1896 / 73 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 24 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

sich nicht gerade darum gehandelt hätte, nach dem Fall Peters

einmal ein Exempel zu statuieren? Glauben Sie, daß ein Gerichts⸗

hef in einer solchen Weise vorgegangen wäre wegen einer

Lappalie? Was heißt es denn, ein Aktenstück veröffentlichen?

Wo ist denn die Partei, die das nicht von ihren Gegnern gethan hätte?

Sie sprechen von einem Vertrauensbruch: Wir haben doch einen Welfen⸗

fonds gehabt; aus dem sind Hunderttausende ausgegeben, um alles

das zu thun, was Sie jetzt brandmarken, um Aktenstücke zu entfernen.

Unter dem Sozialistengesetz sind Einbrüche und Diebstähle bei den

Sozialdemokraten zu Hunderten vorgekommen. Die Sozialdemokratie

steht thurmhoch gegenüber derartigen Angriffen. Wenn man der

Sozialdemokratie 1 will, daß sie die Moral mit Füßen trete,

daß sie gegen das Recht, das in der Menschenbrust wohnt, verstoße,

dann lachen wir. In der französischen Kammer sind es unsere Ge⸗ nossen gewesen, welche das Panamadiebesnest ausgehoben haben, und hier im Reichstag bat es eines Sozialdemokraten bedurft, der den

Reichstag und die Regierung zur Scham rufen mußte.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Nach der Aeußerung des Kriegs⸗Ministers sollte man meinen, daß ich den Schoeler der Kriegs⸗ verwalxkung preisgegeben habe. Ich habe ihn in Schutz genommen gegen die Angriffe des Kriegs⸗Ministers.

General⸗Major Frhr. von Gemmingen: Ueber die Lieferung von Kohlen sind besondere Vorschriften nicht erlassen; es ist nur darauf aufmerksam gemacht worden, daß die Kohlen aus Staatsgruben in⸗ folge der billigen Tarife billiger zu beziehen sind als die englischen Kohlen.

Abg. Bebel: Die Verwaltungen, welche geheime Fonds zur Verfügung haben, um Bestechungen zu üben, haben kein Recht, sich zu entrüsten und Moralität zu predigen. (Präfident Freiberr von Buol rügt den Ausdruck Bestechungen.) Diese Fonds dienen doch zu Bestechungen, das zeigen die Spionenprozesse im Auslande. Der Kriegs⸗Minister sollte erst ganz lesen, was ich gesagt habe, und nicht alles durcheinanderwerfen, wenn er mich hier widerlegen will. Er hat festgestellt, daß ein Soldat in Trier eine Ohrfeige erhalten hat. Die Art und Weise, wie der Kriegs⸗Minister über die Sache hinweg⸗ egangen ist, reizt geradezu die Vorgesetzten draußen im Lande zu

ishandlungen. Redner verwahrt sich dagegen, daß der Kriegs⸗ Minister ihm grobe Unwahrheiten vorgeworfen habe. (Präsident Freiherr von Buol: Der Frtegs⸗Minister hat diesen Ausdruck ge⸗ braucht mit der Beschränkung: unbewußter Weise!) Bezüglich des Schoeler, fährt Redner fort, hat der Kriegs⸗Minister mir nichts

nrichtiges nachgewiesen. Wendlandt hat sich viel früher als an seinen Hauptmann an uns gewendet; wir haben ihn materiell unterstützt, wir haben es aber abgelehnt, ihm eine Stellung in der Partei zu geben, weil wir zu seiner Befähigung kein Vertrauen hatten. Von allgemeiner Willkür habe ich nicht gesprochen, ich habe immer be⸗ stimmte Thatsachen angeführt. Stellen Sie es doch nicht immer so dar, als sei alles in der Armee ideal! Die Beschwerden sind schon vorgetragen, lange, ehe es Sozialdemokraten gab. Ich werde immer meine Schuldigkeit thun, wie ich es bisher gethan habe, im Interesse des Vaterlandes.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum: Herr Bebel hat es mir zum Vorwurf gemacht, daß ich von seiner Methode gesprochen habe, ohne einen Beweis dafür zu erbringen. Die heutige Debatte hat gezeigt, daß ich Recht hatte mit meiner „Methode Bebel“. Denn heute haben wir wieder zwei Fälle gehabt, auf die das paßt. Der Trierer Fall: ein Soldat soll von einem Vorgesetzten einen Schlag bekommen haben und taub geworden sein. Es war aber ein Kamerad, der ihm den Schlag gab und der Mann ist nicht taub geworden. Ebenso liegt es in Königsberg. In beiden Fällen wurde auf die Armee in ungerechtfertigter Weise ein Tadel geworfen. Wenn Ungerechtigkeiten vorkommen, so wird es der Armee angenehm sein, davon Kenntniß zu erhalten. Wenn Herr Bebel nur wirkliche Thatsachen vorbringen würde, dann würde er es verhüten, daß man von einer „Methode Bebel“ spricht.

Abg. Freiherr von Stumm: Herr Liebknecht ist beute so weit gegangen, den Diebstahl zu entschuldigen und die Diebe als unschuldige Leute darzustellen. Wer hat geleugnet, daß auf unserer Seite auch manches geschehen ist? Der Unterschied ist nur der: Sie verherrlichen solche Unsittlichkeiten und Verbrechen. Ich bin erstaunt über den Muth des Herrn Bebel, daß er überhaupt noch das Wort ergreift, nach dem, was ihm vom Kriegs⸗Minister entgegnet worden ist. Herr Bebel hat sich in dem Trierer Fall zum Sprachrohr einer offenbaren Lüge gemacht. Ebenso liegt der Ksönigsberger Fall. Andere Parteien haben früher auch Militärmißhandlungen vorgebracht, aber sie haben sich nicht mit Unwahrheiten abgegeben. Herr Bebel wollte seine Pflicht weiter thun aus Liebe zu seinem Vaterlande. Die Mauserung scheint allerdings sehr weit zu gehen in der Sozialdemokratie, denn ich habe oft Zitate an⸗ geführt, die leugnen, daß die Sozialdemokraten ein Vaterland haben. Nach dem Mangel an Vorsicht und an Wahrheitsliebe be⸗ zweifle ich, ob Herr Bebel es mit dem Vaterlande ehrlich gemeint hat.

