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an wie ein schöner Nachklang aus längst vergangenen Jahr⸗ hunderten. Auch die Freskomalerei sollte bei uns, angeregt durch die Stiftung eines mecklenburgischen Edelmanns, ihre Auferstehung feiern. Von jugendlicher Meisterhand entsteht so ein Cyclus inter⸗ essanter Werke, zunächst in dem Saal des Architektenhauses, dann in der reizvollen Diele des Pildesheimer Rathhauses und, soeben vollendet, in dem Treppenhaus des Museums zu Breslau. Wenn dieser Art be⸗ währter Technik auch nicht die berückende Gluth anderer moderner Mal⸗ mittel zur Seite steht, so hat sie doch ihren eigenartigen Reiz in dem harmonischen Zusammenklang mit der architektonischen Farbengebung eines Raums. Aus den noch frischen Eindrücken unserer Heeres⸗ erfolge thut sich der Malerei ein anderes eigenartiges Schaffensfeld in der Panorama⸗Malerei auf. Sehen wollte die Menge die blut⸗ getränkte Wahlstatt mit ihren todesmuthigen Kämpfern, wollte sich durchschauern lassen von den Schrecken des Todes und Verderbens. So werden die Schlachten von St. Privat, Sedan, Mars la Tour, Mont Valsrien ꝛc. vorgeführt. Man hat diesen Arbeiten, gemalt für einen vorübergehenden Zweck, häufig die volle Werthschätzung nicht gezollt, und doch zeigen sie ein so großes Maß von künstlerischem Können, eine solche Virtuosität der Mache, daß wir das hohe Interesse verstehen können, welches die Menge ihnen entgegengebracht hat. — Hochbedeutungsvoll für die Malerei wurde die Wiederbelebung der Mosaiktechnik. Lange war diese so edle, für die Anwendung im Aeußern allein haltbare Technik vergessen. — Die Uebung, welche in ihr in früheren Jahrhunderten vorhanden war, fristete nur ein kümmer⸗ liches Dasein in den bescheidenen Werkstätten Murano's bei Venedig. Einem venezianischen Rechtspraktikanten, dem Dr. Salviati, war es vorbehalten, die noch vorhandenen Kräfte zu sammeln und mit glänzendem Erfolge die alte Technik wieder ins Leben zu rufen. Ihrer großen Kostbarkeit wegen konnte leider nur selten von ihr Gebrauch werden; hier zuerst an dem Pringsheim’schen Hause in der
ilhelmstraße, an der Fagçade des Gewerbe⸗Museums und in der Vorhalle des Völker⸗Museums. Besonders aber hat die Siegessäule durch sie ihren farbenglänzenden Schmuck erhalten. Zu bedauern bleibt nur, daß bei diesem Werk die gekrümmte Fläche und die Säulen die schöne Komposition des siegathmenden Bildes nicht zur vollen Wirkung gelangen 1üh
Jenen eistungen in der Wandmalerei nahestehend sind die groß⸗
artigen Repräsentationsbilder, die uns beispielsweise die Kaiser⸗ krönung zu Versailles, den Berliner Kongreß, die Thronbesteigung Kaiser Wilhelm's II. vorführen. In ihrer Art hochbedeutende künstle⸗ rische Leistungen, haben sie das große Verdienst, kostbare Dokumente für die Nachwelt zu sein: durch die gewissenhafte Wiedergabe des historischen Vorganges, durch die feine Charakteristik der Per⸗ sönlichkeiten und die frappante Aehnlichkeit des Porträts. Aber auch die Tafelmalerei erfährt in diesen Zeiten einen ungeahnten Aufschwung. Der Milliardensegen hat leichtflüssig das Geld gemacht. Der schnell angewachsene Reichthum hat das Luxusbedürfniß gesteigert; die immer großartiger auftretenden öffentlichen und privaten Aus⸗ stellungen haben das Kunstverständniß gefördert und zugleich die Kauflust angeregt; mit der vergrößerten Nachfrage ist auch das Angebot gewachsen. Aber auch die Schattenseiten des Lichtbildes sind nicht ausgeblieben. Eine Menge oft nicht ganz berufener Kräfte sind hierfür wachgerufen. Trotz der Anstrengungen für diese alljährlich wiederkehrenden Schaustellungen und trotz des Beiwerks, welches ihnen leider beigefügt worden ist, bleibt die weit hinter der Fülle des Gebotenen zurück. Die
sich in Verstimmungen nach viel⸗
Dennoch darf die stets zunehmende
z3 u ebenso sich steigernden Verkaufserträge als erfreuliches Zeichen angesehen werden. Als eine ganz überraschende und die gesammte Malerzunft auf das tiefste erregende Erscheinung tritt einem Gewittersturm gleich jene Bewegung zur Hell, und Freilichtmalerei, zum Impressionalismus, auf. Grund⸗ sätzlich brechend mit den alten Traditionen, gepaart mit dem Suchen nach überraschenden außergewöhnlichen Lichtwirkungen, zugleich mit dem Anspruch, frappierende augenblickliche Eindrücke, skizzen⸗ aft auf die Leinwand geworfen, als fertige Kunstwerke be⸗ rachten zu dürfen; dazu das Bestreben, die sensationellsten Motive mit Vorliebe aus den Schattenseiten des menschlichen Daseins zu wählen, oft gerade das Häßliche zu suchen, — forderte zu chärfster Abwehr die ältere Tradition heraus. Im Fluge bemächtigt sich diese auffällige Bewegung der sämmtlichen Kunststätten; heftig ntbrennt der Kampf der Gemüther. Es bilden sich Sezessionen. ber erst wenige Jahre sind verflossen, und schon beginnt diese Er⸗ cheinung sich abzuklären, es sondert sich die Spreu vom Weizen. Wie ast immer aus solchem geistigen Ringen, dürfen wir auch von ihm rwarten, daß es anregend und einem Gewitterregen gleich befruchtend und utzbringend für das gesammte Kunstleben sein werde. Unsere Kunst⸗ ausstellungen bieten für alle solche Bestrebungen ohnehin den besten Tummelplatz; wer Sieger bleiben wird, entscheidet schließlich der gesunde Instinkt der Menge und nicht in letzter Linie auch der Käufer.
Es erübrigt uns noch, auch der vierten, so verwöhnten Schwester⸗
unst, der Musik, zu gedenken. Haben, so fragen wir, auch hier unsere Kriegserfolge, wie zur Zeit der Befreiungskriege, jene Kampfes⸗ und Siegesgesänge hervorgebracht, wie sie heute noch Alt und Jung mit Begeisterung singen? Wir dürfen diese Frage mit einem dreisten „Nein“ beantworten. Die populärsten von ihnen, „Die Wacht am Rhein“ und „Deutschland, Deutschland über alles“, waren lange vor dem Kriege bekannt. Der Siegeslauf war eben zu schnell, das Kriegselend in der Heimath nicht wie damals auf das schwerste
npfunden, wo aus der verzweifelnden oder rachedürstenden Volksseele heraus solche Lieder geboren wurden. — Auch die gewaltigen Musik⸗ dramen des modernen Reorganisators der deutschen Oper, über die der Parteien Streit noch immer erregende Worte wechselt, und die, wer will dies bestreiten, echt deutschem Empfinden entsprungen, fast ausnahmslos nur deutsche Stoffe und Stimmungen zur Aussprache bringen, auch sie haben ihre Entstehung zum größten Theil vor der deutschen Erhebung gefunden; ihr wirklicher Erfolg und ihre unverglei liche Aus⸗ breitung im Auslande ist erst durch die deutschen Siege ermöglicht worden. Der Kunsttempel in der alten bayrischen Stadt Bayreuth „ist ebenso erst nach dem Frieden errichtet worden. Das glänzendste Zeugniß ihres musikalischen Werthes, den sie im Kampf der Geister errungen, hat ihr das sonst so revanchedürstende Paris gegeben, welches trotz allen Widerstrebens mit Jubel ihr endlich die Thore geöffnet hat. Andere große deutsche Meister, die in dem Rahmen unserer Altmeister fortwirkten und in ihrem Geiste Neues schufen, haben den Triumph der ernsten, würdevollen deutschen Tonkunst behauptet, ohne an ihren Grundvesten und Pfeilern zu rütteln. Von einem ihrer machtvollsten Vertreter hat die Musikliteratur ein Werk erhalten, das direkt Bezug auf Deutschlands große Zeit nimmt und als Triumphlied die Summe der Errungenschaften des Krieges und des Friedens zieht. Der erste Theil dieses Werkes, für Kaiser Wilhelm geschrieben, wird den Beschluß der heutigen Feier bilden.
