1895 / 66 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 16 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

den Staatssekretär richten, ob es richtig ist, daß, wie mir gesagt wurde, die Posthilfsboten bei den Postämtern III. Klasse überhaupt nicht

etatsmäßig angestellt werden. - ,

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor im Reichs⸗Postamt, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Fischer: Die von dem Bebel angegebene Arbeitszeit für die 2e in Hannover halte ich für ganz undenkbar, da sie weit über das Maß der fefstgesetzten Arbeitsdauer hinausgeht. Die Meinung des Abg. Bebel, daß die Posthilfsboten der Postämter III. Klasse überhaupt nicht etatsmäßig angestellt werden, beruht auf einem Irrthum. In dem Fall, den er vielleicht im Auge hat, kann es sich nur um einen nicht ständig be⸗ eS. Posthilfsboten handeln, bei dem eine etatsmäßige Anstellung allerdings ausgeschlossen ist. 8 8 8

Auf eine Anfrage des Abg. Rickert (fr. Vgg.) betreffs der Fernsprechverbindung EE1“ bemerkt der 8

Direktor im Reichs⸗Postamt Scheffler: Bei der Herstellung der Fernsprechleitung von Berlin nach der Ostgrenze wurde von vornherein der Anschluß Königsbergs in Betracht gezogen. Es er⸗ hoben sich aber Schwierigkeiten insofern, als die Zahl der arantierten Gespräche nicht hinreichend erschien, um die Kosten der nterhaltung der Linie zu bestreiten. Die Verhandlungen sind noch im Gange und nach den letzten mir zugegangenen Nach⸗ richten ist die een begründet, daß sie zu einem gedeihlichen Ab⸗ schluß führen werden. Eine Verindung der Telegraphen⸗ und Telephonanlagen sei seitens der Reichs⸗Postverwaltung nicht gefordert worden. Es sei dies von dem Magistrat und der städtischen Ver⸗ waltung Königsbergs der Postverwaltung entgegengebracht worden. Die Verwaltung sei geneigt gewesen, über jede Verbindung einzeln zu verhandeln.

Staatssekretär des Reichs⸗Postames Dr. von Stephan:

Ja, meine Herren, das Hinderniß liegt nicht bei dem Reichs⸗ Postamt, sondern bei der Verwaltung von Königsberg, und zwar weil diese darauf auszugehen scheint, sich den Bestimmungen des § 12 des Telegraphengesetzes zu entziehen, die bekanntlich dahin lauten, daß der später mit seiner Anlage Kommende auf seine Kosten die Schwierigkeiten beseitigen muß, die aus der Induktion entstehen. Das paßt der Stadt Königsberg nicht, und sie will, wie es mir scheint ich habe die Verhandlungen im einzelnen nicht verfslgt die Gelegenheit benutzen, den Kon⸗ sequenzen dieser Gesetzgebung zu entgehen. Natürlich würde das augenblicklich Nachahmung in allen anderen Städten finden, und darum können wir nicht darauf eingehen.

Was nun im übrigen die Ausführung der Leitung be⸗ trifft, so sind wir, wie mein Prr Kollege bereits dar⸗ gelegt hat, gern bereit gewesen, die Stadt Königsberg sofort in diese Linie aufzunehmen, schon mit Rücksicht auf die hervorgehobene Residenzeigenschaft Königsbergs und die Bedeutung seines Handels und Verkehrs. Was aber die in Königsberg vorhandene eigene Werth⸗ schätzung der Fernsprechleitung betrifft, so ist die eine etwas eigen⸗ thümliche. Ich habe hier einen Auszug aus einem Bericht von 1884, wo mit einem Vertreter einer der größten Firmen in Königsberg, dessen Haus die Verwaltung brauchte zur Aufstellung eines Rohr⸗ leiters für die Telephonleitung, verhandelt worden ist, und darin ist

gesagt: 8 Er hat mir persönlich erklärt, also dieser Vertreter eines der ersten Häuser von Königsberg, so

schreibt der Ober⸗Postdirektor daß nach Lage der Geschäftsverhältnisse in Königsberg die Stadt⸗

fernsprecheineichtung damals handelte es sich nur um die Fernsprechanlage in Königs⸗ berg selbst, garnicht um die Linie von Berlin dorthin hierselbst zur Zeit und vielleicht noch lange als ein Bedürfniß nicht anzuerkennen sei. (Heiterkeit.) Das sei nicht nur seine, sondern der gesammten Kaufmannschaft Meinung, welche im Vorsteheramt, dem er selbst angehöre, oft genug Ausdruck gefunden. Also demgegenüber haben wir wahrlich alles gethan, was wir thun konnten, nicht bloß in Bezug auf die Stadtfernsprecheinrichtung, und wir werden auch bereit sein, wenn die Stadt Königsberg sich den gesetzlichen Bestimmungen fügt, die übrigen Wünsche zu erfüllen.

Zum Titel „Kleiderkassen“ befürwortet der

Abg. Dr. DE“ (fr. Volksp.) die Einführung leichterer Sommerkleidung bei den Postbeamten. Die Befürchtung, die Beamten könnten sich in Leichtever Kleidung erkälten, treffe doch wenigstens für die Bureaubeamten nicht zu. Wie die Militärverwaltung leichtere Kleidung für den Sommer eingeführt habe, könne dies auch die Post⸗ verwaltung thun. Namentlich für die Landbriefträger sei die Ein⸗ führung leichterer Kleidung eine Nothwendigkeit.

Abg. Prinz zu Schönaich⸗Carolath (nl.) ist überzeugt, daß der Staatssekretär Veranlassung nehmen werde, sich mit der Frage zu beschäftigen. b 8

Abg. Werner (Refp.) bemerkt, ihm sei von den Beamten erklärt worden, sie empfänden die Tuchkleidung im Sommer als eine Be⸗ lästigung.

Zum Titel „Vergütungen an Eisenbahn⸗, Schiffs⸗ und Telegraphen⸗Unternehmungen“ liegt folgende Resolution des Abg. Dr. Hahn (b. k. F.) vor:

Der Reichstag wolle beschließen: den Reichskanzler zu ersuchen, Erhebungen zu veranstalten 1) über die Art und Dauer des Dienstes und der Arbeit der Schiffsoffiziere und Schiffsmannschaften auf den Reichs⸗Postdampfern während des Ladens und Löschens in den Abfahrts⸗, Anlaufs⸗ und Ankunftshäfen; 2) darüber, zu welchem Theil die Besatzung der Reichs⸗Postdampfer aus wirklichen See⸗ leuten besteht.

