1895 / 172 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 22 Jul 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Der Sohn des Emirs von Afghanistan hat sich am Sonnabend Nachmittag in Windsor von der Königin verabschiedet. Auf dem Bahnhof war eine Ehrenwache auf⸗ gestellt. Die Audienz dauerte etwa 20 Minuten und trug einen sehr herzlichen Charakter. Die Königin überreichte dem Prinzen einen eigenhändigen Brief, welcher die Aufschrift trug: „An Seine Hoheit den Emir, meinen geschätzten Freund und Bundesgenossen“. Der Prinz wird England Ende Juli ver⸗ lassen und von Dover nach Calais in einem Spezialdampfer fahren. Die Weiterreise erfolgt über Brüssel, Paris, Venedig und Egypten. 1

Bis Sonnabend Abend waren gewählt: 343 Unionisten, 99 Liberale, 6 Parnelliten, 50 Anti⸗Parnelliten und 2 Mitglieder der Arbeiterpartei. Die Unionisten haben bisher 81 und die Liberalen 16 Sitze gewonnen. Der Erste Lord der Admiralität Goschen wurde wiedergewählt. Den Sitz für Roxburgh gewann der Earl of Dalkeith (lib. Unionist). In Bigleswade (Bedfordshire) siegte Lord Alwyne Compton (lib. Unionist) über den Liberalen George Russel.

8 2 1 b

Der Minister⸗Präsident Ribot traf gestern Vormittag in Saint⸗Pol (Departement Pas⸗de⸗Calais) ein, um der Eröffnungsfeier des neuen Colléège beizuwohnen. Beim Empfange gab der Erzpriester seiner Achtung vor der be⸗ stehenden Gewalt Ausdruck. Der Minister⸗Präsident Ribot erwiderte, die Regierung sei bestrebt, nicht nur die Gewissens⸗ freiheit aller Bürger zu schützen und zu achten, sondern auch dem Klerus seine Mission zu erleichtern. In einer später ge⸗ haltenen Rede feierte der Minister⸗Präsident eine Politik der Einigung im Innern und der Festigkeit in den auswärtigen Angelegenheiten, bei denen die Freundschaft einer großen Nation eine Vgenhhiü für die Würde und die Sicherheit Frank⸗ reichs sei.

Rußland.

Der Großfürst⸗Thronfolger wird voraussichtlich am 19./31. Juli von Abbas⸗Tuman nach Peterhof und von dort mit der Kaiserin⸗Mutter nach Dänemark reisen. Nach Abbas⸗Tuman wird der Großfürst⸗Thronfolger nicht vor Sep⸗ tember zurückkehren.

Die Königin von Griechenland traf gestern Abend in Pawlowsk bei St. Petersburg ein.

Wie der „Grashdanin“ von heute meldet, sind die Ver⸗ handlungen wegen des Abschlusses des russisch⸗griechischen Handelsvertrags beendet. Der Vertrag wird auf zehn Jahre abgeschlossen werden. Die Zölle auf russisches Getreide sollen unveränderlich fest bestimmt werden; für das russische Kerosin soll in Griechenland das Monopol eingeführt werden. Die genannte Zeitung verspricht sich hier⸗ von eine Verdrängung des amerikanischen Petroleums vom griechischen Markt zu Gunsten des russischen.

Die bulgarische Deputation hat vorgestern Abend ihre Rückreise über Moskau, Kiew und Wien angetreten. Der Sekretär des slavischen Wohlthätigkeitsvereins, mehrere Journalisten und Vertreter der bulgarischen Kolonie sowie der bulgarischen Studenten in St. Petersburg gaben der Depu⸗ tation das Geleit zum Bahnhof.

Die amtliche Ss hl8 Wjedomosti“ (Kirchenzeitung) veröffentlicht den Wortlaut der Rede, welche der Ober⸗ Prokurator des heiligen Synod Pobjedonoszew am 4./16. Juli an den bulgarischen Metropoliten Clement richtete; dieselbe lautete: 8 .

Wir begrüßen Sie, hochwürdiger Erzbischof, und freuen uns Ihrer Anwesenheit unter uns; wir freuen uns deshalb, weil wir in Ihnen den Repräsentanten Ihres Volks erblicken in dem wahrsten und uns symvathischsten Ausdrucke seiner Seele, im orthodoxen Glauben, durch welchen Sie, wir und alle demselben treue Slaven leben, uns bewegen und sind. Nur durch diesen Glauben kann jeder slavische Stamm ge⸗ festigt sein, in ihm allein Schutz vor seinen Feinden und vor seinen falschen Freunden finden, welche noch gefährlicher als Feinde sind. Und nun, wenn man Sie nach Ihrer Rückkehr in die Heimath fragen sollte, was das glaubensgenössische Rußland Bulgarien wünschte, so sagen Sie: Es wünscht dem bulgarischen Volke Festigkeit im ortho⸗ doxren Glauben, Wahrung der guten, väterlichen Sitten und eine Regierung, deren Seele sich mit dem Volke gemeinsam in dem ortho⸗ doxen Glauben vereine.

Den St. Petersburger Blättern zufolge ist die von dem General⸗Gouverneur gemachte Vorlage, betreffend die Ver⸗ stärkung des Wachtdienstes an der chinesischen Grenze im Ussuri⸗Gebiet durch Ansiedelung von Kosaken aus dem europäischen Rußland, welchen erhebliche Privilegien einge⸗ räumt werden, genehmigt worden.

Italien.

In der vorgestrigen Sitzung des Senats richteten die Senatoren Parenzo, Costa, Pierantoni, Canonico und Bartoli gelegentlich der Berathung des Justiz⸗ budgets eine Anfrage über den Prozeß Giolitti an die Regierung mit dem Ersuchen, daß dieser Prozeß nicht suspen⸗ diert bleibe. Der Justiz⸗Minister Calenda erwiderte mit einer geschichtlichen Darlegung der Sache, indem er hervorhob, daß der Staatsanwalt der Ansicht gewesen sei, daß er nach dem Erkenntniß des Kassationshofes in dieser Angelegenheit nichts mehr zu thun habe. Die Regierung habe im Hinblick auf die parlamentarischen und politischen Verhältnisse diese Frage nicht vor die Kammer bringen können. Der Prozeß habe seinen regelmäßigen Verlauf in voller Unabhängigkeit und unter aller Prärogativen genommen. Nach dem Urtheil des Kassationshofes habe der Prozeß keine juridische Existez mehr. Parenzo und Canonico beantragten darauf eine Tagesordnung dahin gehend, daß die Frage des Prozesses Giolitti zum Austrag ebracht werde. Der Minister⸗Präsident Crispi forderte den enat auf, diese Tagesordnung abzulehnen und fügte hinzu: die richterliche Behörde habe ihre Pflicht : Giolitti habe die Kompetenzfrage aufgeworfen, der Kassationshof habe Giolitti Recht gegeben. In der gegenwärtigen kurzen Session 29 die Regierung die Frage wegen der Kompetenz Kammer in dieser Angelegenheit nicht aufwerfen können, das heiße aber nicht, den Prozeß ersticken oder die Justiz aufheben. Wenn es das Recht der Regierung sei, die 81 der Deputirtenkammer in dem Prozeß an⸗ zuregen, so hätte das auch seitens der Kammer sachh oder durch die bei dem Prozeß betheiligten Parteien geschehen können. Die Justiz könne unabhängig von der Exekutivgewalt ihren Weg nehmen: im geeigneten Augenblick werde die Regierung die Frage vor die Kammer bringen und ihre Pflicht thun. Die Tagesordnungen wurden darauf zurückgezogen.