Aber noch einen anderen Gewinn hat die deutsche Tonkunst in den letzten fünfundzwanzig Jahren errungen. Die frühere Zeit war trotz unserer herrlichen Altmeister gewohnt, alles Heil musikalischer Erziehung jenseits der deutschen Grenze zu suchen; man pilgerte nach Italien, um die pollendete Gesangskunst und den Palestrina⸗Stil in der Sixtinischen Kapelle und anderen italienischen Musikvereinigungen se studieren. Für die dramatische Musik war fast ausschließlich Paris und eine große Oper das Ziel. Man sah es als eine besondere Wohlthat für den jungen Musiker an, wenn er nach dorthin seine Schritte lenken durfte. Mit Stolz kann heute der deutsche Musiker sagen, daß er nicht außerhalb der Heimath zu suchen hat, was er 19 vater⸗ ländischem Boden besser findet. Die deutsche Musik hat allenthalben im deutschen Vaterland in Musik⸗ und Meisterschulen, Orchester⸗ und Gesangvereinen und auf den Opernbühnen eine so reiche und liebevolle Pflege und überall so ausgebreitetes Verständniß gefunden, daß heutigen Tags der Ausländer, welcher seine musikalischen Studien und Kenntnisse vervollständigen will, gern in Deutschland das Gastrecht sucht und nutzbringende Belehrung
herziger deutscher Stifter, junge Tonkünstler außer Landes gehen zu lassen, als geradezu nachtheilig für die Ausbildung der Begünstigten. Bemüht sich doch gleichzeitig der Staat, immer mehr der forgfältigsten Erfüllung aller Bedürfnisse gerecht zu werden.
Somit dürfen wir mit vollem Recht behaupten, daß auch die „deutsche Musik seit der Reubegründung des Deutschen Reichs einen vollberechtigten Aufschwung genommen hat. So geht Hand in Hand mit der zunehmenden Bedeutung, die deutsches Wesen, deutsches Wort und Werk in der ganzen Welt sich zu erobern verstand, auch die deutsche Musik. — Mit frohem Muth dürfen hiernach Kunst und Künstler in die Zukunft blicken. Schwer wohl lastet die Ungunst der Zeiten auf Handel und Wandel, und unheimlich zugleich rüttelt an den Grundvesten unserer sittlichen Ordnung, an Staat und Familie ein dämonischer Geist und sucht unseres Volkes Seele zu vergiften. Doch, getrost nur! Noch waltet ungebrochen der alte ger⸗ manische Geist, dem die Vorsehung als bestes Erbtheil gegeben den idealen Sinn, das nie wankende Pflichtgefühl und die unwandelbare Treue zu Gott, König und Vaterland. Sie haben uns zum Siege geführt über den alten verhaßten Erbfeind, sie werden uns auch sicher helfen, des inneren Feindes Herr zu werden. Und wir Künstler vor Allen, wir sind berufen, dem idealen Empfinden unseres Volkes Ausdruck und Gestaltung zu geben, Pfadfinder zu sein für die Kultur alles Schönen und Edlen in see Seele.
Nicht umsonst, nicht rein zufällig ist der Adler Schild⸗ und eldzeichen unseres Hohenzollerngeschlechts. Gleich ihm, sich empor⸗ chwingend in die höchsten Höhen der Lüfte und herabschauend auf das Niedrige und das alltägliche Getriebe der Menschen, haben auch sie es verstanden, sich emporzuheben auf die stolzeste Höhe menschlicher Macht und menschlicher Größe. Seien wir dankbar und stolz darauf, daß es uns beschieden ist, aus solchem Stamm und solcher Art unsern jugendfrischen Kaiser in der ganzen Fülle Seiner Kraft und Seines Geistes zu sehen. Mit fester Hand ist Er gewohnt, das Steuer zu fassen, kühn und sicher durch die wogende, brandende See sein Segel zu führen, furchtlos einzutreten für Wahrheit und Recht, wenn es gilt, allüberall! Haben wir nicht letzthin das Echo Seines mächtigen Wortes erlebt, wie es widerhallte durch die ganze politische Welt und grollend sich brach an Albions Küsten? Und was Er der Kunst ist, wie warm Sein Herz für sie schlägt, hat Er es nicht oft genug glänzend bewiesen? Was wir erlebt mit
jenem sinnigen Feste im Schlosse zu Sanssouci und erst neulich, als es galt, unsern theuren Altmeister Menzel zu feiern, wie stolz waren wir auf die hochherzige und rührende Art, mit der nur ein solcher Kaiser wie Wilhelm II. versteht, einen verdienst⸗ vollen, hochbetagten Künstler zu ehren. Dafür sei Ihm von dieser Stelle unser besonderer unauslöschlicher Dank gebracht, Ihm, unserm echten und rechten Allergnädigsten Protektor! So wollen wir aus dankerfülltem Herzen für Ihn, hochverehrte Festversammlung, des Himmels reichsten Segen erflehen, und so fordere ich Sie hiermi auf, einzustimmen mit mir in den Jubelruf: „Unser erhabener König und Herr, unser Kaiser Wilhelm II., Er lebe hoch!“
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„Vom Kriege hinter der Front, 1870/71.“
Festrede zur Feier des Geburtstages Seiner Majestät
des Kaisers und Königs, gehalten am 26. Januar 1896 in der
Aula der Technischen Hochschule zu Berlin von dem Rektor der Hochschule, Professor Müller⸗Breslau.
Hochgeehrte Festversammlung!
„Im reichgeschmückten Festraume unserer Hochschule hat heute die Liebe zum erhabenen Schirmherrn des theuren Vaterlandes uns zusammengeführt, das Geburtsfest des treuen Fürsten eines treuen Volkes zu begehen.
Mit unbegrenzter Verehrung und tiefstem Dankgefühl huldigen wir unserem mächtigen Kaiser und Könige, und des Himmels Segen erflehen wir für Sein Wirken. In Ihm erblicken wir den Führer, dem Treue bis in den Tod wir gelobten, der mit nie ermüdender
ürsorge auf das Wohl Seines Volkes bedacht ist und mit kräftigem Arm das heilige Erbe Seiner Väter hütet: unser so lang ersehntes Deutsches Reich!
