Kiel, 30. Juni. Die italienischen Kriegsschiff Re Umberto“, „Andrea Doria“, „Stromboli“ und „Aretusa“ sind vorgestern aus dem großen Belt nach Portland weiter⸗ gefahren. Die „Sardegna“, „Etruria“ und „Partenope“ setzten gestern die Reise dahin fort. — Die amerikanischen Kriegsschiffe „New⸗York“, „Columbia“ und „Marblehead“ haben gestern den Kieler Hafen verlassen. Das Kriegsschiff San Francisco“ ist noch dort verblieben.
8 . Württemberg.
Die Kammer der Abgeordneten hat in ihrer Sitzung vom 28. v. M. den Antrag des Abg. Eckard angenommen, wonach die Regierung ersucht wird, in jeder Etatsperiode eine Statistik über die Arbeiterverhältnisse in den staatlichen Betrieben anfertigen zu lassen und sie mit dem Entwurf des Z“ dem Landtag mitzutheilen. In dieser Statistik soll insbesondere die Dauer der täglichen Arbeitszeit nach Arbeiterkategorien unter Berücksichtigung der Ueberstunden und der Nachtarbeit, sowie die Dauer der Sonntagsruhe, ferner die Höhe des Arbeits⸗ lohnes, die Fristen und Tage der Lohnzahlung, Abschlags⸗ zahlung und Abrechnung, die Zahl und das Alter der neu⸗ bezw. wiedereingestellten und der entlassenen Arbeiter ange⸗ geben werden.
Baden.
Wie die „Badische Landeszeitung“ meldet, hielt Seine Königliche Hoheit der Großherzog bei dem gestern in Rei⸗ lingen abgehaltenen Gau⸗Verbandsfest des Militär⸗ gaues Schwetzingen eine längere Ansprache. Nach einem Rückblick auf die seit Entstehung des Reichs nunmehr ver⸗ gangenen 25 Jahre schloß der Großherzog:
„Manches ist wohl geschaffen, aber viel ist noch übrig zu thun. Aber keine Kraft, keine Macht ohne Anstrengung und Hingebung, und diese Hingebung ist nur dann möglich, wenn ein festes Ganzes ge⸗ schaffen ist, das dazu beiträgt, das Geschaffene zu erhalten. Dafür müssen wir Opfer bringen; denn Großes können wir nicht schaffen, ohne Opfer zu bringen, ohne alles hinzugeben, wenn es Noth thut. Ich weiß sehr gut, daß Sie meine Weorte richtia verstehen; Sie alle sind Soldaten gewesen und wissen, was es heißt, sich hinzugeben mit ganzer Liebe, ganzer Treue. Sie wissen, was es heißt, auch Blut herzugeben, wenn es nöthig wird, ohne zu fragen warum. Der Gehorsam ist blind, ein bewußter, weil der Soldat mit ganzem Bewußtsein gehorsam sein, mit ganzem Bewußtsein sich dieser Pflicht hingeben muß. Nur dann vermögen wir Großes zu leisten und ist jederzeit Großes geleistet worden auf dieser Grundlage. Erhalten wir diese Grundlage, thun wir alles, was nöthig ist, um sie zu erhalten, und vermeiden wir das, was heute schon so viel verdorben hat. Ich berühre das nur kurz, aber ich kann es nicht umgehen. Das Parteileben hat vieles in Deutschland ver⸗ dorben. Das Parteiinteresse geht manchmal viel höher als das Interesse des Reichs. Die rechte Partei ist nur diejenige, welche sich wahrhaft national nennen kann, welche alles hingiebt, wenn es noth thut, und nicht darnach fragt, was drum und dran hängt. Dabei dürfen wir nicht persönlich werden, alles muß sachlich sein. Wir müssen das Bewußtsein heben und im Volke pflegen, daß nur mit der nationalen Größe die Größe und das Wohl des einzelnen Landes zu erhalten ist. Darum, meine Freunde, sprach ich vorhin von der Vergangenheit — Sie müssen sie erlebt haben, wie ich sie erlebt habe, da es kein großes Vaterland gab. Vergessen wir nicht, daß es anders war und daß es Leute giebt, welche die früheren Verhältnisse wieder herbeizuführen wünschen und die Schwäche des Reichs wieder zu schaffen. Ich mahne zur Einigkeit nach allen Richtungen. Ver⸗ meiden Sie jedwede Partei, welche nicht auf nationaler Grundlage steht. Nationale Grundlage heißt: Erhaltung des Reichs, Unter⸗ süüötzung des Kaisers, Einhelligkeit des Heeres und damit Erhaltung der Kraft der Nation.“ 8 1u“
Seine Königliche Hoheit schloß mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser.
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.
Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin sind am Sonnabend von Allstedt wieder in Schloß Belvedere bei Weimar eingetroffen.
Der Landtag ist am Freitag auf unbestimmte Zeit ver⸗ tagt worden. 16“ “
Sachsen⸗Altenburg. G
Der Landtag, der bereits am Freitag eine vorbereitende Sitzung behufs Wahl von drei Kandidaten für das Amt der Land⸗ tags⸗Präsidenten abgehalten hatte, wurde vorgestern durch einen Gottesdienst im großen Schloßsaale zu Altenburg feierlich eröffnet. Seine Hoheit der Herzog war dazu mit Seiner Durchlaucht dem Prinzen Moritz erschienen. Nach dem Gottesdienst be⸗
aben sich die Anwesenden nach dem Kirchensaale, wo der erzog die Abgeordneten mit Ansprachen beehrte und sich die neuen Mitglieder vorstellen ließ. Am Nachmittag kehrte der Herzog wieder nach Hummelshain zurück. Durch Herzoglichen Erlaß ist der vom Landtag vorgeschlagene Abg. Oßwald zum Landtags⸗Präsidenten für die Periode 1895 —97 und der Abg. von Kropff zum Vize⸗ be ernannt worden. Mittags eröffnete der Staats⸗
inister von Helldorf den Landtag. Der Präsident Oß⸗ wald hob in einer Ansprache hervor, daß der Landtag jetzt in einem würdigen Hause tage, und sprach den Wunsch aus, daß die Berathungen, die in diesem geführt werden würden, dem Lande zum Segen gereichen möchten. Er schloß mit einem Hoch auf Seine Hoheit den Herzog. 8
Sachsen⸗Coburg⸗Gothaa.
Die Gesetz⸗Sammlung für das Herzogthum Gotha ver⸗
öffentlicht die Gesetze über die Besteuerung der Wander⸗
lager, die Abänderung der Grundbuchordnung
und die Abänderungen des Gesetzes vom 10. Januar 1854, betreffend die Einkommen⸗ und Klassensteuer.
