1896 / 54 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 02 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

wirthschaftlichen Generalvereins wegen Errichtung eines Haftpflicht⸗Versicherungs⸗Verbandes für die landwirth⸗ schaftlichen Betriebe der Provinz S leswig⸗Holstein in Anlehnung an die land⸗ und forstwirthschaft⸗ liche Berufsgenossenschaft wurde in der Erwägung zur Tagesordnung daß die Angelegenheit der dem⸗ nächst zusammentretenden Landwirthschaftskammer zu überlassen sei. Drei Ausschüsse sind niedergesetzt gewesen: zur Prüfung der Neuwahl der Provinzial⸗Landtagsmitglieder, für die Petitionen und zur Vorberathung des Etats der Gutswirth⸗ schaft Bokelholm. Petitionen waren 19 eingegangen; über 18 derselben sind von dem Petitionsausschuß schriftliche Berichte erstattet, während eine Petition durch einen Antrag des Provinzial⸗Ausschusses erledigt worden ist. Die Petition der Aerztekammer der Provinz Schleswig⸗Holstein um Errichtung einer Provinzialanstalt für Epileptische wurde dem Provinzial⸗ Ausschuß zur Erwägung überwiesen. Der Petition der Stadt Kappeln entsprechend, wurde eine Beihilfe von 24 300 zum Bau der doortigen Pontonbrücke be⸗ willigt. Endlich sind folgende Wahlen vorgenommen worden: zur Ergänzung der Mitglieder des Provinzial⸗Ausschusses, eines Stellvertreters des bürgerlichen Mitgliedes der Ober⸗ Ersatzkommission im Bezirk der 35. Infanterie⸗Brigade, zweier Abgeordneten nebst Stellvertretern zur Mitwirkung bei den Geschäften der Rentenbank und von drei Mitgliedern der Rechnungskommission.

Sigmaringen, 29. Februar. Seine Majestät der König von Württemberg hat unter dem 24. d. M. dem Fürstlich hohenzollernschen Hofkammer⸗Präsidenten, Grafen Heinrich Adelmann von Adelmannsfelden, zuletzt Frei⸗ williger auf Kriegsdauer und Portepee⸗Fähnrich im jetzigen Württembergischen Grenadier⸗Regiment Königin Olga Nr. 119 die goldene Militär⸗Verdienst⸗Medaille verliehen.

Mecklenburg⸗Schwerin. Aus Cannes vom 28. v. M. wird den „Meckl. Nachr.“ gemeldet, daß die Wiederherstellung Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs langsam weitere Fortschritte mache. Der Appetit sei gut, die Kräfte kehrten wieder, das Körpergewicht nehme zu, nur der Schlaf befriedige noch nicht. Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach. Der Landtag hat vorgestern die Berathung des neuen Wahlgesetzes beendet. Das Gesetz wurde mit 21 gegen 9 Stimmen angenommen. 8

Braunschweig. Dem Landtag ist die Vorlage über die neue Staats⸗ einkommensteuer zugegangen. Nach derselben bleiben die Einkommen bis zu 900 steuerfrei. Von da ab soll, der „Magd. Ztg.“ zufolge, der Einheitssatz der Steuer betragen: bei einem Einkommen von 900 1050 3 ℳ, 1650 1800 10 ℳ, 3000 3300 30 ℳ, 4500 5000 60 ℳ, 7000 bis 7500 98 ℳ, 9500 10 500 150 ℳ; der Ein⸗ heitssatz soll steigen bei höherem Einkommen von 10 500 30 500 in Stufen von 1000 um je 15 ℳ, von 30 500 32 000 in Stufen von 1500 um je 30 ℳ, von 32 000 78 000 in Stufen von 2000 um je 40 und von 78 000 100 000 in Stufen von 2000 um je 50 ℳ;: bei Einkommen von mehr als 100 000 - 105 000 beträgt der Steuereinheitssatz 2000 und steigt bei höherem Einkommen in Stufen von je 5000 um je 100 Von 2400 Einkommen ab soll die Selbsteinschätzung beginnen.

Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Seine Königliche Hoheit der Herzog ist gestern von

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Coburg nach London abgereist.

Das gestern früh 7 Uhr in Greiz ausgegebene Bulle über das Befinden Seiner Durchlaucht des Fürsten lautet:

Die Nachtruhe war bis gegen Morgen durch häufige nervöse Athembeschwerden alteriert. Dann folgte erquickender Schlaf, wodurch sich zur Zeit das Befinden Seiner Durchlaucht nicht unwesentlich gehoben bat. Overlach. Fleck.

Deeutsche Kolonien.

Der zum Beisitzer des Kaiserlichen Ober⸗Gerichts für Deutsch⸗Ostafrika ernannte Finanz⸗Direktor von Bennigsen und der zum kommissarischen Bezirksrichter ernannte Re⸗ gierungs⸗Assessor Freiherr von Reden⸗Franzburg treten am 11. März die Ausreise nach Dar⸗es⸗Saläm an.

Ueber die Vertheilung der Schutztruppe in Deutsch⸗ Ostafrika berichtet nach dem „Deutschen Kolonial⸗Blatt“ der Kaiserliche Gouverneur unter dem 11. Januar d. J. an den Reichskanzler Folgendes:

Eurer Durchlaucht melde ich gehorsamst, daß ich mich veranlaßt gesehen habe, die Stationen Masinde und Kisaki aufzuheben, die Stärke verschiedener Stationsbesatzungen im Innern bedeutend zu verringern und Hand in Hand hiermit eine Aenderung in der Dis⸗ lokation der Schutztruppe herbeizuführen.

