1895 / 160 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 08 Jul 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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dem König Oskar

untersten Stufe von Seiner Mafjestät auf das herzlichste begrüßt, während die Kapelle der Göta⸗Leibgarde „Heil Dir im Siegerkranz“ spielte. Nachdem Seine Majestät der Kaiser die . er Ehren⸗ wache abgeschritten hatte, fuhr Allerhöchstderselbe in Begleitung des Königs nach dem Schlosse. Der Kaiser trug schwedische, der König deutsche Admirals⸗Uniform. Der Kronprinz hatte die Uniform seines Dragoner⸗Regiments Freiherr von Derff⸗ linger (Neumärkisches) Nr. 3, Prinz Karl die des Husaren⸗ Regiments König Wilhelm I. (1. Rheinisches Nr. 7) an⸗ gelegt. Die nach dem Schlosse führenden Straßen waren von einer dichtgedrängten Menschenmenge besäumt, die Häuser überall mit prächtigem Blumen⸗ und Guirlandenschmuck geziert, und alle Schiffe im Hafen hatten reich geflaggt.

Im Schlosse begrüßte Seine Majestät der Kaiser Ihre Majestät die Königin und Ihre Königliche Hoheit die Kronprinzessin. Nach der Vorstellung der beider⸗ seitigen Gefolge und Hofstaaten fand sodann daselbst Familien⸗ frühstück und Marschallstafel statt. Der König und die Königin fuhren nach Beendigung der Tafel nach ihrer Sommer⸗ Residenz Droftningholm.

Seine Majestät der Kaiser, Seine Königliche Hoheit der Kronprinz und das Gefolge begaben Sich in sechs Wagen nach dem Nordischen Museum und von dort nach Skansen auf Djurgarden, wo die Sehenswürdigkeiten besichtigt wurden. Der Aufenthalt daselbst dauerte beinahe eine Stunde.

Nach der Rückkehr nach Stockholm, welche um 6 Uhr 45 Minuten erfolgte, begab Sich Seine Majestät der Kaiser sofort an Bord der „Hohenzollern“, wo auch der Kronprinz, die Kronprinzessin und die beiden ältesten Prinzen mit Gefolge 88 8 Uhr eintrafen, um der Einladung zum Diner Folge zu eisten.

Gestern Morgen hielt Seine Majestät der Kaiser auf der „Hohenzollern“ den Gottesdienst ab, begab Sich dann an Land und hierauf in Begleitung Seiner Majestät des Königs, des Kronprinzen und der Kronprinzessin sowie der Prinzen Karl und Eugen Vormittags 10 ½ Uhr mittels Sonderzugs nach Schloß Gripsholm. Bei der Station Mariafred war eine große Ehrenpforte errichtet, an welcher die Initialen des Kaisers mit der Krone darüber in Blumen dargestellt waren; die eine Seite schmückte das schwedische, die andere das deutsche Wappen. An dieser Ehrenpforte hatten sich mehrere tausend Menschen aufgestellt, welche die Majestäten bei der Ankunft, die um Mittag erfolgte, begeistert begrüßten. Die Herrschaften begaben Sich von der Station zu Fuß nach Schloß Gripsholm, wo später ein déjeuner dinatoire statt⸗ fand, bei welchem Seine Majestät der Kaiser die Kronprinzessin zur Tafel führte.

Nachmittags 3 ³¾ Uhr segelten der Kaiser und der König Oskar mit dem beiderseitigen Gefolge nach Schloß Drottning⸗ holm, woselbst Abends 7 ½ Uhr das Diner eingenommen wurde. Vor dem Schlosse hatte sich eine große Menschen⸗ menge aus Stockholm und Umgegend eingefunden, um Seine Majestät den Kaiser zu begrüßen, welcher wiederholt auf der Terrasse erschien. Ihre Majestäten der Kaiser und der König Oskar übernachteten im Schlosse Drottningholm.

Für heute Morgen war ein Ausflug nach Skokloster beabsichtigt, von wo Seine Majestät der Kaiser nach Stockholm zurückzukehren gedachte. G Seine Majestät der Kaiser hat den Prinzen Eugen, Königliche Hoheit, à la suite des Dragoner⸗Regiments König Friedrich III. (2. Schlesisches) Nr. 8 gestelt.

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Ueber die Ankunft und den Empfang Seiner Majestät des Kaisers in Stockholm erhalten wir noch folgenden Bericht: Die Ankunft Seiner Majestät des Kaisers war vom

herrlichsten Wetter begünstigt. Daß die schwedische Haupt⸗ stadt diesem Ereignisse ein festliches Gepräge geben wollte, das bezeugte der reiche Flaggenschmuck, den öffentliche und private Gebäude sowie viele Schiffe im Hafen angelegt hatten. Auch von dem Thurm der deutschen Kirche flatterten mächtige deutsche und schwedische Flaggen im Winde; alle Häuser an der Schiffsbrücke zeigten deutsche und schwedische Fahnen, hier und da zu Dekorationen um das deutsche Reichswappen geordnet. Den Mittelpunkt der dekorativen Ausschmückungen bildete indessen der Landungs⸗ platz, wo eine besonders schöne und geschmackvolle Ehrenpforte errichtet war, von welcher mit Tuch bekleidete Barrieren zu einer mit Tenpichen bedeckten Passage nach der Logardstreppe führten. Die Pfeiler der Ehrenpforte waren mit Eichenlaub und Tannenzweigen geziert, während das Innere mit Blumenbouquets prächtig geschmückt war. Oben war das deutsche Reichswappen und zu dessen Seiten schwedische Wappen als Schildhalter an⸗ gebracht. Längs der Passage vom Landungsplatz unterhalb des Löwenhügels und bis zum Münzmarkt waren Flaggenstangen errichtet, von denen die deutschen und schwedischen Flaggen wehten. Am Eingange der Münzstraße sah man einen von Guirlanden ge⸗ tragenen Eichenlaubkranz, der ein W umschloß und den oben eine Kaiserkrone zierte. Auch die Münzstraße, der Gustav Adolf⸗Markt, die Opernterrasse und alle Häuser bis zum Schiffsholm zeigten reichen Flaggenschmuck.