“
Die Kaiserin ist gestern Abend nach einem vierwöchigen Kurgebrauch in Oberhetzendorf von dort nach Bartfeld in Ungarn abgereist. Der Kaiser begleitete Allerhöchstdieselbe zum Bahnhof und kehrte nach herzlicher Verabschiedung nach
Lainz zurück.
Der Kaiser hat, wie „W. T. B.“ aus Budapest be⸗ richtet, das Inkrafttreten der Kirchengesetze zum 1. Oktober und die bezüglichen Ausführungsverord⸗ nungen, welche bereits morgen publiziert werden sollen, ge⸗ nehmigt. In letzteren wird den Standesbeamten zur Pflicht gemacht, die Parteien darauf hinzuweisen, daß mit der Eheschließung im Standesamt und mit der Eintragung der Geburten in die Staatsmatrikeln die Pflichten gegen die Kirche noch nicht erfüllt seien.
Die Budapester Blätter legen der Ernennung erblicher Pairs große politische Bedeutung bei. Da im kommenden Monat
abermals vier erbliche Barone ernannt werden würden, vollziehe sich ein gründlicher Umschwung des Stimmverhältnisses im Oberhause zu Gunsten der Von unterrichteter Seite wird mitgetheilt, daß diese Ernennungen nicht im direkten Hinblick auf die kirchenpolitische Frage erfolgt seien; es sei jedoch zweif llos, daß dieselben der Regierung bei den im Herbste bevorstehenden Verhandlungen über die kirchen⸗ politischen Gesetze im Oberhause zu gute kommen würden.
Großbritannien und Irland.
Die Mitglieder des zurückgetretenen Ministeriums begaben sich am Sonnabend Nachmittag nach Windsor, um der Königin ihre Amtssiegel auszuhändigen, welche die neuen Minister unmittelbar darauf in Empfang nahmen.
Anläßlich des Rücktritts des Kabinets Rosebery werden zahlreiche Auszeichnungen gemeldet. So sind der bigherige Vize⸗König von Irland, Lord Houghton und der bisherige Lord⸗Kämmerer Lord Carrington zu Earls, der bis⸗ herige Ackerbau⸗Minister Herbert Gardner und der frühere Gouverneur der Kapkolonie Sir Henry Loch zu Baronets ernannt worden. Der bisherige Staatssekretär für Indien Fowler wurde zum Großkomthur des Ordens des Sterns von Indien ernannt und dem zurückgetretenen Kriegs⸗Minister Campbell⸗Bannerman das Großkreuz des Bath⸗Ordens verliehen. Ferner wurden der General⸗Konsul in Sansibar Hardinge, der Professor der Geologie Judd und der durch sein Wirken in Uganda bekannte Kapitän Luggard zu Rittern des Bath⸗Ordens exrnannt. Dem Lord⸗Mayor von London Joseph Renals wurde die Baronetwürde verliehen.
Frankreich.
In der vorgestrigen Sitzung der Deputirtenkammer interpellierte der Deputirte Jaurés (Sozialist) die Regierung über ihre innere Politik und beschuldigte sie, den Kampf gegen die Sozialisten fortzusetzen. Er warf dem Kabinet vor, daß es im Senat eine Vorlage durchbringen wolle, durch welche den Arbeitern das Strikerecht entzogen werden solle. Redner verlangte sodann ver⸗ schiedene Reformen im sozialistischen Sinne. Der Deputirte Jourdan (radikal) forderte die Regierung auf, sich auf die Radikalen zu stuͤtzen. Der Deputirte Deschanel wies Hennnh die sozialistischen Theorien zurück. Der Minister⸗ Präsident Ribot wies nach, daß die Sozialisten keine einzige praktische Reform vorgeschlagen oder durchgeführt hätten, und erklärte sich zur Erörterung der praktischen Reformen bereit, welche Jaurès etwa vorbringen würde. Die Regierung habe stets loyal dem Lande gedient und die Ordnung aufrecht erhalten, ohne Gewalt auszuüben. Sie wolle nicht, daß die Syndikats⸗ kammern Mittelpunkte des politischen Hasses seien. Der Minister⸗ Präsident stellte die Vertrauensfrage und appellierte an die Ver⸗ einigung der Republikaner, um den Erfolg der Reformen herlanstabren Die einfache Tagesordnung wurde mit 354
egen 148 Stimmen abgelehnt und eine von dem Minister⸗
Flafidenten Ribot genehmigte Tagesordnung mit 332 gegen 83 Stimmen angenommen, welche das Vertrauen zu der Re⸗ gierung ausspricht, daß sie den sozialistischen Lehren Wider⸗ stand leisten und durch die Vereinigung der Republikaner die demokratischen Reformen zur Ausführung bringen werde. Hierauf wurde die Sitzung geschlossen. 8 “
Die Zollkommission unter dem Vorsitze Möéline’s berieth am Sonnabend das Uebereinkommen mit der Schweiz. Einige Mitglieder der Kommission machten Einwendungen. Méline erkannte an, daß der Entwurf vortheilhafter sei, als derjenige vom Jahre 1892. Die Kommission beschloß, am Dienstag Erklärungen der Regierung entgegenzunehmen.
Bei einem am Sonnabend in Nantes abgehaltenen Bankett der dortigen Handelskammer hielt der Handels⸗Minister Lebon eine Rede, worin er hervorhob, der Handel Frank⸗ reichs habe seit 20 Jahren keine Fortschritte gemacht, während England und namentlich Deutschland wichtige Absatzwege ge⸗ schaffen hätten. Die Ursache hierfür sei nicht in dem gegenwärtigen wirthschaftlichen Regime zu suchen, sondern in den zu hohen Preisen der französischen Produkte. Um dem abzuhelfen, müsse man die Industrie ermuthigen, Waaren nach dem Geschmack der betreffenden Länder anzufertigen; außerdem müsse man den Kredit erleichtern und Handelskammern im Auslande gründen. 8
Die Regierung hat dem „W. T. B.“ zufolge beschlossen, diejenigen Priester zu verfolgen, welche gemeinsame Kund⸗ gebungen gegen das Gesetz über die Anfallssteuer ver⸗ anstalten würden.
Italien.
