1895 / 295 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Dec 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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gegen Schwiegermütter“, der den Abend beschloß, gab Herr

Kunst und Wissenschaft.

J eutigen Sitzung des Vereins für deutsches Kunstgewerbe hält Herr Heue de Ferdinand Luthmer aus a. M. einen Vortrag „über Möbel und Innendekorationen“.

ur Ausstellung gelangen Möbel und Möbelzeichnungen. Die Sitzung findet im großen Saale des Architektenhauses, 8 ½ Uhr Abends statt.

Theater und Musik.

Königliches Schauspielhaus.

Gestern Abend gelangten drei einaktige Stücke zur Aufführung,

in welchen der Gast der Königlichen Bühne Herr Friedrich Haase wieder seine vielseitige Gestaltungskraft bewährte. Die Vorstellung begann mit dem älteren Lustspiel „Eine Bekehrung“ von Charles de Courcy, das hier zum ersten Mal gegeben wurde, und in welchem Herr Haase zeigte, daß er als galanter Liebhaber immer durch Elastizität der Bewegung und Frische des Spiels jugendlich gewinnend sein kann. Das zweite Stück „Monsieur Balanceux“, das der Verfasser Benno Jacob⸗ son „Genrebild“ nennt, ist eine wirkliche Novität, die wegen ihrer zwingenden Lustigkeit und der gefälligen scenischen Ueberraschungen unterbaltend und erheiternd zugleich wirkt. Der Erfolg wurde durch die vor⸗ treffliche Darstellung, in deren Mittelpunkt wiederum Herr Haase, diesmal in Verbindung mit Frau Schramm, stand, wesentlich gehoben. Der Gast, der hier einen greisen, pensionierten Balletmeiste⸗ zu spielen hat, welcher noch völlig in den Erinnerungen der großen Zeit seiner Kunst steckt, gab in lebensvoller Darstellung wieder ein Kabinetstück feiner Charakte⸗ ristik. Besonders anmuthig war ein von acht Kinderpaaren graziös getanztes Menuett. Der reiche Beifall nöthigte mit dem Gast auch den Verfasser vor die Gardine. In dem Schwank „Rezept

Haase den Behrgeizigen alten Arzt mit der gewohnten Eleganz und Vornehmheit des Wesens gemüthvoll und mit Humor. 8

Berliner Theater.

Mit schönstem Gelingen ging gestern die Aufführung des Zauber⸗ märchens „Prinzessin Goldhaar“ von Ludwig Raupp von statten, das, für die weihnachtliche Zeit bestimmt, besonders den Kindern eine Festfreude bereitet. Gesang, Tanz und schöne deko⸗ ative Einrichtungen schmücken die einzelnen Bilder und rufen ie Erinnerung an die glänzenden Ausstattungsstücke wach, die einst en Ruhm des Victoria⸗Theaters ausmachten. Die zärtliche Kindes⸗ iebe der kleinen Prinzessin Goldhaar, die ihre Eltern aus dem Zauberbann einer bösen Fee befreien will, bietet den Vorwand zur Ent⸗ altung aller scenischen Pracht. Das Prinzeßchen muß in die vier eiche des Wassers, des Feuers, der Luft und der Erde dringen, um dort vier Kleinodien zu holen. Ihr Schutzengel geleitet sie durch all den Feen⸗ und Hexenzauber, und ein schöner Prinz folgt ihr auf ihren schweren Wegen, um zum Schluß den Lohn der Treue zu empfangen. in täppischer Knappe des Prinzen, Claus Wendel, sorgt bei diesen Wunderfahrten für frohsinnige Unterhaltung; er reitet auf Krebsen, kriecht aus dem Bauch eines großen Fisches hervor, scherzt mit bissigen Seehunden; ja er wird in ein Steckkissen gelegt und fährt sausend durch die Luft. Den größten Jubel erregten ein grotesker Tanz kleiner feuerrother Schornsteinfeger und die Scenen am Hofe des Königs Wichtel. Ein kleiner Nachtwächter und ein E1.“— Hahn wecken die kleinen Wichtelmännchen, die ihre ettlein bei Seite schieben, ihren Morgenkaffee einnehmen und die Hochzeit des kleinen Königs mit der noch zierlicheren Prinzessin Liliput feiern helfen. Die Zuschauer konnten ihre Freude haben an dem schlichten, sinnigen Märchen, an dem Glanz und an der heiteren Laune und besonders an dem frohen Kinderlachen, das aus allen Ecken des

großen Hauses erschallte. Die Darstellung wurde namentlich durch den naiven Humor des Herrn Schindler belebt, der die Knappenrolle geschickt durchführte. räulein Wally Erneck sprach die frommen Sprüchlein der Prinzessin Goldhaar kindlich rührend und brav.

Lessing⸗Theater. 8 „Fifi“, der durch frühere Aufführungen im Wallner⸗Theater be⸗ kannte Schwank ir vier Akten von Meilhac und Halévy, deutsch von H. Osten und G. Davis, ging gestern zum ersten Mal im Lessing⸗Theater in Scene, um dem als Gast dort auf⸗ tretenden Herrn Felix Schweighofer Gelegenheit zu bieten, sich in einer seiner komischen Charakterrollen zu zeigen. Der Erfolg blieb, trotzdem recht oft und herzlich gelacht wurde, wohl etwas hinter den gehegten Erwartungen zurück, nicht allein weil das Stück selbst, das von jüngeren Autoren⸗weidlich eplündert worden ist, jetzt veraltet erscheint, sondern auch weil Herr chweighofer seine Neigung zu Uebertreibungen nicht im Zaume zu halten wußte und sein Spiel infolgedessen mit dem der nach Nakürlichkeit strebenden Darsteller des Lessing⸗Theaters nicht ganz in Einklang stand. Herr Schweighofer gab den alternden Lebemann Baron de le Musandière. der gegen seinen Willen als Zeuge in einem für ihn kompromittierenden Ehescheidungsprozeß zu erscheinen genöthigt ist, wodurch er sich selbst die Ehescheidungsklage von seiten der eigenen Gattin zuzieht, gar zu grotesk⸗komisch. Die effektvollste Scene des Stücks, eben die vor Gericht, wirkte dadurch zu unwahrscheinlich, und der Beifall war nur ein schwacher. Die übrigen Darsteller thaten ihr Bestes; nament⸗ lich sind die Damen Groß, Höcker, Reichenbach, Walther⸗Trost und die Herren Schönfeld, Guthery, Sauer, Merten und Waldow lobend zu erwähnen. Die vielfach recht komplizierte Bühneneinrichtung war mit großem Geschick angeordnet.

