗ haft gehalten, wie sie sich nachher herausstellte. Insofern habe ich mich geirrt, aber wie hat das Haus sich geirrt! Ich erinnere an die ganzen Debatten, die hier geführt wurden, daß allgemein die Ueber⸗ zeugung bestand, die Einkommensteuer würde auch weiterhin über das erste Plus von 40 Millionen stetig in bedeutendem Steigen bleiben. Das werden die Herren, die damals hier waren, mir alle bezeugen. Ich habe damals schon gewarnt, und von den Abgeordneten war es allein, wenn ich mich recht erinnere, Herr von Eynern, der auch diesen Standpunkt einnahm. Und was ist eingetreten? Seit den letzten zwei Jahren ist die Einkommensteuer sogar im Rückgang statt in er⸗ heblichem Steigen! Ich glaube, wenn damals klar gewesen wäre, daß wir in den nächsten drei Jahren nach der ersten Veranlagung eher einen Rückgang als ein Fortschreiten der Einkommensteuer haben würden, so wären viele Bestimmungen in der damaligen Gesetzgebung anders ausgefallen, wie sie auf Grund der damaligen irrigen Annahme ausgefallen sind. Ich möchte davor warnen, daß wir nicht denselben Fehler hier bei dieser Stempelgesetzgebung machen. Wir werden in der Kommission soweit wie irgend möglich Rechnungen anstellen, man wird sich allerdings die Sache etwas klarer machen können, aber niemand wird im stande sein, genau den Betrag zu ermitteln, den wir mehr haben werden an einzelnen Positionen und verlieren an anderen Positionen.

Meine Herren, im übrigen kann ich nur wiederholen, daß es ja eine Ueberhebung sein würde, wenn ich sagen wollte, bei so viel einzelnen Tarifpositionen ist überall und absolut richtig und berechtigt gegriffen. Ich habe anerkannt und wiederhole das, daß man über eine Reihe Tarifpositionen zweifelhaft sein kann, daß gute Gründe für und gute Gründe dagegen sprechen können, und daß ich daher in der Kommission mich bemühen werde, auf allen diesen Gebieten, so⸗ weit irgend thunlich, eine Einigung herbeizuführen. Ich weiß wohl, daß man solche Gesetzgebung nicht einfach vorlegen und verlangen kann, daß sie in allen einzelnen Theilen angenommen werde, und ich zweifle daher auch nicht, daß wir etwas Gutes zu stande bringen, wenn das Haus überhaupt den guten Willen hat, diese schwierige Gesetz⸗ gebung zu stande zu bringen, wenn es sich zweitens selbst die Schranken setzt, daß eine Verminderung der Einnahmen nicht eintreten darf wenn es endlich von der Ueberzeugung ausgeht, daß, was wir an berechtigten Stempeln mehr erheben, wir an anderen Steuern ersparen werden. (Sehr richtig! rechts.) Das ist die Lage unserer Finanzen. Ich glaube, in vielen Fällen wird es leichter getragen werden können, wenn mehr Einnahmen aufkommen aus einer solchen Stempelgesetzgebung, die nur in einzelnen Fällen drückt, aber nicht jährliche, dauernde Lasten darstellt, als wenn man denselben Betrag forden muß durch Erhöhung der Einkommensteuer, welche in viel größerem Maße namentlich auf den Mittelstand fällt, als es diese Stempelgesetzgebung thun wird. (Bravo!)

Abg. Reichard (nl.): Das Gesetz enthält fast ausschließlich Erschwerungen und Stempelerhöhungen, während die wenigen Er⸗ mäßigungen belanglos sind und durch die Werthsteigerung, die dabei sofort eintritt, für den Fiskus eine finanzielle Einbuße nicht ein⸗ bringen. Daß die Stempelerstattungen 5 % betragen sollen, kann ich unmöglich für richtig halten; die Zahl von 4 ½ Millionen Mark ist entschieden zu hoch gegriffen. In Bezug auf die Grundstücks⸗ spekulationen in den großen Städten theile ich zum theil die Ansichten des Finanz⸗Ministers und des Abg. Gamp. Aber ich bezweifle, daß der Immobiliarstempel da Ab⸗ hilfe schaffken wird, denn in schwindelhaften Perioden läßt sich der Spekulant durch einen etwas höheren Stempel von der Spekulation nicht abschrecken. Ich meine auch, daß für die Ent⸗ wickelung großer Städte das Grundstücksgeschäft nicht ganz zu ent⸗ behren ist; es ist auch nicht richtig, daß die Grundstücksspekulation die Wohnungen vertheuert. In einer ganzen Reihe von Positionen ist das Gesetz viel zu fiskalisch und vexatorisch; es ist zweifellos, daß große Mehrerträge herauskommen werden. Für mich ssind von der größten Wichtigkeit die Stempel auf Gesellschaftsverträge und auf Kauf⸗ und Lieferungsverträge. Die offenen Handels⸗

eschäfte werden in ungerechter und überaus belästigender eise berangezogen. Es würde eine Offenlegung aller Verhältnisse in einer Weise eintreten, die im Lande die größte Benunruhigung hervorrufen muß; so weit darf der Deklarationszwang nicht ausgedehnt werden. Diese Position ist aber auch nicht gerecht; der einzelne Kaufmann, der ein großes Geschäft hat, geht bei der Steuer leer aus, die kleinen Leute, die sich zusammenthun, müssen be⸗ zahlen. Es geht doch auch entschieden zu weit, daß ein Vater, der seinen Sohn in sein Geschäft aufnehmen will, dann zunächst 1 % von seinem Geschäftsvermögen an den Fiskus abführen muß. Bei den Kauf⸗ und Lieferungsverträgen ist zunächst die Belästigung viel zu groß. Man kann nicht genau übersehen, wie weit da das Gesetz zu gehen beabsichtigt. Es ist mir ganz unbegreiflich, wie bestreiten kann, daß uns eine große neue Steuerbewilligung zugemuthet wird; entweder kann die die finanzielle Tragweite des Gesetzes nicht übersehen, oder sie will sie uns nicht mittheilen. Gewiß erkenne ich die Ungunst unserer jetzigen Finanzlage an; aber ist denn jetzt der Augenblick da, bloß auf die Vermuthung hin, daß der Reichstag uns im Stich läßt, dauernd neue Steuern in unabsehbarer Höhe zu bewilligen? Wie stehen wir da, wenn das Reich sich doch besinnt und die Tabacksteuer und die Finanzreform bewilligt! * Das wollen wir doch erst abwarten; läßt das Reich uns im Stich und weist uns der Finanz⸗Minister das Bedürfniß nach, dann werden wir selbstverständlich das unfrige thun; dann werden wir prüfen, auf welchem Wege wir dem Staat die nöthigen Mittel schaffen, ob auf diesem Wege oder durch Konvertierung oder auf andere Weise. Jedenfalls een jetzt die, bedenklichen Positionen aus dem Gesetz heraus, in er Linie die Positionen „Gesellschaftsverträge“ und „Kauf⸗ und Lieferunzsverträge“; hier ist der Stempel unannehmbar.