Und erhöht wird die festliche Stimmung des heutigen Tages durch die stolze Erinnerung an jenen Siegeszug ohne gleichen, der vor 25 Jahren die deutschen Stämme nach langer Trennung in treuer Waffenbrüderschaft bis tief in das Herz von Frankreich führte, die feindlichen Heere in rühmlichem Kampfe bezwingend. — „Mit Eisen geschmiedet, mit Blut gekittet“, so erwuchs das neue Reich aus jenem glorreichen Kriege, der noch den fernsten Geschlechtern ein leuchtendes Denkmal deutscher Tapferkeit sein wird, und zu dem der Vaterlandsfreund so gern die Gedanken zurücklenkt.
Auch mir sei es vergönnt, zu Ihnen in dieser Stunde von jenem denkwürdigen Kriege zu reden, — doch nicht von der tobenden Feld⸗ schlacht und dem Angriff auf die wehrhafte Festung — nein, Bilder vom Kriege hinter der Front, vom Kriege am Schienenwege will ich Ihnen entrollen; erzählen will ich von der Thätigkeit jener Eisenbahn⸗ Ingenieure und Pioniere, denen die schwierige Aufgabe zugetheilt war, die vom Feinde zerstörten, rückwärtigen Verbindungen der weit vor⸗ geschobenen deutschen Heere wiederherzustellen.
Zwar sind es nur Streiflichter, welche der knappe Rahmen dieses Vortrages bieten kann; sie werden aber, so hoffe ich, genugsam be⸗ weisen, daß auch an der Etappenstraße für Deutschlands Größe ge⸗ wirkt und gekämpft wurde.
Die hervorragende Stellung, welche die Eisenbahnen im Kultur⸗ leben unserer Zeit sich errungen haben, nehmen sie auch in der heu⸗ tigen Kriegführung ein, und insbesondere stützten sich im Deutsch⸗ französischen Kriege die rückwärtigen Verbindungen unserer Heere bei dem Fehlen einer im Bau von Feldbahnen durch lange Friedensarbeit geschulten und gut ausgerüsteten Eisenbahntruppe vorzugsweise auf die bestehenden Eisenbahnlinien. Ihr gesicherter Betrieb war von der höchsten Wichtigkeit für die Verpflegung des Heeres, für die Nach⸗ sendung von Munition, Waffen und Bekleidung, für den schnellen Vorschub geschlossener Truppentheile, für die Zurückbeförderung von Verwundeten, Kranken und Gefangenen.
Die einfache Ficht der Selbsterhaltung gebot daher den Krieg⸗ führenden, dem Feinde die Benutzung des Schienenweges zu er⸗ schweren. Und mit großem Erfolg geschah dies seitens ins weichenden Gegners.
Auf weiten Bahnstrecken war Brücke auf Brücke zerstört, stolze Viadukte lagen in Trümmern, Tunnels und Einschnitte waren ge⸗ sprengt, und die nachgestürzten Bergmassen verlegten dem Sieger den Weg. Noch während der späteren Betriebsführung wurden sorgfältig versteckte geladene Erdminen entdeckt.
Auf der freien Strecke, namentlich an weit von Ortschaften ent⸗ fernten Stellen und in Waͤldern waren die Schienen auf Längen von mehreren Kilometern beseitigt. In den Bahnhöfen fand sich häufig keine Weiche mehr vor. Die Wasserstationen waren zerstört oder durch Entfernen der Schieber und Ventile und durch Verstopfung schwer zugänglicher Rohrleitungen unbrauchbar gemacht.
Sodann gehörte die Vernichtung und gründliche Beschädigung der Eisenahnwagen und namentlich der Lokomotiven zu den empfind⸗ lichsten Störungen, welche dem vordringenden Sieger bei der In⸗ betriebsetzung einer in seine Gewalt gegebenen Eisenbahnstrecke bereitet worden sind: denn häufig war es ihm nicht möglich, die Be⸗ triebsmittel aus eigenen Beständen zu beschaffen, weil eine Festung den Zugang zu jener Strecke sperrte oder die Wiederherstellung einer größeren Brücke in einer Zufahrtslinie Wochen in Anspruch nahm. Zu den technischen Schwierigkeiten aber, erhöht durch einen aus⸗ nahmsweise starken Winter, traten die großen Gefahren, die den Bahnlinien durch die zahlreichen mobilen Kolonnen und Freischaaren der Franzosen erwuchsen.
Selbst Truppenzüge waren vor den Angriffen der Freischaaren nicht sicher. So wurde am 23. Dezember ein Eisenbahnzug
und Anregung erhält. So erweist sich auch die Bedingung hoch⸗
mit dem 2. Bataillon des 72. Infanterie⸗Regiments, welches
eres zurück⸗
von Chaumont nach Nuits sous Ravières befördert werden sollte, zum Entgleisen gebracht — glücklicherweise ohne die Böschung hinabzustürzen — und aus 160 m. Entfernung von einem Kugelregen empfangen. Das aus Marine⸗Kanonieren, Mobilgarden und Franctireurs bestehende Streifkorps hatte sogar die Absicht gehabt, den Zug in die Luft zu sprengen; fast alle Leute trugen komprimierte ießbaumwolle im Tornister, ein Feuerwerker führte 30 Gramm Knallquecksilber bei sich. Nur dem Umstand, daß während einer Rast, die das Streifkorps in einer Ferme hielt, das Knallquecksilber infolge einer Unvorsichtigkeit erplodierte, war es zu danken, daß sich die Franzosen mit der Entgleisung begnügten. Sie nahmen die Schienen auf und legten sie kunstgerecht wieder so hin, daß der Lokomotivführer die gestörte Stelle nicht sehen konnte. — Das preußische Bataillon ging sofort in langer Schützenlinie zum Angriff vor, doch gelang es den Franzosen — wie fast immer —, im dichten Walde zu entkommen, unter Zurücklassung von 7 Todten und 12 Gefangenen. Die benachbarte Gemeinde Orges wurde in eine Geldstrafe genommen, sie mußte den Wald in einem Abstand von 300 m von der Bahn niederlegen, und hatte fortan 4 angesehene Männer zu stellen, welche die auf der Strecke Chateau⸗Vilain verkehrenden Züge auf deren Lokomotiven als Bürgen begleiten mußten. — Dies eine Beispiel möge genügen, die Unsicherheit am Schienenwege zu kennzeichnen. Mitt der Riesenarbeit nun, ein weit verzweigtes Eisenbahnnetz inmitten einer durch ihre Regierung zu Thätlichkeiten aufgestachelten Bevölkerung betriebsfähig zu machen, wurden 6 Feldeisenbahn⸗Ab⸗ theilungen (5 preußische und 1 bayerische) betraut, über deren geringe Stärke die folgenden Ziffern des Kriegsverpflegungs⸗Etats Auskunft geben mögen.
An der Spitze jeder Abtheilung stand ein höherer Eisenbahn⸗ techniker, unter ihm 4 höhere und 15 niedere Eisenbahn⸗Bau⸗ und Betriebsbeamte. Zu jeder Abtheilung gehörte eine Eisenbahn⸗ Kompagnie, bestehend aus 4 Offizieren (darunter nur ein Ingenieur⸗ Offizier), 75 Pionieren, 100 zur Herstellung des Oberbaues bestimmten Hilfsmannschaften, zu den berufsmäßige Eisenbahnarbeiter gewählt wurden, und 10 Trainsoldaten. Die baverische Abtheilung war etwas stärker und hatte durchweg Ingenieur. Offiziere bei der Truppe. Die Kompagnien waren in ihrem technischen Dienste den Abtheilungs⸗ Chefs unterstellt.
