Abg. Werner (Ref.⸗P.) spricht sich für die Resolutionen der udgetkommission aus und für den Antrag Singer, soweit er die nrechnung der Militärdienstzeit auf die Unterbeamten ausdehnen
wolle. Besonders erfreulich sei es, daß den Landbriefträgern ein Gehalt on 1000 ℳ zugebilligt werden solle. Der andere Antrag des errn Singer habe nur einen agitatorischen Zweck, da die Sozialdemo⸗ aten die Gelder zur Deckung der Ausgaben nicht bewilligten. Die diätarische Beschäftigung sollte nicht so lange nach der Prüfung er⸗ folgen. Die Zeiträume schwankten in den letzten Jahren zwischen 6 nd 4 Jahren, man sollte aber immer nach 4 Jahren Diätariat die nstellung erfolgen lassen. Abg. Schwarze (Zentr.) spricht die Hoffnung aus, daß die Resolutionen einstimmi angenommen werden würden. Die Einfüh⸗ rung der Dienstaltersstufen habe den Beamten in sehr vielen Fällen eine Schädigung gebracht. 1““ 8 Abg. Lenzmann ’ Volksp.): Wir werden selbstverständlich 8. die Resolutionen der Budgetkommission stimmen. Ich möchte aber auch für die technischen Hilfsarbeiter beim Patentamt u. s. w. ein⸗ treten und freue mich, daß Herr Pauli von der rechten Seite auch r diese Beamten ein Wort eingelegt hat. Hoffentlich wird dadurch deten Regierungen beseitigt. Redner ein, deren wissenschaftliche orbildung und bedeutsame Thätigkeit wohl eine anderweite Stellung rselben verlange, und fährt fort: Diese Hilfsarbeiter müssen die atentanmeldung prüfen und auch nachforschen, ob nicht im In⸗ nde schon ähnliche Patente vorhanden sind. Sie müssen also technisch und auch juristisch vorgebildet sein. Die technischen Hilfs⸗ arbeiter des Patentamts haben sämmtlich die Maturitätsprüfung bestanden.* Es ist in der letzten Zeit schwierig geworden, für diese Stellung Personen zu finden, weil die Industrie die Leute bedentend esser bezahlt. Das Patentamt muß diese Beamten schon durch eitungsanzeigen suchen, was bisher bei Reichsbeamten doch nicht blich war. Alle diese Gründe sollten die Reichsverwaltung doch estimmen, auf die finanzielle Mehrbelastung nicht so großes ewicht legen. Einen Antrag will ich nicht stellen, ich spreche aber den ringenden Wunsch aus, daß der nächste Etat eine Erhöhung der ehälter dieser Beamten bringen möge.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Neumann: Für diese Hilfs⸗ rbeiter ist in so fern Sorge getragen worden, als die Aufrückungszeit on 21 auf 18 Jahre herabgesetzt ist. Von der Gesammtzahl der chnischen Hilfsarbeiter hat nur ein Drittel die Maturitätsprüfung emacht. Eine Gehaltserhöhung für das nächste Jahr kann nicht in
Aussicht gestellt werden, da zahlreiche akademisch gebildete Leute vor⸗ anden sind, die die gleichen Ansprüche hätten. Trotz des Fehlens er akademischen Bildung können die technischen Hilfsarbeiter in die
Stellen der Mitglieder des Patentamts aufrücken.
Abg. von Leipziger (d. kons.): Bereits im vorigen Jahre in ich für die sechalschen ilfsarbeiter eingetreten; ich kann auch eute nur ein Wort für eine Gehaltserhöhung dieser schwer ein⸗ rangierenden Beamten einlegen. Zu wünschen wäre haupt⸗ chlich noch, daß die Resolution Nr. 3 bei der Regie⸗ ung Erfolg hätte. Für die Landbriefträger wünschen auch wir n Meistgehalt von 1000 ℳ. Herr Singer kennt die Verhältnisse
der Landbriefträger nicht; ihre wärmste Vertretung haben sie auf der chten Seite des Hauses gefunden. Die Anträge des Herrn inger erfordern so viel Geld, daß die Parteien, welche das Geld
bewilligen, ihm nicht folgen können. Daß Herr Singer Zufrieden⸗ eit sbasten will, muß doch bezweifelt werden. Er weiß, daß die
ehrheit des Hauses seinen Antrag nicht annimmt, und gerade
eshalb stellt er sich als den Mann hin, der allein helfen will.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ich protestiere ebenfalls
dagegen, daß die Rechte für die technischen Hilfsarbeiter kein Herz
haben soll. Mit Redensarten hilft man nicht, sondern nur dadurch, daß man das nöthige Geld zur Verfügun stellt, dann werden die hefs für die Beamten ihrer Verwaltung schon sorgen. Alles Uebrige ist nur geeignet, die Disciplin zu lockern. Wenn das Geld vorhanden t, dann muß durchgreifend eine Aufbesserung der Gehälter erfolgen, aber eine einzelne Kategorie kann man nicht herausgreisen. Auch in der Armee müssen für die Unteroffiziere und die Subalternoffiziere ie Gehälter erhöht werden. Daraus, daß wir weniger Reden zum enster hinaushalten wie Sie (nach links weisend), folgt noch nicht, aß wir weniger Interesse für die Beamten haben als Sie. Redner erklärt sich für die Resolution der Budgetkommission. Wenn ernsthaft etwas geleistet werden solle, dann müßten die Mittel bewilligt werden, und dann werde sich zeigen, wer mehr Herz für die Beamten habe.
Abg. Singer (Soz.): Ich überlasse es dem Hause, zu entscheiden,
wo mehr Redensarten zu finden sind: bei uns oder drüben. Bringen ie uns doch Steuern, die wir annehmen können, das heißt Steuern, elche die Reichen treffen. Aber Steuern, welche auf die Schwächsten
in der Bevölkerung drücken, die aus der Tasche des armen Mannes genommen werden, können wir nicht bewilligen, und damit vertreten wir mehr die Interessen des Volks als Sie (rechts). Daß der An⸗ trag nicht angenommen werden kann, habe ich nicht gewußt; ich habe
Sie vielleicht überschätzt, ich habe angenommen, daß Sie den Noth⸗ tänden etwas warmherziger E würden. Unerschwinglich
sind die Summen nicht, welche die Erfüllung meiner Anträge er⸗ fordern würde. Ueber die Unzufriedenheit im Lande bin ich durchaus icht besorgt, denn Unzufriedenheit ist die Quelle alles Fortschritts.
