1896 / 92 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Apr 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Reklame liegt bereits dann vor, wenn die thatsächlich unrichtige An⸗ gabe geeignet ist, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen. Wenn also jemand Jauersche Wurst anbietet, so werden manche Leute glauben, daß die Wurst aus Jauer herstammt, wenn jemand Harzer Käse anbietet, so denkt man, daß der Käse im Harz seinen Ursprung hat, und wenn jemand Braunschweiger Wurst fordert, so will er nicht blos Wurst haben die nach Braunschweiger Manier gemacht ist, sondern er denkt vielleicht an Wurst, deren Ursprung in Braunschweig zu suchen ist. Also, meine Herren, wenn Sie jetzt den Antrag des Herrn Abs. Bassermann ablehnen, so nöthigen Sie unseren gesammten Handel, Bezeichnungen aufzugeben, die von Alters her gebraucht worden, und die nicht auf einen bestimmten Ursprungsort, sondern auf eine be⸗ stimmte Beschaffenheit, auf eine bestimmte Zubereitungsweise und dergl. hindeuten sollen. Der Kaufmann darf nicht mehr von Jauerscher Wurst sprechen, wenn die Wurst nicht in Jauer gemacht ist, er darf keinen Limburger Käse verkaufen, wenn derselbe nicht aus Limburg herstammt. Das ergiebt einen Zustand, über den sich wahrscheinlich der gesammte Handel und namentlich der Mittelstand nicht freuen wird, wenn Sie ihm diese Fesseln auferlegen. Also, meine Herren, der Sitz des Uebels, das wir jetzt hier be⸗ handeln, sind „die geschäftlichen Verhältnisse“, die Sie in den ersten Absatz eingefügt haben wollen; lassen Sie diese Worte „über geschäft⸗ liche Verhältnisse“ aus dem ersten Alinea des § 1 weg, dann brauchen Sie den Antrag Bassermann nicht (Sehr richtig!); lassen Sie sie aber stehen, so müssen Sie nothwendigerweise den Antrag Bassermann annehmen, wenn Sie nicht im Handel und Wandel eine Revolution hervorrufen wollen, die nicht allein nichts fördert, sondern die ich nur als unheilvoll bezeichnen kann.

1 9. ie Debatte zeigt, wie weit Handel und Wan- bb 88 Gebet e het Heahc diese übelen Usancen müßten nach Möglichkeit wieder beseitigt werden, namentlich auch soweit der Wein dabei in Frage kommt, denn der Besitzer von „Berncastler Doctor“ z. B. wird arg geschädigt dadurch, daß sehr viel anderer Wein unter dieser Firma geht.

Damit ist die Debatte über § 1 erledigt.

Berichterstatter Abg. Dr. Meyer: Die Kommission wollte an dem Gesetze über die Waarenbezeichnungen nichts ändern; das Gegentheil zeigt sich heute als Absicht der Abgg. Roeren und Fuchs.

wird mit dem Antrage der Abgg. Roeren zum Abs. 3 und Bassermann zum Abs. 5 angenommen.

§ 2, betreffend die ö“ der für die Klagen zn⸗ ständigen Gerichte, § 3 über die Sicherung des Anspruchs, und § 4, betreffend die strafrechtliche Verantwortung, werden ohne Debatte angenommen. 3

Nach § 5 kann durch Beschluß des Bundesraths für be⸗ stimmte Waaren festgesetzt werden, daß sie nur in vorge⸗ schriebenen Einheiten der Zahl, der Länge und des Gewichts oder mit einer Angabe der Menge verkauft werden dürfen.

Abg. Vielhaben hält diese Bestimmung für überflüssig, nach⸗ dem die Generalklausel in § 1 angenommen sei; auf die Festsetzung des Bundesraths könnten leicht die Großhändler und Fabrikanten mehr Einfluß haben, als dem Publikum und den kleinen Geschäfts⸗

n lieb wäre. lhuteg Jacobskötter (d. kons.) spricht seine Verwunderung darüber aus, daß der Vorredner gerade diesen Fesessehher. der von allen Seiten Billigung erfahren habe, streichen wolle. Das würde man im Publikum gar nicht verstehen. Alle Bedenken, die geltend