1 Stundenlang vor der bestimmten Zeit der Ankunft des Kaisers waren große Volksmassen in Bewegung, die sich längs der Schiffsbrücke und an den Stellen sammelten, die der Kaiserliche Zug passieren sollte. Auch am jenseitigen Ufer, längs des National⸗Museums und des Grand Hötel sah man

Kopf an Kopf; Fenster und Balkons der Häuser am Strome waren mit Damen in lichten Sommertoiletten dicht besetzt. Im Logarden waren Plätze reserviert für die Prinzen Gustaf

Adolf und Wilhelm, für die Hofdamen, das diplomatische Korps und die Spitzen der Hofgesellschaft.

Schon um 10 Uhr Vormittags waren mehrere mit Passagieren fast überfüllte Dampfer abgegangen, um der „Hohenzollern“ im Trälmeere entgegenzufahren, wo eine schwedische Flottille verankert lag. Um 10 Uhr 45 Minuten Vormittags passierten die „Hohenzollern“ mit dem Kaiser ilhelm an Bord, dann der Kreuzer „Gefion“ und zwei deutsche Torpedoboote die Festung Oscar⸗Fredriksborg, von dieser mit 21 Salutschüssen

begrüßt, während die Festungsbesatzung mit Hurrahrufen salu⸗

tierte, die von der Mannschaft der „Hohenzollern“ erwidert wurden. Auch das schwedische Geschwader begrüßte den Kaiser mit 21 Schüssen.

Eine Stunde vor Ankunft des Kaisers zog die Ehrenwache, bestehend aus der Göta⸗Leib⸗Garde mit Regimentsfahne un dem Mufikkorps, vor der Ehrenpforte auf, während eine

Abtheilung Leib⸗Garde zu Pferde sich an der Landungs⸗

brücke aufstellte. Gardesoldaten bildeten Spalier bis zum Königlichen Schlosse, in dessen Vestibül 100 Mann Grenadiere aus der Svea⸗Leibgarde mit Fahne und Regimentsmusik zu beiden Seiten aufgestellt waren. Vor dem Eingang zu den Zimmern des Kaisers paradierten Trabanten.

Um 12 Uhr hörte man von Kastellholm her Salut schießen, wodurch die Annäherung des Kaiserlichen Schiffs verkündet wurde; bald darauf donnerte auch der schwedische Salut vom Schiffsholm, beantwortet von der „Hohenzollern“. König Oskar, in deutscher Admirals-Uniform, begleitet von dem Kronprinzen in der Uniform der Neumärkischen Dragoner, Prinz Karl in preußischer Husaren⸗Uniform, Prinz Eugen, dem Reichs⸗Marschall Freiherr von Essen, dem General Grafen Lagerberg und vielen hohen Hofbeamten, begab sich nun zum Landungsplatz, wo der Hof⸗Stallmeister Gyldenstolpe, der frühere deutsche Beßnbte Graf von Wedel, der Admiral von Eisendecher, die Mitglieder der deutschen Gesandtschaft, der Unter⸗Statthalter Brakenhielm u. A. versammelt waren. Der König und die Prinzen nebst Gefolge bestiegen eine Königliche Barkasse und fuhren vom Schiffs⸗ holm nach der „Hohenzollern“ unter Salut, der von dieser erwidert wurde, als König Oskar an Bord ging, um seinen hohen Gast zu begrüßen; die Mann⸗ schaft paradierte auf Raaen und Reling, als nach kurzem Aufenthalt an Bord der König und die Prinzen sich wieder zum Landungsplatz begaben.

Es war etwas über 12 ½ Uhr, als zwei Dampfbarkassen der „Hohenzollern“ sich mit dem Gefolge dem Landungs⸗ platz näherten. Wenige Augenblicke später folgte eine Ruderbarkasse mit der Kaiserlich deutschen Flagge am Bug. Der donnernde Salut der Schiffsholm⸗ batterie verkündete die Ankunft des Deutschen Kaisers, und vieltausendstimmiges Hurrah vom Lande und vom Wasser folgte. Der Kaiser, in schwedischer Admirals⸗ Uniform, mit der Kette und dem Bande des Seraphinen⸗Ordens, umarmte am Landgange den König Oskar und begrüßte herzlich die Prinzen, worauf die Vor⸗ stellung der Se. erfolgte. Während das Musik⸗ korps die Nationalhymne spielte, schritt der Kaiser, be⸗ leitet von dem König Oskar und den Prinzen snäe einem glänzenden Gefolge, die Reihen der paradierenden Truppen ab. Alsdann bestiegen Kaiser Wilhelm und König Oskar einen vierspännigen Hofwagen und fuhren unter dem enthusiastischen Jubel des Volks nach dem Schlosse. Vor und hinter dem Königlichen Wagen ritten Abtheilungen der Leib⸗Garde.]