Man muß Unzufriedenheit anregen, die Zustände schildern, wie sie nd, um dadurch zur Abhilfe anzuregen. Die Diskussion hat ergeben, aß die Anträge als berechtigt anerkannt werden, aber auch, daß die arteien mit Ausnahme der linken Seite nicht bereit sind, die Wünsche er Beamten zu erfüllen. Wenn Sie die Wünsche erfüllen wollen,
sfo haben Sie ja die Mehrheit und können allein die Steuern und andere Einnahmen beschließen; wozu sollen wir auch dafür stimmen!
Wenn wir gegen den Etat stimmen, so geschieht das, weil die An⸗
nahme des Ekats ein Vertrauensvotum ist, zu dem wir keinen Anlaß haben, und weil der wesentlichste Theil des Etats, der Militäretat, on uns für kulturwidrig gehalten wird.
8 Abg. Dr. Lingens (Zentr.): Bei den Bewilligungen haben wir
uns an die vorhandenen Einnahmen zu halten. Wir können doch nicht ein Eldorado schaffen und Wechsel auf die Zukunft ausstellen.
Die Anträge der Budgetkommission werden mit einer an
Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit angenommen; die Anträge
des Abg. Singer gegen die
und “ abgelehnt. 1
folgt die Berathung des Etats der Reichs⸗Eisen⸗ bahnen. Bei den Ausgaben für die Kosten der Züge führt
Abg. Graf von Kanitz aus, daß dieselben eine Verminderung
zeigen, weil die Kohlenpreise ermäßigt seien. Der Preis, fährt Redner
fort, ist im vorigen Jahr mit 12,40 ℳ, dieses Mal mit 11,15 ℳ angesetzt worden. Seit 1892 hat eine allmähliche Abnahme des Preises
sich gezeigt. Das ist um so erfreulicher, als bei den preußischen Staats⸗ bahnen eine ähnliche Ermäßigung nicht wahrzunehmen ist. In Preußen sind die Kohlen abgeschlossen mit 8 — 8,60 ℳ ab Zeche. Beruht dieser Preis von 11,65 ℳ auf einem bereits abgeschlossenen Vertrage, oder vermuthet die Eisenbahnverwaltung nur diese Preise zu erzielen? Meine Frage soll keine indiskrete sein. Auf dem Ruhrkohlengebiet herrscht die Tendenz, die Preise in die Höhe zu setzen. Ein Börsen⸗ blatt meldet, daß die Preise 5 ℳ höher pro Doppellader abge⸗ schlossen werden. Wenn mir eine Antwort aus irgend welchen Gründen nicht ertheilt werden sollte, so würde ich mich damit zufrieden geben.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Ich habe durchaus keine Veranlassung, bezüglich der Reichseisenbahnen die von dem Herrn Grafen Kanitz gestellte Frage nicht zu beantworten. Die Reichseisenbahnen beziehen ihre Kohlen aus den fiskalischen Gruben an der Saar, theilweise aus Privatgruben an der Saar, theilweise für die luxemburgische Strecke zwar nur in einem geringen Betrage aus Belgien und theils in Form von Briquets aus Belgien und von der Ruhr. Die Preise haben in den letzten Jahren ermäßigt werden können, weil die früher ab⸗
geschlossenen Verträge abgelaufen waren und es namentlich gelungen
timmen der Sozialdemokraten
—
ist, mit der Privatzeche Rossel günstige Verträge abzuschließen. Ich muß indessen dabei bemerken, daß die Qualität der letzteren Kohle derjenigen aus den besseren fiskalischen Gruben nicht vollkommen adäquat ist. 8
Die Verträge mit den betreffenden Kohlenzechen laufen noch bis in das Jahr 1897 hinein. Es konnte also in den Etat ein fester Preis aufgenommen werden. 1
Was die Beschaffung der Kohlen für die preußischen Staats⸗
bahnen betrifft, so bin ich mit der Antwort nicht so freigestellt.
Die Verträge mit dem Ruhrkohlensyndikat, die auf zwei Jahre geschlossen waren, laufen am 1. Juli d. S. b Sb kann mich begreiflicherweise hier nicht darüber äußern, was ich von dem zukünftigen Vertrag denke; es würde das den bevorstehen⸗ den Verhandlungen möglicherweise störend vorgreifen. Es ist aller⸗ dings von seiten des Kohlensyndikats vielfach versucht worden, höhere Preise zu erzielen; die auf die Ruhrkohlen angewiesenen Industriellen können darüber ein Wort reden. Indessen ist immerhin anzunehmen, daß das Kohlensyndikat auf seinen Hauptkunden und auf die mannig⸗ fachen Verhältnisse, in denen das Syndikat zur Eisenbahnverwaltung steht, gebührende Rücksicht nehmen wird.
Im allgemeinen möchte ich noch bemerken, daß die Preise, wie sie in den Etat für die Reichs⸗Eisenbahnen wie für die preußischen Staatsbahnen aufgenommen sind, Durchschnittspreise sind, die sich er⸗ geben, wenn man die verschiedenen Bezugspreise der einzelnen Zechen zusammenrechnet. Bei den preußischen Staatsbahnen kommen in Be⸗ tracht Ruhrkohle, oberschlesische Kohle, Saarkohle und auch etwas Kohle aus dem Aachener Revier und in ziemlich großem Umfange Briquets. Seitdem die Briquettierung der Steinkohle in dem Maße zugenommen hat, wie das augenblicklich der Fall ist, empfiehlt es sich, für diejenigen Kohlen, die man längere Zeit lagern muß, in erster Linie Briquets zu nehmen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß der Brennwerth der Briquets durch längeres Lagern viel weniger alteriert wird als der Brennwerth der Kohle.
Abg. Dr. Lingens (Zentr.) fragt, welchen Einfluß die neuesten Maßregeln, z. B. die Einstellung der Gütertransporte, auf die Sonntags⸗ ruhe gehabt hätten.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Die Sonntagsruhe ist auf den Reichs⸗Eisen⸗ bahnen bezüglich des Güterverkehrs vollständig durchgeführt; es wird Sonntags nur noch ein Güterzug befördert von Belgien nach Basel; im übrigen ruhen Sonntags die Güterzüge, und bei diesem System wollen wir auch nach den gemachten Erfahrungen verbleiben, was natürlicher Weise nicht ausschließt, daß in Zeiten außerordentlichen Verkehrsandranges, in Zeiten, wo es gilt, den Wagenumschlag thunlichst zu beschleunigen, Ausnahmen gemacht werden müssen. Ich kann hinzusetzen, daß auch auf den preußischen Staats⸗ bahnen das gleiche System mit Erfolg durchgeführt ist, daß aller⸗ dings zur Zeit des Wagenmangels, den wir im September und Oktober gehabt haben, die Sonntagsruhe für einen Theil der Züge hat aufgegeben werden müssen, sofort aber wieder eingeführt worden ist, nach⸗ dem normale Zustände wieder eingetreten sind.
