1896 / 45 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 20 Feb 1896 18:00:01 GMT) scan diff

8 Der hiesige Gesandte der Republik Chile Francisco Antonio Pinto hat sich nach Rom begeben, um Seiner Majestät dem König von Italien sein Beglaubigungsschreiben zu uüberreichen. Während seiner vhetan ist der Zweite Sekretär der Gesandtschaft Pio P. Besa mit der Erledigung der laufenden Geschäfte beauftragt. v111A“

Münster, 19. Februar. Der Provinzial⸗Landtag für die Provinz Westfalen, welcher seit dem 9. d. M. hier agt, ist nach Beendigung der heutigen Plenarsitzung durch den Königlichen Landtags⸗Kommissar, Wirklichen Feheimen Rath, Ober⸗Präsidenten Studt mittels folgender Ansprache

geschlossen worden: Hochgeehrte Herren! ““

Die meett hc Provinzialvertretung darf auf ihre Thätigkeit i der heute zum Abschlusse gekommenen Tagung mit voller Behrie⸗ igung zurückblicken. 1

Ihre Vorschläge zur Abänderung der Landgüterordnung, welche em jetzigen Stande der gesetzgeberischen Verhandlungen über das

Anerbenrecht bei Rentengütern angepaßt sind, und Ihr Beschluß über die Bürgschaftsleistung des Provinzialverbandes für einen zu errichten⸗ den Versicherungsverein gegen landwirthschaftliche Haftpflicht, sowie be die Befürwortung des Antrags wegen Ausgabe dreiprozentiger Rentenbriefe von seiten der hiesigen Landeskulturrentenbank legen Zeugniß davon ab, daß es Ihr ernstlicher Wunsch und Wille ist, dem L Berussstande in seiner schwierigen Lage die helfende Hand zu reichen.

In derselben Richtung bewegt sich auch der Beschluß, welcher die ürsorge für die Wittwen und Waisen der Fachlehrer an den land⸗ irthschaftlichen Winterschulen zum Gegenstand hat.

as Verfahren bei Feststellung der Entschädigung für Vieh⸗ rluste infolge von Mil brand wird beim Inkrafttreten Ihrer bezüg⸗ ichen Beschlüsse in wünschenswertter Weise vereinfacht werden.

Für die Verwaltung der Provinzial⸗Irrenanstalten haben Sie S das von Ihnen beschlossene neue Reglement, dessen Genehmigung

ich bei den zuständigen 1 Ministern befürworten werde, eine Grundlage geschaffen.

on wesentlicher Bedeutung für eine gedeihliche Entwicklung der Verkehrsverhältnisse in unserer Provinz ist die von Ihnen genehmigte Mitbetheiligung des Provinzialverbandes an dem von der Warstein⸗ Lippstadter Eisenbahngesellschaft beabsichtigten Ausbau vollspuriger Nebenbahnen von Sbeft über Belecke nach Stadt Brilon sowie von Beckum⸗Ennigerloh nach Warendorf.

Sie haben sich nach eingehender Erwägung dafür entschieden, an einem für diesen Zweck vorzüglich geeigneten Platze den Neubau eines Landeshauses aufzuführen, durch welchen das immer dringender Bedürfniß nach Erweiterung der Geschäftsräume Abhilfe indet.

Im Laufe Ihrer Verhandlungen haben Sie vielfache Gelegenheit gehabt, sich wiederum zu überzeugen, daß die der Selbstverwaltung des Provinzialverbandes unterstellten Anstalten und Geschäftszweige in musterhafter Weise geleitet werden und daß namentlich die Ord⸗ nung des Finanzwesens besondere Anerkennung verdient.

Auf Allerhöchsten Befehl erkläre ich den 37. Provinzial⸗Landtag der Provinz Westfalen für geschlossen.

MNach dieser Ansprache ergriff der Vorsitzende des Provin⸗ zial⸗Landtags, Wirkliche Geheime Rath von Oheimb das Wort und brachte am Schluß ein dreifaches Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König aus, in welches die Mitglieder des Provinzial⸗Landtags lebhaft einstimmten.

Sachsen. Die Erste Kammer bevnilligte gestern Kap. 1 bis ein⸗ schließlich 7 und Kap. 71 a des Staatshaushalts⸗Etats, welche orsten, Domänen und Intraden, Kalkwerke, Weinberge, Hof⸗ potheke, Elsterbad, „Leipziger Zeitung“ und „Dresdner Journal“ betreffen. vi14“

1111416662“

Seine Königliche Hoheit der Großherzog empfing heute in feierlicher Audienz den neuernannten preagischen Gesandten, Grafen von der Goltz, welcher sein Beglaubigungsschreiben überreichte.

In der gestrigen Sitzung der Zweiten Kammer er⸗ klärte der Staats⸗Minister Finger auf die Interpellation des Abg. Schmitt, daß die Regierung im Verwaltungswege be⸗ reits seit geraumer Zeit die bedingte Begnadigung durch⸗ geführt habe und noch nach Möglichkeit auszudehnen gedenke.

Sachsen⸗Altenburg. 8

Seine Hoheit der Herzog ist von seiner Reise nach

Oldenburg und Braunschweig vorgestern wieder in Altenburg eingetroffken. 8 8

Lippe.

Der Landtag ist au berufen worden.

1““

Der preußische Gesandte

d von Wallwitz ist zur Ueberreichung seines Beglaubigungsschreibens heute in Lübeck eingetroffen

ODOesterreich⸗Ungarn.

Wie die „Wiener Zeitung“ meldet, hat der Kaiser mittels Handschreibens den Oberst⸗Stallmeister Prinzen zu Liechtenstein interimistisch mit der Wahrnehmung der Ge⸗ schäfte des Ersten betraut.

Gestern Vormittag wurde in Wien für den verstorbenen Oberst⸗Hofmeister Prinzen zu Hohenlohe in der Karmeliter⸗ Kirche ein Requiem abgehalten, welchem, wie „W. T. B.“ berichtet, die A e Isabella, der bayerische Ge⸗ sandte, der Nuntius, die Minister Graf Badeni und von Krieg⸗ hammer, die obersten Hofwürdenträger, sowie die Spitzen der Zivil⸗ und Militärbehörden beiwohnten.