Abg. Dr. Hahn (b. k. F.): Die von mir eingebrachte Resolution liegt sowohl im Interesse des Publikums wie der Seeleute selbst. 8ch erkenne die Verdienste des „Norddeutschen Lloyd“ wohl an, nach mir zugegangenen Mittheilungen aber waren bei dem „Norddeutschen Lloyd“ auf einem Schiffe von 180 Mann Besatzung nur 36 ausgebildete Seeleute ein Prozentsatz, der sicherlich nicht ausreichend ist. Unter diesen Umständen erscheint mir die Sicherheit der Beförderung von Postsachen wie Passagieren unmöglich zu sein. Ist mir doch auch mitgetheilt worden, daß Schiffsoffiziere beim „Nord⸗ deutschen Lloyd“ einen Dienst von 66 Stunden hintereinander hatten, während für ihren anstrengenden Dienst die größte Frische nothwendig wäre. Ich bitte Sie im Interesse der Sicherheit unserer Schiffahrt die Resolution anzunehmen.

Abg. Frese (fr. Vgg.) verliest ein Telegramm des „Norddeutschen Lloyd“, aus dem hervorgeht, daß die Offiziere auf den Reichs⸗Post⸗ dampfern 4 Stunden Wache und darauf 4 Stunden Ruhe haben, die Mannschaften 4 Stunden Dienst, 8 Stunden Ruhe, ebenso, die Maschinisten. Von der Besatzung seien bei der „Preußen“ Unter 136 Mann 52 wirkliche Seeleute, bei „Prinz⸗Regent“ und „Prinz Heinrich“ unter 150 Mann 60 wirkliche Seeleute. Es sei inter⸗ national von allen Ausländern, von Amerikanern und Engländern anerkannt, daß in Bezug auf die Bemannung der „Norddeutsche Lloyd“ an der Spitze aller Schiffahrts⸗Kompagnien stehe. 1“

Die Resolution wird darauf abgelehhhlhltt.

Zunm Titel ‚Herstellung eines Dienstgebäudes in Döbeln“ erhält das Wort

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.): Es ist bereits mehrfach hier

Wunsch ausgesprochen worden a der Staatssekretär sich mehr

an einen einfachen Ziegelbau halten möge, als an die kost⸗ spieligen Steinmetzarbeiten. Ich beantrage die Zurückweisung der Position an die Kommission. Die Summe, die für das Postgebäude in Döbeln verlangt wird, ist zu hoch. Als im preußischen Abgeordnetenhause die Rede davon war, daß „ve zu den Postbauten die Justizverwaltung wohl etwas kostspieliger bauen könne, erhob sich der Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum und sagte, es sei eine wahre Landeskalamität, in welcher Weise die Postgebäude auf⸗ geführt werden. Ich hoffe, daß er mit seiner Partei auch im Reichs⸗ tag dagegen auftreten wird. 9

Graf zu Limburg⸗Stirum (d. kons.): Ich habe das Be⸗

dürfniß der Postbauten nie bestritten, ich habe mich nur gegen die Pracht dieser Bauten ausgesprochen. Wenn ich im Abgeorvnetenhause den Ausdruck „Landeskalamität“ gebraucht habe, so mag das etwas stark gewesen sein, aber es scheint mir doch bedenklich, wenn gerade die Post, eine Zuschußverwaltung, so kostspielig baut. Denn an den Ueberschuß, den sie sich ausrechnet, glaubt doch niemand mehr. Er kommt der o"preußischen Eisenbahn⸗ Verwaltung zu. Diese Bauten führen ja allerdings dazu, daß der Name des Staatssekretärs im Lande recht glänzend wird, aber das kann für uns nicht bestimmend sein; wir müssen für das Gleichgewicht der Finanzen sorgen. Ich bitte deshalb, dem Antrage des Abg. Schmidt beizustimmen.

Abg. Dr. Lingens (Zentr.) erklärt sich gegen den Antrag Schmidt⸗Warburg. Die Postbauten müßten doch etwas anders aus⸗ sehen, wie Gefängnisse. 1

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor im Reichs⸗Postamt, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Fischer: Man behauptet immer, wegen des Verhältnisses der Post zu den Eisenbahnen sei die Post⸗ verwaltung eine Zuschußverwaltung. Der Abg. Graf Limburg hat das angedeutet. Ich will aber darauf nicht eingehen. Die Kom⸗ mission hat 4132₰ osition eingehend geprüft, und auch die Döbelner Position. on einem zu kostspieligen Bau in Döbeln kann keine Rede sein nach den örtlichen Verhältnissen.

Abg. Merbach (Rp.): Die Postgebäude in Berlin berechtigen allerdings zu dem Vorwurf der Verschwendung, nicht aber die in der Als wir die ersten Zeichnungen eines Neubaues für meine

aterstadt sahen, waren wir hoch erfreut. Zu unserem lebhaften Bedauern wurden aber in Berlin all' die schönen Ornamente ge⸗ strichen. Durch eine Rückverweisung dieser Position bürden wir der Kommission eine überflüssige Arbeit auf. Ersparen Sie sich die Arbeit und bewilligen Sie der Stadt Döbeln ihr Postgebäude.

Nachdem der Abg. Dr. Bachem (Zentr.) sich für die Zurückverweisung des Titels an die Budgetkommission und der Abg. Dr. Lieber (Zentr.) sich gegen dieselbe ausgesprochen, wird der Antrag Schmidt⸗Warburg abgelehnt und der Titel bewilligt.

Die weitere Berathung wird sodann auf Sonnabend 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. 89

. Herrenhaus. 4. Sitzung vom Freitag, 15. März.