Ich kann Herrn Dr. Lingens auch mittheilen, was ja jedes Jahr
geschehen ist, welche Wirkung auf die einzelnen Kategorien des Personals die Einführung der Sonntagzruhe gehabt hat. Es haben vom Bureaupersonal durchschnittlich an jedem Sonn⸗ oder Feiertag den ganzen Tag Ruhe 80,79 %, außerdem einen halben Tag 13,98 %. Beim Stationspersonal ist dieses Verhältniß nicht so günstig; es haben 33,49 % den ganzen Tag und 14,94 % den halben Tag, beim Fahrpersonal 42,50 % den ganzen Tag, 7,61 % den halben Tag, beim Streckenpersonal 41,75 % den ganzen Tag und 4,68 % den halben Tag, beim Expeditionspersonal 46,56 % und 17,79 %, beim Telegraphen⸗ und Werkstättenpersonal 78,88 und 2,99 % Sonntagsruhe gehabt. Außerdem ist auch den an Sonntagen beschäftigten Beamten die Möglichkeit zum Kirchenbesuch gegeben; das ist geschehen beim Bureau⸗ personal bei 94 %, beim Stationspersonal bei 58 %, Fahrpersonal 50 %, Streckenpersonal 46 %, Expeditionspersonal 64 % und Tele⸗ graphen⸗ und Werkstättenpersonal 81 %. Der Herr Abg. Lingens wird aus diesen Zahlen ersehen, daß die Ruhe an den Sonntagen für das gesammte Personal in erfreulichem Fortschritt begriffen ist.
Abg. Dr. Lingens: Die Mittbeilungen sind sehr dankenswerth; es wäre aber erwünscht, zu erfahren, welchen moralischen und gesundheit⸗ lichen Einfluß die Sonntagsruhe auf die Beamten ausgeübt hat.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Daß die Sonntagsruhe in sanitärer und mora⸗ lischer Beziehung gut wirkt, davon bin ich überzeugt; indessen die Statistik läßt mich in dieser Beziehung völlig im Stich. Ich glaube auch, daß die Beamten es sehr ungern sehen würden, wenn wir in der Beziehung eine Statistik über sie aufnähmen. (Sehr richtig! rechts.) Die Unzufriedenheit unter den Beamten hat ganz andere Gründe, die ich hier nicht auseinandersetzen will, um nicht zu später Stunde noch eine große Debatte bervorzurufen. Ich glaube, die meisten Herren im Hause kennen diese Gründe ebensogut wie ich.
Abg. Freiherr von Stumm hält auch dafür, daß die Sonntags⸗ ruhe moralisch und gesundheitlich gut wirke, das könne er aus per⸗ sönlicher Erfahrung bestätigen.
Abg. Graf von Kanitz (d. kons.): Ich nehme an, daß die Qualität der Kohlen keine geringere ist, denn dann würde ein Mehrverbrauch und dadurch eine Mehrausgabe entstehen. Bei den preußischen Eisenbahnen 82 natürlich nur Durchschnittspreise. Ich glaube aber doch, daß kein Bedürfniß vorlag, über den vorjährigen Preis, der schon ein ziemlich hoher war, hinauszugehen. 1
Abg. Dr. Hammacher: Der Reichstag ist doch wohl nicht der Ort, um die Kohlenpreise für die preußischen Staatsbahnen zu erörtern. Für die Reichseisenbahnen seßt sich der Preis zusammen aus den Preisen der Zechen und den ransportkosten. Es werden hauptsächlich Saarkohlen deren Produktionsgebiet dem
Reichslande benachbart ist.
Im übrigen werden die dauernden Ausgaben ohne Debatte bewilligt. 2
Unter den einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats sind 3 500 000 6S. ermehrung der Betriebsmittel ausgeworfen: zur Beschaffung von Lokomotiven und namentlich von Personen⸗ und Güterwagen, die auf den Reichsei enbahnen nicht in genügender Hahe vorhanden sind. Diese Ausgaben sowie die einmaligen Ausgaben des außerordentlichen Etats — 2 853 500 ℳ für den Ausbau neuer Bahnen und zweiter Gleise — werden ohne Debatte bewilligt.
Beim Etat des Reichs⸗Eisenbahnamts regt
Abg. Dr. Hammacher die Abänderung des Art. 10 der Berner Frachtkonvention an, damit die Schwier keiten beseitigt würden, welche durch die Maßregeln der kussischen Zollverwaltung ent⸗
standen seien. 8 b Präsident des Reichs⸗Eisenbahnamts Schulz erklärt, daß die Frage auf die Tagesordnung der nächsten interna len Versamm⸗
verbraucht,
lung gesetzt werden solle und zwar auf Grund eines deutschen Antrags, der von den Interessenten gebilligt und von der österreichischen Regierung unterstützt sei. 8
Der Etat wird genehmigt.
Es folgt der Etat des Reichs⸗Invalidenfonds.
Bei den Invalidenpensionen infolge des Krieges von
1870/71 fragt —
Abg. Graf Oriola (nl.), wie sich die Regierung zu den im vorigen Jahre verhandelten Petitionen von Kriegsinvaliden wegen Er⸗ höhung ihrer Pensionen stelle. In den Petitionen, führt Redner aus, sind viele Irrthümer enthalten, weil die Petenten die Invaliden⸗ gesetzgebung nicht kennen. Es wäre daher dringend wünschenswerth im Interesse der Regierung und des Hauses und zur Aufklärung der Invaliden, wenn die in der Gefetzsammlung weit zerstreute Gesetzgebung kodifiziert würde. Die Budgetkommission hat im vorigen Jahre die Absicht gehabt, den Petitionen, soweit sie wünschen, daß die im Staats⸗ und Reich dienst angestellten Invaliden ihre behalten sollen, Berücksichtigung angedeihen zu lassen.