Abg. Bebel: Der Königsberger Fall hat sich als wahr erwiesen. Ich werde mich nicht beirren lassen in meinem Vorgehen. Denn Erfolge sind dadurch erzielt worden: es sind Mißhandlungen verhütet oder streng geahndet worden, die sonst vielleicht ungestraft geblieben wären. Und das danken uns Hunderttausende im Volke. Die Erlasse des Prinzen Georg von Sachsen, des Feldmarschalls von Manteuffel und des jetzigen Kaisers beweisen, daß es Mißhandlungen in der Armee giebt. Herr von Stumm hat es festgenagelt, daß wir den Diebstahl ver⸗ theidigt hätten. Warten Sie doch erst das Urtheil der höchsten

erthlosen Stückes Papier ein Diebstahl ist. Ein Urtheil, welches dafür 6 Monate Gefängniß ausspricht, ist nur möglich, wenn es vom politischen Haß eingegeben wird. (Präsident Freiherr von Buol rügt diese Wendung.) Die sittliche Entrüstung seitens der Parteien, welche die Schurkerei des Herrn von Hammerstein vertheidigt hatten, ist zum Lachen. (Präsident Freiherr von Buol ruft den Redner zur

Ordnung.)

DOberst Lieutenant und Abtheilungs⸗Chef im Kriegs⸗Ministerium

Gaede kommt darauf zurück, daß der Abg. Bebel bei der zweiten Etats ausgeführt habe: die bestraften Reservisten vor dem Amnestie⸗Erlaß noch zur Abbüßung ihrer

Strafe aufgefordert worden, damit ihnen die Gnade vorenthalten

würde. Der Bericht über diesen Vorfall, fährt Redner fort, lautet,

daß am 5. Januar die Strafverfügungen so weit vorbereitet waren, daß die Strafen vom 15. Januar ab verbüßt werden konnten. Die

Mehrzahl der Mannschaften hatte von der Amnestie noch Vortheil.

Wollte man ihnen diese Gnade entziehen, dann hätte man die keuute erst nach dem Amnestie⸗Erlaß zur Bestrafung heranzuziehen

Fprauchen. Ein besonderer Fall war von Herrn Bebel angeführt

worden: einem Reservisten soll ein Strafaufschub nicht gestattet worden

sein, trotzdem seine Frau ihrer Entbindung entgegensah. Es wurde ermittelt, daß die Frau erst lange nachher, am 5. Februar, ent⸗ bunden wurde.

1 Abg. Liebknecht: Ich habe nicht den Diebstahl vertheidigt,

scndern nur die drei Leute, weiche des Diebstahls bezichtigt worden

sind, weil sie ein werthloses Stück Papier sich angeeignet haben. Kein Mensch denkt daran, daß so etwas gestok len werden kann. Verwahrung muß ich dagegen einlegen, als ob diese drei Männer durch Geldversprechungen vom „Vorwärts“ verführt seien. Die Aktenstücke gehen uns zu ohne

Aussicht auf Belohnung. Der „Vorwärts“ hat sie veröffentlicht in

gutem Glauben und im Interesse der öffentlichen Moral.

Der Rest des Etats wird nach unerheblicher Debatte ge⸗

nehmigt.

Um 6 Uhr wird die weitere Berathung des Etats bis Dienstag 1 Uhr vertagt. Außerdem stehen die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfs, die Verwendung vo

Heberschüssen zur Schuldentilgung, zur Berathung.

Instanz ab! Die Juristen sind im Zweifel, ob die Wegnahme eines

vö49. Sitzung vom 23. März 1896.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend das Anerbenrecht bei Renten⸗ und Ansiedelungsgütern.

Nach der gestern mitgetheilten Rede des Abg. Richter (fr. Volksp.) nimmt das Wort der aei Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗

ein:

Meine Herren! Nachdem bereits im Herrenhause in ausgiebigster Weise eine Begründung des Standpunkts der Staatsregierung statt⸗ gefunden hat, habe ich es nicht mehr nöthig, eine allgemeine Rede zur Begründung der Vorlage zu halten. Dagegen glaube ich, daß es zweckmäßig ist, wie es im Herrenhause geschehen ist, auch hier einige Zahlen mitzutheilen, die von Bedeutung für die Beurtheilung der Wirkung der bisherigen Rentengutsgesetzgebung sind. Ich werde mir nachher noch gestatten, auf einige Bemerkungen des Herrn Abg. Richter einzugehen. 1

Meine Herren, am 1. Januar 1896 waren 5070 Rentengüter endgültig gegründet mit einem Areal von 53 314 ha und einem Tax⸗ werth von 43 519 205 2578 Rentengüter sind thatsächlich gegründet, aber noch nicht in Hypothekenbücher u. s. w. eingetragen mit einem Areal von 28333 ha. Dabvon sind 2444 Güter von den Rentengutsnehmern bereits thatsächlich übernommen. Die Gesammt⸗ zahl der ausgegebenen Rentengüter, wenn ich die thatsächlich bereits übernommenen mit hinzurechne, beträgt also 7648. An Rentenbriefen sind ausgegeben 30 568 418 83 312 ha stehen zur Vertheilung noch zur Verfügung. Nur 82 Rentengutsnehmer sind rückständig bezw. gestundet, das beträgt 1 56 % der Gesammtzahl.

