1896 / 27 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 30 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Kammersänger Eugen Gura am Dienstag im Saal der

Portugal. -.

5. Februar, Mittags. Königlich Portugiesische ö schaft in Lissabon: Lieferung von 38 125 Pappblättern für Eisen⸗ bahnfahrkarten zu 0,50 m % 0,32 m 0,001 m jedes und in neun verschiedenen Farben. Näheres in den Räumen der Gesellschaft, 28 rue de Chateaudun in Paris.

Niederlande. b

4. Februar. Gesellschaft für den Betrieb der Staatseisenbahnen in Utrecht: Abbruch der gegenwärtigen Glasbedachung des Bahn⸗ hofs in Rotterdam und Ersetzung derselben durch ein Dach aus gal⸗ vanisiertem Wellblech.

15. Februar. De Landbouwvereeniging in Zuidlaarderveen. Lieferung von 106 Ballen Chile⸗Salpeter. Bedingungen bei dem Sekretär genannter Gesellschaft.

Rumänien. 1

29. Februar. General⸗Direktion der Staatsmonopole in Bukarest: Folgende Lieferungen: Olivenöl, Bindfaden, Kohle, Blei, Petroleum, Seife, öuö“ 2 s. w. für die Staatssalinen.

Fgypten.

3. Februar. Finanz⸗Sekretär im Kriegs⸗Ministerium in Kairo: Lieferung von 3000 Otkka Kerzen. Verdingungsheft bei obengenanntem Beamten an Wochentagen, ausgenommen Freitag, von 9 bis 1 Uhr.

Januar. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. Der Postdampfer „H. H. Meyer“ hat am 27. Januar Vormittags Dover passiert. Der Postdampfer „Aachen“ ist am 27. Januar Nachmittags in New⸗York angekommen. Der Postdampfer „München“ ist am 28. Jannar Nachmittags auf der Weser an⸗ gekommen.

30. Januar. (W. T. B.) Der Schnelldampfer „Werra“ ist am 28. Januar Abends in Genua angekommen. Der Postdampfer „Weser“ ist am 28. Januar von Bahia nach der Weser ab⸗ gegangen. Der Postdampfer „Krefeld“ ist am 27. Januar von Buenos Aires nach der Weser abgegangen. Der Reichs⸗Post⸗ dampfer „Darmstadt“ ist am 28. Januar Abends in Neapel an⸗ gekommen. Der Schnelldampfer „Saale“ ist am 28. Januar Mittags von New⸗York nach der Weser abgegangen. Der Schnell⸗ dampfer „Aller“ und der Postdampfer „Weimar“ haben am 29. Januar Vormittags Lizard passiert. Der Schnelldampfer „Spree“ hat am 29. Januar Nachmittags die Reise von Southampton nach New⸗York fortgesetzt.

Triest, 29. Januar. (W. T. B.) Der Lloyddampfer „Semi⸗ ramis“ ist, von Alexandrien kommend, beute Mittag hier eingetroffen.

Rotterdam, 29. Januar. (W. T. B.) Niederländisch⸗ Amerikanische Dampfschiffahrts⸗Gesellschaft. Der Dampfer „Maasdam“ ist heute Nachmittag in Rotterdam an⸗ ekommen 1

Theater und Musik.

Konzerte. Zu dem „Lieder⸗ und Balladen⸗Abend“, den der e gricse ing⸗ Akademie gab, hatte sich ein sehr zahlreiches Publikum eingefunden. Programm enthielt zunächst Lieder von Franz Schubert, „Wanderers Nachtlied“ wiederholt wurde, und drei von R. Strauß, von denen der Sänger „Schlagende rzen“ und das öfter gehörte „Ach, weh; mir unglück⸗ aftem Mann“ mit so hinreißendem Vortrag zu Gehör brachte, daß leichfalls ein Dacaporuf erfolgte. Von den drei Liedern von Alexander Füttter gefielen am meisten „Treue“ und Nimm's mit“. Den Schluß 28 vier Balladen von Karl Löwe, in deren Vortrag err Gura bekanntlich bisher unerreicht dasteht. Für seine Stimme, die sich mehr durch Wohlklang als durch Kraft auszeichnet, war die Akustik der Sing⸗Akademie günstiger als die der Philharmonie. Stürmischer Beifall folgte am Ende des sehr interessanten Konzerts. Die Klavierbegleitung des

Professors Heinrich Schwartz verdient noch besonders lobend her⸗ vorgehoben zu werden. 1 5 Zu gleicher Zeit gab die Pianistin Elise Pekschen aus Riga (unter Leitung Anton Rubinstein's ausgebildet) im Saal Bechstein einen Klavier⸗Abend, mit welchem 8 zum ersten Mal vor dem hiesigen Publilum erschien. as ge⸗ hlte Programm ließ eine ernste Richtung ihres Kunst⸗ febens erkennen. Außer den 32 Variationen von Beethoven kamen eekannte Klavierstücke von Chopin, Schumann’s „Karneval“, „Der Lindenbaum“ von Schubert⸗Liszt, „Widmung“ von Schumann ⸗Liszt und eine kleine Piöce von Rubinstein zum Vortrag. Ihr Spiel hat den Vorzug einer meist objektiven Wiedergabe des Inhalts der Werke, auch paart sich die zuverlässige Technik mit verständnißvoller Auffassung; nur bliebe eine sparsamere Ver⸗ wendung des Pedals zu wünschen, da dieses bei Tonleiterpassagen, welche die ganze Klaviatur umfassen, und beim Harmoniewechsel das Spiel unklar macht. Aufmunternder Beifall folgte ihren Vorträgen. Gestern veranstalteten die Mezzosopranistin Gertrude Lucky und der Baritonist Reinhold Hoffmann in der Singakademie einen „Lieder⸗ und Duett⸗Abend“. Sie eröffneten denselben mit zwei Duetten von Cornelius und Haydn, denen im weiteren Verlauf noch solche von Cimarosa und Hildach sich anreihten. Der Baritonist, der eine klangvolle und gut geschulte Stimme besitzt, trug ferner mehrere Lieder von Schubert, Loewe, Henschel und Andern vor, unter denen am meisten gefielen: „Jung Dieterich“ von Henschel und „Der Liebsten Preis“, ein Volkslied, das auf Verlangen wiederholt wurde. Der Sängerin, die ebenfalls mit einer wohlklingenden und ausgiebigen Stimme begabt ist, gelangen am besten Schubert's „Mein“, „Raft song“ von Nevin, „Feldeinsamkeit“ von Brahms und „Der Zeisig“ von Gound; letzteres Lied wurde dacapo gewünscht und gewährt.