Die Stärke der Eisenbahn⸗Kompagnien erwies sich sehr bald als so wenig ausreichend, daß noch mehrere Festungs⸗Pionier⸗Kompagnien, zuletzt 9, und 2 selbständige Pionier⸗Detachements zu Wiederherstellungs⸗ arbeiten und zum Bau von Feldbahnen herangezogen werden mußten. Sie wurden in technischer Beziehung ebenfalls den Chefs der Feld⸗ eisenbahn⸗Abtheilungen unterstellt. Diese Kompagnien konnten den Besatzungen der deutschen Festungen entnommen werden, da keine der⸗ selben zur Belagerung gelangte. Bei größeren Arbeiten wurden französische Werkleute mit herangezogen. Ihre Löhnung erhielten sie meistens von den zu Kontributionen verpflichteten Gemeinden.
Gleich bei Beginn des Feldzugs fiel den Feldeisenbahn⸗Abthei⸗ lungen I und IV, unterstützt von vier Festungs⸗Pionier⸗Kompagnien, die umfangreiche Aufgabe zu, die gegen 5 Meilen lange normalspurige Feldbahn von Rémilly nach Pont à Mousson zur Umgehung der Festung Metz in sehr schwierigem Gelände auszuführen. Die Bahn, deren Herstellung bereits beschlossen und an der Hand der General⸗ stabskarte vorbereitet worden war, als der Feind die ersten Nieder⸗ lagen bei Spicheren, Weißenburg und Wörth erlitten hatte, über⸗ schreitet zwei Flüsse, die Seille und die Mosel, und zwei Wasserscheiden, „deren tiefste Einsattlungen die Flußthäler Wum 60 m überragen. Am 14. August, am Tage der Schlacht bei Colombey, erfolgte von Rémilly aus die Absteckung der Linie, von deren Mühsamkeit die eine Angabe zeugen möge, daß die Ueberschreitung der bohen Wasserscheide zwischen den nur eine Meile entfernten Flußthälern der Seille und der Mosel in einem Gelände aufgesucht werden mußte, welches fast ganz von dichtem, unterholz⸗ reichem Buchenwald bestanden war, und daß Aufnahmen und insbesondere Höhenmessungen von der Genauigkeit, wie sie die Tracierung einer Bahn verlangt, nicht zu Gebote standen. Am 17. August trafen die ersten größeren Trupps der aus der Gegend von Saarbrücken herbeigeholten Bergarbeiter, die des Krieges wegen feiern mußten, ein, und es konnten nunmehr die Erdarbeiten kräftig in Angriff genommen werden. Trotz des großen Umfangs dieser Arbeiten, trotz der Schwierigkeiten, welche die Ver⸗ legung des Oberbaues bereitete, dessen Theile von verschiedenen Bahn⸗ verwaltungen und Fabriken bezogen werden mußten und deshalb schlecht zusammenpaßten, trotzdem endlich zwei größere Brücken und zwei längere Viadukte zu erbauen waren, wurde bereits am 23. September der letzte Schienennagel geschlagen und am 26. September die Bahn in Betrieb genommen.
Bringt man die Tage in Abzug, an denen ungewöhnlich starke Regengüsse zur Einstellung der Arbeiten zwangen, so bleiben für die Ausführung des bedeutenden Werks nur 33 Tage übrig, — eine achtunggebietende Leistung und ein glänzender Anfang.
Mit dem weiteren Vordringen in Feindesland steigerten sich die aus der unvollkommenen Ausrüstung der Feldeisenbahn⸗Abtheilungen erwachsenden Schwierigkeiten. Besonders fühlbar wurde der Mangel vorbereiteter Bautheile für den Brückenbau.
Während heute die Leitungen aller größeren Heere um die Be⸗ schaffung einfacher, zerlegbarer Brücken bemüht sind, die einen schnellen Aufbau ohne feste Gerüste selbst bei größeren Spannweiten gestatten, waren unsere Feldeisenbahn⸗Abtheilungen oft gezwungen, das Brücken⸗ baumaterial in Feindesland, in großer Entfernung von der Baustelle zu suchen und auf verschneiten Waldwegen heranzuschaffen.
Die Franzosen waren etwas besser gerüstet, wenngleich auch bei ihnen von einer gründlichen Vorbereitung für den Brückenbau im Feindesland nicht die Rede sein konnte. In Metz wurden ganze Eisen⸗ bahnzüge mit Kunstrammen, Pfählen und Gitterträgern zur Her⸗ stellung von Flußüberbrückungen erbeutet. Wie begehrt dieses Material war, beweist der kleine Handstreich, den der — zur Zeit der Uebergabe von Metz in Epinal weilende — Chef der V. Feldeisenbahn⸗ Abtheilung vollführte, indem er auf die Nachricht von dem großen Funde sofort nach Metz eilt, einen Zug von 20 Achsen mit Gitter⸗ trägern und langen Baumstämmen aus dem überfüllten Bahnhofe heßholt 788 erst nachträglich Billigung dieser nothgedrungenen Selbst⸗ ilfe erbittet.
Ein treffliches Bild von der Umständlichkeit der Gewinnung der Bautheile bietet die Wiederherstellung der Moselbrücke bei Charmes, etwa 100 km von Metz in der Bahnlinie Nancy — Epinal. Die 17 m weiten, Brückenöffnungen mußten freitragend überspannt werden, da ein Rammen von Pfählen in den steinigen ÜUnter⸗ grund ausgeschlossen war. Man entschied sich für den Bau von Gitterträgern. Die größte Schwierigkeit machte die Beschaffung der 18 m langen, starken Gurtungshölzer. Einige fand man in Metz, in Nancy und in dem südlich von Epinal gelegenen Remiremont. Der größte Theil mußte in den 30 km von der Baustelle gelegenen Staatswaldungen von Rambervilliers geschlagen werden. Zu den Diagonalen wurden 2500 laufende Meter Eisenbahnschwellen ver⸗ wendet. Die eisernen Hängestangen gewann man aus den Unter⸗ gestellen der Wagen eines Eisenbahnzuges, den die Franzosen kurze Zeit vorher in Romiremont in Brand gesteckt hatten.
Noch größer waren die Schwierigkeiten beim Bau einer Brücke über die Seine bei Montereau. Hier war eine gußeiserne Bogenbrücke gesprengt worden. Der gänzliche Mangel an kräftigem Langholz verbot die freitragende Ueberspannung der 50 m weiten Oeffnung. Nur vereinzelte Eichen und schwache Fichten fanden sich in den von französischen Freischaaren unsicher gemachten Waldungen Das Ein⸗ rammen von Pfählen zwischen den stehen gebliebenen Pfeilern behufs Kürzung der Spannweite war unausführbar, weil die Beseitigung der tief in den schlammigen Untergrund versunkenen Trümmer nicht glückte. Es wurde deshalb die Erbauung einer neuen Pfahljochbrücke 12 m oberhalb der alten Bruücke beschlossen, der alte Bahndamm abgetragen und ein neuer geschüttet. Zugrammen fand man in Melun und Cannes. Zur Herstellung des Schiffssteges entdeckte man nach langem Suchen zahlreiche Kähne im Loing⸗Kanal. Diese aber hatte der Feind durch umlaufende Seile mit einander verkettet, theilweise unter dem Boden verankert, größten⸗
Ahbtheilung herbeigernfen worden, uͤm die Station Nanteuil, welche
vpon Munition für Paris, sodann
theils auch beschwert und schließlich durch Sprengung einer Schleuse trocken gelegt. Mit großer Anstrengung und Anwendung künstlicher Stauvorrichtungen gelang es, sie flott zu machen. — So mußten sich unsere Pioniere die Bautheile und Hilfsmaschinen in Feindesland zu⸗ sammensuchen.