Am 1. Dezember 1895 waren von 4521 Rentengutsbesitzern 1 105 627 jährliche Rente zu zahlen. Die gestundeten Beträge belaufen sich auf 25 651 ℳ, d. i. 2 ½ % der Gesammtsumme. 17 Güter stehen unter Sequestration, und dafür sind 1800 Zwangs⸗ verwaltungskosten aufgewendet. Für 11 Güter besteht die Zwangs⸗ verwaltung noch, das ist ½ % der Gesammtzahl der Güter. Zwangs⸗ verwaltung beantragt, aber noch nicht eingeleitet ist in 6 Fällen. 29 Güter sind zur Zwangsversteigerung gestellt, das sind 8 %. Die Aufwendungen der Staatskasse dafür betragen 24 798

Meine Herren, zweierlei ist nach meiner Auffassung unzweifelhaft aus diesen Zahlen zu entnehmen: einmal, daß bisher durch die Hand⸗ habung der Rentengutsgesetzgebung Nachtheile von Bedeutung für die Staatskasse nicht eingetreten sind; zweitens, daß trotz der bis jetzt ungünstigen landwirthschaftlichen Lage der Erfolg der Rentenguts⸗ ausgebung ein günstiger gewesen ist. Also das Gegentheil von dem, was vielfach in der öffentlichen Meinung, in der Presse und auch im Landtage der Monarchie ausgesprochen ist, ist richtig. Endlich ergiebt sich auch aus diesen Zahlen, daß, wenn das gegenwärtige Gesetz Geltung erlangt, das Gesetz für eine erhebliche Zahl von Renten⸗ gütern, wenn die Ansiedelungsgüter noch hinzutreten, sofort wirksam werden wird.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat ausgeführt, bei Ein⸗ führung der Höferolle habe man sich allseitig gegen das Intestat⸗ anerbenrecht verwahrt. Diese Angabe ist unzutreffend. Die Pro⸗ vinzial⸗Landtage von Hannover, Brandenburg und Westfalen haben sich derzeit für die Einführung des Intestatanerbenrechts ausgesprochen. Derselbe Beschlus wäre auch in Cassel gefaßt worden, wenn nicht der Königliche Kommissar bei der Berathung sich bestimmt dagegen ausgesprochen hätte. Der ausgesprochene Grund aber, weshalb die Staatsregierung damals sich gegen das Intestaterbrecht erklärte, war der, daß die Staatsregierung es für geboten erachtete, zunächst mit den Höferollen weitere Erfahrungen zu sammeln.

Meine Herren, eine Behauptung und nach meiner Auffassung war das die wesentlichste in den Darlegungen des Abg. Richter besagt: wenn wir dieses Gesetz eirführen, so ist das das beste Mittel, der Sozialdemokratie in ihrem Fortschreiten auf dem Lande Vorschub zu leisten. Meine Herren, wenn diese Behauptung richtig wäre, dann müßte doch in denjenigen Landestheilen auf dem Lande, wo bisher das Anerbenrecht bis in die neueste Zeit thatsächlich in Geltung gewesen ist, beispielsweise in der Provinz Hannover, der Provinz Westfalen, kurzum in allen denjenigen Landestheilen, wo noch die niedersa sischen Anschauungen über die Vererbung des Grundbesitzes thatsächlich herrschen und zur Geltung kommen, sich diejenige Folge gezeigt haben, die der Herr Abg. Richter prognostiziert hat. Ich möchte aber behaupten, daß gerade in denjenigen Landestheilen, wo diese alte Sitte sich erhalten hat, der Eingang der Sozialdemokratie in das Land am allerwenigsten hervorgetreten ist. (Sehr richtig! rechts.)

Also die Behauptung des Herrn Abg. Richter ist damit durch eine Thatsache widerlegt. Es ist außerordentlich leicht, eine derartige Behauptung aufzustellen, ohne dafür den Beweis anzutreten (sehr richtig! rechts), während hier aus den thatsächlich bestehenden Ver⸗ hältnissen hervorgeht, daß die Behauptung des Herrn Abg. Richter unbegründet ist. (Bravo! rechts.)

Nun, meine Herren, in der Provinz Hannover, wo man den Anfang mit der Höferolle gemacht hat, würden im Ganzen etwa 100, bis 120 000 Höfe unter die Höferolle fallen, wenn sie alle ein⸗ getragen wären. Unter diesen Höfen befindet sich aber eine große Anzahl von solchen, die in den Marschen liegen, wo die Rechts⸗ anschauung eine andere ist, und wo die agraren Verhältnisse eine unbedingte Theilbarkeit des Grundbesitzes nicht gestatten. Alle diese

Höfe unter den von mir eben genannten 100⸗ bis 120 000 der Provinz Hannover fallen bei Betrachtung der erwähnten Erbsitte aus. Trotzdem bei Einführung des Höferechts in die Provinz Hannover gegen dieselbe grundsätzlich die allerweittragendsten Bedenken geltend gemacht wurden, trotzdem die liberale Presse sich damals mit Hand und Fuß gegen den Versuch der Einführung der Höferolle in die Provinz Hannover wehrte, trotzdem haben von den an⸗ nähernd 100 000 Höfen die Besitzer von 66 575 Höfen die Eintragung in die Höferolle, bewirkt. (Hört, hört! rechts.) Daraus geht doch hervor, daß einmal die Rechtsanschauung denn die Höferolle ist ja eine fakultative Einrichtung in der Bevölkerung eine so starke gewesen ist, daß trotz allem gegen die Rechts⸗ anschauung der Bevölkerung in Bewegung gerichteten Handeln der urkernige deutsche Sinn der Bevölkerung der Provinz Hannover so mächtig gewesen ist, daß über ¾ der Höfe in die Höferolle einge⸗ tragen sind.

