1895 / 121 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 May 1895 18:00:01 GMT) scan diff

gebe ich zu, daß, wenn der Eventualantrag des Herrn Abg. Gröber an⸗ genommen wird, dann das wesentlichste meiner Bedenken Erkedigung findet, und ich wiederhole deshalb meine Bitte, zum mindesten dem Eventualantrage des Herrn Abg. Gröber Ihre Zustimmung zu geben, wenn sie an Stelle der obligatorischen die fakultative Geldstrafe nicht

setzen wollen. 1 Abg. Prinz von Arenberg (Zentr.) hebt hervor, daß in den Verhandlungen der Budgetkommission bereits festgestellt sei, daß Herrn Woermann nicht der mindeste Vorwurf treffe.

1 Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt.? Der Antrag Gröber wird ohne die Bestimmung, betreffend das Minimum der Geldstrafe, genehmigt und darauf der § 3 der Vorlage in

der so neugestalteten Fassung angenommen.

—Der § 4 der Vorlage lautet:

Wer den vom Kaiser zur Verhütung des Sklavenraubs und des Sklavenhandels erlassenen Verordnungen zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu sechstausend Mark oder mit Gefängniß bestraft.

Auf Antrag Gröber werden hinter den Worten „vom Kaiser“ die Worte eingeschoben: „mit Zustimmung des Bundes⸗ raths“. 8 b

Nach § 5 des Gesetzentwurfs sollen die Bestimmungen im § 4 Abs. 2 Nr. 1 des Strafgesetzbuchs, wonach bei den im Auslande von Deutschen begangenen Verbrechen nur auf An⸗ trag Strafverfolgung eintritt, auch auf die in diesem Gesetze vorgesehenen strafbaren Handlungen Anwendung finden.

Abg. Stadthagen (Soz.) beantragt, diese Bestimmung dahin zu ändern, daß in jedem Falle Strafverfolgung ein⸗ treten muß. 8

Abg. Stadthagen (Soz.) weist auf den Fall Leist und den Fall Wehlan hin, bei welchen wohl Strafverfolgung hätte eintreten können, aber nicht eingetreten sei.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor der Kolonial⸗ Abtheilung im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Legations⸗Rath Dr. Kayser: Die Angriffe gegen die Regierung, daß sie die vor⸗ Missethaten nicht zur Verfolgung gezogen, ist unbegründet. Im Fall Leist ist in beiden Instanzen des Disziplinarverfahrens nur eine disziplinarisch verfolgbare Handlung festgestellt, dagegen anerkannt worden, daß der Thatbestand einer strafbaren Handlung nicht vorliegt. Der Fall Wehlan ist noch nicht zur Entscheidung gelangt, entzieht sich also der Besprechung. Auf die sonstigen Ausführungen des Abg. Stadthagen einzugehen, versage ich mir, wie bisher, so auch jetzt; denn da die Versuche der Herren aus dem Hause, ihn von der Un⸗ richtigkeit seiner Meinungen zu überzeugen, ohne Erfolg waren, so verzweifle ich auch daran, ihn eines Besseren zu belehren.

Der § 5 wird darauf angenommen. Bei der Abstim⸗ mung über den ganzen Gesetzentwurf wird derselbe mit großer Mehrheit angenommen.

Zur Annahme gelangt alsdann auch folgende, vom Abg. Gröber (Zentr.) beantragte Resolution:

„Die verbündeten Regierungen um Einbringung eines Gesetz⸗ entwurfs zu ersuchen, welcher die in den deutschen Schutzgebieten unter den Eingeborenen bestehende Haussklaverei und Schuldknecht⸗ schaft einer ihre Beseitigung vorbereitenden Regelung unterwirft.“

Das Haus geht sodann über zur Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Kaiserlichen Schutztruppen für Südwest⸗Afrika und für Kamerun.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Der Gesetzentwurf erschien mir anfangs unbedenklich, aber die Verhandlungen in der Budgetkommis⸗ sion über den Kolonial⸗Etat haben bei mir schwere Bedenken hervor⸗ gerufen. Damals wurde durch die Verhandlungen klargestellt, daß ein gewisser Dualismus betreffs unserer kolonialen Schutztruppe in Deutsch⸗Ostafrika besteht. Nach den geltenden Bestimmungen werden die Offiziere der Schutztruppe vom Reichs⸗Marineamt selbständig ausgesucht und vom Kaiser ohne Gegenzeichnung ernannt. Dies Uebergehen der Kolonialabtheilung des Auswärtigen Amts trägt einen Zwiespalt in unsere Kolonialverwaltung, der zu Konsequenzen führen muß, die sich in Afrika übel bemerkbar machen, und zwar in der Verwaltung, wie in der Frage der Verwendung der Schutztruppe. Schon die Uebertragung des Anciennetätsprinzips auf afrikanische Verhältnisse führt zu großen Unzutpäglichkeiten; haben die Offiziere nur mit dem Reichs⸗Marineamt zu thun, so ist es natürlich, daß dieselben sich mehr nach diesem, als nach dem Gouver⸗ neur richten. Daher die Klagen über das Zunehmen des Militaris⸗ mus in Deutsch⸗Ostafrika. Unter diesen Umständen halten wir es für sehr bedenklich, die für Deutsch⸗Ostafrika geltenden Bestimmungen jetzt auch auf Südwest⸗Afrika und Kamerun auszudehnen. Ich halte es für unmöglich, den Gesetzentwurf ohne Kommissiensberathung zu erledigen. Ich beantrage daher, den Gesetzentwurf an die Budget⸗ kommission zu verweisen.

