giebt doch zu denken, wie die Verhältnisse sich für den Privatbesitz, wo Rübenbau getrieben wird, gestalten werden. Dieser ist doch viel⸗ fach ungünstiger situiert als der Domanialbesitz. Letztere Besitzungen sind nach allen Regeln des jetzigen Standes der Wissenschaft bewirth⸗ schaftet, mit allen möglichen Meliorationen ausgestattet, die Be⸗ triebseinrichtungen sind mustergültig; das kann ich dreist behaupten. Es sind nur intelligente Wirthe, die auf diesen großen Domanial⸗ besitzungen wirthschaften, weil die preußische Verwaltung Werth dar⸗ auf legt, nur tüchtige Pächter anzunehmen, und es sind kapitalkräftige Leute, weil jeder, der zur Pacht zugelassen werden will, den Nach⸗ weis erbringen muß, daß er im Verhältniß zu dem Umfang der Pachtung das nöthige Vermögen besitzt.
Wenn schon bei diesen Wirthschaften eine gefahrdrohende Krisis in Aussicht steht, meine Herren, so vergegenwärtigen Sie sich, wie. viel akuter die Krisis beim Privatbesitz sein muß, wo mitunter die Intelligenz der Bewirthschafter nicht so groß ist, wo dieselben ab⸗ hängig sind von ihren Inspektoren, wo die Besitzer öfter mit ge⸗ liehenem Gelde die großen Fabriken gebaut haben, wo sie an sich schon durch die gegenwärtige Krisis in eine bedrängte Lage gekommen sind, und wo sie vielfach noch mit erheblichen Schulden wirth⸗ schaften müssen. Zweifellos ist die Behauptung, die ich im Abge⸗ ordnetenhause aufgestellt habe, zutreffend, daß, wenn die Agrarkrisis sich auf den Rübenbau, auf die Zuckerindustrie ausdehnt, sie einen gefahrdrohenden, akuten Charakter annehmen wird, daß dann ein gewaltiger sozialer und wirthschaftlicher Schaden eintreten muß.
Meine Herren, eine Bemerkung des Herrn Vorredners giebt mir zu einer Erwiderung Veranlassung. Er hat scharf das Vorgehen der Reichsregierung in der Richtung kritisiert und rechnet sich zum großen Verdienst an, dagegen Front gemacht und immer darauf
hingewiesen zu haben, daß die Materialsteuer das Allerverkehrteste sei, was man sich denken kann. Ich bin gerade gegentheiliger Ansicht. Unsere Zuckerrübenindustrie, unser Rübenbau ist gerade durch die Ma⸗ terialsteuer zu der Höhe und Bedeutung gebracht, welche derselbe jetzt besitzt (Sehr richtig! rechts); und daß das richtig ist, dafür kann ich den Beweis antreten.
Frankreich hat seit Jahren durch Emissäre sich bemüht, festzu⸗ stellen, woran es liegt, daß der deutsche Rübenbau, die deutsche Zucker⸗ industrie der französischen überlegen sei, obgleich die klimatischen und Bodenverhältnisse mindestens gleich günstig sind. Frankreich hat
daß wir groß geworden sind durch die Materialsteuer. Und was haben die Franzosen gethan? Während die Franzosen das Ideal des Herrn Meyer hatten, die Fabrikatsteuer, haben sie neuerdings, um die Rübenindustrie der unsrigen eben⸗ bürtig zu machen, die Materialsteuer eingeführt. (Hört, hört! rechts.) Aber nichtsdestoweniger bin ich mit dem Herrn Meyer darin einverstanden, daß, wenn wir erst unsere Rübenindustrie auf dem Weltmarkt wieder konkurrenzfähig gemacht haben dadurch, daß alle Staaten die Exportprämie abschaffen, dann haben wir richtig ge⸗ handelt, zur Fabrikatsteuer überzugehen. Die Fabrikatsteuer ermöglicht, daß auch auf den ärmeren Böden Rübenbau stattfinden kann, daß demselben größere Futtermittel zur Verfügung gestellt werden, die dazu dienen, die Viehzucht zu heben und zu verbessern, und die dazu dienen, die ganze Wirthschaft zu heben, und den ärmeren Böden es er⸗ möglichen, zur intensiven Tiefkultur mit Kunstdünger überzugehen, wodurch die reicheren Böden, welche bisher vornehmlich Rüben trugen, groß geworden sind. Also was Herr Mevyer will, erreichen wir am allerersten, wenn er mit der Reichsregierung dahin strebt, daß wir auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben, und wenn er zum Ausdruck bringt, daß wir jedenfalls auch konkurrenzfähig bleiben wollen; und das ist nur zu erreichen, wenn wir zunächst wenigstens, soweit möglich, die Industrie im Weltkonkurrenzkampf schützen. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, daß die mit uns konkurrierenden Staaten mit uns gemeinsam die Exportprämien aufheben oder gleichstellen, dann müssen wir den Konkurrenzkampf gegen das Ausland aufnehmen, unsere Landwirthschaft auf der Höhe erhalten, auf der sie sich jetzt befindet, und die nach Millionen zählenden Kapitalien der Land⸗ wirthschaft erhalten und sichern, die jetzt von der Landwirthschaft in der Industrie angelegt sind. Dadurch allein werden wir die übrigen Staaten zwingen und veranlassen — schließlich hat ja jeder derartige Konkurrenzkampf für alle Kämpfenden große Nachtheile —, dadurch allein werden wir es erreichen, daß wir zu gesunden Zuständen kommen — nicht dadurch, daß wir, während wir zur Zeit auf dem Weltmarkt noch die Konkurrenzfähigsten sind, wir jetzt die Flinte ins Korn werfen, unsere gute Waffe bei Seite legen und uns einfach on den übrigen bei Seite schieben und ruinieren lassen; dazu kann ich als Vertreter des größten Bundesstaats im Deutschen Reich unmöglich rathen.