Die jetzt eingetretene Ruhe und Sicherheit der Kolonie machten die Besetzung Kisakis und Masindes pöllig entbehrlich; der gleiche Gesichtspunkt trifft auch für die Herabminderung der Stations⸗ besatzungen zu. Ferner fällt ins Gewicht, daß durch diese Maßnahmen ganz beträchtliche Ersparnisse herbeigeführt werden, zumal in Kisaki infolge Einfalls der Wohngebäude noch umfangreiche Neubauten er⸗ forderlich gewesen wären. Die Ersparniß an Trägerlöhnen und Unterhaltungskosten ist für jede Station mit 50 000 Rupien jährlich nicht zu gering bemessen. Einen weiteren Vortheil erblicke ich schließlich darin, daß endlich eine zweckmäßigere Dislokation der Truppe herbeigeführt werden konnte, indem durch das Freiwerden von Kräften an entbehrlicher Stelle außer der Besatzungs⸗Kompagnie für Udjidji noch ein schlagfertiges Expeditionskorps von fünf Kompagnien ver⸗ fügbar geworden ist.

Ich habe den zu Masinde gehörigen Posten Kisuani und das Paregebiet der Station Moschi unterstellt und die Verfügung getroffen, daß der übrige Bezirk Masinde vorläufig dem Bezirksamte Tanga zugetheilt, Masinde selbst aber durch 1 Unteroffizier und 15 Mann Polizeitruppe aus Tanga besetzt wird. Bei meiner demnächstigen nwesenheit in Tanga will ich nach Anhörung des dortigen Bezirksamtmanns der Frage näher treten, ob es nicht zweckmäßig wäre, in Wuga (Kord⸗Usambara) ein neues Bezirksamt einzurichten. Ich werde nicht verfehlen, Eurer Durchlaucht hierüber s. Z. ganz gehorsamst zu berichten. Kisaki habe ich gänzlich aufgelöst und die Besatzungsstärken von Mpwapwa, Kilossa, Ulanga auf je 40 bis 50 Mann herabgesetzt. Der Bezirk Kisaki wurde vorläufig dem Bezirke Dar⸗es⸗Salàm zugetheilt.

Die 6. Kompagnie, bisher Mawudji⸗Lager, hat Befehl erhalten, Kilwa und Mawudji, letzteres nur vorübergehend, zu besetzen. Die 8. Kompagnie, bisher Kilwa, kommt nach Lindi, und habe ich diese Station dem Kompagnieführer Fromm übergeben. Die in Lindi frei gewordene 9. Kompagnie wurde nach Dar⸗es⸗Salam beordert, um bier unter dem Befehl des Kompagnieführers Ramsay

für den Abmarsch nach Udjidji bereitgestellt zu werden. Es

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bleiben ferner an der Küste noch drei Kompagnien verfügbar, von denen ich ständig zwei in Dar⸗es⸗Salam, eine in Pangani zu sta⸗ tionieren gedenke, sodaß ich über ein schlagfertiges Expeditions⸗ korps von fünf Kompagnien disponieren kann, die jederzeit für Expeditionen und andere Eventualitäten verwendet werden können. Ich habe die Forderung gestellt, daß jede dieser Kompagnien im stande sein muß, 24 Stunden nach erhaltenem Be⸗ fehl abmarschfertig zu sein, und beabsichtige deren Schlag⸗ fertigkeit durch dauernde Zutheilung von Zeltgeräth, Geschützen, Munition u. s. w. noch zu erhöhen. Auch aus Gründen der Disziplin und Ausbildung, sowohl der Führer wie der Truppe, halte ich die Schaffung dieses „Expeditionskorps“ für durchaus nothwendig und wünschenswerth. Unter der Aufsicht und Anleitung der dazu berufenen Organe hoffe ich, jene Truppe auf einem Grade der Kriegstüchtigkeit sa 12 daß dieselbe allen an sie herantretenden Aufgaben gewachsen ein wird.

Auch bei der den Bezirksämtern unterstellten Polizeitruppe habe

ich einige Veränderungen getroffen und dieselbe, ihren verschieden Auf⸗ aben entsprechend, in eigentliche Polizisten und Polizei⸗Wachmann⸗ schaften getrennt. Für den Dienst als Polizisten werden findige, ge⸗ wandte und durchaus zuverlässige Leute ausgesucht werden, denen der Bezirksamtmann unbedingt vertrauen kann. Die Polizei⸗Wachmann⸗ schaften werden dagegen aus älteren, für den Dienst in der Truppe nicht mehr geeigneten Persönlichkeiten ergänzt werden. Der Dienst der Polizeiwachmannschaften besteht in der Ueberwachung und dem Schutz der zu dem Bezirksamt gehörigen Gebäude und Kaiser⸗ lichen Eigenthums; sie müssen zu diesem Zweck daher sowohl mit der Handhabung der Waffen wie in der Bedienung der Geschütze unter⸗ wiesen werden. 8

Aus Togo wird dem „D. Kol.⸗Bl.“ gemeldet:

Der Leiter der Station Kete-Kratschi, Lieutenant Graf Zech, hat im Herbst Bismarckburg, Pessi, Kebu, Akposso, Atakpame und Kpele besucht und hat gegenwärtig eine Reise nach Tschautscho (Pa⸗ ratau) getreten.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Ausschuß des österreichischen Abgeordneten⸗ hauses begann am Sonnabend die Spezialdebatte über die Wahlreformvorlage. Artikel 1, betreffend die Anzahl der Abgeordneten und deren Vertheilung in den Kronländern, wurde mit großer Majorität nach der Regierungsvorlage angenommen. Die anderweitigen Anträge wurden abgelehnt. Der Abgeordnete Rutowski erklärte namens der polnischen Mitglieder des Ausschusses, daß nach dem Ergebniß der Abstimmung über die Anträge der Polen, betreffend die Vertheilung der Abgeord⸗ neten nach der Bevölkerungsziffer und die Vermehrung der Ab⸗ geordneten für Galizien, die Polen sich die eventuelle Einbringung eines Minoritätsvotums vorbehielten. Der Abg. Klun schloß sich dieser Erklärung an.