Mehrere Klubs haben gestern die Wahlreform⸗ vorlage berathen. Ein Communiqué der vereinigten deutschen Linken besagt: der Klub habe beschlossen, bei der ersten Lesung der Vorlage für deren Ueberweisung an einen Wahlreform⸗Ausschuß zu stimmen und dabei die Bereitwillig⸗ keit der Partei zur eingehenden, wohlwollenden und u Vorprüfung der Vorlage zu erklären, da die Partei stets die Nothwendigkeit einer Wahlreform auf freiheitlicher Grundlage anerkannt und vertreten habe.

In der heutigen Sißung des ungarischen Unter⸗ Sen es brachte der Minister⸗Präsident Baron Banffy den

ntrag ein: der möge eine Deputation von 19 Mit⸗ gliedern (10 aus dem Unter⸗ und 5 aus dem Oberhause) wählen, welche über die Feststellung des Quoten⸗ re. der beiden Staaten der Monarchie berathen solle. . 8 ““

Der un

ist gestorben. Großbritannien und Irland. Das Unterhaus trat gestern in die zweite Lesung des von Rollitt eingebrachten Antrags ein: daß die Schieds⸗ gerichte zur Lösung von Streitfragen zwischen Arbeit⸗ gebern und Arbeitnehmern vermehrt, daß diese Schieds⸗ erichte zu gleichen Theilen aus Arbeitgebern und rbeitnehmern zusammengesetzt wuürden, und daß gegen 8 Entscheidungen keine Berufung bestehen solle. er räsident der Handelskammer Ritchie billigte im Namen der Regierung im Prinzip den Antrag, wünschte jedoch die Ab⸗ änderung einiger Bestimmungen und empfahl die Ueberweisung

des Antrags an den großen Gewerbeausschuß. Das Haus

stimmte diesem Vorschlage zu. ..“

Frankreich. 8

Der gemäßigte Deputirte Chaudey Sitzung der Deputirtenkammer eine Interpellation über die einander widersprechenden Erklärungen des Justiz⸗Ministers Ricard bezüglich der Angelegenheit Rempler einbringen.

In dem Prozeß gegen die „France“ wegen der Liste der 104 wurden gestern die Angeklagten zu Felan gafstrofen von 8 Tagen bis zu einem Monat und außerdem solidarisch

zur Zahlung von 2000 Frs. Schadenersatz 8. den Deputirten

Beauquier verurtheilt. Spanien. 6

Der gestern gemeldete Zwischenfall wegen des Vor⸗ trags des Marine⸗Offiziers Concas in der Geographischen Geseuschaft ist, wie „W. T. B.“ berichtet, infolge der Er⸗ klärungen, welche der Minister des Auswärtigen dem Gesandten der Vereinigten Staaten abgegeben vollkommen beigelegt wordeu. 8 ““

Belgien.

Die Repräsentantenkammer setzte e die Be⸗ rathung über das Tabackgesetz fort. Der Artikel 6, welcher Betriebsabgaben für alle Tabackverkaufsgeschäfte vorschreibt, wurde mit Stimmengleichheit abgelehnt. Im Laufe der hier⸗ über entstandenen lebhaften Erörterung erklärte der Finanz⸗ Minister de Smet de Nayer, er werde zurücktreten, wenn die Kammer bei der zweiten Abstimmung diese Entscheidung bestätigen und im Senat die Taback⸗Accise ohne Bewilligung siskalischer Ausgleichung aufgehoben werden sollte. Der Abg. Woeste (Rechte) bemühte sich, für die demnächst stattfindende zweite Abstimmung über den gesammten Artikel 6 seine Partei von ihrem Votum

aufgehoben.

aͤ114“¹“ MNach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Kon⸗ stantinopel haben sämmtliche Signatarmächte des Berliner Vertrags nunmehr den Prinzen Ferdinand von Sachsen⸗ Coburg als Fürsten von Bulgarien anerkannt.

Bulgarien.

Der Exarch und die Abgesandten des Sultans sind, dem „W. T. B.“ zufolge, heute früh von Sofia abgereist. Der Prinz Ferdinand, die Minister, die Spitzen der Be⸗ hörden und zahlreiches Publikum waren auf dem Bahnhofe anwesend; eine Kompagnie Infanterie und eine Eskadron Kavallerie erwiesen die militärischen Ehrenbezeugungen.

Schweden und Norwegen.

In der schwedischen Zweiten Kammer fragte, dem II Jufolge, gestern der Abg. Hedin bei der Be⸗ rathung des Budgets des Ministeriums des Aeußern an, warum der Minister des Aeußern die anhaltend auf⸗ tretenden Gerüchte über den Anschluß Schwedens an den Dreibund nicht dementiert habe, und interpellierte den Minister über die Auflösung des skandinavischen Vereins in Hannover, weil der Verein nicht an der Jubiläumsfeier des Deutschen Reichs theilgenommen habe. Der Minister des Aeußern Graf Douglas betonte die neutrale Politik Schwedens und Norwegens und erklärte: Es sei sehr schwer, in den ausländischen Zeitungen ein Dementi veröffentlicht zu bekommen; die irreleitenden Meldungen 8 auch oft nach Stockholm zurückzuführen. Was die Auflösung des skandinavischen Vereins in Hannover betreffe, so habe kein Schwede diesem Verein angehört. Mehrere in Hannover an⸗ sässige Norweger hätten über das Verhalten ihrer dortigen jüngeren Landsleute ihr Bedauern ausgesprochen.

Amerika.

Aus Havanna wird berichtet, es sei den fabrern der öö Maceo und Gomez gelungen, sich zu ver⸗ einigen.

Afrika.