Abg. von Podbielski (dkons.) stimmt dem Antrag Richter zu.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, Direktor der Kolonial⸗ Abtheilung im Auswärtigen Amt, Wirklicher Geheimer Legations⸗Rath Dr. Kavser: Ich würde es sehr bedauern, wenn das Gesetz nicht in dieser Session zu stande käme. In den Berathungen der Budget⸗ kommission ist nachgewiesen worden, daß die jetzige militärische Organisation der Schutztruppe in Ost⸗Afrika im Interesse der Schlagfertigkeit nothwendig ist. Der militärische Einfluß der Schutz⸗ truppe erstreckt sich ausschließlich auf die Disziplin und die Organi⸗ sation. Die Zivilverwaltung liegt in den Händen des Gouverneurs und des Auswärtigen Amts. Das Budgetrecht des Reichstags wird durch die Vorlage in keiner Weise berührt; sie hat nur die eine positive Bedeutung, feste Grundlagen zu schaffen in Bezug auf Gerichtsbarkeit und Versorgung der deutschen Militärpersonen in den Schutzgebieten. Es ist ein von allen Staatsrechtslehrern anerkannter Satz, daß alle Personalien in der Armee direkt vom Kaiser ohne Gegenzeichnung ressortieren. Jetzt sind die Offiziere und Soldaten der Schutztruppe lediglich darauf angewiesen, daß die Verwaltung im Privatwege ihnen eine Unterstützung gewährt, falls sie in ihrer Gesundheit geschädigt werden.

Abg. Prinz von Arenberg (Zentr.) spricht sich für die Ueber⸗ weisung des Gesetzentwurfs an die Budgetkommission aus.

Abg. Graf von Arnim (Rp.): Ich kann mich dem Antrage auf Ueberweisung des Gesetzentwurfs an die Budgetkommission nur anschließen. Wir haben keinen Anlaß, die Sache zu überstürzen, zumal wir bei einer gründlichen Regelung der Frage eventuell auch auf die bBn ng .““ 8 Beschwerden zurückgreifen und diese, wo nöthig, ändern können. Es giebt andere Dinge, welche dringender der Erledigung bedürfen als dieser Gesetzentwurf.

Abg. Dr. Hammacher (nl.) bedauert, daß der Gesetzentwurf in der Kommission für diese Session begraben werden solle. Die Budget⸗ kommission habe bereits anerkannt, daß die bestehende Organisation gut und dienlich sei.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Wenn die Sache eine solche Eile hätte, so wäre es doch Pflicht der Regierung gewesen, darauf zu dringen daß das am 1. März eingebrachte Gesetz nicht erst jetzt zur ersten Lesung gebracht werde. Er müsse es bestreiten, daß die Kommission sich mit dieser Regelung der Verhältnisse in Ost⸗Afrika einverstanden erklärt habe; abgestimmt sei darüber nicht worden. Jedenfalls brauche es nicht nothwendig zu sein, diese Verhältnisse auch auf die kleine Polizeitruppe in West⸗Afrika zu übertragen. Der Dualismus sei nicht abzustreiten. Der Direktor der Kolonial⸗Abtheilung habe es ausdrücklich beklagt, es seien Offiziere ohne Sprachkenntnisse nach Afrika geschickt worden; wenn das Kolonialamt vorher von der Ernennung dieser Offiziere Kenntniß gehabt hätte, so würde es doch dagegen Ein pruch erhoben haben. Man könne über das Recht des Kaisers, über die Personalien der Armee in Deutschland selbständig zu verfügen, denken, wie man

ihrer Aufgabe durchaus gewachsen sei, stehe auch nicht unter einem militärischen Kommando, sondern anterstehe in jeder Beziehung dem Polizei⸗Präsidenten.

Der Gesetzentwurf wird darauf Budget⸗ kommission verwiesen.

Bei der folgenden namentlichen Abstimmung über den r betreffend Abänderung des Zucker⸗ steuergesetzes (Aufrechthaltung der Ausfuhrprämien), wird derselbe mit 191 gegen 45 Stimmen angenommen. „Hierauf wird die Vertagung beantragt. Das Bureau bleibt zweifelhaft über die Abstimmung, es erfolgt daher die Auszählung des Hauses. Für die Vertagung erklären sich 110, gegen die Vertagung 90 Mitglieder, die Vertagung ist also angenommen.

Schluß der Sitzung 5 ¼ Uhr.

an die

Preußischer Landtag. Herrenhaus.

16 17. Sitzung vom Montag, 20. Mai. Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Eingegangen sind folgende Anträge: 1) des Grafen von der Schulenburg⸗Beetzendorf:

Das Herrenhaus wolle folgender Resolution zustimmen:

Im Interesse der Erhaltung des ländlichen Grund⸗ besitzerstandes ist es geboten, der reißend anwachsenden Boden⸗ verschuldung Einhalt zu thun und auf eine allmähliche Schuld⸗ entlastung Bedacht zu nehmen. Die römisch⸗rechtlichen Bestimmungen über Verschuldung, Theilbarkeit und Vererbung des Grund und Bodens sind durch einschränkende deutsch⸗rechtliche Vorschriften zu ersetzen. Als solche kommen in Betracht: die Einführung des An⸗ erbenrechts in den Gegenden, wo es der Volkssitte entspricht. Die Errichtung von Heimstätten auf Grund des dem Deutschen Reichs⸗ tage vorgelegten Gesetzentwurfs. Die Ersetzung der kündbaren privaten Hypothek durch die seitens des Gläubigers unkündbare, binnen einer bestimmten Zeit zu amortisierende Institutshypothek.

2) Des Grafen zu Inn⸗ und Knyphausen:

Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, für die Bildung bäuerlicher Fideikommisse als Stempelsatz eins vom Hundert festzusetzen.

3) Des Grafen von Mirbach:

Das Herrenhaus wolle beschließen: die Stempelabgabe lür ländliche Fideikommißstiftungen beträgt drei vom Hundert des Gesammtwerths in Höhe des dreißigfachen Grundsteuer⸗Rein⸗ ertrags unter Abzug der Schulden.

Nach Erledigung einer Petition der Weser⸗Schiffahrts⸗ Interessenten um gleichmäßige Vertiefung der Oberweser, und des Gesetzentwurfs über die Fischerei der Ufereigenthümer in den Privatflüssen der Rheinprovinz gelangte der Kommissions⸗ bericht über die Petition des ehemaligen Bürgermeisters Horn in Halle a. S.: die Gewährung einer Entschädigung für ihn aus dem für unschuldig Verurtheilte bestimmten Fonds des Staatshaushalts⸗Etats zu erwirken, zur Berathung.

