eigenem Ermessen, unbeeinflußt von seiten der bayerischen Regierung, gehandelt; aber sie haben vollständig in ihrem Recht gehandelt, wie dies ja bezüglich einer solchen Nürnberger Versammlung von seiten unseres Obersten Gerichtshofs anerkannt ist. Die Regierung hat daher kein Bedenken getragen, dieles Erkenntniß, welches auch Herr Abg. Grillenberger zitiert hat, sowie das demselben zu Grunde liegende Erkenntniß des Königlichen Landgerichts Nürnberg in ihrem Ministerial⸗ Amtsblatt zu veröffentlichen, sodaß jedermann im hohen Hause Ge⸗ legenheit gegeben ist, von diesen Erkenntnissen Einsicht zu nehmen.
Eine oberflächliche Lektüre des oberstrichterlichen Erkenntnisses würde ergeben, daß die Kritik, welche der Herr Abg. Grillenberger an diesem Erkenntniß geübt hat, vollständig ungerechtfertigt ist.
Der Herr Abg. Grillenberger hat gesagt, in diesem Erkenntniß sei ausgesprochen: jede politische Versammlung, welche von einem Sozialdemokraten berufen ist, ist eine sozialdemokratische Versammlung. Das ist in keiner Weise richtig; die Thatsache, daß die in Frage stehende Versammlung von einem Sozialdemokraten einberufen und von einem Sozialdemokraten, der hinterher verurtheilt worden ist, auch geleitet worden ist, und daß ein Sozialdemokrat als Bericht⸗ erstatter für diese Versammlung bestimmt worden ist, bildete für das Gericht nur ein Moment für die Annahme, daß es sich hier um eine sozialdemokratische Versammlung handelt. Keineswegs aber hat aus diesem Umstand allein das Gericht diese Feststellung eintreten lassen.
Es ist hier weiter auch von dem Herrn Abg. Grillenberger an diesem Erkenntniß kritisiert worden, daß in demselben der Satz ent⸗
alten ist, es komme nicht darauf an, um Frauen und Minderjährige on derartigen Versammlungen auszuschließen, ob in denselben öffent⸗ liche Angelegenheiten erörtert werden würden. Das ist vollkommen richtig; der Satz ist zweimal in dem Erkenntniß enthalten; derselbe st aber auch unumstößlich, er gründet sich auf das bayerische Vereins⸗ nd Versammlungsgesetz. Nach Artikel 15 dieses Gesetzes können rauen und Minderjährige solchen Vereinen als Mitglieder nicht an⸗ gehören, noch auch den Versammlungen derselben beiwohnen. Es genügt also, um Frauen und Minderjährige von solchen Versamm⸗ ungen auszuschließen, daß diese von politischen Vereinen ausgehen. Es st aber gar nicht nothwendig, daß in den Versammlungen auch po⸗ sche Angelegenheiten erörtert werden. Der Oberste Gerichtshof at daher den Art. 15 inzder von mir zitierten Weise ganz richtig angewandt. Ferner hat der Herr Abg. Grillenberger gesagt, es sei jede verkschaftliche Versammlung als von der sozialdemokratischen Partei usgehend in diesem Erkenntniß bezeichnet worden. (Zuruf links.) — Jede öffentliche? Auch das ist in dem Erkenntniß nicht gesagt. Es ist dort ausgeführt, daß eine gewerkschaftliche Versammlung sich usschließlich auf gewerkschaftlichem Boden, auf dem Boden des § 152 er Gewerbeordnung bewegen soll, und in diesem Falle unterliegt sie natürlich den Beschränkungen politischer Versammlungen nicht. Es ist aber weiter bemerkt, im konkreten Falle müsse aus einer Reihe on Umständen geschlossen werden, daß die Versammlung mit politischen Angelegenheiten befaßt sei beziehungsweise befaßt werden wolle, und daher sei die Versammlung, obwohl sie als eine gewerkschaftliche Versammlung einberufen worden sei, dennoch als eine politische Ver⸗ sammlung zu betrachten.
Nun, ich verlasse die Kritik, welche der Herr Abg. Grillenberger an das oberstgerichtliche Erkenntniß geknüpft hat, um mich den Be⸗ merkungen zuzuwenden, die er über das Referat des Herrn Abg. Dr. Pichler gemacht hat. Der Herr Abg. Dr. Pichler hat aller⸗
dings im bayerischen Landtage bezw. dem Beschwerdeausschuß desselben im Mai vorigen Jahres über Beschwerden wegen Handhabung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts Bericht erstattet und in diesem Referat die Beschwerde als begründet bezeichnet. Ich glaube jedoch auch aus den Ausführungen des Herrn Abg. Grillenberger entnommen zu haben, daß dieses Referat wesentlich überholt worden ist durch die später erfolgten gerichtlichen Erkenntnisse. Herr Grillenberger hat ja selber die Hoffnung aufgegeben, daß künftighin nach diesem Erkenntniß im Beschwerdewege beim bayerischen Landtage noch etwas zu er⸗ reichen sein würde. Ich für meine Person bin aber gar nicht zweifelhaft, daß der Herr Abg. Pichler sein Referat mit Rücksicht auf die inzwischen ergangenen gerichtlichen Erkenntnisse, welche nicht allein in Bezug auf die thatsächliche Feststellung, sondern auch in Bezug auf die Schlußfolgerungen, die aus denselben gezogen sind, von
seinem Referat ganz wesentlich abweichen, einer Revision unter⸗
ziehen werde. Ich halte es für unmöglich, daß ein so gewissen⸗ hafter Mann, wie Herr Dr. Pichler, gerichtliche Feststellungen, auf welche hin Strafen erkannt worden sind, in Sachen, welche so konner sind mit dem Gegenstande seines Referats, ignorieren werde. Auch darüber bin ich nicht im Zweifel, daß nach diesen gerichtlichen Erkenntnissen von seiten unseres Landtags die fraglichen Beschwerden kaum mehr werden als begründet erachtet werden.