In der Deputirtenkammer lenkte vorgestern Imbriani bei der Berathung des Budgets die Aufmerksamkeit der Re⸗ gierung auf die Schiffahrts⸗Linie des Oesterreichisch⸗ Ungarischen Lloyd von Venedig nach Bombay); er be⸗ zeichnete es als politisch schädlich, daß die österreichische Flagge unbestritten in der Adria dominiere. Der Minister für Posten und Telegraphen Ferraris erwiderte, er halte es für unzweifelhaft geboten, die Bedeutung der italienischen Flagge im Adriatischen Meere wieder⸗
erzustellen. Der Weubewerb mit der österreichischen Flagge sei jedoch gegenwärtig besonders schwierig, da Oester⸗ reich⸗Ungarn sich in einer Periode finanzieller Erstarkung be⸗ finde und die Kräfte Italiens in Genua und dem Mittelmeer kon⸗ zentriert seien. Kraft der bestehenden Verträge könne der Oesterreichisch⸗Ungarische Lloyd von Venedig ebensowenig aus⸗ geschlossen werden, als der Norddeutsche Lloyhd von Genua. Es würde das übrigens auch geradezu schädlich sein.
Der „Tribuna“ zufolge soll der Ministerrath sich ein⸗ stimmig dahin erklärt haben, daß nach dem Urtheil des Kassationshofs die Angelegenheit Giolitti aus einer Rechtsfrage eine politische geworden sei und das Vorgehen bezuüglich dessen Versetzung in den Anklagezustand ausschließlich der Kammer vorbehalten bleiben müsse. 1
„W. T. B.“ meldet, in vatikanischen Kreisen werde ver⸗ sichert, daß der Papst ein Schriftstück vorbereite, welches an die Nuntien gerichtet werden solle und einen erneuten Protest gegen die für den 30. September geplanten Festlichkeiten
enthalte. Türkei.
Auf erneutes dringendes Ansuchen Frankreichs, Groß⸗ britanniens und Rußlands um Aufklärung mehrerer unklarer Punkte in der Antwortnote der Pforte, was türkischer⸗ seits auf Rechnung der ungenauen französischen Ueber⸗ tragung des Ursprungstextes gesetzt wird, hat sich, wie „W. T. B.“ meldet, in Konstantinopel eine Kommission unter dem Vorsitz Durkhan Paschas gebildet, die aus den Ministern der Justiz, des Innern und des Unterrichts sowie dem Großvezier und seinem Unter⸗Staatssekretär besteht und
über eine neue Fassung der fraglichen Punkte berathen soll. Ein Termin für die Erstattung der Aufklärung wurde weder verlangt noch zugesichert. 8 8 Ein britisches Geschwader ist am 28. Juni in Rhodus eingetroffen. Serbien. Die Einberufung der Skupschtina auf den 6. Juli (n. St.) nach Belgrad zu einer außerordentlichen Sitzung ist vorgestern amtlich bekannt gemacht worden.
Schweden und Norwegen.
Das spanische Geschwader und das rumänische Panzerschiff „Elisabeta“ sind aus Kiel in Stockholm ein⸗ getroffen. Der König empfing am Sonnabend den spanischen Admiral sowie die Chefs der spanischen Schiffe und den Kom⸗ mandanten der „Elisabeta“ in Audienz; zu Ehren derselben
fand dann auf Schloß Drottningholm ein Festmahl statt.
Amerika.
Die Einnahmen der Vereinigten Staaten beliefen sich im Juni auf 24 001 584 Dollars, die Ausgaben auf 31 738 272 Dollars. 8
Der vormalige Präsident von Brasilien, Marschall Peixoto ist vorgestern Abend in Divisa, im Staat Minas⸗ Geraes, gestorben. Die Leiche wird zur Beisetzung nach Rio de Janeiro gebracht werden.
Afrika. Der General Duchéèsne meldet telegraphisch, daß Tsarasoatra, welches etwa 20 km südlich von Suberbieville auf der Route nach Tananarivo liegt, am 21. d. M. ohne Verluste eingenommen worden sei. Das gecharterte Schiff „Notre Dame du Salut“ habe Majunga auf der Ausreise nach Toulon mit 334 zurückberufenen Soldaten an Bord verlassen.
Parlamentarische Nachrichten.
Die heutige (83.) Sitzung des Hauses der Abge⸗ ordneten, welcher der Finanz⸗Minister Dr. Miquel bei⸗ wohnte, eröffnete der Präsident von Köller um 11 ¼ Uhr.
Bei der dritten Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend den Erwerb der Weimar⸗Geraer Eisenbahn, der Werra⸗Eisenbahn und der Eisenbahnen von Eisfeld nach Unterbrunn und von Hildburghausen nach Friedrichshall, erklärte auf eine Anfrage des Abg. Hammacher (nl.) der
Finanz⸗Minister Dr. Miquel, daß bezüglich der ersparten Amortisationsbeträge bei den in Rede stehenden Eisenbahnen nicht anders verfahren werden solle als in früheren Fällen, d. h. daß diese Beträge zur außerordentlichen Schuldentilgung verwendet werden würden.
Der Gesetzentwurf wurde angenommen; desgleichen in dritter Lesung der Gesetzentwurf, betreffend den Uebergang der zum früheren Berlin⸗Görlitzer Eisenbahnunternehmen ge⸗ hörigen Strecke Zittau⸗Nikrisch in das Eigenthum des sächsischen Staates, und der durch die vorgenannten Gesetze bedingte Nachtrags⸗Etat.
Das Haus ging sodann zur dritten Berathung des Gesetzentwurfs wegen Errichtung von Verpflegungs⸗ stationen über. 3 1
Seitens der Abgg. Freiherrn von Erffa (kons.), Greiß (Zentr.,, Hamann (Zentr.), Langerhans (fr. Volksp.), von Pappenheim (kons.), Lotichius (nl.), Seyffarthe nl.) waren Kompromißanträge eingebracht worden, die im wesentlichen den Staatszuschuß (§ 3) wieder streichen und zwei Drittel der Kosten der Provinz auferlegen und ferner den Beschluß zweiter Lesung zu § 2, wonach die Entscheidung über die Einrichtung von Verpflegungsstationen und der Erluß von Vorschriften für dieselben Sache der Provinz sein soll, dahin einschränken wollten, daß die zu erlassenden Vorschriften der Genehmigung des Ministers des Innern bedürfen.
Ein hierzu gestellter Unterantrag des Abg. Freiherrn von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) überließ dem Pro⸗ vinzialausschuß auch die Entscheidung darüber, ob über⸗ haupt Verpflegungsstationen eingerichtet werden sollen.
