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Kontrolmaßregeln ermächtigt, wenn ihr absolut
Preußischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 45. Sitzung vom 18. März 1896.
Das Haus setzt die Besprechung der Interpellation des Abg. Ring (kons.), betreffend die Naßregeln gegen die Einschleppung von Viehseuchen, fort.
Nach der gestern mitgetheilten Rede des Abg. von Mendel⸗Steinfels (kons.) nimmt das Wort der 3 Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Sie werden von mir kaum erwarten können und wollen, daß ich auf alle Spezialausführungen des Herrn Vorredners eingehe. Einige Punkte halte ich mich für verpflichtet herauszugreifen, auf andere wird mein Kommissar erwidern.
Ich will einen Gesichtspunkt voranstellen, der, glaube ich, unbe⸗ streitbar ist. Die Thatsache, daß augenblicklich in Deutschland und auch in anderen Ländern die Veterinärkrankheiten eine so gewaltige Ausdehnung finden, ist nicht Folge einer mangelhaften Veterinär⸗ polizei, sondern der Grund liegt in der Zunahme des Verkehrs über die ganze Welt. Während früher jeder Ort mehr oder weniger in der Produktion und Konsumtion landwirthschaftlicher Erzeugnisse ein für sich abgeschlossenes Wirthschaftsgebiet bildete, ist sowohl auf dem Gebiete der Viehproduktion wie der sonftigen Ernährungsmittel das gesammte Weltgebiet ein gemeinschaftliches Wirthschaftsgebiet geworden. Die Verkehrsbeziehungen sind vervollständigt, und die Landwirthschaft genießt den Nutzen, der daraus erwächst; sie trägt aber auch die Gefahr, die eine solche Verkehrsvermehrung herbeiführt. Ich habe wiederholt schon ausgeführt, daß man auf der einen Seite diese gewaltige Ausdehnung der Verkehrsverhältnisse als ein Unglück bezeichnen kann und darf, weil Deutschland rücksichtlich seiner Gesammtproduktion in Konkurrenz gestellt wird mit Ländern, die viel leichter, mit billigeren Arbeitslöhnen und mit billigeren Grundstückspreisen konkurrieren können als Deutschland und die alten
Kulturländer. Auf der anderen Seite muß ich aber auch wiederbholt die Behauptung aufstellen, daß in dem preußischen Wirthschaftsgebiet
ie Verbesserung, die Entwicklung der Verkehrsverhältnisse für die Landwirthschaft ein gewaltiger Hebel zum Fortschritt gewesen ist. Daß damit Mißstände auf landwirthschaftlichem, namentlich veterinärem Gebiete verbunden sind,, wird man mit in Kauf nehmen müssen. Mag an der Spitze der landwirthschaftlichen Verwaltung stehen, wer da will, mag man die strengsten Maß⸗ nahmen ergreifen, die nurldenkbar sind, — solange ein solcher Austausch der wirthschaftlichen Produkte im Weltverkehr stattfindet, werden veteri⸗ näre Krankheiten, die in einem Gebiete entstehen, auch auf andere Gebiete ab und an übertragen werden, wenn wir auch die schärfste Kontrole ausüben. Daß wir in dieser Beziehung das Mögliche schon leisten, darüber kann man doch wirklich nicht zweifelhaft seia.
Noch einen Punkt gestatte ich mir vorweg zu bemerken. Es ist für einen Abgeordneten außerordentlich leicht, eine große Zahl von Behauptungen aufzustellen, ohne den entsprechenden Beweis dafür zu liefern. Aber für den Vertreter der Staatsregierung liegt die Sache doch wesentlich anders, theils aus politischen Gründen (hört! hört! rechts), theils weil die Staatsregierung mit ihren Behauptungen vor⸗ sichtig sein muß, theils weil das Gesetz sie nur dann zu scharfen unanfechtbare Be⸗ weise vorgelegt sind. Die Staatsregierung darf nur Be⸗ hauptungen aufstellen, die sie beweisen kann; sie darf gegen auswärtige Staaten nur dann vorgehen, wenn ihr der genügende Beweis erbracht ist. Ich mache nochmals auf das aufmerksam, was ich am Schluß meiner vorigen Rede gesagt habe: es dient unter Um⸗ ständen nicht gerade dazu, das Vorgehen der Staatsregierung nach außen hin zu stärken, wenn Behauptungen aufgestellt werden, die nicht bewiesen werden können, oder wenn die Staatsregierung geiwungen wird, hier carte blanche zu legen.
Nun, meine Herren, das vorausgeschickt, gestatte ich mir, auf ein⸗ zelne Bemerkungen des Herrn Vorredners einzugehen. Er hat davon gesprochen, daß die energische Bekämpfung der Rinderpest ein Beweis dafür sei, daß man, wenn man ähnlich auf allen Gebieten der Veterinärpolizei vorgeht, die Einschlexpung sämmtlicher Seuchen vom
usland mit Erfolg bekämpfen könne. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, wir sind ja im wesentlichen so vorgegangen. Der Herr Regierungsvertreter hat Ihnen ja gesagt, daß wir uns gegen alle Staaten, in denen Verseuchung nachweisbar ist, abgesperrt haben. Daß aber diese Absperrung mal durchbrochen wird durch Schmuggel, durch diese oder jene sonstige Veranstaltung, das ist die Folge aller menschlichen Einrichtungen. Eine chinesische Mauer können wir nicht rings um uns anlegen, und solange die nicht da ist, wird es immer möglich sein, daß durch Schmuggel oder auf andere Weise eine Ein⸗ schlerpung von Seuchen sftattfindet.