Der Aufführung von Arthur Schnitzler's „Liebelei“, die das Deutsche Theater am Dienstag, den 4. Februar, giebt, geht neu einstudiert Kleist's Lustspiel „Der zerbrochene Krug“ voraus. Hermann Müller spielt darin den Dorfrichter Adam.

In Kroll's Theater wird am Sonntag Nachmittag Ignaz Brüll's Oper „Das goldene Kreuz“ mit Fräulein Rothauser als Christine, Herrn Philipp als Gontran und Herrn Krolop als Bom⸗ bardon gegeben. Abends geht Gutzkow's „Uriel Acosta“ mit Herrn Matkowsky in der Titelrolle und Fräulein Lindner als Judith in Scene. Vielfachen Wünschen entsprechend, ist für die Folge der Be⸗ ginn der Nachmittags⸗Vorstellungen auf ½4 Uhr, der der Abend⸗ Vorstellungen auf 18 Uhr festgesetzt. Die Preise der Plätze sind die⸗ selben wie bisher.

Im Konzerthause veranstaltet Herr Kapellmeister Meyder morgen einen „historischen Wagner⸗Abend“. Das reichhaltige Pro⸗ gramm enthält u. A. die Sonate in B-dur, die Ouvertüre zu der romantischen Oper „Die Feen“, den „Matrosentanz“ aus der Oper „Der fliegende Holländer“, die „Polonaise“ in D-dur, das Siegfried⸗ Idyll“, die Introduktion des fünften Akts und das Gebet aus „Rienzi“, den „Kaisermarsch“ und das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg’“. b

In dem VII. Philharmonischen Konzertunter Arthur Nikisch's Leitung am kommenden Montag spielt Frau Teresa Carrenio Beet⸗ hoven’s Es-dur⸗Konzert, und zwar zum ersten Mal in Deutschland. Das Philharmonische Orchester wird an diesem Abend wieder auf

neunzig Künstler verstärkt sein.

Mannigfaltiges. 8

Die Trauerfeier für den verstorbenen Botschafter der Ver⸗ einigten Staaten, General Runyon hat heute Mittag in der eng⸗ lischen Kapelle im Parke von Monbijou stattgefunden. Die Kapelle war in einen großen Trauerraum verwandelt; zu beiden Seiten des Altars las man in Silberschrift: „Blessed are the Dead which die in the Lord“. Vor dem Altar erhob sich der Katafalk. Derselbe war geschmückt mit den Kränzen und Palmen der nächsten Angehörigen, dem prächtigen Kranz, den der Präsident

der Vereinigten Staaten hatte niederlegen lassen, den Kränzen der Herren der Botschaft und vielen Blumenspenden. Das Aus⸗ wärtige Amt hatte einen Kranz mit Schleifen in den deutschen Farben am Katafalk niederlegen lassen. Die Mehrzahl der Kränze war bereits am Dienstag mit dem Sarge nach dem Matthäi⸗ Kirchhof überführt worden und sind mit der Leiche dort verblieben. Im Auftrage Seiner Majestät des Kaisers überbrachte der Kommandant des Hauptquartiers, General⸗Lieutenant von Plessen einen palmengeschmückten Kranz, der sich durch auserlesene Pracht der Veilchen, Rosen und Maiglöckchen auszeichnete. Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers wohnten außerdem die Chefs des Zivil⸗, des Militär, und des Marinekabinets, Wirklicher Geheimer Rath Dr. von Lucanus, General von Hahnke und Kontre⸗Admiral Senden⸗Bibran, der Feier bei. Für Ihre Majestät die

aiserin erschien der Kammerherr Graf von Keller mit einem duftigen Blumengewinde. Auch die Ober⸗Hofmeisterin Gräfin Brockdorff und Gräfin von Keller nahmen an der Feier theil. Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich ließ Sich durch den Ober⸗Hofmeister Grafen von Seckendorff und den Kammerherrn von Wedel vertreten. Seine Königliche Hoheit der Prinz Friedrich Leopold erschien persönlich mit dem Adjutanten Major von Krosigk, ebenso Seine Großherzogliche 1 der Prinz Max von Baden und Seine Durchlaucht der Prinz Friedrich von Hohenzollern. Die obersten Reichs⸗ und Staatsbehörden waren durch den Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst und mehrere Staatssekretäre und Staats⸗Minister repräsentiert. Zahlreich vertreten waren ferner die Hofgesellschaft und die Generalität. Das diplomatische Korps war nahezu vollzählig erschienen, die meisten der Herren von ihren Damen begleitet. Es waren zugegen die Botschafter von Frankreich, Italien, Ruß⸗ land, Spanien, Oesterreich und sämmtliche Gesandten. Nur der englische Botschafter wurde durch den Botschafts⸗Rath vertreten. Die ernste Feier begann mit einer Hymne, während der Rev. Fry an den Altar trat, um Glaubens⸗ und Sündenbekenntniß und das Vaterunser zu beten. Der Gesang des 90. Psalms leitete sodann zur Schrift⸗ verlesung über, welcher weiterer Gesang folgte. Die Gedenkrede hielt Rev. Dr. Dickie. Nach Gebet, Gesang und Segen schloß die Feier mit dem Trauermarsch aus „Saul“.

Norderney. Am Badestrande ist die vorgenommene Ver⸗ breiterung des Klinkerpflasters oberhalb des Schutzwerks und der Bau einer kleinen Futtermauer daselbst nunmehr bis nahe an die Warte⸗ halle am Damenstrande (ca. 300 m vom Ende) fertiggestellt. Im Frühjahr soll dieselbe binnen 3 bis 4 Wochen bis ans Ende weiter⸗ geführt werden.

Aurich. Die Beleuchtungsfrage beschäftigt zur Zeit in unserer Stadt wie in dem benachbarten Norden das öffentliche Interesse in hervorragendem Maße. Hier wie dort kann man nicht zu einer Entscheidung darüber gelangen, ob die jetzige Petroleum⸗ beleuchtung durch Gasglühlicht oder durch Elektrizität ersetzt werden soll.

Nach Schluß der Redaktion eingegangene Depeschen.