Berichterstatter Ober⸗Bürgermeister Westerburg befürwortete unter Darlegung des Sachverhalts den Antrag der Kommission, die

etition der Regierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Der Magistrat von Torgau, wo Petent Bürgermeister war, habe aus von ihm verwalteten Stiftungen seinen Söhnen Stipendien gewährt, der Petent sei deshalb wegen Untreue vom Landgericht verurtheilt, später aber vom Reichsgericht freigesprochen worden. Er habe nach seiner Verurtheilung sein Amt niedergelegt und sei infolge dessen trotz 36 jähriger Dienstzeit in eine mißliche Lage gekommen. 1 1

Herr von Diest unterstützte mit dem Hinweis darauf, daß er die Verhältnisse persönlich genau kenne, den Antrag der Kommission.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Ich muß allerdings lebhaft bedauern, daß ich mich nicht in der Lage befinde, das Einverständniß der Königlichen Staatsregierung mit dem von der Kommission gestellten Antrag zu erklären, und ich glaube annehmen zu können, daß der letzte Appell des Herrn von Diest an Ihr gutes Herz für Sie auch nicht die Folge haben kann, Sie zu einem solchen Beschluß zu bestimmen, wenn Sie sich überzeugen möchten, daß derselbe in der That nicht haltbar ist. Diesen Beweis zu führen, wird meine Aufgabe sein. Meine Herren, ich bin weit entfernt, das günstige Urtheil, welches Herr Präsident von Diest über den Bürgermeister Horn gefällt hat, das günstige Zeugniß, welches er ihm für seine 36 jährige Verwaltungsthätigkeit in der Stadt Torgau ausgestellt hat und über seine tadellose Führung in und außer dem Amt, beanstanden zu wollen. Ich bin weit entfernt davon, zu ver⸗ kennen, daß es ein sehr schweres und hartes Geschick ist, von dem dieser Herr nach so langer vorwurfsfreier Dienstzeit betroffen worden ist. Aber, meine Herren, diese Zugeständnisse überheben mich nicht der Verpflichtung zu prüfen, wie es in dem vorliegenden Falle gewesen ist und ob das Verhalten des Horn in diesem Fall ein solches gewesen ist, daß es zu einem so ungewöhnlichen Beschlusse, wie die Kommission von Ihnen erwartet, führen könnte. Ich darf nur mit wenigen Worten auf das Historische der Sache zurückgehen. Es finden sich also in Torgau drei alte Stiftungen, aus dem 16., die letzte aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts stammend. Es sind drei Familien⸗ stiftungen. In der ersten war die Bestimmung getroffen, daß die Revenüen des Stipendienkapitals nur Angehörigen der betreffenden Familien zu gute kommen sollten, und nur, wenn solche sich nicht mehr fänden, auch Torgauer Bürgersöhne berücksichtigt werden könnten. Die beiden anderen Stiftungen enthalten solchen Vorbehalt nicht. Es be⸗ stand aber ein Zusammenhang zwischen diesen drei Stiftungen. Die Stifter gehörten demselben weiteren Familienverband an. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich eine laxe Praxis ausgebildet. Es waren Angehörige der berechtigten Familien kaum noch zu ermitteln, und es war vorgekommen, daß aus dem Gesammterträgniß aller drei Stiftungen, die nicht in getrennter Verwaltung geblieben, sondern zu gemeinsamer Verwaltung verbunden worden waren, Stipendien auch an nicht stifts⸗ verwandte Söhne der Stadt Torgau gegeben wurden. Es hatte sich in so weit eine laxere Praxis gebildet, als mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde man bei der Prüfung der Verwandt⸗ schaft, der Zugehörigkeit zur Stiftungsfamilie, sich nicht mehr an den allerstrengsten Formalismus gehalten hat, sondern sich schon damit zufrieden erklärt hatte, wenn nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Zugehörigkeit dargethan war. Als nun Herr Bürgermeister Horn an die Spitze der Stadt Torgau berufen wurde, unterzog er auch diese Stiftungen einer eingehenden Prüfung. Er fand, daß sie sich in sehr großer Unordnung befanden, und es muß als sein Verdienst anerkannt werden, daß er in diese Verhältnisse Klarheit hineinzubringen versuchte. Sein Bestreben war dahin gerichtet, diese Stiftungen für

wolle; jedenfalls sei es nicht berechtigt, das auch auf die Schutztruppe in Afrika zu übertragen. Die Berliner Schutzmannschaft, die doch

auch von ihm, Angehörige der Stiftungsfamilien seien nicht mehr vorhanden und würden auch wohl schwerlich gefunden werden. Es waren nun verschiedene Ansichten im Laufe der Zeit darüber entstanden wer eigentlich die Aufsicht über die Stiftungen zu führen habe: o Gerichts⸗ oder Verwaltungsbehörden. Ursprünglich, in der kursäch⸗ sischen Zeit, war die Aufsicht von Gerichten geführt worden, später war sie auf das Kreisgericht in Torgau übergegangen. Das war an und für sich von keiner Seite beanstandet worden; das Kreisgericht in Torgau mischte sich nun in die Verwaltung ein und kam zu der Ansicht daß es unzulässig sei, aus dem Stiftungsfonds irgend jemand etwas zuzuwenden, der nicht einen Zusammenhang mit den Familien nach⸗ gewiesen habe. Es erließ eine Verfügung an den Magistrat, der mit der Verwaltung der Stiftung betraut war, dahin gehend, daß, nachdem verschiedene Aufgebote erlassen waren, an Fremde die Stiftung nur verliehen werden könnte, wenn von der Stadt die Verpflichtung über⸗ nommen werden würde, daß, falls sich später Berechtigte finden würden, eine Erstattung des an die Fremden, Unberechtigten Gezahlten erfolge. Die Stadt hat diesem Beschluß nicht Folge geleistet; sie hat ihn zu den Akten genommen und schließlich die Sache auf sich beruhen lassen.

Nun sind gezahlt worden in den Jahren 1864 bis 1866 an einen gewissen Wippermann, der eine Verwandtschaft zu den Stiftern nicht nachgewiesen hat, für die drei Jahre je 150 ℳ, also im Ganzen 450 Dann ist es richtig, was auch Herr Präsident von Diest hervorgehoben hat, daß auch einem Sohn eines Kreisgerichts⸗Direktors in Torgau 1 ½ Jahre ein Betrag aus der Stiftung gezahlt, worden ist, in Summa von 225 Welche Bewandtniß es damit gehabt hat, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Eine Andeutung findet sich in den Akten, daß dieser Herr, der 1870 erst nach Torgau versetzt worden ist, mit den Verhältnissen gänzlich unbekannt war. Er hatte, wie an⸗ genommen werden darf, nicht den Vorsitz in der zweiten Atheilung; die Verhandlungen mit der Stadt hatten 1868 ihren Abschluß gefunden, und er hatte gehört, daß einem gewissen Wippermann schon vorhe ein Stipendium bewilligt war. Es sind dann auch ihm die vor⸗ erwähnten Beträge bewilligt worden.