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Der Ausschuß des Bundesraths für Justizwesen, Pder Ausschuß für Handel und Verkehr sowie die vereinigten Aus⸗ schüsse für Handel und Verkehr und für Rechnungswesen hielten heute Sitzungen. v“

Der General⸗Lieutenant vonsScheel, Präses der Ober⸗ Militär⸗Examinations⸗Kommission, hat Berlin verlassen.

Nach telegraphischen Neldungen an das Ober⸗Kommando der Marine ist S. M. S. „Stein“, Kommandant Kapitän zur See Rötger, am 5. Juli in Helsingfors angekommen und beabsichtigt, am 9. Juli wieder in See zu gehen; S. M. S. „Cormoran“, Kommandant Korvetten⸗Kapitän Brink⸗ mann, ist am 5. Juli von Lourenço Marques in See ge⸗ gangen; S. M. S. „Iltis“, Kommandant Kapitän⸗Lieutenant

ngenohl, ist am 5. Juli in Yokohama angekommen.

1“ 8 1 Cronberg a. Taunus, 8. Juli. Der Reichskanzler und die Fürstin zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst sind estern Nachmittag zum Besuch Ihrer Majestät der Kaiserin Friedrich hier eingetroffen und heute nach Alt⸗Aussee in Steiermark weitergereist. Kiel, 6. Juli. S. M. Kreuzer „Kaiserin Augusta“, Kommandant Kapitän zur See Lavand, hat heute früh 2 Uhr die Reise nach Marokko angetreten.

Mecklenburg⸗Schwerin.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog empfing am

Sonnabend in Schwerin den spanischen Botschafter in Berlin

Mendez de Vigo, der sein Beglaubigungsschreiben als

außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister am

Großherzoglichen Hofe überreichte.

Sachsen⸗Meiningen. 8

Seine Hoheit der Herzog ist nach längerer Abwesenheit

auf Schloß Altenstein eingetroffen, um dort während des

Sommers Aufenthalt zu nehmen.

Anhalt.

Der Herzogliche Hof ist am 6. d. M

nach Dessau übergesiedelt.

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Oesterreich⸗Ungarn.

Das österreich ische Abgeordnetenhaus nahm in

seiner vorgestrigen Sitzung das Budget des Ministeriums der Landesvertheidigung an. Im Laufe der Debatte erklärte der Minister für Landesvertheidigung Graf Welfersheimb: die Entziehung der Arbeitskräfte durch die Armee sei in Oesterreich⸗ Ungarn bedeutend geringer, als in anderen Grosßstaaten. Der Präsenzstand betrage nur die Hälfte der Präsenzstärke gleich großer Staaten. Oesterreich⸗Un zarn stehe unter dem Zeichen des bewaffneten Friedens, und man müsse der Regierung das Zeugniß geben, daß sie in ihren Anforderungen nicht zu weit gehe und diese auf das mindeste reduziere. Der Minister bat, dahin zu trachten, daß die bewaffnete Macht recht stark werde, die allgemeine Wehrpflicht durchgeführt werde, indem womöglich alle der Wehrpflicht unterzogen würden und die Schule der Armee durchmachten, welche ja eine Schule des Gemeinsinns und der patriotischen Pflichterfüllung sei. Sodann wurde in die Verhandlung des Unterrichtsbudgets eingetreten.

Der Stapellauf des neuen Küstenvertheidigungsschiffes

„Wien“, welcher vorgestern der heftigen Bora wegen ver⸗ schoben werden mußte, fand gestern Vormittag bei schönem Wetter in Triest statt. Die Gemahlin des Minister⸗Präfi⸗ denten, Gräfin Kielmansegg, welche die Taufe vollzog sagte: Wie die Reichshauptstadt, im Frieden als Mittel⸗ punkt und Segenspenderin der Kultur gepriesen,

in den Zeiten der Gefahr als Bollwerk gegen die Feinde erwiesen habe, so möge das neue Schiff im Frieden ehrfurcht⸗ gebietend den Glanz Oesterreich⸗Ungarns verkünden und in der Stunde des Kampfes eine mächtige Schutzwehr für Kaiser und Vaterland sein. Der Marine⸗Kommandant Frei⸗ herr von Sterneck begrüßte die Deputation der Residenz⸗ stadt Wien.

Großbritannien und Irland.

Laut amtlicher Bekanntmachung ist Sir Charles Pearson zum Lord⸗Advokaten von Schottland und Graham Murray zum General⸗Staatsanwalt von Schottland ernannt worden.

Im Oberhause beantragte am Sonnabend der Premier⸗ Minister Lord Salisbury die zweite Lesung der Expro⸗ priationsbill und führte mit Bezug auf Lord Rosebery's jüngste Rede aus: Lord Rosebery habe erklärt, er appelliere an das Land, um das gesetzgeberische Uebergewicht des Ober⸗ hauses zu beseitigen. Lord Rosebery habe dabei er⸗ klärt, wenn dies geschehen sein werde, würden dreierlei Wege einzuschlagen sein, um die Ziele, die dabei im Auge behalten würden, praktisch durchzuführen. „Was meinte Lord Rosebery“, fuhr der Premier⸗Minister fort, „mit dem gesetzgeberischen Uebergewicht Jes Oberhauses? Das Haus der Lords hat in herkömmlicher Weise nicht an den Vorgängen oder an den Abstimmungen theilgenommen, durch welche die Regierungen gestürzt oder aufgerichtet wurden, noch auch an der Beschaffung der Mittel für die Staatsverwaltung. In Bezug auf alle übrigen Angelegenheiten besitzt das Oberhaus genau dieselbe gesetzgeberische Befugniß wie das Unterhaus, das ist jedoch keine gesetzgeberisches Uebergewicht. Lord Rosebery . gesagt, das Uebergewicht der Lords in der Gesetzgebung ege der liberalen Partei Handschellen an; allein, was hat das Oberhaus während der Amtszeit Lord Rosebery's gethan, um der Partei Handschellen anzulegen? Es hat die Vorlage, betreffend die vertriebenen irischen Pächter, abgelehnt, eine Vorlage, welche von ihren eigenen Anhängern als un⸗ durchführbar und absurd bezeichnet wurde. Das Oberhaus wird auch in Zukunft solche Vorlagen aufs entschiedenste bekämpfen. Was die Unterrichtsstiftungen angeht, so hat das