Meine Herren, dann muß ich ganz entschieden der Aeußerung wider⸗ sprechen, daß die Entscheidung über Veterinärmaßnahmen im Deutschen Reich oder in Preußen im wesentlichen nach politischen Gesichtspunkten erfolgt. Ich habe schon bei der vorigen Verhandlung ausgeführt, daß, soweit die Vertragsverhältnisse mit anderen Staaten und die Gesetze uns die Hand habe hieten, die Veterinärpolizei stramm und fest zu handhaben, sowohl bei den Organen des Deutschen Reichs wie im preußischen Staat nicht nach politischen Gesichtspunkten, sondern lediglich nach dem Gesichtspunkt: unsere Viehbestände seuchenrein zu halten, vor⸗ gegangen wird. Die Behauptung, die der verehrte Herr Vorredner aufgestellt hat, ist eine von denen, von denen ich vorher sagte: ein Abgeordneter kann leicht etwas behaupten, ohne daß er in die Lage gebracht wird, den Beweis für seine Behauptung zu führen.
Dann ist auf das Absperrungsgebiet in England hingewiesen worden. Es ist allerdings richtig, daß sich England gegen das lebende Bieh absperrt; aber in England wird viel mehr noch als in Deutsch⸗ Iand geschlachtetes Fleisch auch ohne die Vorsichtsmaßregeln, die Herr von Mendel für die Einfuhr deutschen Fleisches verlangt, eingeführt. Sehen Sie doch die Berichte durch, was aus Argentinien, was aus Amerika, was aus Canada an geschlachtetem Fleisch nach England
Dann, meine Herren, ist darauf hingewiesen worden, Dänemark sei absolut verseucht. Alle unsere unanfechtbaren Nachrichten über die Handhabung der Veterinärpoligei in Dänemark und über den gegen⸗ wärtigen Zustand des dänischen Viehs beweisen, daß diese Behauptung nicht richtig ist, und ich als landwirthschaftlicher Minister darf mich nicht auf Gerüchte verlassen, sondern ich bin verpflichtet, mich auf die
formellen, mir zur Kenntniß kommenden Thatsachen zu stützen, bis mir deren Unrichtigkeit dargethan wird.
Meine Herren, dann hat Herr von Mendel gesagt: die süd⸗ deutschen Staaten handhaben die Veterinärpolizei nicht in derselben Weise, wie es hier in Preußen bezw. in den norddeutschen Staaten geschehe. Ich bin dieser Frage nachgegangen und kann mittheilen, daß Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten stattfinden, worin sie gebeten werden, die Veterinärpolizei möglichst strenge zu hand⸗ haben, weil der Verdacht ausgesprochen war, daß durch Einfuhr von öfter⸗ reichischem Vieh nach den süddeutschen Staaten bier die Einschleppung von Maul⸗ und Klauenseuche stattgefunden habe. Beweise dafür aber, daß diese Behauptung des Herrn von Mendel richtig ist, sind, trotzdem ich mich darum bemüht habe, bisher nicht zu erbringen gewesen.
Meine Herren, ich will dann auf Holland übergehen, denn auch dieses Land ist erwähnt worden. Es ist doch eine bekannte Thatsache, daß wir in der Handhabung der Veterinärpolizei vielfach erst von Holland gelernt haben. Ich erinnere nur daran, daß, während wir in Deutschland, speziell auch hier in Preußen, vergeblich die Lungen⸗ seuche bekämpften, man in Holland bereits mit der Keule alles von der Lungenseuche verseuchte Vieh erschlug, und daß wir das Beispiel Hollands nachgeahmt und dadurch erst in größeren Theilen des Landes erlangt haben, daß wir von der Seuche frei geworden sind. Da, wo die Lungenseuche in größerem Umfang in Preußen noch herrscht — das sind hauptsächlich die zuckerrübenbautreibenden Gegenden —, da liegt die Ursache vielleicht auch nicht allein in der Einschleppung, sondern vielleicht ebenso sehr in der Behandlung des Viehs, in der Fütterung, in der übermäßig starken Abmelkung u. s. w. Jedenfalls sind das Probleme, meine Herren, die absolut noch nicht gelöst sind; ich werde auf den Punkt noch weiter eingehen, wenn ich dazu Gelegen⸗ heit habe.
Dann hat Herr von Mendel die Gründung einer Anstalt zur pathologischen Untersuchung von Viehkrankheiten zur Erwägung der landwirthschaftlichen Verwaltung gestellt. Meine Herren, ich glaube, daß, was auf diesem Gebiete geschehen kann, gegenwärtig schon durch diejenigen Institute, die in Verbindung mit den Thierärztlichen Hochschulen bestehen, geschieht. Es werden dort die sorgfältigsten, eingehendsten Untersuchungen von dafür absolut — das wird auch Herr von Mendel mir einräumen — absolut geeigneten Professoren vorgenommen. Denn darauf, meine Herren, können wir stolz sein; die Veterinäre, die an der Spitze unserer öffentlichen Lehranstalten stehen, genießen eines geradezu europäischen Rufes. Ich wüßte also nicht, weshalb wir dazu über⸗ gehen sollten, noch eine besondere Anstalt zu errichten. Ich erinnere auch daran, daß ein Preis ausgesetzt ist für Erforschung des In⸗ fektionsstofßs der Maul⸗ und Klauenseuche. Alle Veterinäre be⸗ schäftigen sich mit der Frage, aber der Preis hat leider bis jetzt noch nicht verliehen werden können. So zweifellos, wie Herr von Mendel ine Reihe von Fragen dieser Art bezeichnet hat, sind sie doch wirklich nicht. Ich will nur beispielsweise auf die Tuberkulose eingehen. Ist es denn schon bewiesen, aus welchen Ursachen die Tuberkulose unter den Menschen sich weiter verbreitet? Die einen behaupten, sie wäre hereditär, sie würde also durch Fortpflanzung fortgesetzt. Auf der anderen Seite war vor etwa 14 Tagen ein Arzt, der über 20 Jahre im Bade Rehberg fast nur mit lungenkranken Menschen beschäftigt war, bei mir, und behauptete, daß durch direkte Uebertragung von Mensch zu Mensch, durch die Eltern auf die Kinder, durch Menschen, die in demselben Bette miteinander schlafen, nach seiner Erfahrung die Tuberkulose nicht weiter übertragen werde. Herr von Mendel sagt, daß das Problem der Uebertragung der Tuberkulose beim Rindvieh gelöst sei, während doch Herr von Mendel selbst, wenn ich nicht irre, im vorigen Jahre im Landes⸗Oekonomie⸗Kollegium oder im Land⸗ wirthschafts⸗Rath — ich weiß nicht genau mehr, wo es war, — einem Vortrage des Herrn Professors Schütz darüber beigewohnt hat, daß man über diese Frage absolut noch kein abschließendes Urtheil abgeben könne. Auch die Frage, ob durch frische Milch tuberkulöser Kühe die Krank⸗ heit auf den Menschen übertragen werde, ist noch nicht einwandfrei gelöst, wenn ihre Bejahung auch wahrscheinlich ist.