Die „Agenzia Stefani“ meldet aus Massowah: Der General Baratieri habe am Dienstag Abend berichtet, daß an diesem Tage in Sauriat vollständige Ruhe geherrscht habe; Streifzüge der Feinde würden in der Richtung nach Acsum und Darotacle gemeldet. Das siebente Bataillon der Ein⸗ geborenen⸗Truppen habe den Paß von Alequa besetzt. Der Oberst Stevani sei mit drei Bataillonen und einer Batterie in Maimarat eingetroffen; er habe in Debradamo eine Be⸗ satzungstruppe zurückgelassen und führe den Prior eines Klosters und viele Rebellen mit sich.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sitzungen des Reichs tags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (45.) Sitzung des F15 welcher der Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher, der Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky und der Kriegs⸗Minister, General Bronsart von Schellendorff beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Reichshaushalts⸗Etats und zwar des ““ bei dem Kapitel „einmalige Ausgaben“ ortgesetzt. 8 (Schluß des Blattes.)

wird in der heutigen

abzubringen. Die Sitzung wurde sodann h“ kZ%+Z&%ZZ%Z%Z%“

In der heutigen (23.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, 2 der Minister für Handel und Ge⸗ werbe Freiherr von Berlepsch beiwohnte, wurde die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1896/97 beim Etat der Verwaltung für Handel und Gewerbe fort⸗

gesetzt. 8 5 den Einnahmen aus den Baugewerkschulen ankte.

Abg. Felisch (kons.) dem e. dafür, daß er für das technische Unterrichtswesen die immerhin erhebliche Summe von 270 000 in den Etat eingestellt habe. Bisher war das gewerbliche Unterrichtswesen Preußens viele Jahre hindurch ein Stiefkind gewesen. Die Baugewerkschulen dienten nicht einem rein lokalen, sondern den Be⸗ dürfnissen der Provinzen und des ganzen Landes. Sie hätten sich sehr günstig entwickelt und seien auch für andere Schulen nachahmenswerth. ie Hälfte sämmtlicher Lehrer sei fest und pensionsfähig angestellt, wäh⸗ rend früher das Lehrerkollegium der Baugerverk schuken mit einem Taubenschlage zu vergleichen war. Zu wünschen wäre nur, daß das Gehalt von 4200 nicht blos den akademisch vorgebildeten, sondern auch solchen Lehrern gegeben werde, welche si ervor⸗ ragende praktische Bildung angeeignet haben. Auch das Niveau der Vorbildung der Schüler fei ein höheres geworden, und der Verband der Innungs⸗Baugewerkvereine habe sich in dieser wie in anderer Beziehung hervorragende Verdienste erworben. Die Zahl der in Preußen bestehenden Bangewerkschulen reichen aber bei weitem nicht aus; Tausende von Schülern hätten zurückgewiesen werden müssen und es sei notorisch, daß jährlich 3000 preußische Gewerkschüler in zum t eil minderwerthigen außerdeutschen Baugewertschulen ein Unterkommen finden. Ein großer Kulturstaat wie Preußen müsse für das Schulbedürfniß seiner Landeskinder selber sorgen. Das sei um so nothwendiger, als seit Einführung der Gewerbeordnung von 1869 durch den Fortfall des Lehrzwangs und des Befähigungsnachweises das deutsche Bau⸗ handwerk in technischer Hinsicht unendlich zurückgegangen sei. Verkrachte Kaufleute, Restaurateure, Kellner oder andere un⸗ qualifizierte Leute betheiligen sich heute am Beauunter⸗ nehmerthum als „Zimmermeister“, „Maurermeister“ oder gar als „Baumeister“. Eine Folge davon sei die furchtbare Serie der Baueinstürze der letzten Jahre. Allerdings seien auch einige gelernte Baugewerkmeister an diesen Baueinstürzen betheiligt gewesen; das sei aber sehr erklärlich, weil sie mit der mrsigen Konkurrenz einen Kampf nur aufnehmen und ihr Leben fristen köͤnnen, wenn sie auch ihrerseits billigeres und minderwerthiges Arbeitspersonal einstellen. v veuisher Bauarbeiter sind mit ihrem Leben und ihrer

esundheit Arbeitgebern preisgegeben, welche nicht die nöthige Fachtüchtig⸗ keit besitzen. Alljährlich könnten Hunderte und Tausende deutscher Bau⸗ arbeiter Leben und Gesundheit behalten, wenn durch die Gewerbe⸗ ordnung von 1869 nicht das höchst verantwortliche Baugewerbe für vogelfrei erklärt worden wäre. Darum bitte er die Regierung, die Zahl der preußischen Baugewerkschulen zu vermehren, namentlich in den Provinzen Westfalen und in der Rheinprovinz. Die Provinz Pommern besitze überhaupt noch keine solche Schule. Vielleicht Se. es so gelingen, das preußische Baugewerbe wieder zur Blüthe zu bringen.

Abg. Dr. Kropatscheck (kons.): Dem deutschen Handwerk ist seit 1869 der Boden immer mehr unter den Füßen geschwunden. Der Mangel an geeigneten Bauhandwerkerschulen macht sich in FPefchen besonders fühlbar, sodaß zahlreiche Schüler in die kleineren deutschen Staaten zum Besuch dieser Schulen gehen müssen; insbesondere gehen zahlreiche Schüler aus der Provinz Branden burg nach Mecklenburg⸗ Strel:tz. Wenn die Errichtung einer solchen Schule in der Mark in Erwägung gezogen werde, so möchte ich dem Minister die Stadt Brandenburg besonders empfehlen mit Rücksicht darauf, daß dort eine großartig ausgestattete Zeichen⸗ und Gewerbeschule, die Wredowy'sche,

ereits besteht. Bedauerlich ist, daß auf den Baugewerkschulen und ähnlichen technischen Schulen der Religionsunterricht gänzlich vernach⸗ lässigt wird. Der Püschler ac schul⸗ in Magdeburg, einer vorzüglich geleiteten Anstalt, soll der bisher geleistete Staatszuschuß entzogen werden zu Gunsten einer größeren dortigen gewerblichen Schule. Um diese Schule in ihrer bisherigen Blüthe zu erhalten, empfiehlt es sich, das eine zu thun und das andere nicht zu lassen.

Abg. Dittrich (Zentr.) empfahl die Einführung des Religions⸗ unterrichts in den gewerblichen Lehranstalten.