Konzerte.

Zwei junge Künstlerinnen, die Sängerin Lulu Heynsen und die Violinistin Elsa Barkowska gaben gestern im Saal der Sing⸗Akademie ein gemeinschaftliches Konzert, das zahlreich besucht war. Die Sängerin verfügt über einen umfangreichen und klangvollen Mezzosopran, der unter Leitung Deppe's ausgebildet ist. Intonation und Deutlichkeit der Aussprache lassen nichts zu wünschen, nur eine etwas zu helle Vokalisation gefährdet mitunter die Klang⸗ schönheit der Stimme. Unter den zahlreichen Gesängen von C. Löwe, R. Schumann, A. Lucae, Schubert, Brahms, W. Sacks und Anderen gefielen besonders „Es war ein alter König“ von Lucae, „Auf dem Kirchhof“ und „Meine Liebe ist grün“ von Brahms, „Barbarazweige“ von C. Reinecke und ein neues Lied von W. Sacks „Mond, auf deine Silberstrahlen“, welches auf Wunsch wiederholt wurde. Die Violinistin ereffnete das Konzert mit Tartini's Sonate in G-moll für Klavier und Violine, an deren sehr gelungener Ausführung sich Herr Sacks betheiligte. Ferner brachte sie noch Pibcen von Bach, Wieniawski und Vieuxtemps zu Gehör. Herr Sacks hatte die Klavierbegleitung sämmtlicher Solovorträge über⸗ nommen. Nach dem reichen Beifall, der beiden Künstlerinnen zu theil wurde, gewährten dieselben noch einige Zugaben.

An demselben Abend ließ sich im Saal Bechstein der hier schon bekannte Klaviervirtuose Leonard Borwick (aus London) hören. Sein Können steht auf gleicher Höhe mit dem vieler hier öffentlich erschienenen Pianisten; besonders heroorragende Leistungen waren jedoch nicht zu verzeichnen. Mit wohlgebildetem Anschlag, sorgfältig geschulter Technik und verständnißvoller Auffassung trug er meist be⸗ kannte Klavierstücke von Bach, Beethoven, Schumann, Chopin, Grieg, Brahms und Liszt vor und erntete dafür seitens der wenigen Zuhörer verdienten Beifall.

Ober⸗Regisseur

Wetterberi . Weingartner.

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vom 11. Dezember Norgens.

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Stationen.

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Wetter.

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¹) Gestern und Nachts etwas Regen. Regen. ³) Nachts Regen. ⁴) Gestern Regen. ⁵³) Nachts Regen und Schnee. ⁶) Gestern Regen.

Uebersicht der Witterung.

Das barometrische Minimum, welches gestern über Südnorwegen lag, ist mit abnehmender Tiefe ost⸗ füdostwärts nach der ostpreußischen Küste fort⸗ geschritten, während ein barometrischen Maximum sich über Frankreich ausgebreitet hat, sodaß über Zentral⸗Europa nördliche bis westliche Winde vor⸗ berrschend sind, welche stellenweise stark auftreten. In Deutschland ist das Wetter mild und trübe, fast überall ist Niederschlag gefallen. Da das Hochdruck⸗ t im Westen sich ostwärts ansbreitet, dürfte

nächst heiteres Wetter mit abnehmender Tempe⸗ ratur und nachher Eintritt von Frostwetter zu er⸗ warten sein.

Friedrich Haase,

7 ½ Uhr

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wolkig wolkenlos bedeckt wolkig ¹) bedeckt ²) wolkig wolkigs) bedeckt wolkig Nebel wolkig⁴) bedeckts) bedeckt bedeckts) bedeckt bedeckt Nebel

fried. Lustspiel Benedix. als Gast.)

Sonntag,

von Haßreiter Vasantasena.

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von Palmyra.

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²) Nachts/ Hohe Lied.

Pan Cezar. Freitag

Sonnabend,

Freitag: 's Nullerl.

Deutsche Seewarte. 6

Theater.

Königliche Schauspiele. Donnerstag: Opern⸗ haus. 185. Vorstellung. Die lustigen Weiber von Windsor. Komisch⸗phantastische Oper in 3 Akten von Otto Nicolai. Text von Mosenthal, nach William Sbafespeare's gleichnamigem Lustspiel. Tanz von Emil Graeb. In Scene gesetz

Tetzlaff. Anfang 7 ½ Uhr Schauspielhaus. kehrung. Lustspiel in 1 Aufzug von Charles de Courcy, deutsch von Emil Neumann. gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Friedrich Haase, Monsieur Balancenx. Genrebild in 1 Aufzug von Benno Jacobson. Regisseur Max Grube.

Schwiegermütter. dem Spanischen des Neu bearbeitet von Heinrich Heinemann. gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Clero: Hr. Friedrich Haase, als Gast.) Anfang

Freitag: Opernkaus. 186. Vorstellung. Wagner⸗ IV. Lohengrin. 3 Akten von Richard Wagner. Ernst Kraus, vom Hof⸗ und National⸗Theater in Mannheim, als Gast.)

Schauspielhaus.

(Lebrecht Müller: Anfang 7 ½ Uhr. Nachmittags Theater: Hänsel und Gretel. 3 Bildern von Engelbert Humperdinck. Die Puppenfee. Pantomimisches Ballet⸗Divertissement und Gaul. Drama in 5 Aufzügen von Emil Pohl, mit freier Benutzung der Dichtung des alt⸗

indischen Königs Sudraka.

Deutsches Theater. Donnerstag: Der Meister Freitag: Der Misanthrop. Hierauf: Das Sonnabend: Die Mütter.

Berliner Theater. Donnerstag, 2 ½⅞ Uhr: Prinzessin Goldhaar. Abends 7 ½ Uhr:

1 (15. Abonnements⸗Vorstellung): zessin Goldhaar.

Nachmittags 2 ½ Uhr: Goldhaar. Abends 7 ½ Uhr: König Lear.

FLessing⸗-Theater. (Magda: Louise Dumont a. G.) Anfang 7 ½ Uhr. Gastspiel von Felix Schweighofer.

n Gräfin Fritzi. (Louise Dumont

Restdenz⸗Theater. Direktion: Stamund Lautenburg. Donnerstag: Hals über Kopf. (Coup de tete.) Schwank in 3 Akten von A. Bisson. Vorher: In doppelter Bekehrung. Plauderei von Paul Linsemann.