Sodann ist abermals die Frage wegen der Einfuhr von Fleisch und Konserven berührt worden. Ich habe bei der letzten Verhandlung schon darauf hingewiesen, daß die Reichsregierung sowohl wie die preußische Regierung beabsichtigen, in dieser Beziehung scharfe und strenge Kontrolen einzuführen. Ich babe aber auch den Grund dargelegt, weshalb das augenblicklich nicht möglich ist, und ich bitte die Herren, das, was ich in der Beziehung das vorige Mal hier gesagt habe, nachzulesen. Sobald wir nach den bestehenden Vertrags⸗ verhältnissen in der Lage sein werden — und wir beabsichtigen, die zur Zeit vorhandenen Schwierigkeiten dadurch zu beseitigen, daß wir ine allgemeine Fleischuntersuchung im Inlande einführen, — sind wir gewillt, bei der Einfuhr des Fleisches zu verlangen, daß die Eingeweide u. s. w., soweit sie erforderlich sind, um die Ge⸗ sundheit des betreffenden Fleisches festzustellen, bei der Untersuchung an der Grenze mit vorgelegt werden müssen.
Dann hat Herr von Mendel die Behauptung aufgestellt, die Inkubationsdauer bei der Maul⸗ und Klauenseuche beträgt 14 Tage. Nach den mir vorliegenden Nachrichten sind alle Veterinäre darüber zur Zeit noch einverstanden, — und ich muß sagen, ich lege auf das Urtheil der Veterinäre mehr Gewicht als auf die Ansicht eines in dieser Frage zweifellos nicht Sachverständigen —, daß die In⸗ kubationsdauer bei der Maul⸗ und Klauenseuche nicht über 7 Tage dauert.
Meine Herren, dann ist die Rothlaufseuche der Schweine erwähnt und ist die Impfung besprochen. Ich kann nur sagen, daß wir mit aller Energie uns damit beschäftigen, sowohl wegen der Bekämpfung der Tuberkulose wie rücksichtlich der Bekämpfung der Schweineseuche durch Impfung weitere Unterlagen zu gewinnen. Aber ich möchte Herrn von Mendel doch darauf hinweisen, daß, soweit wir die land⸗ wirthschaftlichen Zentralvereine, die bisher die Interessenvertretung für die Landwirthschaft gebildet haben, gefragt haben, ob eine zwangsweise Impfung mit Tuberkulin anzuordnen wäre, die Ansichten doch äußerst getheilt gewesen sind. Die einen wollen es und die anderen wollen es nicht. Die, die es nicht wollen, befürchten zum theil, daß die Erhebungen eine erschreckende Verbreitung der Tuberkulose bei vielen unserer Biehbestände ergeben würden, während Herr von Mendel wieder meint, daß das das deutsche Vieh verhältnißmäßig viel weniger verseucht sei, wie das auswärtige: eine Behauptung, für die der Beweis einstweilen nicht erbracht werden kann. (Sehr richtig! links.) Wir wollen die Tuber⸗ kulinimpfung einführen, um ähnlich, wie Dänemark es gethan hat,
festzustellen, wieweit bei uns die Ausbreitung der 8ü gefunden hat. g der Krankheit stan. Ich möchte hier auch daran erinnern, daß die Staatsregi Ihnen im vorigen Jahre eine Vorlage gemacht hat, durch welche n Zwangsversicherung der verseuchten Schweinebestände ermöglicht 8 sollte. Leider hat man gerade hier, während ganz Schlesien den Nachdruck ein solches Gesetz verlangte, dies Gesetz abgelehnt 8 doch den einzelnen Provinzen nur die Fakultät gab, von diesem 8b Gebrauch zu machen, aber keinen Zwang gegen die Provinzialverbänd anwenden wollte. de Dann, meine Herren, zum Schluß noch eine Bemerkung 8 muß tagtäglich erleben, daß die verschiedensten Kreise der Landwi h schaft theils schriftlich, theils persönlich an den landwirthschaftlichen
Minister herantreten und der eine nach der Richtung der zu scharfen
Handhabung der Veterinärpolizei, der andere nach der Richtung nicht genügend scharfer Handhabung der Veterinärpolizei Beschwerde er heben. Der eine sagt: der Untergang unserer Landwirthschaft 8 zweifellos besiegelt, wenn wir die Grenzen gegen Holland b. wieder öffnen und es ermöglichen, daß holländisches Zuchtvieh nd holländische Milchkühe wieder bereingebracht werden; dadurch, daß das Milcheinfuhrverbot gegen Holland erlassen ist, was absolut un⸗ nöthig war, werden wir auf das schwerste gefährdet. Die mibehe. sagen: die Bestimmungen sind nicht genügend scharf. Wenn die einen behaupten, wir haben in Deutschland nicht überall soviel Magervieh, wenigstens zur Zeit nicht, daß die Fettweider ohne Heranschaffdn⸗ des dänischen Viehs befriedigt werden können — und ich halt⸗ diese Behauptung für zutreffend, wir haben es effektiv nicht, 4 oder soweit es vorhanden ist, ist es zu theuer, so verlangen die anden man solle rücksichtslos die Grenzen schließen. Bedenken Sie auch daß nicht alles Vieh, das aus Holstein nach dem Rhein komm dänisches Mastvieh ist, daß es meist eingekauftes Magervieh in welches zu Schlacht⸗ und Mastwaare gemacht ist durch die Marsch⸗ weide — durch die Landwirthschaft der deutschen Marschdistrtkt, welche einen entsprechenden Nutzen davon haben, deren ganze Exiften davon abhängt. Wollte man da ganz einfach die Grenzen rundun schließen, so würde man doch zweifellos große Gebiete Deutschlande die sich, Gott⸗Lob und Dank, zur Zeit noch in gesunden wirthschaft⸗ lichen Verhältnissen befinden, geradezu ruinieren.