Ich schließe damit, daß ich sage: meine Regierung steht voll⸗ ständig auf dem Boden des von dem Herrn Abg. Grillenberger zitierten oberstgerichtlichen Erkenntnisses vom 29. Dezember 1894. Sie hat die Freude, daß durch dasselbe ihr vorhergegangenes Verfahren in fraglicher Versammlungsangelegenheit vollkommen gebilligt worden ist. Sie ist der Ansicht, daß diese gewerkschaftlichen Versammlungen, wie sie in neuerer Zeit von sozialdemokratischer Seite veranstaltet werden, nichts weiter sind als vereinzelte Erscheinungen der von dieser Partei organisierten Parteiagitation, mit deren Hilfe sie neue An⸗ hänger zu gewinnen sucht. Sie theilt vollkommen die Feststellungen, mit welchen der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntniß dahin schließt, daß die in Frage stehenden öffentlichen gewerkschaftlichen Ver⸗ sammlungen schon von vorne herein dazu bestimmt waren, die Ge⸗ schäfte der Sozialdemokratie zu treiben, deren Anschauungen unter der Arbeiterwelt zu verbreiten, neue Anhänger für die Partei an⸗ zuwerben und dieser auch auf gewerkschaftlichem Gebiete die Führung zu verschaffken. Wenn die Polizeibehörden der Theilnahme von Frauen und Minderjährigen an derartigen Versammlungen entgegentreten, so thun sie nur ihre Pflicht und werden hierbei den Schutz meiner hohen Regierung stets genießen.
Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Die Prüfung der Handhabung des
Vereins⸗ und Versammlungsrechts steht zweifellos dem Reichstag zu. Gerade meine Partei hätte besondere Veranlassung, in eine solche Prüfung einzutreten; denn in Elsas⸗Lothringen wird das Vereins⸗ und Versammlungsrecht gegen die Angehörigen meiner Partei noch weit schlimmer gehandhabt, als selbst gegen die Sozialdemokraten. Ich erkenne an, daß das Bestehen so vieler verschiedenartiger Vereinsgesetze in Deutschland ein großer Uebelstand ist. Wenn ich nun auch nicht gerade der Ansicht zustimme, daß der vorliegende Antrag die Anarchie enthalte, so meine ich g; daß er zu radikal ist. Denn er unter⸗ scheidet nicht zwischen politischen und nichtpolitischen Vereinen oder
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Versammlungen, zwischen Erwachsenen und „Minderjährigen, zwischen männlichen und weiblichen Staatsbürgern; er ist ein Aus einer nivellierenden Weltauffassung, die nicht die unsrige 2 Und wenn die Herren den Beamten bestrafen wollen, der das Versammlungsrecht stört, so müssen sie auch die Bestrafung der Sozialdemokraten verlangen, welche die konservativen und katholischen Versammlungen stören. Wir sehen in dem Antrag nicht eine geeignete Unterlage für eine Lösung der Frage, und wenn wir 8— absehen, an seiner Stelle eine Resolution vor⸗ zuschlagen, so leitet uns die Erwägung, daß in einer Zeit, wo der Umsturz von oben, der Staatsstreich so offen empfohlen wird, einer Zeit, wo wir gezwungen sind, den Boden, auf dem der Deutsche Reichstag steht, das allgemeine Wahlrecht, zu vertheidigen, daß in einer solchen Zeit überhaupt nicht die Luft vorhanden ist, um ein ver⸗ nünftiges Vereinsgesetz zu stande zu bringen. Wenn wir aber die Regierung aufforderten, ein Vereinsgesetz vorzulegen, so würde dieses ganz gewiß nicht so ausfaleen, wie wir es wünschten. Auch wir sind der Ansicht, daß man mit Engherzigkeit auf diesem Gebiete nichts zu Wege bringt. In dieser Auf⸗ fassun bestärken uns die Erfahrungen, die man in Sachsen gemacht hat. Auch in Bayern werden üble Erfahrungen nicht ausbleiben, wenn dort auf dem bisherigen Wege fortgefahren wird; in dieser Beziehung darf ich sagen, daß alle meine politischen Freunde auf dem Standpunkte des Abg. Dr. Pichler stehen. Wie die Dinge heute liegen, erwarten wir etwas Ersprießliches von der Erörterung dieses Antrags nicht; wir halten es für richtiger, die Kräfte nicht in unfruchtbaren Debatten zu verzetteln, sondern sie auf praktische Arbeit zu konzentrieren. 88 “
Abg. Beckh (fr. Volksp.); Meine Partei ist mit dem Grund⸗ edanken dieses Gesetzes einverstanden, nicht aber mit der Fassung. Hiese müßte geändert werden, wenn wir ihr zustimmen sollen. Bezüg⸗ lich der Vereins⸗ und Versammlungsfreiheit für Frauen und Minder⸗ jährige nähere ich mich mehr dem Standpunkte des Abg. Dr. Bachem und möchte bezüglich dieser doch einige Unterschiede machen. Wenn der Abg. Grillenberger von einer ungesetzlichen Handhabung der Ge⸗ setze in Bayern gesprochen hat, so that er das mit Unrecht. Namentlich muß ich seinen Angriffen auf die See Polizeibehörde entgegen⸗ treten, die genau nach dem bayerischen Vereinsgesetz von 1850 ver⸗ fahren ist und nach den Grundsätzen, wie die Gerichtshöfe dieses aus⸗ gelegt haben. Merkwürdig ist es, daß die Anwendung des Gesetzes in der vom Abg. Grillenberger bemängelten Richtung zum ersten Mal auf eine Denunziation hin erfolgt ist, die von der Grillen⸗ berger'schen 8,bSe. Tagespost“ gegen eine Versammlung des Vereins „Freisinn“ ergangen ist. Wenn man das thut, dann soll man auch nicht unzufrieden sein, wenn das Gesetz auch nach der anderen Seite hin in Anwendung tritt. Das bestehende Gesetz mußte in dieser Weise gehandhabt werden; wir haben in Bayern das gleiche Recht für alle. 8 4
Abg. Dr. von Marquardsen (nl.): Ich bin dem Vorredner für sein Eintreten zu Gunsten der bayerischen Justiz dankbar. Was den vor⸗ liegenden Antrag anlangt, so sind wir der Ansicht, daß wir eines ein⸗ heitlichen Vereinsgesetzes bedürfen, aber es kommt doch wohl sehr auf das Wesen eines solchen Gesetzes an. Versammlungen, Vereine u. s. w. bilden einen mächtigen Hebel der politischen Bewegung und Entwickelung, und daher ist es wunderbar, daß bisher bezüglich der Regelung dieser Frage so wenig geschehen ist. Die freisinnige Partei hat zwar fruͤher bereizs Vorschläge in diesem Sinne gemacht, aber es ist dabei doch nichts herausgekommen. Diese Vorschläge müßten zum Ausgangspunkt einer besonnenen, ruhigen und vernünftigen Re⸗
elung der Sache dienen. Der vorliegende Antrag erscheiat dazu in einer Weise geäeignet. Wenn wir über ihn berathen wollten, so würden wir uns weder unter uns noch mit der Regierung verständigen können. Daher halte ich dafür, die Frage einer günstigeren Zeit vor⸗ zubehalten und nicht unnütz unsere Zeit damit zu verlieren. 3
Abg. Grillen berger (Soz.): Wenn der Abg. Beckh von einer in meinem Blatt erfolgten Denunziation des Nürnberger Magistrats redet, so ist das eine Unwahrheit. Gegenüber den maßlosen Ver⸗ folgungen der Sozialdemokraten durch den Nürnberger Magistrat Der Präsident unterbricht den Redner mit der Aufforderung, dem
Kagistrat, der sich hier nicht rechtfertigen könne, nicht solche Absichten unterzulegen) habe ich ihm Mißbräuche vorgeworfen, um ihn zu einer die Sachlage an die Oeffentlichkeit bringenden Klage zu veranlassen. Ich bin nur zu einer Geldstrafe verurtheilt worden; daraus ist zu er⸗ sehen, daß das Gericht das Vorhandensein von Mißbräuchen an⸗ erkannt hat. 1—
Abg. Beckh (fr. Volksp.): Es ist mir ganz unverständlich, wie der Abg. Grillenberger sich auf das Urtheil in dem Denunziationsprozeß be⸗ rufen kann, da jene Anschuldigungen in der Frankfurter Tageszeitung“ ausdrücklich als „unerwiesen gebliebene Verdächtigungen“ bezeichnet worden sind. .