Von diesen Erwägungen heraus, die nicht bloß maßgebend für die preußische Landwirthschaft, sondern auch für einen großen Theil der Landwirthschaft der übrigen Bundesstaaten, bitte ich dringend das hohe Haus, einstweilen das Nothgesetz anzunehmen und unwider⸗ sprochen zu lassen, wenn ich bestimmt erkläre, das Nothgesetz soll nur Geltung haben bis zum Jahre 1897. Die Zwischenzeit soll benutzt werden, um ein materielles Gesetz zu stande zu bringen, wenn es noch nothwendig ist, und zwar ein solches Gesetz, dem die zunächst betheiligten Interessenten zustimmen. Wenn die Verhand⸗ lungen, die jetzt mit Oesterreich und Frankreich geführt werden, nicht zum Ziele führen, dann müssen wir unsere Konkurrenzfähigkeit dadurch aufrecht erhalten, daß wir in den sauern Apfel beißen und größere Exportprämien wie jetzt gewähren.
Im übrigen mich noch tiefer auf eine Begründung des Stand⸗ punktes der verbündeten Regierungen einzulassen, dazu liegt wohl gar keine Veranlassung vor, weil das in viel geschickterer und vollkommenerer
habe dessen Ausführungen nichts zuzusetzen. Nur eine Bemerkung will ich noch machen. In der Beziehung stimme ich mit Herrn Meyer überein: Das Ziel, was erreicht werden muß, ist, daß allmählich mit der Zunahme der Bevölkerung auch entsprechend die Konsumtion zunimmt, und daß die Produktion zugeschnitten wird auf die steigende Konsumtion. Das sind ideale Ziele, die Sie aber auch nur dann erreichen werden, wenn Sie unseren Rübenbau und unsere Zucker⸗ industrie am Leben erhalten. Lassen Sie dieselbe zu Grunde gehen, o wird Deutschland in seinem Konsum abhängig vom Auslande werden, was doch an sich ein großes wirthschaftliches Uebel sein würde. Während wir jetzt große Einnahmen aus unseren Rüben⸗ fabriken haben, müßten wir vom Auslande kaufen, auch darin vom Auslande abhängig werden. Aber glauben Sie denn, daß, wenn ein Konkurrent auf dem Weltmarkt verschwindet, daß dadurch der Zucke .
preis im Inland billiger werden wird? Im Gegemtheil, er wird steigen, und wenn er steigt, wird das nicht dazu dienen, die Konsumtion zu erweitern; eher das Gegentheil von dem wird eintreten, was mit mir Herr Dr. Meyer herbeiführen will. Ich will auch, daß die Konsumtion steigt. Kurzum, wenn wir alle diese Dinge in ihrem inneren Zusammenhang, in ihrer logischen Folgerichtigkeit prüfen, so ist es nothwendig, daß wir in der augenblicklichen Lage zunächst wenigstens das Nothgesetz machen, daß wir darüber klar sind, daß, wenn bis zum Jahre 1897 die Verhandlungen mit dem Auslande zu einem befriedigenden Ergebniß nicht geführt haben, wir dann ein ma⸗ terielles Gesetz machen müssen, das unsere Industrie im Konkurrenz⸗ kampfe schützt und die großen deutschen Kapitalien sicher stellt, welche in der Industrie angelegt sind. Ich gebe mich der Hoffnung hin, wie ich das im Abgeordnetenhause auch schon ausgesprochen habe, daß der Reichstag, welcher auf diesem Gebiete der Reichs⸗ gesetzgebung allein mitzuwirken hat, patriotisch genug denkt, um die Existenz eines der wichtigsten Zweige unserer deutschen Landwirtbschaft nicht nach Theorien zu behandeln, sondern nach rein praktischen Gesichtspunkten das Bedürfniß und die Art der durch Gesetz zu gewährenden Hilfe zu bemessen. Ich bitte Sie, zunächst das Nothgesetz zur Verabschiedung zu bringen. Was weiter kommen wird, wird die Zukunft lehren. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte.)
Abg. Spahn (Zentr): Ich kann die Erklärung abgeben, daß wir dem Gesetz zustimmen werden. Ein Theil meiner politischen Freunde ist von vornherein der Meinung, daß auf die Ausfuhrprämien nicht verzichtet wercen kann; aber auch diejenigen von ihnen, welche dem Gesetz von 1891 in der Ueberzeugung zugestimmt haben, daß die deutsche Zaderinbusttie auch ohne Ausfuhrprämien konkurrenzfähig wäre, erkennen an, daß dies normale Verhältnisse voraussetze, daß solche aber nicht vorliegen. Wir haben jedoch den Wunsch, daß, wenn die Verbandlungen mit anderen Ländern zu einem Ergebniß führen sollten, der Bandesrath schon vor Ablauf dieses Gesetzes zu Beseiti⸗ gung der Ausfuhrprämien schreiten möchte.
Abg. Dr. Paasche (nl.): Wenn der Staatssekretär sagt, der
Reichstag sei nur gewillt, platonisch für die Landwirthschaft vor⸗ zugehen, und wenn es sich um positive Maßnahmen handle, dann versage die Kraft, so will ich daran keine Kritik üben, sondern seine Mahnung nur unterstützen. Aber wenn hier dem Reichstag Vorwürfe gemacht werden sollen, so kann man diese auch den verbündeten Regierungen machen, daß sie das Gesetz erst im allerletzten Augenblick eingebracht haben, erst wenige Tage vor dem Schluß der Session zu einer Zeit, wo das Haus oft nicht mehr beschlußfähig ist. Ich glaube, die Uneinigkeit in der Zucker⸗ industrie war nur scheinbar. Aber wenn auch die Meinungen wirklich auseinandergingen, so hat das die Regierungen nicht abhalten brauchen, ibrerseits die Sache energisch in die Hand zu nehmen, und thatsächlich hat die Landwirthschaft monatelang ausgeschaut, ob die in Aussicht gestellte Hilfe nicht bald kommen würde. Erst in allerletzter Zeit hatte man die Sache in die Hand genommen. Erst vor 14 Tagen hat man davon gehört. Warum hat man nicht eber versucht, eine Einigung mit den anderen Staaten zu finden? Jo will dem Staatssekrelär und dem preußischen Landwirthschafts⸗Minister keinen Vorwurf machen. Sie haben sich eifrig bemübt und den Dank der Zuckerindustrie verdient. Aber ich bedaure, daß die Widerstände nicht überwunden werden konnten, und daß es nicht möglich war, den Widerstand eber zu bescitigen. Meiner Ansicht nach müßten die verbündeten Regierungen daran denken, baldmöglichst