Aehnlich, meine Herren, ist es mit der Gänseeinfuhr. Hen von Mendel stellt die Forderung: einfach die Grenze zu schließen. Die 5 Millionen Gänse hätten wir nicht nöthig, die Städter brauchten se nicht zu essen; wenn sie kein Gänsefleisch bekämen, möchten sie Kalk⸗ fleisch essen u. s. w. Und andererseits ist hier bei Verhandlungen, die vorgestern geführt wurden, von Herrn Seer gesagt: um Gottes⸗ willen, kein absolutes Einfuhrverbot! Das wollen wir nicht, nir bedürfen der russischen Gänse! Die Frage der Gänseproduktion sst doch im vorigen Jahre hier schon sehr eingehend behandelt: worin ist denn die Ursache zu finden, daß die Produktion deutscher Gärse zurückgegangen ist? Das war ein Produktionszweig, der im wefent⸗ lichen in der Hand der kleinen Leute lag, und durch die Auftheilung aller Ländereien, durch die Beseitigung der Stoppelweide ist die Gänst⸗ produktion vermindert und an ihre Stelle die Einfuhr der Magr⸗ gänse getreten. (Widerspruch rechts.)
Meine Herren, wenn Sie dieses kurze Bild der sich gegenüker⸗ stehenden Ansichten — selbst, glaube ich, hier im Hause — sich der⸗ gegenwärtigen und daneben objektiv und ernst prüfen, ob in neuefter und neuerer Zeit auf dem Gebiete der Veterinärpolizei wirklich mit der nöthigen Strenge vorgegangen ist, und wenn Sie endlich erwägen, daß man die absolute Gefahr der Verseuchung nur beseitigen kann, wenn man die ganzen Verkehrsverhältnisse wieder auf den früheren Stand zurückschraubt, wo eine jede Gemeinde, ein jeder Kreis ein für sich abgeschlossenes wirthschaftliches Gebiet war, dann, glaube ich, werden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß die Staatsregierung, de Reichsregierung auf diesem Gebiet im Interesse der Landwirthscheft alle diejenigen Maßregeln ergreifen muß und ergreift, die nothwendig sind, um soweit möglich unsere Viehbestände seuchenfrei zu erhalten, daß es aber übertrieben ist, wenn behauptet wird, man könnte durch polizeiliche Maßregeln absolut die Viehkrankheiten aus der Welt schaffen. Meine Herren, das ist ebensowenig bei Thieren möglich, ne es beim Menschen möglich ist. Es tauchen immer wieder von neum Krankheiten auf; die werden nicht immer vom Ausland eingeschlertt, sondern sie haben zum theil ihren Ursprung auch in unserem eigene wirthschaftlichen Gebiet. Sie mögen beschließen und vorschreiber, was Sie wollen: absolut immun stellen Sie niemals unsere Vied⸗ bestände her.
Ich bitte deshalb, die Verhandlungen einmal so zu führen⸗ te Sie mir nicht geradezu Schwierigkeiten bereiten, und mich unter Umständen behindern, in der strengen Weise, wie ich bisher der⸗ gegangen bin, weiter vorzugehen, und ich bitte, die Sache doch nich; so aufzufassen, als liege die Schuld an der Staatsregierung, als fe sie in der Lage, wenn sie richtig handele, unsere Viehbestände absolat seuchenrein zu erhalten, was nach meiner Auffassung absolut unmöglic ist. (Bravo! links.)
Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Bever⸗ Hollan ist zur Zeit nicht als verseucht mit Lungenseuche anzusehen. Zwischen der Bekämpfung der Rinderpest und der Maul⸗ und Klauenseuche doch ein großer Unterschied: bei der ersteren ist eine strenge milr⸗ tärische Absperrung möglich, bei der letzteren nicht. Unsere Veterinäre, die bedeutendsten in Deutschland, sind Lehrer an den Hochschulen ure haben ihre Institute zur pathologischen Untersuchung, die mit alen Nöthigen reichlich ausgestattet sind. Zur technischen Deputation ft das Veterinärwesen sind bei wichtigen Verhandlungen imme praktische Landwirthe hinzugezogen worden. Buchführung können waß von den Händlern nicht verlangen, die Gewerbeordnungsnovelle furr⸗ das Verbot des Hausierhandels mit Vieh vor; aber eine sicher⸗ Buchführung kann der See nicht führen, denn er kauft das Vieh von den verschiedensten Produzenten und kann nicht bei jedem Stoc⸗ wissen, woher es kommt. Die Impfung gegen Rothlauf macht Schweinebestände nur eine Zeit lang immun, hat aber Verlu folge der Impfung selbst zur Folge. “
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9.
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußische
Berlin, Donnerstag, den 19. März
Staats⸗Anzeiger.
1 1896.