Freitag und folgende Tage: Hals über Kopf. In doppelter Bekehrung.

Dirigent: Kapellmeister

277 NMe

277. Vorstellung. Eine Be⸗ Donnerstag: Bei bedeutend In Scene 7. (Raoul de lich als Gast.) S Regie: Herr Lemaitre. In Scene gesetzt vom Ober⸗ (Agénor Balanceux: Hr. als Gast.) Rezept gegen Lustspiel in 1 Aufzug nach Don Manuel Juan Diana. In Scene (Don

Neues Theater.

Donnerstag: Lili.

Freitag: Niniche.

Romantische Oper in coupé. (Lohengrin: Herr

4 . Anfang 7 Uhr Preisen: Fernande. 278. Vorstellung. Der Stören⸗ in 4 Aufzügen von Roderich ir Friedrich Haase,

2 ½ Uhr: In Kroll’s Märchenspiel in

Julius Fritzsche. Operette in 3 Akten.

Donnerstag:

Abends 7 Uhr:

dern) von

Hervé.

Anfang 7 ½ Uhr. kleine Lord.

ewige Braut. städt und Jean Kren.

Freitag: Dieselbe Vorstellung. Nachmittags

Prin⸗

Prinzessin von Julius Einödshofer. Direktor Richard Schul

vom Balletmeister Gundlach.

eimath. . H b Freitag: Eine tolle Nacht.

Donnerstag:

Jeder Besucher

Souvenir gratis.

dieser

Friedrich⸗-Wilhelmstädtisches Theater. Chausseestraße 25 26.

önnerste 4 ermäßigten Preisen. Volksthümliche Vorstellung unter Leitung des Kaiser⸗ b russischen Hofschauspielers Herrn Julius Fiala: Die Memoiren des Teufels. Lustspiel in 3 Ab⸗ theilungen nach dem Französischen von L. Schneider.

egie: . Anfang 7 ½ Uhr. Freitag: Die Memoiren des Teufels.

Schiffbauerdamm 4 a./5. Tournée Indic. Direktion: Theodor de Glaser. Vaudeville-Opérette en 3 Actes de Mrs. A. Hennequin et A. Millaud. Musique de M. Hervé. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonnabend: Benefiz für Mad. Judic: Théätre

Voranzeige: Sonntag Nachmittag: Zu halben

4 Theater Unter den Linden. Der Hierauf: Großes Ballet⸗ Divertissement. Anfang 7 ½ Uhr. Freitag: Der Zigennerbaron. Sonnabend, den 21. Dezember: neuer Ausstattung an Dekorationen, Kostümen und Requisiten. Zum ersten Male: König Chilperich. Burleske Ausstattungs⸗Operette in 3 Akten (5 Bil⸗ Hervé und Paul Ferrier, Ed. Jacobson und W. Mannstädt.

Adolph Ernst⸗Theater. Donnerstag: Der Lebensbild in 3 Akten, nach dem gleichnamigen Roman von Mrs. Hodgsen Burnett, übersetzt von Bolten⸗Bäckers. Operette in 1 Akt von W. Mann⸗ Anfang 7 ½ Uhr.

Bentral⸗-Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30 Direktion: Richard Schultz. Emil Thomas a. G.

Donnerstag: Eine tolle Nacht. Große Aus⸗ stattungsposse mit Gesang und Tanz in 5 Bildern von Wilh. Mannstädt und Julius Freund. In Scene gesetzt vom Die Tanz⸗Arrangements Anfang 7 ½ Uhr. Sonnabend: Zum 100. Male: Eine tolle Nacht. Vorstellung

Mannigfaltiges.

Die Genossenschaft deutscher Bühnen⸗Angehöriger eröffnete heute im Hötel „Vier Jahreszeiten“ hierselbst die Del irten⸗ versammlung dieses Jahres. Den Vorsitz führte Hermann issen⸗ Berlin. Der erste Tag galt der Erledigung der Angelegenheiten der Pensionsanstalt. Der von dem neu berufenen Verwaltungs⸗Direktor, dem Geheimen Hofrath Mudlack erstattete Bericht enthält folgende An⸗ gaben: Der Pensionsanstalt der Genossenschaft gehören z. Z. 2877 Mitglieder an. Vereinnahmt wurden im letzten Jahr 354 168,92 und zwar 105 910 an Pensionsbeiträgen, 26 797 an Eintrittsgeldern, Altersnachzahlungen, Uebertrittszahlungen, Rentnerbeiträgen u. dergl., 186 413 an Zinsen und 35 048 an außerordentlichen und sonstigen Einnahmen. Die außerordentlichen Einnahmen ermöglichten es, von der Ausschreibung einer Umlage abzusehen. Verausgabt wurden insgesammt 244 547,01 ℳ. Die Zahl der Pensionäre erhöhte sich um 29 auf 888, die Summe der Invaliden⸗Pensionen um 10 399 auf 150 523 ℳ, Renten wurden an 78 Leibrentner 96 785 gegen 89 458 an 73 Personen im Vor⸗ jahre gezahlt. Die Verwaltung erforderte 23 369 Das Vermögen der Pensionsanstalt erhöhte sich von 4 786 402,29 auf 4 896 023,60 Davon entfallen auf das Rentenfonds⸗ Konto 2 908 8899 ℳ, auf das Invalidenfonds⸗Konto 1 686 457 ℳ, auf den Reservefonds 156 063 auf den Perseverantia⸗ fonds 80 000 und auf die „Wittwe Röder⸗Stiftung“ 38 000 Der Rest gehört zu kleineren Fonds. Angelegt sind von den Geldern 4 549 600 in Hypotheken. Aus dem Perseverantiafonds wurden 3231 zu Beihilfen verausgabt. Die neue Wittwe Röder⸗Stiftung gewährte zum ersten Mal Unterstützungen in Höhe von 685

Im Interesse der Leipzig besuchenden Fremden hat der dortige „Verein zur Förderung des Fremden⸗ und Geschäftsverkehrs“ einen kurzgefaßten, leicht übersichtlichen, mit instruktiven Plänen und Ab⸗ bildungen versehenen „Führer durch Leipzig und Umgebung“ herausgegeben, der in der Geschäftsstelle wie in den zahlreich errichteten Auskunftsstellen des Vereins an Fremde bei versönlicher Anwesenheit in Leipzig kostenlos abgegeben wird. Auf Wunsch wird der Führer auch durch die Geschäftsstelle (Hoflieferant Gustav Kietz, Peterstraße 17) gegen Einsendung von 10 Auslagen nach auswärts verschickt.