ein defini⸗ tives Gesetz zu schaffen. Mit einem Nothstandsgesetz kann man so viel nicht erreichen. Es ist von den kleinen Mitteln das kleinste. Das läßt sich nicht bestreiten. Selbstverständlich wird meine Partei das esetz annehmen mit Rücksicht auf die Ausführungen der Regierungs⸗ ertreter und namentlich mit Rücksicht auf die Motive, in denen ie Nothwendiskeit von Maßregeln anerkannt ist, um einer leberproduktion, einer erneuten Krise entgegenzutreten. Wenn der Abg. Dr. Meyper voraussehen zu konnen glaubt, daß in kurzer Zeit alle Prämien beseitigt werden würden, indem eine Konsumvermehrung eintrete, so meine ich: So weit sind wir noch nicht. Die Zuckerindustrie ist eine große Weltindustrie; sie steht und fällt heute mit der Steuergesetzgebung nicht in Deutschland, sondern allenthalben in den Konkurrenzländern; und diese Konkurrenz⸗ länder zwingen uns, an den Prämien noch festzuhalten, um uns konkurrenzfähig zu erhalten. Ich gebe aber zu: das Beste wäre es, alle Prämien zu beseitigen, und ich bin erfreut darüber, daß die Ver⸗ treter der Regierungen mit Nachdruck erklären: Es wird gelingen, die Prämien durch internationale Verhandlungen zu beseitigen. Vielleicht hätte man den Weg schon früber betreten können: dann wäre man über ernste Sorgen hinweggekommen, und wir hätten vielleicht bessere Zustände. Ich boffe, daß es möglich sein wird, dieses Ziel zu erreichen; aber vorläufig hat man noch das Recht, Bedenken zu äußern, und ich glaube, es wird nur möglich sein, von Frankreich Zugeständnisse zu erlangen, wenn wir die Waffen die wir haben, behalten und eventuell verstärken. Ich habe zur zweiten Lesung eine Resolution vorbereitet, dahin gehend:
Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen: baldigst ein neues Zuckersteuergeset vorzulegen, in dem höhere Ausfuhrprämien gewährt werden, falls es nicht gelingt, durch internationale Vereinbarungen eine Beseitigung der Prämien in den Hauptexportländern herbeizuführen.
Wir müssen in den sauren Apfel beißen und noch vorläufig unsere eigenen Prämien erhöhen, um der deutschen Zuckerindustrie in diesem Kampfe zu helfen. Troßzdem die Regierungen eine solche Resolution nicht für nothwendig halten, wäre es vielleicht besser, daß der Reichstag dieser Resolution zustimmte, als daß er sagte: Wir sind niemals für eine Erhöhung der Prämien zu haben. Die Zucker⸗ industrie würde schwer geschädigt werden, wenn Deutschland nicht mehr die führende Rolle auf dem Zuckermarkt einnähme. Wenn wir aber die Waffen aus der Hand geben, so wird Deutschland vom Zucker⸗ markt verdrängt werden. Deshalb müssen wir diese theoretisch gewiß nicht anzuerkennenden, aber in der Praxis doch bestehenden Prämien vorläufig noch ertragen, und ich bitte Sie daher, der Resolution in der zweiten Lesung Ihre Zustimmung zu geben.
Abg. Schippel (Soz.): Wir vertreten genau den Standpunkt, den die Regierung 1890 eingenommen hat. Die Motive des Gesetzes von 1891, als dessen Urheber wohl der Finanz⸗Minister Dr. Miquel bezeichnet werden kann, lauten denn doch ganz anders als die Motive des jetzt vorgelegten Gesetzes, und ich muß mich wundern, wie die Regierung in der Zwischenzeit ihren Standpunkt verändert hat. Wir ändern unsere Stellung so leicht nicht und müssen uns daher gegen das vorliegende Gesetz erklären. Warum sollen wir die Zuckerprämien nicht vermindern? Hat doch auch Frankreich seine Ausfuhrprämien herabgesetzt. Das Ausfuhrprämiensystem hat ja die Ueberproduktion erst herbeigeführt und gesteigert.
Abg. von Staudy (d. kons.): Ich spreche im Namen meiner politischen Freunde den beiden Herren Regierungsvertretern den leb⸗ haftesten Dank aus für das Interesse, das sie dieser Angelegenheit entgegenbringen. Möge uns die Hoffnung nicht täuschen, daß dieses Interesse sich auch auf den Körnerbau in dem Umfange, wie wir es wünschen, ausdehnen möchte. Wenn der preußische Landwirthschafts⸗ Minister die Interpellation der Domänenpächter betonte, so möchte ich, um ein Mißverstehen dieser Bemerkung zu verhüten, aus⸗ sprechen, daß der Großgrundbesitz überall durch seine Intelligenz eine führende Rolle spielt und den Bauern als Vorbild dient. Der Großgrundbesitz ist eine Nothwendigkeit und hat seine Aufgabe glänzend erfüllt. Daß Frankreich seine Prämie herabgemin⸗ dert habe, wie der Abg. Schippel behauptete, ist falsch. Mit Genug⸗ thuung haben wir vernommen, daß eine internationale Vereinbarung betreffs Abschaffung der Prämien Aussicht hat: denn wir sind prinzipiell
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Gegner der Ausfuhrprämie und würden dieselben am liebsten om vermissen. 1 88
Abg. Roesicke (b. k. F.): Auf allen Seiten des H. 8 konstatiert worden, daß man der Abschaffung der Zuckerausfuhrprämie auf internationalem Wege zustimme. In einem Augenblick, wo de verhündeten Regierungen im Begriff sind, in diesbezügliche inten nationale Verhandlungen einzutreten, wäre es verfehlt, ihnen dadner die Hände zu binden, daß man ohne Rücksicht auf die konkurrierenzes Staaten und den Weltmarkt die deutschen Prämien ermäßigt benn abschafft. Gegen den Antrag Paasche erkläre ich mich a⸗ das bestimmteste, weil er ähnlich dem Antrag Kanitz auf zin⸗ Monopolisierung abzielt. Die Nothlage ist durch Ueberproduktig⸗ entstanden. Läßt man den Dingen den natürlichen Lauf, so wird de Produktion des Zuckers und infolge dessen auch die der Rüben dar selbst eingeschränkt werden. Die Hauptsache ist, daß die Zucker⸗ industrie nicht durch neue Steuerprojekte beunruhigt wird.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky:
Ich muß einige Worte erwidern auf die Ausführungen des Hern Abg. Schippel.