Im ungarischen Unterhause widmete vorgestern der Präsident von Szilagyi dem verstorbenen Erzherzog Albrecht Salvator einen warmen Nachruf. Das Haus beschloß, der tiefen Theilnahme in dem Sitzungsprotokoll Aus⸗ druck zu geben und dies zur Kenntniß des Königs zu bringen. Hierauf berieth das Haus den Antrag des Abg. Kossuth auf Einladung der Parlamente der Ungarn befreundeten Staaten zu der Millenniumsfeier. Der Minister⸗Präsident Baron Banffy erklärte, er stimme mit dem Inhalt des An⸗ trags überein; es würden diesbezüglich Verfügungen getroffen werden, deshalb sei eine Beschlußfassung überflüssig. Der Abg. Kossuth zog seinen Antrag zuruüͤck. Bei der darauf fortgesetzten Berathung des Budgets des Handels⸗ Ministeriums beleuchtete der Abg. Horanszky die Aeußerungen des Finanz⸗Ministers vom Tage zuvor und behauptete: der inister habe, als er dem Zoll⸗ und Handelsbündniß mit Oesterreich auf volks⸗ wirthschaftlichem Gebiet einen stabilen Charakter vin⸗ dizierte, Theorien entwickelt, welche geeignet seien, das ungarische Staatsrecht zu untergraben. Um nicht einmal den Anschein zu erwecken, als läge die Zollgemeinschaft mehr im ungarischen als im österreichischen Interesse, müsse der Vertrag geküͤndigt werden, da derselbe ohne schwere Schädigung Ungarns nicht unverändert aufrecht erhalten werden könne. Der Fnen Wennsee Dr. Lukacs erklärte unter lebhaftem

eifall der Rechten: Was das von ihm angeblich begangene staatsrechtliche Gravamen betreffe, so habe er das Staatsrecht nicht im geringsten verletzt, als er darauf verwiesen, daß die Gesetzgebung schon wiederholt in der Lage gewesen sei, das wirthschaftliche Verhältniß zu Oesterreich zu ändern, und daraus den Schluß gezogen, daß man diesem Verhältniß eine gewisse Stabilität verleihen wolle. Ueberdies habe er in seiner Rede mindestens zehnmal wiederholt, daß Ungarns Selbst⸗ bestimmungsrecht gesetzlich gesichert sei. Darauf forderte der Abg. Stephan Tisza die Parteien auf, den Ausgleich nicht als Kampfobjekt zu betrachten, und entwickelte unter auf⸗ merksamer Theilnahme des ganzen Hauses, daß er es auch vom politischen Gesichtspunkte aus als richtiger betrachten müsse, wenn Ungarn ein selbständiges Zollgebiet bilde, als daß es bei Aufrechterhaltung der Zollgemeinschaft einen Vertrag abschlösse, bei dem es sich für ausgebeutet halten müsse. Der Redner konstatierte sodann, daß trotz kleiner Mißverständnisse alle Parteien darin einig seien, daß die Zollgemeinschaft um den Preis namhafter volkswirthschaftlicher Nachtheile nicht auf⸗ recht erhalten werden dürfe. Im übrigen sei hier nur eine ruhige, kühle Erwägung am Platze, deshalb möge man sich leidenschaftlicher Angriffe enthalten. 11““

Frankreich.

Der Präsident Faure traf am Sonnabend Nachmittag, kurz nach 3 Uhr, in Lyon ein und wurde von einer zahl⸗ reichen Menschenmenge mit großer Begeisterung begrüßt. Der Präsident begab sich nach der airie und von dort nach der Präfektur, wo er die Spitzen der Behörden empfing. Bei einem am Abend abgehaltenen Bankett brachte der Bürgermeister Galleton ein Hoch auf den Präsidenten aus. In seiner Erwiderung rief Präsident Faure die Erinnerung an seinen Vor⸗ gänger Carnot wach, der inmitten der schwersten Krisen zu einer Zeit, wo er selber das Ziel der ungerechtesten und leiden⸗ schaftlichsten Angriffe gewesen, gestützt auf seine politische Aufrichtigkeit, nur die Konstitution ins Auge gefaßt habe, deren regelmäßige Anwendung zu sichern, er Auftrag 3 Im Vertrauen auf das endgültige Urtheil des andes habe er niemals aufgehört, an den Triumph der Ideen der Gerechtigkeit und Freiheit zu glauben. „Carnot“, fuhr der Präsident fort, „hat diese großen Traditionen seinen Nachfolgern vermacht; mögen wir es verstehen, uns daran zu begeistern, damit wir die Mission, welche wir dem Vertrauen der Vertreter des Landes verdanken, in ihrer ganzen Ausdehnung und während ihrer ganzen Dauer erfüllen.“ Der Präsident sprach sodann auchlvon der Eintracht und der Herz⸗ lichkeit der Beziehungen und von dem gegenseitigen Vertrauen,

in der Welt der Arbeit zwischen den verschiedenen

Ständen wünschenswerth sei. Alle Theile seiner Rede wurden mit begeistertem Beifall aufgenommen. Gestern Vormittag besuchte der Präsident Faure die Vorstädte Serin und Vaise und besichtigte darauf die Garnison von Lyon. Später be⸗ suchte der Präsident die Universität und die Kasernen, wobei er überall von der Volksmenge beifällig begrüßt wurde. Bei einem Empfang der olksschullehrer dankte der Präsident Faure diesen für ihre republikanische Gesinnung. ierauf wurden einzelne Rufe „Vive le Président!“ laut, welche alsbald durch lebhafte, wiederholte Rufe „Vive Bourgeois!“ unterbrochen wurden. Gegen Mitternacht er⸗ „folgte dann unter zahlreichen Kundgebungen die Abreise des Präsidenten nach Toulon. Die Budgetkommission hat Delombre zum General⸗ berichterstatter gewählt. Italien.