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(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Abg. Gothein (fr. Vg.): Die Abwendung der Viehseuchen ünscht wohl ein Jeder⸗ Der deutsche Handel ist ebenfalls für ne Abwendung der Seuchengefahr eingetreten und hat nicht ohne Kücksicht auf die Seuchen die Freiheit der Grenzen verlangt. Aber ir sind gegen unnütze Maßregeln, welche den Fleischkonsum ver⸗ deuern. Haben nicht die Herren auf der Rechten vielleicht die bbsicht, durch Ausschluß der Eiafuhr die Fleischpreise zu erhöhen? zir uns sind alle diese Fragen nicht politische, sondern rein tech⸗ sche. Die Ansichten der Agrarier sind nicht für uns ausschlag⸗ nhend; von freisinnigen Landwirthen — und deren giebt es eine kanze Menge — werden die Ansichten der Konservativen nicht ge⸗ eilt. Bei einer Quarantäne von vier bis sechs Wochen können die üchter überhaupt kein Vieh mehr einführen, zumal die Quarantäne⸗ mmstalten selbst die schlimmsten Seuchenherde sind. Mit dem Nach⸗ weis, daß das Vieh aus einem seuchenfreien Lande stammt, kommt an weiter als mit den Quarantänemaßregeln. Die Einfuhr des ge⸗ hlachteten Fleisches nach Oberschlesien hat noch nie eine Erkrankung erbeigeführt, und ich möchte den Minister bitten, das zugelassene ontingent für die Fleischeinfuhr daselbst zu erhöhen. Ueber die Ab⸗ verrung der Grenzen gegen die Lungenseuche sind die Meinungen auch getheilt, manche Landwirthe behaupten, daß die Lungenseuche bei s weit mehr verbreitet sei als im Ausland. Daß die Tuberkulose auf den Menschen durch den Genuß des tuberkulösen Fleisches übertragen ird, ist nicht erwiesen. Der Schmuggel ist schwer zu verhindern, das beste Mittel dagegen ist eine Gleichheit der Preise im Inland ind Ausland. Sehr wichtig ist die Erweiterung der Viehversicherung. Die Händler müssen Buch führen und nachweisen, wo sie jedes Stück Vieh her haben. Das Treiben des Viehs auf den Straßen muß ver⸗ voten werden, es darf nur in geschlossenen Wagen transportiert werden; diese Maßregeln sind besser als die schwer durchzuführende Grenzsperre. Das Hausieren mit Vieh kann ja nach der Gewerbeordnungsnovelle verboten werden. Herr Ring sprach von der „dolosen Konkurrenz der wssischen Gänse“; mir ist die Gans immer als ein harmloses Thier vorgekommen. Von einer dolosen Konkurrenz kann keine Rede sein, denn die Händler haben selbst das Interesse, nur gute Waare einzu⸗
führen. die statistischen Zahlen sucht sich Herr Ring immer so aus, daß sie möglichst drastisch beweisen, was er beweisen will; das gilt auch von seiner Behauptung der Zunahme der Vieh⸗ und Fleischeinfuhr, die gerade zurückgegangen ist. Graf Hoensbroech childerte nur die Unsauberkeit bei der Bereitung des amerikanischen Schweineschmalzes, derselbe Graf Hoensbroech hat sich aber vor kurzem dagegen ausgesprochen, daß die Schweine auf Trichinen und Finnen untersucht werden. Das muß uns doch den Verdacht erregen, daß es Ihnen weniger um den Schutz der Konsumenten, als um eine Erhöhung der Fleischpreise zu thun ist. Die Regierung thut alles Mögliche für die Landwirthschaft, die Ueberweisung der Real⸗ steuern hat ihr bedeutend genützt, die Grofgrandhesiher sind nach der Landgemeinde⸗Ordnung die herrschenden Kreise in den Gemeinde⸗ vertrrtungen und auf dem Lande. Es ist aber verlorene Liebesmüh’, die Landwirthschaft zufrieden stellen zu wollen. Eine Vermischung der Butter mit Magarine ist doch nicht schmachvoll, wenn die Misch⸗ butter nur nicht gesundheitsschädlich ist, aber Sie wollen die Margarinefabrikation so knebeln, daß auch der ehrliche Händler nicht mehr durchkommt. Der deutsche Kaufmann ist unser Pionier im Auslande, er hat dem deutschen Namen im Ausland mehr Ehre gemacht, als gewisse Beamte in den Kolonien. Sie bezeichnen natürlich den Börsenhandel als sittlich minderwerthig! Bei den vielen Angriffen auf den Kaufmannsstand können Sie es mir nicht verargen,
wenn ich für ihn eintrete. Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Ich habe nur eine Aeußerung des Herrn Abg. Gothein richtig zu stellen. Die Zulassung der Einfuhr russischer Schweine nach den vier oberschlesischen Schlachthöfen ist eine Ausnahme⸗ maßregel. An sich würden wir verpflichtet sein, Rußland zu sperren, weil die russischen Schweinebestände zweifellos verseucht sind. Nur mit Rücksicht auf das Bedürfniß an Schweinefleisch in dem ober⸗ schlesischen Industriebezirk haben wir lediglich zum Verbrauch im Industriebezirk ein beschränktes Kontingent der Einfuhr nach vier Schlachthäusern im oberschlesischen Industriebezirk zugelassen. Nachdem sich zur Zeit herausgestellt hat, daß aus diesen Schlachthäusern Fleisch nach außerhalb des oberschlesischen Industriebezirks exportiert wird, ist daraus der Beweis erbracht, daß das Kontingent zu hoch bemessen war, und — darin berichtige ich nun die Aeußerung des Herrn Abg. Gothein — nicht gegen die Ansicht des Herrn Regierungs⸗Präsidenten und des Herrn Ober⸗Präsidenten ist diese Einschränkung dieses Kontingents eingetreten, sondern im Einverständniß mit dem Herrn Regierungs⸗Präsidenten und dem Herrn Ober⸗Präsidenten.
Abg. Herold (Zentr.) tritt für strenge Quarantänemaßregeln ein, namentlich gegen Dänemark, weil die Tuberkulose auf die Menschen übertragen werden könne. Die Gänsceinfuhr aus Rußland könne ganz entbehrt werden; die Einfuhr russischen Fleisches müsse ebenfalls ver⸗ boten werden. Redner erkennt an, daß der Minister um die Hebung der Landwirthschaft bemüht sei, und daß auch auf dem Seuchengebiet seit seinem Amtsantritt schon Manches besser sei.