Abg. von Dallwitz (kons.) erkennt an, daß die jetzige Stempel⸗ ges g außerortentlich ar sei, und daß eine einheitliche Rege dieses Gebietes mit Freuden be werden müsse. Vor allem sei anzuerkennen, ee ixstempels der Werth⸗

uf

stempel eing A. anderen Seite wür⸗ den aber d die Vorlage einige Erschwerungen und Be⸗ entstehen.

lästigungen für das Publikum gelte z. B. von der Besteuerung der Auktionsprotokelle, aber von der Dekla⸗ rationspflicht bei Kauf⸗ und Lieferungsverträgen. Der Stempel auf

1 Lieferungsverträge bedeute eine Erschwerung nicht nur des Handels,

sondern auch der Landwirthschaft. Er hoffe, daß es in der Kommission gelingen 88 ein für den Staat und Steuerzahler nützliches Werk zu schaffen. Abg. Dasbach (Zentr.) kritisiert die Bestimmungen über die Kauf⸗ 16— Lieferungsverträge und ser die Bestimmung des § 1, daß, wenn die Einigung über ein Vertragsverhältniß durch Briefwechsel herbeigeführt worden, dieser dann stempelpflichtig sei, wenn die Absicht vorliege, durch ihn eine Beweisurkunde zu ersetzen, für mangelhaft. Man müsse eine konkretere, präzisere Fassung finden. Für die Be⸗ steuerung der Gesellschaften sei eine Herabsetzung der Gebühren zu empfehlen. 1 1 Abg. von Eynern (nl.): Ich hatte nach dem, was früher über dieses Gesetz in die Oeffentlichkeit drang, geglaubt, diesem meine 8 . stimmung geben zu können. Aber als ich hörte, daß daraus Mehr⸗ einnahmen für den Staat erzielt werden sollten, und als ich das Gesetz eingehend prüfte, fand ich, daß es sich hier nicht um eine Stempelregulierung, sondern um eine neue Steuerquelle handle. Ich glaube, daß eine Mehrbelastung von 24 Millionen nicht zu hoch gegriffen ist. Der Abg. Richter hat gestern in gewohnter liebenswürdiger Weise über die Kommerzien⸗Räthe gesprochen. Ist denn der Titel Geheimer Medizinal⸗Rath mehr werth? Er fragte, warum man nicht die Orden besteuere. Die freisinnige Partei hat stets gegen diese Auszeichnungen polemisiert, als aber einige ihrer Mitglieder Orden erhielten, da sagten sie, diese Auszeichnungen seien einmal an die richtige Stelle gekommen. Jeder fege vor seiner Thür! Der Abg. Richter hat jetzt kein Recht, über die Ordensverleihungen zu spotten. Der Gesetzentwurf wird eine starke Belastung des Verkehrs mit sich bringen. Die Auf⸗ fassung über den Werth der Verträge wird in den einzelnen Fällen sehr verschiedenartig sein und zu den größten Mißhelligkeiten führen. Wenn dem Staatsrath der Antrag Kanitz vorgelegt wird, muß ihm auch dieses Stempelgesetz vorgelegt werden. Der Stempel auf Kauf⸗ und Lieferungsverträge ist 25 % höher als der Börsenstempel. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen auch alle Briefe eines Kauf⸗ manns besteuert werden, in denen Waaren bestellt werden, da alle diese Briefe als Beweis für die Rechtssicherheit des Geschäfts anzu⸗ sehen sind. Weiter soll im Falle der Unklarheit das Amtsgericht über die Stempelpflicht entscheiden. Selbst beim Wechselstempel kommen Versehen vor, und wie viel eher hier, wo das Verkaufsobjekt nach dem Werthe festgestellt werden soll; die kaufmännischen Werthe wechseln fast täglich. Das Gesetz, kann ein Urgrund zu allem Konkurrenzneid werden. Die Belästigungen durch das Gesetz werden nicht dazu beitragen, die allgemeine Zufriedenheit zu erhöhen. Was die finanzielle Seite anbetrifft, so meine ich, wir können nicht neue Steuern auf Vorrath bfwiligen. Erst müßten wir ab⸗ warten, was der Reichstag für Beschlüsse faßt. Ich kann auch nicht glauben, daß eine Berechnung der Einnahmen aus dem Gesetz un⸗ möglich sei. Eine derartige Berechnung müßte die erste Forderung der Kommission sein. Dann erst können wir prüfen, ob durch das Gesetz die Stempelsteuergesetzgebung in der That geregelt wird.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich will bei der vorgerückten Zeit mich auf die Berichtigung einiger, aber wesentlicher Irrthümer des Herrn Vor⸗ redners beschränken.

Ich will zuerst eine Bemerkung voranschicken. Mit großer Ge⸗ lassenheit sagt der Herr Abg. von Eynern, in keinem Lande der Welt wäre der Verkehr so kolossal besteuert und beschwert wie in Preußen bezw. in Deutschland. Da möchte ich ihn bitten, einmal die französische, die italienische und selbst die österreichische Gesetzgebung sich anzusehen; da wird er eine ganz andere Ausbildung des Verkehrssteuer⸗ wesens, wie sie jemals in Preußen bestanden hat, und auch neuerdings im Reiche eingeführt worden ist, leicht erkennen können.