aus der Lords auf zwei großen Grundsätzen bestanden, näm⸗ lich, daß die Stiftungen für diejenigen bewahrt bleiben sollen, für welche sie ursprünglich gemacht wurden, und ferner, daß die Eltern das Recht haben sollen, ihre Kinder in ihrer Religion erzogen zu sehen. Diese Grundsätze wird es immer festhalten. Das eigentliche Ziel des Hauses der Lords war, die Homerule⸗Bill zu Falle zu bringen.“ Dieses sei die Frage, führte der Premier⸗ Minister dann weiter aus, über welche das Land in der That bei den bevorstehenden Wahlen zu entscheiden haben werde. Die einzige Bedingung, unter welcher große und ernstliche Reformen der Einrichtungen des Landes durchgeführt werden könnten, sei, daß sie von großen Mehrheiten des Landes angenommen würden. Weder die Homerule⸗Bill noch die Vorlage über die Entstaͤatlic2hung der Kirche in Wales sei von der Mehrheit der Nation unterstützt worden, wenigstens soweit England in Betracht komme. Andererseits seien Probleme vorhanden, welchen die Aufmerksamkeit zugewendet werden müsse. Sie seien reich an Schwierigkeiten, aber sie ver⸗ sprächen den Erfolg, welcher zur Wiederherstellung der Wohl⸗ fahrt und zur Minderung des Elends der ärmeren Klassen führe. Er bekenne, daß er keine Panacee für die Nothlage der Landwirthschaft besitze, doch diese ver⸗ diene mehr als ein anderer Gegenstand die höchste Aufmerksamkeit des Parlaments, und es seien die Richtungen gegeben, in denen eine Abhilfe erreicht werden könne. Das gegenwärtige Besteuerungssystem sei voller Anomalien und bafhe schwer auf der Landwirthschaft. Die Frage des Transports der Erzeugnisse durch die Eisenbahnen, sowie die Frage der kleinen Landgüter seien Gegenstände, welche viel Beachtenswerthes zu dem Zwecke der Besserung der landwirthschaftlichen Nothlage enthielten. Viel könne auch zur Erleichterung der Lage derjenigen gethan werden, welche ohne eigene Schuld in Noth gerathen seien; dann habe auch in Bezug auf die Revision des Gesetzes über die Beschäftigung der Armen viel zu geschehen. Das Oberhaus verdiene den Dank des Landes für seine jetzige Haltung, und sei es auch nur um deswillen, daß es mit den unfrucht⸗ baren und ärgerlichen Zwistigkeiten aufgeräumt habe, welche eine üble Gepflogenheit einiger Gesetgeber des Landes geworden seien, und daß es zum Studium der Besserung der sozialen Lage des Volks aufgefordert habe. Nachdem hierauf Lord Rosebery die wieder⸗ holte Erklärung abgegeben hatte, daß die liberale Partei an ihrem Programm festhalte, wurde die Expropriationsbill in allen Lesungen angenommen. Hierauf verkündete der Kanzler der Königlichen Kommission die Vertagung des Parla⸗ ments bis zum 24. Juli. 8

In Unterhause erhob vorgestern Knox Einspruch gegen das Vorgehen iix Mitglieder der Regierung im Oberhause, um die Vorlage, betreffend die irischen Gemeindefreiheiten, zu Falle zu bringen, und fragte an, welches die Politik der

egierung bezüglich dieses Gegenstands sei. Der Erste Lord des Schatzes Balfour erwiderte, die Regierung sei der Anschauung, daß bei den irischen Gemeindefreiheiten Anomalien und Ungerechtigkeiten vorhanden seien; doch könne er gegenwärtig nicht mittheilen, welches die Politik der Re⸗ gietig hinsichtlich der Gesetzgebung über diese Angelegen⸗ eit sei.

Der Staatssekretär der Kolonien Chamberlain hat bereits sein Wahlmanifest für die bevorstehenden Neu⸗ wahlen in Birmingham veröffentlicht. Er stellt darin folgende soziale Forderungen auf: Bessere Wohnungen für die Arbeiter⸗ klasse, Ermöglichung des Ankaufs von Wohnhäusern seitens der Arbeiter durch Staatshilfe, wie es bei den irischen Pächtern geschehen ist, Verbot der Einwanderung völlig mittelloser Aus⸗ länder, Alterspensionen, kürzere Arbeitszeit für die Laden⸗ ehilfen, Schadenersatz für alle unverschuldet erlittenen Ver⸗ etzungen, Mäßigkeitsreform, Gründung von staatlichen Ge⸗ richten für Arbeiterstreitigkeiten in den Industriezentren und versuchsweise Einführung eines achtstündigen gesetzlichen Arbeits⸗ tags in der Bergwerksindustrie.