Die Kommission habe diese Hohlmaße heraus⸗

Frnach. worden, hätten sich nur auf den Verkauf von Waaren in

ohlmaßen bezogen. gelassen. 1

Unter⸗Staatssekretär im Reichsamt des Innern Rothe wendet sich gegen den Antrag Vielhaben, ist aber nicht damit einverstanden, daß die Hohlmaße ausgelassen seien. Gerade auf Anregung des Reichstags hätten Hger darüber stattgefunden, ob nicht auch der Verkauf von Bier ꝛc. in Gefäßen von bestimmtem Inhalt erfolgen solle. Die Aichung von Schankgefäßen, führt Redner weiter aus, ist vorgeschrieben, die von geschlossenen Gefäßen nicht, trotzdem sich ergeben hat, daß die Herstellung von Flaschen eines be⸗ stimmten Maßes sich sehr leicht bewirken läßt. Im Flaschenbier⸗ handel giebt es Flaschen der verschiedensten Größe; statt 20 Flaschen werden jetzt 30 Flaschen, statt früher 30 jetzt 40 Flaschen anscheinend derselben Größe, aber mit höherem Boden, geliefert. Der Bierverleger kann gar nicht ehrlich liefern, weil ihm von seinen Kunden Flaschen der verschiedensten Art zurückgegeben werden. Die Brauereien und die größeren Bierhändler, ebenso die Gastwirthe haben sich für eine Aenderung dieser Verhältnisse ausgesprochen. Es wäre zu bedauern, wenn bei dieser Gelegenheit der Bundesrath ver⸗ hindert werden sollte, eine durchgreifende Aenderung dieser Verhält⸗ nisse vorzunehmen, die in solcher Weise erfolgen würde, daß die Flaschenfabrikanten dadurch nicht geschädigt würden. .

Abg. Singer: Der Antrag Vielhaben bildet eine merk⸗ würdige Illustration zu dem Bestreben seiner Vrrter Treue und Glauben im gewerblichen Leben aufrecht zu erhalten. Wenn auf irgend einem Gebiet eine Aenderung nothwendig ist, so ist es auf diesem Gebiet des kleinen Verkehrs der Fall. Gerade dieser § 5 ist der allernothwendigste im ganzen Gesetz. Sowohl im Publikum als bei den Gewerbetreibenden ist der Wunsch vorhanden, auf diesem Gebiet des kleinen Verkehrs den unlauteren Wettbewerb zu beseitigen. Mißtrauen gegen den Bundesrath könnte höchstens dazu führen, die Bestimmung gegen die Quantitättverschleierung in das Gesetz auf⸗ zunehmen, zicht dem Bundesrath zu überlassen, und den Reichstag materiell an dem Erlaß der Vorschriften zu betheiligen. In Bezug auf den Flaschenbierhandel besteht im Reichstag keine Neigung, besondere Bestimmungen einzuführen, denn schließlich würde man nur helfen können durch einen Aichzwang für Flaschen. Daraus folgt dann eine Vertheuerung der Flaschen und des Bieres. Die Ausdehnung des Biergenusses durch Ausdehnung des Flaschenbier⸗ handels ist die beste Maßregel zur Bekämpfung des Schnapsgenusses. Ehe die Regierung nicht die Nützlichkeit einer Maßregel nach⸗ Sna wird sie wohl keine Vollmacht seitens des Reichstags be⸗ ommen.

Abg. Vielhaben: Man ist hier in dem Bestreben, Uebelstände zu beseitigen, viel zu weit gegangen. Man will dem Bundesrath nicht einmal das Bier anvertrauen; wie kann man ihm Be⸗ stimmungen überlassen über den Verkehr mit anderen Artikeln, über die er noch weniger ein Urtheil hat? Der Mittelstand wird überhaupt gut thun, nicht allzu hohe Erwartungen an das Gesetz zu knüpfen.

§ 5 wird gegen die Stimme des Abg. Vielhaben ange⸗ nommen, ebenso ohne Debatte die §§ 6—8.

Um 5 ½ Uhr wird die weitere Berathung bis Freitag 1 Uhr vertagt; außerdem steht die Novelle zum Genossenschafts⸗ gesetz, betreffend die Konsumvereine, zur zweiten Berathung.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

52. Sitzung vom 16. April 1896.

Eingegangen sind eine Novelle zu den Gesetzen vom 25. Dezember 1869 und vom 10. Mai 1886 über die Landes⸗ kediikaßfe in Cassel und eine Novelle zu dem Gesetz vom

10. April 1872 über die Pfandleihanstalten in Cassel, Fulda und Hanau. .

Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Das Haus setzt die zweite Berathung des Lehrer⸗ besoldungsgesetzes bei d7 fort, welcher bestimmt: Ein rechtlicher auf Neugewährung einer Alterszulage steht den Lehrern und Lehrerinnen nicht zu; die Versagung ist jedoch nur bei unbefriedigender Führung zulässig. Die Versagung bedarf der Genehmigung der Bezirksregierung.