Zunächst verzichte ich selbstverständlich darauf, hier im Plenum des Hauses mich in eine Erörterung einzulassen, wie sich seit 1891 die Zuckersteuergesetzgebung in den einzelnen Konkurrenzstaaten ent
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wickelt hat. Ich glaube, daß bei einer diffizilen Materie, die so ge⸗ naue Rechnungen erfordert, das hohe Haus kaum geneigt sein würde weiteren Erörterungen zu folgen.
Wenn dann der Herr Abg. Schippel behauptet hat, daß ich 8 meinen jetzigen Ausführungen in geradem Gegensatze stände zu den⸗ jenigen Ausführungen, die den Motiven des Gesetzes von 1891 bei. gefügt waren, so bedauere ich behaupten zu müssen, daß sich der geehrte Herr Abgeordnete im Irrthum befindet; ich hätte gewünscht
er hätte die Motive, von denen er nur einen Theil vorgelesen hat,
ganz zur Verlesung gebracht. Mit Genehmigung des Herrn Pra⸗ sidenten möchte ich den entscheidenden Passus mir erlauben vorzulesen. Er heißt:
„Denn die Konkurrenzfähigkeit unseres Zuckers hängt davon ab, wie sich die gesammten Bedingungen seiner Produktion und Ausfuhr im Verhältniß zu den Bedingungen der Zuckerproduktion und ⸗Ausfuhr der übrigen betheiligten Länder stellt. Eine Unfähia⸗ keit zur Konkurrenz gegenüber dem Zucker von Prämienländen
könnte für unsere Industrie nur in soweit eintreten, als die Zucker⸗
industrie jener Länder ohne die Prämien oder ohne deren vollen
Betrag ebenso günstig produziert und exportiert, wie die prämien⸗ lose deutsche Zuckerindustrie.
Theil derselben einen reinen Vorsprung vor der deutschen Zucker⸗ industrie genießen.“ Wenn der Herr Abg. Schippel meinen vorherigen Ausführungen gefolgt ist, so wird er wissen, daß ich erklärt habe, andere Konkurren⸗ aten hätten sowohl im Bau der Zuckerrübe, wie in ihrer Zucka⸗ nik so erhebliche Fortschritte seit 1891 gemacht, daß jetzt die Voraus⸗
etzungen, von denen damals die Motive ausgingen, erfüllt seien, dal
jetzt jene fremden Staaten uns eine ebenbürtige Konkurrenz machten und doch noch eine wesentlich höhere Ausfuhrprämie genössen wie wir. (Sehr richtig! rechts.) Diese Reserve ist demnächst durch die bekannte Erklärung meines Herrn Amtsvorgängers noch festgelegt, in welcher er betont: die Ermäßigung der Prämien und die event. Auf⸗ hebung derselben findet nur unter der Voraussetzung statt, daß die anderen Staaten unserem Beispiel folgen.
Ich kann ferner den Ausführungen des Herrn Abg. Roesick darin Recht geben, daß, wenn sich die Preise nicht heben, der Bau der Rüben zurückgehen wird, es würde infolge dessen ein geringeres Angebot an Zuckerrüben stattfinden und damit auch die Zucker⸗ produktion zurückgehen und folglich der Zuckerpreis steigen. Aber wer ist der Geschlagene? Die Landwirthschaft. Sie braucht eben zu ihrer Prosperität die Kultur der Zuckerrüben.
Dem Herrn Abg. Dr. Meyer gegenüber möchte ich bemerken, daß seine Wünsche zum theil bereits durch die Ausführungen zu den § 6 vom 31. Mai 1891 erfüllt sind. Wir erstatten bereits die Zuckersteuer zurück für Chokolade für verzuckerte einheimische Früchte u. s. w., und es wird fortgesetzt — das kann ich ihn versicheen — erwogen, ob man nicht die Vergütung der Zuckersteuer auch auf weitere zuckerhaltige Fabrikate ausdehne kann. Wenn das bisher nicht im weiteken Umfange ge⸗ schieht, so liegt das daran, daß es zum theil technisch schwer nachza⸗ weisen ist, in welchem Prozentsatz sich Zucker in den einzelnen Fabrikaten befindet. Ich glaube, Herr Abg. Dr. Mevyer vermechselt diese Steuervergütung mit etwas Anderem. Die Chokolade⸗ und Konservenindustriellen verlangen, daß ihnen auch die Ausfuhrprämse prozentual gewährt werde für den in den ausgeführten Fabrikaten ent⸗ haltenen Zucker, und das ist bisher allerdings nicht in Aussicht genommen.
Wenn dann schließlich Herr Abg. Dr. Meyer mir gegenüber eir literarisches Bild aus dem Leben Schiller's angewandt hat, so kann ich ihm erklären: wenn ich in meiner Stellung etwas dazu beitrage könnte, daß alle Erwerbsstände in Deutschland ihr reichliches Brot erhielten, würde ich sehr zufrieden sein. (Bravo!)
Abg. Leuschner (Rp.): Es kann kein Zweifel darüber besteben daß die Zuckerindustrie von besonderer Bedeutung für die Landwirtk⸗ schaft ist. Daraus folgt, daß wir alles aufbieten müssen, um diese Industrie lebensfähig zu erhalten. Ich habe namens meiner politischen Freunde die Erklärung abzugeben, daß wir mit der Vorlage d bündeten Regierungen einverstanden sind, und daß wir auch dem Ver⸗ schlage des Abg. Dr. Paasche freundlich gegenüberstehen.