Frankreich

In dem vorgestern abgehaltenen Ministerrath kündigte der Marine⸗Minister, Admiral Besnard an, daß das spa⸗

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nische Geschwader, auf der Heimfahrt von Kiel begriffen, am 14. d. M. in Cherbourg eintreffen und daselbst Aufenthalt nehmen werde. Das russische Geschwader, bestehend aus den Schiffen „Navarin“, „Rljurik“ und „Grosiastschi“, werde auf der Fahrt von der Ostsee nach Ostasien ebenfalls Cherbourg anlaufen. Die Neuwahlen zu den Generalräthen wurden auf den 18. d. M. festgesetzt.

In der vorgestrigen Sitzung der Deputirtenkammer legte der Deputirte Méline den Bericht der Kommission über das französisch⸗schweizerische Abkommen vor; die Beraͤthung darüber wurde auf heute festgesetzt. Das Haus nahm hierauf den Gesetzentwurf über Landesverrath und Spionage an und fuhr sodann mit der Berathung der Getränkesteuerreform fort. Der Berichterstatter be⸗ antragte, die Steuer auf Alkohol auf 275 Francs pro Hektoliter zu erhöhen, um so die beschlossenen Steuernach⸗ säsee für hygienische Getränke wieder einzubringen. Der An⸗ mag wurde angenommen, ebenso der Gesetzentwurf im Ganzen mit 394 gegen 130 Stimmen. Sodann wurde ein Antrag ungenommen, durch welchen die Regierung aufgefordert wird, imrhalb 6 Monaten einen Gesetzentwurf, betreffend das gkoholmonopol, vorzulegen.

Gestern wurde in Saint⸗Quentin das Denkmal zur grinnerung an die Vertheidigung der Stadt im Jahre 1557 fierlich enthüllt. Der Minister des Auswärtigen Hanotaux hielt hierbei eine Rede, worin er an die traurige Lage des vom Feinde überflutheten Fentreich im Jahre 1557 er⸗ innerte und hinzufügte: Frankreich, das im Laufe seiner Geschichte wiederholte Schicksalsschläge erfahren habe, habe sich immer wieder erhoben, und es habe neben sich mehrere mächtige Regierungen, deren Herrschaft unerschütterlich erschienen sei, zusammenbrechen sehen. Diese Lebenskraft verdanke Frankreich nicht allein seinem starken Patriotismus, sondern der unleugbaren Nothwendigkeit seiner Rolle unter den anderen Völkern, welche ihm stets werthvolle Sympathien und thätige und ausdauernde Mithilfe ein⸗ getragen habe. Aber Frankreich müsse sich den ihm von seiner Bestimmung zugewiesenen Aufgaben treu erweisen und müsse die wachsame Hüterin der edlen Ideen und der großen Grundsätze bleiben, die auf dem Rechte beruhten. Gesichert durch seine Stärke und das weise Haushalten mit seinen Fräften, sicher in seinen Freundschaften, fähig zur Begeisterung ind zu Opfern, und auf der Hut gegen den Geist der Aben⸗ zuer, könne Frankreich mit Vertrauen der Zukunft entgegen⸗ sehen.

Die Erträgnisse aus den indirekten Steuern pro JZuni d. J. weisen gegen Juni vorigen Jahres eine Minder⸗ einnahme von 6 Millionen Francs auf.

Rußland.

Den St. Petersburger Blättern zufolge empfing der Minister des Aeußern Fürst Lobanow⸗Rostowsky vorgestern den Metropoliten Clement. Auch erwiderte der letztere den Besuch des Präsidenten des St. Petersburger slavischen Wohlthätigkeitsvereins Sabler.

Die Kreuzer der Vereinigten Staaten „Marblehead“ und „San Francisco“ sind vor Kronstadt angekommen.

3 Italien. Heute Nachmittag fand in Rom unter dem üblichen

Zeremoniell die tandesamtliche Verbindung des Herzogs

von Aosta mit der Prinzessin Helene von Orléans statt.

Serbien.

Das Amtsblatt veröffentlicht in einer gestern erschienenen Extra⸗Ausgabe die Liste der Mitglieder des neuen Mini⸗ steriums. Die Zusammensetzung des Kabinets ist folgende: das Präsidium und das Portefeuille des Aeußern übernimmt der bisherige Präsident des Staatsraths Stojan Nowakowic, das Ministerium des Innern der bisherige Staatsrath Dimitri Marinkowic; Finanz⸗Minister bleibt Stefan Popowic; Kriegs⸗Minister ist der bisherige General der Reserve und Staatsrath Franassowic, welcher gleichzeitig reaktiviert wurde; das Bauten⸗Ministerium und provisorisch das Handels⸗ Ministerium übernimmt der pensionierte Staatsbahn⸗Direktor Michael Petkowic; zum Unterrichts⸗Minister ist der Hoch⸗ schul⸗Professor Ljubomir Kowacewic ernannt; das Justiz⸗ Ministerium hat Nincic übernommen. Sämmtliche bisherigen Minister wurden zur Disposition gestellt und der bisherige Minister⸗Präsident Nikola Christic zum Präsidenten des Staatsraͤths ernannt. Das Programm der neuen Regierung bildet in erster Linie die Ordnung der finanziellen Fragen.

