1896 / 56 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 04 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Rübenzuckerfabriken prüfen, wo die Aktionäre gleichzeitig Rübenbauer sind, wo also die Fabriken auf das engste mit den Rüben⸗ bauern verbunden sind, so können Sie daraus über die Lage des Rübenbaues gar keine Schlußfolgerung ziehen; denn die Herren können aus steuerfiskalischen oder aus anderen Gründen ihre ganze Bilanz verschieben nach dieser oder jener Richtung hin; sie können niedrige Rübenpreise zahlen, um mit hohen Dividenden oder höheren Ueberschüssen zu figurieren (sehr richtig! rechts), oder sie können mit niedrigen Ueberschüssen figurieren, wenn sie beispielsweise sich der Steuer ein bischen mehr entziehen wollen (Heiterkeit) und den Aktionären um so viel höhere Rübenpreise geben. Aus alledem kann man gar keinen Schluß ziehen.

Nun hat der Herr Abg. Richter sechs Rübenzuckerfabriken ange⸗ führt. Ich bin nicht genau unterrichtet, ob sie alle Aktienfabriken, die nicht mit den Rübenbauern in Verbindung stehen, sind; von der Bennigsen'schen weiß ich es aber. Ich behaupte, es sind alles solche Rübenzuckerfabriken; denn die Aktien werden an der Börse gehandelt, und an der Börse können überhaupt nur Aktien von Zuckerrüben⸗ fabriken gehandelt werden, wo der Besitz der Aktien nicht mit der Verpflichtung, ein bestimmtes Quantum Rüben zu bauen, verbunden ist; nur Aktien von solchen Rübenzuckerfabriken werden an der Börse gehandelt. Die Zahlen, die der Herr Abg. Richter vorgebracht hat, beweisen garnichts. Aber das Allerinteressanteste dabei ist: es findet sich darunter eine Fabrik, die der Herr Abg. Richter hier mit auf⸗ geführt hat, eine Melasse⸗Entzuckerungsfabrik, eine Raffinerie, die also auch nicht annähernd direkt eine solche Bedeutung hat. (Widerspruch links.) Ich habe das aus meinen Akten, ich glaube, mit Sicherheit feststellen können. Wie gesagt, irren kann sich jeder, meine Akten können sich auch irren, aber die Sache ist so. (Heiterkeit links.) Man kann nicht durch allerlei glaubliche und unglaubliche Dinge das be⸗ weisen. (Heiterkeit links.)

Auf die Spezialien des Gesetzes, welche Herr Graf Posadowsky schon berührt hat, will ich nicht tiefer eingehen; ich will auch nicht auf andere mehr oder weniger nebensächliche Dinge mich einlassen. Aber eine Schädigung ist bisber noch nicht hervorgehoben, die unsere Rübenindustrie sehr empfindlich trifft. Unser gesammter Melasseerport ging bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich nach Frankreich, und zwar zu einem guten Preise. (Sehr richtig!) Frankreich hat jetzt einen so hohen Eingangszoll darauf gelegt, daß er geradezu prohibitiv wirkt; jetzt sind wir in der üblen Lage, entweder daß die Melasse was ich durchaus nicht wünsche entzuckert werde die Rückstände sind dann werthlos, namentlich für die Landwirthschaft oder und das ist das Ziel, welches wir erstreben müssen, sie muß der Landwirthschaft wieder als Futtermittel für das Vieh zugeführt werden, dann werden die mineralischen Düngstoffe wieder der Land⸗ wirthschaft erhalten, und sie dient zur Fleischerzeugung.

Ich resümiere mich kurz in folgender Weise. Ist es richtig, daß die Zuckerindustrie das Rückgrat unserer gesammten Landwirthschaft bildet; ist es richtig, daß, wenn ein Glied leidet, alle Glieder mit leiden, handelt es sich um eines der hervorragendsten Exportgewerbe, ist es richtig, daß der gegenwärtige Zeitpunkt der unglücklichst gewählte ist, um eine völlige Beseitigung der Ausfuhrvergütung eintreten zu lassen und die

Industrie ihrem Schicksal zu überlassen, ist es richtig, daß die anderen Staaten ich glaube das bewiesen zu haben trotz aller Versuche, sie von dem Wege abzubringen, fortfahren, uns auf dem auswärtigen Markt, wohin wir unserer Produktion absetzen müssen, die Kon⸗ kurrenz unmöglich zu machen dann, glaube ich, kann kein Mitglied dieses hohen Hauses, welches ein warmes Herz für die Landwirthschaft hat, der Staatsregierung die Mittel versagen, in dieser gefährdeten Lage für die Landwirthschaft im allgemeinen, damit für die Industrie, für Handel, Gewerbe u. s. w. diejenigen Maß⸗ nahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um den blü⸗ hendsten Zweig unserer Landwirthschaft vor dem Niedergang zu schützen. So gebe ich mich der Hoffnung hin, daß konsequent mit Ihren Beschlüssen beim Nothstandsgesetz Sie nicht, wie der Herr Abg. Richter, auf die Frage eingehen, ob hier etwas geschehen soll, sondern nur die Frage prüfen: wie wollen wir in dieser gefährlichen Lage unserer Landwirthschaft helfen? Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß aus der Kommissionsberathung zum Segen unserer gesammten deutschen Landwirthschaft ein vernünftiges und zweckentsprechendes, allerdings nicht dauerndes, sondern ein Kampfgesetz hervorgehen wird. Darum handelt es sich! (Lebhaftes Bravo rechts.)