Vor Eintritt in die Tagesordnung nimmt das Wort

Vize⸗Präsident Freiherr von Manteuffel: In den nächsten Tagen feiert unser Mitglied Fürst von Bismarck seinen acht⸗ zigsten Geburtstag. Ich habe mir erlaubt, den Gesammt⸗ vorstand des Hauses zu einer Sitzung einzuladen, um über die Vorschläge für die Feier zu berathen. Der Vorstand ist sich dahin schlüssig geworden, daß das Haus, das die Ehre hat, den Fürsten Bismarck zu seinen Mitgliedern zu zählen, diesen Tag nicht vorübergehen lassen darf, ohne dem Fürsten die allerherzlichsten Glück⸗ und Segenswünsche zu überbringen. Wir sind von dem Gedanken geleitet worden, daß bei einem Manne, der selbst von seinen Feinden als der größte Staatsmann dieses Jahrhunderts an⸗ erkannt wird, diejenige Körperschaft, der er als Mitglied angehört, die allererste Pflicht hat, ihm ihre Glückwünsche zu überbringen. Ich habe Ihnen nun den Vorschlag zu machen: das Haus wolle beschließen, daß der Gesammtvorstand dem Fürsten Bismarck die Glückwünsche des Hauses in Friedrichsruh selbst überbringt. Ich nehme an, daß Sie mit mir einverstanden sind, und werde mit Friedrichsruh wegen Feststellung des Tages unserer Reise in Ver⸗ bindung treten. Ich werde dann allen Mitgliedern des Hauses Kenntniß davon geben, selbstverständlich auch unserem Herrn Prä⸗ sidenten, der leider zur Zeit durch Krankheit an der Theilnahme an unseren Sitzungen verhindert ist.

Herr von Pfuel: Die Ovation, die wir dem Fürsten Bismarck durch Ueberbringung unserer Glückwünsche darbringen, wird nur eine vorübergehende sein. Wir könnten ein dauerndes Andenken schaffen, wenn wir an einen Vorschlag anknüpften, den ich mir schon im Jahre 1890 zu machen erlaubt habe, hier im Hause die Büste des Fürsten aufzustellen. Es war mir im Jahre 1890, als Fürft Bismarck aus seiner Stellung schied, vergönnt, als erster

edner ihm einen Nachruf zu widmen. Ich habe schon damals die Hoffnung ausgesprochen, es möge uns vergönnt sein, hier im Saal seine Büste als ein Bild der Treue und Aufopferung aufzustellen, das uns anfeuern werde, in seinem Geiste fortzuarbeiten. Einen geeigneteren Moment als die Feier des achtzigsten Geburtstags des Fürsten finden wir nicht. Ich werde mir erlauben, einen dahin gehenden Antrag zu stellen, sobald wir wieder zusammenkommen, und hoffe, Sie werden mich dann unterstützen. 8 v tritt das Haus in die Tagesordnung ein. PDereidigt wird das neu in das Haus eingetretene Mit⸗ glied Anton Graf zu Stolberg⸗Wernigerode.

n einmaliger Schlußberathung wird der Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung älterer, in der Prvwpinf Schleswig⸗Holstein und im Regierungsbezirke Casse geltender feuerpolizeilicher Bestimmungen, ohne De⸗ batte angenommen.

Es folgt die Wahl des Zweiten Vize⸗Präsidenten an Stelle des verstorbenen Ober⸗Bürgermeisters Boetticher.

Auf Antrag des Grafen von Schlieben wird Ober⸗Bürger⸗ meister Becker (Köln) durch Zuruf als Zweiter Vize⸗ Präsident gewählt.

Ober⸗Bürgermeister Becker nimmt die Wahl dankend an und bemerkt: es werde sein Bestreben sein, wenn er die Verhandlungen zu habe, die in dem Hause üblichen zuvorkommenden Formen zu wahren.

Mehrere Petitionen, den Bau einer Eisenbahn von Heilsberg nach Mehlsack als Fortsetzung der Strecke Braunsberg-Mehlsack be⸗ treffend, werden der Regierung als Material überwiesen.

Eine Petition der Vertreter der Stadt Krefeld und der Handels⸗ kammer daselbst zur Herbeiführung besserer Bahnhofsverhältnisse in Krefeld wird der Regierung zur Berü sichtigung überwiesen.

Ueber eine Petition rein persönlichen Inhalts geht das Haus zur Tagesordnung über.

Mehrere Petitionen um Abzugsfähigkeit der kommunalen Grund⸗ und Gebäudesteuer bei der Veranlagung zur Einkommensteuer sollen nach dem Antrage der Budgetkommission durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt werden. 8.

Ober⸗Vürgermeister Giese (Altona) im Interesse der Fe. Gerechtigkeit die Petitionen der Regierung zur Be⸗ rücksichtigung zu überweisen. 1

Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Wallach bittet, den Kommissions⸗ antrag anzunehmen. Gerade im Sinne der ausgleichenden Gerechtig⸗ keit sei die Bestimmung in das Einkommensteuergesetz Seeeeee die Grund⸗ und Gebäudesteuer der Gemeinden nicht vom Einkommen bei der Besteuerung durch den Staat abzuziehen. Die Kom⸗

munalbesteuerung sei außerordentlich beweglich und richte sich

8

nach den Bedürfnissen der einzelnen Städte. In einer Stadt sei 1 Besteuerung eine reale, in der anderen eine personale. Man e

die Einnahmen aus der Einkommensteuer zu außerordentlich schvnieh

2. machen, wollte man sie von der Kommnnalbesteuerung abhängn assen. 88 Das Haus geht dem Antrage der Kommission gemäß über Petitionen zur Tagesor dnung über. b über N Eine Petition des Magistrats der Stadt Biebrich um 8 änderung des § 33 Nr. 1 des Kommunalabgabengeseten vom 14. Juli 1893 in der Richtung, daß es den Gemeinden lassen bleibe, das Einkommen aus nichtpreußischen deutschen Stant von der Gemeindebesteuerung freizulassen, wird der Regierung 5 Material überwiesen. ah

Schluß 36 ྠUhr. 8

44. Sitzung vom Freitag, 15. März. G

Auf der Tagesordnung stehen die dritte Berathun des Staatshaushalts⸗Etats und die erste Berathung kleinerer Vorlagen. 3

Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden Wir tragen an dieser Stelle nur die Entgegnungen de Ministers der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse af die Beschwerde des Abg. Brandenburg (Zentr.) über zie kirchliche Vermögensverwaltung im Regierungsbezirk Mersebur und auf den Wunsch des Abg. Dr. Lotichius auf Vorlegun eines Lehrerbesoldungs⸗Gesetzes im Wortlaut nach.