Das Gleiche gilt für Westfalen. Wenn die Zahl der . eingetragenen Höfe allerdings ganz erheblich gegen die der Pror⸗ Hannover zurücksteht, so es auch nicht zweifelhaft, daß die weitam meisten Höfe in Westfalen heutzutage, trotzdem doch auch die pre Gesetzgebung wiederholt sehr scharf in das Rechtsbewußtsein der nei⸗ fälischen ländlichen Bevölkerung eingegriffen hat, noch nach Anerbenrech thatsächlich vererbt werden. Aus Westfalen liegt der Sta

meine Herren, ein Beschluß des Provinzial⸗Landtags vor, der, wam ich nicht irre, fast einstimmig gefaßt ist, bei dem sowohl der grundbesitz, wie der bäuerliche Grundbesitz, also der mittlere Graz. besitz, mit den Vertretern der Städte gemeinsam diese Frage berathen hatte, und wo unbedingt beantragt wird, doch das Intestaterbrecht, de Vererbung des Grundbesitzes auf einen Erben einzuführen, allerdings dabei ziemlich weitgehend die Testierfreiheit aufrecht zu erhalten.

Meine Herren, die Bemerkung des Herrn Abg. Richter über der Staatskredit will ich unberührt lassen. Soweit das nöthig ist, wird dies besser und eingehender der Herr Finanz⸗Minister vortragen. JIh habe im übrigen, meine Herren, wiederholt nur festzustellen, de schwerlich über die vorliegenden prinzipiellen Fragen eine Verstän zwischen der Staatsregierung, bezw. mir und dem Herrn Abg. Richte herbeizuführen sein wird. Unsere Grundanschauungen über die in Be⸗ tracht kommenden Fragen sind im Prinzip so vollständig verschiedenartg daß es überflüssig ist, so lange wir uns nicht über das Grundprinzip der⸗ ständigen, auf alle die Deduktionen einzugehen, die hier wiederholt, aud heute wieder der Herr Abg. Richter vorgetragen hat. Es scheint mir daher unnöthig zu sein und nur die ganze Diskussion zu verweitläuft, gen, wenn ich jede Aeußerung des Herrn Abg. Richter widerleger wollte. Wir haben ja schon häufig Gelegenheit gehabt, über diee Anschauungen eine Verständigung zu versuchen. Das ist mißlungen, und das würde auch heute der Fall sein. Ich beschränke mich alse auf die Aeußerungen, die ich eben zu machen die Ehre hatte. (Brarde! rechts.)

Abg. Brütt (fr. kons.): Meine Freunde stimmen der Vorlag zu. Das Anerbenrecht muß weiter ausgedehnt werden in unsenn Lande. In Schleswig⸗Holstein hat sich durch die Macht der Thar⸗ sachen das Anerbenrecht herausgebildet, und dank der Tüchtigker und Sparsamkeit unserer ländlichen Bevölkerung ist der mittlere un kleinere Grundbesitz in Schleswig⸗Holstein, diese festeste Stütze des Staats, gut fundiert. Aber ein gemeinsames Schema für daß Anerbenrecht im ganzen Lande wäre verfehlt, so muß z. B. de Eigenart der niedersächsischen Bevölkerung gewahrt werden. Ii beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine besondere Kommission

Abg. Hobrecht (nl.): Die Vorlage muß nach ihrem be⸗ schränkten Umfange und Zweck beurtheilt werden, und mit diese Beschränkung erkennen wir die Vorlage als berechtigt an. Ueber di Frage, ob das Anerbenrecht allgemein als Intestaterbrecht zu ka⸗ stituieren sei, sind dagegen meine Freunde getheilter Ansicht. Stte und Gewohnheit sind in den verschiedenen Provinzen ganz verschieden,

und es wäre bedenklich, ein Intestaterbrecht einzuführen, 1 mit den provinziellen Gewohnheiten nicht übereinstimmt. Wir müßen dahin streben, daß ein Zuzug von Westen nach Osten stattfindet, un manche meiner Freunde haben das Bedenken, daß dieser Zuzug ge⸗ stört werden könnte, wenn die Ansiedler nicht nach den Verhältniffer leben können im Osten, die sie bisher in ihrer Heimath gewohn waren. Bedenklich ist manchem, daß der Rentengutsbesitzer

frei verfügen kann, sondern unter der Vormundschaft der General⸗ Kommission steht. Mit der kommissarischen Berathung bin ich eir⸗

Finanz⸗Minister Dr. Miquel: 8

Meine Herren! Die Ausführungen des Abg. Hobrecht sind mi sehr erfreulich gewesen. Ich habe daraus entnommen, daß selbst die jenigen, die gewisse Bedenken haben, doch auf dem Boden stehen, dar die Gesetzgebung an sich in ihrer Tendenz im vorliegenden Falle noth⸗ wendig ist. Obgleich hier und da bestimmte Bedenken hervortreter über die man im einzelnen Falle ja reden kann, so glaube ich doh wird wohl zweifellos hier im Hause sich für diese Vorlage eine greße Mehrheit finden.

Ich kann vollständig bestätigen, daß auch die Staatsregierung de⸗ selbe Stellung einnimmt, wie der Herr Abg. Hobrecht in Bezug ar den Geltungsbereich des vorliegenden Gesetzes bezeichnet. Der E. geordnete hat zur Zeit nur mit der Frage iu thun: Sck das Anerbenrecht als ein Intestatanwerbrecht bei Renter⸗ gütern eingeführt werden? Naturgemäß: diejenigen, welce überhaupt gegen jedes Anerbenrecht sind, wo es auch . Geltung kommt und unter welchen Bedingungen, werden auch gege dies Gesetz stimmen, während diejenigen, welche im allgemeinen fir ein Anerbenrecht als Intestaterbrecht für ländliche Besitzungen sin um so geneigter sein werden, es in diesem Falle, wo die Sache ze klar indiziert ist, zu acceptieren.