Abg. Hilpert (b. k. Fr.): Ich kann mich mit dem § 1 der Vorlage nicht einverstanden erklären, weil es gegen die Sitte verstößt, daß Frauen öffentliche Versammlungen veranstalten. Aber wir sehnen uns nach einem einheitlichen Vereinsgesetz, denn auch bei uns sind rein landwirthschaftliche Versammlungen aufgelöst worden. Dem Antrage können wir jedoch nicht zustimmen, weil er zu weitgehend ist.
Abg. Bueb (Soz.): Die Nothwendigkeit einer einheitlichen Regelung des Vereins⸗ und Versammlungsrechts in freiheitlichem Sinne muß ich vom besonderen elsaß⸗lothringischen Standpunkte aus betonen. Wir könnten doch zum mindesten verlangen, daß man andere Parteien ebenso behandelt wie uns. Wir werden uns demnächst mit der Prüfung der Schlettstadter Wahl zu beschäftigen haben; da ließ der Abgeordnete dieses Kreises, der doch Kreis⸗Direktor ist, bei den anderen Parteien nicht rechtzeitig angemeldete Versammlungen zu, bei uns nicht. Mir wurde sogar ver⸗ boten, in einer Versammlung über die Thätigkeit des Reichstags Bericht zu erstatten. Der Präsident hat es gestern beanstandet, daß ich die Be⸗ handlung der Sozialdemokraten in Elsaß⸗Lothringen als eine recht⸗ und gesetzlose bezeichnete. Ich werde diesen Ausdruck nicht wiederholen, ich lasse die Thaten sprechen. Nur zu Versammlungen, in denen politische Themata behandelt werden, ist eine Genehmigung der Behörde erfor⸗ derlich. Es werden aber Gewerkschaftsversammlungen verboten, in denen z. B. über das Thema referiert werden sollte: „Die Stellung der Frau in der Industrie“, oder: „Die wirthschaftlichen Forderungen der Sozialdemokratie“. (Redner führt eine große Anzahl von Ver⸗ sammlungsverboten an, die er als ungesetzlich bezeichnet.) 8
Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.): Der Antrag trägt den Stempel der beabsichtigten Unannehmbarkeit. Die Sozial⸗ demokraten stellen es so dar, als ob die bestehenden Vereinsgesetze nur gegen ihre Partei angewandt würden, als ob die Vertreter der übrigen Parteien nicht in der Lage wären, sich ein richtiges Urtheil in dieser Frage zu bilden; dem muß ich widersprechen. In Hannover wird das preußische Vereinsgesetz ebenfalls einseitig gegen unsere Partei angewendet. Ich erinnere an die bekannten Erlasse des jetzigen Ober⸗Präsidenten von Ostpreußen, die seiner Zeit die Runde durch sämmtliche Zeitungen machten. Ich möchte an die preußische Regierung die Bitte richten — damit der Satz der Verfassung, daß jeder Preuße vor dem Gesetz gleich sei, nicht an Glauben verliere — dafür zu sorgen, daß das zukünftige preußische Vereinsgesetz gegen alle Parteien gleichmäßig angewendet werde.
Damit schließt die erste Berathung des Entwurfs, die zweite wird vertagt. Schluß 5 ½ Uhr.
60. Sitzung vom Mittwoch, 1. Mai. 3 Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden. Auf der Tagesordnung stand zunächst die Berathung des Antrags des Abg. Lückhoff (fr. kons.) und Genossen,
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Interesse der Landwirthschaft und Industrie die krä
der verlangt, daß sich die Regierung in
igere u“ des einheimischen Flachsbaues, ins⸗ esondere durch die Ausnutzung des Bauer'schen Rösteverfahrens mittels staatlicher Unterstützung und durch die eens. e.e. des inländischen Flachses für den Bedarf der Staatsverwaltungen angelegen sein läßt.
Abg. Burghardt (nl.) erhoffte von dem Bauer'’schen Röste⸗ verfahren eine Hebung des Flachsbaues, die in gleicher Weise der Landwirthschaft wie der Industrie zu gute kommen und insbesondere die Hausindustrie stärken würde. Von einem Flachszoll sei nichts zu erwarten, wohl aber von einer Verbreitung der Rösteanstalten möglichst über ganz Deutschland.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein⸗Loxten:
Meine Herren! Der Antrag, welcher unterzeichnet ist von den Herren Abgg. Lückhoff u. Gen., enthält drei Desiderien: einmal ge⸗ richtet auf die kräftigere Förderung des einheimischen Flachsbaues, zweitens die Ausnutzung des Bauer'schen Rösteverfahrens mittels staatlicher Unterstützung und drittens Bevorzugung des inländischen Flachses für den Bedarf der Staatsverwaltungen. Ich werde auf diese drei Punkte eingehen und zum Schluß noch einige Erwiderungen geben in Bezug auf das, was einzelne Redner, namentlich der erste Redner vorgetragen hat.