Abg. Lotze (d. Refp.) erklärt sich für die Vorlage. 8
„Abg. Szmula (Fentr.): Wir können der Regierung dankbm dafür sein, daß sie in Aussicht gestellt hat, daß ein definitivbes Gesch in den nächsten Jahren vorgelegt werden soll, und hätten nur 2 wünscht, das ein solches schon früher gekommen wäre. 1897 g 3 hoffentlich angenommen werden. Ohne einen steuerlichen Schuß ka⸗ unsere Zuckerindustrie mit Frankreich und Amerika nicht konkurease
Abg. Dr. Meyer (fr. Vg. : Wenn ich mit dem Staats 8 von Posadowsky in einem Punkt übereinstimme, so ist es darin, im die Berechnung der Durchschnittsdividenden von Aktiengesellsche e müßig ist. Ich stelle diesen Ausspruch hier fest, um mich darc rufen zu können. Soeben erhielt ich ein Telegramm aus London, dem hervorgeht. daß die Zuckerpreise eine steigende Tendenz zeigen. „Abg. Dr. Paasche (nl.): Der Abg. Roesicke hat versucht, nicht auf der Tagesordnung stehenden Antrag durch eine Vermengz mit dem Antrage Kanitz zu verdächtigen. Ich glaube, er hat was Antrag nicht durchgelesen, sonst hätte er nicht von einer Mon sierung gesprochen, von der darin gar keine Rede ist. 8 9
DamEit schließt die erste Berathung, und das Haus frut sofort in die zweite Berathung eiin. der
Abg. Spahn (Zentr.) beantragt die Einfügung folgenden Bestimmungen: chrßsäß⸗
Der Bundesrath ist ermächtigt, die vorstehenden Zusch
Nur eine derartig situierte fremde Zuckerindustrie würde in dem vollen Betrag der Prämien oder einem.
gehend oder dauernd zu ermäßigen oder die Bestimmung Zber die Zahlung von Zuschüssen vollständig außer Kraft zu setzen, ebald in anderen Rübenzucker erzeugenden Ländern, welche gegen⸗ rärtig für die Zuckererzeugung oder Zuckerausfuhr eine Prämie ge⸗ wäbren, diese Prämie ermäßigt oder beseitigt wird. Der bezügliche Beschluß des Bundesratbs ist dem Reichstag, sofern er versammelt tt sofort, andernfalls aber bei seinem nächsten Zusammentreten vor⸗ zulegen. Derselbe ist außer Kraft zu setzen, soweit der Reichstag dies verlangt. 8 Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich hätte keine Veranlassung, mich ute bier nochmals über die Zuckerprämienfrage auszusprechen, da ich nen Standpunkt bereits früher dargelegt habe; aber die Erklärun der Regierung und der Antrag des Abg. Dr. Paasche bestimmen mi doch dazu, denn sie eröffnen eine bedenkliche Perspektive. Meiner An⸗ icht nach thut der Zuckerindustrie vor allen Dingen eine Stabilität eer Gesetzgebung noth, denn sie hat durch die Schwankungen der Ge⸗ etgebung sehr gelitten. Durch die künstlichen Maßnahmen, ihr sofort ne Rentabilität zu verschaffen, hat man sich gewöhnt, seine Erwar⸗ ungen auf gesetzliche Maßnahmen zu stellen, statt auf das Verhältniß wischen Angebot und Nachfrage. Fürst Bismarck hat seiner Zeit die Schutzzollgesetzgebung damit befürwortet, daß durch die Erhöhung der Schutzölle die anderen Mächte veranlaßt werden würden, ihre Zölle berabzuseßen. Genau das Gegentheil ist eingetreten. Oesterreich⸗ ngarn beabsichtigt, wie aus der uns gegebenen Erklärung zu schließen nicht die Abschaffung, sondern die Normierung von Maximal⸗ üigen für Prämien; es ist daher zu befürchten, daß, wenn wir hier et Sätze feststellen, diese leicht als Marimal⸗ und damit Normal⸗ the statuiert werden könnten, während wir doch die vollständige Ab⸗ haffung anstreben. Daher scheint es mir nützlicher, wenn wir jetzt ier nichts an der Sache rühren.
Abg. Dr. von Paasche (nl.) bringt die von ihm ange⸗ kündigte Resolution ein, die Erhebung höherer Ausfuhr⸗ prämien im Falle des Scheiterns der internationalen Ver⸗ handlungen betreffend. Es wird beschlossen, diesen Antrag erst zach Beendigung der zweiten Berathung der Gesetzvorlage ge⸗ sondert zur Verhandlung zu bringen.
Staatssekretär Dr. Graf von Posadowsky: “
Ich glaube, zur Abkürzung der Diskussion den Antrag Spahn mpfehlen und erklären zu können, daß die verbündeten Regierungen kine Bedenken gegen denselben hegen dürften.
Der Antrag des Abg. Spahn (Zentr.) wird hierauf mit großer Mehrheit angenommen.
Die Abstimmung über den so erweiterten Gesetzentwurf in eine namentliche.
Für den Gesetzentwurf stimmen 140, dagegen 46 Abge⸗ ordnete. Es sind mithin nur 186 Mitglieder anwesend und
das Haus nicht beschlußfähig.
Präsident Freiherr von Buol beraumt die nächste Sitzung zuf Montag, 1 Uhr, an mit der Tagesordnung: Gesetzentwurf, betreffend Sklavenraub und Sklavenhandel, Gesetzentwurf über die Schutztruppe, Fortsetzung der zweiten Berathung des Ent⸗ vurfs eines Gesetzes wegen Abänderung des Zuckersteuergesetzes, erste Berathung des von den Abgg. von Dallwitz, Baron von Gustedt, Graf von Holstein, von Ploetz, von Podbielski, Kettich eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Herstellung, den Handel und Verkehr mit Butter, Butterschmalz, Schmalz, Margarine, Kunstspeisefetten und Käse.
Schluß gegen 5 Uhr.
— 1““ 8 Preußischer Landtag. Herrenhaus. b
8 15. Sitzung vom Freitag, 17. Mai. 8
Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.
Zur Berathung gelangte zunächst der Entwurf eines dreußischen Gerichtskostengesetzes, Annahme der Wirkliche Geheime Ober⸗ namens der Justizkommission empfahl.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Im Anschluß an die Bemerkungen des Herrn Keferenten bitte ich, mir auch nur einige wenige Worte zu gestatten.
Die schon von dem Herrn Referenten hervorgehoben worden ist, hat das vorliegende Gerichtskostengesetz wesentlich den Zweck, auf einem Febiet, auf dem außerordentlich große Verschiedenheiten und Mannig⸗ altigkeiten bisher bestanden, eine Einheitlichkeit des Rechts innerhalb hreußens herbeizuführen.