Dem Abg. Brandenburg gegenüber bemerkte der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Was die Bemerkung des Herrn Abg. Brandenbun anlangt, aus Anlaß der gestrigen Diskussion über die von der Ne⸗ gierung zu Merseburg erlassene Geschäftsanweisung für die Schu⸗ vorstände, von der aus er exemplifizierte auf ähnliche Vorkommnist und Uebergriffe der bureaukratischen staatlichen Verwaltun auf dem Gebiete der Ausführung des kirchlichen Vermögen verwaltungsgesetzee, so kann ich in dieser Beziehung mn erklären, daß ich durchaus nicht wünsche, daß das von 1875 über die kirchliche Vermögensverwaltung der katholische Kirchengemeinden dazu mißbraucht wird, um unnöthiger Weise burem⸗ kratische Eingriffe in die Vermögensverwaltung der Gemeinden 2 machen. Da, wo die Sachen ordnungsmäßig erledigt werden, haka sich unsere bureaukratischen Provinzialbehörden so wenig wie möglz in die Sache einzumischen. Nur da, wo Unzuträglichkeiten, Unrch fertigkeiten vorkommen oder zu erwarten sind, sollen sie mit Rücksichtnahme auf die lokale kirchliche Verwaltung sich der Sh annehmen und Hand in Hand mit ihr Ordnung schaffen. Das der Grundsatz, der bei uns im Ministerium beobachtet wird.

Wenn nun wirklich einzelne Behörden darüber einmal hina gegangen sind, so kann das vorkommen. In einem großen Staat me Preußen ist es stets vorgekommen und wird auch künftig vorkomma⸗ daß eine Provinzialbehörde sich einmal vergreift. Sie können sch aber darauf verlassen, daß das, wenn es bei mir zur Kenntniß komnt nicht gebilligt wird, sondern daß ich verlange, daß nach denselbe Grundfätzen, die im Ministerium gelten und die hier öffnt⸗ lich vor dem Lande ausgesprochen werden, auch die Verwal⸗ tung geführt⸗ wird. Ich werde dafür sorgen, daß dies gesciieht! Ich glaube auch nicht, daß erhebliche Beschwerden nach dieser Seite hin werden vorgebracht werden können.

Was die Sperrgelderfrage betrifft, meine Herren, so bin ich gm⸗ dankbar dafür, das Herr Abg. Brandenburg die Güte gehabt ha⸗ diese Sache hier zur Sprache zu bringen. Es ist in der That irn Interesse der katholischen Institute, daß diese Erklärung, die er go⸗ wünscht hat, hier abgegeben wird. Wir sind nicht in der Lage, nach⸗ träglich noch förmlich Rechenschaft zu legen über die Grundsätze⸗ nach denen die Einsammlung der Sperrgelder seiner Zeit erfolg ist. Das hat auch der Herr Abg. Brandenburg garnickt verlangt. Ich wili ausdrücklich hier erklären, daß zur Ausführung de Sperrgeldergesetzes in einer Anweisung, die an die Unterbehörde ergangen ist, gesagt worden ist:

Es sei von den Provinzialbehörden zu prüfen, ob die in der Provinzial⸗ und Spezialkassen⸗Etat nachgewiesenen Leistungen a Bisthümer, deren Institute und an Geistliche als Bedürfnißzuschüse anzusehen seien oder nicht; Bedürfnißzuschüsse seien als erspart u verrechnen, die anderen Leistungen aufzusammeln.

Das, meine Herren, werden Sie zugeben, war der einzig möglich Grundsatz, der bei Ausführung dieses Gesetzes damals aufgestelt werden konnte, nachdem das Gesetz mal ergangen war. Nun ist d sehr wahrscheinlich, daß bei der Anwendung dieser Bestimmung auc Irrthümer untergelaufen sind. Ich will das gar nicht bestreiten. I⸗ dessen diese Sache ist abgemacht durch das Gesetz von 1891. Da sf ein für allemal ein Strich gezogen. Die Sache ist gewissermaßen im Wege des gesetzgeberischen Kompromisses ein für allemal erledigt.

Allerdings kann nun die Möglichkeit bestehen bleiben, daß g. konkrete Fälle giebt, in denen eine Leistung des Staates irrthümlih damals als Bedürfnißzuschuß behandelt ist und jetzt wieder gemadl wird, und daß daraus man könnte wenigstens daran denken innerhalb rechtsverjährender Zeit das früher vorhanden e wesene Recht als verloren gegangen bestritten werden könntt. Meine Herren, die Unterrichtsverwaltung und die Finanzverwaltung sind beide darüber einverstanden, daß es selbstverständlich ist, daß durch da rein internen Akt der Unterscheidung zwischen Bedürfnißzuschüssen un rechtlich fundierten Leistungen, die seiner Zeit die Königliche Staats⸗ regierung gemacht hat und zwar ohne den Interessenten gegenüte eine Erklärung darüber abzugeben, ob das Recht anerkannt oder 8 es bestritten werde daß durch diesen internen Akt der Verwaltun irgend eine Wirkung auf die Rechtsfrage nicht hat eintreten können daß also auch der künftigen Entscheidung auf Grund von Verjährumg dadurch nicht hat präjudiziert werden können. Darüber heris zwischen dem Herrn Finanz⸗Minister und mir Einverständniß. 2 gebe diese Erklärung sehr gern ab und hoffe, sie wird den Hvam Abg. Brandenburg befriedigen, und ich hoffe, daß damit nun endlic die leidige Sperrgelderfrage hier ein für allemal erledigt sein wird.

Dem Abg. Dr. Lotichius erwiderte der Minister de geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich kann unmöglich ganz schweigen auf die 8 regungen, die der Herr Abg. Dr. Lotichius hier in Bezug 5 Lehrerbesoldungsgesetz die Güte gehabt hat, zu geben. Ich kann zm

wiederholen, was ich neulich bereits erklärt habe, daß die Grundiug

des Gesetzes zwischen dem Herrn Finanz⸗Minister und mir der Verhandlung sich befinden. Mein dringender 1n.