ine andere Frage ist die anderweitige Ordnung der Entschädigung für Nichtbenutzung des Zivilversorgungsscheins. Gewünscht wird auch eine allgemeine Erhöhung der Pensionen, die aber schwerlich durch⸗ geführt werden kann. Man müßte aber vielleicht prüfen, ob nicht wenigstens die Pension der gänzlich Erwerbsunfähigen erhöht werden könne und ob nicht für die Wittwen und Waisen der Gefallenen besser gesorgt werden kann. Es ist fraglich, ob die Summen, welche im vorigen Jahre bewilligt sind zur Unterstützung der gänzlich Er⸗ werbsunfähigen und der öö1ö“ ausreichend gewesen sind. Wir müßten eine Statistik über die Zahl der Berücksichtigten und Nichtberücksichtigten erhalten. Vorsichtig müssen wir 8 denn durch eine etwaige Konvertierung werden die Einnahmen des Reichs⸗Invalidenfonds erheblich geschmälert. Im Namen einiger meiner politischen Freunde kann ich erklären: wenn die Mittel des Reichs⸗Invalidenfonds nicht ausreichen, sind wir bereit, eine Wehr⸗ steuer einzuführen. 1
AbWbg. von Schöning (dkons.): Ich bedauere, daß dieses wich⸗ tige Thema in so später Stunde zur Verhandlung kommt. Viele Leute im Lande erwarten, daß auf diesem Gebiet eine Besserung geschaffen wird. Wer eine Pension verdient hat, dem muß man sie auch lassen, wenn er in den Staats⸗ und Kommunaldienst eintritt. Selbst bei der knappen Finanzlage müßten wir für solche Dinge das Geld haben. Wir haben das Geld zu Prachtbauten, aber nicht für diese Zwecke, trotzdem wir die Ehrenpflicht hätten, für diese Ausgabe einzutreten. 1 b
Abg. Rickert (fr. Vg.): Es handelt sich um eine Ehrenpflicht des Reichs, die erfüllt werden muß, und es werden sich auch die Mittel dazu finden. Ich persönlich habe die Meinung, daß der Reichs⸗Invalidenfonds, wenn man ihn nicht zu ängstlich anfaßt, einiges Geld hergeben wird. Ich hätte gewünscht, daß die Herren vom Bundesrath uns eine Antwort gegeben hätten.
General⸗Lieutenant von Spitz: Wenn ich den Herren so ant⸗ worten könnte, wie es aus dem Herzen der Militärverwaltung kommt, so würden Sie vernehmen, daß Keiner in diesem Hause, mag er noch so warm fühlen für unsere Invaliden und Veteranen, uns darin übertrifft. Die Militärverwaltung ist aber nur ein Glied in unserem großen Staatswesen und ihre Wünsche werden modifiziert durch das, was die Reichsregierung allgemein für durchführbar hält. Von diesem Stand⸗ punkt aus muß ich sagen, daß die hier gemachten Vorschläge von einer sehr großen unberechenbaren finanziellen Bedeutung sind. Der Vorschlag, allen wieder im Staatsdienst angestellten Militärpensio⸗ nären ihre Pension ganz oder in höherem Maße als jetzt zu belassen, würde sechs Millionen jährlich erfordern. Nachdem erst 1893 diese Angelegenheit zum Vortheil der Pensionäre geregelt worden ist, weiß ich nicht, ob die verbündeten Regierungen den Zeitpunkt für gekommen erachten, die Sache anderweitig zu regeln. Was die Entschädigung für den Zivilversorgungsschein betrifft, so muß man zwei Kategorien unterscheiden. Den Anstellungsschein bekommt ein Invalide, der nach freier Wahl den Zivilversorgungsschein verwenden oder eine Entschädi⸗ gung nehmen kann. Diese freie Wahl ist aber bei dem vollkommen invaliden und dienstunfähigen Mann ausgeschlossen, er muß die Ent⸗ schädigung annehmen, und es ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn diese Entschädigung höher ausfällt als die andere. Auch in der wichtigen 8 e der Veteranenversorgung liegen Herz und Kopf im Streite.
dach den Freiheitskriegen hat es 45 Jahre gedauert, bis man anfing, den Veteranen, die brav gekämpft hatten, aber durchaus keinen Schaden erlitten hatten, nach Maßgabe der vorhandenen Mittel freundlich gegenüberzutreten. Im vorigen Jahre sind nun für die bedürftigsten Veteranen 1 800 000 ℳ bewilligt worden; wir haben 770 000 Veteranen, und daß darunter eine ganze Menze erwerbsunfähiger und bedürftiger Leute ist, liegt auf der Hand. Diese Zahl haben wir gewonnen nach Maßgabe der Zahl der Soldaten, welche die französische Grenze über⸗ schritten haben, und mit Zuhilfenahme der bekannten englischen Tafeln, die von den Lebensversicherungsgesellschaften benutzt werden, und durch die allgemeine deutsche Volksstatistik. Daß 120 ℳ für einen erwerbs⸗ unfähigen Mann, der garnichts Anderes hat, nicht genügen, liegt auch auf der Hand. Andererseits kann nicht geleugnet werden, daß, wenn ein Mann, der doch nicht durch den Staatsdienst erwerbsunfähig und bedürftig geworden ist, 120 ℳ bekommt, dies doch eine dankbar zu be⸗ grüßende Beihilfe ist. Wir theilen diese Ehrengaben nicht aus, sondern die Zivilbehörden, in Preußen das Ministerium des Innern.
kühler Ueberlegung kann man hier nicht einen Rechtsanspruch, bezw. eine icht des Staats anerkennen. Es wäre dies auch ein bedenk⸗ liches Präzedenz für spätere Kriege. Es ist schwer, etwas zurück⸗ zuschrauben, was einmal ins Leben gerufen ist. Es wäre auch schwierig, die jetzige Invalidenversorgung, die ein gesetzlicher Anspruch ist, zurückzuschrauben. Denken wir einmal, wir bekommen einen großen Krieg, der vielleicht noch mehr Invalide macht, wie der letzte, und die Mittel des letzten Krieges sind nicht vorhanden
— dann wird es dem durch den Krieg erschöpften Lande doch sehr
schwer werden, dies alles in der Weise durcgfuführra wie es bis jetzt
geschehen ist. Das Ss bei aller Wärme des Gefühls, welches wir mit Ihnen theilen, wohl erwogen werden.