Wenn man die Forderung stellt, den einheimischen Flachsbau in gleichmäßigem Interesse der Landwirthschaft und Industrie kräftiger zu fördern, so wird es vor allem zunächst darauf ankommen, daß man feststellt, was die Staatsregierung zur Förderung des Flachsbaues bisher gethan hat. In dieser Beziehung theile ich mit, daß im Interesse der Förderung des Flachsbaues in den letzten Jahren, abgesehen von den Subventionen für das Bauer'sche Rösteverfahren, auf welches ich später kommen werde, bewilligt worden ist für Schlesien, und zwar an den landwirthschaftlichen Provinzialverein I zur Förderung des Lein⸗ baus, Unterhaltung des Flachsmusterfeldes an der Ackerbau⸗ schule in Popelau und Gehalt des Flachsbau⸗Instruktors Heisig, welcher den Flachsbauinteressenten zur Disposition steht, in den letzten Jahren pro Jahr 3500 ℳ Dann ist für Prämien an kleine Landwirthe verausgabt eine Summe, die anfänglich im Jahre 1892/93 für Kosten der Düngung und Kultur für Flachs⸗ anbauversuche von kleinen Landwirthen nach Anleitung der Flachsbau⸗ Instruktoren nur 185 ℳ betrug, im letzten Jahre 1895/96 850 ℳ Außerdem ist für Hannover für die Einrichtung von Musterfeldern einem Regierungsbezirk von Hannover die beantragte Summe von 260 ℳ bewilligt worden, für den Regierungsbezirk Lüneburg die gleiche Summe. Das ist für die direkte Förderung des Flachsbaues geschehen.
Ich wende mich nun zu dem Bauer'schen Verfahren, zum Röste⸗ verfahren, der im zweiten Theil des Antrags erwähnt ist.
Für das Bauer'sche Verfahren sind aus Staatsmitteln, aus Fonds des Handels⸗Ministeriums und des landwirthschaftlichen Ministeriums im Ganzen 23 626 ℳ aufgewendet. Dem Professor Bauer und der mit ihm assoziierten Firma Gruschwitz und Söhne steht die Verwerthung der im Auslande genommenen Patente frei; das In⸗ landpatent kann die Regierung jeden Augenblick nach schiedsrichterlicher Taxe erwerben, inzwischen können die Patentinhaber dasselbe im
eigenen Betrieb in Neusalz und auch dadurch verwerthen, daß sie die Benutzung in fremden Röstanstalten gegen eine Gebühr erlauben,
welche zwanzig Pfennig pro Zentner Strohflachs nicht überschreiten darf.
Dann ist der schlesische landwirthschaftliche Zentralverein auf⸗ 8 gefordert, für die Errichtung genossenschaftlicher Röst⸗ und Schwing⸗
anstalten zu wirken und sind seitens der landwirthschaftlichen Ver⸗
waltung dafür hohe Subventionen in Aussicht gestellt, bis jetzt ohne Erfolg. In den letzten Tagen ist nun allerdings — aber nicht von dem obengenannten Verein, sondern von anderer Seite aus Schlesien Verwaltung In den genossenschaftlichen Anstalten kann der einzelne
solcher Antrag an die landwirthschaftliche
— ein gerichtet. Interessent seinen Flachs sachkundig rösten lassen und dann zu Hause weiter verarbeiten, oder er kann
schwingen lassen und dann den Flachs an die Spinnerei verkaufen.
Was dann die Verwendung von Leinen bei der Militärverwal- so ist das eine Frage, welche sich mit der im dritten es sollten die öffentlichen
tung betrifft, Theil des Antrags gestellten Forderung, Staatsbetriebe möglichst nur Erzeugnisse, die aus inländischem Flachs
gewonnen werden, nehmen, nicht ganz deckt. Ob das ausführbar ist, will ich
dahingestellt sein lassen; ich bin nicht Techniker genug. Mir ist von 8
sachkundiger Seite versichert, daß, um wirklich gute Erzeugnisse zu er⸗
zielen, ausländischer Flachs nicht ganz zu entbehren sei; ob das richtig 1 ist, weiß ich nicht, ich will nur die Thatsache mittheilen. Interessieren
wird aber die Herren — ich darf das vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen —, daß der Verband deutscher Leinen industrieller sich im August vorigen Jahres mit einer Eingabe an den Kriegs⸗Minister gewandt hat. Die Antwort des Kriegs⸗Ministers, di will ich Ihnen mittheilen, da Sie diese Mittheilung vielleicht interessiert. Dem Verbande deutscher Leinenindustrieller wird vom Kriegs⸗Minister zunächst mitgetheilt, daß seine Ausführungen zum theil auf irrigen Voraussetzungen beruhen. Dann heißt es weiter: Zunächst ist es nicht zutreffend, daß die Drillichjacke früher all⸗ gemein zur Feldausrüstung der Truppen gehört hat. Es ist dies viel⸗ mehr stets nur bei den berittenen Waffen der Fall gewesen, und ist eine Aenderung in dieser Beziehung in den letzten Jahren weder eingetreten noch zur Zeit beabsichtigt. Die Litewka ist nur für die Fußtruppen als Friedensbekleidungs⸗ stück zur Einführung gekommen, und zwar aus dem Grunde, weil im Mobilmachungsfall die Landwehr⸗ und Landsturmformationen mit ihr statt mit dem enganschließenden Waffenrock eingekleidet werde sollen, die fortgesetzte Auffrischung der hierfür erforderlichen, sehr um fangreichen Bestände aber unbedingt nothwendig ist. Diese Maßnahme hat allerdings einen Minderverbrauch an Leinenstoffen zur Folge; allein andererseits ist hierbei wieder zu berücksichtigen, daß die Litewkas aus Wollstoff gefertigt werden und daß der Landwirthschaft
die möglichst umfangreiche Verwerthung von Wollstoffen ebenfalls
zum Nutzen gereicht.
Ueberdies ist den mit der Litewka ausgestatteten Truppen au drücklich gestattet, die Drillichjacke auch fernerhin beizubehalten. Daß aus wirthschaftlichen Rücksichten und im Interesse der Erhaltung einer kühleren Bekleidung während der Sommermonate von dieser Erlaubniß, innerhalb der Grenzen der zur Verfügung stehenden Mittel, von allen Truppen Gebrauch gemacht werden wird, läßt sich mit Bestimmtheit annehmen.
¹Was sodann die Drillichhosen anlangt, so ist es allerdings
ihn dort auch auf seine Rechnung
richtig, daß dieselben in Zukunft bei der Infanterie aus der Feld⸗ bekleidung fortfallen, und zwar ausschließlich aus Rücksicht auf die hierdurch geschaffene Gepäckerleichterung von über 700 gr. Unrichtig ist es jedoch, daß der Mann statt der weggefallenen leinenen eine zweite baumwollene Hose mit ins Feld führt, ebenso daß hinsichtlich des Gebrauchs der Drillichhosen im Frieden irgend welche einschränkenden Bestimmungen getroffen worden oder zu erwarten sind.