Abg. Krawinckel (nl.): Auch wir legen Werth auf die Sitt⸗ lichkeit der Schüler der gewerblichen Schulen; allein es ist dort eine solche Ueberfülle von Stoff zu bewältigen, daß die Forderung des Vorredners nicht unbedenklich ist, und wir meinen, daß die Erhöhung der allgemeinen Bildung und des technischen Könnens auch dazu beiträgt, den Menschen zu veredeln. Es kommt auch in Betracht, daß die Schüler den verschiedensten Alters⸗ stufen angehören, sodaß auch die Behandlung des Religions⸗ unterrichts eine verschiedenartige sein müßte. Der Kirche ist durch die Seelsorge und den Gottesdienst hinreichend Gelegenheit ge⸗ boten, auf die Schüler einzuwirken, ohne daß möglicherweise der Konfessionsstreit in die Schulen hineingetragen würde. Es wird jetzt viel schöner, solider und wirthschaftlicher ge⸗ baut, als vor der Einführung der Gewerbeordnung. Diese hat ausgezeichnete Früchte gezeitigt. Die Aufnahmebedingungen für die Baugewerkschulen sind leider ganz unglücklich geregelt, das Schülermaterial ist ein ganz verschiedenes. Die Lücken in dem all⸗

emeinen Wissen vieler Schüler sind zu groß, als daß sie von dem

esuch der Schulen einen dauernden Vortheil haben. Andere Schüler haben eine höhere Bildung, haben das Einjährig⸗Freiwilligen⸗ Zeugniß, und es ist unpädagogisch, alle diese Schüler in einer Schule gemeinsam zu unterrichten. Hierin muß Wandel geschaffen werden. Bei den technischen Mittelschulen für den Maschinenbau ist eine solche Scheidung zwischen den Schülern schon eingetreten. Man klagt, daß es keine ordentlichen Gesellen mehr gebe nun, Gesellen will man doch eigentlich auf den Baugewerks⸗ schulen nicht ausbilden. Bezüglich der Nothlage der Bauhandwerker wird meine Fraktion Ihnen demnächst durch einen Antrag Wallbrecht den einzig richtigen Weg zur Sicherung der Forderung der Bauhand⸗ werker vorschlagen.

Abg. Euler (Zentr.) besprach die Frage der Einführung eines be⸗ sonderen Religionsunterrichts für die Fortbildungsschüler; ein solcher Unterricht sei bereits in Aachen des Sonntags Nachmittags eingeführt. Der 6. Allgemeine deutsche Handwerkertag habe auch eine Resolution zu Gunsten solchen Unterrichts angenommen, die religiöse Erziehung sei das beste Mittel gegen die Sozialdemokratie. Bei Submissionen können die Unternehmer, welche ihre Handwerker einfach nicht be⸗ zahlen, natürlich die billigsten Preise machen.

Abg. Pleß betonte gleichfalls die Nothwendigkeit der religiösen. Erziehung; nur wer seinen Katechismus habe, sei reif für die wilde Konkurrenz ohne Rücksi die Lauterkeit der dabei angewandten Mittel. Die Gefahr sei es, wenn man das jenseitige Leben verneine, wenn man sage: Den Frner überlassen wir den Engeln und den Spatzen. Wir haben große Fortschritte im gewerblichen Leben gemacht, daß aber die Zufriedenheit dadurch gefördert sei, könne man nicht behaupten. Wenn man die Religion nicht fördere, füge man dem Staat einen Schaden zu.

Abg. Dittrich vertrat nochmals gegenüber dem 8n Krawinkel seine Anschauungen über den Werth der Religion für die Bildung des sittlichen Charalters. 8

Abg. Felisch bemerkte gegen den Abg. Krawinkel, daß die schönen und soliden großen Bauten in gerhen Städten nichts gegen seine Meinung von der Schädlichkeit der Gewerbeordnung bewiesen. Wenn man das Handwerk kennen lernen wolle, so gehe man nicht in die großen Städte, sondern auf das Land, wo es mit dem Handwerk sehr traurig liege und nur Befähigungsnachweis und Innungen helfen könnten. Die Zerschlagung der Einheitlichkeit unserer Bau⸗ Fewfrcb et die sich vortrefflich entwickelt habe, wäre ein

nglück. urch eine Trennung würde man hoͤhere und Bautechniker erzielen, es sei aber ganz verkehrt, Bauhandwerksmeister auf dem Lande eine geringere

größte

ni dere daß die

Ausbildung brauchten als in der Stadt, eher im Gegentheil, denn in

fügung als auf dem Lande. wi 18 und zweiter Klasse schaffen. Ich bitte den M strebungen entgegenzutreten. 8

(dSchluß des Blattes.

n Städten haben die Meister ganz andere Hilfsmittel zur Ver⸗ deeend e a8 1 88 Män würde 48 Bangewerksmeister

Nr. 8 der „Veröffentlichungendes Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts“, vom 19. Februar, hat folgenden Inhalt: Gesund⸗ heitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maßrezeln gegen Cholera ꝛc. Gesetzgebung u. s. w. (Deutsches Reich.) Medizinalweine. (Preußen.) Volksschulhäuser. Peckenerkrankungen. (Berlin.) Geheimmittel⸗Ankündigung. Salzstreuen auf den Bürgersteigen. (Schwarzburg⸗Rudolstadt.) Leichenöffnungen. (Oesterreich.) Wuthverdächtige Thiere. Arzneitaxe. (Böhmen.) Sterilisierstifte. (Schlesien.) Sodawassererzeugung. (Frankreich.) Seesanitätspolizei⸗Reglement. Gang der Thierseuchen in Groß⸗ britannien, 29. September bis 28. Dezember. Zeitweilige Maß⸗ regeln gegen Thierseuchen. (Preuß. Reg.⸗Bez. Schleswig, Württem⸗ erg, Italien, Schweiz.) Verhandlungen von gesetzgebenden Körperschaften. (Preußen.) Staatshaushalts⸗Etat 1896/97 (Schluß). (Sachsen.) Aerztliche Bezirksvereine. Vermischtes. 1 e. „Baden ⸗Oesterreich.) Geheimmittel. (Berlin.) Margarine und Mischbutter. (Oesterreich.) Ausstellung für körper⸗ liche Erziehung, Gesundheitspflege und Sport in Innsbruck. (Dänemark.) Margarine. Geschenkliste. Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung. Grundwasserstand und Boden⸗ wärme in Berlin und München, Dezember. Beilage: Gerichtliche Cetscheungen auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege

mittel).