Unter⸗Staatssekretär im Reichsschatzamt Aschenborn: Der Abg. Graf Oriola verlangt eine Statistik über die Beihilfen an die gänzlich er⸗ werbsunfähigen Kriegstheilnehmer. Der durch das Gesetz vom 22. Mai 1895 dafür festgesetzte Ausgabebedarf des Jahres 1895/96 ist wieder unverändert in diesen Etat eingestellt worden, da die Unterlagen für eine anderweite Veranschlagung noch fehlen. Diese Summe von 1 800 000 ℳ ist an die Bundesstaaten nach Maßgabe der Matrikular⸗ beiträge vertheilt worden, eine Auskunft über den Finalabschluß des Jahres liegt aber seitens der Bundesstaaten noch nicht vor. Nur von Bayern ist die Auskunft eingegangen, daß von 1700 angemeldeten Personen 1500 berücksichtigt werden konnten. Verhältniß günstig sein. . würde sich also erst im Etat für 1897/98 zeigen. — vom 22. Mai 1895 wollten wir die Frage zum Abschlu bringen, um den Betheiligten Ruhe zu geben und sie von weiteren Ge fernzuhalten. Der Invalidenfonds hatte im vorigen Jahre einen Aktivbestand von 83 Millionen Markv; seitdem ist er mit dem Bedarf des Gesetzes vom 22. Mai 1875 belastet worden das macht 2 300 000 ℳ Die Regierung wird nicht engherzig in der Beurtheilung dieser Ver⸗ hältnisse vorgehen, das beweist auch die Erhöhuns des Dispositions⸗ fonds für ÜUnterstützungen an Kriegstheilnehmer von 400 000 auf 700 000 ℳ Vom Invalidenfonds dürfen nur die Zinsen verwendet werden, und wenn der Zinsfuß noch weiter heruntergeht, müssen wir schließlich Zuschüsse geben. Der Invalidenfonds ist aber seiner ganzen Natur nach ein Mussterbefonds⸗ der Bedarf vermindert sich durch Ab⸗
ang infolge Todes schließlich bis zum Nullpunkt. tur in diesem Fahre haben wir wegen der neuen Belastung eine Mehrausgabe. Alles dies beweist, daß ganz viel für die materielle Lage der 8 . geschehen ist.
Abg. Graf Oriola eh. Ich vermisse eine Beantwortung meiner Frage über die Statistik. Daß sie noch nicht vorhanden ist, verstehe ich wohl, aber man hätte doch erklaͤren können, daß eine folche Statistik vorgelegt werden soll. Wenn das Verhältnih der
Darnach würde das Wieweit die Summe erhöht werden kann, Durch das Gesetz⸗
bildungsschule. Die ‚müssen, ob ein Ortsstatut, was zu obligatorischem Besuch der Schule
unterstützungsbedürftigen Veteranen zu den unterstützten wie 17:15 ist, so würde doch hier eine weitere Hilfe möglich sein. Die Rücksicht auf den nächsten Krieg kann uns nicht abhalten, den be⸗ rechtigten Forderungen der Invaliden gerecht zu werden; denn dann müßten wir gar keine Pensionen gewähren.
Im übrigen wird der Etat ohne weitere Debatte ge⸗
nehmigt. . Schluß 5 ³ Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr
(Rechnungen und Wahlprüfungen).
111“
Prenßischer Landtag. Haäaus der Abgeordneten.
24. Sitzung vom 21. Februar 1896
Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite Berathung des Staatshaus⸗ halts⸗Etats für 1896/97 und zwar des Etats der Ver⸗ waltung für Handel und Gewerbe fort.
Zum Kapitel „Gewerbliches Unterrichtswesen“ er⸗ klärt der
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Zunächst möchte ich Herrn Abg. von Eichel auf seine Anregung bezüglich der Fürsorge für die Handweber in seiner Heimath bemerken, daß die Absicht vorliegt, in dem Regierungsbezirk Liegnitz zwei Lehrwerkstätten zu errichten, von denen aus die be⸗ treffenden Lehrer, so wie es schon jetzt an anderen Stellen geschieht, als Wanderlehrer auf die Dörfer hinausgehen, die Beschaffenheit der Webstühle untersuchen, Verbesserungen anrathen und die Leute nach Möglichkeit in ihrem Handwerk vorwärts zu bringen suchen. Wo der Sißz dieser beiden Lehrwerkstätten im Regierungsbezirk Liegnitz sein wird, das zu sagen, bin ich heute noch nicht in der Lage; die Ver⸗ handlungen sind noch nicht abgeschlossen.
Nun, meine Herren, haben die Ausführungen über die Frage der Ertheilung des Religionsunterrichts an den gewerblichen Schulen doch eine so bedeutende Ausdehnung gewonnen, es ist ihr von den meisten Parteien des Hauses eine so große Bedeutung beigelegt worden, daß ich glaube, doch noch mit einigen Worten darauf zurück⸗ kommen zu sollen — um so mehr, als mir scheint, daß meine gestrigen Ausführungen nicht richtig verstanden worden sind.
Ich stehe im wesentlichen auf dem Standpunkt, den der letzte Herr Vorredner eingenommen hat. Ich habe mich dahin ausgesprochen, daß ich es nicht für richtig halte, den Religionsunterricht zu einem obligatorischen Lehrgegenstand der gewerblichen Fortbildungsschulen, auch nicht der Fachschulen zu machen, daß ich es aber für durchaus wünschenswerth halte, daß an diesen Unterricht sich ein frei⸗ willig ertheilter Unterricht, der von der Kirche einzurichten ist, anzu⸗ schließen habe. Ich habe erklärt, daß ich in allen Fällen, wo man an mich herangetreten ist und in dieser Beziehung Wünsche geäußert hat, Anweisungen gegeben habe, daß der Lehrer die Schüler so lange msammenhalten soll, bis der Geistliche, der den Religionsunterricht giebt, kommt, daß die Lokale geoͤffnet bleiben sollen, daß überhaupt allen Bestrebungen, die von geistlicher Seite aus hervortreten, an die heranwachsende gewerbliche Jugend Religionsunterricht zu ertheilen, durchaus entgegengekommen werden soll. Ich bin sehr gern bereit, in demselben Sinne fortzufahren, ja eine allgemeine Anweisung an die Behörden ergehen zu lassen, um zu solchen Versuchen noch mehr anzuregen. Eine Anregung, Religions⸗ unterricht an die Jugend freiwillig zu ertheilen, wird allerdings auch meinen Beobachtungen nach nothwendig sein; bis jetzt sind die Fälle, wo sich Geistliche freiwillig angeboten haben, Religions⸗ unterricht an den Fortbildungsschulen zu ertheilen, doch nur selten, und ich glaube, daß es ganz wünschenswerth wäre, wenn von kirch⸗ licher Seite auf ihre Organe eingewirkt und die Aufmerksamkeit der Geistlichen auf die freiwillige Ertheilung des Religionsunterrichts an diesen Schulen gelenkt wird, ohne daß dieser zu einem obligatorischen Gegenstand gemacht wird.