Wenn der Verband deutscher Leinenindustrieller des ferneren am Schlusse seines Schreibens den Wunsch ausspricht, daß an Stelle der baumwollenen Hemden Versuche mit leinenen angestellt werden möchten, so bedauert das Kriegs⸗Ministerium, diesem Wunsche nicht Folge geben zu können, und zwar aus sanitären Gründen.
Im übrigen möchte das Kriegs⸗Ministerium nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß nicht nur bei der Truppenwirthschaft, son⸗ dern auch im Kasernen⸗ und Lazarethhaushalt Leinenstoffe in großer Menge zu Bettwäsche. Handtüchern, Krankenkleidern u. s. w. Ver⸗ wendung finden, daß außerdem in den letzten Jahren umfangreiche Beschaffungen an Verwundeten⸗ und Stallzelten vorgenommen und auch in den nächsten Jahren beabsichtigt sind.
Auch wird das Kriegs⸗Ministerium gern darauf bedacht sein, bei Einführung neuer Bekleidungsstücke thunlichst auf die Verwen⸗ dung leinener Stoffe zu rücksichtigen; es hebt indessen besonders hervor, daß, ebenso wie bisher, so auch in Zukunft für alle Ent⸗ schließungen, welche seitens der Heeresverwaltung betreffs der Be⸗ kleidung und Ausrüstung getroffen werden, allein die Rücksichten auf den Krieg maßgebend sein müssen und daß nur das zur Einführung gelangen kann, was hierfür als das Vortheilhafteste erkannt worden ist.
Das sind die thatsächlichen Verhältnisse, soweit sie der land⸗ wirthschaftlichen Verwaltung aktenmäßig bekannt geworden sind, was den dritten Punkt anbetrifft. Vielleicht interessiert noch zu erfahren, daß die nach meiner Auffassung leider wieder zu Grunde gegangenen Gewerbekammern, wenigstens in meiner engeren Heimath, in Richtung der Verbesserung der Flachsindustrie, der Hausindustrie bei uns außer⸗ ordentlich günstig gewirkt haben. Soviel ich weiß, besteht dieser günstige Einfluß ihrer Thätigkeit auch jetzt noch. In verschiedenen Theilen der Provinz Hannover ist von jeher der Flachsbau sehr leb⸗ haft betrieben, aber die Erzeugnisse wurden größentheils nicht in den Handel gebracht, sondern im Wege der Hausindustrie verarbeitet — erst zu Garn, und das Garn wurde dann verwebt —, meistentheils allerdings zur Anfertigung eigener Bedürfnisse, vielfach auch zum Ver⸗ kauf. Weil diese Hausindustrie nicht mehr lebensfähig war, ging infolgedessen der Flachsbau sehr wesentlich abwärts, und da haben die Gewerbekammern ein sehr glückliches Verfahren eingeschlagen, um beides, sowohl den Flachsbau als die Verwendung des erzeugten Flachses, neu zu beleben, und zwar dadurch, daß die Industrie der Landwirthschaft den nach ihren Vorschriften zu bearbeitenden Flachs abnimmt, daraus Spinngewebe herstellen läßt, dann das Garn mit den sonst erforderlichen Zuthaten, die überher nothwendig sind, den Hausindustriellen wieder zur Verfügung stellt, dazu ihnen die⸗ jenigen Webstühle zur Verfügung stellt, die die Industrie für
erforderlich hält, um solche Erzeugnisse herzustellen, wie sie jetzt der
Handel fordert. Daneben wurde eine Webschule errichtet, welche die Hausindustrie in der Handhabung der von der Industrie gelieferten Kunst⸗Webstühle genau unterrichtete, die Industrie bestimmt durch Hergabe des Garns, durch Hergabe der Muster, die Art der Erzeug⸗ nisse, welche sie der Hausindustrie zu angemessenen Preisen abnimmt. Ich möchte glauben, daß dieser Weg auch in anderen Theilen Deutsch⸗ lands sehr wohl zu betreten ist.
Dann ist bei der Diskussion hervorgehoben, daß die Verwerthung des Flachses, auch die Verarbeitung zweckmäßig auf genossenschaft⸗ lichem Wege zu geschehen habe, und diese Anschauung kann ich nur
in vollstem Umfang als die zutreffende vertreten. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die Landwirthschaftskammern, wie so manches Andere, so auch diesen Gegenstand fördernd in die Hand nehmen.
Dann ist in der Diskussion darauf hingewiesen, der Staat müsse seinerseits den inländischen Flachs aufkaufen und dafür Sorge tragen, daß er lombardiert wird. Ich glaube, diese Forderung richtig ver⸗ standen zu haben. Ich halte das für unrichtig; ich halte es für richtig, daß auf genossenschaftlichem Wege dieser Forderung zu genügen ist. (Zuruf.) — So!
Dann ist gefordert, die Marine⸗ und Kriegsverwaltung müsse größere Massen von Leinenerzeugnissen verwenden. Ich habe bereits den Standpunkt mitgetheilt, welchen die Kriegsverwaltung in dieser Richtung einnimmt. Meine Herren, ich habe die Ueberzeugung, daß, wenn der Flachsbau wieder lohnend wird, er ebenso rasch an Aus⸗ dehnung wieder zunehmen wird, wie es der Zuckerrübenbau that. Daß er nicht lohnend ist, liegt an verschiedenen Ursachen; vor allem liegt es an der Konkurrenz des ausländischen Flachses; in dieser Beziehung zu helfen, hindern uns die Handelsverträge, wir können den Import ausländischen Flachses nicht hindern. Indessen möchte ich glauben, daß, da der Zuckerrübenbau anscheinend einge⸗ schränkt wird, die Landwirthschaft sich wieder dem Flachsbau zu⸗ wenden wird. Die Landwirthschaft wieder auf den Flachsbau zu ver⸗ weisen, ist nur in solchen Gegenden möglich, wo eine genügende Zahl
von Arbeitern zur Verfügung steht; denn es ist ja eine bekannte Sache, daß der Flachsbau außerordentlich viele Arbeitskräfte erfordert, und andererseits wird es nur ausführbar sein, wenn der erzeugte Flachs richtig behandelt wird. In dieser Richtung ist die Staats⸗ regierung bereit und in der Lage, wie ich oben bereits ausführte, sobald sich Genossenschaften bilden, die das Baur'sche Verfahren aus⸗ nutzen wollen, dazu möglichst eingehend zu helfen. Es möchte also vor allem Aufgabe der Landwirthschaft sein, sich mehr auf diesen Produktionszweig zu legen; dann glaube ich, ihr versichern zu dürfen, daß die landwirthschaftliche Verwaltung der Förderung dieses Theils der Landwirthschaft alle und jede mögliche Hilfe gewähren wird. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Schaffner (nl.) stimmte unter Hinweis auf den Rückgan des vg Frchasf n 8 -n Jahren Se öhee 1 und both dis
Schädlichkeit des Rückganges des Flachsbaues für die Bauern auch in moralischer Beziehung hervor.