Dazu ist eine Reihe von Abänderungsanträgen gestellt worden, die bereits gestern mitgetheilt worden sind.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Der Herr Abg. Bartels hat vollkommen Recht gehabt, wenn er ausgeführt hat, daß im allgemeinen die Bedeutung dieses § 7 namentlich in der Presse und den Lehrerkreisen weit über⸗ schätzt ist. Ein ordentlicher Lehrer, der seine Pflicht und Schuldigkeit thut, der Durchschnitt unserer Lehrer, hat den Para⸗ graphen garnicht zu fürchten, und sie haben auch gar keine Besorgniß vor diesem Paragraphen; das haben mir eine große Menge Lehrer selbst ausgesprochen. Der Zweck des ganzen § 7 ist der, daß wir eine gewisse Gleichmäßigkeit haben herstellen wollen zwischen den Lehrern der Volksschulen auf der einen Seite und den Lehrern an den höheren Unterrichtsanstalten und allen anderen Beamtenkategorien, bei denen Dienstalterszulagen eingeführt sind, auf der anderen Seite mit alleiniger Ausnahme der Richter. Nun, meine Herren, ich glaube garnicht, daß es der Wunsch der Lehrer ist, daß man ihnen eine solche Ausnahmestellung zubillige; es würde auch nicht richtig sein. Bei den Richtern spricht das Moment mit, daß wir kraft unserer Verfassung und unserer ganzen Tradition die richterliche Unabhängigkeit absolut sicherstellen müssen. Anders steht die Sache bei jedem Verwaltungsbeamten und auch bei den Lehrern; es ist nicht der mindeste Zweifel darüber ge⸗ wesen und er besteht auch jetzt nicht, daß die Staatsregierung mit dem Moment, wo sie das feste Stellensystem aufgab und das System der Dienstalterszulagen einführte, ein großes Maß disciplinarischen Einflusses aus der Hand gab. Früher wurde bei jedem Aufrücken in eine bessere Stelle, bei jeder Beförderung gefragt: ist der Mann auch würdig zur Beförderung? Es trat also die Prüfung nach dieser Richtung ein. Das hat jetzt aufgehört, jetzt wird nicht mehr nach der besonderen Würdigkeit gefragt, sondern der Beamte und Lehrer hat kraft des Gesetzes die Anwart⸗ schaft auf das Einrücken in die höhere Dienstalterszulage.

Nun hat man in allen Etats und namentlich bei den Lehrern der höheren Unterrichtsanstalten ausdrücklich bestimmt, daß man doch wenigstens ein gewisses Maß disciplinarischen Einflusses behalten müsse, und dieser disciplinarische Einfluß ist auch thatsächlich stets so milde und wohlwollend, so gerecht ausgeübt, daß noch niemals über eine zu straffe, zu rigorose Behandlung der Lehrer irgend eine Klage erhoben worden ist. In den ganzen acht Jahren, seitdem wir Dienstalterszulagen für die Lehrer haben, sind bis jetzt zwei Fälle vorgekommen, in denen einem Lehrer einmal auf ein halbes Jahr die Dienstalterszulage versagt ist; nach dem halben Jahre, nach⸗ dem die Maßregel geholfen und der Lehrer eingesehen hatte, daß noch eine Hand über ihm wäre, die ihn hinwies auf seine Pflicht, hat er sich gefügt, und hat er seine Sache gut gemacht, dann hat er seine Dienstalterszulage bekommen und ist in die Stufe, in der er stand, eingerückt. Er ist dann nach 3 Jahren oder wie lang sonst der Zeit⸗ raum war in der betreffenden Gemeinde, weiter vorgeschritten, wie jeder andere Lehrer.