Die Firma Paul Neff, Verlag in Stuttgart, versendet soeben ihr neues illustriertes Verlagsverzeichniß. Das⸗ selbe enthält eine ganze Reihe hervorragender Geschenkwerke zum Weihnachtsfest für Alt und Jung. Die Verlagsbuchhandlung liefert dasselbe gratis und franko.

Bremerhaven, 11. Dezember. Die norwegische Bark Karnak“ aus Farsund, von Sunderland nach Buenos Aires mit Steinkohlen und Ziegelsteinen unterwegs, wurde, wie „W. T. B.“ meldet, in sinkendem Zustande von dem Fischdampfer „Minna“ in der Nordsee angetroffen. Letzterer nahm sieben Mann der Besatzung der sinkenden Bark an Bord und landete dieselben hier. Der Kapitã

und die übrige Mannschaft hatten das Schiff in einem Schiffsboot

verlassen; über ihr Schicksal ist nichts bekannt.

Köln, 10. Dezember. Die Kölnische Zeitung“ meldet au Göttingen:

: Heute früh explodierte im biesigen chemische Laboratorium ein gläserner Gasometer.

1 Professor Wallach, dem ein Glassplitter in den Gehörgang drang, und 10 Studenten

sind schwer verletzt, die übrigen leicht, darunter eine Dame.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.)

Sing-Akademie. Donnerstag, Anfang 7 ½ Uhr:

meckl. Kammersängerin. Mitw. Fräulein Serafine

Détschy (Cello).

Arrigo Serato aus Bologna.

9 18

Zirkus Renz. Karlstraße. Donnerstag, Abends

Auf, auf zur fröhlichen Jagd! (St. Hubertus). Original⸗Sport⸗Schaustück mit neuen Arrangements in 2 Abtheilungen von Direktor Fr. Renz. Großer Wagenkorso, Rendezvous, Aufführung komischer Scenen und großer Ballet⸗Divertissements. force⸗Jagd“ über cken, Wassergraben, mauer und Irisch⸗Bank. Neue Einlage: Riesensprünge über 3 und 5 Paar Pferde von den englischen Vollblutspringpferden Imperial, Beffy, Paria und Barsra, geritten von 4 Das Großartigste, was bis jetzt in diesem Genre geboten wurde. Finale: Der Kaskadenritt. dem: Auftreten allerersten Ranges. dressierten Freiheits⸗, Spring⸗ und Schulpferde.—

Freitag, Abends 7 ½ Uhr: Auf, fröhlichen Jagd! (St. Hubertus).

Sonntag: Zwei Vorstellungen. Nachmittags 4 Uhr: Tjo Ni En. Abends 7 ½ Uhr: Auf, auf zur fröhlichen Jagd!

nmnamgmmeannn— Familien⸗Nachrichten.

Verlobt: Frl. Gertrud von Heyer mit Hrn. Forst⸗ Assessor und Prem.⸗Lieut. Georg von Kries⸗ Waczmirs (Goschin —Kl. Waczmirs).

Verehelicht: Hr. Prem.⸗Lieut. Georg Lucke mit Frl. Marie Jensch (Bromberg). Hr. Max von Starorypinski mit Frl. Ida Behr (Rittergut Mosgau- Leipzig. Plagwitz). 8

Geboren: Ein Sohn: Hrn. Pastor Justus Graß⸗ mann (Sanzkow b. Demmin)]. Drn. Prem.⸗ Lieut. Leo Tellenbach (Berlin).

Gestorben: Hr. Oskar von Rothkirch und Panthen (Schottgau). Hr. Gutsbesitzer Julius Jungfer (Tentschel). Fr. Major Agnes von Paczensky und Tenczin, geb. Himml (Ohlau). Hr. cand. theol. Paul Müller (Königshütte O.⸗S.). Hr. Amtsvorsteher Hermann Patzelt (Glatz). Verw. Fr Justiz⸗Raͤth Emma Mehring, geb. Neydecker (Berlin). Fr. Franzisca von Cramon,

Stein⸗ Direktion: Mikado.

Mit durchaus

deutsch von Musik von

Die

Hierauf:

Musik

erhält ein

18

Konzert. C 1 Tell“, Rossini. „Aufforderung Anfang 7 ½ Uhr. ans Werner). Zeller.

Konzerte.

Konzert-Haus. Donnerstag: Karl Meyder⸗ Ouv. „Euryanthe“, Weber.

zum Tanz“ von antasis „La Traviata⸗ 1 für Cello von Servais (Herr Schmit). „Deine blauen Augen“ für Pt.. Bohm (Herr Pot G er 2 zändler“ „— .

Potpourri aus „Der Vogelhändler“ von Sechs Beilagen

geb. von Faber (Charlottenburg).

Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32.

„Wilhelm von Verdi.

einschliezlich Börsen⸗Beilage).

(Dekl.) und Herr Leo Schrattenholz

Lieder⸗Abend von Hermine Galfy, Großherzogl.

Saal Bechstein. Linkstraße 42. Donnerstag, Anfang 8 Uhr: II. Konzert des Violinvirtuosen

7 ½ Uhr: Große anußerordentliche Vorstellung.

„Par⸗ Die

Herren. Kas Außer. von nur Künstler⸗Spezialitäten

Vorführen und Reiten der best⸗

auf zur

der Kostgänger 1 d r. Blundesrath mögen sich daher vorsehen, namentlich wenn es sich darum

Deutschen Reichs⸗Anz

Berlin, Mittwoch, den 11. Dezember

eiger und Königlich Preußi chen Staats⸗Anzeiger.

1895.

8 Deutscher Reichstag. . Sitzung vom 10. Dezember 1895, 1 Uhr.

Tagesordnung: Fortsetzung der ersten Berathung des 16166““ für 1895 /96.