Abg. von Puttkamer⸗Plauth (dkons.); Dieses Gesetz ver⸗ dankt seine Entstehung dem Drängen des Reichstags, zuletzt in der Form des Antrags Paasche. Wir schließen uns dem Wunsche auf Kommissionsberathung an. Man hat uns gesagt, wir möchten der Nothlage der Landwirthschaft mit ausführbaren und möglichen Mitteln begegnen. Hier ist ein solches Mittel, und doch hat Herr Richter diese Vorlage als die allergemeingefährlichste charakterisiert, und ihr gegenüber den Antrag Kanitz gewissermaßen gelobt und empfohlen. Merkwürdig ist, daß Herr Richter immer die Vorlage für die allergefährlichste hält, die gerade vorliegt. Bei solchen Uebertreibungen ist es kein Wunder, wenn eine an sich sonst berechtigte Opposition nicht diejenige Beachtung findet, die sie sonst verdienen könnte. Der Antrag Kanitz wollte nicht die Feststellung eines Mindest⸗, sondern eines Durchschnittspreises im Interesse des Pele und Konsumenten. Diese Vorlage will nicht wie der

ntrag Kanitz die Abwehr eines großen Imports, sondern die mög⸗ lichste Erhaltung eines Exports, sie verdient auch nicht den Vorwurf einer sozialistischen Tendenz, sie ist technisch durchführbar und verstößt nicht gegen völkerrechtliche Verträge. Deutschland hat auf dem Welt⸗ markt für seinen Zucker seine Stellung behauptet, trotz aller ungleich⸗ artigen Behandlung desselben. Wenn diese ungleichartige Behandlung nicht vorhanden wäre, so würden wir die Konkurrenz auf die Dauer aushalten können. Wenn die Rübenpreise die jetzige Höhe beibehalten, dann wird aber der Rübenbau unmöglich werden und der Konkurrenzkampf wird von selbst aufhören. Wer für diesen Todeskampf einer landwirth⸗ schaftlichen Industrie nichts übrig hat, der beweist überhaupt, da ihm die Interessen der Landwirthschaft sehr fern liegen. Wie Herr Richter die Bauern auf diese Weise gewinnen will, ist mir ein Räthsel; er sucht allerdings die ganze Sache darzustellen als eine Angelegenheit der Groß⸗ grundbesitzer und spricht von den vornehmen Leuten. Diesen Ton hat der Landwirthschafts⸗Minister schon zurückgewiesen. Nirgends besteht zwischen den Aktiengesellschaften und den Landwirthen eine solche Solidarität wie zwischen der Zuckerindustrie und dem Rübenbau. Die Rübenbauer sind nicht goße Herren, die dem Hofe nahestehen. Im Osten kenne ich drei Fabriken, an denen 1200 Rübenbauer betheiligt sind. Herr Richter behauptet, daß in landwirthschaftlichen Kreisen selbst eine Opposition gegen das Gesetz vorhanden sei. Die pposition findet statt gegen diese oder jene Einzelbestimmung des Gesetzes; aber dem ganzen Grundgedanken der staatlichen Hilfe wird kein Widerstand geleistet. Ich habe mich gefreut, daß auch die Oppo⸗ sition des Bundesraths keine prinzipielle gewesen ist. Die mit Rüben bebaute Fläche ist nicht alljährlich dieselbe, für die Bedeutung der⸗ selben für die Landwirthschaft ist nicht die einfache Fläche maßgebend, sondern ein Mehrfaches derselben. Der Rübenbau hat

Getreidebau. Für die Gegenden mit Rübenbau besteht eine überhaupt nicht mehr. Diese Dinge liegen ja Herrn ichter etwas ferner. Herr Richter ist ja ein Meister in poli⸗ tischen Dingen und namentlich in der Aufstellung von Zahlen, aber in landwirthschaftlicher Beziehung habe ich jede Hochachtung vor ihm verloren; er kennt diese Dinge nur von Hörensagen und zwar von Leuten, die selbst nichts davon verstehen. Herr Spahn hat erklärt, daß das Zentrum für die der Konsumabgabe nicht zu haben sei. Wie will er denn den Ausfall decken? Vielleicht durch die Betriebssteuer? Das würde allerdings dem Zustandekommen der Vorlage sehr hinderlich sein. Die Einzelheiten der ve. sind so schwieriger Natur, daß man sie besser der Kommission überläßt. Ich bin weder Theilnehmer einer Fabrik, noch uckerrübenbauer. Gern nimmt die Zuckerindustrie die Prämien nicht; sie ist eine leistungsfähige Industrie und möchte nicht gern Kostgänger des Staats sein. Aber es handelt sich um ein Bedürfniß, welches nicht aus der Industrie selbst hervorgeht, sondern welches ihr von auswärts aufgedrängt wird. Wo es sich um eine solche Vergewaltigung der vater⸗ ländischen Industrie handelt, müßten Alle zusammenstehen, um ihr gegen den auswärtigen Feind zu Hilfe zu eilen; auf diesem Stand⸗ punkt scheint man allerdings dort drüben nicht zu stehen. Wir nehmen die Prämien, weil wir sie nehmen müssen. Wenn Sie einen anderen Weg wissen, so kommen Sie heraus damit! Aber in der 1⅛ stündigen Rede des Abg. Richter habe ich kein anderes Mittel gehört. Daß der Bundesrath die Prämien ermäßigt oder aufhebt, wenn die anderen Staaten dasselbe thun, damit sind wir einverstanden. Aber wenn das Ausland seine Prämien noch heraufsetzt, müßten wir dann nicht dem Bundesrath die Befußmiß geben, daß er die deutschen Prämien erhöht? Ich will meine Partei dafür noch nicht festlegen. Ein ziemliches Einverständniß herrscht darüber, daß ohne Kontingentierung keine Prämienzahlung möglich ist. Ueber die Höhe des Gesammtkontingents gehen die Ansichten weit aus⸗ einander. Das Kontingent von 14 Millionen Doppelzentnern wird als zu niedrig betrachtet; man könnte wohl ohne Schaden bis auf 17 Millionen Doppelzentner hinaufgehen, denn wir wollen nicht den Rübenbau in seiner jetzigen Ausdehnung zurückschrauben, weil davon am ersten der Bauer betroffen würde. Hannover, Sachsen, Anhalt stehen auf der Höhe ihrer Expansionsfähigkeit. Im sten aber ist eine Expansion noch möglich und nothwendig, zumal der Getreidebau nicht lohnend ist; es ist selbstverständlich, daß der Osten jede Ausdehnung des Rübenbaues durch gewisse Opfer sich wird erkämpfen müssen. Durch die Erhöhung der Verbrauchsabgabe, die eine minimale ist, wird der Zuckerpreis nicht erheblich erhöht werden. Solche geringen Preisschwankungen bei diesen Artikeln haben kaum einen Einfluß auf den Verbrauch. Da spielen ganz andere Faktoren mit, namentlich ein guter und ständiger Verdienst der arbeitenden Klassen. Die Zunahme des Zuckerverbrauchs beweist die Besserung der wirthschaftlichen Lage der Arbeiter; das beweisen auch die auf vier Milliarden angewachsenen Sparkasseneinlagen. Die Be⸗ triebsabgabe wäre mir an sich sehr angenehm; aber die Staffelform würde namentlich die großen Betriebe des Ostens und Nordens treffen. Wenn auch der Großbetrieb sonst billiger arbeitet als der Kleinbetrieb, so trifft das für den Osten nicht zu. Wir sind viel kapitalärmer und haben die Fabriken nicht aus eigenen Mitteln, fondern aus gepumptem Gelde eingerichtet; im Osten sind die Frachtkosten sehr viel größer für die zu beziehenden Rüben und für den zu verkaufenden Zucker. Auf eine Staffelung der Be⸗ triebssteuer können wir uns also unter keinen Umständen ein⸗ lassen; wenn die Staffelung aber wegfällt, bedeutet die Betriebssteuer nur eine Herabminderung der Prämie um 1 Das scheint mir ein sehr zweifelhafter Vorschlag zu sein. Es entsteht die Frage, ob der Fiskus die ferßae bezahlen kann ohne Betriebssteuer. Selbstver⸗ ständlich wollen wir keine Schädigung des Reichs. Aber ich glaube, daß die Erhöhung der Verbrauchsabgabe allein ausreichen wird, die S. zu decken. Die gegenwärtige Lage hat eine verzweifelte Aehn⸗ ichkeit mit derjenigen, welche bestand zur Zeit des Abschlusses des österreichischen Handelsvertrags, dessen Abschluß viele nachher bitter bereut haben. Durch vorübergehende Umstände hat sich die Lage des Zuckermarktes etwas gehoben; aber dieser Zustand ist ein vor⸗ übergehender. Desbalb bitte ich die Herren, sich nicht beeinflussen zu lassen durch die erschwerenden Momente, welche in der Vorlage liegen. Freilich, wer für das freie Spiel der Kräfte eintritt, der wird für diese Vorlage nicht zu haben sein. Aber selbst diese könnten für die Vorlage stimmen, denn die deutsche Zuckerindustrie befindet sich nicht im freien Kampf mit der auswartigen, sondern es hat ein schwerwiegender Eingriff in die Verhältnisse stattgefunden. Ein großer Theil der landwirthschaftlichen Bevölkerung ist bei dieser Frage be⸗ theiligt, und diese zu stützen, ist die erste Aufgabe der Gegenwart.

Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky:

Ich bedauere, daß ich nochmals das Wort in der ersten Be⸗ rathung ergreifen muß, halte mich aber für verpflichtet, auf die Aus⸗ führungen, die gestern der Herr Abg. Richter gemacht hat, schon jetzt zu entgegnen; denn ich möͤchte mir nicht den Vorwurf zuziehen, das in einem Augenblick gethan zu haben, wo er zu antworten keine Gelegenheit mehr hätte.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat sich gestern, ich glaube, zur allergrößten Ueberraschung der gesammten deutschen Landwirthe als ein Vertreter der deutschen Landwirthschaft und ihrer Interessen vorgestellt, und er hat geradezu die deutschen Landwirthe gewarnt, insbesondere die Vertreter der Rübenindustrie, sie sollten nicht die gefährlichen Geschenke annehmen, die ihnen hier von der Regierung angeboten würden. Ich frage den Herrn Abg. Richter, was hat er denn bisher der deutschen Landwirthschaft geschenkt und gewährt? (Große Heiterkeit links. Sehr gut! rechts.) Er war der entschiedenste Gegner jedes Schutzzolls, er war der Gegner des Branntweinsteuer⸗ gesetzes, der Gegner des Zuckersteuernothgesetzes, er war auch der Gegner der letzten Branntweinsteuernovelle (sehr gut! links); er hat auch damals vor der Branntweinsteuernovelle die deutsche Land⸗ wirthschaft gewarnt. Kürzlich, in einer Versammlung der Sypiritus⸗ industriellen, die doch in der Sache kompetenter sind, als der Herr Abg. Richter, ist den verbündeten Regierungen das Zeugniß ausgestellt worden, daß diese Branntweinsteuernovelle ausgezeichnet gewirkt hat (sehr richtig! rechts. Zuruf links), und daß heute ohne die Novelle der Preis 25 sein würde, daß die Branntweinindustrie vollkommen darnieder liegen würde. (Sehr richtig! rechts.)

Also ich glaube, der Führung des Herrn Abg. Richter wird sich die Zuckerindustrie in dieser Angelegenheit nicht anvertrauen. (Sehr gut! rechts.) Wenn die deutsche Landwirthschaft und unsere ganze Wirthschaftspolitik der Führung des Herrn Abg. Richter ge⸗ folgt wäre (Zuruf links große Heiterkeit), dann wäre die deutsche Landwirthschaft bereits Hungers gestorben. Sehr richtig! rechts. Ach, ach! links.)

Meine Herren, Ich habe früher bei Berathung des Branntwein⸗ steuergesetzs darauf hingewiesen, daß die Richter'sche Politik die deutsche Landwirthschaft in die Lage bringen würde, in der jetzt die englische Landwirthschaft ist (sehr richtig! rechts. Oh, Oh! links), von der man sagen kann, sie ist als nationaler Erwerbszweig zu Grunde gegangen. Damals hat der Herr Abg. Richter das für eine arge Uebertreibung erklärt; ich hoffe, er wird seitdem Studien gemacht haben (lebhafte Zurufe) und wird vor allen Dingen die amt⸗ lichen Enqusteberichte der englischen Regierung gelesen haben; wenn

Präsidenten um die Erlaubniß bitten, zwei kurze Stellen aus der Rede eines englischen Staatsmanns zu verlesen, die in dieser Be⸗ ziehung vollkommen schlagend sind. Lord Salisbury hat auf einem Bankett in Watford am 30. Oktober 1895 gesagt:

„Jetzt sehen Sie, wie das Sinlken der Preise, welches die Folge des Freihandels ist, die Landwirthschaft in verschiedenen Grafschaften dieses Landes fast zu Grunde gerichtet hat.“

Und ferner:

„Indem ich in diesem Raume spreche, kann ich nicht vergessen, daß das größte Uebel, mit dem wir uns abzufinden haben, das schreckliche Hemmniß für den Wohlstand unseres Landes, die verzweifelte Lage ist, in der die Landwirthschaft sich gegenwärtig befindet. Ich erwähnte schon, daß in mehreren Grafschaften oder wenigstens in vielen Theilen von ihnen, die Landwirthschaft auf dem Punkte zu sein scheint, zu verschwinden und daß die Bebauung des Landes aufhört. Der Niedergang, unter dem wir leiden, hat in gewissem Grade alle Schichten der ackerbauenden Bevölkerung ergriffen. Der Grundherr hat in erster Linie und am schärfsten gelitten. Der Pächter leidet sodann und sein Leiden ist schrecklich und höchst beklagenswerth gewesen.“

(Hört, hört! rechts.) Und in einer anderen Rede hat Lord Salisbury am 29. November 1895 in Brighton gesagt:

„Nächst den Maßnahmen, die unseren Vertheidigungszustand betreffen, kommt die sehr traurige Angelegenheit des landwirth⸗ schaftlichen Nothstandes. Es ist schwer, darüber zu reden, so düster sind die Gedanken, welche er erweckt, so tief muß Aller Mitgefühl für diejenigen erregt sein, welche infolge des nicht vorauszusehenden Unglücks unsagbare, unerwartete Noth und Sorge ausstehen.“

Das ist, meine Herren, eine klassische Darstellung, wohin eine Wirthschaftspolitik führt, deren erstes Prinzip nicht ist: Schutz der nationalen Arbeit (Bravo! rechts); und ich hoffe, in diesem hohen Hause wird sich keine Majorität finden, die den ver⸗ kehrten wirthschaftlichen Prinzipien des Herrn Abg. Richter folgt. (Bravo! rechts. Heiterkeit links.)

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat gestern gesagt: nie⸗ mals sind mit einer größeren Sicherheit falsche Thatsachen vom Ministertisch behauptet worden als heute. (Sehr richtig! links.) Ich würde es für geschmacklos halten, in dieser Weise dem Herrn Abg. Richter zu antworten; sein Wissen ist auch groß genug, um eine solche Schärfe der Sprache entbehren zu können; aber ich be⸗ dauere nur, daß er auf volkswirthschaftlichem Gebiet aus seinem Wissen vollkommen falsche Schlüsse zieht.

Herr Richter hat gesagt, ich hätte selbst ausgeführt, mäßige Prämien nützten nichts. Das ist nicht richtig. Ich habe aus⸗ geführt, mäßige Prämien nützen nichts, wenn sie uns nicht wenigstens mit einem Konkurrenten in Parallele stellen.

Der Herr Abgeordnete hat ferner gesagt, die Begehrlichkeit der rechten Seite des Hauses wollte sogar das Gesammtkontingent auf 17 Millionen Doppelzentner erhöhen, das Vslk sollte also noch mehr belastet werden. Das ist doch dem Herrn Abgeordneten ganz genau bekannt, daß die natürliche, automatische Folge der Erhöhung des Gesammtkontingents die Reduktion der Prämien sein muß. Daß die Konsumabgabe noch mehr erhöht werden sollte, wie bisher vor⸗ geschlagen, ist von keinem Redner des Hauses, auch nicht in der Oeffentlichkeit verlangt worden. (Heiterkeit links.)

Es ist ferner ausgeführt worden, die übrige Landwirthschaft habe an der Rübenindustrie eigentlich gar kein Interesse. Ich glaube, das ist schon von dem landwirthschaftlichen Minister Preußens wider⸗ legt worden; ich möchte aber noch auf einen Punkt hinweisen: eine intensive Landwirthschaft, und nur solche kann noch Erträge bringen, würde, wenn die mit Rüben bebaute Fläche zurückginge, wiederum in größerem Umfange sich auf den Kartoffelbau legen müssen. Des⸗ halb würde ein Rückgang der Rübenindustrie auch perniziös werden für das Brennereigewerbe, sodaß einer solchen Ueberproduktion eine Novelle wie diejenige vom vorigen Jahre auch nicht mehr würde Widerstand leisten können. (Sehr richtig! rechts.)

Der Herr Abg. Richter hat gestern diese Vorlage verglichen mit dem Antrag Kanitz. Es sei das nur der Antrag Kanitz in anderer Form. Wenn das richtig ist, dann steckt die Republik Frankreich mit ihrem staatlichen Schutz der nationalen Arbeit bis über die Ohren bereits in dem Antrag Kanitz; dann haben ihn bereits Belgien, Holland, Oesterreich, und auch wir; denn wir haben bisher auch schon Prämien gehabt, sogar früher viel höhere.

Die Motive, die der Herr Abg. Richter gestern gegen das Gesetz geltend gemacht hat, kann man gegen jede wirthschaftliche Maßregel anwenden. (Sehr richtig!) Es überrascht mich die Be⸗ weisführung des Herrn Abg. Richter; denn gerade in seinem wissen⸗ schaftlichen Kampf gegen die Sozialdemokratie hebt er immer die Wichtigkeit des Individuums und dessen Einfluß auf die gesammte Wirthschaftsführung des Volkes hervor. Wie kann er nun sagen, wenn er aus einem Adreßkalender die Leiter oder Besitzer einer Anzahl Fabriken heraussucht, daß es sich hier lediglich um das Interesse reicher Leute handelt! (Zuruf links.) So haben Sie, Herr Abgeordneter, das gestern ausgeführt und sind sogar auf diese Listen zurückgekommen. (Ja wohl! rechts.) Er hat auch gesagt: in welchen Widerspruch hat sich der Reichs⸗Schatzsekretär gesetzt! Wie es sich um die Tabacksteuer handelte, da war er gegen die Erhöhung des Schutzzolls; jetzt, wo es sich um die Zuckerindustrie handelt, plädiert er zu Gunsten der Erhöhung des nationalen Schutzes für diese Industrie! Das ist natürlich nur darauf berechnet, Süddeutschland zu alarmieren gegen das Gesetz; aber der Vergleich ist doch absolut unzutreffend; denn bei dem Tabacksteuergesetz handelte es sich um ein Finanzgesetz, bei der vorliegenden Zucker⸗ steuernovelle beansprucht das Reich keine neuen Einnahmen. Selbst von den Freunden der süddeutschen Tabackbauern wurde ausgeführt, daß eine Erhöhung des Schutzzolles für den Tabackbau außerordentlich gefährlich wäre, da der süddeutsche Taback schon unter der Ueber⸗ produktion leide, da der Taback nicht abzusetzen sei und in Zukunft die Ueberproduktion in gefährlicher Weise zunehmen würde. Es würde eine Erhöhung des Schutzzolls auch gerade das Gegentheil von dem erreicht haben, was man durch die Tabackfabrikat⸗ steuer erreichen wollte, d. h. eine Erhöhung der Einnahmen des Reichs.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