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Das Recht des Selbsthilfeverkaufs seitens des Verkäufers einer Waare für Rechnung des säumigen Käufers ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, I. Zivilsenats, vom 11. Dezember 1895, an eine Frist nicht gebunden, vielmehr kann Verkäufer den Ferien des Selbsthilfeverkaußs so wählen, wie es seinem Interesse entspricht; nur darf er sich dabei eines arglistigen Verhaltens nicht zu Schulden kommen lassen. (349/95.)

Hat ein Mitglied einer offenen Haehees erslatt durch Zession von einem Gesellschaftsgläubiger dessen Forderungs⸗ recht erworben, so haften ihm, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Zivilsenats, vom 13. Dezember 1895, im Gebiete des Preuß. Allg. Landrechts die übrigen Gesellschafter für die auf sie kommenden Antheile dieser Gesellschaftsschuld, also bei einer aus zwei Mitgliedern bestehenden Gesellschaft haftet der andere Gesellschafter, sofern der Gesell⸗ schaftsvertrag nichts Anderes bestimmt, zur Hälfte. „Dem ursprüng⸗ lichen Gläubiger S. hafteten für seine sowohl die Gesellschaft als nach Art. 112 H.⸗G.⸗B. die Gesellschafter; durch die Abtretung der

orderung an einen der Gesellschafter trat nun zwar Vereinigung des

läubigerrechts und der Verpflichtung in den Händen des einen Solidarschuldners ein, damit aber nach §§ 492, 493 des Allg. L.⸗R. 116 keineswegs völliges Erlöschen der Verpflichtung des anderen

Solidarschuldners, vielmehr wurde nach § 494 a. a. O. nur bewirkt,

daß der Kläger bei Geltendmachung des erworbenen Forderungsrechts gegen den Mitschuldner sich denjenigen Antheil anrechnen muß, für welchen er dem letzteren, wenn dieser den Gläubiger S. befriedigt hätte, verhaftet sein würde. Dieser Antheil ist, söser. der zwischen den Mitschuldnern bestehende Vertrag nichts Anderes bestimmt, nach §§ 443—- 445 A. L.⸗R. I 5 die Hälfte.“ (235/95.)

Zur Wirksamkeit eines antichretischen Pfandrechts an einem Grundstücke gegen Dritte ist nach einem Urtheil des Reichs⸗ erichts, V. Zivilsenats, vom 14. Dezember 1895, im Gebiete des Fraaß Allg. Landrechts neben dem schriftlichen Pfandvertrage und der Eintragung des Pfandrechts im Grundbuch auch die Uebergabe, die Einräumung des Besitzes des Grundstücks erforderlich. Weder die Beurkundung einer erfolgten Uebergabe des Grundstücks, trotz⸗ dem sie thatsächlich nicht erfolgt ist, noch die bloße Mittheilung an die Miether von der antichretischen Verpfändung ersetzt die erforder⸗ liche Einräumung des Besitzes des rundstücks. „Wenn auch in dem Pfandvertrage von den Vertretern der Klägerin (einer Kreditbank) und von deren Schuldner M. anerkannt ist, die Uebergabe des Grundstücks an die Klägerin habe stattgefunden, und wenn darin auch die Klägerin sich verpflichtet hat, das Grundstück wirthschaftlich zu verwalten, so wurde dadurch an den thatsächlichen Besitzverhältnissen nichts geändert, nach welchen M. in dem Hause wohnen blieb und nach wie vor das Haus verwaltete und insbesondere die Miethzinsen von den Miethern einzog, nach welchen also das Haus in dem St des M. blieb. Eben⸗ owenig ist der Umstand von Bedeutung, daß angeblich M. den

iethern Mittheilung von der anti . en Verpfändung gemacht hat. In jener bloßen Mittheilung ein Uebergabeakt nicht zu er⸗ blicken; denn in dem Wesentlichen, in der Verwaltuug des Hauses drchden Schuldner M., trat dadurch allein keine Aenderung ein.“

Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts.

Die polizeiliche Erlaubniß der Ableitung des zum Betrieb einer Färberei, Gerberei und ähnlicher Anlagen benutzten Wassers durch die städtische Kanalisation nach einem Fluß kann, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, III. Senats, vom 24. Juni 1895, zurückgenommen werden, wenn durch jene Ableitung der Bedarf der Umgegend an reinem Wasser beeinträchtigt oder eine erhebliche Belästigung des Publikums ver⸗ ursacht wird. „Der § 3 des Gesetzes vom 28. Februar 1843 bestimmt:

„Das zum Betrieb von Färbereien, Gerbereien, Walkerei und ähn⸗ lichen Anlagen benutzte Wasser darf keinem Fluß zugeleitet werden, wenn dadurch der Bedarf der an reinem Wasser beein⸗ trächtigt oder eine erhebliche Belästigung des Publikums verursacht wird. Die Entscheidung hierüber steht der Polizeibehörde zu.“ Hiernach war die Poltzeibehärde befugt, Anordnungen 8 treffen, welche eeignet erscheinen, der mit einer erheblichen klaftfnng des ublikums verbundenen Abführung der Abwässer aus der klägerischen abrik nach der Deichsa, einem Privatflusse, vorzubeugen. Auf keinen all stehen dem Kläger die §§ 16 ff. der Reichs⸗Gewerbeordnung zur eite. Färbereien gehören nicht zu den einer besonderen Genehmigung nach den Vorschriften in § 27 der Preuß. Gewerbeordnung, §§ 1 ff. des Preuß. Gesetzes vom 1. Juli 1861 oder §§ 16 ff. Reichs⸗ Gewerbeordnung unterstellt gewesenen bezw. noch unterstellten gewerblichen Anlagen. Dem Kläger ist daher eine seine Rechte und Jh cth in Bezug auf den Betrieb seiner Färberei nach Maßgabe der gedachten gesetzlichen Vorschriften regelnde gewerbliche Konzession nicht ertheilt worden. Unter diesen Umständen war die am 1. Juli 1890 ertheilte polizeiliche Erlaubniß zur Errich⸗ tung des Färbereigrundstücks und die am 5. Februar 1891 ertheilte gleiche Erlaubniß zur Anlegung von Klärbassins und zur wider⸗ ruflichen Ableitung des Fabrikwassers in die städtische Kanalrohr⸗ leitung keine solche, durch welche über die Frage⸗ ob die Ableitung in die Deichsa polizeilich zulässig sei, für immer hat Bestimmung

getroffen werden können. Die ertheilte polizeiliche Erlaubniß war viel⸗ mehr widerruflich, 8 der Kläger polizeilich nicht zu duldende Verhältnisse hervorrief.“ (III 822.)