Wirklicher Geheimer Ober⸗Re ierungs⸗Rath Beyer bemerkt, daß die Einschleppung des Rothlaufs in eine unserer Quarantäne⸗ anstalten allerdings von Dänemark aus erfolgt sei, daß der Fall der Maul⸗ und Klauenseuche in der Quarantäneanstalt von Altona aber nicht auf Einschleppung aus Dänemark zarückzuführen 1u“ Ober⸗Schlesien sei die russische Fleischeinfuhr nur wegen der dichten Bevölkerung des Industriebezirks zugelassen. Die Einfuhr russischen Rindfleisches sei bereits verboten, dagegen könne ein Verbot der Gänse⸗ einfuhr nicht ausgesprochen werden, weil das Inland diese Einfuhr von 5 Millionen Gänsen nicht ersetzen könne; dieses Verbot würde auch einen Vortheil nicht haben. — 8 Abg. Ring (kons.): Die Ausführungen des Ministers lassen sich vielfach anfechten. Wir können die Vermischung der hohen Politik mit den Wirthschaftsfragen nicht verstehen. Der Minister sprach neulich vom Dualismus der preußischen und der Reichspolitik. Wir wollen gerade den Landwirthschafts⸗Minister gegen die Reichs⸗ regierung stärken. Redner legt nochmals von seinem Standpunkt aus die Nothwendigkeit strengerer Tesperruafznegfchen⸗ dar. Das Urtheil des Abg. Gothein sei in landwirth chaftlichen Dingen durch Sachkenntniß jedenfalls nicht getrübt. Die Landwirthschaft könne einen Schutz gegen die dolose Konkurrenz des Auslandes verlangen, das uns krankes Vieh verkaufe und damit unsere Fleischpreise druͤcke.
ior Gothein habe zum Schluß, um sich einen uten Abgang zu chern, den Handelsstand und den Börsenhandel vertheidigt. Unter den Konservativen sei kein einziger, der nicht den Terminhandel in etreide verbieten wolle. Die Freignisse des leetzten Sommers an der
Getreidebörse hätten dem Volke die Augen über die Auswüchse des Börsenhandels geöffnet. Herr Gothein trete warm für⸗ die Margarine ein; wenn er Margarine aus Sesamöl vertragen könne, so könne ban ihm ja nur gratulieren. Beim Butterkrieg in Berlin hätten sich
% von den durch die landwirthschaftlichen Produzenten heimlich
gekauften Butterproben als verfälscht erwiesen. Mit der Interpellation wendeten seine Freunde sich gegen die veterinärpolizeilichen Maß⸗ nahmen, unter denen solche Zustände wie beim Rummelsburger Vieh⸗ hof, die häufige Sperrung des Berliner Viehhofs — im vorigen Jahre an 179 Tagen — und andere Dinge möglich geworden seien. Wenn man weiter erwäge, wie die Zölle umgangen würden, wie ver⸗ seuchtes Vieh lange Zeit aus Steinbruch hereingekommen, wie der Eisenbahn⸗Minister über die Viehtransporte nicht binreichend orientiert gewesen sei, so sei das Verlangen nach einer Aenderung der Organisation der Veterinärpolizei nur berechtigt. Unberechtigte Wünsche erhebe die Landwirthschaft überhaupt nicht.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Ich kann nicht zulassen, daß einer Aenßerung, die ich gemacht habe, eine unrichtige Interpretation gegeben wird und das ist durch den Herrn Abg. Ring geschehen. Ich habe am Schluß meiner vorgestrigen Darstellung ausdrücklich bezeugt, daß die Organe der Reichs⸗ und der preußischen Verwaltung und die Organe der deutschen Bundesstaaten in der Handhabung der Veterinärpolizei auf Grund der bestehenden Gesetze und unter Beachtung der vorhandenen Ver⸗ tragsverpflichtungen gleichmäßig energisch vorgehen. Wenn ich von einem Dualismus gesprochen habe, der zwischen der Reichsregierung und der preußischen Regierung, bezw. den einzelnen Bundesstaaten besteht, so geht aus vorerwähnter Schlußdarlegung hervor, daß der Herr Abg. Ring meine den Dualismus betreffende Aeußerung unrichtig ausgelegt hat. Ich habe nur sagen wollen und nach obiger Darlegung gesagt, daß es immerhin schwierig sei, wenn von verschiedenen Instanzen aus dieselbe Sache gehandhabt werde, daß deshalb nicht immer rasch, energisch und sofort eingegriffen werden könne, wenn es nöthig sei.
Im übrigen habe ich keine Veranlassung, auf die Aeußerungen des Herrn Abg. Ring einzugehen, weil dieselben zum theil wieder⸗ holen, was im vorigen und diesem Jahre bereits gesagt und bereits von mir beantwortet ist. Zeitweise bin ich auch zweifelhaft gewesen, ob wir uns hier im Hause noch mit der Interpellation Ring, bezw. mit Veterinärfragen beschäftigen (sehr richtig! links), ich habe vor⸗ übergehend das Gefühl gehabt, wir seien im Reichstage und behandeln das Börsengesetz, Margarinegesetz u. s. w. (Oho! rechts.) Umso⸗ weniger habe ich Veranlassung, auf Aeußerungen in dieser Richtung mich weiter einzulassen. (Sehr gut! links.)
Abg. Gerlich (fr. kons.): Wir müssen unser Ziel darin sehen, daß wir unseren Viehbestand und uns immun halten von Seuchen und Ansteckung. Herr Gothein that nicht gut daran, die Sache hier so aufzubauschen. Ich weiß nicht, ob er den neuen Schutzverband
egen agrarische Uebergriffe mit gegründet hat. Dieser Verband fämpft mit wahrem Haß gegen die Landwirthschaft. Den Kauf⸗
mannsstand haben wir nicht an egriffen, die Regierung unterstützt
die Industrie, z. B. durch Ausna metarife, mehr als die Landwirth⸗ schaft. Daß die 9 Händler den Fleischhandel an sich gezogen haben, ist eine Thatsache, wenn es auch komisch ist, wenn ein Jude mit Schweinefleisch handelt. Redner unterstützt die Ausführungen des Interpellanten und weist besonders darauf hin, daß die Leute die russischen Gänse lieber kaufen, weil diese wegen des Standes des Rubelkurses billiger erscheinen; nöthig sei die Gänseeinfuhr nicht. Er empfehle der Regierung folgende Vorschläge: Anordnung der Buchführung der Weehhändler, ntsendung tüchtiger Thierärzte ins Ausland, welche die Seuchen im Auslande studieren, und Besserstellung der Kreisthierärzte, sodaß sie einer Privatpraxis nicht bedürften, sowie Zuziehung von Praktikern als Beiräthen des Ministeriums.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ stein:
Meine Herren! Ich will auf die letzten Petita des Herrn Abg. Gerlich nur erwidern, daß zum theil bereits nach seinem Wunsche verfahren wird, soweit es ausführbar ist. Herr Geheimrath Beyer hat schon mitgetheilt, daß wir nach Holland Thierärzte schicken. Ueberall hin können wir sie nicht schicken; die Gründe mitzutheilen, bin ich nicht in der Lage. Andererseits sind wir gewillt, mit der Polizei⸗ ordnung vorzugehen, falls im Reichstage eine die betreffende Vorlage
ablehnende Entscheidung erfolgen sollte.