Meine Herren, die Stein⸗Hardenberg'sche Gesetzgebung warf süh auch die Frage auf, als die Bauern von den Gütern separiert wie wird es nun aber werden bei dem gleichen Erbrecht, dad meisten bäuerlichen Stellen doch thatsächlich nicht getheilt wer können, das auch wirthschaftlich ganz verkehrt wäre, mit der Verschuldung? Denn daß bei jedem Erbfall gleicher Abfindung der Erben obhne Theilung des Ertek eine sehr starke Verschuldung eintreten muß, die schliegim zum Ruin des Gutes führt, das war den Herren damals auch sche klar. Sie trösteten sich nur mit dem Gedanken, daß ja in solche Fällen die Verschuldung vermieden werden könne durch Abverli⸗ von den betreffenden Gütern beziehungsweise bäuerlichen b Nun, meine Herren, das war wirklich die blanke Theorie! muß man sagen, daß in den meisten Fällen bei bäuerlichen Besitzwege solche Abverkäufe überhaupt im höchsten Grade unwirtb choftic wären; das hat selbst der Herr Abg. Richter anerkannt. Anderntdea fand sich sodann auch in der Regel gar keine Gelegenheit in . östlichen Provinzen, zu solchen Abverkäufen überzugehen; th n mußte doch das Gut ungetheilt auf Einen Erben übergehen.

8-Anzeiger und Königlich Preußi

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, der Herr Abg. Hobrecht hat vollständig Recht, wenn er sagt: es ist ein großer Irrthum, daß die Vererbung der bäuerlichen Besitzungen auf einen Erben nur im Westen oder vorzugsweise im Westen stattfand. Die soziale und wirthschaftliche Nothwendigkeit einer solchen Be⸗ handlung im Erbfalle bei bäuerlichen Besitzungen hat gerade so gut im Osten dazu geführt wie im Westen, und wir haben ganze große Landestheile auch im Osten, wo diese Sitte und die deutschrechtliche Gewohnheit auf der Grundlage der wirthschaftlichen Nothwendigkeit feststeht wie im Westen. Was richtig sein mag, ist wohl, daß der Osten von großen Landestheilen des Westens sich darin vielleicht unter⸗ scheidet, daß die Tendenz der gleichen Behandlung aller Erben, auch wenn der eine das Gut übernimmt nach dem Kaufwerth, im Osten stärker ist als im Westen, und die Folge ist wohl gewesen, daß der Osten durch das bestehende Erbrecht viel stärker verschuldet worden ist, wie die westlichen Landestheile.

Diesen Unterschied kann man, glaube ich und die Statistik der Verschuldung, die ja demnächst uns vorliegen wird, wird das

—, annehmen. Es liegt allerdings die Frage der Ver⸗ schuldung und ihre Höhe auch noch auf anderen Gebieten; keineswegs mntscheiden diese Erbrechtsfragen allein, es sind Gründe auch noch da. Meine Herren, diesen Landestheilen mit Vererbung der bäuerlichen Be⸗ sitzungen oder auch der größeren Güter denn nach meiner Meinung ist gar kein Grund vorhanden, die Einführung des Anerbenrechts nur auf die bäuerlichen Besitzungen zu beschränken; man wird erwägen müssen, sie auch bei den größeren Gutsbesitzungen ebenso einzuführen stehen nun gegenüber die Landestheile der freien gleichen Natural⸗ theilung des Grund und Bodens.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß, was man auch von dieser gleichen Naturaltheilung des Grund und Bodens sagt, die Verschuldung des Grundbesitzes infolge dieser Art von Erbtheilung geringer ist als bei dem Uebergang des Grund und Bodens an eine Person.

Die allerneueste Statistik in Baden, wo wir ja Aemter haben, wo ein vollständiges Anerbenrecht gilt und im übrigen, namentlich in der Rheinebene, vollständig gleiche Bodenauftheilung im Erbfall, hat ganz bestimmt bewiesen, daß die Höhe der Verschuldung in den letzteren Gebieten erheblich geringer ist. Das kann aber doch nicht dahin führen, es lieber dabei zu lassen. Meine Herren, wir können eben das nicht nach⸗ machen; was das Klima, die Natur des Bodens, die Höhe der Bevölke⸗ rung, die Mannigfaltigkeit der landwirthschaftlichen Kultur in Baden ermöglichen, ist im Osten der Monarchie und auch im größten Theil des Westens unmöglich. Wenn wir Obstzucht, Taback⸗, Hepfenbau, derartige Kulturen, die auch die dortige Landwirthschaft viel weniger haben berühren lassen von dem Rückgang der Kornpreise wie bei uns, einfach in die ganze Monarchie verpflanzen könnten, und dieselbe Zahl von Städten, dieselben Absatzgebiete, dieselben Verkehrsmittel, dieselbe Bevölkerungsziffer hätten, so würde ich mich wahrscheinlich auch be⸗ kehren zu diesem System. Deswegen möchte ich die Perren vom Rhein bitten, daß sie die verschiedenartigen Verhältnisse ihrer alten Sitte und Gewohnheit und ihren klimatischen und Kulturverhältnissen gegenüber wohl berücksichtigen. Es kann unmöglich die Absicht sein der Staatsregierung und wohl auch des ganzen Hauses, lediglich durch eine theoretische Vorliebe für das eine oder andere System gewissen Landestheilen ein System aufzudrängen, das für sie nicht paßt. Ich würde garnicht daran denken, nachdem 2000 Jahre seit der römischen Zeit diese Naturalbodenauftheilung unter den Erben in Nassau und im größten Theile des Rheinlands und auch in Stücken der anderen Provinzen bestanden hat, dort das Anerbenrecht aufzu⸗ drängen. Aber ebensowenig sollen die Herren aus diesen Provinzen bloß wegen einer theeretischen Vorliebe den übrigen Landestheilen ein Hinderniß bilden, sich dasjenige Erbrecht zu schaffen, das für dieselben paßt, und auf dieser Basis werden wir uns am besten einigen. Auch wenn wir später zu einer Ausdehnung des Gesetzes nicht bloß auf die Rentengüter, sondern auf sonstige bäuer⸗ liche Besitzungen übergehen, wird man genau untersuchen müssen: wie ist die historische Entwicklung, wie ist die Rechtsauffassung, wie ist die Sitte, welche wirthschaftlichen und sozialen Grundlagen sind vor⸗ handen? Da wird man auch mit der größten Vorsicht ver⸗ fahren müssen. Ich würde mich außerordentlich scheuen, mit⸗ mwirken, einer Bevölkerung, die einem solchen Erbrecht wider⸗ strebt, es von oben aufzudrängen; aber ich habe die Ueberzeugung, daß die Abneigung gegen ein solches Recht immer geringer werden wird. Als ich 1867 hier in diesem Landtage zuerst aussprach, daß ich be⸗ dauere, daß man in Preußen, in einem so kapitalarmen Lande, die Erbpacht aufgehoben hätte, da verstand man das garnicht, und ich wurde geradezu niedergeschrieen mit solchen reaktionären Anschauungen. Heute haben wir das Rentenprinzip in die Gesetzgebung eingeführt, und selbst die früheren Gegner desselben, die nicht begreifen konnten, daß der Grundbesitz nicht stets Kapital abgeben kann, sondern nur Renten, sind zum großen Theil heute bekehrt. Wenn die Idee, die jetzt noch in vielen