Nun hat der Herr Abgeordnete ferner gemeint, es würden aus diesen wenigen Bestimmungen über den Fixstempel bei Auszeichnungen, Titelgewährungen u. s. w. kolossale Summen herauskommen. Ich glaube, sie haben durchschnittlich bisher zwischen 20⸗ bis 25 000 aufgebracht. Diese „kolossale Summe“ berechnet Herr von Eynern dadurch, daß er jeden Titel, der an einen Beamten gewährt wird und das sind natürlich die allerüber⸗ wiegendsten Fälle hier unter das Stempelgesetz bringt, während das Gesetz ausdrücklich nur von Privatpersonen spricht in der be⸗ stimmten Absicht, alle Titulaturen von Beamten auszuschließen. Auf diese Weise allerdings kann man kolossale Summen aus dem Gesetz herausrechnen. Es ist das ein charakteristisches Beispiel, woher die 25 Millionen Mehreinnahmen kommen, die der Herr Abg. von Eynern herausrechnet.

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, wenn nach diesem Gesetz ein Vermiether eine Liste aufstellen muß, in welcher er seine Mieth⸗ verträge nach Summen für das laufende Jahr angiebt und weiter nichts, so wäre das ein Eindringen in die intimsten Privatver⸗ hältnisse des betreffenden Vermiethers. Auch das ist charakteristisch für diese Art von Deduktion.

Aber die Sache kommt noch besser. Die Bestimmungen über die Bedeutung der Korrespondenz und über die Verpflichtung von Privat⸗ personen, Auskunft zu ertheilen unter gewissen Voraussetzungen, hat der Herr Abgeordnete geschildert, als wenn daraus nun auch eine neue kolossale Belästigung der ganzen Welt entstände und als wenn damit ein Zustand geschaffen würde, der alle Welt unzufrieden machen würde. Nun ist das Unglück für den Herrn Abg. von Eynern, daß das alles schon seit dem Jahre 1822 bestehendes Recht ist (Heiterkeit); hier wird also garnicht das Geringste neu eingeführt. In Beziehung auf die Verpflichtung der Privatpersonen sagt das Gesetz vom Jahre 1822 sogar, noch weitergehend, als wir hier vorgeschlagen haben:

Auch Privatpersonen können von den Stempelfiskalen aufge⸗ fordert werden, sich über die gehörige Beobachtung der Stempel⸗ gesetze auszuweisen, wenn erhebliche Gründe vorhanden sind, diese Beobachtung zu bezweifeln.

(Hört, hört! rechts.) Wir gehen weiter, wir haben das absicht⸗ lich etwas vorsichtiger noch zu Gunsten des Steuerpflichtigen gefaßt. Wir haben gesagt: Wenn Thatsachen vorliegen, aus welchen derartige Verdachtsgründe erhellen. Das Gericht entscheidet über die Frage selbst sowohl nach dem Gesetz von 1822, als nach dem jetzt vorliegenden Gesetz; aber früher genügte es, wenn überhaupt gewisse allgemeine Verdachtsgründe vorhanden waren; jetzt müssen dem Gerichte Thatsachen nachgewiesen werden, aus welchen auf diesen Verdacht mit Recht konkludiert werden kann. Wie kann also mit einem Male behauptet werden, es würde hier eine neue gewaltige Belästigung für das ganze Volk eingeführt?

Was die Korrespondenz betrifft, so ist die Unterscheidung für jeden Juristen vollständig klar. Eine Korrespondenz, welche nichts weiter enthält als ein Uebereinkommen zwischen Entfernten, kann nicht als stempelpflichtige Urkunde angesehen werden. Wenn aber die Korrespondenz den Zweck hat, als Beweismittel zu dienen für irgend einen abgeschlossenen Vertrag, wenn sie also nicht die Uebereinstimmung selbst herbeiführt, sondern eine bereits vorhandene Uebereinstimmung beweisen soll, dann ist sie Urkunde, und das entspricht dem

heutigen Recht, zahlreichen Entscheidungen des Reichsgerichts. Wie will man also auch hieraus eine solche neue Belästigung konkludieren? Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann weiter sich darüber beklagt, wie das auch von anderer Seite vorgekommen ist, daß eine gewisse Gegensätzlichkeit bestände gegen Kapital und Kapital⸗ Assoziation. Was mich persönlich betrifft, so bin ich genau anderer Ansicht. Ich halte die Assoziation der Kapitalien für einen der größten wirthschaftlichen Fortschritte der Gegenwart, und ich würde nicht das geringste thun, um diese zu hintertreiben, habe aber auch

ebensowenig Veranlassung, sie durch Steuerexemption zu begünstigen.

Es ist schon angedeutet worden, auch von einem anderen Redner, als wenn die Aktien⸗ und sonstigen Gesellschaften in Preußen besonders benachtheiligt wären durch die Steuergesetze. Auch das ist unrichtig. Selbst Staaten wie Hamburg, Bremen, Lübeck, Sachsen ziehen die Aktiengesellschaften in weit stärkerem Maße zu den Steuern heran, und ebenso die übrigen Gesellschaften, als das in Preußen der Fall ist. Die Sache ist ja damals ausführlich bei Ge⸗ legenheit des Einkommensteuergesetzes behandelt worden. Wir haben den Aktiengesellschaften das Recht gegeben, von ihrem Einkommen 3 ½ % ihres gesammten Anlagekapitals abzuziehen. Welcher andere Staat in Deutschland hat das gethan? In Hamburg, in den Hanse⸗ städten müssen sie das gesammte Einkommen versteuern.

Sodann haben wir die Aktiengesellschaften vollkommen freigelassen von der Vermögenssteuer, während sie doch andererseits früher Grund⸗ und Gebäudesteuer bezahlt haben. Drittens haben wir die Gewerbe⸗ steuer, die sie zu zahlen haben, den Kommunen überwiesen; der Staat hat darauf vollständig verzichtet. Wie kann man da von einer besonderen Beschwerung und Belastung gerade dieser Gesellschaften reden! (Zuruf.) Das ist von den verschiedensten Seiten, namentlich auch von dem Herrn Abg. Richter, in ausführlicher Darlegung der Staatsregierung zum Vorwurf gemacht.