8

Vorläufige Ergebnisse der Volkszählung vo

8. 2. Dezember 1895 in Württemberg.

Niach den Veröffentlichungen des Königlichen Statistischen Landes⸗ amts ist die 5 der württembergischen Städte mit 20 000 bis 100 000 Einwohnern (5) gegenüber der Zählung vom 1. Dezember 1890 gleich geblieben, ebenso die der Städte mit 10 000 bis 20 000 Seelen (7). Dagegen sind zu den 31 am 1. Dezember 1890 5000 und mehr Einwohner zählenden Gemeinden 4 neue getreten, ferner haben 3 weitere Gemeinden die Zahl von 4000 überschritten. Stutt⸗ gart (mit Vororten) zählte am 2. Dezember 1895 157 700 ortsanwesende ersonen (gegen 139 817 am 1. Dezember 1890), Ulm 9 303 (gegen 36 191), Heilbronn 33 470 (gegen 29 941), Eßlingen 23 918 (gegen 22 234), Cannstatt 22 509 (gegen 20 265), Reutlingen 19 830 (gegen 18 542), Ludwigs⸗ burg 19 279 (gegen 17 418), Gmünd 17 282 (gegen 16 817), Göp⸗ pingen 16 186 (gegen 14 352), Tübingen 13 989 (gegen 13 273), Ravensburg 12 705 (gegen 12 267), Tuttlingen 11 640 (gegen 10 092). Sämmtliche 49 Gemeinden mit 4000 und mehr Einwohnern wiesen eine ortsanwesende Bevölkerung von 605 026 Köpfen (gegen 555 103 am 1. Dezember 1890) auf, die 64 Oberamtsstädte eine solche von 593 529 Köpfen (gegen 551 348). Ist auch das 1e Ergebniß der letzten Volkszählung für das ganze Land noch nicht bekannt, so zeigen doch schon die vorliegenden Veröffentlichungen, daß die Ent⸗ völkerung der kleinen Orte und des platten Landes, die bereits durch die früheren Volkszählungen nachgewiesen worden ist, in Württemberg immer weiter fortschreitet. Allein von den 33 Gemeinden mit 1000 bis 4200 Einwohnern weisen nicht weniger als 16 gegenüber der Volkszählung von 1890 eine zum theil recht erhebliche Abnahme der Bevölkerung auf, während 10 weitere und von den 32 Gemeinden mit 4200 bis 9150 Einwohnern 12 entweder garnicht oder nur um wenige Köpfe zugenommen haben.

Im lübeckischen Staat betrug die ortsanwesende Bevölke⸗ rung am 2. Dezember 1895 nach den vorläufigen Feststellungen 83 324 Personen (40 273 männlichen und 43 051 weiblichen Geschlechts) gegen 76 485 am 1. Dezember 1890. An Söö waren im Jahre 1890 17 702, am 2. Dezember 1895 dagegen 19 613 be enaden.

3 8 ““

Bremens Waareneinfuhr betrug nach dem eben erfolgten Abschluß: iim LJahre 1895 3 112 481 t à 1000 kg Bo. 806 306 101 8 gegen 1894. 2 881 197 t à 1000 kg 694 485 348

also 1895 + . 231 284 t und 111 820 753

Der Menge nach war bisher die Einfuhr im Jahre 1894 die

größte, dem Werth nach die des Jahres 1891 mit 789 753 471

Die 1895 er Einfuhr übersteigt beide und ist darum die größte, welche Bremen überhaupt gehabt hat.

MNon dem Mehr von . . . . .. 111 820 753 entfallen auf Eigen⸗ und Kommissionsgut. 47 878 142 auf sogenannte Spedition. 1““ 63 942 611

Unter „Spedition“ sind hier auch Waaren subsumiert, die unter Vorschußzahlung seitens eines bremischen Kaufmanns durchgeführt wurden oder deren Einkauf ein bremischer Kaufmann als Agent ver⸗ mittelte, deren Durchführung dann aber ein Spediteur besorgte.

Von der Einfuhr kamen

aus 1895 1894 dem Deutschen Reich. . für 287 634 793 237 126 951 dem übrigen Europa . . 115 734 000 111 525 593 den Vereinigten Staaten. 228 174 627 194 652 249 dem übrigen Amerika. 82 720 850 74 776 264 Asien 1A“ 82 92 261 47 907 970

EE111ö11““ 11 742 203 10 070 869 *“ 27 377 367 18 425 452 „Aus allen Staaten ist also mehr eingeführt; beim Deutschen Reich beträgt die Zunahme über 50 Millionen Mark, bei den Ver⸗ einigten Staaten etwa 33 Millionen Mark, Asien und Australien (Reichs⸗Postdampferlinien) lassen ein Plus von 14 Millionen Mark ersehen, an dem Rest von ebenfalls 14 Millionen Mark partizipieren die übrigen Gruppen. Von den Hauptartikeln des bremischen Handels wurden zugeführt, in Tonnen zu 1000 kg Netto gerechnet:

1895 1894 1893 Baumwolle. 275 861 202 620 Getreide. 438 880 367 926 b““ 139 525 eööI“ R 8 74 587 56 958 11“n 45 971 Von Baumwolle, Getreide und Schafwolle ist im abgelaufenen Jahre mehr als je zuvor importiert, von Petroleum, Reis und Taback dagegen sind in früheren Jahren schon größere Mengen zuge⸗ führt, und zwar von Petroleum im Jahre 1879: 212 929 t, von n Jahre 1891: 302 652 t, von Taback im Jahre 1878:

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1 6 Arbeiterbewegung.