Wien, 30. Januar. (W. T. B.) Der Prinz Ferdinand von Sa chfen⸗Coburg ist hier eingetroffen. Der italienische Botschafter Graf Nigra ist aus Rom hierher zurückgekehrt. Konstantinopel, 30. Januar. (W. T. B.) In Aintab, Amasia und einigen Orten der Vilajets Wan und Bitlis ist die Stimmung erregt; man befürchtet Gewaltthätigkeiten gegen die Armenier.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten und Zweiten Beilage.)

Soagesordnung:

vom 30. Januar, orgens.

S⸗ 2

1 82

sius 50 C. = 40 R.

Wind. Wett er.

Bar. auf 0 Gr.

u. d. Meeressp

red. in Millim. Temperatur in o Cel

785 3 bedeckt 779 2 wolkig 757 9 Regen 770 W 7 Dunst 757 6 bedeckt 737 still bedeckt 755 W 2 bedeckt ¹)

1 bedeckt

1 beiter

2 Nebel

5 bedeckt

11 3 Nebel winemünde 774 bedecki 2) 768 SY 8 Dunsts) 763 2 5 bedeckt 2 1 g. 1 3 3 1

dSDGC2n 2

786 785 78³ 777

785 bedeckt 783 Regen wolkig⁴) bedeckt5) bedeckt bedeckt bedeckt wolkig bedeckt

wolkenlos wolkenlos

6

ünster.. 785 785

2 784 784 779 W 5 783 2 779 3 781 5 779 Triest .... 779 SN9O A balb bed. 1) Gestern und Nachts Schnee. ²) Böig. ³) Abends Regen. ⁴) Reif. ⁵) Gestern Schneeflocken. Uebersicht der Witterung.

Ein barometrisches Minimum unter 737 mm. iegt über Nordskandinavien in Wechselwirkung mit nem Hochdruckgebiet über 785 mm, welches sich

in Irland nach dem nordöstlichen Frankreich er⸗ treckt, vielfach stürmische westliche Winde über Skandinavien und dem Ostseegebiet verursachend. Bei im Norden lebhaften westlichen Winden, im Süden schwacher Luftbewegung ist das Wetter in Deutschland vorwiegend trübe und mild, Nord⸗ deutschland ist frostfrei, in Süddeutschland herrscht och leichter Frost; nennenswerthe Niederschläge eerden nicht gemeldet. Mildes, trübes, windiges Wetter demnächst wahrscheinlich.

Deutsche Seewarte.

PEPboeoSrbeoSESbePSeoschocch deee

Theater.

Königliche Schauspiele. Freitag: Opern⸗ 6. Symphonie⸗Abend der Königlichen Dirigent: Herr Felix Weingartner.

—: 1) Durch Böhmens Hain und Flur

von Smetana. 2) Tyll Eulenspiegel von R. Strauß. 3) Aufforderung zum Tanz von Weber. für Orchester esetzt von F. Weingartner. 4) Eine Fauft⸗ Pneacer von Wagner. 5) Symphonie D-dur Nr. 2 von Beethoven. Anfang 7 ½ Uhr.

Mittags 12 Uhr: Oeffentliche Hauptprobe.

Karten zu 2 und 1 sind in der Hofmusikalien⸗ handlung von Ed. Bote und G. Bock, Leipziger⸗ straße 37, sowie an der Tageskasse zu haben.

7. Symphonie⸗Abend am 14. Februar 1896.

Schauspielhaus. 31. Vorstellung. Sonder⸗ Abonnement B. 5. Vorstellung. Faust von Wolf⸗ ang von Goethe. Der Tragödie erster Theil. die zur Handlung gehörende Musik von Anton Fürsten Radziwill und von Peter Joseph von Lind⸗ paintner. In Scene gesetzt vom Ober⸗Regisseur Max Grube. Dekorative Einrichtung vom Ober⸗ Inspektor Brandt. Anfang 7 Uhr.

Sonnabend: Opernhaus. 29. Vorstellung. Lohen⸗ grin. Romantische Oper in 3 Akten von Richard Wagner. (Lohengrin: Hr. Heinrich Vogl, König⸗ licher Kammersänger aus München, als Gast.)

Anfang 7 Uhr. 32. Vorstellung. Die kranke

Schauspielhaus. Zeit. Lustspiel in 4 Aufzügen von Richard

Skowronnek. Anfang 7 ½ Uhr. 1o 8

Deutsches Theater. Freitag: Der Kanfmann von Venedig. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonnabend: Weh dem, der lügt!

Sonntag, Nachmittags 2 ½ Uhr: Die Mütter. Abends 7 ½ Uhr: Romeo und Julia.

Berliner Theater. Freitag (20. Abonnements⸗ Vorstellung): König Heinrich. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonnabend: Fanst.

Sonntag, Nachmittags 2 ½ Uhr: Der Hergott⸗ schnitzer. Abends 7 ½ Uhr: König Heinrich.

Lessing⸗Theater. Freitag: Comtesse Guckerl. Anfang 7 ½ Uhr. Sonnabend: Wittwe.

Sonntag, Nachmittags 3 Uhr: Zu volksthümlichen Preisen: Die Haubenlerche. Abends 7 ½ Uhr: Comtesse Guckerl.

Residenz⸗Theater. Direktion: Sigmund Lautenburg. Freitag: Letzte Woche! Hals über Kopf. Schwank in 3 Akten von Alexandre Bisson, deutsch von Paul Block. Vorher: In doppelter Ferfheung. Plauderei von Paul Linsemann. Anfang

Uhr.

Sonnabend und folgende Tage: Hals über Kopf In doppelter Bekehrung.

Mittwoch, den 5. Februar: Zum ersten Male: Hotel zum Freihafen. (L'Hôötel du Libre Echange.) Schwank in 3 Akten von Georges Feydeau, deutsch von Benno Jacobson 8

Untreu. Hierauf: Fräulein

JAJulius Feißsc Freitag: In

Friedrich-Wilhelmstüdtisches Theater.

Chausseestraße 25 26. Mit großartiger Ausstattung an Kostümen, Dekorationen und Requisiten: Der Hungerleider. Ausstattungs⸗Komödie mit Gesang und Ballet in 10 Bildern von Julius Keller und Louis Herrmann, mit theilweiser Benutzung einer Idee des Mark Twain. Musik von Louis Roth. In Scene gesetzt von Julius Fritzsche. Dirigent: Herr Kapellmeister Winné. Anfang 7 ½ Uhr. Sonnabend: Der Hungerleider.