Was die Besteuerung der Aktiengesellschaften und der sonstigen Gesellschaften in den Kommunen betrifft, so werden die Herren, die ja größtentheils hier noch anwesend sind, sich sehr wohl erinnern, daß diese scharfe Heranziehung in der Kommunalbesteuerung wesentlich durch dies Haus und durch das Herrenhaus in das Gesetz gekommen ist, und nicht nach den Vorschlägen der Regierung. Ja, die Beschwerden, die jetzt nach meiner Meinung mit Recht von einer Reihe von Handelskammern geführt werden gegen die Heranziehung der Gewerbtreibenden in den einzelnen Kommunen aus gewerblichem Einkommen in anderen Staaten, die ist entgegen dem Wunsch der Staatsregierung durch das Herrenhaus in das Gesetz hineingebracht. Wenn nun aber jemand heute ein Grundstück inferiert in eine Gesellschaft ist da ein Uebergang von Eigenthum von einem auf den anderen vorhanden? Und nun erklären die Gerichte: ein Uebergang ist dann vorhanden, wenn dieser Uebergang mit baarem Geld vergütet wird, aber nicht vorhanden, wenn dafür Aktien genommen werden so sage ich, das mag juristisch zutreffend sein, aber wirthschaftlich und sozial nicht. Ob jemand Aktien nimmt für ein Grundstück, welche er doch mit einem gewissen Werth bemißt, oder ob er dafür baar Geld bekommt, das ist steuerlich und wirthschaftlich nach meiner Meinung gleich, und ich halte es nicht für gerecht, wenn in dieser Beziehung zu Gunsten dieser Gesellschaften eine Exemption von der Steuer stattfindet. Ich glaube, weil ich vermeiden möchte, nochmals wieder auf das Einzelne einzugehen, daß die Kommission sich überzeugen wird, daß diese übertriebenen Vor⸗ würfe gegen das Gesetz doch in keiner Weise begründet sind, und daß die meisten in der Spezialberathung der Kommission von selbst weg⸗ fallen werden.

Abg. Humann (Zentr.) hält das vorliegende Gesetz für das wichtigste der ganzen Session und klagt darüber, daß kein Material zur Beurtheilung der Tragweite der Vorlage beigebracht sei. Gegen eine Besteuerung der Zessionen, durch die der Grundstücks⸗Spekulation entgegengetreten werden solle, habe er nichts einzuwenden. Das 18- von 1822 müsse reformiert werden, eine Besserung werde aber dur das vorliegende Gesetz nicht geschaffen. Die Einnahmen aus der Stempel⸗ steuer würden sich mindestens um die Hälfte vermehren, die Steuer⸗ kraft in Preußen sei aber bereits derart in Anspruch genommen, daß sie keine weitere Anspannung vertrage. Auch die so segensreich wirken⸗ den Raiffeisen'schen Kassen würden durch die geplanten Stempelabgaben schwer geschädigt werden. Das Stempelgesetz sei; einschneidender als die abgelehnte Quittungssteuer. In der Kommission müsse darauf geachtet werden, jede Mehrbelastung der Mittelstände zu verhüten. Das beste sei, die Vorlage abzulehnen.

Abg. von Eynern (nl.) erwidert dem Finanz⸗Minister, er habe nicht nur die Belastung der Verkehrsverhältnisse, sondern auch vor⸗ nehmlich der Erwerbsverhältnisse gemeint, die nirgends so hoch sei, als in Deutschland. Die gesammte kaufmännische Korrespondenz sei nichts Anderes als eine Bestätigung über Kauf oder Verkauf, sei also insgesammt stempelpflichtig. Sämmtliche gewerblichen Verhältnisse müßten dem Stempelfiskal mitgetheilt werden, womit eine neue Be⸗ lästigung der Steuerzahler verbunden sei. Auch er sei für Ablehnung

der Vorlage. 1 Die Diskussion wird geschlossen. Die Vorlage wird einer

besonderen Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen AAX“

Nr. 8 der „Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge⸗ sundheitsamts“ vom 20. Februar hat folgenden Inhalt: Gesund⸗ heitsstand und Gang der Volkskrankheiten (Cholera u. s. w.). Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera ꝛc. Oeffentliches Gesundheits⸗ wesen im Regierungsbezirk Arnsberg, 1889/91. Jahresbericht des Lübecker Medizinalkollegiums, 1893. Gesetzgebung u. s. w. (Baden). Entschädigungen bei Seuchenverlusten. (Braunschweig). Maß⸗ analitische Meßgeräthe in Apotheken. (Anhalt). Kreis⸗Thierärzte. (Schweiz. Kanton Thurgau). Kunstbutterhandel. (Belgien). Aichorie Kakao, Chokolade und Milch. (Rumänien). Anste ende

rankheiten ꝛc. (Neu⸗Seeland). Oeffentliche Gesundheitspflege. Gang der Thierseuchen in den Niederlanden, 4. Vierteljahr. Desgl. in der Türkei. Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. 8 Lothringen, Schweden). Rechtsprechung. Kriminalstatistik, 1891 (Landgericht Flensburg). Thierheilmittel. Vermischtes: (Oester⸗ reich). Infektionskrankheiten. (England). Nabruns mckteife lchon⸗ Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Aus⸗

Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung

landes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte.

113“]

No) 46.

Königreich Preußen.

Königliche Technische Hochschule zu Aachen. Vorlesungen und Uebungen im Sommer⸗Semester 1895.

Beginn der Immatrikulationen am 16. April, der Vorlesungen am 22. April 1895.