seine Bedeutung für die ganze Kultur, auch für

er das aber nicht gethan haben sollte, so muß ich schon den Herrn

zum Deutschen Reichs⸗A

No. 56.

matseserxeuvFaüvrhnnns

9

Berlin, Mittwoch, den 4. Mär⸗

nzeiger und Königlich Preuß

11.“

1

ts⸗Anzeiger.

1896.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Der Herr Abg. Richter hat damals treffend ausgeführt, wir würden nicht nur nicht Mehreinnahmen haben, sondern die Einnahmen würden zurückgehen. Außerdem aber ist damals bei dem Tabacksteuergesetz keine Kontingentierung, keine Beschränkung der Produktion vorgesehen, wie das jetzt bei der Zuckerproduktion vor⸗ gesehen ist. Wäre der süddeutsche Tabackbau mit einer Kontingentie⸗ rung seiner Produktion einverstanden, so wäre die Erzielung er⸗ höhter Einnahmen aus dem Taback durch eine Erhöhung des Schutzzolles eine sehr wohl zu erwägende Maßregel. Also dieser Vergleich war falsch.

Es ist weiter von dem Herrn Abg. Richter ausgeführt worden, von der Rübenkultur entfielen auf Süddeutschland 2 ½ %, während es 20 % der Zuckersteuer zu tragen habe. Was ist das für ein Ein⸗ wand? Mit demselben Rechte könnte man sagen, wir müßten die Eisenzölle aufheben; denn der Sitz der Eisenindustrie ist Ober⸗ schlesien, Westfalen und die Rheinlande, und Süddeutschland braucht natürlich auch rheinisches, westfälisches und oberschlesisches Eisen. Dann hört Deutschland auf ein einheitliches wirthschaftliches Gebiet zu sein, und jeder Staat und jede Provinz müßten wieder mit einer besonderen Zollgrenze umgeben werden.

Der Herr Abg. Richter hat weiter gesagt: „Mustern Sie die Liste der Interessenten in dem Zabel'schen Adreßbuch: die Aktionäre der Zuckerfabriken sind die reichsten Leute“. Das ist die Proscriptions⸗ liste, die ich bereits in einer bekannten Berliner Zeitung gefunden habe. (Heiterkeit.) Es ist dabei nur ein Irrthum untergelaufen: es sind unter die reichsten Leute auch solche gerechnet, die nichts sind als Vorsteher von Fabriken, Direktoren des Aufsichtsraths; ja, es ist sogar einer darunter, der ein ganz bekannter Gegner dieses Gesetz⸗ entwurfs ist. Der Herr Abg. Richter hat es nun aber so dar⸗ gestellt, als ob die Aktionäre der Zuckerfabriken wenige Leute wären, die alle in den glücklichsten Verhältnissen sich befinden. Ich habe hier nun eine ganz spezielle Statistik von 158 Fabriken, woraus sich er⸗ giebt, daß 17 Fabriken sind mit 2374 Aktionären, 21 mit 2675, 23 mit 3509 Aktionären, 24 Fabriken mit 3965 Aktionären u. s. w. Glaubt der Herr Abg. Richter, daß das alles reiche Leute sind? (Heiterkeit rechts.) Soviel reiche Leute giebt es ja gar nicht. (Heiter⸗ keit.) Das wird mir der preußische Herr Finanz⸗Minister mit größtem

Bedauern bestätigen. Außerdem kommen zu diesen Aktionären noch Tausende von Rübenlieferanten, die an dem Gedeihen der Zucker⸗ industrie ganz ebenso betheiligt sind, wie die Aktionäre.

Der Herr Abg. Richter hat ferner ausgeführt um nachzuweisen

gestern hat er gesagt wie „leicht“, in der Presse stand, wie „leichtsinnig“ wieder diese Vorlage ausgearbeitet sei, daß bei der ganzen Ertragsberechnung von den „Schnitzeln“ ebensowenig die Rede sei, wie beim Branntwein von der Schlempe. Auch das ist falsch; wenn der Herr Abg. Richter sich mehr auf dem Lande bewegt hätte, so würde er wissen, daß die Schnitzel zwar ein sehr nützliches Futter bilden, aber nur für den, der so nahe an der Fabrik wohnt, daß die Transportkosten für die Schnitzel überhaupt noch lohnen. (Sehr richtig! rechts.) Liegt die Fabrik zu weit, so bleibt der Ertrag sozu⸗ sagen an der Achse hängen, und deshalb kann man die Schnitzel bei dem wechselnden Werth, den sie für die Landwirthschaft je nach der Entfernung von der Fabrik haben, als Koeffizienten einer Ertrags⸗ berechnung nicht einstellen. Ganz anders ist das mit der Schlempe, die erzeugt wird in der Fabrik, die zu dem einzelnen Gute gehört; und auch da hat der Herr Abg. Richter Unrecht, daß die Schlempe nicht berücksichtigt werde. Denn wenn er die Güte hätte, die Motive zu dem letzten Branntweinsteuergesetz anzusehen, so würde er daraus finden, daß ganz ausdrücklich bei der Berechnung der Herstellung eines Hektoliters Spiritus auf Seite 28 der Motive gesagt wird:

Nach Abzug des Futterwerths der Schlempe mit 0,30 für den Zentner verarbeitete Kartoffeln = 5,40 ℳ,

welche von den Kosten in Abzug gebracht sind. Also auch diese Be⸗ hauptung ist unrichtig. Herr Abg. Richter hat ferner gesagt, ich hätte darauf hingewiesen, das wäre Spekulation, daß jetzt die Preise des Zuckers so hoch stehen. „Ist denn Spekulation etwas Unsittliches?“ Nein, meine Herren, Spekulation kann etwas Unsittliches sein, sie ist sehr oft etwas Unsittliches, aber sie braucht nicht immer un⸗ sittlich zu sein. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe nur darauf hin⸗ gewiesen, daß ich, und ich habe meine guten Gründe für diese Behauptung, den jetzigen Hochstand der Zuckerpreise für ein spekulatives Manöver gegen das Gelingen dieses Gesetzes ansehe, (große Heiterkeit links), und daß auch die cubanischen Verhältnisse künstlich zu diesem Zweck übertrieben werden.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat gestern den Bericht eines General⸗Konsuls vorgelesen, aus dem er glaubte, deduzieren zu können, die Verhältnisse in Cuba seien doch nicht so ungünstig, wie sie hier vom Reichs⸗Schatzsekretär dargestellt würden. Ich wünschte dringend, der Herr Abg. Richter hätte den Bericht des betreffenden Konsuls ganz vorgelesen. Glücklicher Weise habe ich den Ausschnitt aus der „Freisinnigen Zeitung“ hier, wo der Bericht abgedruckt war, und ich will ihn jetzt verlesen. (Heiterkeit rechts.) Da heißt es:

Die kriegerischen Ereignisse können jederzeit wesentliche Ver⸗ änderungen zu Gunsten oder zum Nachtheil der Zuckerernte zur Folge haben, sodaß jede Schätzung nur momentan annähernd richtig ist und durch die nachfolgenden Thatsachen widerlegt werden kann.

Das sagt der sachkundige Mann, auf den sich der Herr Abg. Richter beruft. Das ist ganz dasselbe, was ich gestern deduziert habe. In den cubanischen Verhältnissen liegt ein unsicherer Faktor; die Verhältnisse können sich auch sehr bald zum Besseren wenden, und aus dem jetzigen Zustande kann man nicht deduzieren, daß eine Re⸗ form der Zuckersteuer bei uns nicht nothwendig sei. Der Herr Abg. Richter hat ferner erklärt, die Betriebssteuer werde in diesem Hause einstimmig abgelehnt; das stehe heute schon fest. Ich habe keine Veranlassung, in diesem Augenblick mich für die Betriebssteuer ins

feilerung des Zuckers und hat daraus deduziert, daß der Konsum des

Spahn gestern im Namen der Zentrumspartei über diese Steuer ab⸗ gegeben hat. Wir werden uns ja in der Kommission über diese Frage eingehend unterhalten. Es ist ferner gestern von Herrn Abg. Richter gesagt worden:

Der Verein der Zuckerfabrikanten verlangt eine Fixierung der Mehrsteuer auf 4 % Das ist undurchführbar; denn wenn Zucker⸗ vorräthe auf das nächste Jahr übertragen und dann erst exportiert werden, so würde ein großes Loch in der Staatskasse entstehen. 8 Meine Herren, das muß auf einem Mißverständniß des geehrten

Herrn Abgeordneten beruhen; denn der Gedanke des Zuckervereins ist der, daß niemand mehr zurückzahlen soll, wie er bekommen hat.

Wenn er also 4 bekommen hat für das Superkontingent, so muß er auch 4 zurückzahlen, und dann ist es ganz gleich, welcher Vorrath auf das nächste Jahr übertragen wird; ein Loch in der Staatskasse kann dadurch nicht entstehen, sondern vielleicht nur dadurch, daß mehr Raffinade als bisher zur Ausfuhr gelangte.

Es ist ferner behauptet: schließlich müßte der Bundesrath, um den wechselnden Bedürfnissen des Auslandes zu genügen, alle Jahre die Kontingentierung neu feststellen. Das verstehe ich faktisch nicht; es sind doch nur zwei Fälle möglich: entweder die Produktion bleibt hinter dem Kontingent zurück, dann liegt keine Veranlasssung vor, das Kontingent höher zu normieren, oder die Nachfrage wird durch günstige Auslandskonjunkturen so groß, daß in erheblichem Maße Superkontingent produziert werden muß, dann steigen aber auch die Preise, und dann wird das Superkontingent sehr wohl auch die eventuelle Verpflichtung der Rückzahlung der Prämie tragen können.

Meine Herren, es ist ferner gesagt das war auf die kleinen Leute berechnet —: „die Nachfrage nach Rüben wird vermindert durch die Kontingentierung und man wird zunächst die Kaufrüben weniger nehmen und selbst Rüben bauen.“ Ich habe gestern schon ausgeführt: wenn die Aktienfabriken wirklich in der Lage wären, aus ihren eigenen Ländereien und denen ihrer Aktionäre ihren Bedarf an Rüben zu decken, so würden sie nicht daran denken, Rüben zu kaufen und würden es auch in Zukunft nicht thun, ob mit Kontingent oder ohne Kontingent; die Kontingentierung hat gar keinen Einfluß auf das Angebot und die Nachfrage auf dem Weltmarkt.

Herr Richter hat endlich angeführt: „Es wird die Legende aufrecht erhalten, als ob man sich vorbehalten hätte, die Prämien wieder zu erhöhen, wenn die anderen Staaten dieselben nicht abschaffen. Das gerade Gegentheil ist damals in der Begründung ausgesprochen worden.“ Und dann fügt der Herr Abg. Richter hinzu: Der damalige Schatzsekretär hätte bei den ferneren Verhandlungen, um das Gesetz noch zu retten, gesagt, man könnte später einmal auf die Prämien zurückkommen. Meine Herren, die Legendenbildung liegt nicht auf Seiten der Regierung. Ich lasse es anheimgestellt, wie diese Legende entstanden ist; ich glaube, wir können die Wahrheit urkundlich ermitteln. In der Begründung der Zuckersteuernovelle von 1891 heißt es:

Die Konkurrenzfähigkeit unseres Zuckers hängt davon ab, wie sich die gesammten Bedingungen seiner Produktion im Verhältniß zu den Bedingungen der Zuckerproduktion und Ausfuhr der übrigen betheiligten Länder stellen. Eine Unfähigkeit zur Konkurrenz gegen⸗ über dem Zucker von Prämienländern könnte für unsere Industrie nur in so weit eintreten, als die Zuckerindustrie jener Länder ohne die Prämien, oder ohne deren vollen Betrag ebenso günstig produziert und exportiert, wie die prämienlose deutsche Zuckerindustrie. Nur eine derartig situierte fremde Zuckerindustrie würde in dem vollen Betrage der Prämien oder einem Theile derselben einen reinen Vorsprung vor der deutschen Zuckerindustrie genießen.