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da, eine Ausgleichung zwischen den jetzt etwas bunt und t vertheilten Gehältern und Besoldungen der Lehrer

9

Lecetzuführen und bei der Gelegenheit, aber ohne Belastung der Ge⸗

den, denen wir das unter den jetzigen Verhältnissen nicht zu⸗ können (ijehr richtig! rechts), und ohne Belastung der Guts⸗ trie eine entsprechende bescheidene Besoldung der Lehrer dahin uführen, daß sie mit Freudigkeit ihres Amtes walten können 2 daß sie ihr bescheidenes tägliches Brot haben. von dem ersten Augenblick an, wo ich in das Ministerium eingetreten bin, mein dringender Wunsch gewesen; ch fortwährend eingetreten. Ich bin weit entfernt gewesen, ese Dinge aufzunehmen etwa als eine besondere Passion von meiner bete, sondern die schreienden Bedürfnisse auf diesem Gebiet haben s dazu genöthigt, zu thun, was in meinen Kräften stand. Ich ann deshalb auch nicht davon abgehen und werde auch nicht davon geehen, und ich bin überzeugt, daß alle Parteien dieses Hauses, wenn üe Sache verständig und in den richtigen Grenzen und in dem rich⸗

94 apo!), .

raltus.

ügen Weg gemacht wird, die Hand dazu bieten werden, um endlich buf diesem Gebiet Ruhe zu schaffen.

die Subvention des Real⸗Progymnasiums in Oberlahnstein

vetrifft, so bitte ich, daß die Sache an mich im Geschäftswege heran⸗ bracht wird; dann soll sie geprüft werden. Hinsichtlich der Be⸗ irfnitzuschüsse muß die Leistungsfähigkeit der Gemeinden geprüft aden, und ich muß nach dem Etat der Anstalt und nach dem, was je Gemeinde leisten kann, die Zuschüsse bemessen. Das kann uter Umständen etwas unbequem für die Gemeinde sein. lber ich muß um der Gerechtigkeit willen gegen andere Gemeinden d mit Rücksicht auf meine Verantwortung gegenüber diesem hohen zause diese Prüfung eintreten lassen. Sie soll aber mit dem größten Vohlwollen eintreten, wenn die Sache an mich herangebracht wird nd mir nova dargelegt werden, auf Grund deren ich eine Erhöhung

Zuschusses herbeiführen kann. Bei der weiteren Berathung des Etats des Ministe⸗ jums der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten nimmt h dem Abg. von Eynatten (Zentr.) das Wort der

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Herr Freiherr von Eynatten hat gemeint, der all in Brachelen wäre so recht ein Belag für das Wohlwollen, das ier der Zentrumspartei und dem katholischen Volke vom Minister⸗

vise entgegentöne. Vielleicht sehen Sie die Sache doch etwas anders an, tenn Sie von mir erfahren, daß der Fall in Brachelen bisher mit keiner

ilbe an das Ministerium herangekommen ist. (Hört! hört! rechts.)

netzh babe den Fall in der „Germania“ gefunden in einem etwas ge⸗ euten Artikel und habe daraus Veranlassung genommen, Bericht zu

perdern, ohne daß ich hierzu die geringste amtliche Veranlassung abt hätte. (Hört! hört! rechts.) Nein, meine Herren, ist da ebhlt, dann wird Remedur erfolgen. Ob aber gefehlt ist, steht noch er dahin.

Das ist ja richtig, daß wir die Ordensschwestern, deren Thätig⸗ it wir anerkennen, an das Gesetz gebunden halten, und in dem Gesetz tt ausdrücklich, daß die Orden nicht befugt sind, in Volksschulen zu

ünrerichten. Und, meine Herren, daran muß ich festhalten, so lange as Gesetz besteht; das ist meine Pflicht und Schuldigkeit.

Aber, meine Herren, zu behaupten, daß wenn nun wirklich die chulaufsichtsbehörde darauf hält, daß diese Beschränkung innegehalten ind, die in sehr vielen, in den bei weitem meisten Fällen ja von Ubst innegehalten wird es kommen fast nie Klagen nach ieser Seite hin an mich —, wenn aber wirklich einmal

in einzelnen Falle die Schwestern diese Schranken überschreiten,

h, dann kann die Schulaufsichtsbehörde garnicht anders,

unn muß sie hingehen und muß sagen: es thut mir leid, aber esetlich seid ihr dazu nicht befugt; ich muß es euch untersagen! Das ennen die Herren: die Schwestern unter fortwährende Polizeiaufsicht ellen. (Zuruf bei den Nationalliberalen, Widerspruch im Zentrum.) Das soll dazu dienen, den letzten Funken Patriotismus aus dem berjen zu tilgen! (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen, Unruhe n Zentrum.) Nein, meine Herren, ich bin überzeugt, daß in uhren Schwestern viel mehr Patriotismus wohnt, und daß dieser datriotismus zu tief sitzt, als daß er, wenn dort der Schulaufsichts⸗ kamte seine Schuldigkeit thut, ausgelöscht werden kann. (Sehr chtig!) Nein, meine Herren, wir wissen, daß die Schwestern gute atrioten sind; sie sind viel patriotischer, als Herr von Eynatten sie axgestellt hat. (Widerspruch des Abg. von Eynatten.) Herr von ionatten hat gesagt, die Sache sei ihm zu bagatell ir ist sie garnicht bagatell. Wenn diese Sache an mich ankommt, werde ich sie mit allem Ernst entscheiden. Meine errten, ich bin mir bewußt, daß ich in katholischen Ordenssachen git aller Gerechtigkeit entscheide und daß ich Ihnen soweit entgegen⸗ mme, wie es irgend auf Grund des Gesetzes möglich und mit den natlichen Interessen verträglich ist. (Bravo! rechts und bei den kationalliberalen.) Weiter kann ich nicht gehen, weiter werde ich icht gehen. Darin werde ich mich auch nicht irre machen lassen durch alche leidenschaftlichen Angriffe, wie sie hier gegen mich gerichtet sind. ebhaftes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen; Zischen bei

Polen und im Zentrum; erneuter lebhafter Beifall und Zischen.)