Ich will damit gleich die Antwort verbinden auf die Frage, die vorhin hier aufgeworfen wurde, welche Bedeutung, welchen Umfang die Versagung der Zahlung einer Alterszulage hat. Die Genehmi⸗ gung zur Versagung der Alterszulage erfolgt nur und wird auch in Zukunft nur erfolgen auf einen kurzen, absehbaren Zeitraum, nach dessen Ablauf die Frage von neuem zu prüfen ist. Stellt sich dann heraus, daß die Präventivmaßregel keinen genügenden Er⸗ folg gehabt hat, dann müssen die Schulaufsichtsbehörden kraft ihrer Pflicht ganz von selbst darauf kommen, gegen den betreffenden Lehrer ein Disciplinarverfahren zu eröffnen, nicht um ihm die Alterszulage zu entziehen, sondern um ihn aus dem Amt zu entfernen, in das er nicht mehr hineingehört. Wenn aber die Sperre der Alterszulage aufgehoben wird, dann tritt der Lehrer zu derselben Zeit, in der er sie erhalten hätte, wenn die Versagung überhaupt nicht eingetreten wäre, in den Genuß der nächsthöheren Alterszulage ein; das versteht sich ganz von selbst, das brauchen Sier auch nicht in das Gesetz hineinzuschreiben, das ist die Praxis in allen Zweigen der Verwaltung.

Meine Herren, ich habe gesagt, die Versagung einer Dienstalters⸗ zulage ist für uns wesentlich ein Präventivdisciplinarmittel, die Sache vollzieht sich so, daß, wenn ein jüngerer Lehrer sich vernachlässigt, oder wenn er auf falsche wirthschaftliche, auf unwirthschaftliche Bahnen kommt, wenn die Gefahr besteht, daß der Mann so weit kommt, daß er disciplinarisch würde aus seinem Amte entfernt werden müssen daß dann die Schulaufsichtsbehörde ihm vertraulich sagt: In Zeit von einem Viertel⸗ oder Halbenjahre bist Du an der Reihe, die Alterszulage zu bekommen; wenn Du unseren Ermahnungen und Warnungen kein Gehör schenkst, wenn Du Dein Leben nicht so einrichtest, wie es sich für einen ordent⸗ lichen Lehrer ziemt, wenn Du Deinen Dienst nicht treu und gewissen⸗ haft versiehst denn darauf kommt es im wesentlichen an —, wie es sich für einen guten und ordentlichen Lehrer schickt, dann wird Dir die Alterszulage versagt. Diese Warnung hat bis jetzt mit Aus⸗ nahme jener zwei Fälle immer geholfen. Diese zwei Fälle sind übrigens, wie ich dem Herrn Abg. Rickert bemerken möchte, nicht auf Antrag eines geistlichen Kreis⸗Schulinspektors ein⸗ getreten, sondern es waren städtische Schuldeputationen, die kraft ihrer Mitwirkung bei der Verwaltung des Schulwesens den Antrag gestellt haben, und mit vollem Recht in diesen beiden Fällen; in anderen sind sie zu weit gegangen, da haben wir den Antrag auf Versagung der Zulage zurückgewiesen. (Zuruf.) Auf dem Lande ist das noch nie vorgekommen; es hat noch nie ein Geeisstlicher oder Kreis⸗Schulinspektor auf dem Lande den Antrag gestellt, einem Lehrer die Dienstalterszulage zu versagen. Meine Herren, Sie gehen immer davon aus, daß ein Ver⸗ hältniß bestände im Schuldienst zwischen Vorgesetzten und Lehrern, in dem es die größte Lust der Schulbehörden wäre, die Lehrer zu vexieren

und zu zwiebeln. So liegen doch die Verhältnisse nicht bei uns!

Lesen Sie doch die Schulzeitungen, die Lehrerzeitungen sämmtlicher

ob Sie nach dieser Richtung hin wesentliche allgemeine Beschwerden finden! Im Ganzen und Großen ist bei uns das Verhältniß der Vorgesetzten zu den Lehrern ein freund⸗ liches, ein wohlwollendes und gerechtes, und wenn sich einmal ein Vorgesetzter beikommen läßt, einen Lehrer ungerecht zu behandeln, so hat der Lehrer den Beschwerdeweg, und der Vorgesetzte wird es wohl erfahren, daß zwar eine starke Hand über dem Lehrer waltet, die die Disziplin im Lehrerstande aufrecht erhält und aufrecht erhalten muß, daß diese Hand aber auch volle Einsicht und das Verständniß hat für die Bedürfnisse der Lehrer und für die Verhältnisse des praktischen Lebens.