Es ist als ein nicht wünschenswerther und auf die Dauer nicht eträglicher Zustand angesehen worden, daß innerhalb der Monarchie mn verschiedenen Provinzen dieselben Rechtsakte mit ganz verschiedenen Kosten belastet werden, sodaß die eine Provinz bevorzugt, die andere benachtheiligt erscheinen könnte. Das Gesetz hat aber nicht nur diesen Zweck verfolgt, sondern es hat auch in Uebereinstimmung mit den Grundsätzen, die in den letzten Jahren für andere Gesetze maßgebend zewesen sind, erstrebt Entlastung der schwächeren Bevölkerungsklassen durch Ermäßigung der Kosten für geringere Objekte. Für Vormund⸗ chafts, und Grundbuchsachen hat die Ermäßigung durchgeführt werden können bis zu Objekten von 4500 ℳ Allerdings ist es nicht möglich gewesen, die dadurch der Staatskasse entgehenden Einnahmen vollständig fallen zu lassen; es hat ein Ausgleich gesucht werden müssen in der Er⸗ böbung der Gerichtskosten für höhere Objekte, die dann aber auf leistungs⸗ iidigere Schultern gelegt werden. Auch das entspricht der Auffassung, die namentlich in diesem hohen Hause immer befolgt worden ist, daß die leistungsfähigeren Schultern in erhöhtem Maße herangezogen werden müssen, als die ärmeren Kreise der Bevölkerung.
Ich glaube deshalb, auch in dieser Richtung wird der Entwurf ehrg Widerspruch nicht wohl begegnen. Es ist nun das Abgeordnetenhaus in wesentlichen Punkten weiter gegangen, shat eine Reihe weiterer Kostenherabsetzungen beschlossen: zum theil, wie bereits hervorgehoben, unter ausdrücklicher Zustim⸗ en- der Staatsregierung, zum theil gegen gewisse Bedenken, zum bͤeil gegen ausdrücklichen Widerspruch der Staatsregierung.
Meine Herren, ich erkläre hiermit in Bestätigung dessen, was be⸗ eis in der Kommission von den Kommissarien gesagt worden ist, daß 1 Staatsregierung darauf verzichtet, in irgend einer Richtung die Wie⸗ kerberstellung der Regierungsvorlage in Anregung zu bringen, unter der Soraussetzung, daß nicht von anderer Seite eine weitergehende Herab⸗ edung in Antrag gebracht und vom Hause beschlossen werden möchte. gur einen solchen Fall würde die Königliche Staatsregierung sich ihre veitere Entschließung vorbehalten müssen. fnnd Die Ermäßigungen, die im Abgeordnetenhause beschlossen wurden, 8 Aas theil von sehr erheblicher, wenn auch nicht zanz genau zu über⸗ 8 8 Tragweite. Es ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, 10 ne. einen Theil der vom Abgeordnetenhause beschlossenen —* ein recht umfangreicher Ausfall eintreten wird für die
afse. Es wird, wie gesagt, davon abgesehen, in dieser Be⸗
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ziehung eine Remedur herbeizuführen. Ich will bemerken, daß Kosten⸗ gesetze unter allen Umständen nicht überall sich einer freund⸗ lichen Aufnahme erfreuen; sie theilen dieses Schicksal mit den Steuergesetzen, und es ist auch auf diesem Gebiet nicht möglich, allen Anforderungen und Wünschen gleichmäßig gerecht zu werden. Ich halte die Möglichkeit nicht für ausgeschlossen, daß auch in der Anwendung des heute zu Ihrer Beratbung stehenden Kostengesetzes in Zukunft Beschwerden werden erhoben werden, wie sie schon im Ab⸗ geordnetenhause in Aussicht gestellt worden sind von einzelnen Interessentengruppen. Trotz alledem darf uns das nicht abhalten, das Gesetz zu verabschieden. Möchten spätere Erfahrungen ergeben, daß die Anwendung des Gesetzes Unzuträglichkeiten oder Härten mit sich bringt, die nicht wohl ertragen werden können, dann wird die Königliche Staatsregierung immer sich bereit finden lassen, die bessernde Hand anzulegen. Ich halte es für im hohen Grade wünschenswerth, daß das Gesetz jetzt unverändert zur Annahme komme damit eine Gesetzgebung, die vieljährige mühsame Vorarbeiten zur Voraussetzung gehabt hat und der es nur mit erheblicher Anstrengung gelungen ist, die von ihr erstrebte Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit auf dem Gebiete der Kostengesetzgebung zu erreichen, damit diese Gesetzgebung auch in der That heute zum Abschluß komme, und nicht etwa durch Beschließung neuer Aenderungen die Nothwendig⸗ keit herbeigeführt werde, das Gesetz noch einmal an das Abgeordnetea⸗ haus zurückgehen zu lassen. Von den Petitionen, die seitens des Herrn Referenten erwähnt geht die eine, wie ich höre ausgegangen von rheinischen üusbesißern, dahin, die Ermäßigung der Kostensätze in noch Maße auszudehnen, als die Regierungsvorlage
das Abgeordnetenhaus es bisher zugestanden haben. lche Wünsche sind schon im Abgeordnetenhause vorgebracht und b vertreten worden, haben aber dort keine Zustimmung gefunden. Es delt sich um spezifische Interessen des rheinischen Grundbesitzes, dessen Verhältnisse allerdings etwas von denen der östlichen Pro⸗ vinzen abweichen, insofern als der Grundbesitz dort in hohem Maße zersplittert ist, und deshalb Veräußerungen häufiger vorkommen, sodaß vielleicht unter Umständen die Kostenfrage dort lebhafter empfunden wir dwie anderswo. Ich möchte Sie aber bitten, auch hier sich auf den Standpunkt des Abgeordnetenhauses zu stellen und nicht auf Aenderungen in der angestrebten Richtung einzugehen, um so eniger als bestimmte Vorschläge, in welcher Richtung, welchem Umfange und welcher Art solche Aenderungen in das Gesetz einzu⸗ fügen wären, nicht gemacht sind.
Eine Petition der Berliner Notare hat zum Gegenstand eine Erhöhung der Wegegebühren für Wechselproteste. Ich enthalte mich,
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sch enth in diesem Augenblick darauf einzugehen, und behalte mir vor, wenn die Sache bei der speziellen Berathung zur Sprache kommt, mich darüber zu äußern.
Das Haus trat sodann in die Spezialberathung ein.
Nach § 76 Absatz 2 des Entwurfs soll für beglaubigte Abschriften oder Auszüge aus dem Handelsregister ein Zehntel der für die Eintragung der Firma erhobenen Gebühren, mindestens aber 1 ℳ erhoben werden.