Abg. Hobrecht (nl.): Die eifersüchtige Abrechnung beider Kon⸗

sionen und die Klagen von seiten des Zentrums über Mangel an arität können nur zu Feindseligkeiten und zur Verbitterun führen.

Fo lange Menschen auf Erden sind, wird es keine absolute Gerechtig⸗

szöeben; aber wir haben alle die Ueberzeugung, daß es der Minister Sn Gewissenhaftigkeit und an Gerechtigkeit fehlen läßt. Des⸗

alb soll man Klagen und Beschwerden, die sich auf geordnetem gege abstellen lassen, nicht ohne Noth anbringen. Auch an uns ülrn mannigfache Klagen von seiten der protestantischen Be⸗ 8 trung heran, die wir aber nicht vorbringen, um nicht Oel ins gr gießen. Ich will hier nur eine solche Beschwerde erwähnen, indie Gründung einer konfessionellen Schule für 30 evangelische rfan in Pelplin, dem Sitze des Bischofs von Kulm, betrifft. Alle cface der Gründung einer solchen Schule wurden bis in die 4 en Instanzen zurückgewiesen, weil man keinen Druck auf die aumunalbehörden zu Gunsten einer kleinen Minorität ausüben wollte. nlendlich hat ein evangelischer Geistlicher aus der Nachbarschaft in nütein eine evangelische Privatschule errichtet. Es soll das keine brest gegen den Minister sein, sondern die Sache soll den systematisch beit beren vberglauben beseitigen, als habe gerade der katholische bellage ng serung Grund, sich über Imparität und Zurücksetzung

ftadbg. bleß. entr.): Es sei bedauerlich, wenn noch Gesetze un en, die die segensreiche Wirksamkeit der katholischen Schwestern 5 ben. Derartige Gesetze müßten endlich beseitigt werden. Wenn in Wandel geschaffen werde, müsse man annehmen, daß man die

agen der Katholiken nicht erhören wolle.⸗

Abg. Dr. Porsch (Zentr.) führt in Bezug auf die Kinder aus Mischehen an, daß der Kardinal⸗Fürstbischof Kopp in Breslau, völlig in Uebereinstimmung mit der Haltung des Zentrums, es für genügend halte, wenn der Vater der Kinder seine Erklärung über deren religiöse Er⸗ ziehung vor dem Rektor der Schule oder der Polizei abgebe. Eine Erklärung vor dem Magistrat zu fordern, sei für viele Väter eine unnöthige Belästigung. Daß zwei Minister, der Minister des Innern und des Kultus, hätten in Bewegung gesett werden müssen, um katholischen Schwestern zu erlauben, Nähunterricht zu er⸗ theilen, sollte kaum ein Mensch für möglich halten. Die Be⸗ völkerung werde in ihrem Patriotismus erschüttert, wenn derartige harmlose Dinge beinahe unter Polizeiaufsicht gestellt würden. Der Abg. Hobrecht habe keine Ahnung von der Erregung, die durch solche Vorgänge in der katholischen Bevölkerung hervorgerufen werde. Er könne auch eine große Menge von Beschwerden aus der Provinz Posen vortragen, die eine angenehme Ergänzung zu den Ausführungen des Abg. von Tiedemann bilden würden. Er sei gern bereit, diese Dinge privatim dem Abg. von Tiedemann mitzutheilen. So lange die im⸗ paritätische Behandlung fortbestehe, könne man nicht von einem

„Aberglauben“ sprechen, der dazu führe, die Verhältnisse der Katho⸗

liken schwärzer hinzustellen, als sie seien.

Abg. Hauptmann (Zentr.) liest aus einem Manuskript eine Erwiderung gegen eine frühere Rede des Abg. Friedberg vor, der die gegen Angriffe desselben Redners in Schutz genommen hatte. Redner erklärt, die geheimen Gesellschaften müßten schärfer überwacht werden als die Anarchisten.

Vize⸗Präsident Dr. Freiherr von Heereman unterbricht den Redner mit der Bemerkung, daß er zu weit von dem Gegenstande der Berathung abschweife.

Abg. Hauptmann verläßt die Tribüne.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Nach unserer Geschäftsordnung ist das Verlesen einer Rede nur dann gestattet, wenn ein Mitglied des Hauses der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Da der Abg⸗ Haupt⸗ mann seine Rede verlesen hat, so muß ich annehmen, daß er der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Ich hätte gewünscht, daß der Vorredner uns gesagt hätte, was geheime Gesellschaften“ sind. Leider hat uns der Herr keine einzige Thatsache vorgebracht, die begründen könnte, daß man die geheimen Gesellschaften schlimmer behandeln sollte wie die Anarchisten.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Der Dekan Nieczig in Brenno hat mir eine schriftliche Mittheilung zukommen lassen in Bezug auf die Anschuldigung, welche von seiten des Abg. von Tiede⸗ mann⸗Bomst gegen ihn erhoben wurde, daß bei ihm in seiner Pfarre die polnischen Lehrer sich einer politischen Beichte unterziehen müßten, bevor sie zur Osterbeichte zugelassen würden. Der Pfarrer Nieczig erklärt nun in positiver Weise, daß die Lehrer weder bei ihm ver⸗ kehrten, noch er bei den Lehrern, daß er sie schon aus diesem Grunde einer politischen Beichte nicht habe unterwerfen können, und daß er nicht einmal wisse, ob sie überhaupt zur Sakramentalbeichte gingen. Damit fällt diese Frage in sich selbst zusammen. Ich habe es um so mehr für nöthig eestr. die Angaben des Abg. von Tiedemann in jedem Punkt mög⸗ ichst zu widerlegen, weil die Presse der Partei, welcher der Abg. von Tiedemann 8hgeer mit solchen Entstellungen das Publikum über die Verhandlungen des Hauses belehrt, und dieses glaubt, daß alles, was der Abg. von Tiedemann behauptet, richtig und die Gegenbemerkungen falsch seien. Der Abg. von Tiedemann hat in der Poßt⸗ einen Brief, der angeblich an ihn gekommen ist, veröffentlicht. Dieser Brief wird durch andere Zeitungen weiter kolportiert, und dadurch wird Stimmung gegen die Polen gemacht, um zu zeigen, auf welche Weise Abgeordnete bebandelt werden, welche etwa so auftreten, wie es den Polen nicht gefällt. Ich finde in den heutigen Zeitungen diesen Brief, worin dem Abg. von Tiedemann gedroht wird, vielleicht mit Faustschlägen. Er ist datiert aus Schild⸗ esche und unterschrieben „Dissen, Pfarrer“. Damit die Presse auch in dieser Beziehung nicht unrichtige Nachrichten verbreite, erkläre ich hiermit, daß im Bereich der Diözesen Gnesen und Posen ein solcher Ort gar nicht existiert, ebensowenig ein solcher Pfarrer. (Zuruf von den Nationalliberalen: bei Bielefeld in Westfalen!) Ob er anderswo existiert, weiß ich nicht; um aber dem vorzubeugen, daß die Presse diesen Vorfall ausnutze, um gegen die Polen zu hetzen, erkläre ich, daß, wenn der Abg. von Tiedemann diesen Brief erhalten hat, er nicht aus der Diözese Gnesen oder Posen stammt.