Abg. von Buddenbrock (kons.): Nach den vom Herrn Land⸗ wirthschafts⸗Minister mitgetheilten Daten kann man sich der Ansicht nicht verschließen, daß der Flachsbau so gut wie ein verlorenes Kind angesehen worden ist. Er hat denn auch in seiner Anbaufläche einen erschrecklichen Rückgang erfahren. Während in Deutschland noch 1878 133 000 ha Flachs standen, ist diese Zahl bis zum ahre 1893 bis
auf 61 000 ha zurückgegangen. Worin die Ursache zu dieser Er⸗ scheinung zu suchen ist, ist schwer zu sagen; jedenfalls aber ist eine der Hauptursachen die, daß unser Flachsbau jeden Schutzes entbehrt. Der Herr Minister hat selbst zugegeben, daß die Handelsverträge nicht dazu angethan sind, dem Schutzbedürfniß zu genügen. Es kommt nun wenigstens darauf an, möglichst gute Produkte zu erzielen, um eine Konstanz der Preise zu bewirken. Dieses wird nur durch eine ratio⸗ nelle Behandlung des Rohflachses und die Verarbeitung erfolgen können. Das von Dr. Bauer entdeckte Verfahren ist in dieser Beziehung von höchster Wichtigkeit, aber die Landwirthschaft entschließt sich schwer, von ihren alten Methoden abzuweichen. Daher wird es auch schwer sein, den Versuch der Luftroste und die Erzielung guten Samens durchzuführen. Jedenfalls erscheint es dringend geboten, daß das Patent, von dem der Herr Minister sprach, möglichst bald vom Staat erworben werde, damit es dem kleinen Flachsbauer zu gute komme. Nur dadurch wird Abhilfe geschaffen werden. Sodann muß auch mit den Fabriken ein Abkommen getroffen werden, daß sie vorzugsweise deutschen Flachs verarbeiten, sonst kann der deutsche Flachs die Konkurrenz mit dem ausländischen nicht vertragen. Endlich wird die Gründung von Ge⸗ nossenschaften wirksam sein. Wir werden dem Antrage zustimmen.
Abg. Hornig (kons.): Der Antrag ist eines der sogenannten kleinen Mittel zur Hebung der Landwirthschaft. Er wird aber nur einen Zweck haben, wenn es gelingt, die Flachspreise zu heben und konstant zu halten. Im Jahre 1886 habe ich für guten Flachs ca. 75 ℳ erhalten, während ich denselben im Jahre 1887 für nur 45 ℳ verkaufen konnte. Die Preisschwankungen sind namentlich durch die Einfuhr aus Rufland bedingt. Sobald der russische Flachs Deutschland über chwemmt, fallen unsere Flachspreise. Eine Firma hatte bei uns das neueste Rösteverfahren sehr lebhaft angeregt, aber was half es uns, wir mußten doch der Konjunktur folgen. Es kann daher durch eine Verbesserung des Verfahrens allein die Rentabilität des Flachsbaues nicht gehoben werden. Hätten wir nicht die unglücklichen Handelsverträge, so würde der Kalamität mit einem Schlage abgeholfen werden können. Leider ist das nicht möglich. Wenn die Regierung auch nur deutschen Flachs für ihre Bedürfnisse ankaufen will, so hilft das noch nichts. Das sollte mich nun eigentlich veranlassen, gegen den Antrag zu sein. Ich erkenne aber das gute Prinzip an und werde daher für den Antrag stimmen.
Abg. Kircher (nl.); Hier in diesem Fall gehen wieder einmal Industrie und Landwirthschaft Hand in Hand. Wenn das neue Ver⸗ fahren wirklich so gute Produkte liefert, wie sie uns hier vorgelegt sind, so braucht sich unser Flachsbau nicht vor der Konkurrenz zu fürchten. Dann werden auch die Preisschwankungen nicht mehr so schädlich wirken.é Meine Fraktionsgenossen und ich sind mit dem Prinzip des Antrags einverstanden und werden gleichfalls für Kom⸗ missionsberathung stimmen.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Thiel: Es ist gesagt worden, die Aufwendungen der Staatsregierung zur Hebung des Flachsbaues seien verhältnißmäßig minimale gewesen. Die landwirthschaftliche Verwaltung ist aber nicht in der Lage, Aufwendungen dort zu machen, wo keine dahin gehenden Anträge vorliegen. Alle bisher gestellten Anträge sind bewilligt worden, es sind jedoch nur wenige gewesen. Die landwirthschaftliche Verwaltung hat nun ein sehr großes Interesse daran, ihren Einfluß bei einer Förderung des Flachsbaues dahin geltend zu machen, daß nicht nur rein induftrielle Unternehmungen den Nutzen davon haben. Es liegt nahe, nicht dafür einzutreten, daß die Land⸗ wirthe nur Strohflachs verkaufen, sondern für eine werthvolle Arbeits⸗ gelegenheit zu sorgen, die der Landwirthschaft zu gute kommt. Es fehlt an lohnender Winterarbeit für die Landwirthschaft. Da könnte der Flachs eine Rolle spielen. Der Fabrikant . auch dem Stroh⸗ flachs skeptischer gegenüberstehen, als dem zur 2 erarbeitung fertig gestellten Flachs, der zum Spinnen brauchbar ist, dessen Qualität er beurtheilen kann. Wir haben auf Musterfeldern bei Flachs, der bis zur Verwendung in den Fabritzn fertiggestellt war, im Jahre 1893 trotz der erheblichen Unkosten pro Hektar einen Reingewinn von 346 ℳ erzielt, beim Verkauf von Strohflachs nur 102 ℳ pro Hektar. Im Jahre 1894 ist der Ertrag infolge der schlechten Flachspreise allerdings auf 66 ℳ pro Hektar herunter⸗ gegangen. Von dem angedeuteten Gesichtspunkte aus würde die land⸗ wirthschaftliche Verwaltung an die Unterstützung von Rösteanstalten herantreten, vielleicht in der Weise, daß Genossenschaften gegründet werden und der Flachs der Mitglieder im Interesse der einzelnen Auftraggeber verarbeitet wird. Diesen wäre es dann anheimgestellt, entweder den gerösteten Flachs zu verkaufen oder ihn weiter zu ver⸗
arbeiten.