Meine Herren, ich würde derartige Aufmunterungen auch nach anderen Richtungen für sehr wünschenswerth halten. Wir haben in weitem Umfange die Sonntagsruhe im Gewerbe eingeführt, und nach meiner Auffassung kümmern sich die gebildeten Klassen nicht genügend um die Art, wie die gewerbliche Jugend ihre Sonntage verbringt. Es ist eine häufig wiederkehrende Klage, daß die Wirthshäuser zu viel von diesen jungen Leuten besucht werden, und daß ihnen zu wenig Gelegenheit geboten wird, sich in einer anständigen, sie sittlich auch fortbildenden Weise an einem Sonntag zu unterhalten.
Also, ich bin bereit, diese Anregung zu geben, und ich werde mich zu diesem Zweck mit dem Herrn Kultus⸗Minister in Verbindung setzen. Wenn wir Beide nach dieser Richtung hin wirken, daß die freiwillige Ertheilung und der freiwillige Besuch des Religionsunterrichts ge⸗ fördert wird, so hoffe ich, daß wir zu einem befriedigenden Resultat kommen werden. Dann entfällt auch jeder Zwang und jede Beeinflussung.
Meine Herren, die Sache liegt ja so: wir haben nicht eine allgemeine Fortbildungsschule, sondern wir haben in Preußen nur eine gewerbliche Fortbildungsschule, die ihr Fundament in der Gewerbe⸗ ordnung hat. Der betreffende Paragraph der Gewerbeordnung, der den Gemeinden die Befugniß giebt, Ortsstatute zu errichten und in diesem Ortsstatut den Arbeitgebern die Pflicht aufzuerlegen, ihren Arbeitern die Zeit freizulassen, um die Schule zu besuchen, und auf der anderen Seite den jugendlichen Arbeitern die Pflicht aufzuerlegen, die Schulen zu besuchen, — ist die gesetzliche Grundlage unserer Fort⸗ Gemeinden sind diejenigen, die beschließen
verpflichtet, erlassen werden soll oder nicht.
Wie gesagt, die Entwickelung hat bisher dahin geführt, daß die Ertheilung des Unterrichts ganz wesentlich vom gewerblichen Stand⸗ punkt aus vor sich geht. Würde man die Religion als obligatorischen Lehrgegenstand in diese Schule einfügen, so ändert sich meiner Auf⸗ fassung nach der Charakter dieser Schule, und wir müssen ihr andere Unterlagen geben: sie muß dann zu einer allgemeinen Fortbildungs⸗ schule gemacht werden. Und wenn man auf dem Standpunkt steht, den Religionsunterricht in diese Schule einzuführen, so muß man konsequenterweise auch noch einen Schritt weiter gehen und ihn obligatorisch machen. Man kann dann nicht sagen: wir wollen es
dem Zufall überlassen, ob in einer Gemeinde ein Ortsstatut beschlossen
wird oder nicht.
Ich aber glaube, man thut besser, das Gesetz aus dieser Frage herauszulassen und die Freiwilligkeit wirken zu lassen. Für die Fachschulen bleiben meine Bedenken gegen die Einführung des
Religionsunterrichts bestehen; die habe ich bereits gestern zum Ausdruck gebracht.
Es ist meiner Auffassung nach ein großer Unterschied zwischen den gewerblichen Fachschulen und allgemeinen Unterrichtsanstalten in Bezug auf die Ertheilung des Religionsunterrichts. Der Religions⸗ unterricht muß ganz nothwendiger Weise einen Hauptbestandtheil der Erziehung jedes jungen Menschen bilden in den Anstalten, die sich vornehmen, den ganzen Menschen zu erziehen nach allen Richtungen hin. Bei diesen Fachschulen aber handelt es sich lediglich um eine ganz bestimmte Seite der Erziehung. Die Folge davon ist auch die, daß das Schülermaterial ein ganz ungewöhnlich verschiedenes ist. Ganz andere Unterschiede zeigen sich hier, als sie sich in den allge⸗ meinen Lehranstalten, Gymnasien oder ähnlichen, finden. Sie haben erstens mal zum theil einen sehr weit⸗ gehenden Altersunterschied, wie ich gestern bereits bemerkt habe, dann eine ungemein verschiedene Vorbildung; ferner, meine Herren, die Dauer des Besuchs der Schule ist auch bei dem Einzelnen durchaus verschieden: der Eine nimmt einen Kursus, der Andere zwei; der Eine den ganzen Unterricht, der Andere nur einen Theil desselben. Kurzum, diese Anstalten sind so wenig zu vergleichen mit den Anstalten, die den ganzen Menschen erfassen sollen, daß ich glaube, daß die Gründe, die gegen die Einführung des Religionsunterrichts als Lehrgegenstand an diesen Schulen sprechen, doch so sachlich sind, daß man wohl thut, auf die Frage sich nicht einzulassen. Aber auch hier kann die Einrichtung getroffen werden, daß die Geistlichkeit des Orts einen freiwilligen Religionsunterricht für die jungen Leute der Fachschulen einrichtet, und da würde meines Erachtens gar kein Bedenken vor⸗ liegen, daß die Vorstände der Unterrichtsanstalten die Schüler ihrer Anstalten darauf aufmerksam machen und auffordern, den Religions⸗ unterricht zu besuchen. Wie gesagt, meine Herren, ich erkenne die Be⸗ deutung der religiösen Erziehung der Jugend gerade so an wie jeder von Ihnen. Ich habe mich nur dagegen gewehrt, die Religion als obligatorischen Gegenstand in den zur gewerblichen Erziehung be⸗ stimmten Anstalten einzuführen.
8 Abg. von Eynern (nl.) stimmt den Ausführungen des Ministers zu. Das Fortbildungsschulwesen könne nicht, wie das Volks⸗ schulwesen, konfessionell getrennt werden; denn daß dann der konfessionelle Streit in diese Schulen hineingetragen würde, dafür würden schon meine Freunde vom Zentrum sorgen. Der Religionsunterricht dürfe daher nicht obligatorisch gemacht werden, er müsse auf Freiwilligkeit beruhen. Wenn das Zentrum die jungen Leute vor der Soztaldemo⸗ kratie bewahren wolle, dürfe es nicht, wie es bei der Wahl in Dort⸗ mund geschehen sei, für die Sozialdemokratie stimmen.