Abg. von Tiedemann⸗Bomst (fr. kons.): Ich habe neulich 189 gesagt, daß es schwer ist, mit dem Abg. von Jazdzewski über⸗ aupt zu diskutieren, und wenn er immer sagt, wie peinlich und wider⸗ wärtig es für die Polen ist, derartige Diskussionen hervorzurufen, so konstatiere ich, daß diese Worte mit seinen Thaten nicht im Einklang stehen. Weshalb hat er denn wieder darauf zurückgreifen müssen? möchte ich fragen. Was die eben von ihm verlesene Erklärung des Pfarrers betrifft, so möchte ich auf das Wort verweisen: Si fecisti, nega! Der Abg. von Jazdzewski verlangt, ich solle hier im Hause Beweise bringen. Ich möchte ihn bitten, mir zu sagen, wie ich das machen soll.

ch kann hier keine eidlichen Zeugenvernehmungen vornehmen. Ich kann doch nur bestätigen, daß die Angaben, auf die ich mich berufe, mir mit Namensunterschrift und unter voller Verantwortung der⸗ jenigen, die sie gemacht haben, zugegangen sind, und daß die Einsender bereit sind, dafür einzutreten. Das muß jedem anständigen Menschen genügen. Wenn der Abg. von Jazdzewski auf den Prief zurück⸗ gekommen ist, der heute in allen Zeitungen steht, so habe ich diesen allerdings erhalten. Wo Schildesche liegt, weiß ich zur Zeit nicht; die Ortsbezeichnung stimmte aber mit dem Poststempel überein. Ich bin nicht in der Lage zu kontrolieren, wo der Brief herstammt; ich habe weiter nichts gethan, als die Thatsache mitzutheilen, die geschehen ist, und die niemand, auch der Abg. von Jazdzewski nicht, ableugnen kann. Ich glaube, das ist mein Recht. Wenn der Abg. von Jazdzewski sagt, eine Parochie jenes Namens gebe es in der Provinz Posen nicht so kann ich auch dies im Augenblick nicht kontrolieren. Kein Men hat es behauptet. Befindet sie sich nicht in der hafchnt Posen, so befindet sie sich anderswo, oder es liegt eine Mystifikation vor, die denjenigen trifft, der sie begangen hat, nicht mich. Ich habe weiter nichts gethan, als daß ich den Brief auf die Journalistentribüne ge⸗ geben habe; es war mir gleichgültig, was damit geschah. Ich erkläre zum Schluß, daß dies die letzte Antwort ist, die der Abg. von Jazdzewski von mir erhält.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Wenn die Presse alles verdreht und falsch vorbringt, was unsererseits hier verhandelt wird, so werden Sie zugeben, daß ich verpflichtet war, vor derselben Ver⸗ sammlung, vor welcher die Anklage erhoben wurde, die Angelegenheit wieder zur Sprache zu bringen. Wenn ein Mann so angegriffen wird, wie der Pfarrer Nieczig, wie würden wir vor dem Lande da⸗ stehen, wenn wir einen solchen Mann nicht vertheidigen würden! Beweisen kann man die Sache allerdings durch Behauptungen nicht; aber wenn ein Mann in der Stellung eines Dekans etwas behauptet und positiv erklärt, so ist diese Behauptung einzig und allein für mich maßgebend und nicht Verstellungen, die von anonymer Seite kommen.

Damit wird der Gegenstand verlassen.

Die Abgg. von Schenckendorff (nl.), Freiherr von Plettenberg⸗Mehrum (kons.) und Dr. Dittrich (Zentr.) haben, unterstützt von Mitgliedern ihrer Parteien, den Antrag eingebracht, die Regierung aufzufordern:

I. der Frage der körperlichen und werkthätigen Erziehung in den Schulen wie in den Lehrer⸗ und Lehrerinnen⸗Seminaren eine ver⸗ mehrte Förderung zuzuwenden; II. zu diesem Behuf 1) im nächsten Etat entsprechende Mittel einzustellen und diese auf die bezüglichen Titel dahin zu vertheilen, daß in erweitertem Maße als seither gefördert werden: a. die Jugend⸗ spiele und verwandten Leibesübungen in allen Schulen, wie Lehrer⸗ und Lehrerinnen⸗Seminaren; b. der hauswirthschaftliche Unterricht in den Mädchenschulen und Kurse zur Ausbildung von Lehrerinnen für diesen Zweck; c. der Hundfertigt teumterig in den städtischen Knabenschulen und in den Lehrer⸗Seminaren; 2) darauf hinzuwirken, daß der Lehrstoff im gesammten Unterricht der Schulen wei thunlichst in enge Beziehung zum Leben gesetzt werde. 8

Abg. Freiherr von Plettenberg⸗Mehrpm (kons.) erklärt, von einer Begründung des Antrags, wie sie vom von Schencken dorff schon in der zweiten Lesung vorgetragen sei, Abstand nehmen zu wollen, um die dritte Etatsberathung nicht aufzuhalten. Er bittet um Ueberweisung des Antrags an eine besondere Kommission. 8

Abg. Freiherr von Zedlitz⸗Neukirch (fr. kons.) schließt sich diesem Vorschlag an, da der Antrag nicht nur eine Geldbewilligun in sich schließe, vielmehr wichtige Grundsätze des Unterrichtswesen betreffe, deren sachgemäße Würdigung eine besonders zusammen⸗ gesetzte Kommission erfordere. 1 8 8

Der Antrag wird an eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen.