Nun kommt im Jahre 1878 die erste Bewilligung an den Sohn des Bürgermeisters Horn. Von dieser behauptet der Bürgermeister Horn und ich habe keinen Grund, die Richtigkeit in Zweifel zu ziehen daß er in keiner Weise diese Bewilligung veranlaßt habe, sondern daß vom Magistrat in Anerkennung seiner Verdienste um die Stadt und weil er die Stiftung auch für die Stadt selbst nutzbar gemacht hatte, ohne seine Anregung das Stipendium damals seinem ältesten Sohn bewilligt worden sei. Er hat erklärt, er sei in der Sitzung anwesend gewesen, und ein anderes inzwischen verstorbenes Magistratsmitglied habe den Antrag gestellt, seinem Sohn diese Zuwendung zu machen. Darauf habe er sich entfernt, und in seiner Abwesenheit sei der Beschluß gefaßt worden. Der Beschluß ging noch weiter; es wurde nicht nur, wie bei allen früheren Bewilligungen, der Maximalsatz von 450 bewilligt, sondern alles, was nicht etwa für andere Berechtigte zu verwenden war, was übrig blieb. Und infolge dessen sind an Horn gezahlt worden von 1878 bis 1883 5002,53 Die Zahlungsanweisungen hat der Bürgermeister Horn selbst ausgestellt; die Quittungen sind theilweise von ihm ausgestellt worden. Ich bemerke gleich, daß diese Vorgänge den Gegenstand der späteren strafrechtlichen Untersuchung deshalb nicht gebildet haben, weil sie verjährt waren. Herr Bürger⸗ meister Horn bemerkt, es sei schon damals zur Sprache gekommen, daß man später auch seinem jüngsten Sohn, wenn er die Universitäts⸗ reife erreicht hätte, eine derartige Zuwendung machen würde. Dieser Fall ist im Jahre 1884 thatsächlich eingetreten, und der Bürgermeister Horn hat nun selbst den Antrag gestellt, in Anknüpfung an jene Vor⸗ gänge jetzt auch seinem dritten Sohn die Stipendien zu bewilligen.

ist geschehen in einer Sitzung, an der er selbst nicht theil⸗

Für diesen Sohn sind von 1884 bis 1887 3150 ezahlt worden; im Ganzen sind also 8152 an Horn gelangt.

Inzwischen hat sich nun jemand gefunden wie das zusammenhängt, weiß ich nicht genau —, es hat sich ein entfernter Verwandter der Stifter gefunden. Es wurde nämlich ein gewisser Burghardi ermittelt, und der stellte Klage an auf Anerkennung seiner Berechtigung zu diesem Stipendium als Angehöriger der Familien. Der Prozeß wurde gegen die Stif⸗ tung angestrengt, er ist im Juni 1887 zu Gunsten des Klägers ent⸗ schieden. Die beklagte Stiftung war durch den Bürgermeister Horn vertreten, er hat die Klagebeantwortung gemacht, die Verwandt⸗ schaft bestritten es fehlte, wie ich glaube, aus den

ist aber der Anspruch des Burghardi als Verwandten anerkannt. Das Urtheil ist rechtskräftig geworden, und es ist ein Vergleich geschlossen zwischen ihm und der Stadt in Bezug auf die Vergangenheit. Kurz, es war ein Berechtigter da. Nachdem dieser Prozeß schon anhängig gemacht und die Klage⸗ beantwortung dem Bürgermeister Horn, als dem Ver⸗ treter der Stiftung, bereits dem Gericht überreicht war, hat Bürgermeister Horn noch die letzte Zahlung für seinen dritten Sohn erhalten, zwar nicht selbst angewiesen, aber Quittung dafür überreicht und zwar vor der Fälligkeit, am 4. Juni 1887. Fällig wurde die Rate erst am 1. Juli, der Prozeßtermin war am 23. Juli, und schon am 4. Juni hat Horn für das dritte Quartal den Betrag sich überweisen lassen. Im Zusammenhang mit diesem Prozeß kam nun eine Denunziation, daß der Bürgermeister Horn sich der Untreue schuldig gemacht habe. Die Sache wurde be⸗ trieben von demselben Rechtsanwalt, der die Erben ermittelt und vertreten hatte. Ich muß hier die Angaben des Herrn von Diest in so weit berichtigen, als der Staatsanwalt auf Grund der angestellten Ermittelungen die Anklage erheben wollte; er berichtete aber bei der Zweifelhaftigkeit der Sache an den Ober⸗Staatsanwalt in Naumburg, der darüber anderer Ansicht war und den Staats⸗ anwalt anwies, den Strafantrag zurückzuweisen. Gegen diesen Be scheid wurde von dem Anwalt, der inzwischen Pfleger der Stiftung geworden war, Beschwerde bei dem Ober⸗Landesgericht zu Naumburg erhoben; das Ober⸗Landesgericht war der Ansicht, daß nach den vorliegenden Thatsachen allerdings der Verdacht der Untreue begründet sei. Es beschloß die Erhebung der öffentlichen Klage, und so kam es zum formellen Strafverfahren. Dieses führte bei dem Landgericht Torgau zur Verurtheilung des Bürgermeisters Horn zu sechs Wochen Gefängniß wegen Untreue. Das Urtheil ist aufgehoben worden vom Reichsgericht wegen Verletzung