In der vorgestrigen Eröffnungssitzung der Skupschtina wurde zunächst die Wahl des Verifikationsausschusses vorge⸗ nommen, nach dessen Konstituierung der Präsident desselben Rajowic als provisorischer Präsident der Skupschtina vor⸗ chlug, dem anwesenden Minister⸗Präsidenten Christic den Dank ür seine bisherige Thätigkeit auszusprechen. Die Skupschtina nahm diesen Antrag mit sturmischer Acclamation an und begrüßte Christic mit dreimaligem Zivio. Christic dankte für diese herzliche Kundgebung der Skupschtina. Heute wird sich die Skupschtina konstituieren. Als Präsident ist Garaschanin in Aussicht genommen. Die Annahme des Finanzarrangements wird als gesichert angesehen.

Im Intekesse der Festigung der öffentlichen Sicherheit und der Ausrottung der Haiducken in einigen gebirgigen Grenzbezirken Serbiens wird die Regierung noch in dieser Session der Skupschtina Gesetzvorlagen betreffs entschiedener

aßnahmen gegen das Haiduckenthum einbringen.

Der König hat sämmtliche in dem Cebinac⸗Prozeß Verurtheilten begnadigt. Dieselben wurden sofort auf freien Fuß gesetzt.

Bulgarien. Der Prinz Ferdinand von Sachsen⸗Coburg ist am zonnabend Abend von Sofia nach Karlsbad abgereist. Die Artretung des Prinzen während dessen Abwesenheit wurde dem Mnisterrath übertragen.

Dänemark.

Das spanische Geschwader und der rumänische Kreuzer „Elisabeta“ sind vorgestern von Stockholm in Kopen⸗

Jagen eingetroffen und auf der Rhede vor Anker gegangen.

Amerika. Nach einem in Madrid eingetroffenen Telegramm aus

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Cuba hätten die Generale Salcedo, Bazan und Navarro

mnen Aufständischer geschlagen. Viele von iesen; seien getödtet und verwundet worden, darunter der Anführer der Aufständischen Arramburo. 1

Aus Buenos Aires wird gemeldet, daß das chilenische Kabinet seine Demission eingereicht habe. 8

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Aus Bombay wird amtlich gemeldet, daß in der Küsten⸗ stadt Porbandar im Gebiet von Kathiawar einige Hochzeits⸗ züge der Hindus mit einer mohamedanischen Pro⸗ Ign am Muharremfeste zusammengestoßen seien, wobei

ie ersteren die letzteren angegriffen und in eine Moschee ge⸗

trieben hätten. 3 Personen seien getödtet, 184 verwundet

worden, darunter 12 schwer. Die Behörden hätten die Ord⸗

nung wiederhergestellt. Da der Tumult wieder ausbrechen

könne, sei Militär zur Hilfe requiriert worden; ein ernstlicher

Aufruhr sei indessen nicht zu erwarten. 5 Afrika.

Wie dem „Reuter'schen Bureau’ aus Alexandrien ge⸗ meldet wird, wird der Khedive sich am 15. d. M. nach Konstantinopel begeben und später die griechischen Inseln besuchen. Die Abwesenheit des Khedive wird ungefähr drei Monate dauern.

Parlamentarische Nachrichten.

Bericht über die vorgestrige Sitzung des Herrenhauses befindet sich in der Ersten Beilage.

Die heutige (20.) Sitzung des Herrenhauses, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums Dr. von Boetticher, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel, der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegenheiten D. Dr. Bosse und der Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von beiwohnten, eröffnete Präsident Fürst zu Stolberg um 12 ¼ Uhr mit geschäftlichen Mit⸗ theilungen.

Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Aufhebung des Abschnitts I des Anhangs zu der revidierten Apotheker⸗ ordnung, wurde in einmaliger Schlußberathung ohne Debatte genehmigt.

Es folgte der mündliche Bericht der Kommission über den Entwurf eines Stempelsteuergesetzes.

In Verbindung hiermit standen die Kommissionsberichte über den Antrag des Grafen von Mirbach, betreffend die Stempelabgabe für ländliche Fideikommiß⸗ stiftungen, sowie über den Antrag des Grafen zu Inn⸗ und Knyphausen, betreffend den Stempelsatz für die Bildung bäuerlicher Fideikommisse.

Die Kommission beantragte

a. dem Stempelsteuer⸗Gesetzentwurf in der von dem Hause der Abgeordneten angenommenen Fassung unverändert die verfassungsmäßige Zustim mung zu ertheilen,

b. folgende Resolution anzunehmen:

die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtag einen Gesetzentwurf wegen anderweitiger Regelung des Fideikommißwesens baldmöglichst vorzulegen und dabei auch eine Ermäßigung der Stempelkosten für Fidei⸗ kommißstiftungen, insbesondere auch durch die Werthbemessung nach dem dauernden Ertrage, in Betracht zu ziehen.

Der Antrag des Grafen von Mirbach lautete:

Die Stempelabgabe für ländliche Fideikommißstiftungen be⸗ trägt Drei vom Hundert des Gesammtwerths in Höhe des dreißig⸗ fachen Grundsteuerreinertrags unter Abzug der Schulden.