Der König traf am Sonnabend Vormittag in Be⸗ gleitung des Kriegs⸗Ministers Mocenni in Neapel ein und wurde am Bahnhof von dem Minister⸗Präsidenten Crispi und den Spitzen der Behörden empfangen. Vom Bahnhof begab sich der König unter begeisterten Kundgebungen der Bevölkerung nach dem Königlichen Palast. Auch der Minister⸗ Präsident Crispi wurde von der Bevölkerung aufs leb⸗ hafteste begrüßt. Nachmittags besichtigte der König auf der Piazza del Plebiscito in Begleitung der Kriegs⸗Ministers und der nach Afrika abgehenden Generale Heusch und Valles die nach Afrika bestimmten Bataillone, welche Seiner Majestät von dem ebenfalls nach Afrika gehenden General Gazzurelli vorgeführt wurden. Nach der Besichtigung begab sich der König in die Mitte des Platzes und hielt, dem „W. T. B.“ zufolge, nachstehende Ansprache:

„Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten! Ich wollte selbst euch den Abschiedsgruß des Vaterlands und mein Lebewohl als Soldat überbringen. Das Land, in welches ihr geht, ist durch das Blut unserer Brüder geweiht und ist für euch kein fremdes mehr. Ihr werdet dort noch das lebendige Echo unserer Siege und die Erinne⸗ rungen an den Muth, die Tapferkeit und die Opferwilligkeit vorfinden, damit ihr diesen glorreichen Beispielen nacheifert. Soldaten! Bringt euren Waffengefährten die Segenswünsche Italiens, welches bei der Vertheidigung seiner Fahnen alle seine Söhne mit sich eins weiß.“

Der Ansprache folgte begeisterter Beifall. Darauf ließ sich der König alle höheren Offiziere der nach Afrika gehenden Abtheilungen einzeln vorstellen. Später begab sich Allerhöchst⸗ derselbe nach dem Arsenal, um der Einschiffung der Truppen bei⸗ zuwohnen. Nachdem diese erfolgt war, begleitete der König in seiner Schaluppe die Transportschiffe bis außerhalb des Hafens. Die auf den Schiffen befindlichen Soldaten be⸗ grüßten den König mit den begeisterten Rufen: „Es lebe der König!“ Sodann begab sich der König an Bord der „Singapore“, um die auf derselben abreisenden Generale zu begrüßen. Die „Singapore“ verließ den Hafen als letztes Schiff; die Schaluppe des Königs begleitete sie noch lange Zeit. Gestern erwiderte der König den Besuch, welchen der Prinz Heinrich von Preußen Allerhöchstdemselben am Sonnabend gemacht hatte.

Der Papst empfing vorgestern den preußischen Gesandten

von Buülow, um dessen Glückwünsche zu dem bevorstehenden Jahrestage seiner Krönung entgegenzunehmen. Spanien. 116“

Das Ergebniß der Abstimmung des Senats in Washington über den Antrag, die Aufständischen in Cuba als kriegführende Macht anzuerkennen, hat in Spanien große Aufregung hervorgerufen. In Madrid forderte, wie „W. T. B.“ berichtet, in der Nacht zum Sonntag das Publikum in mehreren Cafés die Nationalhymne und rief: „Nieder mit den Vereinigten Staaten!“ Die amerika⸗ nische Gesandtschaft wird von der Polizei überwacht; vor dem Konsulat der Vereinigten Staaten manifestierten die Studenten mit den Rufen: „Tod dem Onkel Sam!“ In Barcelona fand gestern eine von den republikanischen Parteiführern ge⸗ leitete Kundgebung statt, an der sich ungefähr 15 000 Personen betheiligten. Unter den Rufen „Es lebe Spanien!“, „Nieder mit den Yankees!“ wurden im amerikanischen Konsulat einige Fensterscheiben eingeworfen. Die Polizei drang auf die Manifestanten ein, wobei zwei Personen verwundet wurden. Vor dem Militärklub fanden begeisterte Kundgebungen statt.

Der Marine⸗Minister hat dem Schulgeschwader den Befehl ertheilt, sich zur Abfahrt bereit zu halten. Wahr⸗ scheinlich wird dasselbe nach den Antillen gehen. Alle übrigen Schiffe sollen unverzüglich ausgerüstet werden, auch etwa 50 Packetboote der Handelsmarine werden in Kriegsbereitschaft gesetzt. Ein neues Expeditionskorps, bestehend aus 20 000 Mann Fefamterie und 5000 Mann Kavallerie, soll demnächst nach Cuba abgehen.

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Die Ramazanfahrt des Sultans ist, wie „W. T. B.“ aus Konstantinopel berichtet, ohne Zwischenfall verlaufen.

Der russische diplomatische Agent in Sofia Tscharykoff begiebt sich heute von Konstantinopel nach St. Petersburg.

In Wien liegen Berichte aus Konstantinopel vor, wonach auf Kreta ein erfolgloser Anschlag auf den inspizierenden Gendarmerie⸗Obersten von Selino Veranlassung zu Rache⸗ akten in Neoctro und Canea gegeben habe. Dabei seien sieben Christen überfallen, zwei von ihnen getödtet und drei verwundet worden. Ein Ueberfall auf einen Cyristen sei durch die Tödtung eines Gendarmen gerächt worden. Hierauf hätten sich Christen, und Mohamedaner zusammengerottet, es sei zu förmlichen Blockie⸗ rungen sowohl mohamedanischer als griechischer Dörfer ge⸗ kommen, und es hätten zwei Bataillone mit zwei Le . zur Unterdrückung der Unruhen entsandt werden müssen. Die Regierung gehe mit der Absicht um, eine Entwaffnung durch⸗ zufuͤhren; auch die Verstärkung der Besatzung, welche gegen⸗ wärtig nur aus 18 Bataillonen, 2 Eskadrons und 4 Batterien bestehe, sei beabsichtigt. 8

Griechenlanird.