Auf eine Bemerkung des Abg. Schaffner 89 erwidert Ge⸗
heimer Regierungs⸗Rath Simon, daß für die gewerblichen Schulen im Regierungsbezirk Wiesbaden ein Zuschuß von 52 000 ℳ gegeben werde, also mehr als in anderen Bezirken. Abg. Schenck (frs. Vp.) meint, daß der Staat nicht nur den Schulen Zuschüsse gewähren soll, welche ursprünglich durch freie Vereinsthätigkeit, wie in Wiesbaden, gegründet seien, und bittet um eine Statistik über das gewerbliche Unterrichtswesen.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Ich bin bereit, den Wunsch des Herrn Vorredners zu erfüllen. Wir sind mit der Aufstellung einer eingehenden Statistik beschäftigt und werden sie dem hohen Hause vor der nächsten Session zugehen lassen. Abg. Dasbach (Zentr.) behauptet, daß in Dortmund seitens des Zentrums of ziell Wahlenthaltung proklamiert worden sei und daß in der Stichwahl viele gestimmt haben, welche sich im ersten Wahl⸗ gang der Stimme enthalten haben. Die Zentrumspartei habe nichts
nderes gethan, als die Nationalliberalen auch oft gethan hätten. Das nationalliberale „Iserlohner Tageblatt“ habe einen Sozial⸗ demokraten für ein kleineres Uebel als den Abg. Eugen Richter erklärt. Redner geht noch auf einige andere ähnliche Wahlvorgänge ein, wird aber vom Vize⸗Präsidenten Krause darauf aufmerksam ge⸗ macht, daß dies nicht zum gewerblichen Schulwesen gehört, worauf Abg. Dasbach für heute auf weitere Bemerkungen verzichtet. Abg. Dr. Sattler (nl.): Der Abg. Dasbach hat reichliches Material über diese Sache bei sich, ich kann heute darauf nicht ein⸗ gehen; wenn er mir aber ein Stelldichein geben will, werde ich ihm mit genügendem Material über das Verhalten des Zentrums bei Stich⸗ wahlen dienen, ich erinnere nur an Camberg. Herr von Eynern behauptet nicht, daß sämmtliche Angehörige der Zentrumspartei für den Sozialdemokraten Lütgenau eingetreten seien, sondern nur, 5 die Thaten des Zentrums nicht mit dem Kampfe gegen die Sozial⸗ demokratie übereinstimmen. Abg. Reichardt (nl.) führt aus, daß der Vormittagsunterricht in den Fachschulen viel bessere Resultate zeitige als der Abend⸗ Feeeshh und schildert die gute Organisation der Tischlerinnungs⸗ fachschule in Magdeburg, mit welcher leider auf Veranlassung der Regierung Veränderungen vorgenommen werden sollen. Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Zunächst liegt doch die Absicht nicht vor, die aus den Ausführungen des Herrn Vorredners geschlossen werden könnte, diese Innungsschule zu beseitigen und an ihre Stelle eine andere zu setzen. Meine Intention geht dahin, an der Handwerkerschule von Magdeburg eine Fachschule für Tischler, die mit der Innung in Ver⸗ bindung stehen soll, einzurichten. Der Grund, warum das von mir beabsichtigt wird, liegt erstens mal darin, daß wir allerdings abweichend von dem Vorsitzenden der Meinung sind, daß die Art, wie der Unter⸗ richt an der früheren Schule ertheilt worden ist, nicht so zu loben ist, wie es hier geschehen, und zweitens darin, daß die Einrichtung der Fachschule für Tischlerlehrlingke an der Magdeburger Handwerker⸗ schule mit unendlich viel weniger Mitteln herzustellen ist, als wenn diese Verbindung nicht erfolgt. Es ist uns seitens des Vorstandes des Innungsverbandes eine Eingabe zugekommen mit der Bitte, zur Unterhaltung der bisherigen Schule die sie zu ihrer Fach⸗ schule erklärt habe, einen Jahresbeitrag von 12 000 ℳ zu geben mit der ausdrücklichen Erklärung, daß sie selbst nicht in der Lage wäre, irgend eine Ausgabe für diese Schule zu machen. Der Zweck kann viel billiger erreicht werden, wenn eine besondere Ab⸗ theilung für die Tischlerlehrlinge an der Handwerkerschule errichtet wird mit dem Vormittagsunterricht und mit der Anwesenheit der Meister, also ganz in dem bisher befolgten System. Dort hat man die Räume umsonst, man hat die Lehrkräfte sehr viel billiger, sodaß wir nicht mehr nöthig haben, einen Zuschuß von 12 000 ℳ zu geben, sondern mit einer viel geringeren Summe von 3060 ℳ auskommen können. Den Rest trägt die Stadt, weil die Schule eine städtische Anstalt ist.
Meine Herren, die Innung von Magdeburg kam an mich heran mit der Bitte, die Schule revidieren zu lassen. Ich hatte ein leb⸗ haftes Interesse für dieselbe, weil ich durchaus anerkenne, daß die Magdeburger Innung bestrebt ist, hier ein nützliches Werk zu schaffen. Es ist ganz besonders anzuerkennen, daß sie sich entschlossen hat, den Vormittagsunterricht an Stelle des Abendunterrichts einzuführen. Die Schule wurde darauf revidiert von Personen, die nach meinen Begriffen ganz besonders sachverständig sind, und
zwar dem Direktor der hiesigen Handwerkerschule, einem
Lehrer, der dort den Fach⸗Zeichenuuterricht ertheilt, einem Tischlermeister und dem Referenten meines Ministeriums. Bei dieser Besichtigung haben die Herren den Eindruck gewonnen, daß sowohl der verwendete Leitfaden als auch die angewendete Methode nicht den Anforderungen genügte, die wir an einen solchen Unterricht stellen müssen. Das Resultat dieser Revision ist an dem Abend desselben Tages den Vertretern der Innung mitgetheilt worden. Zu gleicher Zeit ist mit diesen Herren der Plan erörtert worden, die Schale zu verbinden mit der Magdeburger Handwerkerschule, und es ist ein Widerspruch von den Herren nicht erhoben worden. Dieser Widerspruch ist erst in einem sehr viel späteren Stadium erhoben worden. Auch der Vor⸗ stand des Verbandes hat nach meinem Eindruck nicht die unbedingte Ueberzeugung von den guten Leistungen der Schule. Auf den Ver⸗ bandsversammlungen lautete das Urtheil über die Methode und den Leitfaden an der Magdeburger Schule doch nicht so einstimmig günstig, wie uns mitgetheilt worden ist.