Die Abgg. Brockhausen und Winkler (kons.) be⸗ antragten: den Gesetzentwurf abzulehnen und die Re⸗ gierung zu ersuchen,
den Entwurf den Provinzial⸗Landtagen zur Begutach⸗ tung vorzulegen und dieselben darüber zu hören, ob und even⸗ tuell welche Maßnahmen zur Beseitigung der Wanderbettelei er⸗ forderlich erscheinen. 1
Aehnlich beantragten die Abgg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch, Brütt und von Voß (fr. kons.):
Nach Ablehnung des 5 1 1 die Regierung zu ersuchen, die Provinzial⸗Landtage über die Ein⸗ richtung von Verpflegungsstationen im Zusammenhange mit anderen Maßnahmen zur Bekämpfung der Vagabondage und der Wander⸗ bettelei, insbesondere der Errichtung des Arbeitsnachweises und der Einrichtung von Arbeitskolonien, eee zu hören.
Das Wort ergriff zunächst der Geheime Regierungs⸗Rath
von Trott zu Solz. (Schluß des Blattes.)
—=— Bei der Reichstags⸗Stichwahl im 3. Kösliner Wahlkreise (Köslin, Kolberg⸗Körlin, Bublitz) erhielten, dem „W. T. B.“ zufolge, Benoit (fr. Vg.) 9143, von Gerlach (kons.) 7433 Stimmen.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
In Bezug auf § 690 Abs. 1 der 1“ „Behauptet ein Dritter, daß ihm an dem Gegenstande der Zwangsvollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, so ist der Widerspruch gegen die Zwangsvoll⸗ streckung im Wege der Klage bei dem Gericht geltend
zu machen, in dessen Bezirk die Zwangsvoll⸗ strreckung erfolgt⸗ 1 “ hat das Reichsgericht, VI. Zivilsenat, durch Urtheil vom 14. Februar 1895, in Uebereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung, aus⸗ esprochen, daß diese Bestimmung auch auf die Anfechtung einer Pfändung seitens des Konkurs verwalters aus §§ 22 ff. der Konkursordnung Anwendung findet, und daß die Vereinbarung eines anderen Gerichtsstandes unzulässig ist, da dieser Gerichtsstand gemäß § 707 — ein ausschließlicher ist. Auch wird die ausschließliche Zuständigkeit des in § 690 Abs. 1 der Zivilprozeß⸗Ordnung erwähnten Gerichts dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Pfandstücke zwar verkauft sind, der Erlös jedoch bei einem Dritten zur Sicherstellung hinterlegt ist. Denn die Zwangsvollstreckung kann nicht als erledigt gelten, so lange nicht der Gläubiger den Erlös erhalten hat. (320/94.) 3 hüs 3
“
— Nach § 142 I1 8 des Preuß. Allg. Landrechts muß, wenn die
Fenster des Nachbars, vor welchen gebaut werden soll, schon e
it zehn Jahren oder länger vorhanden sind und die Behältnisse, in denen sie sich befinden, nur von dieser Seite her Licht haben, der neue Bau so weit zurücktreten, der Nachbar noch aus den ungeöffneten Fenstern des unteren Stockwerks den Himmel erblicken könne. In Bezug auf diese Bestimmung hat das Reichs⸗ Fersht⸗ V. Zivilsenat, durch Urtheil vom 27. März 1895 ausge⸗ sprechen:
1) Diese Baubeschränkung findet auch dann Anwendung, wenn den betreffenden Behältnissen durch Anlegung neuer Fenster Licht ge⸗ schafft werden kann. „In der Literatur ist freilich die Ansicht ver⸗ treten, daß die Anwendung des § 142 I1 8 Allgemeinen Landrechts nicht nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Raum, dessen Fenster ver⸗ baut sind, von anderer Seite bereits Licht hat, sondern auch, wenn ihm durch Anlegung neuer Fenster Licht geschafft werden kann; das ehemalige preußische Ober⸗Tribunal hat aber diese Ansicht in seinem Urtheil vom 20. September 1877 mit überzeugender Begründung widerlegt.“
2) Sind die Fenster des Nachbars, vor welchen gebaut werden soll, vor zehn Jahren entgegen einem baupolizeilichen Verbot errichtet worden, so hindert dieses Verbot nicht den Erwerb des Lichtrechts durch die zehnjährige Verjährung; die baubeschränkende Bestimmung des § 142 findet auch in diesem Fall Anwendung. — In dem zu Grunde liegenden Fall hatte auf die Klage des Nach⸗ bars wegen Zurücktreten des Neubaus auf Grund des § 142 I 8 Allgemeinen Landrechts der beklagte Bauherr den Einwand erhoben, daß nach den geltenden Baupolizeiordnungen niemand in Brand⸗ oder Giebelmauern Fenster haben darf, daß Kläger gegen dieses Verbot die Fenster errichtet habe, und daß er nach § 664 I 9 des Allgemeinen Landrechts demzufolge Rechte durch Verjährung nicht habe erwerben können. Diesen Einwand erachtete das Reichsgericht für unbegründet, indem es ausführte: .. Jene Baupolizeiordnungen können als Verbotsgesetze im Sinne des § 664 I1 9 des Allgemeinen Landrechts nicht aufgefaßt werden. Der § 664 bezieht sich auf Rechte, die überhaupt nicht, und auf solche, die kraft gesetzlicher Vorschrift durch Verjährung nicht entstehen können.
ier kommt nur die erstere Art von Rechten in Betracht,
1 welcher § 35 I 3 Allgemeinen Landrechts be⸗ stimmt: „Aus unerlaubten Handlungen überkommt der Handelnde zwar Verbindlichkeiten, aber keine Rechte.“ Unerlaubt ist aber nach § 87 Einl. des Allgemeinen Landrechts jede Handlung, welche durch natürliche oder positive Gesetze verboten ist. Ein Verbotsgesetz in weiterem Sinne dürfte in den gedachten Baupolizeiordnungen aller⸗ dings zu finden sein, allein § 664 I 9 bezieht sich unzweifelhaft nur auf solche Verbotsgesetze, welche das Entstehen und die Rechtswirk⸗ samkeit von Privatrechtsverhältnissen hindern, und ein derartiges Verbot ist nach dem vom Beklagten vorgetragenen Inhalt der Bau⸗ polizeiordnungen in diesen nicht enthalten. Der Grund des Verbots, Fenster in Brand⸗ und Giebelmauern zu haben oder anzubringen, liegt nicht in der Unsittlichkeit oder Rechtswidrigkeit des verbotenen oder Handelns, für welchen Fall selbstverständlich jeder echtsschutz versagt werden müßte, sondern lediglich in Rücksichten auf das gemeine Wohl und, weil letzteres der Fall, wird das Ent⸗ stehen und die Fortdauer des privatrechtlichen Verhältnisses, welches nach § 142 I 8 A. L.⸗R. an das zehnjährige Bestehen der Fenster geknüpft ist, durch das polizeiliche Verbot mangels einer dahin zielenden besonderen Vorschrift desselben nicht betroffen. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen angenommen, daß Beklagter für seine privatrechtlichen Beziehungen zum Kläger das lediglich im Interesse des Gemeinwohls erlassene Verbot nicht verwerthen könne.“ (351/94.)
Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.
Konsumvereine mit offenem Laden, sofern dieselben die Rechte juristischer Personen haben, sind, nach einem Urtheil des Ober⸗ Verwaltungsgerichts, II. Senats, vom 12. Dezember 1894, zwar staatseinkommensteuerpflichtig, gleichviel ob ihr Geschafts⸗ betrieb über den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht oder nicht, dagegen sind sie nach dem Kommunalabgabengesetz vom 27. Juli 1885 nur dann kommunaleinkommensteuerpflichtig, wenn ihr Ge⸗ schäftsbetrieb üÜüber den Kreis ihrer Mitglieder hinausgeht. — Der Stettiner Konsum⸗ und Sparverein, eine eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, dessen Geschästsbetrieb statutarisch auf den Kreis der Mitglieder beschränkt ist, unterhält einen offenen Laden. Dieser Verein wurde zur Gemeindeeinkommen⸗ steuer in Stettin für die Jahre 1892/93 und 1893/94 herangezogen, wogegen er nach erfolglosem Einspruch auf Freistellung klagte. Der Bezirksausschuß wies die Klage ab. Auf die dagegen vom Kläger eingelegte Revision erkannte das Ober⸗Verwaltungsgericht auf Frei⸗ stellung von der Gemeindeeinkommensteuer, indem es begründend ausführte: „Es ist unzutreffend, daß Gemeinden, in denen das reine Zuschlagssystem besteht, Konsumvereine mit offenem Laden, die auf Grund des § 1 Nr. 5 des Einkommensteuer⸗
esetzes vom 24. Juni 1891 zur Staatseinkommensteuer herangezogen sns⸗ schön allein daraufhin mit Gemeindezuschlägen belasten dürfen, und es ist ebenso unzutreffend, daß durch Gemeindebeschluß oder Regulativ bestimmt werden kann, es unterlägen Konsumvereine mit offenem Laden, sofern dieselben die Rechte juristischer Personen haben, ohne weiteres hiermit der Gemeindeabgabepflicht. Für das Eine wie das Andere fehlt es in dem bestehenden, dem hier noch zur Anwendung kommenden Kommunalabgabenrecht an jedem Anhalt. Das Besteuerungs⸗ recht der Gemeinden findet in so weit seine feste Schranke in den durch das Gesetz vom 27. Juli 1885 gezogenen Grenzen. — Das Statut des klagenden Vereins beschränkt den Geüschäftsbetrieb auf den Kreis der Mitglieder, und da zu der Annahme, es habe etwa effektiv der Betrieb dem Statut entgegen sich anders gestaltet, auch nicht ohne weiteres die Thatsache allein berechtigt, daß der klagende Verein einen offenen Laden unterhält, so wäre der Nachweis, daß der Betrieb gleichwohl thatsächlich über den Mitgliederkreis hinausgehe, von dem Beklagten zu erbringen gewesen.“ (II. 1703.)
Statistik und Volkswirthschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
In Braunschweig hat eine Versammlung der Barbiere durch eine Entschließung den seit einem Vierteljahre andauernden Barbier⸗ boykott aufgehoben. Die Entschließung besagt, einer Mittheilung des „Vorwärts“ zufolge, daß die Forderungen zum größten Theil be⸗ willigt seien, und daß bei Weiterführung des Boykotts kein weiterer Vortheil zu erwarten ist.
„Hier in Berlin hatte die Berliner Töpferinnung zum Freitag Abend eine Versammlung der bei Innungsmeistern beschäftigten Gesellen einberufen. Auf der Tagesordnung stand die Wahl eines Gesellenausschusses, der die Aufgabe hat, bei Streitig⸗ keiten zwischen Meistern und Gesellen, von denen jetzt ein großer Theil ausständig ist, mit dem Innungsaus⸗ schuß zu verhandeln. Die Versammelten haben, wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, die Wahl gegen 4 Stimmen abgelehnt, sodaß bis auf weiteres der von der Innung ernannte Gesellen⸗ ausschuß bestehen bleibt. — Die Speditions⸗Kutscher ver⸗ langen, wie die „N. Pr. Ztg.“ berichtet, eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit und volle Sonntagsruhe. Die Arbeitszeit währt an⸗ geblich 16—18 Stunden, von der Sonntagsruhe bleiben ihnen meist nur wenige Stunden. Die Lastfuhrwerk⸗ und Mehl⸗ kutscher sollen zur Theilnahme gewonnen werden, falls eine Bewegung für diese Ziele nöthig werden sollte. — Die
Vergolder planen chen seit geraumer Zeit eine Lohnbewegung; die
Forderungen sind festgestellt, und es handelt sich um die Frage, ob in einen allgemeinen Ausstand eingetreten werden soll. Diese Frage wurde von der Gewerkschaftsversammlung verneint, da zur Zeit die
Organisation noch zu schwach sei.
Kunst und Wissenschaft.
Der bekannte englische Naturforscher Professor Thomas Henry Huxley ist, wie dem „W. T. B.“ aus London gemeldet wird, am Sonnabend im kürzlich begonnenen 71. Lebensjahre gestorben. Nachdem Huxley in London Medizin studiert hatte, betheiligte er sich als Hilfsarzt des Kriegsschiffs „Rattlesnake“ an einer Expedition nach Australien und der Torresstraße. Im Jahre 1864 folgte er Eduard Forbes auf dem Lehrstuhl der Naturgeschichte an der Bergschule zu London und wurde zum Mitglied des Royal College of Science in South Kensington ernannt. 1855 wurde er zugleich Professor der Physiologie an der Royal Institution. Die Resultate der auf seiner Reise gemachten Untersuchungen legte er in dem Werke „The oceanic hydrozoa“ (London 1858) nieder. Er zeigte sich darin als ein Gesinnunzsgenosse Charles Darwin's und erregte besonders durch seine kühnen Theorien über den Ursprung des Menschengeschlechts in „Man's place in nature“ (London, 1863, deutsch von V. Carus, Braunschweig, 1863) Aufsehen. Im Jahre 1884 wurde Huxley Präsident der Royal Society. mußte aber 1885 diese Stelle krankheitshalber niederlegen. 1892 wurde er zum Mitglied des Geheimen Raths ernannt. Der Verstorbene war korrespondierendes Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften.