In der vorgeftrigen Sitzung der Deputirtenkammer stellte, dem „W. T. B.“ zufolge, der Minister⸗Präsident Delyannis bei der Berathung der Interpellation über die Auslieferung des Freiherrn von Hammerstein die Vertrauens⸗ frage. Die Kammer billigte mit 115 gegen 18 Stimmen das

Verhalten des Ministers. 1““ Bulgarien. 1“ Bei den gestern vorgenommenen Deputirtenwahlen wurde in Sofia, wie „W. T. B.“ berichtet, Zankow mit 1538 Stimmen gewählt gegen den unabhängigen Kandidaten Anastasow, der 1247 Stimmen erhielt. ie Bevölkerung

brachte dem Minister⸗Präsidenten Stoilow große Ovationen dar, um ihm für die volle Freiheit der Wahlen zu danken In der Provinz sind die Wahlen ruhig verlaufen, das Er⸗ gebniß ist noch unbekannt. S—

Amerika. Aus Washington wird dem „W. T. B.“ gemeldet: Die

8 Regierung sei über das Vorgehen des Senats bezüglich Cuba s

und die eventuelle Abstimmung in der Kammer ernstlich besorgt. Dennoch werde die Hoffnung ausgedrückt, daß die Angelegenheit sich beilegen lassen werde, wenn man jede Ueberstürzung vermeide. Die Regierung sei wenig geneigt, die Rechte der Au ständischen als kriegführender Partei anzuerkennen, noch weniger aber die Unabhängigkeit Cubas, weil die unparteiischen Erklärungen der amerikanischen Konsuln auf Cuba darzuthun suchten, daß die Sache der Aufständischen keineswegs so gut stehe, wie der Kongreß annehme, und weil unter den thatsächlichen Um⸗ ständen die Regierung sich nicht für berechtigt halte, das anzuerkennen, was sie als eine Guerillabewegung ansehe. Die ausübende Gewalt werde den einflußreichen Mit⸗ gliedern der Regierungspartei Mittheilung von den That⸗ sachen machen, indem sie zugleich der Ansicht Ausdruck gebe, daß die Vereinigten Staaten bezüglich des Streits auf Cuba keine thätigen Schritte machen dürsten Dagegen billigten die Zeitungen, mit wenigen Ausnahmen, das Vorgehen des Senats und bemühten sich, auf das Repräsentantenhaus dahin einzu⸗ wirken, daß es einen ähnlichen Beschlußantrag annehme.

Der Regierung ist es, dem „W. T. B.“ zufolge, nicht gelungen, die gegen den britischen Dampfer „Bermuda“ er⸗ Firese Beschuldigungen zu beweisen. Das Schiff, an dessen Bord sich cubanische Insurgenten befanden, war, wie bereits mitgetheilt, am 25. Februar in New⸗York mit den darauf be⸗ findlichen Waffen, Munition und mehreren Säcken Gold be⸗ schlagnahmt worden. Es ist nunmehr Befehl ertheilt worden, daß die Ladung den Eigenthümern wieder zuͤgestellt werde.

Asien.

Die „Times“ meldet aus Kobe von gestern, daß der König von Korea sich noch in der russischen Gesandtschaft in Söul befinde. Die aufständische Bewegung im Innern Koreas dauere fort. Es gehe das Gerücht, Japan mache Rußland Vorschläge zur Errichtung einer gemeinsamen Kontrole über Korea. Man glaube ferner, der General Yamagata werde während seines Aufenthalts in Moskau über die Abschließung eines Bündnißvertrages unterhandeln.

Afrika.

Das „Reuter'sche Bureau“ meldet: Cecil Rhodes werde heute an Bord des Dampfers „Orestes“ von Suez abreisen und gedenke, Mitte des Monats in Beira einzutreffen, von wo er sich nach Rhodesia begeben werde, falls die Ereignisse seine Reisedispositionen nicht ändern sollten.

Die „Agenzia Stefani“ berichtet, daß man, nach Nach⸗ richten aus Kassala vom 28. v. M. Nachmittags, am Freitag früh 6 Uhr von den italienischen Beobachtungsposten aus eine von Westen kommende Kolonne Derwische, Kavallerie und Infanterie, zusammen etwa 1000 Mann, in der Richtung auf Mont Mocram habe marschieren sehen, wo sie angehalten habe. Die Derwische hätten sich sodann gegen 3 Uhr Nach⸗ mittags wieder zurückgezogen. Die italienischen Kulturanlagen seien nicht beschädigt worden. 3

Aus Massowah berichtet die „Agenzia Stefani“, daß der General Baratieri am 28. v. M. aus Sauriat tele⸗ graphiert habe, es liege aus dem Lager der Schoaner in der Thalmulde von Adua keine Nachricht vor; die Schoaner ver⸗ harrten unbeweglich in ihrem Lager. Seit Donnerstag Abend kehrten die an den vorhergegangenen Tagen auf Streif⸗ üge ausgesandten Kolonnen in das Lager zurück. Bis ject scheine es, daß die Schoaner bezüglich ihrer naͤchsten Operationen keinen Entschluß gefaßt hätten; Menelik und Taitu hätten sich am Donnerstag mit kleiner Begleitung nach Acsum begeben. Die Aufständischen hätten sich in zwei Gruppen getheilt; die eine, unter Sebat, befinde sich in Sebea, die andere, unter Agostafari, in Sorusko. In⸗ folge der geringen Betheiligun Sebat's an dem Kampf vom 25 v. M. seien zwischen beiden Führern Zwistigkeiten entstanden. Unter dem 29. v. M. habe General Baratieri gemeldet: Das schoanische Lager befinde sich immer noch in der Thalmulde von Adua. Durch die Requisitionen im Gebiet von Schire hätten die Schoaner sich für einige Tage Lebensmittel ver⸗ schafft; es bleibe ihnen jetzt aber nur noch der Bezirk von Temben zum Requirieren; man spreche von einer demnächstigen Verlegung des schoanischen Lagers. Okuleguzai und Serae seien ruhig. Mehrere Rebellen aus Agame haͤbten dem Major Prestinari ihre Unterwerfung angeboten.

Der „Kölnischen Zeitung“ wird aus Lissabon gemeldet: die Moz ambique⸗Gesellschaft habe die portugiesische Re⸗

ierung benachrichtigt, daß 100 Angestellte der Beira⸗ Fifenbab n von Maschonaland aus bewaffnet worden seien. Sie fürchte einen Handstreich des demnächst in Beira ein⸗ treffenden Cecil Rhodes gegen Massikassi oder Beira und habe demgemäß die portugiesische Regierung ersucht, bei dem Londoner Kabinet ernste Verwahrung einzulegen.