Verlegenheiten zu erwarten.

““ Die Anfrage des Abgeordneten Pawlowic

Gegen Ende der vorgestrigen Sitzung der Deputirten⸗ kammer erklärte der Minister⸗Präsident Crispi in Er⸗ widerung auf mehrere Anfragen über die von Cavallotti beim Staatsanwalt gegen ihn eingereichte Anzeige, daß er nicht die Pflicht habe, auf diese Anfragen inhaltlich zu ant⸗ worten. Nach dem Kammervotum vom 22. Juni sei dieses Argument erschöpft. Die Fragesteller beharrten darauf, daß das Haus darüber entscheide. Der Justiz⸗Minister Calenda erklärte auf ähnliche Anfragen, er wisse nicht, ob die Anzeige Cavallotti's an eine Gerichtsbehörde gelangt sei; wenn dies der Fall sei, so werde die Behörde wissen, wie sie dem Gesetz gemäß zu handeln habe. Nach einer Replik der Fragesteller war der Zwischenfall erledigt. In seiner gestrigen Sitzung beendigte das Haus die Berathung der Finanzmaßnahmen und wird heute in die Diskussion über die Maßnahmen bezüglich des Schatzes eintreten.

In Palestrina (Provinz Rom) drang gestern die Be⸗ völkerung in die Bureaux der Gemeindebehörde und zerstörte die Möbel und die Akten. Die Ordnung wurde von der be⸗ waffneten Macht wiederhergestellt. Der Grund der Ruhe⸗

störung war die Anwendung der Bestimmungen über die

Gemeindesteuer. ¹

8 Belgien.

Als sich der König gestern in Brüssel nach der Lokal⸗ Ausstellung in der Vorstadt Saint⸗Gilles begab, rief, wie „W. T. B.“ berichtet, bei seinem Vorüberfahren eine kleine Gruppe von Sozialisten: „Nieder mit dem Schulgesetz!“

Türkei.

Der Khedive nahm am Freitag das Diner im Yildiz⸗ Palast ein. Vom Sultan wurde ihm der Nischam⸗Imtiaz⸗

Orden verliehen. 8 1 Griechenland.

In der Deputirtenkammer brachte vorgestern der Minister⸗Präsident Delyannis eine Vorlage ein, durch welche der Ausfuhrzoll für Korinthen um 4 Drachmen für je 1000 1 herabgesetzt wird und die Exporteure zur Zurückhaltung von 15 Proz. der ausgeführten Korinthen verpflichtet werden. Die Kammer hat die Vorlage im Prinzip angenommen.

Nach einer Meldung der „Politischen Correspondenz“ aus Athen wäre das Kabinet Delyannis fest entschlossen, jedem bedenklichen Umsichgreifen der philomacedonischen Bewegung in Griechenland und speziell dem Uebertritt bewaffneter Banden nach Macedonien nachdrücklichst ent⸗ gegenzutreten. Die Pforte habe von dieser Seite keine

8 Serbien.

über den Protest Hoskier's hat der Finanz⸗Minister Popowic am Freitag dahin beantwortet, daß der Protest bestehe und die Re⸗ ierung alles Nöthige thun werde. Vor der Abstimmung abe der französische Gesandte Patrimonio auf Befehl seher Regierung bei dem Minister⸗Präsidenten betreffs es Protestes Hoskier's gegen die Konversion Einspruch erhoben und die Ausschließung der Hoskier’'schen Anleihe von der Konversion verlangt, weil Hoskier ein Spezialpfand habe. Der Minister⸗Präsident Nowakowic habe geantwortet, er könne nichts thun, da die neue Konversion den faktischen Werth des Hoskier'schen Pfandes nicht verkleinere, sondern durch die neue Monopolverpfändung vergrößere.

In ihrer vorgestrigen Abendsitzung hat die Skupschtina die Konversionsvorlage in der Spezialberathung mit großer Majorität angenommen. Die ersten vier Artikel wurden ohne Aenderung genehmigt. Im Artikel 5 wurde ein Passus über ein siebentes Mitglied für die autonome Monopolverwaltung hinzugefügt. Ergänzungen und Aende⸗ rungen erfuhren: Artikel 10, betreffend die Stellung der Rechnungskontrole unter den Ober⸗Rechnungschef des Staats, und Artikel 19, betreffend die Einzelbestim⸗ mungen der Kotierung der Obligationen in Deutschland, Frankreich und Oesterreich⸗Ungarn. Art. 21 ist fortgefallen. Art. 22 bestimmt, daß bei Steuerfreiheit der Loostitres und Be⸗ zahlung aus den Monopolen eine Reduktion der Zinsen auf 2 Proz. eintreten solle. Am Schluß wurden noch zwei neue Artikel an⸗ gefügt, denen zufolge die Verjährungsfrist der Kupons 5 Jahre, die der Obligationen 30 Jahre beträgt. Der Emissionskurs wird seinerzeit durch die Regierung und einen Skupschtina⸗ Ausschuß von 5 Mitgliedern festgestellt werden. Nachdem noch am Sonnabend Abend die Sanktion des Gesetzes durch den König erfolgt war, ist dasselbe gestern amtlich veröffentlicht worden. 8n, Zur Interpellation des Krondeputirten Curcic über die macedonische Bewegung, welche dem Ausschuß über⸗ wiesen war, erklärte der Minister⸗Präsident Nowakowic, er finde die Beantwortung aus politischen Rücksichten nicht opportun. Der Ausschuß empfahl in seiner Erklärung der Skupschtina, über die Interpellation zur Tagesordnung über⸗ zugehen; die Skupschtina hat diesen Antrag vorgestern ange⸗ nommen 1

Bulgarien.