Im weiteren Verlauf seiner Rede, deren Anfang gestern mitgetheilt wurde, äußerte der

Abg. Richter (fr. Volksp.): daß man unserer Flotte jetzt Aufgaben stellt im Widerspruch mit allen früheren Kundgebungen. Es sollen nicht bloß die Küste vertheidigt und die deutschen Interessen vertreten werden: es sollen auch große Schlachten geliefert werden in überseeischen Ge⸗ wässern. Der überseeische deutsche Absatz hängt von der Güte unserer Waaren ab und nicht von der Zahl unserer Kanonen auf den Schiffen. Jeder in überseeischen Gewässern befindliche Kreuzer entzieht uns Mannschaften, welche die Marine braucht zum Schutze des Vaterlandes. Herr Fritzen will das Seziermesser auch an den Kolonialetat legen. Das ist erfreulich, denn das rapide Steigen des Kolonialetats ist nur möglich gewesen durch die Freigebigkeit des Zentrums. Herr Fritzen wollte aller⸗ dings nicht die Schiffe schneiden; er wollte die Forderungen der Kultur nicht stören. Er hat vielleicht nicht daran gedacht, daß man seine Worte auch deuten könnte auf die Kulturträger à la Leist und Wehlau. Das Missionswesen und die Kolonialpolitik sind durchaus nicht gleichbedeutend; ersteres ist nicht an eine bestimmte Flagge gebunden. Evangelische und katholische deutsche Missionäre sind in fremden Ländern und Schutzgebieten thätig gewesen, bevor die schwarz⸗ weißerothe Flagge dort gehißt war. Es wäre der Untersuchung werth, ob durch die Art der Kolonialpolitik, die dort geführt wird, das Missionswesen wirklich gefördert wird und nicht viel mehr Menschen durch Todtschlag zur Hölle befördert als zum Christenthum bekehrt werden. Seitdem Fürst Bismarck fort ist, entwickelt sich das Kolonialwesen immer mehr militärisch; von Kulturbestrebungen ist keine Rede. Immer mehr Kosten und Ausgaben werden nothwendig durch die Vermehrung der Schutztruppe und Verstärkung des mili⸗ tärischen Elements. Jetzt sollen wir wieder 1 ½ Million mehr für Kolonialzwecke bewilligen. Rechnen Sie hinzu, was uns die Kolonien mittelbar durch die anderen Etats kosten, so baben wir schon jetzt 11 Millionen. Was könnte dafür geleistet werden! Wie viele ge⸗ rechtfertigte Wünsche und Beschwerden könnten durch Aufbesserung der Gehälter berücksichtigt werden. In den Einzelstaaten, wie Preußen, knausert man mit einem Lehrerbesoldungsgesetz, weil es einen Aufwand von 2 Millionen erfordern würde. Wenn die Herren im Bundesrath mit dieser Freigebigkeit in der Ausgestaltung des Etats fortfahren, dann ist die Zeit nicht fern, wo das Reich wieder K der Einzelstaaten werden wird. Die Herren vom

Darüber ist kein Zweifel,

handelt, die Grundlagen des Etats, die Einnahmen, die Steuergesetze umzugestalten. Gerade jetzt soll ja die Axt gelegt werden an eine Haupteinnahme, an die Zuckersteuer. Wir allerdings haben doch schon erlebt, wie die Einnahme der Zuckersteuer infolge der Prämien bis auf 9 Millionen Mark heruntergesunken ist. Jetzt ist die Zucker⸗ steuer auf 80 Millionen gestiegen. Die Ausfuhrprämie soll aller⸗ dings nicht aus der Reichskasse bestritten werden, sondern durch einen Zuschlag zur Verbrauchsabgabe gedeckt werden. Uebt das keinen Einfluß auf die Einnahmen aus der Zuckersteuer? Die inländischen Preise werden doch auch gesteigert; das Kilo Zucker wird um mindestens 10 dadurch vertheuert. Der Inlands⸗ konsum ist in den letzten 8 Jahren um 50 % gestiegen; eine Abnahme des Konsums um ein Drittel ergiebt einen

Einnahmeausfall von 18 Millionen Mark. Mit einem solchen Opfer will man die deutsche Zuckerausfuhr erhalten.

Für die Militärvorlage wollte der Reichstag den Taback und das Bier nicht besteuern, und hier will man ein Lebensmittel vertheuern zu Gunsten der Zucker⸗ fabrikanten. Die Zuckerexporteure in Hamburg protestieren gegen ein olches Gesetz. Was hat sich geändert seit 18912 Man hat damals nicht auf die Beseitigung der Prämien anderer Länder gerechnet; man hat damals gesagt, im Interesse der Reichskasse könne man nicht warten auf diese Beseitigung der Prämien. Hat sich die Ausfuhr ermindert? Es ist ein Preisfall überall eingetreten infolge der

ußerordentlich günstigen Ernte des letzten Jahres. Die bevor⸗

tehende Kampagne hat eine allgemeine Einschränkung der Pro⸗ uktion überall mit sich gebracht, und dadurch wird ohne

ünstliche Mittel der Preis wiederhergestellt werden. Diese Liebes⸗

abenpolitik hat man bei der Branntweinsteuer begründet mit

em Hinweis auf die armen ostelbischen Provinzen. Jetzt handelt

s sich aber um die reichen Provinzen, Sachsen u. s. w., wo die

Preise der Landgüter infolge des Rübenbaues erheblich gestiegen sind. Auf Kosten der ostelbischen Provinzen sollen diese reichen rovinzen unterstützt werden. Und gerade die großen Fabriken,

welche billiger produzieren und nach dem Ausland exportieren können, die besteuert man, um ihre Produktion einzuschränken. Wenn wir jetzt ie Ausfuhrprämien aufheben, so ist die Zuckerindustrie in

merika besser gestellt als jetzt, wo ein Zuschlagzoll erhoben

wird. Wir sollen Geld opfern, um den Amerikanern 1 zu liefern. Wenn die Amerikaner ihren auch aufheben, was bleibt übrig, als eine

des inländischen Konsums? Herr von Marschall wir die Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland

meinte, da iischen D Damit bin ich einver⸗

und Amerika mit Ruhe behandeln sollen. 8 standen. Ich bin überzeugt, daß die Maßnahmen, über welche Amerika sich beschwert, keine Spitze gegen Amerika haben. Aber die Begründung der Maßregeln ist nicht bekannt, sie befindet sich nur in den Akten. Im Abgeordnetenhause wurde die Schließung der Grenze verlangt nicht allein wegen der Seuchengefahr, sondern hauptsächlich zur Steigerung der inländischen Preise. Da entsteht dann im Auslande die Anschauung, daß die Maßregeln protektionistischen Ab⸗ sichten entsprungen sind. Wenn das Texasfieber wirklich auch im ge⸗ schlachteten Fleisch noch gefährlich sein soll, warum werden die Atteste darüber nicht veröffentlicht? Bezüglich der Versicherungsgesellschaften wäre es angebracht, die Vorschriften noch einmal zu prüfen. Man sagt, daß sie auch für die inländischen Gesellschaften sehr lästig sind. Die Versicherungsgesellschaften können nicht, wenn sie in verschiedenen Staaten arbeiten, sich in jedem Staat anderen Vorschriften unter⸗ werfen. Die fremden Gesellschaften sind aufgefordert worden, die Hälfte ihrer Prämienreserve in Konsols anzulegen und sie als Buch⸗ schuld eintragen zu lassen. Es ist bedauerlich, daß diese Dinge alle kurzer Hand auf dem Verwaltungswege gemacht werden können. Diese Session ist mit Vorlagen so überlastet, daß wir diese nicht einmal bis Juli erledigen könnten. Die Kommissionsarbeiten müßten mehr beschränkt werden. Jetzt fällt der Schwerpunkt des Reichstags für Monate in die Kommission. Die Folge davon ist eine Ueberlastung der Kommissionen, schwache Besetzung der Bänke dieses Hauses und fortdauernde Beschlußunfähigkeit. Grundsätzliche Fragen sollten in zweiter Lesung sofort im Plenum entschieden und die technische Durcharbeitung der einzelnen Bestimmungen den Kommissionen über⸗ lassen werden. Dieselbe Einschränkung wäre auch schon beim Budget sehr am Platze, sodann bei der Justiznovelle, die leider noch nicht an uns gelangt ist. Wir haben sehr bedauert, daß im vorigen Jahre die Novelle in Bezug auf die Entschädigung unschuldig Ver⸗ urtheilter und die Wiedereinführung der Berufung nicht zum Abschluß gekommen ist. Die Wiedereinführung der Berufung ist gegenüber

den Erfahrungen, die wir in den letzten Wochen mit den Strafkammern gsmacht haben, besonders dringlich. Wer heute wegen eines politischen Vergehens angeklagt ist und das Unglück hat, vor die „Brausewetter⸗ Kammer“ zu kommen, kann sich schon von vornherein als verurtheilt betrachten. Er wird von dem Vorsitzenden dieser Kammer wie ein Verurtheilter behandelt, und man weiß nicht, warum über⸗ haupt noch die Formalität einer Gerichtsverhandlung statt⸗ findet. Politische Preßvergehen gehören vor die Schwurgerichte; die jetzige Art der Aburtheilung steht in schreiendem Wider⸗ spruch mit dem öffentlichen Rechtsbewußtsein. Wo solche künst⸗ lichen Urtheile gefällt werden, wie in der letzten Zeit geschehen ist, da macht man die Angeklagten zu Märtyrern. Ich bedaure, daß die Aufhebung des Zeugnißzwangs in Preßsachen und die Beschränkung der Zuständigkeit der Strafkammern in Preßsachen noch immer nicht zur gesetzlichen Regelung gelangt ist, obgleich der Reichstag bereits 876 mit überwältigender Mehrheit sich dafür ausgesprochen hat. Seitdem sind die Unzuträglichkeiten der bisherigen Bestimmungen erst recht grell hervorgetreten; das ist nicht einladend zu einem Verzicht, ie er gegenwärtig vielfach verlangt wird gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Ich bedaure, daß in dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs das Vereinsrecht nicht behandelt ist; wir haben uns des⸗ halb veranlaßt gesehen, dem Hause einen solchen Entwurf bezüglich der Rechtspersönkichkeit der Berufsvereine vorzulegen, ebenso ein Nothgesetz in Bezug auf das politische Vereinsrecht, namentlich gegenüber den Polizeimaßnahmen der letzten Wochen. Diese polizeilichen Nen gachaen gehen nicht die Sozialdemokratie allein an, sie treffen in ihren Kon⸗ sequenzen alle anderen Parteien. Mit Recht ist 1871 die Zuständigkeit des Reichs auf das Vereins⸗ und Versammlungsrecht ausgedehnt worden. Dieses Recht ist entscheidend für die Art der Bethätigung des öffentlichen Lebens in Deutschland, und dieses ist wieder die Grundbedingung für die Zusammensetzung der Volksvertretung und die Richtung der Gesetzgebung. Welche ÜUngleichheit in den Einzel⸗ staaten bis zu Mecklenburg⸗Strelitz, wo die Abhaltung einer Versammlung von der vorherigen Genehmigung des hohen Mi⸗ nisteriums abhängt! Es darf nicht länger eine Bestimmung aufrecht erhalten werden, welche die Verbindung der politischen Vereine unter einander untersagt. Wenn man die letzten Konsequenzen zöge, müßte man auch die Zentralorganisation der landwirthschaftlichen, industriellen und der Handels⸗ und Gewerbevereine aufheben, welche der Vertretung der Sonderinteressen einen viel größeren Spielraum gewähren als die politischen Vereine, welche allgemeine Interessen verfolgen. Die Thronrede hat mit Recht daran erinnert, daß wir demnächst die fünfundzwanzigjährige Jubelfeier des Reichs begehen. Ich denke, wir werden die Feier einträchtig mit einander begehen. Wenn ich aber als Einer, der dem ersten Reichstage schon angehört hat, die politischen Zustände von damals und heute vergleiche, so fällt der Vergleich nicht zu Gunsten der Gegenwart aus. In den ersten Jahren des Deutschen Reichs hatte die wirthschaftliche Gesetzgebung einen freiheitlichen Zug; man suchte das Gewerbe zu befreien von allen Schranken, damit wir die Militärlasten tragen könnten. Seitdem sind die Militärlasten verdoppelt, die Steuerlasten ver⸗ dreifacht worden; die Gesetzgebung hat aber das gewerbliche Leben erschwert und die Kraft vermindert, die Last des Reichs zu tragen. Herr von Kardorff ist allerdings anderer Meinung. Er hat die Zeit von 1873 bis 1879 eine Zeit der Verarmung und des Verfalls genannk; Fürst Bismarck's Umkehr habe einen steigenden Wohlstand geschaffen, der wieder durchbrochen sei durch die Handelsverträge, sodaß wir wieder einer zunehmenden Verarmung entgegengehen. Herr von Kardorff tritt um so selbstbewußter auf, je schwächer die Unterlagen seiner Be⸗ hauptungen, je willkürlicher seine Schlußfolgerungen sind. Herr von Kardorff hat von der schlechten Handelsbilanz der siebziger Jahre ge⸗ sprochen. Das sind die Berechnungen, die aus den siebziger Jahren bekannt sind. Sie sind lediglich privaten Ursprungs; eine genaue Ausfuhrstatistik hat es damals gar nicht gegeben; sie ist erst später eingeführt worden, weil früher die Zollverwaltung an der Ausfuhr kein Interesse hatte; die Ausfuhrwerthe sind damals sehr niedrig angegeben worden. 1873 ist gar kein Freihandel eingeführt worden. Es sind damals nur die Eisen⸗ zölle etwas ermäßigt worden, sonst blieb Alles beim Alten. Herr von Kardorff hat die Zahlen sich gar nicht genau angesehen, sonst würde er gesehen haben, daß 1872 73 die Einfuhr so groß war, wie niemals zuvor. Wir müßten also damals der Verarmung ent⸗ gegengegangen sein, gerade als wir die französischen Milliarden erhielten und als die Industrie auf der Höhe stand. Die Zahlen beweisen, daß wir nach Herrn v. Kardorff der Verarmung entgegen⸗ gegangen sind in den Juhren, welche den Handelsverträgen voran⸗ gegangen sind. Aber die ganzen Berechnungen sind hinfällig, und wenn Sie die Statistik anderer Länder vergleichen, so finden Sie, daß alle anderen Länder eine Unterbilanz haben, nur Spanien und Serbien nicht. England z. B. ist um 10 000 Mill. Mark in den letzten Jahren verarmt. Herr von Kardorff meint, daß wir uns im Stadium der allgemeinen Verarmung be⸗ finden, weil die Getreidezölle um 1,50 ermäßigt sind. Ich habe die Wirkung der Handelsverträge nicht überschätzt, aber sie haben gehalten, was sie versprochen haben; ihr Hauptwerth besteht darin, daß sie dem Spstem der gegenseitigen Hinaufschraubung der Zölle unter den einzelnen Staaten entgegengearbeitet haben. Herr von Kardorff bestreitet, daß die Industrie einen Aufschwung genommen hat. Graf Posadowsky hat nachgewiesen, daß die Artikel Kaffee, Kakao u. s. w größere Zolleinnahmen ergeben haben; gerade die Dinge des Massenkonsums sind in gröberer Menge verbraucht worden. Auch die Arbeitslosigkeit ist jetzt nicht so groß wie früher, also von einer Verarmung kann keine Rede sein. Herr von Kardorff spricht von einer Verarmung auf dem Lande. Aber die Statistik des Viehbestands ergiebt eine Zunahme des Werths von 800 Millionen Mark in zehn Jahren. Allerdings sind die Reaten allgemein gefallen, da muß sich der Grundrentner den 255 ebenso gefallen lassen, wie der Kapitalist. Eine Abnahme der 2 evölkerung auf dem Lande hat sich von 1885 bis 1890 nicht ergeben oder sie be⸗ ruht nur auf rechnerischen Verschiebungen, weil einzelne kleine Ge⸗ meinden, die früher unter 2000 Einwohner hatten, jetzt mehr als 2000 Einwohner haben. Eine Abnahme der Bevölkerung zeigt sich nur in den preußischen Gutsbezirken. Daß die Industriebevölkerung zunimmt, ist selbstverständlich: wo soll denn die Bevölkerung über⸗ haupt unterkommen, da die Arbeit auf dem Lande beschränkt ist? Sollen mehr Leute auf dem Lande bleiben, dann sorgen Sie für die Aufhebung der Beschränkungen, sorgen Sie dafür, daß die kleinen Leute Besitzthümer erwerben können. Statt dessen wollen Sie die Fideikommisse fördern und den Erwerb von Grund und Boden verhindern. Hüten Sie sich, die Zuckersteuer zu machen, und setzen Sie keine Prämie darauf, daß die Leute aus dem Osten nach Sachsen gehen. Herr von Kardor hat den Altreichskanzler besucht; ich war begierig, was er für ein Programm mitgebracht hat, ob er wohl die Regierung scharf machen würde. Er brachte aber kein Programm, sondern schloß wie der alte Attinghausen: Seid einig! einig! einig! Das war nicht nöthig, da die Minister eben darüber einig geworden waren, Herrn von Köller aus ihren Reihen auszuschließen. Herr von Kardorff beschwerte sich darüber, daß die Minister sich unter einander verhetzen. Ich weiß nicht, ob das geschehen ist; ich will die Minister nicht vertheidigen. Aber die Verhetzung war unter dem Fürsten Bismarck noch viel schlimmer. Gegen Herrn von Köller will ich nichts sagen. Abgegangenen Ministern sage ich nur Gutes nach. Die Schaffung der „Berliner Korrespondenz“ war etwas Gutes. Ich bedauere aber, daß dieser