In Kottbus ist vor einigen Fagen ein Ausstand der öS arbeiter ausgebrochen, weil den Arbeitern eine geforderte Lohn⸗ erhöhung und die Verkürzung der Arbeitszeit auf elf Stunden nicht bewilligt wurden. Wie der „Köln. Ztg.“ vom gestrigen Tage telegraphiert wird, hat der Ausstand inzwischen sehr großen Umfang angenommen. In sieben bedeutenden Fabriken haben sämmtliche Arbeiter die Arbeit niedergelegt. .

Hier in Berlin wurden gestern vor dem Gewerbegericht als Einigungsamt die Verhandlungen zur Beilegung des Ausstands in der Herren⸗ und Knabenkonfektion geführt, die Abends mit einem alle Theile bhefriedigenden Vergleich a lossen. Von den Kon⸗ fektionären wurde ein Mindesttarif vorgelegt, der von den Vertretern der Arbeiter als unannehmbar bezeichnet wurde; auch über eine prozentuale Lohnerhöhung konnte man sich nicht einigen. Der Ge⸗ richtshof machte dann folgende, von den Zeitungen mitgetheilten Ver⸗ gleichsvorschläge: 1) Die Konfektionäre bewilligen einen 12 ½ % Lohn⸗ suschlag auf alle vor dem Ausstand gezahlten Lohnsätze. Sollten die⸗ selben die Minimalsätze des von den Konfektionären vorgeschlagenen Minimaltarifs nicht erreichen, so ist mindestens der Betrag des tarif⸗ mäßigen Minimallohns zu zahlen. 2) Unter den Lohnsätzen des Tarifs dürfen Arbeiten weder an Zwischenmeister noch an Arbeiter ausgegeben oder von ihnen übernommen werden. 3) Die nach diesen Sätzen zu zahlenden Löhne sind für jedes Ge⸗ schäft durch Aushang im Geschäft und bei den Zwischenmeistern bekannt zu geben. 4) Die Zwischenmeister verpflichten sich zur An⸗ bringung des Aushangs, sowie ferner: ihren Arbeitern den voll erzielten neeunsch a9 zu gewähren. 5) Die Konfektionäre ver⸗ pflichten sich, enmeister, welche die Bestimmungen unter 4 nicht erfüllen, fernerhin nicht zu beschäftigen, ebenso verpflichten sich die Zwischenmeister, für Konfektionäre, welche die vorstehenden Verpflichtungen nicht erfüllen, zu arbeiten. 6) Der Ausstand der Arbeiter der Herren⸗ und Knabenkonfektion wird sofort aufgehoben. 7) Das Einigungsamt wird über die Feststellung des spezialisierten Minimallohntarifs weiter verhandeln und die Fest⸗ stellung eines solchen durch oder Schiedsspruch herbeiführen; die erforderlichen Grundlagen sollen 1 umfangreiche Be⸗ weisaufnahmen unter Zuziehung von ertretern der drei betheiligten Kategorien, Kwelche gich zum Erscheinen bei dem

Einigungsamt verpflichten, beschafft werden. 8) Die Ein⸗ setzung einer Kommission zur Schlichtung von Tarifstreitigkeiten, soo. wie für die Reformen des Arbeitsanfangs und der Ablieferung soll gleichzeitig mit der Lohntarifsfeststellung erfolgen, ebenso der Aushang des noch auszuarbeitenden Lohntarifs. 9) Lohnabrechnung und Lohn⸗ zahlung hat wöchentlich einmal zu erfolgen. 10) Maßregelungen dürfen nicht stattfinden. Die Vertreter aller drei Parteien: d Konfektionäre, Meister und Arbeiter, erklärten sich mit diesen Be⸗ dingungen mündlich und schriftlich einverstanden.

Kunst und Wissenschaft.

Die Februar⸗Ausstellung des Kunst⸗Salons vo

F. Gurlitt, die gleichzeitig mit der Ausstellung der XI eröffnet wurde, führt uns eine Reihe jüngerer Berliner Maler in ihren neuesten Werken vor. An Umfang und Bedeutung nimmt Lesser Ury⸗ großes Gemälde „Jerusalem“ den ersten Platz darunter ein. Au einer Bank am Meeresufer, neben der zwei Pinien aufragen, hat si eine kleine Schaar jüdischer Männer und Frauen beim letzten Strahl der Abendsonne zusammengekauert; Verzweiflung, dumpf brütender Schmer Resignation, Wahnsinn spricht aus den Gestalten der Gruppe, dere Contur sich machtvoll von dem lichten Abendhimmel abhebt. Ob de Künstler bei der Conception seines Bildes eine besondere alttestamen tarische Situation, wie etwa die trauernden Juden an den Wasser Babylons, im Sinne gehabt oder schlechthin eine Schilderung mensch lichen Elends geben wollte, entzieht sich unserer Kenntniß. Rein künstlerisch genommen, bedeutet das Bild einen großen Schritt vor wärts in der Entwickelung Ury's, der sich hier zum ersten Mal ein große Aufgabe gestellt hat und zweifellos auf dem damit beschrit tenen Wege noch manchen Erfolg erringen wird. Daß dieser erst Versuch des erst dreiunddreißigjährigen Malers noch keinen völlig