Die „Agence Balcanique“ meldet, der Prinz Fer⸗ dinand habe am Sonnabend an den Minister⸗Prästdenten Stoilow einen Erlaß telegraphiert, worin er betonte: Er habe im Einverständniß mit dem Minister⸗Präsidenten vor der blut⸗ befleckten Bahre die Meinungsverschiedenheiten, welche ihn und Stambulow getrennt hätten, vergessen und dem Todten ein nationales Begräbniß erweisen wollen; allein die un⸗ qualifizierbare Haltung der Familie, deren schrecklichen Schmerz er veistehe und achte, ferner die seinen loyalen und pietätvollen Schritten gegenüber von den Partei⸗ Fithfrn des Todten im Lande ausgestreuten unerhörten Be⸗ schuldigungen und die namenlosen, in fast ganz Europa gegen ihn und Stoilow gerichteten Angriffe ühe ihm zu seinem aufrichtigsten Bedauern die gebieterische Pflicht auf, Stoilow anzurathen, daß er sich gleich ihm formell jeder Theilnahme an dem Leichenbegängniß enthalte. Er sei [darauf gefaßt, daß eine feindselige Meinung hierin neue Vorwände zu Anklagen finden werde, er halte aber diese Entschließung der Ehre des Ferrschegs und des Ministers würdig, und er sei mehr als je solidarisch mit seinen aufgeklärten und getreuen Rathgebern. Stolz darauf, mit ihnen die Last des Miß⸗ trauens und der Ungerechtigkeiten zu tragen, und stark durch die Aufrichtigkeit einer liberalen und aufgeklärten Politik, deren Früchte zu reifen begännen, warte er ruhig die Be⸗ schwichtigung des Sturms ab, indem er nicht zweifle, daß die Regierung bis ans Ende durch die Entdeckung und exemplarische Bestrafung der Mörder Stambulow's ihre Pflicht thun

werde. Auf Wunsch des Prinzen Ferdinand fand in Karlsbad vorgestern um 4 Uhr Nachmittags in der dortigen russischen Kirche ein feierlicher Trauergottesdienst für Stambulow statt, welchem der Prinz Ferdinand mit sämmt⸗ lichen Herren seines Gefolges, sowie eine Anzahl dort zur Kur sich aufhaltender Persönlichkeiten aus Bulgarien beiwohnten.

Ueber das Leichenbegängniß Stambulow s am Sonn⸗ abend liegt folgender Bericht des „W. T. B.“ aus Sofia vor:

Schon lange vor 2 Uhr Nachmittags, der für das Leichen⸗ begängniß festgesetzten Zeit, strömten die Theilnehmer an der Feier⸗ lichkeit in großer Zahl herbei. Mehr als 300 Kränze waren an dem Sarge niedergelegt, darunter diejenigen des Kaisers von Oester⸗ reich, des Königs von Rumänien, der Königin von England, der Stadt Rom und der Anhänger Stambulow's aus allen Städten Bulgariens. Eine Anzahl Städte und Vereinigungen waren durch Depu⸗ tationen vertreten. In dem Trauerzuge befand sich weder ein Staats⸗noch ein Hofbeamter. Der Metropolitan Parthenios, umgeben von zahlreichen Geistlichen, segnete die Leiche ein. In zwei Reihen dahinschreitende Kinder trugen die Kränze. Die ganze Geistlichkeit von Sofia schritt dem Leichenwagen voran; 8 folgten die Angehörigen und die intimen Freunde Stambulow's, darunter Petkow, unmittelbar dahinter das diplomatische Korps, die Vertreter der Presse, die Depu⸗ tationen, viele Bewohner von Sofia und eine sehr große Zahl von Zuschauern. Vor dem Hause Stambulow's war keine Polizei aufgestellt. Der Zug schritt, umdrängt von der Menge, nur langsam vorwärts. An der Stätte des Attentats, welche sich in derselben Straße befindet, hielt der Zug an. Nachdem ein Gebet gesprochen war, begann Petkow eine Ansprache, indem er sagte: „An dieser Stätte fiel der beste Mann, der soviel für das Vaterland gethan hat, unter den Streichen bezahlter Mörder.“ In diesem Augenblick rief jemand aus der Menge: „Du lügst!“ Ein schrecklicher Wirrwar erfolgte. Die Knaben ließen, schreiend vor Schreck, die Kränze fallen, der ganze Zug stürzte nach den Trottoirs; mebrere Personen wurden umgerannt. Die Polizei stellte die Ordnung wieder her. Ein Polizeioffizier erklärte, er sei zur Eskorte des Trauerzuges entsandt, damit derselbe nicht durch die Zuschauer gestört werde. Infolge dieses Zwischenfalls ging der Zug nicht vor dem ehemaligen Regentschaftspalais S vor welchem Reden gehalten werden sollten, sondern begab sich direkt zur Kirche. Diese war bald überfüllt, sodaß die meisten Theilnehmer an der Leichenfeier außerhalb der Kirche Auf⸗ stellung nehmen mußten. Die religiöse Zeremonie war sehr kurz. Da

noch auf dem Friedhofe Reden gehalten. Der Sarg wurde ab⸗ wechselnd von je vier Freunden Stambulow's getragen. Die Straße bis zum Friedhof war von einer nach vielen Tausenden zählenden Menge besetzt, welche den Zug bis nach dem eine Stunde entfernten Friedhof begleitete. Auch die diplomatischen Agenten gingen zu Fuß mit zum Friedhof, der militärisch und polizeilich besetzt war. Hier wurde nach geschehener Einsegnung der Sarg niedergestellt. Alsbald ertönten im Rücken der Polizei Pfiffe und lautes Geschrei, sodaß berittene Gendarmen die Ruhe wiederherstellen mußten. Am Grabe ward keine Rede gehalten. Nachdem die religiöse Be⸗ stattungszeremonie beendet war, ertönten auf der anderen Seite des Kirchhofs Musik und Freudenrufe. Die gesammte Polizei begab sich sogleich dorthin, eine Menge Neugieriger folgte. Dort feierten an den Gräbern der infolge des Beltschew⸗Prozesses Hinge⸗ richteten die Sozialisten und andere Gruppen den Tod Stambulow's. Nach einer gegen das Andenken Stambulow's gerichteten leidenschaft⸗ lichen Rede folgte die religiöse Zeremonie der Einsegnung der Gräber; sodann wurden abermals Reden gehalten, darunter von dem Direktor des Bureaus der Sobranje Kirdejaw. Die Polizei sah sich nicht veranlaßt, einzuschreiten. Bei der Rückkehr der Volksmenge von dem Leichenbegängniß kam es zu Kund⸗ gebungen vor dem französischen Konsulat. Eine Gruppe von Leuten, welche dem französischen Konsul für die Haltung der französi⸗ schen Presse anläßlich der Ermordung Stambulow's Dank bezeigen wollten, wurde durch die Polizeimannschaft und Kavallerie aus⸗ einandergetrieben. Ein nach Sofia entsandter Berichterstatter des Wiener „Fremdenblatts“ führt die bei dem Leichenbegängniß entstandene Panik darauf zurück, daß die Anhänger Stambulow's und die Kawassen der Konsulate zum eigenen Schutz gegen die andrängende Volksmenge ihre Revolver gezogen hätten; eeger habe man indessen nicht. Der rumänische und der serbische Vize⸗Konsul seien im Ge⸗ dränge niedergeworfen und mit Füßen getreten worden.