Abg. von Sanden (nl.) spricht im Sinne des Interpellanten und schildert nach eigener Wahrnehmung die Verhältnisse an der russischen Grenze in Ostpreußen. Die Russen seien sehr leichtfertig in der Handhabung der Veterinärpolizei; an Milzbrand gefallene Thiere werden häufig nicht einmal vergraben, eine 4 enüge, um den Ansteckungsstoff weiterzutragen. Unsere Regierung habe gegen die Rinderpest mit Energie gekämpft. 1
Wirklicher Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Beyer giebt seiner Freude darüber Ausdruck, daß die Energie der Regierung an⸗ erkannt werde.
Ein Schlußantrag wird angenommen. Persönlich bemerkt
Abg. von Mendel⸗Steinfels, er bedauere, daß der Minister einen Ausdruck gegen ihn gebraucht habe, der ihn verletzen müsse; er überlasse Ürtheil des Hauses, ob eine seiner Forde⸗ rungen „unverfroren“ sei.
8Abg. Graf von Hoensbroech (Zentr.) bemerkt dem Abg. Gothein, daß er sich neulich nur gegen die Kosten der Trichinen⸗ schau für die Kreise gewendet, aber eine allgemeine Fleischschau befürwortet habe.
Abg. Gothein erwidert, daß aus der Rede des Grafen Hoensbroech hervorgehe, daß er die Trichinenschau nicht wolle.
Damit ist die Interpellation erledigt.
Die Wahlen der Abgg. von Veltheim, Dr. Irmer und von Eckardstein (4. Potsdam) werden für gültig erklärt und die Wahlakten der Regierung zur Prüfung der Unregelmäßigkeiten und der Beschwerden des Protestes über das Verhalten von Beamten überwiesen.
Darauf erledigt das Haus noch einige unwesentliche Petitionen nach den Kommissionsanträgen.
Schluß 4 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag, 11 Uhr.
(Richtergesetz.)
Nr. 12 derVeröffentlichungendes Kaiserlichen Gesund⸗ heitsamts“ vom 18. März hat folgenden Inhalt: Gesundheits⸗ stand und Gang der Volkskrankheiten. — Zeitweilige Maßregeln gegen Cholera ꝛc. — Desgl. gegen Pest. — Desgl. gegen Gelbfieber. — Sanitätswesen in Oesterreich, 1892. — Influenza in der Schweiz, 1889/,94. — Gesundheitszustand in Niederländisch⸗Indien, 1895 4. Vierteljahr. — Gesetzgebung u. s. w. (WDeutsches Reich.] Bäckereien und Konditoreien. — Maul⸗ und Klauenseuche. —
(Preußen.) Mineralbestandtheile des Weins. — Vieh⸗ aben (Elsaß⸗Lothringen.) Vieheinfuhr. — (Italien.) See⸗
8
sanitätsreglement. — (Belgien.) Fleischhandel. — (Norwegen.) Thierseuchen. — Gang der Thierseuchen in Dänemark, 4. Vierteljahr. — Zeitweilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Preuß. Reg.⸗Bezirke Frankfurt a. O., urich, Aachen, Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen⸗Meiningen, Oesterreich, Frankreich, Schweiz.) — Vermischtes. (Preußen.) Lepra im Kreise Memel. — Krankheits⸗ und Todesfälle in Krankenhäusern deutscher Großstädte, 1893 und 1894. — Wochentabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. — Desgl. in Städten des Auslandes. — Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Groß⸗ städte. — Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. — Witterung. Beilage: Gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiet der öffentlichen
⸗
Gesundheitspflege (Krankenwesen, Infektionskrankheiten).
Statistik und Volkswirthschaft.
Die Verschuldung der ländlichen Bevölkerung des Großherzogthums Baden.