Die Kommission beantragte, diesen Antrag abzulehnen. Den Antrag des Grafen zu Inn⸗ und Knyphausen, welcher dahin ging:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, für die Bildung bäuerlicher Fideikommisse als Stempelsatz Ein vom Hundert fest⸗ zusetzen“,

herg die Kommission in folgender veränderten Fassung anzunehmen: Das Haus wolle beschließen:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Bildung bäuer⸗

licher Fideikommisse zu ermäßigtem Stempelsatz zu er⸗

öglichen.“

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (88.) Sitzung des Hauses Abgeordneten wurde ohne Debatte in erster, zweiter und dritter Lesung der vom Herrenhause übermittelte Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Abänderung mehrerer Amtsgerichtsbezirke, angenommen. Das Haus trat sodann in die Berathung des in abgeänderter Fassung vom Herrenhause zurückgelangten Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung und Ergänzung einiger Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893, ein. .“

Nach dem Beschluß des Abgeordnetenhauses sollte das außerpreußische deutsche Einkommen aus Grundbesitz und Gewerbebetrieb von der Besteuerung freibleiben. Das Herren⸗ haus hat diese Bestimmung dahin erweitert, daß das außer⸗ preußische Einkommen überhaupt, also auch das außerdeutsche, soweit es aus Grundbesitz und Gewerbebetrieb, herrührt, steuer⸗ frei bleiben soll. 8

Abg. Boettinger (nl.): Die Fassung des Gesetzentwurfs durch das Herrenhaus nähert sich derjenigen der ursprünglichen Regierungsvorlage und entspricht einem Antrage, den ich zur dritten Lesung des Gesetzentwurfs beabsichtigte, den ich aber zurück⸗ stellte, um das Zustandekommen des Gesetzes nicht zu gefährden. Das Herrenhaus hat die Richtigkeit meiner Auffassung anerkannt, und ich kann Sie nur bitten, dem Beschluß des ETö“ zuzustimmen.

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Noell: er Beschluß des Abgeordnetenhauses sowohl wie der des Herrenhauses verfolgt das Ziel, die Doppelbesteuerung zu vermeiden und 1-eee n. die Inter⸗ essen der Fessg emeinde zu wahren. „Ein Unterschied liegt nur in den Wegen, 8 zu diesem Ziel eingeschlagen werden. Ich halte den vom Herrenhaus eingenommenen Standpunkt für den sichereren und möchte Sie ersuchen, dem Beschlusse des Herrenhauses beizutreten.

Abg. Im Walle (Zentr.) erklärte sich gleichfalls für den Be⸗ schluß des Ferrendaus welcher die Rechtskontinuität besser wahre.

Abg. Hansen (freikons.): Einen Antrag, nochmals in eine Prüfung des ganzen Gesetzes einzutreten, finde ich nicht rathsam. Meine politischen Freunde billigen den Beschluß des Herrenhauses und werden demselben zustimmen. 1r esececseden ssENekeh vee

Abg. Hammacher (nl.): Das Herrenhaus hat viel konsequenter wie wir den Grundsatz vertreten, daß die Doppelbesteuerung zu vermeiden sei. Wenn jetzt die Regierung dem Beschlusse des Herrenhauses zustimmt, so hoffe ich, daß sie die Konsequenzen aus dieser Stellungnahme auch auf dem Gebiet der Staatssteuern ziehen und die dort noch bestehende Doppel⸗ besteuerung beseitigen wird. Ich hoffe ferner, daß in den außer⸗ preußischen und deutschen Bundesstaaten die vorliegende Materie durch analoge Gesetze geregelt wird, um die hier besonders wichtige Rezi⸗ prozität herzustellen. 1 Art. 1 des Gesetzentwurfs wurde in der ihm gegebenen Fassung vom Herrenhause angenommen. (Schluß des Blattes.)

In Erfurt hat eine Schneiderversammlung, wie der „Vorwärts“ berichtet, die Sperre über das Geschäft des Schneider⸗ meisters Jakobskötter verhängt.

Aus Mainz wird der „Voss. Ztg.“ geschrieben: Die juristische Kommission der Stadtverordneten⸗Versammlung erklärte sich mit der Errichtung eines städtischen Arbeitsvermittlungsamts, das auch bei Ausständen als Einigungsamt dienen soll, einverstanden. Die Stadtverordneten werden wahrscheinlich dem Beschluß der Kom⸗ mission zustimmen. Wie die „Frkf. Ztg.“ mittheilt, soll nach de Entwurf in Fällen von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitern das Arbeitsamt verpflichtet sein, sofort einzugreifen und zur Beilegung der vorhandenen Streitigkeiten Arbeitgeber wie Arbeit⸗ nehmer vorzuladen

In Eisenberg in Sachs.⸗Alt. befinden sich, einer Mittheilung des „Vorwärts“ zufolge, die Dreher der Dietrich'schen Porzellan⸗ fabrik im Ausstande.

In Budapest fanden gestern, wie „H. T. B.“ meldet, dre stark besuchte Arbeiterversammlungen statt, welche internationale Sozialdemokratie Stellung nahmen. Es wurde die Gründung einer nationalen Arbeiterpartei beschlossen, al Gegenmittel gegen die Verbreitung der sozialdemokratischen Ideen

Zum Bergarbeiterausstand in Reschitza (vgl. Nr. 158 d. Bl.) wird der „Frkf. Ztg.“ aus Wien gemeldet: Die Bergarbeiter in den Reschitzaer Steinkohlengruben der Staatsbahngesellschaft haben am Sonnabend nach vierwöchigem Ausstande die Arbeit zu den alten Bedingungen wieder aufgenommen.

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Kunst und Wissenscha roße Berliner Kunstausstellung. VI. *)

England und Schottland.