Abtheilung für Architektur. Professoren: Damert: Architektur der Renaissance; Entwerfen von Eisenbahn⸗Hochbauten; Veranschlagen und Bauführung. Henrici: Bürgerliche Bauku I. und II. Kurs; Einrichtung und Entwerfen öffentlicher Gebäude und Anstalten; Ornamentik; Freihandzeichnen. Reiff: Figuren⸗ und Landschaftszeichnen und Aquarellmalen. Schupmann: Formen⸗ lehre I. bis IV. Kurs. Schmid: Allgemeine Kunstgeschichte; Aus⸗ gewählte Gebiete der Künstgeschichte. Dozenten: Frentzen: De⸗ taillieren von Gebäudetheilen I. und II. Kurs; Formale Ausbildung der Ingenieurbauten; Architektur größerer Gebäude. Bossieren und Modellieren. Privatdozent: Buchkremer: Kunst⸗

gewerbe schristliche und Profankunst); Kunstgewerbliches Colloquium.

Abtheilung für Bauingenieurwesen. Professoren: Bräuler: Eisenbahnbau; Grundzüge des Eisenbahnbetriebs. Heinzerling: Höhere Baukonstruktionen mit mathematischer Be⸗ gründung; Brückenbau I. und II. Kurs; Geschichte des Brückenbaues. Intze: Baukonstruktion; Wasserbau I. und II. Kurs. Mehrtens; Straßenbau; Baumaterialienlehre; Städtekanalisation; Encyclopädie des Bauingenieurwesens. Werner: Praktische Geometrie; Geodätisches Praktikum I und II; Geographische Orts⸗ bestimmung; Eisenbahn⸗Tracieren.

Abtheilung für Maschineningenieurwesen: Professoren Grotrian: Elektrotechnik I und, II; Elektrotechnisches Praktikum:: Gutermuth: Maschinenbau; Maschinenkonstruieren. Herr⸗ mann: Mechanische Technologie I. und II. Kurs; Fabrikanlagen und Werkzeugmaschinen. Köchy: Lokomotivbau; Eisenbahnmaschinen⸗ bau; Maschinen⸗Elemente; Grundzüge des Lokomotivbaues; Grund⸗ züge des Eisenbahnwagenbaues. Lüders: Maschinenkunde (für Berg⸗ und Hütteningenieure) I. und II. Kurs. Pinzger: Theo⸗ retische Maschinenlehre; Kinematik; Maschinentechnische Versu e. Dozent; von Ihering: Baumaschinen; Maschinenzeichnen; Klein⸗ kraftmaschinen.

Abtheilung für Bergbau und Hüttenkunde, für Chemie und Elektrochemie. Professoren: Arzruni: Petro⸗ graphie mit Demonstrationen; Uebungen im Bestimmen der Mineralien;

nleitung zu selbständigen Arbeiten auf dem Gebiet der Krystallo⸗ graphie Mineralogie und Petrographie. Claisen: Experimental⸗ Chemie: Organischer Theil; Organisches Praktikum; Anleitung zu selbständigen Arbeiten auf dem Gebiet der organischen Chemie. Classen: Chemie der Metalle; Anorganisches Praktikum; Aus⸗ führung selbständiger wissenschaftlicher Arbeiten; Gerichtliche Chemie. Dürre: Einleitung in die Hüttenkunde; Metallhüttenkunde; Besondere Kapitel der Eisenhüttenkunde (Eisengießerei, Walzen⸗ kalibrierung ꝛc.); Entwerfen von Hüttenanlagen; Hüttenmännische 12 st; Löthrohrprobierkunst; Anleitung zu metallurgischen

ersuchen. Holzapfel: Spoezielle Geologie; Paläontologische Uebungen; Elemente der Mineralogie und Geologie. Schulz: Bergbaukunde; Entwerfen bergmännischer und Aufbereitungsanlagen; Salinenkunde; Bergverwaltung. Stahlschmidt: Technische Chemie; Entwerfen von chemischen Fabrikanlagen; Chemisch⸗technisches Praktikum. Dozent: Fenner: Markscheiden und Feldmessen; Markscheiderische Zeichen⸗Uebungen; Uebungen im Markscheiden und Feldmessen. Wieler: Botanik.

Abtheilung für allgemeine Wissenschaften, ins⸗ besondere für Mathematik und Naturwissenschaften. Nofessoren: van der Borght: National⸗Oekonomie II; Geschichte der Nationalökonomie: Grundzüge der Finanzwissenschaft; Baurecht. Jürgens: Höhere Mathematik II mit Uebungen; Algebraische Analysis; Mathematisches Seminar. von Mangoldt: Höhere Mathematik I mit Uebungen; Elemente der analytischen Geometrie, der Differential⸗ und Integral⸗Rechnung mit Uebungen. Ritter: Mechanik I. und II. Kurs. Schur: Darstellende Geometrie; Elemente der darstellenden Geometrie. Wüllner: Experimental⸗ Physik; Physik in mathematischer und experimenteller Behandlungs⸗ weise. Ausgewählte Theile; Uebungen im physikalischen Laboratorium: a. für Elektrotechniker und Chemiker, b. für Physiker. Dozenten: Wiener: Experimental⸗Physik ene. Kurs; Grundzüge der physika⸗ lischen Chemie. Storp: Gewerbehygiene; Gewerbehygienische Gesetzgebung. Außerdem: Hasenclever: Kaufmännische Buch⸗ führung für Techniker. Müller: Die erste Hilfeleistung bei plötz⸗ ene nglücksfällen, mit Uebungen. Lieven: Bakteriologisches

aktikum.

Programme sind auf Ersuchen vom Sekretariat zu beziehen.

Deeutscher Reichstag.- 142. Sitzung vom Mittwoch, 20. Februar. 8 den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet orden.

Bei der zweiten Berathung des von dem Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vg.) eingebrachten Gesetzentwurf, betreffend die Volksvertretung in den Bundesstaaten, in Verbindung mit der zweiten Berathung des von den Abgg. Ancker und Genossen (fr. Volksp.) eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Volksvertretung in den Bundes⸗ staaten, und der zweiten Berathung des von den Abg. Auer und Genossen (Soz.) eingebrachten Gesetzentwurfs, betref⸗ fend die Volksvertretung in den Bundesstaaten und in Elsaß⸗ Lothringen, nimmt zunächst das Wort der .“ Bevollmächtigte zum Bundesrath von

n.