Aus Kapstadt vom 29. v. M. berichtet das „Reuter'sche Bureau“: In einem daselbst veröffentlichten Briefe des Chefs der Afrikaander⸗Partei, Hofmeyr, an einen Freund würden die Gründe aufgeführt, welche Hofmeyr veranlaßt hätten, mit seinem früheren Freunde Rhodes zu brechen. Dieser Bruch sei eine Folge der Salmane. welche Rhodes bei dem Eindringen Jameson's in Transvaal beobachtet habe. Rhodes habe genau gewußt, daß die Streitkräfte Jameson's sich an der Grenze von Transvaal konzentrierten, um im geeigneten Augenblick in Transvaal einzudringen; trotzdem habe er dies nicht zu verhindern gesucht, obwohl er verschiedene Benachrichtigungen erhalten habe über das, was sich vorbereite. Selbst nach dem Aufbruch Jameson's habe Rhodes diese Thatsache seinen Kollegen noch 36 Stunden verheimlicht. Ueberdies habe Rhodes sich niemals tadelnd über den Einfall Jameson's in Transvaal ausgesprochen.

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2 In der heutigen (49.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr.

von Boetticher, der Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky, sowie die Staats⸗Minister Dr. Miquel und Freiherr von Hammerstein beiwohnten, stand die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Zuckersteuer, auf der Tagesordnung.

Zur Einleitung der Debatte ergriff das Wort der Staats⸗ sekretͤr des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky, dessen Rede, die bei Schluß des Blattes noch fortdauerte, wir morgen nachtragen werden.

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Herrenhauses und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

Das Herrenhaus ehrte in der heutigen (7.) Sitzung, in welcher der Justiz⸗Minister Schönstedt und der Minister des Innern Freiherr von der Recke zugegen waren, zunächst das Andenken des am Sonnabend verstorbenen Mitglieds, des Generals der Infanterie von Stosch, in der üblichen Weise, genehmigte sodann in einmaliger Schlußberathung den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Abänderung der Grenzezwischen dem Landkreise Cassel und dem Kreise Wolfhagen, und lehnte entsprechend dem Antrag der Geschäftsordnungskommission ab, die Genehmigung zur strafrechtlichen Verfolgung der „Schaumburg⸗Lippischen Volkszeitung“ zu ertheilen.

Die Petitionen von Hausbesitzer⸗Vereinen in Schweid⸗ nitz, Lipine, Neisse, Oppeln, Brieg, Greifswald, Cassel, Oels, Nordhausen, Breslau, Weißenfels, Eberswalde, Danzig, Berlin, Zeitz, Erfurt und Insterburg, welche die Abzugs⸗ fähigkeit der Gebäudesteuer bei der Einkommen⸗ steuer⸗Veranlagung verlangen, beantragte die Kommission an die Regierung als Material zu überweisen.

Graf von Pfeil⸗Hausdorf hielt es für nothwendig, diese Härte 1Fe da namentlich in Schlesien die Schullasten besonders

0 eien.

Der Antrag der Kommission wurde angenommen. Eine Petition aus Stralsund wegen Belegung aller Konsumvereine, auch wenn sie keine juristische Persönlich⸗ keit haben, mit der Einkommensteuer wurde der Regie⸗ rung gleichfalls als Material überwiesen.

Bezüglich der Verordnung, betreffend die Förderung eines veränderten Bebauungsplanes des durch Brand zerstörten Fleckens Brotterode, befürwortete die Gemeindekommission nachträgliche Genehmigung; ferner wurde folgende Resolution beantragt:

„die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, zur Erhaltung bezw. Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit der Gemeinde Brotterode dieser, soweit nicht die weiteren Kommunalverbände ein⸗ zutreten in der Lage sind, auch mit Staatsmitteln zu Hilfe zu kommen.“

Landgraf Alexis von Hessen empfahl dringend die Annahme der Verordnung und der Resolution.

Minister des Innern Freiherr von der Recke: Die Resolution setzt eigentlich voraus, daß die Gemeinde unterstützungsbedürftig sei, was doch eigentlich erst festgestellt werden müßte. Sollten die im Gange befindlichen Erhebungen ein Bedürfniß ergeben, so wird die Regierung eine Zuwendung nicht versagen, unter der Voraussetzung, daß die weiteren Kommunalverbände auch etwas thun.

Darauf wurde dem Antrage der Kommission gemäß be⸗ schlossen. Die Petitionen aus Hannover um Erlaß einer neuen Städteordnung für die Provinz Hannover sowie des Ober⸗ lehrers Friese in Hannover namens des Landesvereins ge⸗ prüfter Zeichenlehrer um Abänderung des Normal⸗Etats für höhere Lehranstalten wurden durch Uebergang zur Tages⸗ ordnung erledigt.

Schluß gegen 1 Uhr. Nächste Sitzung unbestimmt.

In der heutigen (32.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der geistlichen ꝛc. An⸗ gelegenheiten D. Dr. Bosse beiwohnte, wurde zunächst die Mittheilung von dem erfolgten Ableben des Abg. Brüel gemacht; sein Andenken ehrte das Haus in der üblichen Weise. Sodann wurde die zweite Berathung des Staatshaus⸗ halts⸗Etats für 1896/97, und zwar des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗Angelegenheiten fortgesett 8