Die Untersuchung gegen die Mörder Stambulows wird, nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Sofia von heute, eifrig fortgesetzt. Es bestätigt sich nicht, daß Bone Georgiew ein Geständniß abgelegt hat, derselbe ist indessen schwer belastet und bleibt in Untersuchungshaft, desgleichen Tüfektschiew. Nach Angabe der Untersuchungsbehörde schließen sich die Indizien gegen Halew, welchen Stambulow als den Haupturheber des Ueberfalls bezeichnete, täglich enger usammen. Der dritte Mitschuldige soll der Macedonier

thanas sein, der gleich Halew unauffindbar ist.

Schweden und Norwegen.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Christiania hätte der König den ehemaligen Minister Thorne mit der Bildung des neuen norwegischen Kabinets beauftragt. Thorne soll dem Vernehmen nach den Auftrag angenommen haben.

Amerika.

Dem „Temps“ wird aus Madrid gemeldet, daß die Anführer der cubanischen Aufständischen Maceo und Gomez alle ihre Truppen um Bayamo vereinigt hätten, wo der Marschall Martinez Campos von ihnen eingeschlossen sei. Eine amtliche, in Madrid eingetroffene Depesche aus Havanna vom Sonnabend bringt die Nachricht, daß die Truppen des Generals Navarro am Freitag früh von Manzanillo nach Bayamo abmarschiert seien. General Valdes meldete am 18. d. M., daß er unverzüglich nach Bayamo aufbrechen werde. In Paris ist gestern die Nachricht eingegangen, daß der General Navarro mit 2000 Mann in Bayamo eingetroffen sei. Ein entscheidendes Gefecht gelte als bevorstehend.

Die Absendung von Verstärkungen nach Cuba wird in Madrid rasch gefördert. Mitte August werden 20 000 Mann Infanterie, 1250 Mann Karvallerie, 1200 Mann Artillerie und 1000 Mann Genietruppen dahin abgehen. Der Ministerrath wird, dem „W. T. B.“ zufolge, heute die hebediliornhs der ersten Reserve der Infanterie be⸗

ießen.

Die „New⸗York World“ berichtet, daß nach einem Telegramm aus Caräcas in Venezuela eine Erhebung ausgebrochen sei und die Aufständischen von Valencia die Regierungstruppen unter Oberst Ybarra besiegt hätten. Dabei seien auf Seite der letzteren 20 Mann getödtet und 50 verwundet worden. . 88

Afrika.

Wie dem „Reuter'schen Bureau“ aus Tanger gemeldet wird, flößt die Lage in Saffi große Besorgniß ein; eine roße Anzahl Aufständischer befinde sich in der Nachbar⸗ schaß von Saffi und ein Zusammenstoß werde erwartet. Die Geschäfte sollen stocken und die Läden geschlossen sein.

man weitere Ruhestörungen befürchtete, wurden weder in der Kirche

Entscheidungen des Reichsgerichts. 3 8

Nach Art. 7 des kann eine Ehefrau ohne Einwilligung ihres Ehemanns nicht Handelsfrau sein. In Bezu auf diese Bestimmung hat das Reichsgericht, IV. Zivilsenat, dur Urtbeil vom 14. Februar 1895 ausgesprochen, daß zwar weder die fehlende Einwilligung des Ehemanns durch den Richter ergänzt werden kann, noch der vom Ehemann erklärte Widerruf der von ihm ertheilten Genehmigung vom Richter aufgehoben werden kann, daß aber während des EChescheidungsprozesses durch einstweilige Verfügung des Richters die Ehefrau zum Weiterbetrieb ihres Handel’geschäfts für die Dauer des Prozesses, trotz des vom Manne erklärten Widerrufs der ertheilten Ein⸗ willigung, ermächtigt werden kann. „Wenn der Art. 7 Abs. 7 des dans eeeLccance bestimmt: eine Ehefrau könne ohne Einwilligun ihres Ehemanns nicht Handelsfrau sein, so ergiebt sich hieraus, daß die Ehefrau nur mit Einwilligung des Ehemanns Handelsfrau werden kann, daß sie aber auch aufhört, Handelsfrau zu sein, wenn der Mann die Einwilligung widerruft. Die Ertheilung und der Widerruf der Einwilligung unterliegen sonach in Ansehung der Rechtswirksamkeit derselben rechtlichen Beurtheilung. Es ist nun dem Berufungsrichter darin beizutreten, daß das Handelsgesetzbuch davon ausgeht, daß die Entschließung des Ehemanns nach beiden Richtungen in sein freies Ermessen gelegt, und daß deshalb sowohl die Ergänzung der fehlenden Einwilligung als auch die Aufhebung des vom Mann erklärten Widerrufs der ertheilten Einwilligung durch den Richter ausgeschlossen ist. Jene Vorschrift des Handelsgesetzbuchs ist aber nicht unbedingt zwingender Natur und findet keine Anwendung in einem Falle der vorliegenden Art, wenn die Eheleute im Scheidungs⸗ prozesse stehen und es sich um die Regelung eines für die Dauer des Prozesses herzustellenden, einstweiligen Zustandes handelt, die den Zweck verfolgt, die Ehefrau gegen Nachtheile zu sichern, die der Ehe⸗ mann ihr in böslicher Absicht durch den Widerruf der ihr zum Be⸗ trieb eines Handelsgeschäfts ertheilten Genehmigung zufügen will. Das Handelsgesetzbuch hat nur geordnete eheliche Verhältnisse im Auge, und von seinem Standpunkte aus ist der unredliche Widerruf der der Ehefrau gegebenen Erlaubniß zur Führung eines Handelsgeschäfts durch den Ehemann bei aufrechter Ehe überhaupt nicht denkbar. Der Art. 7 a. a. O. steht daher dem Antrage der Klägerin nicht entgegen. Die auf Grund der Gesetzesvorschrift des § 819 der Zivilprozeßordnung zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes im Ehescheidungsverfahren zu erlassenden einstweiligen Verfügungen sind in Betreff des Gegen⸗ stands nicht eingeschränkt. Sie können sich auf sämmtliche den Ebe⸗ leuten gegeneinander zustehenden Rechte, also auch auf die dem Ehemanne kraft seiner eheherrlichen Gewalt gegen die Ehefrau zu⸗ kommenden Rechte erstrecken, sodaß das hier streitige Recht gleichfalls Gegenstand einer einstweiligen Anordnung sein kann.“ (169/94.)