Deshalb, meine Herren, möchte ich Sie auch bitten, es bei dem Kommissionsvorschlage in der Hauptsache zu belassen. Auf die Frage, ob Sie sagen: „Dienstführung“ oder „Führung“, lege ich kein sehr großes Gewicht. Mir wäre die weitere Fassung „Führung“ nicht unsympathisch; wir würden damit vielleicht hier und da einen Schritt weiter kommen können, wenn es nöthig wird. Aber ich glaube überhaupt nicht, daß der Paragraph eine solche Bedeutung hat, daß man darauf einen großen Werth legen muß. Ich möchte das um so weniger thun, als in § 6 des Gesetzes für die höheren Lehrer vom 25. Juli 1892 auch ausdrücklich gesagt ist:

Den Lehrern steht ein Rechtsanspruch auf Bewilligung eines bestimmten Diensteinkommens, insbesondere auf Feststellung eines bestimmten Dienstalters oder auf ein Aufrücken im Gehalt nicht zu.

Die Versagung von Alterszulagen ist nur bei unbefriedigender Dienstführung zulässig und bedarf der Genehmigung des Provinzial⸗ Schulkollegiums.

Wenn Sie also Werth darauf legen, hier „Dienstführung“ in gleichem Sinne zu sagen statt „Führung“, so glaube ich für meine Person nicht, daß das Staats⸗Ministerium darin einen Punkt finden würde, an dem das Zustandekommen des Gesetzes scheitert. Das Disziplinarverfahren, meine Herren, hier hineinzubringen, hat nach verschiedenen Richtungen recht große Bedenken.

Unzulässig nach meiner Ueberzeugung ist der Antrag der Herren Dr. Arendt und Genossen insofern, als da gesagt ist:

Die Zurückziehung bereits gewährter Alterszulagen ist unzu⸗ lässig.

Meine Herren, das geht nicht, denn in unserem Disziplinargesetz ist ganz ausdrücklich als Disziplinarstrafe vorgesehen, daß auf die Versetzung in ein anderes Amt davon machen wir in den Pro⸗ vinzen Posen und Westpreußen auch Gebrauch mit Verringerung des Diensteinkommens um eine bestimmte Summe erkannt werden kann. Wenn man nun hier in einem Gesetz ausdrücklich sagte: es ist überhaupt unzulässig —, so könnten dadurch Zweifel entstehen, ob diese viel mildere Strafe, durch deren Verhängung sehr häufig die Dienst⸗ entlassung vermieden wird, überhaupt noch zulässig wäre. Das würde also, so wie es hier vorgeschlagen ist, nicht wohl angehen.

Ich möchte aber auch glauben, daß Sie das Disziplinarverfahren hier überhaupt entbehren können. Eine Verbesserung der Regierungs⸗ vorlage durch die Kommission sehe ich darin, daß Sie ausdrücklich gesagt haben:

Ein rechtlicher Anspruch auf Neugewährung einer Alterszulage steht den Lehrern nicht zu.

Denn, meine Herren, darüber kann rechtlich gar kein Zweifel sein, daß die einmal gewährte Dienstalterszulage integrierender Theil des Gehaltes ist und daß dieser nur entweder durch disziplinarisches Erkenntniß oder durch Pensionierung den Lehrern wieder entzogen werden kann. Darauf bezieht sich also die ganze Bestimmung über⸗ haupt nicht.

Meine Herren, was das Disziplinarverfahren anlangt, so ist das auch im Interesse der Lehrer nicht erwünscht, es in diesen Paragraphen hineinzubringen. Es hieße das, die Aufsichtsinstanz geradezu instigieren, in allen den Fällen, in denen wir jetzt nach Möglichkeit mit der präventiven Anwendung, wenn ich so sagen soll, der Versagung der Dienstalterszulagen auskommen können, nunmehr das Disziplinarverfahren einzuleiten. Dann kommt die Sache an die große Glocke, während jetzt die Sache in der Stille mit den Lehrern allein abgemacht wird und nach außen überhaupt nicht per⸗ spiriert. Ich habe die Besorgniß, daß, wenn Sie ausdrücklich im Gesetz auf das Disziplinarverfahren verweisen, dann in Ge⸗ meinden, in denen man dem Lehrer nicht grün ist das passiert ja zuweilen in Gemeinden, in denen neue Schul⸗ gründungen stattfinden —, eine Stimmung hervorgerufen wird, die zu den häßlichsten Denunziationen führen könnte. Meines Er⸗ achtens bedarf es alles dessen garnicht. Wenn Sie nach dem Vor⸗ schlag Ihrer Kommission und nach dem Vorschlag des Herrn Abg. Dr. Stephan unter Ersetzung des Wortes „Führung“ durch „Dienstführuns“ die Kommissionsfassung annehmen, so können Sie überzeugt sein, daß die Lehrer das genau so empfinden, wie wir es empfunden haben, daß das nichts Anderes ist als eine Gleichstellung mit allen anderen Beamten, und mit den Lehrern der höheren Schulen und den Richtern gleichgestellt zu werden, darauf macht kein Lehrer Anspruch. Hier gilt der Satz, den ich schon einmal hier ausgesprochen habe: Richter sind keine Lehrer und Lehrer sind keine Richter, im vollsten Maße.