Auch an kühnen Bauwerken, die Bewunderung erregten, hat es nicht gefehlt. Im Süden von Epinal, in der Nähe von Xertigny überschreitet die nach Vesoul führende Bahn ein 37 m tiefes Thal. Ein 142 m langer Viadukt stützte den Schienenweg. Aus 9 Bogen bestand das stolze Bauwerk, durch kräftige Gruppenpfeiler in drei Abschnitte zerlegt, damit beim Sprengen eines der schlanken Zwischen⸗ pfeiler nicht der ganze Bau, sondern nur eine Gruppe einstürzen sollte.
Den einen Pfeiler hatten die Franzosen von Grund aus gesprengt; er lag mit den angrenzenden Bogen in Trümmern. Ueber der 25 m weiten Oeffnung bildeten die Eisenbahnschienen, die mit den Schwellen im vollen Zusammenhang geblieben waren, eine flache Kette, und dieser leichtgeschürzten Hängebrücke in schwindelnder Höhe bedienten ich waghalsige Pioniere, um auf einem Bahnmeisterwagen den Telegraphendraht hinüberzubringen Bergab ging es flott, allerdings in bedenklichen Schwingungen, der aufsteigende Zweig der Kette aber konnte nur mit großer Anstrengung überwunden werden, indem sich die Pioniere auf dem Wagen festbanden, liegend die Schienenköpfe erfaßten und sich langsam hinaufzogen.
Die Wiederherstellung des hochragenden Baues war nicht ohne Gefahr, denn auch die stehen gebliebenen Bogen zeigten Risse und mußten entlastet werden. Den gesprengten Steinpfeiler in der ganzen Höhe durch einen Holzpfeiler zu ersetzen, erschien zu gewagt, und man entschloß sich, den unteren Theil trotz des strengen Frostes zu mauern. Nur wenn der mit heißem Wasser bereitete Zementmörtel den Maurern unter den Händen gefror, stellte man die Arbeit ein. Auf diesem Sockel wurde der inzwischen in Epinal gezimmerte schlanke Holz⸗ pfeiler errichtet und durch kräftige Spannbalken in der Höhe von 28 m gegen die Gruppenpfeiler abgesteift — eine halsbrechende Arbeit auf den mit Eis überzogenen Gerüsten. Gitterrräger überbrückten schließlich die Oeffnungen. — Lange zögerten die Postzüge, sich dem kühnen Bau anzuvertrauen, trotzdem die Pioniere mit frischem Wage⸗ muth sofort schwere Lokomotiven über ihr Kunstwerk geführt hatten.
Der kühne Bau von Pertigny erfuhr zwei längere Unterbrechungen. Einmal muste die Baustelle vor der vordringenden Armee Bourbaki's geräumt werden. Das zweite Mal rief ein Telegramm Moltke's die V. Feldeisenbahn⸗Abtheilung nach Fontenoy bei Toul zur Fahrbar⸗ machung der von Franctireurs gesprengten Moselbrücke.
Das Kriegsbild, das sich hier abspielte, gehört zu den bewegtesten Bildern aus dem Leben hinter der Front und zeugt von der Kühnheit der französischen Freischaaren. Zwei französische Hauptleute hatten ein aus 300 Köpfen bestehendes Freikorps, das sich die Jäger der Vogesen nannte, gebildet und unweit Lamarche, 50 km nördlich von Epinal in einem Walde ein befestigtes Lager errichtet, von dem aus sie die deutschen Etappentruppen wiederholt beunruhigten, unterstützt vom Kommandanten der Festung Langres. Ganz besonders hatten sie es auf die Zerstörung der Bahnstrecke Toul — Nancy abgesehen. Durch Sprengung des Tunnels bei Toul oder der Moselbrücke bei Fontenoy sollte dem deutschen Heere diese wichtigste aller rückwärtigen Verbindungen verlegt werden. Am 18. Januar, Nachmittags 5 Uhr, brach die Freischaar auf. In eisigkalter Winter⸗ nacht, durch knietiefen Schnee, auf schlechten Straßen, zum theil ganz ohne Weg und Steg und durch dichten Bergwald wurden auf an⸗ strengenden Nachtmäaͤrschen gegen 70 km zurückgelegt. Man mar⸗ schierte so hinter einander, daß möglichst wenig Fußspuren im Schnee entstanden, die dann noch durch nachfolgende Leute mittels Harken verwischt wurden. Am 21., Morgens 5 Uhr, erreichte die Schaar eine Ferme, 25 km von Fontenoy, hielt sich dort bis Nachmittags 2 Uhr versteckt und nahm dann querfeldein die Richtung nach Fontenoy, nachdem Kundschafter die Nachricht gebracht, daß die Sprengung des 10 km hinter Toul gelegenen Tunnels wegen der daselbst befindlichen starken Besatzung aussichtslos sei. Da Wagen der Abtheilung nicht folgen konnten, wurde das mitgeführte Sprengpulver auf 4 Pferde verladen. Um Mitternacht bewirkte die kühne Schaar in einem nur 40 Mann fassenden Fährboot bei starkem Eisgang den Uebergang über die Mosel und erreichte Morgens 5 Uhr Fontenoy. Der Posten und die Wache am Bahnhof, welche die Ankommenden für Kirch⸗ gänger gehalten hatten, wurden überfallen. Einem Theil gelang es, zu entfliehen und die von Toul und Nancy heranbrausenden Eisen⸗ bahnzüge noch rechtzeitig zum Stehen zu bringen und sicherem Verderben zu entreißen. ¾ Stunden nach dem Ueberfall gelang die Sprengung der Brücke. Sodann überschritt die Freischaar 7 km unterhalb Fontenoy die Mosel mittels losgehauener Eisschollen und erreichte nach beschwerlichem Rückmarsche unangefochten ihr Waldlager. Schleunigste Fahrbarmachung der Brücke war dringend geboten; die beiden gesprengten Oeffnungen von im Ganzen 35 m Weite wurden durch Dammschüttung geschlossen. Die Bodengewinnung war des starken Frostes wegen sehr beschwerlich; sie mußte bald aufgegeben werden, weil die Erde durch und durch gefroren war. Man war ge⸗ zwungen, sich nach anderem Füllmaterial umzusehen. Auf der Seite von Fontenoy gewann man genügende Massen „aus den Trümmern und Mauerresten einiger massiv E“ Häuser des Dorfes, das zur Strafe der beim prengen behilflich gewesenen Einwohner eingeäschert worden war. Auf der Touler Seite wurden alle Brüstungen und Treppen längs der Bahn abgebrochen; die Vorräthe eines großen Steinlagerplatzes bei Toul, zum theil aus fein behauenen Werksteinen bestehend, wurden geräumt und in die Mosel geschafft. Kies und Schotter wurden aus einem 35 km entfernten Lager herangefahren. .
Das Flußbett erfuhr durch die Schüttung eine Einengung um den 4. Theil seiner Breite, es war deshalb bei dem an sich schon gefähr⸗ lichen Hochwasser der Mosel eine sorgfältige Befestigung der Böschungen
eboten. 10 Tage nach der Sprengung, am 31. Januar, wurden ereits einzelne Wagen über die Brücke geschoben, und vom 4. Februar ab konnten auch Lokomotiven die Unfallstelle wieder befahren. 8
Noch schwieriger als die Wiederherstellung gesprengter Brücken war die Fahrbarmachung zerstörter Tunnels.