Entscheidungen des Ober⸗Verwaltungsgerichts.

Die Vorschrift des § 7 des Kommunalabgabengesetzes vom 27. Juli 1885, betreffend die Vertheilung des gemeinde⸗ steuerpflichtigen Einkommens aus dem Besitz oder Betrieb einer Cch über mehrere Gemeinden erstreckenden Gewerbe⸗, Bergbau⸗ oder Eisenbahnunternehmung (welche mit § 47 des neuen Kommunal⸗ abgabengesetzes vom 14. Juli 1893 übereinstimmt), findet, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, II. Senats, vom 8. Mai 1895, ebenso auf Forensen wie auf Gesellschaften und juristische Personen Anwendung. In Bezug auf den in diesen Paragraphen gemachten Unterschied zwischen EEöö Bank⸗ und Kreditgeschäften einerseits, wobei die Vertheilung nach Verhältniß der in den einzelnen Gemeinden erzielten Bruttoeinnahmen erfolgt 7 a), und den übrigen Fällen andererseits, wobei die Verthei⸗ lung nach Verhältniß der in den einzelnen Gemeinden erwachsenen Betriebskosten erfolgt 7 b), hat ferner das Ober⸗Verwaltungs⸗ gericht in derselben Sache ausgesprochen, daß bei einem Unternehmen, welches neben dem Bank⸗, Kredit⸗ oder Versicherungsgeschäft noch ein anderes Geschäft betreibt, stets die Vertheilung nach Verhältniß der Betriebskosten (§7b) zu erfolgen hat, es sei denn, daß das andere Geschäft gegenüber dem Bank⸗, Kredit⸗ oder Versicherungsgeschäft nur in verschwindendem Umfang betrieben wird. Die Theilhaber der Handelsgesellschaft A., welche in Berlin und in einer Zweig⸗ niederlassung zu N., einer pommerschen Stadt, ein Bank⸗, Getreide⸗ und Wollgeschäft betreibt, Hugo A. und Franz M., haben ihren Wohnsitz zu Berlin und wurden in N. als Forensen zu der Gemeinde⸗Einkommensteuer pro 1893/94 (140 % der Staats⸗Ein⸗ kommensteuer) herangezogen. Der Magistrat zu N. brachte bei ihnen den Vertheilungsmaßstab des § 7 b des Kommunalabgaben esetzes vom 27. Juli 1885 zur Anwendung, wogegen A. und M. allenfalls den Maßstab der Bruttoeinnahmen 7 a) in Anspruch nahmen, be⸗ hauptend, daß die Gesellschaft vorzugsweise Bank⸗ und Kredit⸗ geschäfte betreibe. Das Ober⸗Verwaltungsgericht erachtete den Vertheilungsmodus des Magistrats für berechtigt, indem es begründend ausführte: „Dem Vorderrichter ist unbedenklich darin beizutreten, daß §7 a. a. O. nach seinem Wortlaut auf alle im § 1 daselbst genannten Abgabepflichtigen, insbesondere also auch auf die im § 1 Abs. 3. aufgeführten Forensen sich bezieht. Es ist hier ein alle Fälle um⸗ fassender Vertheilungsmaßstab gesetzlich vorgeschrieben, und es kann daher den Klägern nicht gestattet werden, statt ihn anzu⸗ wenden, nach eigenem Ermessen eine Ermittlung des in der einen und der anderen Gemeinde erwachsenden Einkommens zu unternehmen. Das bloße Ueberwiegen der Bankgeschäfte ohne jeden näheren Anhalt reicht nicht aus, die Regel des § 7b zu verlassen und nur mit dem § 7a zu rechnen. Daß der § 7b der Regelfall ist, bringt das Gese dadurch zum Ausdruck, daß den Versicherungs⸗, Bank⸗ und Kreditgeschäften alle übrigen Fälle gegenübergestellt werden. Möchte es dann vielleicht nicht ausgeschlossen sein, ein Ge⸗ schäft, welches in verschwindendem Maße neben dem Versicherungs⸗, ank, und Kreditgeschäft in ein anderes Gewerbe übergreift, allein unter den § 7 Litt. a. zu subsumieren, so ist doch für einen der⸗ artigen Thatbestand hier nichts beigebracht.“ (II. 716.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung. 8

Aus Flensburg wird der „Köln. Ztg.“ zum Ausstand der Maurer berichtet, daß der dortige Magistrat um Vermittlung in der Streitsache angegangen worden sei.

In Leipzig verhandelten, wie die „Lpz. Ztg.“ berichtet, die Steinmetzgehilfen am Freitag abermals über die Lohnfrage. (Vgl. Nr. 168 d. Bl.) Die Innung hat auf die erhöhte Lohnforde⸗ rung für charrierte Arbeiten erklärt, daß sie, wenn die Gehilfen trotz des Tarifs auf dieser unberechtigten Forderung beständen, diese Forde⸗ rung mit Rücksicht auf den augenblicklichen Geschäftsgang zwar be⸗ willigen, dann aber den Tarif für gebrochen und sich nicht mehr für daran gebunden halten würde. Die Versammlung beschloß, nochmals einen Versuch zu Unterhandlungen mit der Innung zu machen.

„In Hof in Bayern befinden sich, wie der „Vorwärts“ mittheilt, die Maurer im Ausstande; sie fordern eine Herabsetzung der llstündigen Arbeitszeit auf 10 ½ Stunden und einen Stundenlohn von 35 ₰. Die Arbeitgeber lehnten jede Verständigung ab. Von fast 300 in Hof beschäftigten Maurern sollen nur 25 an dem Aus⸗ stand unbetheiligt sein; von den vorhandenen 12 Unternehmern sollen wei bereits die Forderungen bewilligt haben.

ze Hier in Berlin haben nach demselben Blatt in der Kisten⸗ nübrik von M. Bellgardt sämmtliche Arbeiter wegen Lohnstreits die Ürbeit niedergelegt. Ferner sind vierzehn Arbeiter in der Kistenfabrik von Fuhg in den Ausstand getreten.