Freitag:

24

Neues Theater. Schiffbauerdamm 4a./5.

Freitag: Gastspiel des Herrn Franz Tewele vom K. u. K. priv. Carl⸗Theater in Wien. Der Herr Direktor (Monsieur le Directeur). Lustspiel in 3 Akten von Alexandre Bisson und Fabrice Carré6. Deutsch von Ferdinand Groß. In Scene gesetzt von Siegmund Lautenburg. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonnabend: Der Herr Direktor.

Sonntag: Der Herr Direktor. v“

Theater Unter den Linden. Direktion:

durchaus neuer glänzender Ausstattung an Dekorationen, Kostümen und Requisiten: König Chilperich. Burleske Aus⸗ stattungs⸗Operette in 3 Akten (5 Bildern) von Hervé und Paul Ferrier, deutsch bearbeitet von Eduard Jacobson und Wilbelm Mannstädt. Musik von Hervé. In Scene gesetzt von Julius Faidsche. eisgat: Herr Kapellmeister Federmann. Anfang ½ Uhr.

Sonnabend: Der Bettelstudent. Operette in 3 Akten von F. Zell und R. Genée. Musik von K. Millöcker.

Sonntag, den 2. Februar, Nachmittags 3 Uhr: Bei halben Preisen: Rund um Wien. Panto⸗ mimisches Ballet in 9 Bildern von F. Gaul und A. M. Willner. Musik von J. Beyer. Der choreographische Theil von Josef Haßreiter. Abends 7 ½ Uhr: Der Bettelstudent.

Mittwoch, den 5. Februar: Dritter großer Maskenball.

Adolph Ernst⸗Theater. Freitag: Ma⸗ dame Suzette. Vaudeville⸗Posse in 3 Akten von Sylvane und Ordonneau, bearbeitet von Ed. Jacob⸗ son und Jean Kren. Musik von Edmond Audran. In Scene gesetzt von Adolph Ernst. Anfang 7 ½ Uhr.

Sonnabend: Dieselbe Vorstellung.

Bentral⸗Theater. Alte Jakobstraße Nr. 30. Freitag: Wiederauftreten des Herrn Emil Thomas a. G. Eine tolle Nacht. Große Aus⸗ stattungsposse mit Gesang und Tanz in 5 Bildern von Wilh. Mannstädt und Julius Freund. Musik von Julius Einödshofer. In Scene gesetzt vom

Direktor Richard Schultz. Die Tanz⸗Arrangements

vom Balletmeister Gundlach. Anfang 7 ½ Uhr. Sonnabend: Eine tolle Nacht.

Konzerte.

Konzert⸗Haus. Karl Meyder⸗Konzert.

Freitag: Historischer Wagner⸗Abend.

Dienstag, den 18. Februar: Fastnachts⸗Sub⸗ fkriptious⸗Ball. Billets à 3 im Bureau des Hauses.

Saal Bechstein. Linkstraße 42. Freitag, Anfang 7 ½ Uhr: II. Konzert des Cellovirtuosen Friedrich Grützmacher.

Birkus Renz. Karlstraße. Freitag, Abends 7 ½ Uhr: Große humoristische Extra⸗Vorstellung. Auftreten sämmtlicher Clowns und des beliebten Original⸗August Mr. Lavater Lee in ihren wirkungs⸗ vollsten Entrées und Intermezzi. Großartiger Erfolg. Ein Künstlerfeft. Auf das Glänzendste insceniert vom Direktor Fr. Renz. Neue Einlage: Die Katastrophe des Riesendampfers „Circentia“. Außerdem: Der irische Wall mit 4 korsikanischen Ponys, vorgeführt von Miß Fiori. Auftreten des Schulreiters ersten Ranges Mr. Gaberel mit seinem Schulpferde Chicagöo. Der Hund Jacque als Retter, Original⸗Dressur des Mr. G. Loyal. Flee von nur Künstler⸗Spezialitäten allerersten Ranges. b

Sonnabend: Ein Künstlerfest. Neue Einlage: SnIö des Riesendampfers „Cir⸗ centia“.

Sonntag: 2 Vorstellungen: Nachmittags 4 Uhr Ermäßigte Preise und 1 Kind unter 10 Jahren

ei): 1870/71. Abends 7 ½ Uhr: Ein Künstlerfest. aXuP GSAAUAsMADETvxeAmxeAxmAnxx. Pxxndc-s

Familien⸗Nachrichten. b Verlobt: Frl. Erna Rittscher mit Hrn. Sec.⸗ Lieut. Ernst von Behr (Hamburg— Wandsbek). Frl. Else Schwanitz mit Hrn. Sec. Lieut. Frhrn. Leopold Schilling von Canstatt (Berlin). Frl. Clara von Helldorff mit Hrn. Paul Rodatz (Meseritz Politzig). 8 Geboren: Eine Tochter: Hrn. Pastor Lüpke (Neumühl⸗Kutzdorf). Hrn. Regierungs⸗Assessor Dr. jur. Carl Negenborn (Magdeburg). Gestorben: Verw. Fr. General Clara von Trotha, eb. von Carlowitz (Gotha). Hr. Korvetten⸗ apitän a. D. Richard Schloepke (Berlin). 8 Superintendent Richard Geisler (Oppeln).

r. Pfarrer Werth (Schalke). Hr. Pastor eodor Köhler (Siebenhufen).

Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin. Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ Anstalt Berlin SW., Wilhelmstraße Nr. 32. Fünf Beilagen (ei nschließlich Börsen⸗Beilage).

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

No. 27.

Berlin, Donnerstag, den 30. Januar

1

Deutscher Reichstag.

26. Sitzung vom 29. Januar, 1 Uhr.

Erste event. zweite Berathung des Antrags Barth⸗Rickert, betreffend Abänderung des Wahlgesetzes für den Reichstag.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer des Blattes berichtet.