Abg. Graw⸗Allenstein (Zentr.): Früher bot der Flachsbau auch bei uns im Osten lohnenden Verdienst, jetzt finden die Nessel⸗ fabrikate weite Verbreitung, leider auch bei den Landwirthen selbst. Ich hoffe, daß durch die Einführung des Bauer'schen Rösteverfahrens eine Besserung der Verhältnisse eintreten wird.
Abg. Möller (nl.): Mit gewöhnlichen Mitteln ist der Rück⸗ gang des Flachsbaues nicht aufzuhalten, der zunächst in den steigenden
öhnen, in zweiter Linie erst in den fallenden Flachspreisen seinen Grund hat. Die Einrichtung von Maschinenspinnereien war die natür⸗ liche Entwickelung, die Handspinnerei mußte immer mehr zurück⸗ gedrängt werden. Eine Hebung des Flachsbaues kann nur erfolgen, wenn das Rösteverfahren vervollkommnet werden kann, was nach dem Urtheil Sachverständiger 5 durch das Bauer'sche Patent möglich er⸗ scheint. Die Regierung hat alle Ursache, die Angelegenheit zu för⸗ dern. Als geeigneter Weg erscheint mir die Bildung von Ge⸗ nossenschaften mit Unterstützung des Staats. Vorher muß freilich mit den Patentinhabern eine Vereinbarung über den Preis des Röstens getroffen werden. Daß die Militärverwaltung nicht immer Leinen verwenden kann, ist naturgemäß, da der Kriegstüchtigkeit wegen das Hauptgewicht auf die Minderbelastung des einzelnen Mannes elegt werden muß. Soweit thunlich, hoffe ich, wird auch beim ilitär Leinen verwendet werden, die sanitären Bedenken dürften sich voraussichtlich heben lassen. Vor Einführung eines Flachszolls möchte ich dringend warnen; die Rohprodukte für solche Industrien, die auf den Export angewiesen sind, müssen zollfrei bleiben.
Abg. Frelherr von Heereman (Ztr.): Wir haben den Antrag unterstützt, weil wir geglaubt haben, auch hierbei könne der Land⸗ wirthschaft eine kleine Erleichterung gewährt werden. Auch im Westen ist der Flachsbau auf ein Minimum reduziert; allerdings handelt es
ch nur um eine naturgemäße Entwickelung der Dinge. Die Fort⸗ entwickelung der Spinnerei und Weberei war durch die Ausbreitung der Maschinen gegeben, die verschiedenen Bedürfnisse können durch die Großindustrie besser befriedigt werden als durch Handarbeit. Einen Flachszoll halte ich auch für eine Unmöglichkeit, 2 die feinen Bielefelder Gewebe ist z. B. die Verwendung elgischen Flachses eine Nothwendigkeit. Zur Hebung des Flachs⸗ baues wird es nicht bei einer Förderung des Bauer'schen Röste⸗ verfahrens und von Genossenschaften bewenden dürfen; auch eine An⸗ regung an die landwirthschaftlichen Vereine, die zugleich eine gewisse Sicherung für die Rentabilität des Flachsbaues giebt und die Wege zu gemeinschaftlichem Vorgehen ebnet, dürfte nothwendig sein. Die Roösteanstalten müßten natürlich so angelegt werden, daß die einzelnen Landwirthe ihre Produkte leicht dorthin schaffen können. Die Ver⸗ wendung von Leinen zur Bekleidung müßte soviel als möglich ebenfalls befördert werden. Die Theorien der Aerzte über zweckmäßige einzelne Bekleidungsstoffe wechseln ja fortwährend. Eine Kommissionsberathung des Antrages halte ich nicht für nöthig.
Nach einer kurzen Auseinandersetzung zwischen den Abgg. Hornig und Möller über den Flachszoll wurde der Antrag des Abg. Lückhoff einstimmig angenommen.
Es folgte der Bericht der Kommission über den Antrag der Abgg. Bachem, Roeren und Genossen auf Annahme eines Cesetennwürfs, betreffend die Anlage konfessioneller Begräbnißstätten.
Die Kommission beantragte mit Rücksicht auf die Erklärung des Herrn Ministers, daß seitens der Königlichen Staats⸗ regierung ein Gesetzentwurf, der die Hulaffung der Errichtung konfessioneller Begräbnißplätze unter Wahrung der berechtigten
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Ansprüche der jeweiligen konfessionellen Minderheit und des finanziellen Interesses der Gemeinden ermöglichen will, mit thunlichster Beschleunigung vorgelegt werden soll, über diesen Antrag zur Tagesordnung überzugehen. 3
Abg. Roeren (Ztr.): Eine Neuordnung des Begräbnißwesens mag ja sehr zweckmäßig und angebracht sein, aber eine nothwendige ö zur Annahme unseres Antrages ist sie nicht. Dur unseren Antrag können die jetzt bestehenden Härten sofort beseiti werden. Da unser Antrag aber keine Aussicht auf Annahme hat, werden wir für den Kommissionsbeschluß stimmen. 8
Abg. Pleß (Zentr.) führte aus, daß es im Rheinlande häufig passiert sei, daß man den Bewohnern lieb gewordene Einrichtungen genommen habe. Eigenthümlich sei, daß die vorliegende Frage von seiten verschiedener rheinischer Behörden eine ganz verschiedene Be⸗ handlung erfahren habe. Politische und religiöse Gegensätze könne man nicht beseitigen, man sollte wenigstens auf die Empfindungen und Wünsche der Bevölkerung bezüglich der Begräbnißstätte Rückfscht nehmen.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Renvers bat, den Antrag der Kommission anzunehmen. Das Kirchhofsrecht sei für die ganze Mon⸗ archie in verschiedenster Weise geordnet, der Bachem'sche Antra würde somit in die verschiedensten Rechtsgebiete eingreifen. Dur den von dem Herrn Kultus⸗Minister in Aussicht efeen Gesetz⸗ entwurf werde eine einheitliche Regelung dieler aterie erfolgen. Der jeweiligen konfessionellen Minderheit werde ein Gastrecht auf dem Kirchhof der anderen Konfession garantiert werden.
Abg. von Cuny (nl.) sprach sich gleichfalls für den Antrag der Kommission aus. Was das Gastrecht der Minorität anlange, so müsse der Ton mehr auf die letzte Silbe gelegt werden. Die Minorität habe einen vollen Anspruch darauf, auf dem konfessionellen Begräbniß⸗ platz in allen Ehren beerdigt zu werden, um kein Sünderbegräbniß zu bekommen. (Beifall.)