8 8 8 8 5. 8

Aus Kopenhagen wird dem „W. T. B.“ gemeldet: Der große Maurer⸗ und Zimmermannsausstand, welcher sich über ganz Jütland ausdehnte rgl. Nr. 166 d. Bl.) ist am Sonnabend durch Vermittlung der Kopenhagener Maurer⸗Innung beigelegt worden. Am heutigen Montag sollte die Arbeit im ganzen Jütland wieder aufgenommen werden.

Aus Zürich wird dem Berner „Bund“ berichtet: Sämmtliche Meister⸗ und Gewerbevereine haben sich am letzten Donnerstag zu einem Zentralverbande konstituiert. Die Vereinigung ist eine Folge der Lohnbewegung und bezweckt eine bessere gemeinschaftliche Stellung⸗ nahme bei Ausständen. 8 8

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Saatenstand in Preußen um die Mitte des Monats Juli 1895.

Nach den Ermittelungen des Königlichen Statistischen Bureaus berechtigte um die Mitte des Monats Juli der Stand der Saaten in Preußen zu folgenden Erwartungen (Nr. 1: eine sehr gute, Nr. 2: eine gute, Nr. 3: eine mittlere (durchschnittliche), Nr. 4: eine geringe, Nr. 5: eine sehr geringe Ernte): Winterweizen 2,6 (wie im Juni d. J.), Sommerweizen 2,9 (im Juni 2,6), Winterspelz 2,4 (wie im Juni), Winterroggen 3,1 (wie im Juni), Sommerroggen 3,2 (im Jund 2,9), Sommergerste 2,7 (im Juni 2,6), Hafer 3,0 (im Juni 2,6), Erbsen 3,1 (im Juni 2,9), Kartoffeln 2,5 (wie im Juni), Klee (auch Luzerne) 2,8 (im Juni 2,0), Wiesen 2,7 (im Juni 2,1).

Diesen Zahlen sind in der „Statistischen Korrespondenz“ die folgenden Bemerkungen beigefügt:

Die Mittheilungen für die laufende Berichtsperiode sind meist durch Klagen über anhaltende, mit heftigen Winden verbundene Dürre gekennzeichnet. Der schon im Juni besonders für die öst⸗ lichen Provinzen dringend nöthige Regen ist bis zum zweiten Drittel des Juli ausgeblieben. Nicht nur, daß die Trockenheit im Osten sich auch auf „die wenigen Berichtsbezirke ausdehnte, welche nach dem Junibericht noch fruchtbares Wetter hatten, auch im übrigen Staatsgebiet fehlte es fast durchweg an hinreichenden Niederschlägen. Einige Gewitter und kurze Regenschauer vermochten das ausgedörrte Erdreich nicht zu durchfeuchten. Fruchtbares Wetter hatten nur die Provinz Schleswig⸗Holstein und der größte Theil der Provinz Hannover. In einzelnen östlichen Bezirken wird der Stand der infolge der Trockenheit als ein geradezu trostloser bezeichnet. Beispielsweise wird aus dem Regierungsbezirk Gumbinnen mehrfach berichtet, daß es seit Ende des Winters nur an drei Tagen e habe; nicht viel besser lauten die Berichte aus den

egierungsbezirken Königsberg, Danzig, Marienwerder, Posen, Brom⸗ berg, Cassel und Wiesbaden. Mit dem 12. Juli ist im ganzen Staatsgebiete Regen eingetreten, der für die Halm früchte meist zu spät kam, den Futterpflanzen und Kartoffeln aber von Vortheil sein dürfte. Dagegen ist in den Provinzen Schleswig⸗ Holstein, Hannover und Rheinland infolge der letzten Niederschläge, welche von heftigem Sturm begleitet waren, viel Lager entstanden. Ueber Hagelschaden wird aus 49 Bezirken berichtet, im Vormonat aus 48. Die Zahl der betroffenen Bezirke ist eine größere geworden, auch ist der in der verflossenen Berichtsperiode angerichtete Schaden umfangreicher. Am schwersten mitgenommen wurde die Provinz Hessen⸗Nassau, auf welche allein 15 Hagelmeldungen entfallen, nach denen in 12 Bezirken die Feldfrüchte bis zu 75 % zerstört wurden. Es folgen Westpreußen mit 7, Sachsen und die Rheinprovinz mit je 6. Hannover mit 4, Brandenburg und Pommern mit je 2, Posen und Schleswig⸗Holstein mit je 1 Bericht über Hagelschaden.

Was den Stand der einzelnen Fruchtarten betrifft, so ist der des Winterweizens im wesentlichen der gleiche geblieben wie im Juni, doch blieb er im Stroh kürzer als man anfangs annahm. In den Regierungsbezirken Magdeburg und Merseburg wird über Rost geklagt, dessen Folgen die Körnerbildung beeinträchtigen dürften.

11 Winterroggen ist in vielen östlichen Berichtsgebieten, insbesondere auf leichtem Boden, nothreif geworden. Fast überall konnte mit der Ernte begonnen werden; dabei zeigt es sich jedoch, wie schon in den Vormonaten berichtet wurde, daß der Stand infolge der Auswinterungen vielfach ungemein dünn ist. Die Anzahl der Garben ist eine geringere als im Vorjahre; dagegen erwartet man, daß der Roggen in diesem Jahre besser schütten wird. Das Stroh ist im allgemeinen kurz. 1

„Bei der See hat der Mangel an ausreichenden Niederschlägen die Ernteaussichten wesentlich herabgemindert. Be⸗ sonders haben die spät bestellten Aecker und Gegenden mit leichtem Boden darunter gelitten, sodaß selbst durchdringender Regen keine Besserung mehr zu bringen vermochte. Am besten hat die Gerste die Trockenheit vertragen, was wohl seinen Grund darin hat, daß sie zumeist auf besserem, tiefgründigem Boden bestellt wird; doch hat sich besonders in den östlichen Provinzen ihr Stand gegen den Vormonat verschlechtert.

Am meisten gelitten hat der Hafer, welcher bei weitem nicht die hohen Erträge des Vorjahres erreichen wird. Da demselben beim Schossen die Feuchtigkeit fehlte, so ist er meist kurz im Stroh ge⸗ blieben und nothreif geworden. Auch ist bei dem Mangel an Nieder⸗ schlägen in der Zeit der Körnerbildung ein nur leichtes und flaches Korn zu erwarten. In den von der Dürre am meisten heimgesuchten Provinzen Ost⸗ und Westpreußen und Posen sind große Flächen dieser Fruchtart vollständig ausgebrannt.