sich abgeschlossenen Stil zeigt, ist begreiflich;, den Ernst echt künstlerischen Strebens, den er im Ringen mit seinem Stoff bekundet, wird kein unbefangener Beurtheiler verkennen. Weit weniger ver⸗ mögen wir aus den farbensymbolistischen Bildern Martin Bran⸗ denburg's den Zwang innerer Nothwendigkeit und die Eigenart einer vollen Persönlichkeit herauszufinden. Die in unmöglichem Lich schillernden, halb naturalistischen, halb phantastischen Malereie haben etwas Unfertiges und Spielerisches an sich, das kein ernste und anhaltende Theilnahme für dieses unerfreulich Gemisch von Blasiertheit und Kindlichkeit aufkommen läß Den derb chargierten Schilderungen des Berliner Philister⸗ und Proletarierlebens von H. Baluschek fehlt jeder versöhnliche Zug echten Humors; auch läßt die malerische Haltung Feinfühligkeit de Blicks durchaus vermissen. daß diese letztere Eigenschaft allein eine Künstlerpersönlichkeit noch kein fesselndes Gepräge verleiht, beweist die koloristisch zartgestimmte, aber doch etwas charakterlose römische n2. vedute von F. von Schennis. be⸗ emeister's breitgemalte Land schaften aus der Mark sind hauptsächlich auf dekorative Wirkung berechnet und erzielen diese auch durch kräftige Farbengegensätze und flotte Mach Erhebliche Fortschritte hat E. Edel gemacht, wie seine zahlreiche ausgestellten Pastelle und Kreidezeichnungen, sowie einige in Oel malte Landschaften aus der Bretagne bekunden, die nicht, wie früher Arbeiten des Künstlers, in der schablonenhaften Nachahmung d schwedischen und norwegischen Maler stecken bleiben, sondern eine eigenen, persönlichen Stil mit vielem Glück proklamieren. Eine ältere, leider in ihrer Erhaltung nicht tadellose Marine von Whistler zeigt uns das Vorbild, dem Jules Wengel in seinen zarten Land⸗ schaften nachstrebt. Von plastischen Werken ist eine charaktervoll Porträtbüste des Philosophen Nietzsche von Schellba 8 wähnenswerth. 8

Die von dem Deutschen Apothekerverein begründete historisch⸗ pharmazeutische Abtheilung des Germanischen National Muse ums hat, wie aus Nürnberg berichtet wird, vor kurzem eine außerordentliche Bereicherung erhalten: die wichtigste und um⸗ fassendste, die ihr je zu theil wurde. Dank zahlreichen Spenden au pharmazeutischen Kreisen, konnte nämlich die ganze Kräuterkammer sowie die ganze Materialkammer und eine große Anzahl von Appa raten und Einrichtungsgegenständen des Laboratoriums der alte Stern⸗Apotheke zu Nürnberg, die dem Anfang des 18. Jahr hunderts angehören, käufli erworben werden. Die Apotheke und das Laboratorium des Museums haben dadurch eine Vervollständigung erhalten, wie sie aus anderer Quelle nicht mehr 3 beschaffen gewesen wäre. Für die Materialkammer mit ihrem große prächtigen Barockschrank und die Kräuterkammer müssen neue Räum sea werden; letztere, deren Schubläden sämmtlich durch gemalt

andschaften verziert sind, wird genau in der Weise aufgestellt, wie

sie vor beinahe zweihundert Jahren eingerichtet war. Das Interesse, welches die pharmazeutischen Berufskreise dem Unternehmen entgegen⸗ bringen, läßt die weitere glänzende Durchführung desselben erhoffen.

In der gestrigen Sitzung der Kaiserlich Russische Geographischen Gesellschaft machte, wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg meldet, der Vize⸗Präsident, Senator Semenow die Mittheilung, daß es übereilt wäre, die jüngst über den norwegis ““ rithjof Nansen eingetroffene Nachricht zu be streiten. Der Sibirien⸗Reisende Baron Toll habe auf den Neu Sibirischen Inseln Lebensmittelvorräthe für eine etwa zurückkehrend Polar⸗Expedition niedergelegt. In der Voraussetzung, daß Nanse⸗ seinen Rückweg über diese Inseln nehmen würde, wurde derselbe von diesen Vorkehrungen unterrichtet und mit einer Karte ver⸗ ehen, auf welcher diese Verproviantierungspunkte verzeichnet sind

ansen hätte die Neu⸗Sibirischen Inseln im Oktober oder spätesten

im Januar erreichen können. Die letzte, von Peter Kuchnarew über⸗ mittelte Nachricht erklärte Semenow in der Weise, daß die Angestellten Kuchnarew's, welche in dessen Auftrag auf den Neu⸗Sibirischen Inseln Mammuthknochen suchen, möglicher Weise Mitgliedern der Expedition begegnet seien und vielleicht Nansen selbst gesehen haben, von denen sie dann die Nachrichten erfuhren und ihrem Auftraggeber Kuchnarew mittheilten, der sie seinerseits wieder nach Irkutsk gelangen ließ.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Nach einer Bekanntmachung im niederländischen „Staats Courant“ vom 8. d. M. haben die Königlich niederländi schen Minister des Innern und der Finanzen die Einfuh von Rindvieh und Schafen aus Franien zu Schlachtzwecken unter denselben Bedingungen zugelassen, unter denen die Einfuhr solchen Viehs aus Deutschland und Belgien gestattet ist.

Des weiteren werden einige Abänderungen der für die Einfuhr von Rindvieh und Schafen aus Deutsch land und Belgien bisher in Geltung gewesenen Bestim⸗ mungen bekannt gegeben.

Hiernach darf die Einfuhr aus den bezeichneten drei Län⸗ dern nunmehr unter folgenden Bedingungen erfolgen:

1) An der Grenzstation ist eine amtliche, nicht über acht Ta alte Be an deun der Behörde des d.dr g. welcher hervorgeht, daß das Vieh, dessen Alter und Signalement an⸗ zugeben ist, während der letzten 20 Tage daselbst gestanden hat. 8

2) Das Vieh ist bei der Ankunft an der Grenzstation durch den Distrikts⸗Thierarzt oder seinen Stellvertreter zu untersu⸗ und darf zur Einfuhr nur zugelassen werden, wenn es gesund befunden wird, worüber auf dem Zeugniß der Behörde des Herkunftsorts von dem ““ Beamten ein entsprechender Vermerk zu machen ist.

„Diese Vorschrift findet jedoch bezüglich der für die Export schlächtereien bestimmten Thiere keine Anwendung, sofern nur die Ab⸗ nahme der Siegel von den Wagen, in denen das Vieh nach dem Be⸗ timmungsort transportiert worden ist, in Gegenwart des Distrikts

hierarztes oder seines Stellvertreters geschiaeht. 8