Ich glaube also, dem Verfasser dieser Begründung ist die Situation vollkommen klar gewesen, und das behaupten wir ja gerade, daß unsere Konkurrenten jetzt annähernd so günstig produzieren wie wir, daß sie seit Erlaß jenes Gesetzes ganz außerordentliche technische Fort⸗ schritte zu unseren Ungunsten gemacht haben, und endlich, daß ein wichtiger neuer Faktor die Erhebung des amerikanischen Werthzolls ist, der natürlich auf nicht prämiierten Zucker ganz anders wirkt, wie auf den prämiierten. Der Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts hat damals auch über seine Auffassung zur Sache, nicht erst um das Gesetz im späteren Stadium zu retten, sondern gleich bei der ersten Berathung des Gesetzes keinen Zweifel gelassen. Er hat schon bei der ersten Berathung am 12. Dezember 1890 gesagt:

Wir glauben allerdings, daß, wenn Deutschland diesen Schritt thut, die anderen Staaten, die bei der Zucker⸗ produktion betheiligt sind, diesem Schritt folgen werden im wohlverstandenen eigenen Interesse, und wir geben, da wir Ihnen vorschlagen, für die Uebergangszeit beim Export von Zucker feste Zuschüsse zu gewähren, die Mittel noch nicht aus der Hand, auch auf die Beschlüsse der betheiligten anderen Staaten unsererseits zu wirken. Wir be⸗ halten um einen bekannten Volksausdruck zu be⸗ nutzen mit der Einführung von festen Prämien unseren Nachbarn gegenüber Ball und Stock noch immer in der Hand.

Meine Herren, das ist doch ganz klar, daß hieraus zweierlei hervorgeht: erstens, daß damals die verbündeten Regierungen sich der Hoffnung hingaben, unsere Konkurrenzstaaten würden die Prämien abschaffen, und daß das eine Voraussetzung für die Abschaffung unsererseits wäre, und daß sich die verbündeten Regierungen ferner vorbehielten, wenn sich diese Voraussetzungen nicht erfüllten, ihrer⸗ seits mit den erhöhten Prämien wieder vorzugehen. (Hört, hört!

rechts.) Der Herr Abg. Richter hat ferner hingewiesen auf die Verwohl⸗

Zuckers auf das engste zusammenhängt mit dem Preise desselben. Herr Abg. Richter, ich will Ihnen das hier einmal in gewissem Grade zugeben; aber wenn Sie die Folgen loben, müssen Sie auch die Ursachen als berechtigt anerkennen. Warum konnte der deutsche Zucker so billig werden? Weil durch den starken nationalen Schutz,

rraqva engs

unsere Zuckerindustrie zu ungeahnter Höhe emporhob. (Sehr richtig! rechts.) Wenn man sich also dessen freut, daß der Zucker so billig geworden ist, so hat man, glaube ich doch, wenn die Industrie, die sich dieses Verdienst erworben hat, in eine gefährdete Lage zu kommen im Begriff ist, das Recht zu verlangen, daß man auch wieder mittels der Allgemeinheit ihr bis zu einem gewissen Grade helfend zur Seite steht.

Es ist auch, wohl um auf die einzelstaatlichen Herren Finanz⸗ Minister cinen gewissen Einfluß zu üben, darauf hingewiesen, welch kolossalen Ausfall die Reichskasse erleiden könnte, wenn der Konsum um 2 Millionen zurückginge. Unser Gesammtkonsum beträgt nun etwas über 6 Millionen Doppelzentner. Zwei Millionen Doppel⸗ zentner hieße also nichts Anderes als: unser Konsum könnte um 33 % zurückgehen. Ich glaube, der Herr Abg. Richter hat diese Zahlen wohl als dialektisches Moment gegeben; aber so schwarze Befürchtungen hegt er selbst nicht.

1 Meine Herren, ich kann hiermit schließen, und zwar mit den⸗ selben Worten, mit denen der Herr Abg. Richter geschlossen hat. Er sagte:

Wer es wirklich gut meint mit der Zuckerindustrie und der Landwirthschaft, der vereinige sich mit uns, um ein solches Gesetz unmöglich zu machen.