von

die Stadt selbst nutzbar zu machen, weil angenommen wurde,

prezeffualer und materieller Vorschriften, und es ist vollkommen richtis

Zeiten des dreißigjährigen Kriegs irgend ein Geburtsattest —, schließlich

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die Aufhebung dieses Urtheils begründet worden ist mit iner Schärfe, wie sie ganz ungewöhnlich, vielleicht auch nicht ganz einwandsfrei sein möchte. Ich trete Herrn von Diest vollständig darin bei, mir ist ein Urtheil in meiner Praxis och nicht vorgekommen, das in solcher Weise mit dem Urtheil des gandgerichts umgegangen wäre. Aber wenn Sie daraus vielleicht den Schluß ziehen möchten, daß das Landgericht zu Torgau leichtfertig und ohne genügende Ueberlegung bei der Sache zu Werke gegangen wäre, so würden Sie ihm Unrecht thun. Das Urtheil ist mit großer Sorg⸗ falt und nach den eingehendsten Erwägungen gefaßt, die mir vor⸗ Abschrift umfaßt 144 Seiten; es handelt sich darin um außerordentlich schwierige thatsächliche und rechtliche Fragen, und bei der Beurtheilung der Sache, zu der das Landgericht gelangt ist, steht es nicht allein. Es hatte den Ersten Staatsanwalt für sich, es hatte das Ober⸗Landesgericht in Naumburg für sich und auch, in ge⸗ wissem Grade wenigstens, das Ober⸗Verwaltungsgericht. Die Be⸗ urtheilung der Sache seitens des Ober⸗Verwaltungsgerichts deckt sich nicht mit der des Reichsgerichts. Ich führe das an, um das Eine wenigstens daraus folgern zu lassen, daß das Urtheil des Land⸗ gerichts doch wohl nicht so unbedingt verwerflich war. Es war Konflikt erhoben seitens der Regierung in Merseburg gegen die Er⸗ hebung der Anklage, darüber hat bekanntlich das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht zu entscheiden. Das Ober⸗Verwaltungsgericht hat es ab⸗ gelehnt, daß dieser Konfliktserhebung Folge zu geben sei, mit der Begründung, daß allerdings in thatsächlicher und rechtlicher Be⸗ jiehung das Verhalten des Bürgermeisters zu beanstanden sei, und daß keineswegs ohne weiteres angenommen werden könne, er habe richt in bösem Glauben und in Kenntniß der Verhältnisse gehandelt, daß vielmehr die Sache durchaus dazu angethan sei, dem ordentlichen Richter nicht entzogen zu werden. Ich glaube annehmen zu können, daß die Rechtsausführungen des Ober⸗ Verwaltungsgerichts mitbestimmend gewesen sind für das spätere Urtheil des Landgerichts. Mir fehlt ja nun selbstverständlich der Beruf, und es liegt mir vollständig fern, das Urtheil des Reichsgerichts einer Kritik zu unterziehen: auf Grund dieses Urtheils ist die Sache dem Land⸗ gericht in Halle überwiesen worden und es ist dort Freisprechung er⸗ folgt; für mich ist der Mann rechtskräftig freigesprochen und von dem Vorwurf der Strafbarkeit seines Handelns gereinigt. Ob moralisch sein Verhalten so vorwurfsfrei ist, wie hier dargelegt wird, darüber kann man verschiedener Meinung sein. Weil aber auf die moralische Seite der Sache auch Gewicht gelegt worden ist, und weil mit Rücksicht darauf, daß der Mann so vollkommen vorwurfsfrei und tadellos sei, an Ihr Mitleid, an Ihr gutes Herz appelliert worden ist, will ich hervor⸗ heben, daß mit der milden Auffassung der Regierung und des Re⸗ gierungs⸗Präsidenten in Merseburg die Ressortchefs doch keineswegs ganz einverstanden gewesen sind. Herr Bürgermeister Horn hat, nachdem seine rechtskräftige Freisprechung erfolgt war, ein Immediat⸗ gesuch an Seine Majestät gerichtet, in dem er an erster Stelle An⸗ stellung in dem Staatsdienst, an zweiter Stelle eine fort⸗ laufende Unterstützung und an dritter Stelle endlich eine Entschädigung aus dem Fonds für unschuldig Verurtheilte forderte. Darüber ist an Seine Majestät von dem Minister des Innern und dem Justiz⸗Minister, meinem Amtsvorgänger, im Einvernehmen mit dem Herrn Finanz⸗Minister berichtet worden. Auf Grund dieses Berichts hat das Gesuch keinen weiteren Erfolg gehabt, es ist zurück⸗ gewiesen worden. Ich bin selbstverständlich nicht in der Lage und auch nicht gewillt, aus den Voten der Minister etwas mitzutheilen, aber das Eine kann ich ohne Indiskretion sagen, daß die Beurtheilung der Sache abweichend war von der der Regierung in Merseburg. So liegt thatsächlich die Sache.

Wie ist nun der rechtliche Stand der Sache? Es wird jetzt von dem Bürgermeister Horn verlangt, daß ihm aus dem Fonds zur Ent⸗ schädigung unschuldig Verurtheilter eine Entschädigung zuerkannt werde, eine fortlaufende Entschädigung, die einigermaßen im Ver⸗ hältniß steht zu dem, was er durch seine vorzeitige Pensionierung an seinen früheren Gehaltsbezügen verloren hat. Es ist hier die Ausführung gefallen, daß der Fonds, aus dem die Entschädigung zu zahlen sei, ein Dispositionsfonds sei. Das ist nicht der Fall, sondern der Fonds hat eine ganz genau beschränkte Bestimmung. Kap. 80 Tit. 2a besagt: „Kosten, welche der Justizfiskus als Prozeßpartei zu zahlen oder zu erstatten hat; aus der Staatskasse zu zahlende Gebühren der Ver⸗ theidiger; den Beschuldigten gemäß §§ 499, 505 Strafprozeßordnung aus der Staatskasse zu erstattende nothwendige Auslagen und sonstige, Beschuldigten gewährte Vergütungen für die ihnen ohne ihr Verschulden aus dem Strafverfahren erwachsenen Nach⸗ theile.“ Der Fonds ist also bestimmt, Vergütungen zu gewähren für die einem Beschuldigten ohne sein Verschulden aus dem Straf⸗ verfahren erwachsenen Nachtheile. Meine Herren, darunter den vor⸗ liegenden Fall zu bringen, ist nach meiner juristischen Auffassung unmöglich; und ich glaube, daß die Königliche Staats⸗ regierung, ohne sich mit den Grundsätzen des Etatsrechts und ihrer verfassungsmäßigen Verantwortlichkeit in Widerspruch zu setzen, nicht in der Lage wäre, der beantragten Resolution, falls Sie dieselbe annehmen möchten, stattzugeben. Nur beiläufig bemerke ich, daß, wenn gesagt wird, dieser Fonds sei ja überreichlich bemessen, dies nicht zutreffend ist. Er ist überschritten worden im vorigen Jahre um 16 000 ℳ, im letzten Jahre um 15 000 Die Sache liegt nicht so, daß man darin frei wirthschaften und immer noch Geld übrig haben könnte.