— Einen Wettbewerb um vier Kronleuchter aus Bronze hat der Verein für deutsches Kunstgewerbe hierselbst auf Veranlassung der Aktiengesellschaft Schäffer u. Walcker für alle deutschen Künstler ausgeschrieben. Ausgesetzt sind zwei erste Preise zu je 250 ℳ, zwei zweite Preise zu je 150 ℳ und zwei dritte Preise zu je 100 ℳ Einlieferungstermin ist der 31. August d. J. Die näheren Bedingungen sind gedruckt bei der Geschäftsstelle des Vereins, im Architekten hause, W. Wilhelmstraße 92/93, oder bei dem Schrift⸗ führer Herrn W. Quehl, SW. Ritterstraße 51, zu erhalten.
— Ueber Funde aus dem römischen Alterthum in Frank⸗ furt a. M. berichtet die „Frkf. Ztg.“ Auf dem Hühnermarkt werden seit kurzem gelegentlich der Arbeiten für das Stolze⸗Denkmal Unter⸗ suchungen des Bodens vorgenommen, welche die „Kommission für städtische Kunst⸗ und Alterthums⸗Gegenstände“ veranlaßt hat. Sie haben den Zweck, die für die älteste Geschichte der Stadt außerordentlich wichtige Thatsache römischer Kolonisation in der Gegend des Marktes zur Evidenz zu bringen, die bereits im Jahre 1889 durch die Auffindung eines unzweifel⸗ haft römischen Kanals an der Höllgasse ermittelt wurde. Damals hatte sich feststellen lassen, daß eine Entwässerungs⸗ anlage solidesten Baues vom Domhügel in den Main geführt worden war, die aus großen römischen Thonplatten bestand und durch Militär⸗ stempel der 14. Legion zeitlich auf das ausgehende erste Jahrhundert limitiert war. Die Ansiedelung konnte in dieser Periode nur militärischer Natur sein und wies unzweideutig auf ein Kastell. Jede genauere Fixierung der Lage war jedoch vor der Fest⸗ stellung der Umschließungsmauer unthunlich. Es wurde als wahrscheinlich betrachtet, daß die Quartiere westlich des gefundenen Kanals, die von Markt und Hühnermarkt eingenommen sind, bereits außerhalb des eigentlichen Kastells lägen und der daran anschließenden bürgerlichen Ansiedelung angehörten. Diese Anschauung scheint sich jetzt zu bestätigen. Es sind in den letzten Tagen, im Ver⸗ folg der von dem Architekten Thomas auf das sorgfältigste geleiteten Nachgrabungen, die Reste eines unzweifelhaft römischen Haus⸗Fundamentes mit einer noch wohlerhaltenen Hypo⸗ kaust⸗Anlage gefunden worden, deren aus Thonplatten ge⸗ bildete Pfeilerchen in mehreren Lagen aufrecht stehen. Der Guß⸗ boden ist sowohl unter wie über den Pfeilern noch ferhalten, ein kleiner Mauerrest begrenzt die Westseite. Von Einzelfunden kamen unzählige römische Heizkacheln, Holzziegel und Wand⸗ bekleidungsstücke, Thongefäßbruchstücke, Vilbeler Sandstein, Marmer⸗ stücke, Taunusschiefer, eine Bronzelamelle sowie auch (als bisher wichtigstes Fundstück) ein Militärstempel auf einem Backkstein vor. Die Fundstelle ist noch nicht völlig aufgeräumt, und es steht noch Aufklärung über die Ausdehnung der ganzen Anlage zu er⸗ warten. Als wissenschaftlich höchst werthvoll muß aber schon das vor⸗ liegende Ergebniß gelten: daß unter der Altstadt eine jedenfalls nicht kleine römische Ansiedelung mit reich ausgestatteten Häusern liegt, — 5 “ Hypokaustbau, der auf ein Bad deutet, beweist dies hin⸗ änglich. .
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Saatenstand in Rußland.
Wie der „Grashdanin“ unter dem 11. Juni/30. Mai berichtet hat, sollen die Aussichten in Betreff der kommenden Ernte in Ruß⸗ land keineswegs günstige sein. In den nordwestlichen, westlichen und theilweise auch in den zentralen und östlichen Gouvernements sei die Winterung unbefriedigend aufgegangen, befriedigender in der Mehr⸗ zahl der südöstlichen, südlichen, sowie in dem füdlichen Theil der Zentralgouvernements. Im Norden und Nordosten seien die Auf⸗ gänge theils befriedigend, theils unbefriedigend gewesen.
Nach der Handels⸗ und Industrie⸗Zeitung vom 24. Juni d. J. ist im Großen und Ganzen seit 15. Mai eine wesentliche Veränderung nicht eingetreten. Im allgemeinen bleiben die Saatenstandsverhält⸗ nisse nicht ganz befriedigend. Von 606 Kreisen liegen amt⸗ liche Ausweise vor; befriedigend lauten dieselben nur in 289 Fällen (ca. 48 %) für Winterkorn und 344 für Sommerkorn. In der großen Mehrzahl der übrigen Kreise sind die Ernteaussichten unter Mittel. Auch sind die weiteren Chancen für die Winterung keineswegs günstig, da die besseren Witterungsverhältnisse erst dann eingetretren sind, als das Winterkorn bereits jene Entwickelung er⸗ reicht hatte, bei welcher das günstige Wetter nur dem Wuchs und der Qualität des Winterkorns zu gute kommen kann. Eine Besserung hat der Winterkornstand im Wolgagebiet, sowie stellenweise in Polen aufzuweisen. Befriedigend steht das Winterkorn nach wie vor im ganzen Schwarzbodenstrich, sowie im Kaukasus. In allen übrigen Theilen des Reichs ist es nur als mittelmäßig, in der Mehr⸗ zahl der westlichen und zentralen Gouvernements sogar als unbefrie⸗ digend zu bezeichnen.
Bezüglich des Sommerkornstandes erscheint derzeit ein Gesammt⸗ urtheil verfrüht, da das Wetter noch viel darin ändern kann. Im Vergleich mit der vorhergegangenen Berichtsperiode ist aber entschieden ein Rück⸗ gang zu verzeichnen. Die Futterpflanzen sind nur im Kaukasus und stellenweise zwischen dem Dnjepr und der Wolga durchweg befriedi⸗ gend gediehen. 3
Ernteaussichten in Spanien.
Der Stand der Saaten ist im allgemeinen befriedigend, sodaß das voraussichtliche Ergebniß im Durchschnitt als günstig bezeichnet werden kann. Ungünstig lauten die Nachrichten aus den durch Ueber⸗ schwemmungen heimgesuchten Provinzen und aus einigen Orten, wo die Heuschrecke neuerdings verheerend aufgetreten ist, namentlich aus Salamanca und Ciudad Real.