Nach dem Abg. Dr. Schädler nimmt das Wort der

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.). Redner bestreitet, daß der Antrag die volle Wahlfreiheit garantiere. Gewisse Elemente würden nach wie vor auch die Heimlichkeit der Wahl zu durchbrechen wissen. In sehr vielen Fällen handelte es sich nicht um böswillige Unter⸗ schiebung, sondern um unabsichtliche Verwechselung von Stimmzetteln, und diese letztere könne nach Ausführung des Antrags Barth leicht noch viel häufiger eintreten. Ferner brauche man bloß die nicht mit allen Förmlichkeiten vertrauten Arbeiter u. dergl. zu veranlassen, auf den Stimmzettel auch ihren eigenen Namen zu setzen, um ganz genau zu erfahren, wie dieser oder oder jener Wähler gestimmt habe. Eine absolute Sicherung des Wahlgeheimnisses sei also auch auf diesem Wege nicht zu erreichen. Besser wäre es, zu dem ursprünglichen Vor⸗ schlage der Regierung von 1866 zurückzukehren und die offene Stimm⸗ abgabe einzuführen, also die geheime abzuschaffen.

Abg. Blos (Soz.): Wenn auch die badische Regierung auf den Boden des Antrags tritt, so lehren uns doch die Vorgänge in Sachsen, wessen wir uns unter Umständen von den Regierungen zu versehen haben. Daher ist es von Werth, wenn sich die große Mehrheit des Reichstags für den Antrag ausspricht. Freiherr von Stumm legt heute eine Sanftmuth an den Tag, die aͤn ihm neu ist. Abänderungs⸗ anträge, die die Basis des Reichswahlrechts erschüttern würden, hat er wohl bloß deshalb bisher nicht gestellt, weil dieselben ganz aus⸗ sichtslos sind; er hat aber doch erst vor kurzem seine Ansicht dahin ausgesprochen, daß jedem Sozialdemokraten das Wahlrecht ab⸗ gesprochen werden müsse. Es ist uns mit dem Antrage nicht um eine Demonstration zu thun, oder doch nur um eine solche gegen das Demagogenthum draußen im Reiche, welches auf gewaltsamen Umsturz des geltenden Wahlrechts hinarbeitet.

Abg. Dr. Förster⸗Neustettin (Reform⸗P.): Wir wollen nicht, daß der Volkswille, wie bisheroft geschehen, gefälscht werde, und stimmen desbalb für den Antrag, der aber vielleicht noch redaktioneller Aende⸗ rungen bedarf und nach der Seite des passiven Wahlrechts ergänzt werden sollte, auch die Frage der Abgrenzung der Wahlkreise be⸗ handeln könnte. Wir sind für Vorberathung des Antrags durch die Wahlprüfungskommission.

Abg. Beckh (fr. Volksp.) ist gegen diese Erweiterungen, die den Zweck des Antrags leicht vereiteln, ja seine Annahme gefährden könnten. Freiherr von Stumm habe bei seinen Ausführungen die Ueber⸗ wachung der Stimmabgabe durch die Sozialdemokraten im Auge;

ddiese sei aber noch lange nicht so schlimm, wie die vielfach vor⸗

kommende Thatsache, daß die Fabrikherren sich die Stimmzettel ihrer Arbeiter vorweisen ließen.

Abg. Dr. von Wolszlegier⸗Gilgenburg (Pole): Auch wir werden für den Antrag stimmen, vor allem auch, damit dem polnischen Volke die Wahlfreiheit gewahrt werde.

Nachdem der Abg. Gröber (Zentr.), entgegen den Abgg. Blos und Förster, für schleunige unveränderte Annahme des Antrags gesprochen und für das allgemeine, direkte, gleiche und geheime Wahlrecht als das am meisten in politischer Hinsicht erzieherisch wirkende Wahl⸗ recht eingetreten ist, auch das Urtheil des Fürsten Bismarck über das Dreiklassenwahlsystem als das widersinnigste Wahlverfahren zitiert und schließlich darauf hingewiesen hat, daß auch in Württemberg die Regierung damit umgehe, in der Richtung des Antrags den Kammern eine Vorlage zu machen, sucht

Abg. Bindewald (Reform⸗P.), indem er angebliche Wahl⸗ beeinflussungen amtlicher Kreise bei den letzten Ersatzwahlen in Meseritz⸗Bomst und Oels⸗Wartenberg zur Sprache bringt, die Nothwendigkeit des Antrags darzuthun, der ohne Kommissionsberathung sofort zum Beschluß erhoben werden müsse.

Abg. Dr. Schönlank (Soz.): Thatsächlich beabsichtigen in Sachsen die Konservativen und Nationalliberalen im Bunde mit der Regierung ein unerhörtes Attentat auf das dortige Wahlrecht, indem sie dasselbe durch das preußische Dreiklassenwahlsystem ersetzen wollen. Früher haben dieselben Parteien und die Regierung sich gegen ein indirektes Wahl⸗ 8 und gegen eine Klasseneintheilung erklärt; heute ist die

timmung umgeschlagen; aus bleicher Furcht vor den Sozial⸗ demokraten proklamieren die Ackermann, Mehnert und Schill den Umsturz des bestehenden Wahlrechts, und die Regierung stimmt ihnen zu. Bei den sächsischen Ordnungsparteien hat Freiherr von Stumm mit seiner Schleifsteinpolitik gelehrige Schüler gefunden. Präsident Freiherr von Buol mahnt von weiteren Abschweifungen ab, worauf der Redner mit der Aufforderung, den Antrag einstimmig anzunehmen, schließt.

Sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Gesandter Dr. Graf von Hohenthal und Bergen: Der Herr Präsi⸗ dent hat dem Herrn Vorredner schon bemerkt, daß die Ange⸗ legenheit der Aenderung des sächsischen Wahlgesetzes, über die ich übrigens nichts weiß, nicht hierher gehört. Ich möchte aber dem Herrn Vorredner noch das Eine bemerken: wenn das sächsische Wahl⸗ gesetz abgeändert werden sollte, dann ist seine Partei schuld und nie⸗ mand anders. Der Herr Vorredner hat vorhin gesagt, das sächsische Wahlgesetz sei ein solches, das die Ausübung des Wahlrechts unter ganz günstigen Bedingungen ermögliche. Wer hat das sächsiche Wahl⸗

esetz in der sächsischen Kammer zuerst angegriffen? Die Partei des Se Vorredners. Weiter habe ich nichts zu sagen.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (d. kons.) wendet sich gegen den Abg. Bindewald, der von ungesetzlicher Wahlbeeinflussung der Amts⸗ vorsteher und Großgrundbesitzer gesprochen. Es sei doch selbstver⸗ ständlich, daß die Ansässigen im Kreise Oels⸗Wartenberg lieber ihren verdienten langjährigen Landrath von Kardorff als einen hergelaufenen Agitator wählten. Landtags⸗ und Reichstagswahlrecht ergänzten sich gegenseitig; man dürfe nicht einseitig eins von beiden in Angriff nehmen, wodurch die bestehenden Machtverhältnisse in Staat und Reich einseitig verschoben werden würden. Der Antrag Barth sei auch an sich unpraktisch. 1

Abg. Dr. Schönlank; Graf Hohenthal weiß also hier in Berlin nicht, was in Dresden geschieht. Ich habe das sächsische Wahlrecht nicht als das Ideal, auch nicht als etwas Vorzügliches, aber doch als etwas Erträgliches angesehen.

Sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Gesandte Dr. Graf von Hohenthal und Bergen: Ich muß dabei stehen bleiben, daß der geehrte Herr Vorredner sich in einen Gegen⸗ satz zur Vertretung seiner Partei im sächsischen Landtag gestellt hat. Der Herr Vorredner hat vorhin das sächsische Wahlgesetz als ein solches bezeichnet, mit dem sich recht wohl auskommen ließe. Aber die vereesrrcels Partei des sächsischen Landtags hat, obwohl

e genau wußte, daß der Antrag gänzlich aussichtslos sei, in zwei oder drei auf einander folgenden Landtagen einen Antrag auf Abänderung dieses Wahlgesetzes gestellt Darauf ist die Antwort in der denk⸗ würdigen Sitzung der Zweiten Kammer im vorigen Monat sehr deutlich gegeben worden. Ob diese Antwort eine weitere Folge haben und ein neues Wahlgesetz eingeführt werden wird, das weiß S mes, ngr Ob Herr Schönlank das glaubt oder nicht, ist mir

Abg. Bin dewald: Die im Wahlkreise Oels⸗Wartenberg auf⸗ getretenen Redner meiner Partei waren keine hergelaufenen Männer; sie blicken auf einen Stammbaum zurück, auf den sie stolz sein können.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Ich muß entschieden dagegen pro⸗ testieren, daß von einer gegenseitigen Ergänzung des preußischen und Reichswahlrechts gesprochen wird. Ich brauche bloß darauf zu ver⸗ weisen, daß die Konservativen uns in Preußen bei der Steuerreform zwar mitwirken ließen, uns aber bei der Aenderung des Wahlgesetzes, welches die nothwendige Ergänzung dazu war, vollständig im Stich gelassen haben, sodaß die Wirkungen des Dreiklassenwahlsystems zu Ungunsten der breiten Massen verschlechtert sind, und sie hier gleich⸗ wohl ihre Mitwirkung zur Verbesserung des Reichswahlgesetzes verweigern.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum entgegnet, daß man erst den Effekt der Steuerreform in Preußen abwarten müsse, ehe man an eine eventuelle Aenderung des Wahlrechts gehe. Für das Landtags⸗ wahlrecht sei noch keineswegs die behauptete Verschlechterung bewiesen, sondern zunächst nur bezüglich des Kommunalwahlrechts. Die Kon⸗ servativen seien sehr bereit, in eine Revision einzutreten, aber nicht bloß nach einer Seite.

Abg. Fuchs (Zentr.) entnimmt den Ausführungen des Vorredners, daß die Konservativen einem erneuten Antrage des Zentrums auf Ab⸗ änderung des Wahlgesetzes in Preußen freundlich gegenüberstehen würden. Die „Revision“ des Grafen Limburg heiße nichts Anderes als Abschaffung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts. In gewissen Kreisen schrecke man ja selbst nicht vor einem Staatsstreich zu diesem Zweck zurück; für die heutige Offenheit des Abg. Grafen Limburg könne man nur dankbar sein.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Die beiden verschiedenen Wahlrechte konstruieren die Interessen⸗ und Machtverhältnisse in den einzelnen Staaten. Aendert man einseitig, so werden diese verschoben. Wir wollen diese Verschiebung nicht; unsere Forderung ist also auch nicht, de. Ausdruck einer direkten Feindschaft gegen das geltende

ahlrecht.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Das Ausgleichssystem des Vorredners soll sich auf alle Einzelstaaten beziehen; wie gleichen sich denn diese Machtverhältnisse in Württemberg aus, wo beide Wahlsysteme das direkte Wahlrecht enthalten? Sie sprechen von „allen“ und meinen doch nur Preußen. Sie wollen uns verhindern, in Preußen eine Wiederherstellung des status quo ante anzustreben, und drohen uns, das Reichswahlrecht anzugreifen, wenn wir in Preußen am Wahlsystem irgend etwas ändern. Es ist ganz willkürlich, daß die beiden Wahl⸗ systeme begrifflich oder geschichtlich irgendwie sich ausgleichen. Näach der Einführung des Reichswahlrechts hat man im Gegentheil ange⸗ nommen, daß nun auch in den Einzelstaaten die Tage des indirekten Wahlsystems gezählt seien. In Preußen wurde sofort von Windt⸗ horst und Mallinckrodt der bezügliche Antrag gestellt. Zur Zeit rühren wir nicht an dem indirekten Wahlsystem; wir wollen nur seine Wir⸗ kungen zurückführen auf den Zustand, in dem es sich vor der Steuer⸗ reform befand. Das ist keine Verschlechterung des Dreiklassenwahl⸗ systems. Daß die Verschlechterung im Gegenthein durch die Steuerreform herbeigeführt ist, ist heute schon klar, wenn auch die Statistik darüber noch nicht vorliegt. Weiß man nicht, daß in Berlin Minister in der dritten Klasse wählen? Der Widerstand gegen den Antrag zeigt, welche Absichten die Herren rechts mit dem allgemeinen Wahlrecht überhaupt haben.

Abg. Fuchs: Sie bezweifeln, daß man mit Staatsstreich⸗ gedanken umgeht? Steht der Graf Mirbach Ihnen nahe oder nicht? Dieser Graf Mirbach hat im Herrenhause erklärt, daß das Volk in weiten Kreisen es mit Jubel begrüßen würde, wenn die Fürsten sich entschlössen, einen neuen Reichstag auf Grund eines neuen Wahlgesetzes zu berufen. Das nennen wir einen Staatsstreich.

Damit schließt die Diskussion.