Abg. Sepffardt inl.) bittet um Regelung der Reliktenversorgung der Volksschullehrer. 8

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse: 1 Meine Herren! Ich möchte nur konstatieren, daß ich mit dem

Herrn Abg. Sexrffardt vollständig darin einverstanden bin, daß die end

gültige Regelung des Reliktenwesens der Volksschullehrer ei dringendes Bedürfniß ist. Die Schwierigkeit der Sache liegt in der Ueberführung der jetzigen provinziell und bezirksmäßig organisierte Kassen, in der Berechnung des Bedürfnisses, in der Vorbereitung der Sache, und dazu wird auch das voraussichtlich hier einzubringend Lehrerbesoldungsgesetz dienen, nach dieser Richtung feste Grundlage zu gewinnen. Ich hoffe daher, daß unmittelbar, sobald wir mit der Gehalts regulierungsfrage zu stande gekommen sein werden, wir auch in dies Reliktenfrage eintreten, und ich habe jetzt schon die Referenten i Ministerium beauftragt, in die vorbereitenden Arbeiten einzutreten. (Bravo!) Abg. Dauzenberg (Zentr.) wünscht die kostbaren Reste eine alten Kaiserpfalz in seiner Heimath mit Staatsunterstützung angemesser restauriert zu sehen. Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse: Meine Herren! Ich freue mich immer ganz besonders, wenn i dem Herrn Abg. Dauzenberg entgegenkommen kann. (Seiterkeit Wir stehen uns, glaube ich, näher, als es hier zuweilen scheint; un es wird mir eine ganz besondere Genugthuung gewähren, wenn ich auch in Zukunft außer den 1500 ℳ, die ich im vorigen Jahre für das Bauwerk in Kaiserswerth bereits angewiesen habe, für diese Ruine auch weitere Geldmittel zur Verfügung stellen kann, um dort zu helfen, soweit geholfen werden muß. Ich werde es mir angelegen sei lassen, die Regierung darauf hinzuweisen, daß sie die Mittel auch in der richtigen Weise verwendet, und daß nicht etwa durch Ungeschicklichkeit der Arbeiter bei der Verwendung der Gelder mehr geschadet als genützt wird. Ich bin also für die Anregung dankbar. (Bravo!)

Damit ist der Etat des Ministeriums der geistlichen ꝛc Angelegenheiten beendet. Die dritte Berathung der übrige Pofitiodeen des Etats wird ohne weitere Diskussion zu End geführt.

Dem Gesetzentwurf, betreffend die unentgeltliche Uebereignung zweier für den Reichstagsbau noth wendiger Abschnitte des Großen Thiergartens i Berlin an das Reich, stimmt das Haus in zweiter Be rathung zu.

Das Gesetz zur Ausführung des preußisch⸗luxe Vertrags über den Beitritt Luxemburgs zum b treffend die Regelung der Lachsfischerei im Strom gebiet des Rheins, vom 30. Juni 1885 und zur Reg lung der Fischereiverhältnisse der unter der gemeinschaftlich Hoheit beider Staaten stehenden Gewässer, wird, da kein An trag auf Kommissionsberathung gestellt ist, ohne solche i zweiter Lesung berathen werden.

Die Gesetzentwürfe zür Ergänzung des Gesetzes, betreffen die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Geist lichen der evangelischen Landeskirche in den neun älteren Provinzen vom 15. Juli 1889,

ferner: betreffend die Berliner Stadtsynode und di Parochial⸗Verbände in größeren Orten,

und endlich: betreffend die Aufhebung von Stol gebühren für Taufen, Trauungen und kirchliche Aufgebote im Amtsbezirk des Konsistoriums zu Wiesbaden, werden an eine besondere Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Das Erbschaftssteuergesetz geht an die Kommission für die Stempelsteuer.

Schluß 2 ½ Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Ueber die Krankenversicherung im Jahre 1893 wird vom Kaiserlichen Statistischen Amt in dem ersten Heft des laufenden Jahrgangs, der Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, eine vorläufige Mittheilung veröffentlicht, aus der wir die Schlußsummen hier wiedergeben:

Zahl Durch⸗ 2ANe

schnittszahl Kassenarten. der e

Kassen. Mitglieder.] kungsfälle.

Krankheits⸗

Gemeinde⸗Krankenver⸗ sicheruny N. 8 234 1 236 7327 355 979 5771 669 .. 4 326⁄ 3 230 678] 1 274 115] 21 666 620 Betriebs⸗ F rik⸗) Krankenkassen 6 429 1 782 209 816 357 12 793 752 Heneser 2. 115 31 188 17 354 269 563 Innungs⸗Krankenkassen 483 90 528 32 724 496 744 Eingeschriebene Hilfs⸗ kassen. 11899 664 481 278 3788 4729 335 1 eh Hilfs⸗

8 274 63 068 22 012 434 515 Zusammen. 21 241] 7 098 884 2 796 919 46 162 198 Im Jahre 1892 21 588 6 955 049] ꝑ2 478 237 42 756 026 Die Verminderung in der Anzahl der Kassen ist hauptsächlich durch das Ausscheiden von 528 eingeschriebenen und landesrechtlichen Hilfskassen herbeigeführt worden, welche der Anforderung der Novelle vom 10. April 1892: statt eines bisher gezahlten höheren Kranken⸗ e solches in gewöhnlicher Höhe zu gewähren, aber die Kosten für rzt und Arznei zu übernehmen, nicht nachkamen und deshalb auf⸗ elöst wurden oder lediglich als Fslcbaßkafsen weiter bestanden. Vermehrt haben sich die Ortskrankenkassen um 83 und die Betriebs⸗ krankenkassen um 113 gegen das Vorjahr. Die durchschnittliche Mitgliederzahl einer Kasse beträgt für 189 3 343 gegen 332 in 1892. Die Steigerung erklärt sich namentlich daraus, daß vom 1. Januar 1893 die im Handelsgewekbe und in dem

Geschäftsbetriebe der Anwalte, Gerichte vollzieher, Krankenkassen,

Berufsgenossenschaften und Versicherungsanstalten beschäftigten Personen