destheilen vorhanden ist, daß das Anerbenrecht eine unnatürliche Beschränkung, wie auch der Herr Abg. Richter es eben dargestellt hat, der Freiheit des Grundeigenthümers sei, erst verschwindet, wenn man begreift, daß der Grundeigenthümer, der unter dem Anerbenrecht steht, disponieren kann, wie er lustig ist, unter Lebenden und von Todes wegen, daß wir hier bloß ein Intestaterbrecht geben, welches er nach seinem freien Willen modifizieren kann dann wird der Widerstand gegen dieses Intestaterbrecht von selbst schwinden.

Man könnte mir sagen und das schien auch der Herr Abg. Hobrecht anzudeuten —, daß es eigentlich nicht nöthig sei, ein solches Gesetz zu machen, weil die Sitte stark genug ei, eine zweckmäßige Theilung unter den Erben beim Uebergange des

aufrecht zu erhalten, und daß es daher nicht erforderlich sei, überhaupt ein solches Gesetz vorzulegen. Meine Herren, ich will hier 8 eingehen auf die Frage, ob und aus welchen Gründen es nach meiner nsicht allerdings sehr rathsam ist, den langen Kampf des deutschen Bauernstandes gegen das römische Recht und die Anschauungen die

Zweite Beilage

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Berlin, Dienstag, den 24. März

1896.

daraus relevieren, auch endlich gesetzlich zu Gunsten des deutschen Bauern zu beendigen. Ich will bloß sagen: selbst wenn diese Anschauung richtig wäre im übrigen, so ist sie doch durchaus falsch bei den Rentengutsnehmern. Hier haben wir dem Rentengutsnehmer und mußten das thun heute schon verboten, zu parzellieren. Wenn also die Stein⸗Hardenberg'sche Gesetzgebung die Zukunft dahin decken wollte, daß sie sagte: Die Leute können ja abverkaufen und damit die üorigen Erben bezahlen, so ist das ja hier von uns selbst ausgeschlossen. Das Grundstück ist schon, solange die Rente darauf haftet, untheilbar. Hier muß also einer das Gut über⸗ nehmen, hier muß einer die anderen abfinden; hier zwingt aber den Gutsannehmer, wenn die anderen Erben es wollen, das Landrecht zu viel zu hohen Abfindungsbeträgen. Hier muß hinter dem mit Renten an sich schon stark verschuldeten Grundbesitz bei jedem neuen Erbfalle eine neue Hvyvpothek aufgenommen werden. Hier muß die zweite Generation noch weniger bekommen als die erste; hier muß die Leistungsfähigkeit schließlich nothwendig ver⸗ schwinden, wenn in dieser Beziehung das geltende Rechts⸗ system zur vollen Geltung kommt. Und, meine Herren, wenn die Leistungsfähigkeit des Besitzers verschwindet, dann ist nicht bloß der Staat mit seiner Rente gefährdet, mit dem Kapital, das er schon in Grund und Boden stecken hat denn wir haben ja das gut gemacht mit unseren Mitteln —, sondern, was viel schlimmer ist: der ganze Zweck des Gesetzes, welches leistungsfähige mittlere und kleinere Be⸗ sitzungen herstellen wollte, ist in einigen Generationen verloren ge⸗ gangen. Wenn man einmal eine solche Maßnahme getroffen hat, wenn man so viel Kapital für einen großen sozialen Zweck aufgewendet hat, dann ist der Finanz⸗Minister, an den sich der Herr Abg. Richter gewandt hat, auch vollständig berechtigt, nun noch soviel Risiko und soviel Kapital in diese Güter hineinzustecken, daß sie überhaupt lebensfähig bleiben, schon aus dem einen siskalisch⸗ finanziellen Gesichtspunkt allein, daß er sonst um das ganze Kapital kommt, das bereits im Gut steckt. Darum habe ich gar kein Bedenken getragen, wenn wir hier allerdings auch eine dauernde, sich bei jeder Generation erneuernde Schuld auf die Staatskasse bringen, in diesem Fall aus den angegebenen Gründen die Renten der Ab⸗ findlinge in Rentenbriefe zu verwandeln, und unter der Voraussetzung, daß sie noch innerbalb der Sicherheitsgrenze liegen, zu garantieren. Ich habe geglaubt, das sei eine Nothwendigkeit, um die Kapital⸗ aufwendungen des Staats zu sichern, die bereits gemacht sind und in Zukunft bei weiterer Entwickelung der Rentengüter noch weiter stattfinden sollen. Ich betone dies ausdrücklich, um auch hier von vornherein zu erklären, daß nach meiner Auffassung bei einer weiteren Ausdehnung des Anerbenrechts der Staat nach demselben Rezept nicht verfahren kann. Ich bin aber auch der Meinung, daß das garnicht nothwendig ist, wenn wir das Anerbenrecht ausdehnen wesentlich nur auf diejenigen Landestheile, wo bereits von Alters her seßhafte Bauern vorhanden sind, die unter diesem Erbrecht der That⸗ sache und der Sitte nach und ihrer Rechtsauffassung entsprechend leben. Wenn bisher, meine Herren, es dort gut gegangen ist ohne diese Be⸗ stimmungen, von denen ich eben spreche, wenn sich ohne diese Hilfe des Staats das Anerbenrecht hat erhalten können und segensreich wirkte, so ist garnicht abzusehen, warum das auch nicht in Zukunft sollte der Fall sein. Es ist also hier ein solches Bedürfniß nicht vorhanden.