Ich sage: Wer es wirklich gut meint mit der Zucker⸗ industrie und der Landwirthschaft, der vereinige sich mit den verbündeten Regierungen, um die unfruchtbare Wirthschaftspolitik des Herrn Abg. Richter unmöglich zu machen. (Wiederholtes lebhaftes Bravo rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Bock⸗Gotha (Soz.): Die Zuckerindustrie leidet unter einer vorübergehenden Preisreduktion, die eine Folge der Ueber⸗ produktion ist. Seit Jahren sind den Zuckerfabrikanten kolossale Prämien zugewendet worden, und Herr von Puttkamer hat ja seine Bereitwilligkeit erklärt, die Zuckerprämien anzunehmen. Der Minister von Hammerstein hat so gesprochen, als ob die ganze Welt untergehe, wenn die Prämie für den Rübenzucker nicht bewilligt wird, weil auch einige Maschinenfabrikanten u. s. w. von den Zuckerfabriken beschäftigt werden. Das ist schließlich bei jeder Industrie der Fall. Gegen die Erhöhung der Zuckerverbrauchsabgabe wenden sich aber die Petitionen der Lebküchler, die erst durch die Erhöhung des Honig⸗ zolls geschädigt sind. Das Landes⸗Oeksnomie⸗Kollegium hat aller⸗ dings in Gegenwart Seiner Majestät den Zuckersteuerentwurf in einigen Stunden durchgearbeitet. Aber der Standpunkt der Konsu⸗ menten ist gegenüber dem der Fabrikanten noch nicht zur Geltung gekommen. Graf Bismarck folgte den Spuren seines Vaters, indem er den Zucker als ein Genußmittel bezeichnete, während er doch ein Nahrungsmittel ist. Es ist allerdings traurig, daß wir in Deutsch⸗ land, wo der meiste Zucker produziert wird, den geringsten Konsum haben. Die Steuererhöhung würde den Zuckerverbrauch für eine Familie um 3 vertheuern. Wenn ein Arbeiter zu einem der Herren Zuckerfabrikanten ginge und ihm die 3 anbieten würde, um ihn aus seiner Nothlage zu befreien, so würde der Fabrikant ihn wohl zurückweisen; aber auf dem Umwege der Steuer schämen sie sich nicht, aus den Taschen der Aermsten eine solche Staatshilfe an⸗ zunehmen. Graf Posadowsky fragt, was wir der Landwirthschaft geschenkt haben. Die Regierung schenkt der Landwirthschaft auch nichts, sie schenkt ihr das Geld der Steuerzahler. Die Herren von der Rechten und die Zuckerindustriellen haben keinen Dank der Land⸗ wirthschaft verdient; denn in meiner Heimath giebt es da, wo Zuckerfabriken bestehen, keine kleinen Landwirthe; die Rübenlieferanten sind alle Großbauern und namentlich Domänen, die durchaus nicht in einer Nothlage sich befinden. Die Arbeiter der Zucker⸗ fabriken werden ins Feld geführt. Allerdings, die Arbeiter sind die einzigen Nothleidenden in der Zuckerindustrie; das zeigen die inspektorenberichte. Die niedrigsten Löhne, die schwerste Arbeit, die längste Arbeitszeit, die schwersten Unglücksfälle finden sich in den Zuckerfabriken. Liebesgaben werden den Branntweinbrennern und den Zuckerfabrikanten gewährt, auch den Eisenindustriellen werden höhere Schienenpreise bewilligt, als sie der Markt rechtfertigt; aber den Arbeitern bringt man keine Gaben, trotzdem man von 8 des Dankes sicherer wäre. Vor diesem Gesetzentwurf hat die Regierung sich wohl nicht die Frage vorgelegt, wie er auf die Sozialdemokratie einwirkt. Wir können mit dieser Politik sehr zufrieden sein; die Bauern werden keinen Vortheil davon haben, aber wir werden profitieren durch die wachsende Unzufriedenheit. Abg. Dr. Schädler (Zentr.): Wenn ich mich auch in der Sorge um die Konsumenten mit dem Vorredner begegne, so halte ich mich doch nicht für berufen, die Vorlage ohne weiteres zu verwerfen. Bei der Zuckerindustrie handelt es sich um Millionen von Existenzen, für die wir ebenso sorgen müssen wie für die Arbeiter. Wenn er für die Arbeiter der Zuckerfabriken sorgen wollte, dann müßte er den Zucker⸗ fabrikanten das Recht zu klagen erst nehmen. Besser wäre es gewesen, mit dieser Vorlage jetzt nicht behelligt zu werden, weil ja der Hauptpunkt der Begründung, die niedrigen Preise, beseitigt sind. Dafür allerdings muß gesorgt werden, daß die Prämien beseitigt werden; in diesem Sinne acceptiere ich es, daß die Vorlage eine vorübergehende Maßregel sein soll; aber es muß dann auch eine Frist bestimmt werden, um uns nicht für alle Zukunft zu binden. Der Prämiensatz von 4 ist für mich unannehmbar. Auch die Verbrauchssteuererhöhung von 18 auf 24 ist zu hoch vom Stand⸗ 55 des Konsumenten. Wenn der Zuckerpreis früher ein öherer war, so folgt für mich noch nicht, daß der Preis wieder so hech kommen müsse, weil durch eine Preissteigerung die Zunahme des Verbrauchs namentlich auch zu industriellen Zwecken, zu Konserven, Chokoladen u. s. w. verhindert würde. Wenn die Vorlage als ein Kampfmittel betrachtet wird, so glaube ich, die Waffen sind stumpf. Denn wenn Oesterreich seine ö6“ erhöht, so kommen wir dadurch wirthschaftlich mit ihm in Kampf, und politische Bundes⸗ genossen sollten sich nicht wirthschaftlich bekämpfen. Und Frankreich dürfte bei seinem geringeren Export diesen Krieg länger aushalten als wir. Der Zuckerindustrie will ich helfen, aber nicht durch ex⸗ orbitante Preissteigerungen; denn es steht nicht einmal die ganze Zuchcr. industrie hinter dieser Vorlage. Süddeutschland ist nicht so erheblich an der Vorlage betheiligt; es hat aber doch das Interesse seines Vieh⸗ absatzes an die Rübengegenden. Zu befürchten ist, daß die Kontingen⸗ tierung gerade die kleineren Rübenbauer treffen wird und daß die Reichskasse einen Ausfall erleide, der namentlich den Einzelstaaten zur Last fallen wird. Deshalb wünsche ich eine Kommissionsberathung. Mit seinem Hinweis auf die Henngtwethfiener hat Graf Bismarck seiner Sache keinen besonderen Dienst geleistet; denn schon der Name dessen, der das ausgesprochen hat, wird nicht überall im Süden günstig aufgenommen. Wir könnten - auch eine Gegenrechnung aufmachen. Aber für die Landwirthschaft haben wir ein Interesse, und damit ist mir meine Stellungnahme gegeben.

Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen. b Schluß 5 ½ Uhr. Nächste Sitzung ittwoch 1 Uhr.

Zeug zu legen; aber, daß diese Voraussetzung nicht ganz zuverlässig ist, ergiebt sich schon aus den Erklärungen, die Herr Abg.

den der Zucker unter der Materialsteuergesetzgebung genoß, sich eben

(Fortsetzung der ersten Berathung der Zuckersteuervorlage.)

2. 2 8 88 . 4

F„“

2

. E]

———