Handel und Gewerbe.
Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 29. v. M. (kathol. Feiertag) gestellt 2722, nicht rechtzeitig gestellt keine Wagen. 1 In Oberschlesien sind am 28. v. M. gestellt 4424, nicht recht⸗ zeitig gestellt keine Wagen.
Berlin, 29. Juni. Wochenbericht für Stärke, Stärke⸗ fabrikate und Hülsenfrüchte von Max Saberskv. la. Kartoffelmehl 17 ½ —818 ℳ, Ia. Kartoffelstärke 17 ½ —18 ℳ IIa. Kartoffelmehl 15 — 16 ½ ℳ, feuchte Kartoffelstärke Fracht⸗ parität Berlin —,— ℳ, gelber Syrup 20 — 20 ½ ℳ, Kap.⸗ Syrup 21 — 22 ℳ, 85 Export 22 — 22 ½ ℳ, Kartoffelzucker Fühe 20 — 20 ½ ℳ, do. . 22 — 22 ½ ℳ, Rum⸗Kuleur 33 — 34 ℳ, Bier⸗Kuleur 32 — 34 ℳ, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 23 — 24 ℳ, do. sekunda 20 — 22 ℳ, Weizenstärke (kleinst.) 32 — 33 ℳ. Weizenstärke (großst.) 37 — 38 ℳ, Hallesche und Schlesische 38 — 39 ℳ, Reis ärke (Strahlen) 49 — 50 ℳ, do. (Stücken)
47 — 48 ℳ, Maisstärke 33 — 34 ℳ, Schabestärke 34 — 35 ℳ, Viktoria⸗Erbsen 15 — 19 ℳ, Kocherbsen 14 — 19 ℳ, grüne Erbsen 14 — 19 ℳ, Futtererbsen 12 —13 ℳ, inländische 85 8 Bohnen 22 — 24 ℳ, weiße Flachbohnen 23 — 25 ℳ, ungaris⸗
Bohnen 19 — 21 ℳ, galizische und russische Bohnen 17 — 19 ℳ,
große Linsen 30 — 40 ℳ, mittel Linsen 18 — 30 ℳ, kleine Linsen 14 — 18 ℳ, Mohn, blauer nom. 28 — 40 ℳ, do. weißer nom. 44 — 60 ℳ, Hirse, weiße 18 — 20 ℳ, gelber Senf 14 — 24 ℳ, fkörner 22 bis 23 ℳ, Buchweizen 14 ½ — 16 ½ ℳ, Wicken 11 ½ — 12 ½ ℳ, Pferdebohnen 12 — 12 ½ ℳ, Leinsaat 22 — 22 ½ ℳ, Mais loko 12 ½ — 13 ℳ, Kümmel 54 — 60 ℳ, Leinkuchen 13 — 15 ½ ℳ, Rapskuchen 11 — 12 ½ ℳ, pa. marseill. Erdnußkuchen 12 ½ — 14 ℳ, pa. doppelt gesiebtes Baum⸗ wollensamenmehl 58 % 12 — 13 ½ ℳ, pa. helle getr. Biertreber 28 bis 30 % 9 ¼ — 10 x¼ ℳ, pa. getr. Getreideschlempe 31 — 34 % 11 ½ — 12 ½ ℳ, pa. getr. Mais⸗Weizenschlempe 35 — 40 % 12 ¼ — 13 ℳ, pa. getr. Maisschlempe 40 — 42 % 12 ¼ — 13 ℳ, Malzkeime 7 ¾ — 9 ℳ, Roggen⸗ kleie 7 ¾ —88 ¼ ℳ, Weizenkleie 7 ¼ — 8¼ ℳ (alles per 100 kg ab Bahn Berlin bei Partien von mindestens 10 000 kg).
Berlin, 29. Juni. (Monatsbericht der ständigen Deputation der Woll⸗Interessenten.) Das Wollgeschäft im Juni war, wie stets vor und nach dem Wollmarkt, ruhig. — Einige Nachfrage erhielt sich immerhin; die Umsätze sind für deutsche Rückenwäschen auf etwa 1500 Ztr., für ungewaschene Wollen auf etwa 2000 Ztr. zu be⸗ ziffern. — Preise sind fest. Täglich eintreffende neue Zufuhren vervollständigen die Läger. — Für Kolonialwollen eröffnete der Monat mit der gleichen Lustlosigkeit, wie der vorauf⸗ gegangene geschlossen; erst als die deutschen Wollmärkte den Aufschlag gebracht, schenkte man den sich auf einer billigeren Basis verkaufenden üͤberseeischen Wollen mehr Beachtung; etwa 4000 Ballen zur Hälfte Kap zur anderen Austral und Buenos Aires⸗Wollen wurden umgesetzt zu Preisen, die sich nach und nach befestigten und zu Ende des Monats 5 im Mai eingetretenen Abschlag von 5 % wieder voll eingeholt aben. 8
— Der „Rhein.⸗Westf. Ztg.“ zufolge beschloß die Monats⸗ versammlung des Westfälischen Kokssyndikats am Sonnabend die Beibehaltung der bisherigen Produktionseinschränkung von 20 % und setzte die Beiträge für Juli und August auf 20 % fest. Aus dem Bericht des Vorstandes ist erwähnenswerth, daß der Versand im Mai 1895 um 0,94 % höher war als im Mai 1894; er umfaßt 82,7 % der Betheiligungsziffer. Die Steigerung des Versands in den Monaten Januar⸗Mai beträgt gegen das Vorjahr 4,4 %, während die Ver⸗ mehrung der Roheisenerzeugung im Zollverein in der gleichen Zeit 8,65 % betrug. Die in letzter Zeit eingetretene bessere Beschäftigung in Fertigfabrikaten hat auf die Roheisendarstellung noch keinen be⸗ merkenswerthen Einfluß ausgeübt. Im Siegerlande hält die 25 pro⸗ zentige Einschränkung an, ebenso die 40 prozentige in Luxemburg und Lothringen. .