Ueber den Stand der Erbsen weichen die Urtheile stark von einander ab. Zum großen Theil haben auch sie durch die Trocken⸗ heit gelitten, infolgedessen eine schlechte Blüthe gehabt und wenig Rägken angesetzt. Besonders im Osten sind dieselben von Mehlthau efallen. 8 Um so erfreulicher lauten die Berichte über die Kartoffeln. Trotz ungenügender Niederschläge stehen dieselben voll im Kraut. Für die Ausbildung der Knollen wird Regen für dringend nöthig er⸗ achtet. Nach den zuletzt eingegangenen Berichten ist jedoch im all⸗ gemeinen dem Erdreich seit dem 11. Juli genügende Feuchtigkeit zugeführt worden, sodaß nach dem augenblicklichen Stande auf eine gute Mittelernte zu rechnen ist. Bei den Frühkartoffeln ist in ein⸗ zelnen Gegenden das Kraut welk geworden, und die Knollen sind klein geblieben. Kranke Kartoffeln sind bisher nur ganz vereinzelt bemerkt worden.

Der Klee hat einen ungewöhnlich reichlichen ersten Schnitt ge⸗ geben, welcher zumeist auch in vorzüglicher Güte eingebracht wurde; um so schlechter aber sehen die Kleefelder zur Zeit aus; zum großen Theile sind dieselben völlig ausgedörrt und zeigen wenig oder gar kein Wachsthum. Der junge Klee ist entweder garnicht aufgegangen oder vertrocknet.

Das gleiche gilt von den Wiesen. Nach Menge und Güte hat der erste Schnitt seines gleichen seit Jahrzehnten nicht gehabt. Nur ganz selten ist in wenigen Hesweg.alftehichen und hannoverschen Bezirken das Einbringen des Heues durch unbeständiges Wetter etwas ver⸗ zögert worden. Die andauernde Dürre hat aber die Grasnarbe so aus⸗ getrocknet, daß auf gar keine oder nur eine geringe Nachmahd gerechnet wird. Bei dem gänzlichen Mangel an Grünfuttes hat man im Osten in einzelnen Gegenden mit der Heufütterung beginnen müssen. Die Noten für Klee und Wiesen haben sich daher wesentlich verschlechtert und würden noch ungünstiger lauten, wenn sämmtliche Berichterstatter nur den au genblicklichen Stand der Kleefelder und Wiesen der Beurtheilung zu Grunde legten und nicht ein Theil nur für den ersten Schnitt eine Note abgegeben, ein anderer aber aus den Noten für den ersten Schnitt und den augenblicklichen Stand das Mittel gezogen hätte.

Ernteaussichten in Dänemark.

Der Stand der Wintersaaten und Sommersaaten kann durchschnittlich im ganzen Lande als ein guter bezeichnet werden. Die in letzter Zeit erfolgten reichlichen Niederschläge haben die Aussichten auf eine gute Ernte wesentlich verbessert. ,

Die Heuernte ist in vielen Landestheilen bereits beendet und scheint ein gutes Erträgniß zu liefern.

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Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs

Maßregeln.

Ergebnisse der Sammelforschung über das Diphtherie⸗ Heilserum für das 1. Quartal (Januar —April) 1895.

Bei den kommissarischen Berathungen, welche im November 1894 über das Diphtherie⸗Heilserum stattfanden, wurde allgemein die Wich⸗ tigkeit und Nothwendigkeit einer gleichmäßigen Zusammenstellung der Beobachtungen über das Serum in den verschiedenen Krankenanstalten betont und für diese Zwecke ein Fragebogen zusammengestellt. Seitens des Herrn Reichskanzlers wurde sodann den Bundesregierungen mittels Schreibens vom 7. Januar d. J. nahe gelegt, daß die in den Kranken⸗ häusern nach solchen einheitlichen Grundsätzen zusammengestellten Wahrnehmungen dem Kaiserlichen Gesundheitsamt behufs entsprechen⸗ der Verwerthung mitgetheilt werden. Die ausgefüllten Fragebogen sollen am Ende eines jeden ersten Quartalmonats über das rückliegende Vierteljahr dem Kaiserlichen Gesundheitsamt zugestellt werden.

Bis zum 20. Juni wurden für das 1. Vierteljahr 1895 von 232 Aerzten in 191 Krankenanstalten 2228 Fragebogen eingeliefert. Von diesen 2228 mit Heilserum Behandelten starben 386 = 17,3 %; nach der hoffnungslos Eingelieferten, welche innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Aufnahme starben, betrug die Sterblich⸗ keitsziffer sogar nur 16,8 %, während dieselbe sonst bei Krankenhaus⸗ statistiken auf durchschnittlich etwa 50 % berechnet wird. 682 (30,6 %) Kranke zeigten bei der Aufnahme Erscheinungen einer Betheiligung des Kehlkopfes, 632 = 28,4 % sämmtlicher Behandelten mußten tracheotomiert oder intubiert werden, davon starben 238 = 37,7 %. Die Gesammtzahl der als schwer bezeichneten Fälle betrug 1076 = 48,3 %, von denen 722 = 67,1 % genasen. Bemerkenswerth ist die günstige Heilungsziffer bei den Kindern unter 2 Jahren. Die Prozentzahl dieser Heilungen belief sich auf 52,6, während sonst Kinder in diesem Alter fast ausnahmslos starben. Auch bei den operierten kleinen Kindern war das Ergebniß ein günstiges.

Je früher die Erkrankten Heilserum injiziert erhielten, umso geringer war das Sterblichkeitsverhältniß, so betrug z. B. dasselbe bei den am 4 Krankheitstage injizierten 6,9 % ““ 1 . 35,4 %.

Als Nachwirkungen des Serums wurden im wesentlichen nur Hautausschläge, Glieder⸗ und Gelenkschmerzen, sowie leichte Fieber⸗ bewegungen in einer Anzahl von Fällen beobachtet. Ernstere Schäd⸗ lichkeiten, die mit Bestimmtheit auf die Wirkung des Mittels hätten zurückgeführt werden können, traten innerhalb der Zeit, während welcher die Kranken nach der Injektion noch in den Krankenhäusern verblieben, nicht hervor. Später, d. h. erst 3 bis 4 Wochen nach der Behandlung eingetretene Nachwirkungen kommen in der Statistik nicht zum Ausdruck. 1

Eine einigermaßen sichere des Nutzens des Heil⸗ serums wird sich erst durch die Zusammenstellung des Materials einer längeren Beobachtungszeit aus möglichst vielen Krankenanstalten er⸗ zielen lassen. Immerhin muß das Ergebniß der vorliegenden Sta⸗ tistik im Zusammenhalt mit den auch sonst fast allerorts gemachten günstigen als geeignet erachtet werden, zu weiterer An⸗ wendung des Diphtherie⸗Heilserums aufzumuntern.