Abg. Freiherr von und Neukirch (fr.kons.): Ich freue mich über die Erklärung des Ministers, daß die Kreisschul⸗ inspektion als Hauptamt vermehrt werden soll; hoffentlich ist die vollständige Umwandlung dieses Nebenamts in ein Haupt⸗ amt bald abgeschlossen. Auch geeignete Elementarlehrer müssen zur Schulinspektion herangezogen werden. Die Aufgaben der Schulinspektion gehen weit über das hinaus, was in einem Rebenamt geleistet werden kann. Um die Dezentralisation der Schulverwaltung durchzuführen, ist die Umwandlung des Neben⸗ amts in ein Hauptamt nöthig. Die Schulvorlage ist 1892 in die Versenkung gefallen, weil das politische Terrain, auf dem man zu operieren hatte, vorher nicht hinreichend erkundet war. Jetzt ist die Regierung über das politische Terrain aufgeklärt. Jeder kann die Folgen einer neuen Einbringung des Schulgesetzes übersehen. Der Abg. Stöcker will das christliche Banner in der Volsschule auf⸗ pflanzen. Die Gegner des Schulgesetzes stehen aber ebenfalls auf dem Boden der christlichen Volksschule, wollen aber die Staatshoheit nicht zu Gunsten der Geistlichkeit beschränkt wissen. Wir haben bereits die christliche Volksschule. Der Falk'sche Erlaß von 1876 ist durchaus vereinbar mit dem Begriff der christlichen Schule, und doch will Herr Porsch ihn beseitigt haben. Das Zentrum verlangt aber mehr, als was zur Feststellung der christlichen Schule noth⸗ wendig ist. Die Auslieferung der Schule an den katholischen Klerus durch den Religionsunterricht bedeutet einen solchen Machtzuwachs der katholischen Kirche, daß damit ein erster Schritt zur Katholisierun des ganzen Staats gemacht wäre. Wenn Herr Stöcker sagt: erst käme die Kirche, dann die Eltern und dann der Staat, so übersieht er die historische Entwickelung der preußischen Schule, welche denkende Menschen erziehen soll. Ver⸗ fassungsmäßig ist die Schule eine Veranstaltung des Staats, und die Kirche kann nur die Rolle darin spielen, die ihren Aufgaben entspricht. Und die Eltern? Ist denn die Gesammtheit der Eltern nicht der Staat? Konstruieren Sie nicht einen künstlichen Gegensatz zwischen dem Staat und seinen Bürgern, soweit sie die Eltern der Schulkinder sind. Durchdringen Sie sich mit dem Vertrauen, daß im Deutschen Reich die Interessen der Kirche, die Interessen der Eltern ihre sichere und beste Wahrung unter den Flügeln des Hohen⸗ zollernaars finden.

Abg. von Jazdzewski (Pole): Es bedurfte nicht der Er⸗ mahnung des Ministers, daß wir preußische Staatsbürger sein sollen, denn wir haben die preußische Verfassung beschworen, aber die Patente der preußischen Könige haben uns bestimmte Zusicherungen emacht. Für Preßstimmen, welche unvorsichtiger Weise unsere Interessen gefährden, ist die ganze polnische Bevölkerung nicht verantwortlich. Den Propst, welcher deutschen Kindern die Ab⸗ nahme der Beichte in deutscher Sprache verweigert haben soll, kenne ich nicht, der Minister hat den Namen nicht genannt. Es fällt den Polen gar nicht ein, zu polonisieren. In der Schule bestimmt ja die Regierung den Lehrstoff; durch den Kulturkampf ist allerdings das Band zwischen Katholiken und Polen fester geworden. Der bloße Umstand, daß ein Ordensbruder oder eine Schwester polnisch spricht, genügt, um sie als staatsgefährlich gelten zu lassen. Ist das Parität? Wenn deutsche Ordensschwestern in unseren Landestheilen vorhanden wären, würden wir sie tolerant behandeln. Die polnischen Kinder zwingt man, deutsch 9 sprechen. Wenn die Eltern ihre Kinder dem polnischen Unterricht zuführen, können wir sie doch nicht zurückweisen; daß wir sie aber polonisieren, bestreite ich, nicht ein Fall dafür ist bewiesen.

Der Minister beruft sich in dieser Hinsicht auf unbewiesene und un⸗ richtige Behauptungen. Dem Abg. Sattler gegenüber verweist Redner auf die Grundsätze, nach welchen der frühere Ober⸗Präsident von Flottwell die Provinz Posen verwaltet habe. Dieser habe in seiner

henkschrift an den König nach dem Ausscheiden aus seinem Amt seine Thätigkeit dahin gekennzeichnet, daß er beide Nationalitäten mit einander habe verschmelzen und mit dem Polenthum habe tabula rasa machen wollen. Der Minister habe den Polen den Vorwurf des Fanatismus gemacht, das sei ihm in seinem parlamentarischen Leben noch nicht vorgekommen.

Wenn der Minister sich selbst als fanatisch zeigt, kann es nicht Wunder

nehmen, wenn auch draußen im Lande die Leute sich anders benehmen, als wünschenswerth wäre. Zur Erreichung der Zufriedenheit könne (Schluß des Blattes.)

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Von dem Abg. Ring ist im Hause der Abgeordneten folgende Interpellation eingebracht worden:

Nach Mittheilungen der Königlichen Staatsregierung in der ver⸗ stärkten Agrarkommission bei Berathung des Antrags Ring (Sperrungen am Berliner städtischen Vieh⸗ und Schlachthof und Seucheneinschleppungen aus dem Auslande) waren im Frühjahr 1895 die nordischen Reiche Dänemark und Schweden seuchenfrei und des⸗ halb deren Viehimporte nur einer zehntägigen Quarantäne unter⸗ worfen, während für sonstige überseeische Vieheinfuhr die Quarantäne⸗ zeit vier Wochen dauert.

Ferner gestattet die Königliche Staatsregierung fortgesetzt die Einfuhr russischer geschlachteter und lebender Schweine sowie von ca. fünf Millionen russischer Gänse.

Nachdem sich inzwischen herausgestellt hat, daß in den letzten Monaten durch dänisches und schwedisches Vieh fast sämmtliche Quarantäneanstalten verseucht sind, nachdem erwiesen ist, daß durch russische Schweine und russische Gänse neuerdings Verseuchungen wiederholt stattgefunden haben,

richten die Unterzeichneten an die Königliche Staatsregierung die

Weelche Maßregeln gedenkt die Königliche Staatsregierung

nunmehr zu ergreifen, um weitere Seucheneinschleppungen zu verhindern 2

Nr. 9 des „Zentralblatts der Bauverwaltung“, herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 29. Fe⸗ bruar, hat folgenden Inhalt: Amtliches: Dienst⸗Nachrichten. Nichtamtliches: Entwurf einer geneigten Ebene für den Donau⸗Oder⸗ Kanal in Oesterreich. Die neue Münchener Bauordnung. (Schluß.) Der neue Hochaltar in S. Antonio in Padua. Blitzableiter an Eisenthürmen. Untersuchungen über die technischen Eigenschafte des Holzes. Vermischtes: Wettbewerb für Pläne zu einer katho⸗ lischen Kirche in Frankfurt a. M. Preisbewerbung für den Ent⸗ wurf zu einem Jungviehstall. Preisbewerbung für Pläne zu einem Vereinshaus für das Deutsche Kasino in Prag. Wettbewerb für Entwürfe zu einer Turnhalle in Schneeberg i. S. Eindeckung der Dächer von alten Baudenkmälern. Untersuchung über die Größe der Nebenspannungen. Bücherschau.