Nach einem Schlußwort des Abg. Dr. Barth wird der An⸗ trag auf Kommissionsberathung zurückgezogen. Das Haus tritt sofort in die zweite Lesung ein und nimmt die einzelnen Paragraphen des vorgeschlagenen Gesetzentwurfs ohne Debatte an. Ein Antrag der Abgg. von Strombeck und von Hodenberg, daß Beweiserhebungen in Wahl⸗ prüfun von den Behörden als Eilsachen zu be⸗ handeln sn „wird angenommen.

Es folgt die erste Berathung der von den Sozialdemo⸗ kraten, Abgg. Auer u. Gen,, und von der freisinnigen Volks⸗ partei, Abgg. Ancker u. Gen.,, eingebrachten Gesetzentwürfe, betreffend die Gewährung eines vollständig freien Vereins⸗ und Versammlungsrechts. b

Der senehege g Entwurf schließt die Mitwirkung oder Einflußnahme amtlicher Behörden in jeder Form aus und stellt diejenigen, welche die Ausübung der hier gewähr⸗ leisteten Rechte zu verhindern suchen, unter die Androhung einer Strafe von bis zu 3 Monaten Gefängniß. Der Antrag Ancker will dagegen die die Reichs⸗ Militärgesetze und die Bestimmungen der Landesgesetze über die Ueberwachung von L unberührt lassen.

Abg. Auer (Soz.): Die weitesten Kreise sind über die Noth⸗ wendigkeit einer Aenderung der derzeitigen Bestimmungen über das Vereins⸗ und Versammlungswesen in Deutschland einig. Die Zu⸗ ständigkeit der Reichsgesetzgebung geht aus Art. 4 Nr. 16 der Ver⸗ fassung klar hervor. Am 1. Mai 1895 haben die Redner aller Par⸗ teien sich in diesem Sinne ausgesprochen, fanden aber doch, daß die jetzige Zeit zu solchen Aenderungen nicht angethan sei. Wann soll nun diese rechte Zeit kommen? Das Reich hat sein 25 jähriges Jubi⸗ läum gefeiert; noch immer ist die Verheißung der Verfassung nicht erfüllt. Das Königreich Württemberg hat schon heute ein Vereins⸗ und Versammlungsrecht, welches sich nicht weit von dem, was wir verlangen, unterscheidet. Wir wären bereit, auf Antrag zu verzichten, wenn das württembergische Recht Gemeingut für ganz Deutschland würde. Damit ist auch die Meinung des Herrn von Marquardsen widerlegt, daß sich mit einem folchen Gesetz nicht aus⸗ kommen lassen würde. Die Meinung, daß solche doch aussichtslos seien bei dem Widerstand der verbündeten Regierungen, verdient keine ernste Beachtung, denn sonst hätten wir auch die mehr⸗

stündige Arbeit, die wir soeben gethan haben, unterlassen können. Und

ist der immer und immer wieder zurückgewiesene Befähigungsnachweis nicht immer und immer wiedergekehrt und zwar zuletzt mit Erfolg? Ist eine Aenderung unseres Vereinswesens nothwendig, dann können solche Rücksichten nichts verschlagen. Dasselbe gilt von dem Einwande der nivellierenden Gleichmacherei, den damals der Abg. Bachem erhob. Warum will man Minderjährige von der politischen Erziehung aus⸗ schließen, da doch dieselben Minderjährigen ev. die Waffen bereits tragen müssen? Gerade die Nothwendigkeit dieser politischen Er⸗ ziehung hat doch vorhin der Abg. Gröber vom Zentrum besonders betont. Was das Vereinsrecht fuͤr die Frauen betrifft, so will ja das Zentrum ihnen das Koalitionsrecht zur Wahrung ihrer wirth⸗ schaftlichen Interessen geben; dieses wäre aber nur das bekannte Messer ohne Heft und ohne Klinge, wenn die Frauen nicht gleichzeitig das Vereins⸗ und Versammlungsrecht erhalten. In dieser Beziehung ist auch in neuerer Zeit ein gewaltiger Umschwung in der öffentlichen Meinung vor sich gegangen; ich erinnere nur an den letzten evangelisch⸗ sozialen Kongreß, wo zum ersten Male eine für diese rung eintrat, und nach dem Zeugniß des Profe 8