Aber im vorliegenden Fall haben wir es nicht mit alten seßhaften, gutsituierten, in einem gewissen Wohlstand befindlichen Bauern zu thun, sondern mit Leuten, die von vornherein mit einer schweren Schuld, die sie auf sich nehmen, beginnen, die fast allen Besitz nur in ihrer eigenen Kraft und Tüchtigkeit haben, die allmählich sich aus der schweren Renten⸗ und sonstigen Verschuldungslast heraus⸗ arbeiten sollen. Solchen Leuten muß man in ganz anderer Weise zu Hilfe kommen, wenn man sie auch zu wohlsituierten Bauern machen will, als denjenigen bäuerlichen Besitzungen, die sich von uralter Zeit her bereits unter diesem Recht befunden haben und infolge dessen wohlhabender geblieben sind.

Meine Herren, an dieses letzte Wort nun knüpfe ich noch an, um denjenigen Herren, denen es widerstrebt ich kann mir denken, viele hier im Hause sind dieser Auffassung —, daß eine solche Begünstigung zu Gunsten des einen Erben zum Nachtheil des anderen stattfinden soll, einmal folgende Gesichtspunkte zu unterbreiten. Meine Herren, wenn Sie, annähernd unter Beachtung des römischen Pflichttheils, unter Einsetzung des Grundstücks nach dem Ka ufwerth, sich drei Erbgenerationen nacheinander denken, so werden sie mir zu geben, daß namentlich in den heutigen Verhältnissen der Landwirtb⸗ schaft es völlig unmöglich ist, daß die Schuld, die Hypothek oder d Rente in welcher Form es sei —, welche der Anerbe bei dem ersten Erbfall zu übernehmen hat, bei seinem Tode bereits getilgt ist; die Schulden werden zum großen Theile, wenn nicht besonders günstige Umstände vorliegen, noch auf seinen Nachfolger übertragen. Jetzt übernimmt der Zweite das Gut, die zweite Generation; da geht die Sache genau wieder so, aber die Miterben bekommen schon weniger, denn es ist weniger zu theilen da. Und schließlich ist das Gut so verschuldet, daß trotz des gleichen, schönen, humanen römischen Erbrechts nichts mehr zu theilen übrig bleibt. (Heiterkeit.) Das ist die Entwickelung die allerdings verhindert wird in den Ländern der freien Naturaltheilung, die aber nicht da verhindert werden kann, wo eine solche freie gleiche Auftheilung des Grund und Bodens selbst unter den Erben nicht möglich ist.

Nun sehen Sie einmal, meine Herren, die altangesessenen Bauern mit dem Anerbenrecht. Gewiß, der Anerbe wird wesentlich vor den anderen Erben begünstigt. Die Abfindungen sind gering, aber die Verschuldung der Höfe ist auch gering. Die Eltern, die auf den Höfen sitzen, können, solange sie leben, allen Kindern weit mehr beispringen, als ein Besitzer eines hochverschuldeten Guts. Wenn der Junge ein Handwerk lernen, Kaufmann werden oder irgend ein anderes Gewerbe erlernen soll, so wird er, solange die Eltern leben, ganz andere Unterstützung bekommen können. Aber selbst nach dem Tode der Eltern

sind vielfach in solchen Verhältnissen andere Werthe vorhanden, selbst

Kapitalien, die zur Abfindung der übrigen Kinder dienen, und wenn sie nicht vorhanden sind, gerade weil jedermann weiß, die Kinder sind mäßig abgefunden, wird immer der Hof mehr oder weniger als ein Familieneigenthum angesehen werden. (Sehr richtig!) Der Abfind

ling kann immer, wenn er mal keine Arbeit draußen hat, auf den Hof zurückkehren, die Mädchen ebenso; sie haben an dem Hof immer eine feste Stütze für die ganze Familie. Diese Idee, daß eine unbedingt gleiche Auftheilung das Richtige wäre, jedenfalls die Wahrung des römischen Erbrechts, ist eigentlich, wie ich schon im

Generation, die verzehrt, was da ist. Ich glaube daher, auch von diesem Standpunkt aus ist es durchaus irrig, zu glauben, daß zweck mäßiges Intestaterbrecht thatsächlich die Abfindlinge auf die Dauer schlechter stelle, als es bei dem entgegengesetzten System der Fall ist

Meine Herren, über einzelne Fragen das haben wi⸗ auch im Herrenhause schon anerkannt kann man schiedener Meinung sein, beispielsweise über den locus für die Anerben. (Heiterkeit.) Das ist eine Frage, die man besprechen kann. Die Regierung wird in dieser Beziehung sich gern mit Ihnen zu verständigen suchen; ich glaube aber, Sie werden sich überzeugen, daß doch die Regierung hier das Richtige getroffen hat; das wird sich aber in der Kommission ergeben. Ich bin überzeugt, Sie thun einen wohlthätigen Schritt, nicht bloß für den hier vor⸗ liegenden Fall, sondern eröffnen auch einen hellen Ausblick in weitere Landestheile, wenn Sie dem Gesetzentwurf, wenigstens in seinen Hauptgrundlagen, Ihre Zustimmung geben. (Bravo!)