Ober⸗Bürgermeister Struckmann hielt diese Gebühren für zu hoch bemessen, besonders da in Prozessen die Zahlung der Gebühr öfter dem prozessierenden Kreditnehmer zur Last fallen würde. Auch werde häufig von den Richtern im Laufe eines Prozesses eine erneute Beglaubigung verlangt, wenn der Prozeß längere Zeit dauere. Er ersuche den Justiz⸗Minister, hier, wenn möglich im Verwaltungswege, Abänderung zu treffen.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Den thatsächlichen Angaben des Herrn Ober⸗ Bürgermeisters Struckmann kann ich in keiner Weise widersprechen. Die Gebühr für Bescheinigungen und Auszüge aus dem Handels⸗ register, die nach dem bestehenden Recht im Höchstbetrage sich ein⸗ schließlich eines Stempels auf 3 ℳ belaufen konnte, kann nach dem vorliegenden Gesetzentwurf unter Umständen, wenn es sich um größere Gewerbebetriebe, große Gesellschaften u. s. w. handelt, eine Höhe von 10 ℳ erreichen, und ich geble dem Herrn Ober⸗Bürger⸗ meister Struckmann auch das vollständig zu, daß diese Gebühr nicht immer den Inhabern derartiger Firmen und Gesellschaften zur Last fallen würde, sondern daß sie vielfach in Prozeßsachen dem unter⸗ liegenden Gegner, im Hypothekenverkehr dem Kreditnehmer endgültig aufgebürdet werden wird. Das kann allerdings zu erheblichen Be⸗ schwerden führen, und ich würde meinerseits nichts dagegen zu er⸗ innern gehabt haben, wenn im Abgeordnetenhause eine Ermäßigung dieser Sätze beschlossen worden wäre. Daß das nicht der Fall ge⸗ wesen ist, beruht allerdings auf einem Versehen oder einem Miß⸗ verständniß. Es war in der dritten Lesung ein entsprechender Antrag von dem Abgeordneten Hartmann gestellt worden, der dann von ihm zurückgezogen wurde. Er sollte von einem anderen Herren wieder auf⸗ genommen werden. Dieser hatte aber den richtigen Augenblick verpaßt und kam zu spät. Deshalb ist es dabei geblieben. Trotz alledem und obgleich ich anerkenne, daß eine Ermäßigung des Satzes nicht un⸗ erwünscht wäre, möchte ich doch im allgemeinen Interesse — Herr Struckmann ist ja damit einverstanden — bei der jetzigen Geschäfts⸗ lage bitten, davon abzusehen und die Bestimmung nicht zu ändern. Ihre Tragweite ist doch nicht so groß, wie es vielleicht scheinen könnte. In dieser Beziehung darf ich zunächst darauf aufmerksam machen, daß es einer solchen Bescheinigung über die Legitimation einer Firma überhaupt nicht bedarf, wenn die Sache bei demselben Gericht schwebt, wo auch das Handelsregister geführt wird. Da hat der Richter die Pflicht, sich durch Einsicht des Handelsregisters selbst die nöthige Kunde zu verschaffen. Im übrigen darf angenommen werden, daß im großen Hypothekenverkehr der Hypothekenbanken und sonstigen Kredit⸗ gesellschaften sich doch wohl Wege finden lassen werden, daß nicht für jeden einzelnen Fall die Gebühr erhoben wird. Es wird sich bei einer verständigen Geschäftsverwaltung erreichen lassen, daß diese Gesell⸗ schaften eine Zahl von Akten zusammenkommen lassen, die dann zusammen mit einem für alle ausreichenden Attest aus dem Handelsregister dem Gericht überreicht werden. Die Praxis der Gerichte — Herr Struckmann hat das auch er⸗ wähnt — ist verschieden. Hier und da soll regelmäßig eine Bescheinigung allerneuüesten Datums gefordert werden. Mir ist es in meiner Praxis nicht vorgekommen, daß ein Auszug aus dem Handelsregister, der etwa im Beginn eines Prozesses überreicht wurde, im späteren Verlauf des Prozesses irgendwie beanstandet und, etwa im Falle einer Eidesleistung von dem Inhaber der klagenden Firma der Gesellschaft ein neues Attest gefordert worden wäre. Im Verwaltungswege in dieser Beziehung einzuwirken, würde allerdings
schwierig sein; denn es handelt sich da immer um Akte des erkennenden Richters, die sich der Beeinflussung durch die Justizverwaltung entziehen. Aber ich glaube, bei verständiger Erwägung und praktischer Handhabung der Geschäfte wird vielfach, wo gar kein Zweifel vorliegt, daß eine Aenderung in dem Bestande einer Firma eingetreten sei, der praktische Richter sich auch mit einem Attest älteren Datums begnügen und nicht darauf bestehen, daß ein für den Augenblick, für den Tag selbst ausgestelltes neues Attest über⸗ reicht werde. Dies wäre ja auch praktisch undurchführbar, namentlich wenn es sich um eine auswärtige Firma handelt, wo ja immer Tage zwischen der Ausstellung des Auszugs und seiner Vorlegung bei einem vielleicht weit entfernten Gerichte vergehen können, sodaß die Möglich⸗ keit einer inzwischen eingetretenen Aenderung auch hier gegeben wäre. Ich glaube also, in der Praxis wird sich die Sache nicht so gefährlich gestalten, wie es, vom rein theoretischen Gesschtspunkte aus betrachtet, vielleicht erscheinen könnte. “
§ 93 verlangt für die Beaufsichtigung von Fidei⸗
kommissen und Stiftungen jährlich nach dem Betrage des Vermögens 310 der Gebühren fuͤr gerichtliche Beurkundungen und Bestätigungen. 2. Herr von Wiedebach wünschte, daß eine wirkliche Beauf⸗ sichtigung stattfinde. Es seien Fälle vorgekommen, in denen das ganze Jahr hindurch keine Beaufsichtigung eingetreten sei; auch in solchen Fällen Gebühren zu verlangen, sei ungerecht.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Zu meinem Bedauern bin ich nicht in der Lage, eine bestimmte Erklärung in der von dem Herrn Vorredner gewünschten Richtung abzugeben. Es läßt sich eben nicht genau definieren, worin die Be⸗ aufsichtigung eines Fideikommisses besteht. Vielfach kann es auch dem ideikommißbesitzer so erscheinen, als wenn die Aufsichtsbehörde vollständig unthätig gewesen wäre und nichts gethan hätte, als die Aufstellung einer Kostenrechnung am Schluß des Jahres zu veranlassen, während vielleicht eine stille Thätig eit unden hat, die nicht ohne weiteres in die äußere Erscheinung getreten ist. Im übrigen beziehen sich die Gebühren auf die Oberaufsicht im allgemeinen, die vielfach überhaupt nicht akten⸗ mäßig ist. Im Abgeordnetenhause war ein Antrag gestellt durch
errn von Bülow; dieser Antrag wollte bestimmte äußere Voraus⸗ setzungen festgestellt wissen, unter denen allein Gebühren zur Erhebung kommen sollten; es müsse wenigstens eine Verfügung erlassen sein im Laufe des Jahres. Man überzeugte sich aber, daß dieses äußere Merkmal auch nicht durchgreifend sein würde, daß man damit nicht weiter käme und der eigentliche Zweck, den man zu erreichen wünschte, doch nicht erfüllt werde. Meine Herren, ich will aber bemerken, herabgesetzt ist die Gebühr schon, von fünf Zehntel auf drei Zehntel, also insoweit hat die Staatsregierung auch in diesem Punkt ein weitgehendes kommen bewiesen. Ich möchte bitten, es dabei zu belass ich die von Herrn ven Wiedebach gewünschte Erkl außer stande bin.
Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf schloß sich den Ausführungen des Herrn von Wiedebach an.
Der Gesetzentwurf wurde in seiner Gesammtheit un⸗ verändert angenommen, desgleichen der Entwurf einer Gebührenordnung für Notare gemäß dem Antrage der Justizkommission in der vom Abgeordnetenhause beschlossenen Fassung, und die zum Gerichtskostengesetz und zur Gebühren⸗ ordnung eingegangenen Petitionen wurden durch die Beschlußfassung für erledigt erklärt.
Die Petition des Magistrats zu Schönsee wegen Er⸗ richtung eines Amtsgerichts daselbst wurde gemäß dem Antrage der Justizkommission der Staatsregierung als Material überwiesen. 3 Vom Grafen von Klinckowstroem war sodann, unter⸗ stützt von zahlreichen Mitgliedern des Herrenhauses, folgender Gesetzentwurf beantragt:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen ac., verordnen mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtags Unserer Monarchie für den Umfang derselben, was folgt: Artikel I. Der § 4 des Jagdpolizeigesetzss vom 7. März 1850 erhält hinter: »Alle anderen Grundstücke eines Gemeindebezirks, welche nicht zu den im § 2 gedachten gehören, bilden der Regel nach einen ge⸗ meinschaftlichen Jagdbezirk⸗ folgenden Nachsatz: „ausgenommen sind die Grundstücke, insbesondere der Bahnkörper der Eisenbahnen, auf welchen die Ausübung der Jagd ruht. Auf Eisen⸗ bahnterrain verendetes (übergefahrenes ꝛc.) Wild dem Jagdberechtigten, dessen Jagdbezirk durch die Bahn durchschnitten wird Bildet die Bahn die Grenze zwischen zwei Jagdbezirken, so gehört das Wild demjenigen, auf dessen Seite, von der Mitte des Bahnkörpers an gerechnet, das Wild li Artikel II. Dem § 11 desselben Gesetzes wird am S . efügt: „Besitzer der Grundstücke von Eisenbahnen und Kunststraßen aben einen Anspruch auf diese Pachtgelder und Einnahmen nicht.“
Herr von Alvensleben beantragte, in der Einleitung statt der Worte ‚für den Umfang derselben“ zu sagen: „für den Geltungs⸗ bereich des Jagdpolizeigesetzes vom 7. März 1850“.
Graf von Klinckowstroem: Nach einer Entscheidung des Ober⸗Verwaltungsgerichts gehören die eisenbahnfiskalischen Grund⸗ stücke, insbesondere auch der Bahnkörper, nicht zu den einen eigenen Jagdbezirk bildenden Grundstücken. Der Königliche Eisenbahnfiskus hat nun verschiedene Klagen gegen Stadt⸗ und Landgemeinden an⸗ gestrengt: anzuerkennen, daß die Eisenbahngrundstücke, insbesondere der Bahnkörper, mit den übrigen Grundstücken des Gemeindebezirks, in dessen Grenzen der betreffende Theil des Bahnkörpers liegt, einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk bilden. Ebenso verlangt der Eisenbahn⸗ fiskus, an den Erträgen der Jagdnutzung nach Verhältniß des von ihm besessenen Areals theilzunehmen. Nun sollen aber die Pacht⸗ gelder resp. Einnahmen der Jagd nach dem Gesetz an die Besitzer derjenigen Grundstücke vertheilt werden, auf welchen die ge⸗ meinschaftliche Ausübung der Jagd stattfindet. Da nun das Betreten des Bahnterrains für Privatpersonen unter Strafe gestellt ist, können diese auf diesem Terrain auch die Jagd nicht ausüben. Da aber ohne Aenderung des Gesetzes das Ober⸗ erwaltungsgericht die Ansprüche des Eisenbahnfiskus anerkennen müßte, bitte ich, unseren Antrag an⸗ zunehmen, und hoffe, daß die Regierung, wenn sie auch heute noch keine bindende Erklärung abgiebt, sich der Sache freundlich gegenüber⸗ stellen wird. Es würden sonst zahllose Prozesse entstehen, zumal der Eisenbahnfiskus auch hinsichtlich der früher aus den Jagderträgen ge⸗ flossenen Einnahmen bis dreißig Jahre zurück klagbar werden könnte und dadurch Unzufriedenheit im Lande erweckt würde.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich bin nicht in der Lage, heute namens der Staatsregierung eine Erklärung auf den vorliegenden Initiativantrag abgeben zu können; dagegen möchte ich mir gestatten, an die Ausfüh⸗ rungen des Herrn Grafen von Klinckowstroem einige thatsächliche Bemer⸗ kungen anzuknüpfen. Meine Herren, der Herr Graf von Klinckowstroem hat schon darauf hingewiesen, daß der Eisenbahnfiskus außer dem eigentlichen Bahnkörper noch einen nicht unerheblichen Besitz an Grundstücken hat, welcher mit den Grundstücken der übrigen Fluren
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