Auf die in letzter Zeit wiederholt aufgeworfene Frage, wie hoch die ländliche Bevölkerung thatsächlich verschuldet sei, ertheilt eine in diesen Tagen dem badischen Landtag zugegangene, auszugsweise in der „Karlsr. Ztg.“ veröffentlichte amtliche Denkschrift für das Gebiet des Großherzogthums Baden eine erschöpfende Auskunft. Wenn auch die Verhältnisse im Deutschen Reich nicht überall dieselben sind, so dürften doch die in jener Denkschrift niedergelegten Ergebnisse der amtlichen Ermittelungen auch außerbalb Badens von Interesse sein. Das Zahlenmaterial für diese ländliche Verschuldungsstatistik wurde den Einkommensteuerkatastern für das Jahr 1893 entnommen; die verhältnißmäßige Verläßlichkeit dieses Zahlen⸗ materials wird nicht in Abrede gestellt werden können; denn kein Einkommensteuerpflichtiger hat ein Interesse daran, seine Schuld⸗ zinsenverbindlichkeiten geringer anzugeben, als sie in Wirklichkeit be⸗ tragen, da er andernfalls auf eine gesetzliche Vergünstigung: die Schuldzinsen von dem steuerpflichtigen Einkömmen abziehen zu dürfen, ohne Noth verzichten würde. Für die Zuverlässigkeit des benutzten Zahlenmaterials spricht aber auch die auffallende Uebereinstimmung, in der sich in verschiedenen Richtungen diese erstmals auf das ganze Land ausgedehnte Verschuldungserhebung mit den Schuldermittelungen befindet, die bei den landwirthschaftlichen Erhebungen des Jahres 1883 für 37 Gemeinden angestellt wurden; diejenigen Bezirke, für die sich jetzt und für die sich nach den 1883er Erhebungen eine mäßige, eine mittlere und beziehungsweise eine hohe Verschuldung ergeben haben, fallen ziemlich zusammen; jetzt wie damals hat sich ergeben, daß die rein landwirthschaftlichen Betriebe durchweg niedriger, zum theil er⸗ heblich niedriger verschuldet sind als die sogenannten Mischbetriebe (d. h. diejenigen landwirthschaftlichen Betriebe, deren Inhaber zugleich einen Gewerbe⸗ oder Handelsbetrieb ausüben oder die als Fabrikarbeiter oder landwirthschaftliche Seee oder auch als staatliche oder Gemeinde⸗ beamte ein sonstiges Einkommen beziehen); jetzt wie damals hat sich die Erscheinung wiederholt, daß, wenigstens in den rein landwirth⸗ schaftlichen Betrieben, in den untersten Besitz⸗ bezw. Einkommens⸗ gruppen die Verschuldung relativ am höchsten ist, dagegen nach den oberen Besitz⸗bezw. Einkommensgruppen hin stetig abnimmt, und nur in den allerhöchsten Einkommensgruppen (über 5000 ℳ Einkommen) da und dort einen abweichenden Verlauf darstellt. Diese neueste Ver⸗ schuldungsstatistik ist aber besonders bemerkenswerth auch deshalb, weil sie, im Gegensatz zu allen seitherigen Versuchsarbeiten auf diesem Gebiet, nicht bloß die Real⸗, sondern auch die Personalkreditverschuldung, also die gesammte Verschuldung der landwirthschaftlichen Bevölkerung nachweist. 1
Um aus den von den Einkommensteuerpflichtigen angegebenen Schuldzinsen das Schuldkapital zu berechnen, wurden erstere mit 22 vervielfältigt; die Denkschrift hat also mit einem durchschnittli en Zinsfuß von nur 4 ½ % gerechnet; in Wirklichkeit wird der Zinsfuß ein höherer sein, der Multiplikator hätte also vielleicht etwas niedriger gegriffen werden sollen, in welchem Falle dann auch die berechneten Schuldsummen entsprechend niedriger ausgefallen wären; das ist aber absichtlich nicht geschehen, um dem Vorbehalt der Schönfärberei von vornherein zu begegnen. Als Aktivposten wurden gegenütgr den er⸗ mittelten Schuldkapitalien nicht die Steuerkapitalwerthe der Grundstücke und Gebäude, sondern mittlere Immobiliar⸗Vermögenswerthe eingesetzt, die zwischen jenen Steuerkapitalwerthen und den für die Zwecke der Steuerreformarbeiten neuerdings ermittelten Verkehrswerthen der Jahre 1889/93 etwa in der Mitte stehen; und diesen Immobiliar⸗ werthen, die sich wohl als „nachhaltige Ertragswerthe“ kennzeichnen lassen, wurde schätzungsweise ein entsprechender Posten als Werth des Betriebskapitalvermögens in mäßiger Veranschlagung zuge chlagen und das darnach ermittelte Gesammt⸗Aktivvermögen (Immobiliar⸗ und Betriebskapitalvermögen) mit dem festgestellten Schuldbetrag in Vergleich gesetzt. Die Denkschrift betont dabei, daß diese Vermögens⸗ werths hespin en durchweg hinter der Wirklichkeit zurückbleiben dürften, daß also die berechneten?⸗ erschuldungsprozente durchschnittlich etwas ungünstiger, als der Wirklichkeit entspricht, ausgefallen sind.
Das Hauptinteresse nehmen von den untersuchten 194 474 landwirthschaftlichen Betrieben des Landes die 86 489 rein land⸗ wirthschaftlichen Betriebe in Anspruch, und zwar deshalb, weil nur diese die Verhältnisse der landwirthse aftlichen Beruftzarbeit rein widerspiegeln, aber auch deshalb, weil die sogenannten Misch⸗ betriebe in ihrer Verschuldungshöhe vielfach und überwiegend von dem Hrreinspielen gewerblicher und anderer Verhältnisse beeinflußt sind.
ie nachfolgenden, der Denkschrift entnommenen Zahlenangaben be⸗ ziehen sich also lediglich auf diejenigen landwirthschaftlichen Betriebe, die ihr Einkommen ausschließlich aus der landwirthschaft⸗ lichen (bezw. forstwirthf aftlichen) Berufsarbeit be⸗ iehen. 3 ben. diese 86 489 rein landwirthschaftlichen Betriebe des Landes ist ermittelt worden: ein Gesammtvermögenswerth von 1,1 Milliarde Mark, ein Gesammtschuldenstand von 195 Millionen Mark, und es hat sich sonach ein mittleres Verschuldungsprozent von von 17,7 % ergeben; dieses letztere beträgt innerhalb der einzelnen Einkommensgruppen: bis 1000 ℳ Einkommen 21,7 %, von 1001 — 1500 „ 18,5 1501 — 2000 „ 2001 — 3000 „
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15,4 14,1
„ 3001 — 5000 13,8 1 5001 u. mehr “ „ 11,3 0
Im Durchschnitt der 52 Amtsbezirke des Landes haben sich folgende Verschuldungsprozente ergeben: ein Verschuldungsprozent unter 20 % in 34 Amtsbezirken, ein solches zwischen 20 und 30 % in 10 Amtsbezirken, ein solches über 30 % in 8 Amtsbezirken. Das niedrigste Verschuldungsprozent weist der Amtsbezirk Eppingen mit 7,5 % auf, das höchste der Amtsbezirk Meßkirch mit 44,7 %. Die 8 Amtsbezirke, die höher als mit 30 % des Vermögenswerths verschuldet sind, befinden sich sämmtlich im Süden Badens und im Schwarzwald; es sind die Amtsbezirke Engen 30,7 %), St. Blasien (31,8 %), Schönau (31,9 %), Bonndorf (34,1 %), Ueber⸗
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lingen (35,1 %), Stockach (38,4 2%), Pfullendor (40,6 %) und Meß⸗ kirch (44,7 %). “
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