Meine Herren! Gestatten Sie mir hier noch einige Worte zur

Erwiderung auf die Rede der Herren Abg. Pachnicke und Richter in der vorigen Berathung über diesen Gegenstand! Herr Pachnicke hat in seiner Rede am 13. d. M. sich darüber beklagt, daß ich seinen Antrag so kurzer Hand zurückgewiesen habe; früher sei man entgegenkommender gewesen. Herr Pachnicke übersieht, daß dies ge⸗ schehen ist zu einer Zeit, die längst vorüber ist, und daß alles be⸗ urtheilt werden muß nach der Zeit, in welcher es geschieht. 1 Dann bleibt Herr Pachnicke dabei, daß auch jetzt noch 1200 Bauern in Mecklenburg existieren, obwohl der Herr Abg. Rettich unter Bezugnahme auf authentische Quellen ihm nachgewiesen hat, daß 7000 Bauern in Mecklenburg existieren. (Zuruf links.) Alles in allem! (Zuruf links.) Ja, in der Ritterschaft existieren etwas über 1500. Also wenn Herr Pachnicke die überschüssigen 5800 Bauern nicht selbst gelegt hat, so leben sie sämmtlich noch

„Anzeig

2

Berlin, Donnerstag, den 21. Februar

Herr Pachnicke wirft mir ferner vor: schneidende Kritik des Bundesrathsbeschlusses vom Jahre 1875, der die Erwartung ausspricht, es werde der mecklenburgischen Regierung gelingen, ihre Verfassung zu reformieren. Ja, habe ich denn überhaupt die Frage erörtert, ob Mecklenburg seine Verfassung ändern will, oder nicht? Dann hat Herr Dr. Pachnicke meine Rede überhaupt nicht verstanden. Meine Rede richtete sich gegen die Worte des Herrn Dr. Pachnicke: Meine Herren, verschaffen Sie doch dem Lande Mecklenburg eine Verfassung! Ich habe nicht gesagt, wir wollen diese Verfassung nicht ändern, sondern ich habe gesagt, Sie können sie nicht ändern, und ich habe Ihnen dann höflich anheimgegeben, die Hand davon zu lassen. Nun glaubt Herr Abg. Richter aus meiner Rede vom 5. d. M. zu entnehmen, daß ich als Vertrauensmann der mecklenburgischen Bevölkerung gesprochen habe. Meine Herren, ich habe hier gesprochen als Vertreter der mecklenburgischen Regierung; damit ist allemal gemeint die Regierung von Mecklenburg⸗Schwerin und die Regierung von Mecklenburg⸗ Strelitz. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß der weitaus größte Theil des mecklenburgischen Volkes hinter seiner Re⸗ gierung steht und nicht hinter Herrn Richter, und wenn ich in diesem Glauben in meiner ersten Rede einmal gesagt habe: überlassen Sie es den Mecklenburgern, ihre Verfassung zu ändern, wenn sie es für nothwendig erkennen, so werde ich mich deswegen mit meiner Re⸗ gierung abzufinden haben. Die Mecklenburger, glaube ich, haben mir diese Art der Vertretung und die Inanspruchnahme ihres Ver⸗ trauens für dieses Mal verziehen; denn ich habe zahlreiche Kundgebungen aus Mecklenburg bekommen, die dies zu bestätigen scheinen.

Der Herr Abg. Richter hat dann in seiner Rede vom 13. d. M. Ihnen eine historische Darstellung aus Mecklenburg gegeben, seinen Geschichtsschreiber aber nicht genannt. Ich glaube seine Quelle zu kennen. Wenn ich mich darin nicht irre, so ist sie nicht unberühmt; unbestritten aber ist, daß sie ziemlich viel Unwahres über Mecklenburg verbreitet hat. Das hat denn auch der Abg. Richter herausgefunden und es nach seinem Geschmack verwerthet. Herr Richter sagte u. a.: „In Wahrheit beruht dieser Erbvergleich auf Gewaltthätigkeit und Be⸗ stechung; von Tradition und Urwüchsigkeit gar keine Rede.“ Meine Herren, das ist nicht die Wahrheit; das ist, um einen Ausdruck des Herrn Abg. Richter hier zu gebrauchen, brutale Vergewaltigung der mecklenburgischen Geschichte. Der Erbvergleich ist durch eine ver⸗ einigte Kommission der Ritter⸗ und Landschaft in friedlicher Form ausgearbeitet. In demselben wurde wesentlich uraltes Herkommen kodifiziert. Auch die Darstellung über den Landtag von 1748 ist falsch, es handelte sich dabei gar nicht um einen Verfassungs⸗ streit, sondern um einen Steuermodus. Die Angaben über den Freienwalder Schiedsspruch hat Herr Abg. Rettich bereits zutreffend richtiggestellt, und ich glaube, einige andere Widerlegungen hat Herr von Buchka noch auf dem Herzen; ich will ihm darin nicht vorgreifen. Aber mag dem sein, wie ihmßwolle ich habe hier das, was vor 100 und 200 Jahren in Mecklenburg passiert ist, nicht zu verthei⸗ digen. Ich vertrete die Gegenwart und habe Ihnen den Standpunkt der gegenwärtigen Regierung in Mecklenburg klar und offen dargelegt. Sie haben nichts vorgebracht, was mich veranlassen könnte, etwas daran zu ändern. Herr Richter suchte Ihnen historisch nachzuweisen, daß Mecklenburg sich an die Hilfe des Reichs schon gewöhnt haben müsse. Darauf erwidere ich: weder Mecklenburg noch irgend ein Bundesstaat des Deutschen Reichs wird sich jemals daran ge⸗ wöhnen, daß das Reich gesetzwidrig verfährt. (Sehr wahr! rechts.) Das thut das Reich, wenn es seine Kompetenz überschreitet, oder wenn es seine Kompetenz erweitert, ohne ein Recht dazu zu haben.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Das Reich hat unzweifelhaft das Recht, seine Kompetenz auf gesetzlichem Wege zu erweitern. Das hat nicht einmal der Abg. von Buchka bestritten. Im übrigen steht es dem mecklenburgischen Bevollmächtigten schlecht an, die mecklenburgi⸗ schen Verbältnißse gegen das Reich auszuspielen. Die Mehrheit der Bevölkerung steht i