Aber liegt denn überhaupt hier ein Nachtheil vor, der dem Bürgermeister Horn erwachsen ist ohne sein Verschulden aus dem Strafverfahren? ein Nachtheil, der mit diesem Strafverfahren in ursächlichem Zusammenhang steht? Ich glaube nicht; ich glaube, das kann in keiner Weise zugegeben werden. Der Bürger⸗ meister war verurtheilt worden, aber nicht rechtskräftig. Er selbst war, wie er erklärt, von seiner Unschuld überzeugt, er hatte das Rechtsmittel der Revision eingelegt und war, wie er in einer mir vor⸗ liegenden Schrift sagt, überzeugt, daß er mit diesem Rechtsmittel Erfolg haben und daß das Urtheil vom Reichsgericht vernichtet werden würde. Trotz alledem wartete er diese Entscheidung nicht ab, sondern ging dazu über, seine Pensionierung nachzusuchen, vielleicht unter dem Eindruck, daß er in der Stadt an Ansehen verloren habe, vielleicht unter dem Eindruck der ihm von der vorgesetzten Behörde gemachten Aeußerungen.

s war ein vollkommen freiwilliger Akt. Ich begreife es selbstverständlich vollkommen, daß ein Beamter unter

Eindrucke einer solchen Verurtheilung, die sein Ansehen beeinträchtigt, dazu kommt, auf sein Amt zu verzichten und

den Ort zu verlassen, wo er lange ein ehrenvolles Leben geführt hat,

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das jetzt mit einem Makel behaftet erscheint; aber es ist das doch Sache eines freiwilligen Entschlusses, und für die Folgen dieses Ent⸗ schlusses den Staat verantwortlich zu machen, geht über das hinaus, wozu wir berechtigt sind. Ich muß aufmerksam machen auf die Konsequenzen, die aus einer solchen Entscheidung gezogen werden könnten. Ja, meine Herren, der Fall kann alle Tage vor⸗ kommen, daß ein angesehener Bürger auf Grund einer nach seiner Meinung unberechtigten Anklage in erster Instanz verurtheilt wird, und sich nun entschließt, Haus und Hof zu verschleudern und mit seiner Familie in weite Ferne zu ziehen; aber er beruhigt sich nicht bei dem Urtheil und verfolgt das zulässige Rechtsmittel, und wenn er nun in der höheren Instanz seine Freisprechung erreicht und dann kommen wollte und sagen: ich habe unter dem Eindruck des Makels, der mir angeheftet wurde, mein Vermögen verschleudert, bitte mich dafür aus dem Fonds für unschuldig Verurtheilte zu ent⸗ schädigen, so wüßte ich nicht, wo die Grenzen zu ziehen wären. Wir kämen dahin, daß jedes später aufgehobene Urtheil erster Instanz eine Verantwortlichkeit des Staats begründen würde für diejenigen Entschlüsse, die von dem Verurtheilten unter dem Eindruck eines solchen Urtheils gefaßt sind. Das, meine Herren, geht zu weit, und ich möchte glauben, daß Sie nicht ein Ansinnen von solcher Tragweite an die Königliche Staatsregierung stellen können. Ich sage also, die Königliche Staatsregierung wird nicht in der Lage sein, einer solchen etwa von Ihnen zu fassenden Resolution Folge zu geben, und ich würde es gern sehen, wenn trotz aller hier für die Resolution vorgetragenen Ausführungen ein solcher Beschluß von diesem hohen Hause nicht gefaßt würde.

Ober⸗Bürgermeister Westerburg wies darauf hin, daß der einmal Verurtheilte nicht habe Bürgermeister bleiben können. Das Reichsgericht habe seine Unschuld festgestellt, und deshalb sei es auch angebracht, ihm aus dem Fonds für unschuldig Verurtheilte eine Entschädigung zu gewähren.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Daß die Fonds der milden Stiftungen nützlich verwendet werden müssen, diese Ansicht theile ich vollkommen mit dem Referenten. Es ist auch dafür gesorgt, daß sie im vorliegenden Falle nützlich verwandt werden. Es hat sich inzwischen eine ganze Reihe von Verwandten gefunden, die ihre Berechtigung zu der Stiftung dargelegt haben. Der eine hatte sich bereits im Jahre 1884 gemeldet, ein anderer Berechtigter war schon vorher von seiten des Kreisgerichts bezeichnet worden, ein gewisser Vogel. Diese Anmeldungen waren bei Seite geschoben; es war ihnen keine weitere Folge gegeben. Also verwandt wird die Stiftung, da liegt keine Gefahr vor.

Daß die preußische Staatskasse die Zuwendung an den Petenten ertragen könnte, unterliegt ebenfalls keinem Zweifel; es fragt sich nur, ob der Staat eine derartige Verpflichtung prinzipiell über⸗ nehmen kann, und das muß ich nach wie vor bestreiten. Bei der ganzen Frage, die so vielfach die Gemüther bewegt hat, von der Entschädigungspflicht des Staats gegenüber unschuldig Verurtheilten, ist nur die Rede gewesen von rechtskräftig Verurtheilten, die nicht im Wege der Rechtsmittel die Verurtheilung zu beseitigen im stande sind; darüber hinauszugehen ist noch nie verlangt worden und wird nicht verlangt werden können; es wäre unabsehbar, wohin das führen sollte. Im übrigen, wenn der Herr Referent sagt, es hätte sich nur um Mangel an Takt gehandelt, so sehe ich mich doch genöthigt, so leid es mir thut, eine Stelle aus der Aeußerung eines der Herren Ressort⸗Minister zu verlesen, die enthalten ist in dem auf das Gnadengesuch des Bürgermeisters Horn erstatteten Immediatbericht, also eine Aeußerung nicht des Justiz⸗Ministers, sondern eines anderen Ministers, dem die ganzen Akten vorgelegen haben. Die geht dahin:

„Möge die Handlungsweise des Horn auch nicht den That⸗ bestand der Untreue in strafrechtlichem Sinne erfüllt haben und des⸗ halb die Freisprechung seitens des Strafrichters gerechtfertigt sein, so müsse doch sein Verhalten als Verwalter der Prager'schen und Unruh'schen Stiftung vom moralischen Standpunkt einer strengen Mißbilligung unterliegen, und es bleibe auf ihm mindestens haften, daß er durch wiederholte Zuwendungen nicht unbedeutender Sti⸗ pendien an seine Söhne eigennützig gehandelt habe und jedenfalls vom disciplinarischen Standpunkt eine ernste Ahndung hätte er⸗ fahren müssen, wenn er im Dienste verblieben wäre. Auch sei Horn infolge der Verurtheilung durch das Landgericht nicht genöthigt gewesen, sein Amt als Bürgermeister niederzulegen; es hätte genügt, wenn er seine einstweilige Enthebung von dem Amte nachgesucht und seine weitere Entschließung von dem Erfolge des von ihm gegen die verurtheilende gerichtliche Ent⸗ scheidung eingelegten Rechtsmittels abhängig gemacht hätte.“

So liegt die Sache. Horn hat sich übereilt und muß nun die Folgen, die dadurch für seine Person eingetreten sind, tragen.

Graf von Schlieben meinte, daß der Bürgermeister Horn ebenso beurtheilt werden müsse wie ein rechtskräftig Verurtheilter. Er sei völlig schuldlos, das Reichsgericht habe das erste Urtheil des Torgauer Gerichts auf das Schärsste verurtheilt. Aus juristischen Gründen könne man die Entschädigung nicht ablehnen.

Justiz⸗Minister Schönstedt:

Meine Herren! Nur noch ein paar Worte.

AIZluristische Bedenken habe ich in Bezug auf die Hauptfrage selbst nicht erheben wollen. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß ich mich einer Kritik des reichsgerichtlichen Urtheils bezüglich der Frage, ob darnach die Freisprechung des Horn mit Recht erfolgt sei, enthalte. Die juristischen Bedenken liegen für mich auf etatsrecht⸗ lichem Gebiete, ob nämlich aus dem hier in Anspruch genommenen Fonds die Entschädigung gezahlt werden kann. Diese Frage habe ich verneint und muß sie verneinen nach dem vorgelesenen Wortlaut der hier in Rede stehenden Etatsposition.

Ich wiederhole: aus dem Strafverfahren ist dem Bürgermeister Horn der Nachtheil nicht erwachsen, und wenn ich trotzdem in einem Falle, wie er hier liegt, eine solche Entschädigung zahlen würde, so würde die Ober⸗Rechnungskammer das ohne allen Zweifel beanstanden, und ich weiß nicht, ob ich nachher die Indemnität von seiten der beiden Häuser des Landtags bekommen würde. (Zuruf: Von uns ja!) Das ist für mich die juristische Seite der Sache.

Nachdem Herr von Diest nochmals für die Entschädigung des Horn eingetreten, wurde der Kommissionsantrag angenommen.

Die Denkschrift über die gemäß § 20 des Gebäude⸗ steuergesetzes vom 21. Mai 1861 ausgeführte zweite Revision der Gebäudesteuerveranlagung wurde nach dem An⸗ trage des Berichterstatters für den Staatshaushalts⸗Etat und für Finanz⸗Angelegenheiten Freiherrn von Durant durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt.

Ueber eine Petition um Ergänzung bezw. authen⸗ tische Interpretation des § 9, I 3 und 4 des Ein⸗ kommensteuergesetzes vom 24 Juni 1891 in der Rich⸗ tung, daß die Abeegefäbigkeie der Grund⸗ und Gebäudesteuer sowie des von den Kirchengemeinden erhobenen Realdezems bei der Steuerveranlagung festgestellt wird, ging das Haus zur Tagesordnung über, ebenso über eine Petition um Abänderung des § 1 Abs. 5 des Einkommensteuer⸗ - vom 24. Juni 1891 in der Richtung, daß alle

onsumvereine mit offenem Laden in Zukunft einkommensteuer⸗ pflichtig werden.

Damit war um 4 ¼ Uhr die Tagesordnung erledigt.

Nächste Sitzung unbestimmt.

Haus der Abgeordneten. 68. Sitzung vom Montag, 20. Mai.

Auf der Tagesordnung stand der Antrag Dr. Arendt und Genossen: Die Staatsregierung aufzufordern, den Reichs⸗ kanzler zu ersuchen, ungesäumt und nachdrücklich alle diejenigen Schritte zu thun, welche geeignet sind, zu einer inter⸗ nationalen Regelung der Währungsfrage mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus zu führen.

Abg. Rintelen beantragte die Streichung der Worte „mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus“.

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Mein Antrag betrifft zwar einen Gegenstand, der der Reichsgesetzgebung unterliegt, aber doch ist gerade in diesem Fall ein Versuch zur Beeinflussung der preußischen Regie⸗ rung gerechtfertigt. Der Reichstag hat einen Antrag bezüglich der Währungsfrage angenommen, aber der Bundesrath ist bis jetzt aus den „Erwägungen“ noch nicht herausgekommen, während doch die wirthschaftliche Lage eine Verwirklichung erheischt. Wir legen das Hauptgewicht auf den ersten Theil, während im Herrenhause leider das Gewicht auf den zweiten Theil gelegt wurde, namentlich auf seiten der Regierung. Die Agitation für Streichung des letzten Absatzes, der nur das klarer ausspricht, was der Reichstagsbeschluß beabsichtigt, ist nur ein taktisches Manöver der Goldwährungspartei, die mit offenen Waffen nicht mehr kämpfen kann. Schon im Staatsrath verfuhr man nicht mehr offen, und ebenso im Herrenhause, wo man beantragte, die Worte „mit dem Endziel eines internationalen Bimetallismus“ zu streichen. Der Minister⸗Präsident befürwortete diesen Antrag, und es ist wohl das erste Mal, daß ein von der Regierung befürworteter Antrag im Herrenhause gefallen ist. Im Herrenhause wie im Staats⸗ rath hat die Goldwährungspartei eine Niederlage erlitten. Die Herren, die diese Streichung vornehmen wollen, müssen doch ein Programm vorlegen, wie sie sich eine internationale Regelung der Währungsfrage ohne Bimetallismus denken. Ich kann mir eine solche Regelung