In der für die Pariser Belagerungsarmee besonders wichtigen Bahnlinie Straßburg — Paris war der 100 m von der Station Nanteuil entfernte Tunnel gesprengt worden. Die nach Paris zu gelegene Stirn war auf einer Länge von 25 m verschüttet. Der steile, hohe Bergkopf und das stark rutschende ee gestatteten es nicht, den zerstörten Theil des Tunnels als offenen Einschnitt zu behandeln, und es ging deshalb eine preußische Eisenbahn⸗Abtheilung damit vor, die zusammengestürzten Massen mittels starken Holzbaues von neuem zu durchtunneln. Da aber auf einen sicheren Ersatz dieser ungemein schwierigen Arbeit nicht zu rechnen war, so wurde gleichzeitig eine Umgehungsbahn in Angriff genommen. Diese Vorsicht war gerechtfertigt. Nach 48tägiger Arbeit, nachdem Scheitel⸗ und Sohlenstollen vollendet und die weitere Aushöhlung so
eit gefördert war, daß ihre Vollendung binnen vierzehn Tagen in Aus⸗ sicht stand, stürzte die Bruchstelle wieder ein. Man gab nunmehr die Herstellung des Tunnels auf und vereinigte alle Arbeitskräfte zur Vollendung der Umgehungsbahn. Inzwischen war auch die bayerische
nur zwei Fahrgleise und keine einzige Rampe hatte, in eine End⸗ tation umzubauen. Des ungeheuren Verkehrs wegen mußte Tag und Nacht unter Aufbietung aller Kräfte gearbeitet werden; denn kaum ar die erste Rampe nothdürftig det so kam schon der erste Zug mit schwerem bayerischen Geschütz an, und nun folgten sich ug auf Zug in schier endloser Länge, oft vier und fünf hintereinander stehend und auf Ausladung wartend. Mit Ein⸗ richtungen, die nach Friedensbegriffen vollkommen unzulänglich sind, wurden fast das ganze Belagerun sgeschütz und eine große Menge 8 w annschaften, Pferde, Proviant, Fahrzeuge aller Art in raschester Folge entladen und die Zurückbeför⸗ derung von Verwundeten und Kranken bewerkstelligt, ohne daß ein nennenswerther Unfall sich ereignete, — eine glänzende Bestätigung es Sprichworts: „Noth bricht Eisen“. Erfolgreicher verlief die Wiederherstellung des Tunnels bei Vierzy
gehungsbahn in dem steilen Gelände kaum ausführbar gewesen wäre. Der Tunnel war an zwei Stellen gesprengt und das Gebirge bis weit über die First hinaus zertrümmert und gelockert, eine dritte Sprengung hatten preußische Plänkler verhindert. Die Inbetriebsetzung dieser Bahnlinie, der ersten durchgehenden Schienenverbindung zwischen Deutschland und der Belagerungs⸗Armee vor Paris, wurde durch einen kühnen b. Kompagnien preußischer Garden und Sachsen er⸗ eichtert, die in einer dunklen Nacht etwa 40 französische Eisenbahn⸗ wagen erbeuteten. Während die eine Hälfte der Mannschaften aus⸗ schwärmte und die feindlichen Vorposten beschäftigte, spannte sich die andere Hälfte mit Stricken vor die Wagen und brachte sie in den von Deutschen besetzten Bahnhof von Sevran.
Keam ein nicht gesprengter Tunnel in den Besitz des vor⸗ dringenden Siegers, so durfte er nur mit der größten Vorsicht in Be⸗ trieb genommen werden. Zunächst wurde das Portal nach Batterien und Leitungen durchsucht und letztere durchschnitten. Dann folgte das Aufsuchen und Entladen der Minen. Auch mit dem Vorhandensein von Torpedos unter den Schienen mußte gerechnet werden. Diese Sprengvor⸗ richtungen bestanden aus mit Dynamit gefüllten Kasten, deren Ladung durch Schlagloth und Zündschnur mit einem auf Stoßwirkung reagierenden, in einem Glasröhrchen befindlichen Sprengstoff verbunden war. Das Glasröhrchen war so angebracht, daß es durch die unter der Last des Rades sich durchbiegende Echiene zersprengt werden sollte.
Bei einem 4100 m langen Tunnel in der Nähe von Dijon ent⸗ schloß sich die 4. Feldeisenbahn⸗Abtheilung, nachdem das Suchen nach Torpedos bei der mangelhaften Beleuchtung durch Fackeln ergebnißlos verlaufen war, zu dem gefährlichen Versuch, einen Probe⸗ zug durch den Tunnel zu schicken.
Dem Zuge wurde eine ungeheizte Lokomotive schwerster Bauart vorangestellt, sie sollte die Torpedos zum Springen bringen, darauf folgten 20 offene Güterwagen, dann 2 Personenwagen und zuletzt die den Zug vorwärts drückende Maschine.
Ein Baumeister und zwei Pioniere setzten sich in den letzten Personenwagen, ein beherzter Führer bestieg die Lokomotive, und hinein ging es in den Unheil drohenden schwarzen Schlund. Nach 35 bangen Minuten erreichte der Zug unangefochten den Ausgang des Tunnels. — Dieser wurde nun in Betrieb genommen und von hunderten von Zügen befahren. Da fand man — drei Wochen nach jener Probefahrt — etwa 4 Meilen vom Tunnel entfernt, sieben Torpedos, von denen jeder mit 3—4 kg Dynamit geladen war. Die Glasröhrchen waren so ungeschickt befestigt, daß sie unter den Schienen ausgewichen waren, ohne zu zerspringen. Das beunruhigende Gefühl, 588 auch der Tunnel Torpedos enthalte, blieb nun bestehen, um so mehr als der Maire von Dijon die Deutschen ausdrücklich vor Torpedos im Tunnel ge⸗ warnt hatte.