mecklenburgischen der gegenwärtigen

in der vorliegenden Frage sondern hinter Anträge, wie eine Volks⸗ versammlung in Rostock erst in den letzten Tagen ge⸗ zeigt hat. Die Darstellung, welche ich von der mecklen⸗ burgischen Verfassungsgeschichte gegeben habe, habe ich aus dem Werk des konservativen Historikers von Hirschfeld geschöpft, und der Abg. Rettich hatte Unrecht, wenn er bei der ersten Lesung meine Darstellung bemängelte. Was die Auslassungen des Abg. Nauck über das Ver⸗ hältniß zwischen Volk und Fürsten in Mecklenburg⸗Strelitz betrifft, so finde ich es etwas unvorsichtig, dieses Verhältniß zu rühmen. Kein Land weist einen so großen Prozentsatz von Auswanderern auf, wie Mecklenburg. Nan hat von gegne⸗ rischer Seite auch bemerkt, wir sollten uns statt um die mecklen⸗ burgische Verfassung mehr um die Reichsfinanzen kümmern, da⸗ mit Mecklenburg nicht so stark zu Beiträgen für das Reich heran⸗ gezogen werde. Wie es mit den Finanzen Mecklenburgs bestellt ist, ergiebt sich aus dem Gothaer Kalender, der bei Mecklenburg kurz be⸗ merkt: Zuverlässiges über die Finanzen nicht zu erfahren. Der Abg. von Frege hat bei der vorigen Berathung eine Lobrede zu Gunsten des Fürsten Bismarck gehalten und dem Monarchen seinen Dank für die Inschrift ausgesprochen, welche den Bismarckthurm bei Göttingen zieren soll. Mir wird es wohl erlaubt sein, wenn ich dem Monarchen meinen Dank dafür ausspreche, daß er im Jahre 1890 mit der ganzen Kanzlerautokratie ein Ende gemacht hat.

Abg. von Buchka (kons.): Für die Art und Weise, wie der Abg. Richter den mecklenburgischen Bundesstaat und die mecklen⸗ burgische Regierung herabgewürdigt hat, fehlt mir die parlamentarische Bezeichnung. Ich will den von dem Vorredner angeschlagenen Ton nicht fortsetzen. Eine Bestreitung der Kompetenz des Reichs ist weder mir nsch meinen politischen Freunden jemals eingefallen. Der Rest patriarchalischen Regiments, der noch in Mecklenburg besteht, hat sich gut bewährt, wenn ich auch zugebe, daß die Gesetzgebungsmaschine etwas langsam arbeitet. So schlimm wie der Abg. Pachnicke es dargestellt hat, sind die Verhältnisse in Mecklen⸗ burg keineswegs, und es liegt nicht im mindesten die Nothwendigkeit vor, von Reichswegen hier einzugreifen. Den historischen Bemerkungen des Abg. Richter gegenüber maß ich konstatieren, daß im Jahre 1849 das Recht auf Seiten der meck emcehe Stände war. Von einem

mecklenburgischen nicht hinter der den Verfechtern

Regierung,

Rechtsbruch kann demnach bei dem Freienwalder Schiedsspruch keine Rede sein. Ich bestreite dem Abg. Richter, daß die Mehrheit der Bevölkerung bezw. der Wähler in Mecklenburg für den Antra Pach⸗ nicke oder den Antrag Ancker ist. Die sozialdemokratischen Wähler

Zweite Beilage

heg sicher nicht für diese Anträge zu zählen; denn die Bestrebungen er Sozialdemokraten gehen in einer ganz anderen Richtung, als auf

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tr und Königlich Preufischen

die Einführung eines konstitutionellen Regierungssystems. Die Auf⸗ rechnung der Parteistärke will aber überhaupt nicht viel besagen an⸗ gesichts einer Entwickelung, Ständewesen zurückführt. 1 8 28. Dr. Pachnicke (fr. Vg.): Den Zweifeln gegenüber, daß die Mehrheit der mecklenburgischen Beyölkerung hinter den Antrag stellern stehe, will b auf eine Zuschrift verweisen, die mir aus bäuerlichen Kreisen Mecklenburgs geworden ist. Darin wird kurz und gut erklärt, daß ein mecklenburgischer Konservativer weit schlimmer sei, als 100 Sozialdemokraten. Durch die Versammlung in Rostock, welche sich am Montag für meinen Antrag erklärte, ging ein Zug von wahrem Enthusiasmus. Die Berechtigung des Reichs zum Einschreiten hat der Abg. von Buchka anerkannt. Thatsächlich hat sich der Bundes rath 1875 schon im Sinne meines Antrags ausgesprochen. Wenn der Antrag heute mit Hilfe des Zentrums abgelehnt wird, so bin ich sicher, daß sich in Mecklenburg selbst eine Bewegung zu Gunsten der Einführung einer Verfassung im Sinne meines Antrags entwickeln wird, der die mecklenburgische Ritterschaft auf die Dauer nicht wir widerstehen können.

Abg. Graf von Bernstorff⸗Uelzen (b. k. F.): Ich muß di Kompetenz des Reichs im Sinne des Antrags Pachnicke bestreiten ich betrachte es als ein Recht Mecklenburgs, seine Verfassung selbst zu bestimmen. So lange also die Kompetenz des Reichs nicht erweitert ist, werde ich gegen den Antrag Pachnicke stimmen. Wenn die mecklen burgische Rechtspartei hier ins Spiel gebracht worden ist, so möchte ich, da ich derselben nahe stehe, erklären, daß wir den Rechtsboden, wie er vor 1866 bestand, als die allein geeignete Basis für eine ge 1 deihliche Entwickelung Deutschlands halten. Das Lob des Parla mentarismus, welches die Befürworter der gegenwärtigen Anträge gesungen haben, ist recht durchsichtig. Nirgendwo herrscht eine größere politische Korruption, als in eee. regierten Staaten.