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Gedanke des Herrn von Köller nicht allen Ressorts gegenüber zum Ausdruck gekommen ist. Es werden Regierungs⸗ vorlagen verhökert bald an diese, bald an jene Zeitung. Die Minister würden gut thun, in ihrem eigenen Interesse dem entgegen⸗ zutreten und zwar dadurch, daß die Vorlagen möglichst bald im „Reichs⸗Anzeiger“ veröffentlicht werden. Wenn man sagt, das fünf⸗ undzwanzigjährige Bestehen des Reichs sollte am besten dadurch ge⸗ feiert werden, daß das Einigende betont wird, so ist das ein gutes Wort; unter dem Fürsten Bismarck wurde gerade das Trennende, der Widerstreit der Interessen betont. Die Begehrlichkeit ist ge⸗ wachsen, die Sonderinteressen sind aufgestachelt; das Reich kann aber nicht alle Anforderungen befriedigen, ohne den Handel und Verkehr stärker zu belasten. Das ist eine böse Erbschaft, die die Regierung überkommen hat. Die Regierung trifft aber der Vorwurf, daß sie nicht energisch genug die Sonderinteressen abschüttelt. Gegen⸗ über dem Antrag Kanitz hat die Regierung eine runde Absage ertheilt. Aber die Zuckersteuer ist auf demselben Holze gewachsen wie der Antrag Kanitz, sie ist in ihren Grundsätzen vielleicht noch verderb⸗ licher. Es ist deshalb leicht, den Glauben zu erwecken, daß die Re⸗ gierung noch zum Antrag Kanitz sich bekehrt. Der Antrag Kanitz ist etwas neu mit Schnüren und Quasten ausstaffiert wieder ein⸗ gebracht worden. Wir werden in die Verhandlung eintreten, aber der Hauptrufer im Streit, Herr von Hammerstein, fehlt: der Ritter ohne Furcht, aber mit um so mehr Tadel. Es ist nur gelungen, vier Nationalliberale für den Antrag Kanitz zu gewinnen. Herr von Bennigsen hat den Antrag als gefährlich und verderblich bezeichnet, aber seine Freunde haben den Antrag unter⸗ zeichnet. Wegen des Antrags Kanitz ist hauptsächlich die Hochburg der Konserpativen Halle⸗Herford verloren gegangen. Trotzdem man sich bemüht hat, von dem Antrag bei der Wahl so wenig wie möglich zu reden, wurden doch die bäuerlichen Wähler be⸗ denklich und ließen die Konservativen im Stich.