Der Raum des Blattes gestattet nicht, auf die Einzelheiten näher einzugehen, doch hat sich das Kaiserliche Gesundheitsamt bereit erklärt, solchen Fachmännern, welche sich für die Sache interessieren, einen Abdruck zur Verfügung zu stellen, soweit der zu diesem Zweck rese vierte Vorrath reicht. 1

2 Portugal. .

Durch eine im Diario do Governo“ Nr. 155 veröffentlichte Verfügung des Königlich portugiesischen Ministeriums des Innern ist der Hafen von Singapore für choleraverseucht erklärt worden. 1

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. .“

An der Ruhr sind am 20. d. M. gestellt 11 411, nicht rechtzeitig gestellt 294 Wagen. 1

In Oberschlesien sind am 19. d. M. gestellt 4094, nicht recht zeitig gestellt keine Wagen.

Berlin, 20. Juli. (Wochenbericht für Stärke, Stärke⸗ fabrikate und EE“ von Max Sabersky, Berlin W. 41). Ia. Kartoffelmehl 16 ¾ 17 ¼ ℳ, Ia. Kartoffelstärke 16 ¾ 17 ℳ, IIa. Kartoffelmehl 14 16 ℳ, feuchte Kartoffelstärke Fracht⸗ parität Berlin —,— ℳ, gelber Syruy 19 19 ½ ℳ, Kap.⸗ Syrup 20 21 ℳ, Kap.⸗Export 21 21 ½ ℳ, Kartoffelzucker 85 19 19 ½ ℳ, do. Kap. 21 21 ½ ℳ, Rum⸗Kuleur 33 34 ℳ,

ier⸗Kuleur 32—34 ℳ, Dextrin, gelb und weiß, Ia. 23 24 ℳ, do. sekunda 20 22 ℳ, Weizenstärke Ü(kleinst.) 32 33 ℳ, Weizenstärke serc st.) 37 38 ℳ, Hallesche und Schlesische 38 39 ℳ, Reisstärke (Strahlen) 49 50 ℳ, do. (Stücken) 47 48 ℳ, Maisstärke 33 34 ℳ, Schabestärke 34 35 ℳ, Viktoria⸗Erbsen 15 19 ℳ, Kocherbsen 14 19 ℳ, grüne Erbsen 14 —19 ℳ, Futtererbsen 12 —13 ℳ, inländische weiße Bohnen 22 24 ℳ, weiße Flachbohnen 23 25 ℳ, ungarische Bohnen 19 21 ℳ, galizische und russische Bohnen 17 19 ℳ, große Linsen 30 40 ℳ, mittel Linsen 18 30 ℳ, kleine Linsen 14 18 ℳ, Mohn, blauer nom. 28 40 ℳ, do. weißer nom. 40 54 ℳ,

irse, weiße 18 20 ℳ, gelber Senf 16 24 ℳ, Hanfkörner 22 bis 3 ℳ, Buchweizen 14 ½ 16 ½ ℳ, Wicken 12 13 ℳ, Pferdebohnen 12 12 ½ ℳ, Leinsaat 22 22½ ℳ, Mais loko 114 12 ℳ, Kümmel 50 60 ℳ, Leinkuchen 13 15 ℳ, Rapskuchen 11 12 ½ ℳ, pa. marseill. Erdnußkuchen 12 ½ 14 ℳ, pa. doppelt gesiebtes Baum⸗ wollensamenmehl 58 % 12 13 ½ ℳ, pa. helle getr. Biertreber 28 bis 30 % 9 ¼ 10 ¼ ℳ, pa, getr. Getreideschlempe 31 34 % 11 ½ 12 ½ ℳ, pa. getr. Mais⸗Weizenschlempe 35 40 % 12 ¼ 13 ℳ, pa. getr Maisschlempe 40 42 % 12 ¾ - 13 ℳ, Malzkeime 7 ¾ —-9 ℳ, Roggen⸗ kleie 8 —8 ½ ℳ, Weizenkleie 8 8 ½ (alles per 100 kg ab Bahn Berlin bei Partien von mindestens 10 000 kg).

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Ausweis über den Verkehr auf dem Berliner Schlachtviehmarkt vom 20. Juli 1895. Auftrieb und Markt⸗ preise nach Schlachtgewicht mit Ausnahme der Schweine, welche nach Lebendgewicht gehandelt werden. Rinder. Auftrieb 2948 Stück (Durchschnittspreis für 100 kg.) I. Qualität 122 124 ℳ, II. Qualität 112 120 ℳ, III. Qualität 92 106 ℳ, IV. Qualität 80 88 Schweine. Auftrieb 6713 Stück. (Durchschnittspreis für 100 kg.) Mecklenburger 90 92 ℳ, Landschweine: a. gute 86 88 ℳ, b. geringere 80 84 ℳ, Galizier —,— ℳ, leichte Ungarn —,— bei 20 % Tara, Bakonyer bei kg Tara pro Stück. Kälber. Auftrieb 1234 Stück. (Durchschnittspreis für 1 kg.) I. Qualität 1,08 1,14 ℳ, II. Qualität 0,96 1,06 ℳ, III. Gualität 0,84 0,94 Schafe. Auftrieb 23 519 Stück. (Durchschnittspreis für 1 kg.) I. Qualität 1,04 1,16 ℳ, II. Qualität 0,96 1,00 ℳ, III. Qualität —,—

Der Deutsche Seiler⸗ und Reepschläger⸗Verband wird seinen 8. Verbandstag am 8. und 9. August d. J. in Wernigerode a. Harz abhalten. Auf der Tagesordnung steht u. a. die Frage der Gründung einer Fachschule. Mit dem Verbandstag wird eine Fachausstellung von Ganz⸗ und Hlbsabektes Roh⸗ materialien, Maschinen und Geräthen des Seiler⸗ und Reepschläger⸗

ewerbes verbunden sein. Programm und Tagesordnung sind im

erbandsorgan, „Deutsche Seiler⸗Zeitung“, Berlin, veröffentlicht. Zum Verbandstag und Besuch der Ausstellung sind alle selbständigen Seiler und Reepschläger eingeladen.

In der Aufsichtsrathssitzung der Bergwerksgesellschaft „Hibernia“ am Sonnabend wurde, wie „W. T. B.“ meldet, vom Vorstand mitgetheilt, daß sich die Kohlenförderung im ersten Semester