„Abg. Singer (Soz.): Nicht wegen, sondern trotz des Parlamen tarismus herrscht in manchen Staaten Korruption. Sorge man dafür daß das Volk seine wahre Vertretung durch die Wahlen findet, so wird es bald besser werden. Jetzt dient der Parlamentarismus viel fach der Vertretung von Interessen bestimmter Gruppen. Die Be⸗ rechtigung des Reichs zu einer Einwirkung auf Mecklenburg im Sinne der vorliegenden Anträge ist unbestreitbar. Unser Antrag geht weiter als die beiden anderen. Obwohl wir mit dem Antrage des Abg. Pachnicke nicht einverstanden sind, werden wir, falls unser An⸗ trag abgelehnt wird, für ihn stimmen. Wir thun dies nur, um den Gedanken zu untessicgen, daß jeder Einzelstaat eine Volksvertretung haben müsse. Freilich muß diese Vertretung aus dem allgemeinen gleichen geheimen Wahlrecht hervorgehen, das auf diejenigen ausge⸗ dehnt werden müßte, die das 20. Lebensjahr beendet haben. Wenn die jungen Leute bei uns zum Kanonenfutter gut sind, so müssen sie auch an der Gesetzgebung theil nehmen dürfen. Mit dem Wahlrecht der Frau haben andere Staaten schon gute Erfahrungen gemacht. Die ganze Haltung des Parlaments ist eine bessere, wenn 2s Frauen in ihm vertreten sind.

Abg. Winterer (Els.⸗Lothr.) Im Namen meiner politischen Freunde muß ich erklären, daß der Landesagusschuß in d re durchaus nicht so machtlos ist, wie es hier dargestellt wurde. it dem Wahlmodus bin ich durchaus nicht einverstanden; aber wir sind gegen jede Einmischung in unsere internen Angelegenheiten und wollen auch keine Bevormundung seitens des Reichs in anderen Staaten. Wir werden darum gegen alle Anträge, namentlich gegen den Antrag Auer stimmen.

Mecklenburgischer Gesandter von Oertzen: Ich halte mich für verpflichtet, gegen die empörenden, allem Anstandsgefühl hohnsprechen⸗ den Aeußerungen des Abg. Richter, und von linker Seite gegen .. (Großer Lärm links; wiederholte Rufe: Zur Ordnung! Erneuter groher Lärm, in welchem die weiteren Ausführungen des Redners völlig verloren gehen.)

Präsident von Lev e . Ich habe mein lebhaftes Bedauern darüber auszusprechen, daß seitens eines Mitgliedes des Bundesraths Aeußerungen gefallen sind, die mit der Ordnung des Hauses nicht in Einklang zu bringen sind.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Dem Abg. Singer gegenüber konstatiere ich, daß ich vor acht Tagen erklärt habe, ich wolle auf die Frage des Frauenstimmrechts in den Einzelstaaten nicht eingehen, weil der Reichstag nicht dafür zuständig ist. Wenn die Sozialdemokraten es anders wollen, so mögen sie den Antrag einbringen, das Frauen-⸗ stimmrecht im Reich einzuführen. Im übrigen muß ich bei meinen früheren Aeußerungen über die Kompetenz stehen bleiben, so lange nicht der § 4 der Verfassung geändert wird.

Bei der Abstimmung wird der Antrag Auer u. Gen. gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Antrag Ancker u. Gen. gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der frei⸗ sinnigen Volkspartei und eines Theils der freisinnigen Ver⸗ einigung, der Antrag Pachnicke gegen die Stimmen der Nationalliberalen, der beiden freisinnigen Fraktionen und der Sozialdemokraten abgelehnt.

Das Haus geht sodann zur Berathung des folgenden, von den Abgg. Hitze u. Gen. (Zentr.) eingebrachten Antrags über:

Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, Erhebungen darüber zu veranstalten: 1) wie die Be⸗ schränkung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen 137 der Reichs⸗ Gewerbeordnung) in wirthschaftlicher, gesundheitlicher und sittlicher Beziehung gewirkt hat; 2) welche Erfahrungen speziell bezüglich des Verhältnisses von Arbeitszeit und Arbeitsleistung gemacht sind; 3) wie weit die Beschränkung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen auf die der Arbeiter zurückgewirkt hat; 4) in wie weit nach den ge⸗ machten Erfahrungen eine generelle oder spezielle Beschränkung der Arbeitszeit auch für die Arbeiter nothwendig erscheint und welche Beschränkung; 5) wie die Beschäftigung verheiratheter Arbeiterinnen auf Gesundheit und Familienleben einwirkt; in wie weit die Vor⸗ schrift der Gewährung einer 13stündigen Mittagspause für Arbeiterinnen, welche ein Hauswesen zu besorgen haben 137 Abs. 4 der Gewerbeordnung), jenen thatsächlich zu gute kommt; welche weiteren gesetzlichen Beschränkungen bezüglich der Beschäftigung verheiratheter Frauen möglich und nothwendig erscheinen.

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Im Arbeiterschutzgesetz von 1890 haben wir weitgehende Beschränkungen für die Beschäftigung von Arbeiterinnen eingeführt; namentlich gilt dies von der Festsetzung einer hygienischen Maximalarbeitszeit. Einige Parteien, namentlich die freisinnige Pög ei vertreten heute noch den Standpunkt, daß eine Regelung der Arbeitszeit für die erwachsenen Arbeiter nicht nöthig sei. Wir be⸗ zwecken aber mit unserem Antrag, festzustellen, ob nach den ge⸗ machten Erfahrungen eine Beschränkung der Arbeitszeit auch für die Arbeiter nothwendig erscheint. Wir wünschen fernes Erhebungen darüber, welche weiteren gesetzlichen Beschränkungen ür die Beschäftigung von verheiratheten Arbeiterinnen wünschens⸗ werth seien. Daß nicht alles auf einmal gemacht werden kann, ist selbstverständlich. Es müßte aber ein frischerer Hauch durch die Maß⸗ nahmen der Regierung gehen. ie 28 nicht allein die Aufsichts⸗ beamten hören, sondern auch Arbeiter. Der Tendenz unseres Antrags, dem Arbeiter ein geordnetes Familienleben zu ermöglichen, werden. wohl alle zustimmen. -

die uns mehr und mehr zum alte