Während auf vielen Bahnlinien die Kunstbauten in größerem Umfange zerstört waren, erforderte die Fahrbarmachung anderer Linien nur wenige Tage. Zu diesen gehörte die Bahn von Paris nach Orléans. Um so schwieriger aber gestaltete sich auf dieser Strecke der Betrieb. Denn bei der ersten F von Orléans am 11. Oktober erbeuteten die Deutschen zwar Güterwagen in genügender Zahl, aber keine einzige brauchbare Lokomotive. Sämmtliche Maschinen waren vom Feinde derart beschädigt worden, daß an eine Wieder⸗ herstellung binnen kurzer Zeit nicht zu denken war. Deutsche Lokomotiven auf die Strecke zu bringen, war unaus⸗ führbar, weil die Zufahrtslinien nicht fahrbar waren, und so mußte denn der Betrieb mit Pferden eingerichtet werden: ein Nothbehelf, unter dem die zahlreichen Verwundeten aus den Kämpfen bei Orléans sehr zu leiden hatten. Ein Verwundetenzug von Orléans bis Ablon, d. i. der letzten Station vor Paris, war drei Tage unterwegs bei nur 110 km Weglänge. Erst am 7. November gelang es, die am wenigsten beschädigte Lokomotive nothdürftig wieder herzustellen; sie mußte bis Ende Dezember den ganzen Dienst auf der ganzen Strecke ver⸗ richten und leistete namentlich am 9. November bei der Räumung von Orléans vortreffliche Dienste. Den tapferen Bayern gelang es an diesem Tage, mit der einen Lokomotive sämmtliche Eisenbahnwagen aus Orléans zu retten — eine muthige That —, denn der Wagenpark mußte in zwei Züge zerlegt werden, und beim Heraus holen des zweiten Zuges galt es, sich wieder in die inzwischen von den deutschen Truppen vollständig geräumte Stadt zu wagen. Der stehen gebliebene Zug war bereits vom Pöbelhaufen umringt, der nur von einigen preußischen Kürassieren, die sich nach dem Bahnhof gerettet hatten, in Schach gehalten wurde, und immer Föhese Schaaren der aufgeregten Bevölkerung drängten nach dem Bahnhof. Und als nun die von der ersten Fahrt zurück⸗ gekehrte Lokomotive an den Zug gekuppelt war, da — meldet der Lokomotivführer, daß die Maschine kein Wasser mehr habe. Es waren peinliche Minuten, die da vergingen, bis mit Hilfe einer Feuerspritze, die schon Tags zuvor an Stelle der un⸗ brauchbaren Wasserstation benutzt worden war und glücklicher Weise noch in der Nähe an einem Weiher stand, die Lokomotive gefüllt werden konnte. Dann wurde die kostbare Spritze schnell aufgeladen und hinaus ging es aus dem Bahnhof — 20 Pioniere auf dem Tender, die Gewehre “ — durch die wüthende Volksmenge hindurch.
Noch vieles könnte ich Ihnen erzählen aus dem Kriege, den man zwar den Krieg hinter der Front zu nennen pflegt, der aber die Be⸗ theiligten oft genug nicht nur in die Front, sondern auch vor die Front geführt hat, und der an die Ausdauer, die Entschlossenheit und den Muth unserer Ingenieure und Pioniere wahrlich nicht geringe Anforderungen gestellt hat. Welche Summe von Gefahren birgt z. B. eine Rekognoszierungsfahrt auf feindlicher Bahnstrecke im Schneetreiben, wie solche unsere bayerischen Kameraden am 22. November ausführten. Bei einem Wetter, welches nur er⸗ laubte, das Gleis bis auf höchstens 100 m zu übersehen, jeden Augen⸗ blick der Entgleisung ausgesetzt, über die deutschen Vorposten hinaus, bis in die französischen hinein, dann die Bremsen angezogen, Gegen⸗ dampf gegeben, den Zug auf wenige Schritte gestellt — und zurück, denselben gefahrvollen Weg! — Gewiß ein packendes Bild aus dem Krieg an der eisernen Spur!
Fünfundzwanzig Jahre sind verflossen, seitdem durch Deutsch⸗ lands Gefilde der Kriegsruf dröhnte wie Donnerhall, wie Schwert⸗ geklirr und Wogenprall, und jeder wollte Hüter sein des deutschen Rheins. — Und wie frisch, wie farbenprächtig steht heute noch vor unserem Auge jene große, jene herrliche Zeit, einem strahlenden Gestirne gleich, zu dem der Blick sich nicht vergeblich wendet, wenn es gilt, Kraft zu schöpfen für des Lebens Kampf!
Gar herrlich ist die Saat gediehen, die der Sesthn Wahlstatt entsproß. Ein mächtiges Deutschland, mit starkem chwerte um⸗ gürtet, bereit, jedem Angriff zu wehren, aber auch gewillt, den Frieden zu hüten und zu schirmen, niemandem zu Liebe, aber auch niemandem zu Leide“. Und an seiner Spitze ein thatkräftiger, edelmüthiger Kaiser, der nur dem Dienste des Vaterlandes lebt, und der erst vor wenigen Tagen inmitten der Feldzeichen, die vor 25 Jahren den ersten Deutschen Kaiser grüßten, das Gelübde erneuert hat: „für des Volkes und des Landes 8 und 1 einzustehen, sowohl
nach außen, als auch na innen.“
deußen heut der Pulsschlag des geeinigten Deutschlands; Ihm jubeln auch unsere Herzen heut in freudiger I entgegen. Lassen Sie 1 alles, was in dieser Stunde uns bewegt, zusammen⸗ assen in den Ruf: 1 Seine Majestät, unser Allergnädigster Kaiser und König, Wilhelm II., lebe hoch, hoch und immerdar hochl!
11“
„Die Entwickelung und Ziele des Pflanzenschutzes.“ Festrede, gehalten zur Feier des Geburtstags Seiner Majestät des Kaisers am 26. Januar 1896 von dem Rektor der Königlichen Landwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin,
Professor Dr. Frank.
Unter den Aufgaben, welche den wissenschaftlichen Anstalten für Landwirthschaft gestellt sind, ist diejenige eine der wichtigsten, die
in der Linie Soissons— Paris, und das war ein Glück, da eine Um⸗
vor Krankheiten und Verderben zu schützen, den Mißwachs, der in den verschiedensten Formen unsere Kulturen bedroht, zu verhüten oder abzuschwächen.
Bei allen ackerbautreibenden Völkern hat ja auch immer die Sorge für das Gedeihen der Feldfrüchte den Menschen am tiefsten bewegt. In den Zeiten, wo der Verkehr der Völker unter sich noch nicht bestand oder erschwert war, da gehörte das Mißrathen der Brot⸗ früchte, weil es Hungersnoth im Gefolge hatte, zu den elementaren Kalamitäten, welche die Existenz des Menschen in Frage stellen. Heut⸗ zutage tröstet uns freilich die Nationalökonomie mit dem —ö Satze, daß dank den gegenwärtigen Verkehrsverhältnissen b52. Ausfall im Ertrage einer Gegend durch die Produktion anderer Länder leicht gedeckt werden kann. Aber dieser volkswirthschaftliche Trost nützt dem direkt betroffenen einzelnen Landwirth nichts, wenn er die Hoffnung auf seine Ernte vernichtet Fr
Lassen Sie, hochansehnliche Versammlung, heute in einer flüch⸗
tigen Stunde an unseren Blicken vorüberziehen, wieweit es nach und nach menschlicher Forschung, menschlicher Kunst und menschlicher Energie gelungen ist, in diejenigen Naturgewalten, welche die Ent⸗ wickelung unserer Kulturpflanzen beherrschen, eigenmächtig lenkend, fördernd oder hemmend einzugreifen. Es ist interessant, zu verfolgen, wie das Bestreben, die Pflanzen⸗ krankheiten zu erforschen und aufzuklären, im Lauf der Zeit je nach dem wechselnden Charakter, den die Naturforschung überhaupt in ihrem Entwicklungsgang zu verschiedenen Zeiten trug, bald vor⸗ wiegend in der einen, bald in einer anderen Richtung sich bewegte, den einen Weg immer wieder unbefriedigt abbrechend, um auf einem neuen sich zu versuchen, und wie selbst bis heute das Zil. neen näher gerückt, aber doch erst in wenigen Fällen wirklich erreicht ist.