Koönigsberg i. Pr., 29. Juni. (W. T. B.) Wollmarkt Zufuhr von Schmutzwolle ziemlich bedeutend, bei geringer Kauflust 40 — 48 ℳ für 106 Pfd. netto bezahlt, Lammwolle 85 — 105. Bei zuter Beschaffenheit für gekreuzte resp. dickhaarige Wolle 98 — 105, ür mittlere Tuchwolle 105 — 118, feine und hochfeine 120 — 140 ℳ
Magdeburg, 29. Juni. (W. T. B.) Zuckerberich. Kornzucker exkl., von 922 % —,— neue —,—. Kornzucker erkl. 88 % Rendement —,—, neue 9,75 — 9,85, Nachprodukte exkl., 75 % Rendement 6,70 — 7,55. Stetig. Brotraffinade I —,—, Brot⸗ raffinade II —,—. Gem. Raffinade mit Faß 22,25 — 22,75. Gem. Melis 1 mit Faß —,—. Ruhig. Rohzucher I. Produkt Transito f. a. B. Hamburg pr. Juni 9,62 ½ Gd., 9,67 ½ Br., vr. Juli 9,65 Gd., 9,70 Br., pr. August 9,82 ½ bez., 9,85 Br., pr. Sep⸗ tember 9,92 ½ Gd., 9,97 ½ Br.
Frankfurt a. M., 29. Juni. (W. T. B.) Den von der allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft und von mit dieser befreundeten Firmen auf dem Gebiete der elektrischen Beleuchtung und der elektrischen Eisenbahnen in Genua eingeleiteten Unter⸗ nehmungen soll eine einheitliche Form dadurch gegeben werden, daß eine Trust⸗Gesellschaft mit dem Sitze in Zürich errichtet wird. Die Gesellschaft wird zunächst die Aktien und Obligationen der Genueser Gesellschaften erwerben und dagegen eigene Obligationen ausgeben. An diesem Geschäfte sind Schweizer Firmen unter Führung der Schweizerischen Kreditanstalt und des Konsortiums der allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft, sowie erste italienische Bankinstitute betheiligzt. Die Firma der neuen Ge⸗ fnheet wird „Bank für elektrische Unternehmungen“ auten.
Leipzig, 29. Juni. (W. T. B.) Kammzug⸗Termin⸗ handel. La Plata. Grundmuster B. pr. Juli 3,02 ½ ℳ, vr. August 3,05 ℳ, pr. September 3,05 ℳ, pr. Oktober 3,07 ½ ℳ, pr. November 3,07 ½ ℳ, pr. Dezember 3,10 ℳ, pr. Januar 3,12 ½ ℳ, pr. Februar 3,12 ½ ℳ, pr. März 3,15 ℳ, pr. April 3,15 ℳ, pr. Mai 3,15 ℳ, pr. Jum —,— ℳ Umsatz: 15 000 kg.
Darmstadt, 29. Juni. (W. T. B.) Der Verwaltungsrath der Hessischen Ludwigsbahn hat gegen die rechtliche Zulässigkeit des von den Ständekammern beschlossenen Wegs der einseitigen Besitzergreifung der kauffällig gewordenen hessischen Linien durch den Staat in einer Protesterklärung an die Staatsregierung Verwahrung eingelegt.
Bremen, 29. Juni. (W. T. B.) Börsen⸗Schlusbericht. Raffiniertes Petroleum. (Offizielle Notierung der Bremer Petroleum⸗Börse.) Ruhig. Loko 7,25 Br. — Baumwolle. Stetig. Upland middl. loko 34 ½ 4. — Schmalz. Fest, aber ruhig. Wilcor 35 ¼ ₰. Armour shield 34 ¾ ₰, Cudahy 35 ¾ ₰, Fairbanks 29 ½ ₰4. — Speck. Fest, aber ruhig. Short clear middling loko 31 ½. — Taback. Umsatz: 23 Faß Maryland.
Hamburg, 29. Juni. (W. T. B.) Kaffee. (Nachmitt bericht) Good average Santos pr. Juni —, pr. Septem 74, pr. Dezember 72 ¾, pr. März 72. Kaum behauptet. — Zucker⸗ markt. (Schlußbericht.) Rüben⸗Rohzucker I. Produkt Basis 88 % Rendement neue Usance, frei an Bord Hamburg, pr. Juni 9,70, pr. August 9,80, pr. Oktober 10,22 ½, pr. Dezember 10,42 ½. Ruhiger.
Budapest, 1. Juli. (W. T. B.) In der gestern stattgehabten Generalrersammlung der Ungarischen Waffen⸗ und Maschinen⸗ fabrik wurde die Vertheilung einer Dividende von 6 % für 1894 beschlossen und die Neuwahl des gesammten Direktionsraths voll⸗ zogen. Zum Präsidenten des Verwaltungsraths wurde sodann der Obergespan Baron von Roßner wieder⸗ und zu Vize⸗Präsidenten Hugo Stoot wieder⸗ und Direktor Sigmund Kornfeld neusewählt.
London, 29. Juni. (W. T. B.) An der Küste 5 Weizen⸗ ladungen angeboten.
8 188 Javazucker loko 11 ¾ ruhig. Rüben⸗Rohzucker loko ½ ruhig.
— 1. Juli. (W. T. B.) Die Getreidezufuhren be⸗ trugen in der Woche vom 22. Juni bis 28. Juni: Engl. Weizen 1297, fremder 79 881, engl. Gerste 1779, fremde 8847, engl. Malzgerste 22 249, fremde —, engl. Hafer 128, fremder 49 628 Orts., engl. Mehl 24 891 Sack, fremdes 83 470 Sack.
Bern, 29. Juni. (W. T. B.) Die Generalversammlung der Schweizerischen Nordost bahn, von 117 Aktionären besucht, die 70 482 Stimmen vertraten, genehmigte den Geschäftsbericht und die Rechnung von 1894 einstimmig kes; dem Antrage des Verwaltungs⸗ raths. Die Dividende wurde auf 6 % festgesetzt und eine Uebertra⸗ gung von 926 514 Fr. auf neue Rechnung beschlossen. Der Verwal⸗ tungsrath wurde einstimmig zur Ausgabe des Obligationsrestes von 10512 000 Fr. ermächtigt. Die Generalversammlung bewilligte weiter⸗ hin einstimmig 50 000 Fr. zu Vorstudien für schweizerische Neben⸗ bahnen und für die Engadin⸗Orientbahn. Ferner wurde prinzipiell die Vorlage für den Bahnhofsumbau in Zürich gutgeheißen und hierfür einstimmig vorläufig ein Kredit von 8 Millionen Fr. gewährt. In der Konversionsangelegenheit wurde einstimmig folgender Antrag der Minderheit der Aktionäre angenommen: Für jede zur Kon⸗ version kommende Prioritätsaktie wird in der Zeit vom 15. Sep⸗ tember bis Ende Oktober 45 Fr. Aufgeld, vom 1. November bis 1. Dezember 50 Fr. Aufgeld bezahlt; nach dem 1. Dezember werden keine Konvertierungen mehr entgegengenommen. Den jetzigen Inhabern von Stammaktien und von konvertierten Aktien