Nun sind wir inzwischen weiter gegangen und haben vor allen Dingen die Frage des Leitfadens in Erwägung gezogen, mit dem ja die Methode zusammenhängt, und heute ist auch von den Magde⸗ burger Innungsleuten anerkannt, daß der alte Leitfaden aufzugeben und ein neuer herzustellen ist. Ueber die Grund⸗ züge ist zwischen dem Vorstand der Innungsverbände, der Magdeburger Vertretung und dem Bearbeiter des Plans, einem hiesigen Fachlehrer, Uebereinstimmung erzielt. Dieser Leitfaden soll zur Unterlage des Unterrichts an der Tischler⸗Fachschule gemacht werden unter der Kontole der Innungsmeister, womit ich völlig ein⸗ verstanden bin. In Zukunft wird also sowohl der Vormittags⸗ unterricht erhalten bleiben, wie die Kontrole der Meister durch ihre Anwesenheit in den Stunden, sie werden in der Lage sein, auf die Gestaltung des Unterrichts durch einen zu ernennenden Ausschuß einen fortdauernden Einfluß auszuüben, der gewählt wird von dem Innungsverband und von den Magdeburger Meistern, sodaß der Zusammenhang der Schule mit dem Handwerk selbst bestehen leibt, wie es früher war. Es liegt nur der Unterschied vor, daß jetzt der Unterricht in einer städtischen Anstalt stattfindet und daß wir mit einem Aufwand von 3000 ℳ erreichen können, was sonst 12 000 ℳ kosten soll. Ich muß noch bemerken, daß die Einrichtung nicht sofort in Kraft tritt. Die jetzt bestehende Schule behält den Zuschuß bis zum Herbst. Dann kann alles soweit sein, daß der neue Unterricht beginnen kann. Die Verständigung über den Leitfaden wird inzwischen erfolgt sein. Stellt sich heraus, daß die Einrichtung dem Interesse des Handwerks nicht entspricht, so kann man auf eine besondere Schule zurückkommen.
Die angefochtene Maßregel ist lediglich im Interesse der Innungen und ihrer Fachschule getroffen. Ich bin nicht gewilit, den Einfluß, den sie auf die Gestaltung des Unterrichts bisher gehabt haben, zu ändern.
Abg. Euler (Zentr.) bespricht eingehend die Verhältnisse der Magdeburger Tischlerschule und begründet deren Eingabe an die Regierung um Gewährung einer Subvention von 12 000 ℳ Redner giebt ebenfalls dem Tagesunterricht den Vorzug und bittet die Re⸗ gierung, in den nächsten Etat noch mehr Geld für die Fachschulen
inzustellen. Aber nicht allein auf eine gründliche Ausbildung, son⸗ dern auch auf den gesetzlichen Schutz des Handwerks komme es an; hoffentlich könne der Minister das versprochene Organisationsgesetz bald vorlegen. Erst wenn das Handwerk zweckmäßig organisiert sei, können alle diese Fragen mit Erfolg gelöst werden und könne auch das Handwerk die Kosten für seine Schulen selbst tragen. Mirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Lüders theilt in eingehender Darlegung die Ergebnisse der staatlicherseits vorge⸗ nommenen Revision der Magdeburger Tischlerfachschule mit, veche die v Aenderungen als nothwendig erscheinen ließen; ein Theil der Mitglieder der Tischler⸗Innung habe die hervorgetretenen Pe. amgeeent 8 bof
Abg. Gothein (fr. Vgg.) hofft, daß die in Schlesien geplante Webeschule in “ mit einer Eöian für Färberei und Appretur bald gegründet werden könne, und empfiehlt die Handwerker der besonderen Fürsorge der Regierung. Ob der neue Leitfaden, der für die Tischlerfachschulen ausgearbeitet werde, gerade der beste sein werde, könne man noch nicht wissen. Die Regierung solle der Magdeburger Tischler⸗Innung ihre Fachschule lassen, anstatt eine be⸗ sondere Tischlertlasse an der Kunstgewerbeschule einzurichten. Dieser Unterricht könne nicht durchweg einheitlich gemacht werden, es müsse auch für die persönliche Einwirkung des Meisters Raum bleiben.
Abg. von Schenckendorff (nl.) tritt ebenfalls für die Er⸗ haltung der Innungsfachschule in Magdeburg ein.
Nach wiederholten Ausführungen des Abg. Euler und des Wirklichen Geheimen Ober⸗Regierungs⸗Raths Lüders betont der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch: Meine Herren! Ich glaube, aus den Ausführungen meines Herrn Kommissars werden Sie doch entnommen haben, daß von einer Vor⸗ eingenommenheit und von unberechtigten Einflüssen, die in dieser Frage mitgesprochen hätten, nicht die Rede sein kann. Es handelt sich um die verschiedene Beurtheilung der Leistungen einer Schule und derjenigen Persönlichkeit, die bisher an der Spitze dieser Schule ge⸗ standen hat. Daß auch ein ganzer Theil der Handwerker anderer Auf⸗ fassung ist, wie der Herr Abg. Euler, haben Sie ja aus den Aus⸗ führungen, die hier gemacht worden sind, unzweifelhaft entnehmen müssen. Wenn nun dazu kommt, daß Persönlichkeiten, die als Sachverständige erster Klasse anzusehen sind, nämlich der hiesige Direktor der Handwerkerschule, der hiesige Lehrer für das Fachzeichnen der Tischler und ein hiesiger Tischlermeister, der jahrelang Unterricht ertheilt hat, nach stattgehabter Revision bekunden: wir finden an der Magdeburger Handwerkerschule recht erhebliche Mängel, daß man sich dann für den bisherigen Leiter dieser Anstalt, wenn auch gegen seinen Charakter nicht das Mindeste vorliegt, nicht in dem Maße begeistern kann, wie es der Abg. Euler thut, das werden Sie hoffentlich begreiflich finden. Ich bedaure sehr lebhaft, wenn von ihm angedeutet worden ist, daß irgend welche anzulässige Einflüsse mitgewirkt haben. Meine Herreu, nach den fast übereinstimmenden Anschauungen, die heute aus dem Hause an mich herangetreten sind, werde ich in eine nochmalige Prü⸗ fung eintreten; aber das muß ich betonen: wenn die Prüfung keine anderen Resultate ergiebt wie die bisherigen, dann muß ich dabei stehen bleiben, die bisherige Schule nicht weiter zu subventionieren, sondern deren Umgestaltung in der angedeuteten Richtung zu versuchen. Abg. Dr. Sattler inl.) hält eine ü S für wünschenswerth 8* Fhh . 1 Ae wägung zu geben, ob nicht die beabsichtigte Einrichtung eines Tages⸗ unterrichts für Tischlerlehrlin ee an der Kunstgewerbeschule in Magde⸗ bun zu unterlassen und der bisherige Zuschuß der dortigen Innungs⸗
fachschule weiter zu zahlen sei. Abg. Broese (kons.) wünscht die einstimmige Annahme des
Antrags.