Abg. Willebrand (Zentr.) schildert die Erbverhältnisse auf Grund des Höferechts in Westfalen, welches es ermöglicht habe, daß der Grundbesitz sich durch Jahrhunderte in denselben Familien ver⸗ erbt habe, und spricht sich nach diesen Erfahrungen für die Vorlage aus. Einigermaßen bedenklich sei zwar die weitgehende Bevormundung durch die General⸗Kommission, aber bei den mit Staatshilfe begrün⸗ deten Rentengütern sei diese Bindung immerhin verständlich und zulässig. Im Ganzen sei er mit der Vorlage einverstanden, die Ein⸗ zelheiten bedürften aber doch noch einer besonderen Prüfung in einer Kommission von 21 Mitgliedern. 1

Abg. Schilling (kons.) erklärt die Zustimmung seiner Freunde zu der Vorlage. Der Staat habe ein großes finanzielles Interesse daran, daß die Rentengüter durch die Einführung des Anerbenrechts dauernd lebensfähig erhalten werden. Von einer Beeinträchtigung eines gleichen Erbrechts könne eigentlich keine Rede sein, alle Erb⸗ bestimmungen seien weckmäßigkeitsbestimmungen. Unsere Aufgabe sei die Wabrung der Einheit des Besitzes. Dadurch werde der Sozial⸗ demokratie kein Vorschub geleistet, die Miterben erhielten eine dauernde Stütze und bekämen eventuell auch ein Kapital. Daß der Anerbe durch die Aussicht auf das Erbe faul und träge werde, sei nicht zu erwarten, denn sonst müßten ja alle Söhne reicher Eltern faul und träge sein. Manches bedürfe in der Kommission noch der Abänderu 9 besonders fehle noch eine bestimmte Vorschrift darüber, wie der Anrechnungswerth des Gutes bemessen werden soll. Ferner seien die Bestimmungen der Vorlage über die Zugehörigkeit des Inventars zum Gute unklar und würden viele Streitigkeiten veranlassen, wenn sie nicht verbessert würden. Jedenfalls seien eingehende Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz erforderlich. Die Vorlage sei im Herrenhaus als ein erster Schritt auf dem Wege der agrarischen bezeichnet worden, aber diese Vorlage könne nicht als ein Muster für eine künftige Einführung des Anerbenrechts im ganzen Lande dienen. Mit den Zielen der im Herrenhause angenommenen Resolution über die Umwandlung der Hypothekenschulden in Rentenschulden, die Be⸗ grenzung der realen Verschuldung und die Bildung kleinerer und mittlerer Fideikommisse könnten seine Freunde im allgemeinen einverstanden sein. Aber diese Fragen seien nicht mit einem Mal zu lösen und bedürften . eingehender Erwägung. Die Bildung der Fideikommisse solle die Regierung aber bald in Angriff nehmen. Seine Freunde seien bereit, an diesen Aufgaben der Gesetzgebung mit⸗ zuarbeiten. , 3

Abg. Ehlers (frs. Vg.) meint, daß die Vorlage von größerer prinzipieller Tragweite sei, als die Beschränkung auf die Rentengüter

Ausdehnung des Anerbenrechts sein werde. Man wolle den Bauer ein Erbrecht aufdrängen, von dem diese absolut nichts wissen wollen, dadurch werde die Sozialdemokratie gefördert; wenn diese da nicht zu fpüren sei, wo das Anerbenrecht schon bestehe, so liege das daran -2 dort das Anerbenrecht seit langem auf Sitte und Gewohnheit be ruhe. Das Aufdrängen des Anerbenrechts in anderen Landestheilen müsse aber die Abfindlinge unzufrieden machen. Es handle sich hier nicht um den Kampf zwischen römischem und deutschem Recht, nicht um die Emanzipation des Bauernstandes von den Fesseln des römi⸗ schen Rechts, sondern um einen sehr bedenklichen Versuch, was Sitte, Gewohnheit und die freie Bestimmung der Einzelnen geschaffen, in Gesetzesparagraphen zu bringen und mit der Macht des Staats un der Folige⸗ die Leute glücklich zu machen. Seine Partei sei ebens deutsch wie die anderen und trete ebenso für den deutschen Bauern stand ein.

Darauf wird die Debatte geschlossen und die Vorlag einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.

Präsident von Köller theilt mit, daß weiteres Verhandlungs material für das Plenum zur Zeit nicht vorliege, und schlägt vor, die nächste Sitzung erst am Dienstag, den 14. April, 12 Uhr, zur Be⸗

rathung von Anträgen aus dem Hause zu halten. Scchluß nach 2 ¼ Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

e Ergebnisse der Erhebungen über den Stand der Landwirthschaft in Württemberg. 1

Im Jahre 1884 wurde in Württemberg auf eine Anregung der Kammer der Abgeordneten nach dem Vorgang im Großherzogthum Baden vom Jahre 1883 eine Enquste über die Lage der Land⸗ wirthschaft zunächst mit Beschränkung auf 6 Gemeinden, jedoch mit der ausgesprochenen Absicht angestellt, von deren Ergebniß die Entscheidung über die Veranstaltung einer allgemeineren Enquste

abhängig zu machen. Die Untersuchung erstreckte sich auf alle die Landwirthschaft beeinflussenden Verhältnisse in diesen Gemeinden und hatte insbesondere zum Gegenstand: die allgemeinen Verhältnisse (Größe der Markung im Verhältniß zur Groͤße der land⸗ bautreibenden Bevölkerung, Boden⸗ und klimatische Verhältnisse, Ver⸗ hältnisse der verschiedenen Kulturarten zu einander u. s. w.), ferner die Vertheilung des Grundbesitzes, Kaufpreise und Liegenschaftsumsatz, Hüteerbarwisc⸗ Versicherungswesen, Nebenperdienst, Arbeiterver⸗ ältnisse, Kreditverhältnisse, Rentabilität, Verschuldung und Be⸗ urtheilung der wirthschaftlichen Lage der bäuerlichen Bevölkerung.

Das Ergebniß der ganzen Untersuchung wurde dahin zusammengefaßt:

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Herrenhause sagte, weiter nichts als die Privilegierung der ersten

annehmen lasse, und befürchtet, daß sie ein erster Schritt zur weiteren

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