L. K. Englands Kunstzuständen wandte sich die Auf merksamkeit der kunstfreundlichen Welt neuerdings in er⸗ höhtem Maße zu, seit man das Auftreten der Prära⸗ phaeliten als ein Anzeichen des allgemeinen Umschwungs künstlerischer Auffassung vom Naturalismus zur Ro⸗ mantik ansah. Die Leistungen Walter Crane's, Burne Jones’ und anderer Neoromantiker erregten in Deutschland besonders große fg. Mittlerweile ha sich der Enthusiasmus für diese von der Natur abgekehrte Kunstrichtung etwas abgekühlt. Ihre hohe dekorative Be⸗ deutung bleibt in Ehren, aber die Schwächlichkeit des Empfindens, das eintönige Pianissimo ihres Vortrags weckt die Sehnsucht nach kräftiger, innerlich gesünderer Kost. Selbst die klassizistische Nichtung Sir Frederick Leighton'’s, der die diesjährige Ausstellung mit einer Allegorie des Sommerabends beschickt hat, muthet uns neben den nur von mystischer Empfindung erfüllten Gestalten der Präraphaeliten kraftvoll an. Den hoch⸗ entwickelten Geschmack für Linienführung und zarte Farben⸗ wirkung besitzt Leighton gleich ihnen. Der bernsteinähnliche Ge⸗ sammtton seines Bildes, der weiche Fluß der Gewandung, die Anmuth der lässigen Haltung in den beiden entschlummerten Frauengestalten, die den Sommerabend personiftzieren, einigen sich zu einer überaus vornehmen, wennglei Wirkung. Lebhaftes, den Beschauer mit sich reißendes Tem⸗ perament besitzt Leighton allerdings so wenig, wie die Prã⸗ raphaeliten. Freilich wäre es ungerecht, diese nach den wenigen

Croben ihrer Leistungsfähigkeit, die in unserer Ausstellung sich nden, beurtheilen zu wollen. Burne Jones hat ein Kinder⸗ porträt von fast körperloser Zartheit (250) ausgestellt, das nur eine undeutliche Vorstellung von seiner Begabung giebt. Walter Crane zeigt sich diesmal nur als Lanbschafter in einer Reihe kleiner Aquarelle, die, zart und duftig hingehaucht, einzelne Motive aus der altflandrischen Kunststadt Brügge darstellen. Die traumhafte Verlassenheit der einst so blühenden Handels⸗ stadt, in der die Erinnerung an die altflandrische Kunst dem Wanderer auf Schritt und Tritt auf den grasbewachsenen Straßen und Pläfen begegnet, hat es der Einbildungskraft des Künstlers besonders angethan. J. W. Waterhouse schlägt den Legendenton der Präraphaeliten in seiner „grau⸗ samen Schönen“ an, die einen Ritter in ihrem Goldhaar ge⸗ fesselt hält. Die lachende Waldlandschaft, der Märchenzauber, der die Gestalt des Mädchens umwebt, haben etwas Bestrickendes, und doch sehnt man sich von diesen Idyllen zu der temperamentvolleren Phantasiewelt Böcklin’s zurück, aus der uns die volle Persönlichkeit des Schaffenden in jedem Motive entgegenblickt, während hier alle Individualität dem Streben nach „echter“ Romantik geopfert ist. Kühle Vornehmheit des Geschmacks kennzeichnet auch die Bildnisse von John Millais, dessen Kardinal Newman 1201) zu seinen Meisterleistungen zählt. Leider kommt die ewunderung solchen Werken gegenüber selten über das Epitheton „tadellos“ hinaus. Die Reserviertheit des Malers erzeugt unwillkürlich auch beim Beschauer ein Gefühl der Kälte und Zurückhaltung. Auch Otto Scholderer läßt uns, in der Technik etwas derber als Millais, niemals den behutsamen Weltmann von gutem Geschmack über dem Künstler vergessen. Unter den englischen Landschaftern seien noch kurz der virtuose Orientmaler Melville, der an die Schule von Fontainebleau sich anlehnende J. B. Knight, Michie und otman genannt. Auf diesem Felde müsfen die Engländer den Schotten durchaus den Platz räumen. Freilich die Be⸗ geisterung, die die „Boys of Glasgow“ bei ihrem ersten Auftreten auf dem Kontinent erregten, ist auch bereits etwas ins Wanken gerathen, seit alljährlich deutlicher die Schablone im Schaffen der Schotten zu Tage trat. Auch hier ist das Zurücktreten von Temperament und Individualität hinter dem einmal aus⸗ gegebenen und bewunderten Ptc ramm zum Feinde gesunder Entwicklung geworden. Die Werke der gati en Landschafts⸗ maler erscheinen uns als eine kompakte Masse, in der sich der einzelne nur durch die größere oder geringere technische Kraft unterscheidet. Geradezu den Eindruck fabrikmäßigen Schaffens empfängt man von den Mondscheinlandschaften Macaulay Stevenson'’'s, deren nicht weniger als neun in der diesjährigen Ausstellung vereinigt sind. Einzelne darunter sind zweifellos Schöpfungen ersten Ranges, aber die stete Wiederholung desselben Motivs in derselben Stimmung und Auffassung läßt den Beschauer bald ermüden, umal auch die Phantasie des Malers in einzelnen Bildern vrmüͤdung verräth. Die zarten Nebel, die die Linien und Formen der Landschaft verschwimmen lassen, gehören aber ein⸗ mal zu dem Programm der schottischen Schule, von dem sich auch ein 2 d ve. Brown, Paterson Grossvenor Thomas, Robertson, Calvert, Morton nicht emanzipieren können. Etwas kraftvoller in den Farben

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