8 Das sind also ganz intelligente Leute, aber anderweitig werden die Wähler auch noch klug werden.

h k 1 Die anderen Parteien sind überhaupt dieser Agitation gegenüber viel zu nachsichtig gewesen; wir müssen die Gegenagitation gegen die Brotvertheurer und Geldverschlechterer das ist ja ein und dieselbe Gesellschaft etwas kräftiger anfassen. Ich habe gestern vermißt, daß Herr von Kardorff am Schluß seiner Rede den eigentlichen Trumpf ausspielte und den Bimetallismus als Heilmittel empfahl. Man hat mir aber gesagt, daß Herr von Kar⸗ dorff jetzt zu den anderen Silbermännern fährt, und daß die Silber⸗ männer sich gegenwärtig in Paris versammeln, weil sie das Bedürfniß empfinden, sich gegenseitig zu trösten, da es mit Balfour, auf den sie so große Hoffnungen gesetzt hatten, absolut nichts ist. Er ist ins Amt gekommen, aber er macht ihnen den Bimetallismus nicht. Indessen warten wir ab. Vielleicht war Herr von Kardorff gestern hierin so schweigsam, damit der Eindruck um so größer ist, wenn er nun gestärkt und gekräftigt durch die übrigen Silbermänner aus Paris zurückgekehrt ist und dann die Sturmfahne gegen das Ministerium voranträgt. Der Landtags⸗Abgeordnete Arendt hat ja in seinem Wochenblatt laut verkündet, was nun werden soll. Jetzt wird Graf Mirbach demnächst zurückkehren und unter den Ministern fürchterliche Musterung halten. Darin gebe ich den Herren Bimetallisten Recht: die Zeit der Halbheiten ist vorbei. Die Methode, daß man sagt: ohne Präjudiz für die Goldwährung oder den Bimetallismus geht es nicht länger so, dabei verliert man das Vertrauen auf jeder Seite. Es muß ein entschiedener Stand⸗ punkt eingenommen werden; alles Andere ist verschwindend gegenüber dem großen Segen der Goldwährung und dem Festhalten an der Goldwährung. Hoffentlich wird die Regierung aus den jetzigen Erinnerungs⸗ und Festfeiern in Deutschland die Stärke und Kraft finden, mehr und sicherer als bisher das nationale Banner der gemeinsamen Interessen des ganzen Volkes hochzuhalten gegenüber den Sonderbündeleien von verschiedenen Seiten. Nur soweit dies der Fall ist, darf sie auf unsere Unterstützung rechnen.

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst:

Meine Herren! Ich bin genöthigt, auf eine Aeußerung des Herrn von Kardorff, die er am Schluß seiner gestrigen Rede gethan hat, mit einigen Worten zu erwidern. Herr von Kardorff hat der Re⸗ gierung den Vorwurf des Mangels an Einheitlichkeit des Thuns und Wollens gemacht. Er bezog sich dabei auf zwischen Zeitungen be⸗ stehende Fehden und Kämpfe und meinte, daß hieran Mitglieder der Regierung betheiligt seien. Ich wundere mich, daß ein so erfahrener Politiker wie Herr von Kardorff solchem Gerede in den öffentlichen Blättern Glauben geschenkt hat, und darf nicht zögern, seiner Annahme von mangelnder Einheit in der Regierung entgegenzutreten. Wenn Zeitungen, die für offiziös gelten, sich bekriegen, so kann hieraus doch nicht gleich gefolgert werden, daß die Minister sich bekämpfen. Bei der Beurtheilung über die Einheitlichkeit der Regierung kommt es hauptsächlich auf das Ziel und die Richtung ihrer Politik an. Ziel und Richtung der Politik sind in meinem Programm, das ich im vorigen Jahre beim Eintritt in die Session gegeben habe, festgelegt. Daran hat sich nichts geändert, und die Minister sind nach wie vor damit einverstanden. In keinem Punkt ist eine Abweichung des Programms erfolgt, und der Mangel an Einheit⸗ lichkeit ist also in das Gebiet der Legende zu verweisen. (Bravo!) Meinungsverschiedenheiten finden überall da statt, wo Menschen sich zu gemeinsamer Arbeit vereinigen. Wir, die Minister, suchen die Meinungsverschiedenheiten in friedlicher Weise zu lösen und aus⸗ zugleichen. Der Rücktritt des Herrn Ministers von Köller ist nich ausschließlich auf Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen; er ist ver anlaßt worden durch Mißhelligkeiten, die sich an Meinungsverschieden⸗ heiten geknüpft haben. (Hört! hört! links.) Ich war zu meinem Bedauern nicht in der Lage, diese Mißhelligkeiten auszugleichen Weder Zeitungsartikel, noch auch die Frage der Zweckmäßigkei der Maßregel gegen die sozialdemokratischen Vereine in Berlin sin dabei in Frage gekommen.

Wenn der Regierung Mangel an kräftiger Initiative vor geworfen wird, so möchte ich doch dabei bemerken, daß eine kräftig Initiative nur mit einem Reichstage zu machen ist, der eine ge schlossene Majorität aufweist. Das ist bei uns nicht der Fall. Dazu kommt, daß zahlreiche Interessen sich im Reichstag geltend machen, die den Gang der Regierung erschweren. Wir werden aber dessen⸗ ungeachtet fortfahren, so, wie es Herr von Kardorff wünscht, Ruhe, Ordnung und Wohlhabenheit zu fördern und den drohenden Gefahren entgegenzutreten; wir werden fortfahren, die gegen die Staats⸗ und Gesellschaftsordnung, gegen Monarchie und Religion gerichteten Bestre⸗ bungen zu bekämpfen. Der Versuch, diese Bestrebungen auf dem Wege der Reform des gemeinen Rechts zu bekämpfen, ist mißlungen; ich komme heute darauf nicht zurück, auch ist es nicht unsere Absicht, dem Reichstag ein neues Gesetz in diesem Sinne vorzulegen. Allein G

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