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ors Delbrück mit dem

1896

hervorragendsten Erfolg.é Bereits anfangs der 70 er Jahre hat Moritz Wiggers ein allgemeines deutsches Vereins⸗ und Versammlungsrecht be⸗ antragt. Dieser Antrag sollte aber wesentlich bloß das preußische Vereins⸗ recht auch auf das Reich ausdehnen. Damals war das begreiflich, denn die schlimmen polizeilichen Erfahrungen hatte man nicht emacht, und Wiggers war ein Mecklenburger, der für sein Vater⸗ and ein Vereins⸗ und Versammlungsrecht erst schaffen wollte. Einen Stein auf Mecklenburg will ich keineswegs werfen, denn ich wurde unter dem Sozialistengesetz zwar aus Preußen und Hamburg, aber nicht aus Mecklenburg ausgewiesen. Daß wir uns jetzt auch noch immer nicht allzuweit von dem preußischen Vereinsrecht entfernen sollen, wie Herr von Marquardsen andeutete, kann man uns wirklich nicht zumuthen. Was auf dem Gebiet des Vereinsrechts in den verschiedensten Bundesstaaten noch heute zu Recht besteht, wird den meisten Mitgliedern des Hauses garnicht geläufig sein. In mehreren Staaten besteht noch heute die bundestägliche Bestimmung, daß Arbeitervereine überhaupt nicht gegründet werden dürfen, so in Hessen und Oldenburg, wo sonst ganz liberale vereinsgesetzliche Be⸗ stimmungen vorhanden sind. In Anhalt dürfen nur Ankhaltiner Mitglieder eines politischen Vereins sein; diese Vorschrift ist durch alle Instanzen hindurch als gesetzliches Recht anerkannt worden. Weimar hat kein Vereins⸗ und Versammlungsgesetz; diesen Zustand haben sich die Behörden dort jetzt dahin zu nutze gemacht daß sie ihr eigenes Belieben entscheiden lassen, und das ist bekanntlich gegen unsere Partei weidlich ausgenutzt worden. Die reichsländischen Verhältnisse sind ja bekannt, sie werden auch wohl noch von anderer Seite heute näher beleuchtet werden. Mecklenburg hat auch kein Vereins⸗ und Versammlungsrecht; Vereine bedürfen daselbst der ministeriellen Genehmigung. Gerade die mecklenburger Verhältnisse zeigen, daß wir immer noch Hinterwäldler sind, trotz 25 jährigem Bestehen des Reichs. In Reuß ä. L. sind politische Vereine nterkaupt verboten. In Deutschland haben wir 26 Vereinsgesetze. Was in Hemözurg erlaubt ist, ist in Altona ein Vergehen und Verbrechen. n Württemberg dürfen die Frauen an Vereinen und Versamm⸗ lungen theilnehmen; jenseits von dessen Grenze suchen die Polizei⸗ beamten nach der Anwesenheit von Frauen in Vereinen und Ver⸗ sammlungen, um die letzteren dann als ungesetzlich aufzulösen. ische Vereine dürfen nicht miteinander in Verbindung treten. Auf Grund dieser Bestimmung hat die Polizei die sozialdemokratische Organisation, auch den Parteivorstand und die einzelnen Vertrauens⸗ männer, aufgelöst und uns angeklagt, und wir werden aller Voraus⸗ icht nach auch verurtheilt werden. Fünf Jahre lang haben wir diese rganisation gehabt. Dem Minister von Köller war es beschieden, einen großen Schlag gegen uns zu führen; er führte ihn und löste unsere Organisation auf. Wir haben unseren Parteivorstand einfach nach Hamburg geschickt. Dort funktioniert er ruhig weiter. Wir hätten auch nach Württemberg gehen können. Aber sind diese Zuständ nicht Deutschlands höchst unwürdig? Alle . f auf diesem Gebiete viel schlimmere Sünder als wir. Nur die Kon servativen haben bei der Maßregelung unserer Organisation zu stimmende Aeußerungen verlauten lassen; alle übrigen Parteien, selbse die Nationalliberalen, brachten das nicht fertig. Das Organisations statut der Konservativen verstößt viel stärker gegen das Gesetz, als das unsere angeblich thut. (Redner theilt den Wortlaut der Be stimmungen, die Zusammensetzung des weiteren und engeren Aus schusses, die Zirkulare des letzteren an die Provinzial⸗ und Lokal organisationen, sowie an die Vertrauensmänner u. a. mit.) Ich halte das alles für selbstverständlich, aber was dem Einen bact ist, ist dem Andern billig. Wie das Vereins⸗ und Versammlungs recht in Sachsen gehandhabt wird, ist unerhört. Die Wahlrechtsliga die sich dort gebildet hat, um gegen die Absicht der Verschlechterung des Wahlgesetzes Front zu machen, und schon 28000 Mitglieder zählte, hat die Polizei auf Grund eines offenbaren Mißbrauchs ihrer Gewalt aufgelöst; eine Versammlung mit dem Thema „Das Attentat auf das sächsische Wahlrecht“ wurde wegen schwerer Be⸗ leidigung der Ständekammermitglieder durch diese Tagesordnung ver⸗ boten. Das Rezept des preußischen Herrn Justiz⸗Ministers: Wenn Zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe, ist thatsächlich zur obersten Richtschnur geworden. Unsere Vereine dürfen, bei schwerer Ge⸗ fängnißstrafe für die Leiter, nicht in Verbindung treten; vor drei Tagen haben hier in Berlin neun konservative Vereine eine feier⸗ liche Zusammenkunft gehabt, ohne daß sich die Polizei darein gemischt hätte. Wo bliebe auch der Bund der Landwirthe, wenn sich die Polizei der gesetzlichen Bestimmungen gegenüber seinem Treiben erinnerte. Aber das ist eben das Unerhörte, daß die Polizei mit zweierlei Maß mißt. In dem „Verein mit dem langen Namen“ sind zahlreiche Vereinsvorstände der Großindustrie zur Verfolgung politischer Zwecke vereinigt; auch sie müßten verurtheilt werden, aber unsere Stimme ist gerade so ohnmächtig, wie die dieser Herren all⸗ mächtig ist. Und da klagt Freiherr von Stumm noch über un⸗ genügendes Koalitionsrecht der Arbeitgeber. Wo blieben auch die Katholiken gegenüber dem § 8 des preußischen Vereinsgesetzes, wo die Berufsvereine, die sich zu Petitionen an den Reichstag zusammen⸗ thun. Wandel zu schaffen ist noth; freie Bahn auch auf dem Gebiete des Vereins⸗ und Versammlungsrechts gehört zu den Voraus⸗ setzungen gedeihlicher Entwickelung sozialer Verhältnisse, ganz ab⸗ gesehen von der Parteistellung des Einzelnen. Was den Unternehmern recht ist, muß den Arbeitern billig sein. Der Fusas „Zuzug fernzuhalten!“ bei der Ankündigung von Strikes in Arbeiterblättern hat zu Anklagen und zu Verurtheilungen wegen groben Unfugs geführt. Die schwarzen Listen der Arbeitgeber aber haben für keinen Staatsanwalt irgend etwas Auffälliges. Man will die Arbeiter in einer Ausnahmestellung erhalten, und gewisse Leute hätten, wie die Artikel der „Hamburger Nachrichten“ beweisen, ihre Freude daran, wenn diese fortdauernde Knechtung die Arbeiter zu einer Verzweiflungsthat triebe, damit dann wieder die Blut⸗ und Eisenpolitik gegen sie Oberwasser erhielte. Aber die Arbeiter werden schön davor hüten. Wollen Sie die sozialen Gegensätze nicht versöhnen, so müssen Sie den Kampf führen, wie er dort in dem Blatt vorgezeichnet ist. Aber nur mit einem Kampfmittel kommen Sie vorwärts: üben Sie Gerechtigkeit, und das ihun Sie, wenn Sie unseren Antrag annehmen. jerauf wird ein Vertagungsantrag angenommen. 1 chluß 5 ¼ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Etats des Reichsamts des Innern und der Reichs⸗Justiz⸗ verwaltung.) 1““ vbböööö“

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

7. Sitzung vom 29. Januar 1896. 1s den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Das Haus setzt die zweite Berathung des Staats⸗ haushalts⸗Etats für 1896/97 beim Etat des Ministe⸗ riums des Innern fort.

Beim Kapitel „Landräthliche Behörden und Aemter“ weist

Abg. Brandenburg (Zentr.) darauf hin, daß die imparitätische Behandlung der Katholiken auch bei Besetzung der Landrathsämter sich zeige; es empfehle sich die Besetzung der L