Da eine genauere Erkenntniß des Wesens der irdischen Dinge erst durch die Chemie ermöglicht wurde, so gestaltete sich ja die Be⸗ gründung dieser Wissenschaft für die Naturwissenschaften überhaupt zu einem Wendepunkte, und man kann füglich die Zeit vorher das vorchemische Zeitalter der Naturwissenschaften nennen. Zwar beginnt die Erkenntniß der stofflichen Zusammensetzung der Körper schon Ende des vorigen Jahrhunderts, und auch für die Pflanzenphysiolsgie waren damit schon wichtige Entdeckungen verbunden, namentlich die Aufklärung des wichtigen Stoffwechsels zwischen den lebenden Pflanzen und den Bestand⸗ theilen der Atmosphäre. Aber dennoch dauerte es noch geraume Zeit, bis die chemischen Faktoren des Pflanzenlebens in der Heuptsache klargelegt waren, Und so herrschten fast in der ganzen ersten Hälfte unseres Jahrhunderts über die Bedingungen der Entwickelung der Pflanzen unklare Ansichten. Meinte man, die Ursache einer Pflanzenkrankheit im Erdboden suchen zu müssen, so glaubte man schon genug zu sagen, wenn die v etwa so lautete: „Erschöpfung des Bodens“ oder wieder: „zu fette Nah⸗ rung“ oder zu viel Feuchtigkeit“ oder wie sonst solche allgemeinen Ausdrücke lauteten, durch die nichts weniger als eine wirkliche Erklärung gegeben war. Dazu kam noch, daß man damals auch von den durch Parasiten erzeugten Pflanzenkrankheiten falsche Ansichten hatte. Zwar wurden die parasitischen Pilze mit Hilfe des Mikroskops erkannt und auch als solche, d. h. als Pilze, anerkannt; aber in jener Zeit leitete man ihre Entstehung nicht von einer Infektion durch von außen kommende Keime, sondern aus einer krankhaften Bildungsthätigkeit der Pflanze selbst ab. Die parasitischen Pilze seien „aus schlechten Säften der Pflanze entstandene Aftergebilde’, wie man sich damals unklar und falsch ausdrückte. Daß unter solchen Umständen von einem Pflanzen⸗ schutz noch keine Rede sein konnte, ist klar.
Dagegen waren schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Erfolge der Chemie so bedeutende, daß auch für die Pflanzenphysiologie dieser dankbarere Weg zunächst eingeschlagen wurde. Jetzt erforschte man durch die chemische Analyse die Zusammensetzung der Pflanzen; durch die Ernährungsversuche mittels künstlich zusammengesetzter Nährstofflösungen oder Quarzsandkulturen wurden diejenigen Stoffe im einzelnen erkannt, welche die Pflanze als Nahrung aus dem Erdboden zieht und nothwendig zu ihrer Entwickelung braucht. Indem wir so mehr und mehr die Bedeutung jedes einzelnen Nähr⸗ stofts für das Pflanzenleben zu erkennen suchten, lernten wir ein⸗ sehen, wieviel auf die richtige Düngung und auf die geeigneten Bodenarten ankommt, um den Kulturpflanzen zur gewünschten Ent⸗ wickelung zu verhelfen. Und so war die Chemie auf längere Zeit die Hauptleiterin geworden. Dennoch erreichte sie nicht so rasch, wie es etwa nach den ersten Erfolgen hätte erwartet werden können, in allen Fragen ihr Ziel. Denn manches blieb erst der neuesten Zeit vorbehalten; so namentlich die Bedeutung des freien Stickstoffs für die Ernährung der Pflanzen, sowie diejenige des Humus und anderer organischer Substanzen im Erdboden, weil das erst gelang, als man diese Fragen mehr mit der biologischen Forschung verquickte und die chemischen Faktoren nicht als die einzigen bei der Ernährung der Pflanzen in Betracht kommenden ansah.
Es erschien ja auch anfangs ganz berechtigt, daß, sobald einmal die Chemie ihre Fackel angezündet hatte, dieselbe auch hier zunächst als die einzige Leuchte benutzt wurde. Agrikultur chemiker nannten und nennen sich diejenigen, welche auf dem rein chemischen Wege die Faktoren des Pflanzengedeihens zu ermitteln suchen. Daß freilich eine ausschließliche erücksichtigung der chemischen Faktoren auch irrthümliche Ansichten erzeugen konnte, ist nur natürlich. Wenn es gelingt, gewisse Pflanzen in einer künstlich zubereiteten chemisch reinen Lösung bestimmter Salze zu leidlich schöner Ent⸗ nwickelung zu bringen, so kann der Chemikker leicht verleitet werden, 8 das Werden der Pflanze auch ähnlich wie einen im chemischen
aboratorium auszuführenden Prozeß vorzustellen. Daraus ent⸗
sprangen auch für den Pflanzenschutz manche irrigen Auffassungen, die selbst bis in die neueste Zeit zu verfolgen sind. Weil bei Mangel an gewissen Nährstoffen die Pflanzen thatsächlich erkranken, waren die Agrikulturchemiker öfters geneigt, einen Mißwachs, der nicht aus unmittelbar greifbaren äußeren Ursachen erklärlich schien, auf chemische Gründe zurückzuführen und ihn durch eine entsprechende Düngung kurieren zu wollen. Sogenannte Müdigkeit des Bodens und ähnliche Erscheinungen, welche auf eine im Boden liegende Ursache deuten, sollten die 8 ungenügender Ernährung mit gewissen Nährstoffen sein, während sie in Wahrheit durch parasitäre Organismen verursacht sind, welche vom Erdboden aus auf die Pflanzen übergehen.
Aber man braucht noch garnicht an die Thätigkeiten der Organismen zu denken, um einzusehen, daß außer der Chemie noch andere Naturwissenschaften für die Erforschung der Lebens⸗ bedingungen der Pflanzen ihre Hilfe leihen müssen. Es ist hier nicht allein an die meteorologischen Faktoren, sondern nament⸗ lich an den Erdboden zu denken. Gewiß beruht die große Be⸗ deutung, welche die Bodenarten für das Gedeihen der Pflanzen haben, zum theil auf der chemischen Zusammensetzung des Bodens; aber zugleich wirken hier eine Reihe physikalischer Kräfte auf die Pflanzen, die von größtem Einfluß auf deren Gesundheitszustand und Entwickelungsfähigkeit sein müssen, wenn wir auch Ursache und Wirkung hier meist noch nicht klar überschauen können. Denn wir dürfen uns nicht verhehlen, daß bis jetzt eine befriedigende physio⸗ logische Erklärung dafür noch nicht gefunden worden ist, warum die Pflanzen sich gegenüber den verschiedenen Bodenarten so ungleich verhalten und warum wir manche Pflanzen auf gewissen Boden⸗ arten trotz genügender Düngung nicht mit Vortheil anbauen können. Denken läßt sich dabei an manchen physikalischen Faktor, als da sind die Feuchtigkeitsverhältnisse, die je nach Bodenbeschaffenheiten anders sich gestalten, die mechanische Struktur des Bodens, die wieder unter den verschiedenen Feuchtigkeitsverhältnissen bei den einzelnen Bodenarten wechselt, die damit zusammenhängende ver⸗ schiedene Durchlüftungsfähigkeit des Bodens, nicht minder die Tem⸗ peraturverhältnisse der Bodenarten. Aber es ist eben sehr schwer, diese einzelnen Faktoren von einander loszulösen, um sie im Experiment einzeln für sich an den Pflanzen prüfen zu können. Es kann nicht genug betont werden, welchen schwierigen Fragen hier die Pflanzenphysiologie noch gegenübersteht und eine wie wichtige Rat eees ihr außer der Chemie auch die Bodenkunde sein muß.
Aber eine erschöpfende Erforschung der Bedingungen des Pflanzen⸗
Mittel zu finden, unsere Feldfrüchte vor ihren natürlichen Gefahren,
lebens konnte erst erwartet werden durch gleichzeitige Berücksichtigung