Kunst und Wissenschaft. 5

Das Germanische Nationgl⸗Museum in Nürnberg hat für seine Sammlung kirchlicher Alterthümer neuerdings ein hoch⸗ wichtiges Stück erworben: ein in Silber getriebenes Reliqguiarium, welches Propst Ladislaus Aschdorfer im Jahre 1476 für die Kirche des Chorherrnstifts Isen in Oberbavern stiftete. Dasselbe hat die Form einer Büste und stellt den h. Bischof Zeno, den Patron der Kirche von Isen, dar. Der Kopf ist streng, jedoch charakteristisch behandelt und meisterhaft getrieben. Die Reliquie befindet sich in einem ver⸗ goldeten und emaillierten Anhänger auf der Brust. Sind Arbeiten in Edelmetall aus dem 15. Jahrhundert überhaupt nicht häufig, so ge⸗ hören Kunstwerke von so vollendeter Stilreinheit und Sicherheit der technischen Behandlung zu den größten Seltenheiten und kommen nur ganz dusnahmsweise in den Handel. Durch dieses prächtige Reliquiar, dessen Erwerbung dem Museum allerdings nicht geringe Opfer auferlegte, hat daher nicht allein die Sammlung kirchlicher Alterthümer eine hochbedeutende Bereicherung erfahren, sondern es sind auch die Werke in Edelmetall, welche das Germanische Museum besitzt, um eine köstliche Perle der nachmals zu so außerordentlicher Blüͤthe gelangten Augsburger Goldschmiedekunst vermehrt worden.

4 Theater und Musik.

Konzerte.

Anm Freitag fand im Saal Bechstein ein Konzert zweier gut begabten jungen Künstlerinnen statt. Die Pianistin Eugenie Rein⸗ hold, die hier zum ersten Mal erschien, begann die Vorträge mit Beethoven's Variationen in F-dur und desselben Meisters humo⸗ ristischem Capriccio, welches unter dem Motto „Die Wuth über den verlorenen Groschen“ bekannt ist. Im Vortrag dieser Stücke sowie einiger Kompositionen von Schumann, Schubert und Anderen ließ die junge Virtuosin eine sorgfältig geschulte Technik und feurige Belebtheit des Ausdrucks erkennen, die sogar mitunter im Gebrauch des Forte das gebotene Maß überschritt. Frau Marie Blanck⸗Peters, deren treffliche Gesangsleistungen bereits vortheilhaft bekannt sind, bethätigte von neuem ihre besondere Begabung für einen feinsinnigen Vortrag in Liedern von Schubert, aradies, Pirani, Bungert, Schumann, Moszkowski und von Koß. Beide Damen, die unter Leitung des Herrn Wilhelm Blanck ausgebildet sind, ernteten reichen und wohlverdienten Beifall.

Die diesjährige Aufführung des von Herrn Direktor Edgar Munzinger geleiteten Eichelberg'schen Konservatoriums, welche am Freitag im Konzertsaal, Potsdamerstr. 9, stattfand, war eine besonvers glänzende. Sowohl die Klavierklassen des Herrn C. Ansorge als auch die Gesangsklassen der Königlichen Kammer⸗ sängerin 188 Mallinger und des Fräulein Herms leisteten Vortrefflichs. Aus Mozart’s Klavierkonzert (B-dur) wurde der erste Satz von Fräulein Charlotte Kaufmann mit einer an Virtuosität grenzenden technischen Sicherheit und Feinheit der Schattierungsweise gespielt, während Fräulein Emmy Pehl ihre klangvolle und bei Frau Mallinger trefflich ausgebildete Mezzosopran⸗ stimme in Liedern von Schubert, Denza und Stange zur Geltung brachte, die sie mit tiefer Empfindung und schwungpoller Ausdrucksweise vorteug. Der zweite Theil des Programms, der „Opern⸗Theil“, brachte die Auf⸗ führung zweier Bilder aus Humperdinck's Märchenspiel „Hänsel und Gretel“, welche von Schülern der Frau Mallinger mit Hilfe des

errn ee Wegener, des Herrn Große und des Frãu⸗ ein A. Maaß in musikalischer wie dramatischer Wiedergabe des Inhalts vortrefflich ausgeführt wurden, sodaß rauschender Beifall und Hervorruf der Frau Mallinger n 1

Am Sonnabend gab der Klaviervirtvose Jos6 Vianna da Motta aus Poertugal, der sich bereits öfter hierselbst hören ließ, im Saal der Sing⸗Akademie ein Konzert. Er bewährte in Beetboven's Es-dur-⸗Konzert mit Orchesterbegleitung (Philharmonisches Orchester unter Professor Mannstädt’s Leitung), in Solostücken von Bach⸗Liszt, Schubert, Felix Blumenfeld Wund in „Portu⸗ giesischen Volksscenen“ sowie einer portugiesischen Rhapsodie eigener Komposition die schon früher an ihm gerü mten Vorzüge: technische Sicherheit, Verständniß und Objektivität des Vor⸗ trags. Seine Kompositionen machten einen etwas monotonen Eindruck, der sich jedoch vielleicht durch den Charakter der portugiesischen Volks⸗ weisen entschuldigen läßt. Die „Russische Phantasie“ für Klavier und Orchester von E. Napravnik, welche den Schluß bildete, ist trotz aller Brillanz der Faktur ziemlich inhaltlos. Der danach gespendete

reiche Beifall Sest Horrsehel dem Pianisten.

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