Der Antrag der Kommission wurde darauf ange⸗ nommen.
Es folgte die Berathung des Antrags des Abg. Nadbyl
önigliche Staatsregierung zu ersuchen, behufs besserer und eingehenderer Beaufsichtigung der Versicherungsgesell⸗ schaften, insbesondere der landwirthschaftlichen Versicherungs⸗ gesellschaften auf Gegenseitigkeit (Hagel⸗, Vieh⸗ ꝛc. —— gesellschaften), versicherungstechnisch vorgebildete Be⸗ amte in die aufsichtsführenden Ministerial⸗ und Regierungs⸗Kollegien einzustellen. 8 zur Begründung des Antrags bemerkte Abg. Nadbyl (Zentr.): In dem Erlaß vom 25. Dezember 1892 hat die Regierung selbst das Bedürfniß nach einer Anstellung von versicherungstechnisch vorgebildeten Beamten anerkannt. Die Bücher der Versicherungsanstalten werden oft unglaublich nachlässig geführt, sodaß viele Beschwerden aus dem Publikum laut werden. Eine Renten⸗Versicherungsanstalt in Berlin hat im Jahresbericht 143000 ℳ für Gehälter angeführt. Wer diese Gehälter be⸗ kommt, ist aus dem Bericht nicht zu ersehen. Ein anderer 885 lautet sogar: „Sonstige Ausgaben 29 000 ℳ“. Grund⸗ tücke, die eine Gesellschaft besitzt, werden zu ungewöhnlich hohen Preisen angegeben, sodaß die Fernstehenden über den wahren Ver⸗ mögensstand der Gesellschaft getäuscht werden. Eine Hagelversiche⸗ rungsgesellschaft arbeitet mit großen Schulden. Darf das die Staats⸗ regierung zulassen? Sie mu eine strenge Beaufsichtigung eintreten lassen, damit das Publikum vor chaden bewahrt werde. Nur dadurch, daß eine Verschleierung der Geschäftsverhältnisse ein⸗ zelner Gesellschaften stattfindet, ist es möglich, daß Landwirthe bei total verschuldeten Gesellschaften versichern. Die Aufsichtsbehörde muß einschreiten, wenn eine Hagelversicherungsgesellschaft zu niedrige Vor⸗ prämien erhebt, und muß Verträge mit solchen Gesellschaften für ungiltig erklären. Wenn versicherungstechnisch gebildete Beamte bei der Regierung angestellt werden, so wird es wohl 62 möglich sein, ein genügendes Versicherungsgesetz vorzulegen. Meines Erachtens muß dafür gesorgt werden, daß die Art und Weise der Geschäftsgebahrun der Versicherungsgesellschaften dem Publikum immer klar liegt. J
hoffe, die Regierung wird den in meinem Antrage angeregten Schritt thun, und ich bitte Sie, demselben zuzustimmen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein⸗Loxten:
Meine Herren! Ich habe keine Veranlassung, auf die speziellen Darlegungen des Herrn Vorredners, soweit sie dazu dienen, den Antrag zu begründen, einzugehen und werde das den Herren Regierungs⸗ vertretern überlassen. Ich thue das um so mehr, weil die Versicherungs⸗ angelegenheiten nur zum theil zum Ressort der landwirthschaftlichen Verwaltung gehören; zum theil gehören sie bekanntlich zur Verwal⸗ tung des Innern, zum theil zur Verwaltung des Handels⸗Ministeriums, zum theil zur Verwaltung des landwirthschaftlichen Ministeriums.
Ich will vorab bemerken, daß ich annehme, daß der Antrag nicht bezweckt, auf diesem Zuständigkeitsgebiete eine materielle Aenderung eintreten zu lassen. Es soll nur — so verstehe ich den Antrag und so ist er auch nur begründet — den in den Versicherungs⸗ angelegenheiten zuständigen Behörden ein sachverständiger Beirath zu⸗ geordnet werden. Nun, meine Herren, daß eine solche Zuordnung nicht im Widerspruch steht mit den Bestimmungen der Reichsver⸗ fassung, darüber kann kein Zweifel bestehen; denn jede Staatsverwal⸗ tung ist doch absolut befugt und zuständig, rücksichtlich der Erledigung der zu ihrer Zuständigkeit gehörenden Angelegenheiten diejenigen Organisationen zu treffen, die sie für zweckmäßig hält.
Nun, meine Herren, erinnere ich Sie daran, daß bei der General⸗ diskussion über den landwirthschaftlichen Etat dieser Gegenstand von mir bereits gestreift worden ist. Ich habe derzeit schon mitgetheilt, daß bei der Staatsregierung Erwägungen darüber gepflogen würden, ob es nicht nothwendig oder doch zweckmäßig sei, im Interesse der besseren Ausbildung des Versicherungswesens, der Verhütung von vielen Miß⸗ ständen, die hervorgetreten seien, denjenigen Staatsbehörden, die mit der Aufsicht über das Versicherungswesen betraut sind, einen sach⸗ verständigen Beirath zu geben. Ich kann mittheilen, daß diese Ver⸗ handlungen, die ich damals schon als in Aussicht stehend bezeichnet habe, jetzt in weiterem Umfang eingeleitet sind — allerdings sind sie noch nicht zum Abschluß gekommen —, und zwar hat man in Aussicht ge⸗ nommen, den Königlichen Regierungen, wenigstens vier derselben, je einen technischen, versicherungssachverständigen Beirath zuzuordnen. Man hat dann in Aussicht genommen, denjenigen Ressort⸗Ministerien, wo die Aufsicht über die Versicherungsangelegenheiten ge⸗ führt wird, ebenfalls einen technisch ausgebildeten Sach⸗ verständigen zuzuordnen; und endlich wird erwogen, ob nicht ähnlich, wie im Veterinärwesen, wo man eine Deputation für das Veterinärwesen geschaffen hat, eine solche sachverständige Deputation für das Versicherungswesen zu schaffen sei, welche dann allen denjenigen Ressorts, die mit der Aufsicht über das Versicherungs⸗ wesen betraut sind, als sachverständige Behörde zur Seite tritt. Die Verhandlungen sind noch nicht zum Abschluß gekommen; ich bin aber der Ueberzeugung, weil die Staatsregierung die Ansicht ge⸗ wonnen hat, daß mancherlei Mißstände im Versicherungswesen vorliegen, und daß für die Aufsicht über dieses immer weiter aus⸗ gebildete schwierige Verwaltungsgebiet ein technischer Beirath unent⸗
behrlich sei, so wird voraussichtlich auch der Herr Finanz⸗Minister,