nicht denken. Wir wollen nicht allein Hebung, sondern auch Fest⸗

legung des Silberpreises, damit das Silber der Spekulation entzogen Silbers ist nicht die Ueberproduktion ächlich wird

werde. An dem Sinken des 1

von Silber schuld; denn tha garnicht so un⸗ geheuer viel Silber produziert angesichts des großen Bedarfs der Menschheit an Silber. Für die Münzbedürfnisse der ganzen Welt bleiben bei der jetzigen Produktion nur 1 ½ Millionen Kilogramm übrig, also 1 auf den Kopf der Bevölkerung nach dem alten Silberpreise. Ueberdies wird die Produktion bald abnehmen, da heute bei der technischen Vervollkommnung der Produktion die Silberminen leichter erschöpft werden. In Nevada sind die Silberminen bereits erschöpft, und in Transvaal sowie in Nord⸗Amerika wird das demnächst der Fall sein. Das reichste Silberbergwerk in Australien wird in einigen Jahren, nicht mehr produzieren können wegen Erschöpfung. Die Goldproduktion hat sich in wenigen Jahren verfünfzehnfacht, und doch ist Gold nicht billiger geworden, die Produktionsverhält⸗ nisse können also an den Preisen nicht schuld sein. Gott schütze das Vaterland vor einem Krieg unter der „bewährten“ Gold⸗ währung. Die Ephraimiten waren ein gutes, vollgültiges Geldstück im Vergleich zu den heutigen unterwerthigen Fünfmarkstücken. Das deutsche Nationalvermögen wird durch die Unterwerthigkeit des Silbers um 2 Milliarden Mark geschädigt, und außerdem geht der ganze Silberbergbau zu Grunde. Der deutsche Export erleidet die schwersten Nachtheile, und da befürwortet man die Goldwährung mit den Interessen des Exports. Wir wollen keine schwankende, sondern eine stabile Valuta, die deutschen Landwirthe wollen sich eben nicht auf Kosten anderer Kreise bereichern. Die Doppelwährung würde auch die allgemeinen Preisverhältnisse günstig beeinflussen, denn steigende Silberpreise haben auch steigende Waarenpreise zur Folge. Auch die gesammte Landwirthschaft hat Vortheil von der Doppel⸗ währung. Wir wollen die Münze nicht verschlechtern, sondern sie gerade durch die Herstellung fester Prägeverhältnisse, voll⸗ werthiger Münzen verbessern. Was der Staat jetzt an Silber produziert, sind doch Scheidemünzen. Durch die Doppel⸗ währung wird die Agiotage nicht, wie von den Goldwährungs⸗ männern behauptet wird, begünstigt, sondern gerade beseitigt, das be⸗ weist doch wohl das Eintreten der Banquiers für die Goldwährung. Die Rothschilds sind ebenfalls nicht Anhänger der Doppelwährung, nur der Pariser Rothschild hat im Falle der Einführung der Gold⸗ währung in Frankreich eine Krisis in Aussicht gestellt. Der Bank⸗ direktor Russell hat behauptet, der Rückgang der Waarenpreise in⸗ folge der Goldwährung sei ein Zeichen von Kulturfortschritt. Wenn das wahr wäre, so müßte Rußland auf einer höheren Kulturstufe stehen als England. Die Silberländer wissen von einer wirthschaftlichen Krisis nichts. Wir wollen eine stabile Währung, die Währungseinheit der Welt, und Deutschland muß die Initiative ergreifen. Angesichts der gegenwärtigen Haltung des englischen Unterhaufes, der Haltung der franzö⸗ sischen Regierung wird sich eine internationale Regelung der Währungsfrage leicht herbeiführen lassen, zumal der kommende Mann in England, Balfour, Anhänger der Doppelwährung ist; denn dieser hat am 3. April eine Rede zum ersten Male nicht in seinem eigenen Namen, sondern im Namen seiner Partei gehalten. Die Ein⸗ führung der Doppelwährung ist das beste Gesetz gegen den Umsturz, und die sechzig Kommerzien⸗Räthe des Gold⸗ währungsvereins arbeiten nur der Sozialdemokratie in die Hände. Die Wahrheit des Bimetallismus wird doch durchdringen. Die Behauptung des Reichsbank⸗Präsidenten Koch, Herr von Dechend sei kein Anhänger der Deppvelwährung gewähren, ist ein Irrthum. Denn ohne Herrn von Dechend säße ich nicht hier. Herr von Dechend hat mich selbst bewogen, meine Vorbereitungen zur aka⸗ demischen Laufbahn zu unterbrechen, nach Berlin zu ziehen, um mich hier zu popularisieren und die herrschende Unwissenheit in der Währungsfrage zu beseitigen. Wenn Herr Koch davon nichts weiß, so liegt das wohl daran, daß er als früherer Justitiar der Reichsbank von wirthschaftlichen Fragen keine Kenntniß hat. Der Bime⸗ tallismus ist keine agrarische Forderung, sondern eine For⸗ derung aller produzierenden Stände. Wenn die Regierung die Doppelwährung ablehnt, so heißt das, sie über⸗ läßt die Landwirthschaft sich selbst und will ihr nicht helfen; dann stehen wir vor einer Katastrophe, bei der nicht bloß die Landwirthschaft, sondern der ganze Staat zu Grunde geht. Die Re⸗ gierung hat die Wahl, auf welchen Weg sie treten will: auf seiten der Sozialdemokratie oder der produzierenden Stände. Möge ihre Entscheidung zum Wohle des Vaterlandes ausfallen.

Inzwischen war ein Antrag des Abg. Freiherrn von Fedtt und Neukirch (fr. kons.) eingegangen: hinter dem Wort „Bimetallismus“ in dem Antrage Arendt die Worte „einschließlich England“ einzuschalten.

Abg. von Eynern (nl.): Der Gegenstand, der uns hier be⸗ schäftigt, ist ein Gegenstand der Reichsgesetzgebung. Wenn Ab Arendt seine Rede hier hält, so geschieht dies, weil es ihm noch nicht

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gelungen ist, bh Rede im Reichstag halten zu können. Sein