Ich bitte Sie, meine Herren, nehmen Sie die Kommissions⸗ fassung an, und wenn es Ihnen wichtig genug scheint, so mögen Sie das Wort „Führung“ durch „Dienstführung“ ersetzen.

Abg. Hodler (Zentr.) glaubt, daß der § 7 eine Lücke enthalte insofern, als nicht gesagt sei, daß die Schulgemeinde bezw. Schul⸗ sozietät als diejenige, welche die Alterszulagen aufzubringen hat, auch die Gewährung derselben versagen kann. Die von oben ab⸗ hängige Schulbehörde sei nicht das geeignete Organ hierfür. Redner behält sich die Stellung eines entsprechenden Antrags vor.

Abg. von Glebocki (Pole) befürchtet, daß der § 7 zu einer Benachtheiligung politisch mißliebiger, insbesondere der Lehrer in den polnischen Landestheilen mißbraucht werden könne. Wenn ein solcher Mißbrauch auch bisher noch nicht vorgekommen sein sollte, so genüge doch die bloße Existenz dieses Paragraphen, um die Lehrer von dem Ausdruck einer der Regierung nicht genehmen Meinung zurückzuhalten. Das sei um so wahrscheinlicher, als der Kultus⸗Minister weder in der Kommission, noch bisher im Plenum hierüber eine beruhigende Erklärung abgegeben habe. Nach den ihm aus der Provinz Posen zugegangenen Zuschriften wollten die Lehrer lieber auf die ganze Verbesserung ihrer materiellen Lage verzichten, als sich

diese Beschränkung gefallen lassen. Die letzte Entscheidung solle nicht in der Hand der Provinzialregierung, sondern in der Han des Ministers liegen, den man leichter vor dem Lande kontrolieren könne. Sollte der § 7 in der Fassung der Kommission angenommen werden, so wuͤrden seine Freunde vor der Frage stehen, ob die ganze Vorlage für sie noch acceptabel sei.

Abg. Hansen (frkons.) empfiehlt den Antrag Arendt mit dem von ihm gestellten Unterantrag.

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Abg. Dasbach (Zentr.) macht darauf aufmerksam, daß auch für die Lehrer an nichtstaatlichen höheren Schulen eine Maßregelung wegen außerdienstlichen Verhaltens gesetzlich verhindert sei; die Volksschul⸗ lehrer dürften nicht schlechter gestellt werden als jene, und daher müsse der Antrag Stephan angenommen werden. Nachdem aber der § 7nach diesem Antrag gestaltet sein werde, müsse er rundweg ab⸗ gelehnt werden.

Abg. Hofmann (nl.) zieht mit Rücksicht auf die Erklärung des Ministers seinen Antrag zurück und behält sich vor, in der dritten Lesung eine andere Fassung zu beantragen.

Abg. Knörcke (fr. Volksp.) bemerkt, daß die anfänglichen Be⸗ sorgnisse der Lehrer wegen des § 7 durch die ministeriellen Er⸗ klärungen in der Kommission zum größten Theil beseitigt seien. Da ähnliche Bestimmungen wie im § 7 bereits für alle Beamten gelten, könnten die Lehrer keine Ausnahme davon verlangen. Wenn statt „Führung“ gesagt werde „Dienstführung“, könne eine Maßregelung aus politischen Gründen nicht mehr erfolgen.

Der Antrag Axendt wird zurückgezogen. Danach wird § 7 in der Kommissionsfassung mit dem Antrag Stephan⸗ Beuthen, statt „Führung“ „Dienstführung“ zu sagen, ange⸗ nommen.

§ 10 enthält verschiedene Bestimmungen über die Be⸗ rechnung der Dienstzeit fuür die Gewährung des vollen Grund⸗ gehalts, der Alterszulagen und der Miethsentschädigung. Es soll dabei die gesammte Dienstzeit im öffentlichen Schuldienst in Preußen einschließlich der neuen Landestheile in Ansatz kommen mit Ausnahme der Zeit, in welcher ein Lehrer nur nebenbei in Anspruch genommen war. Die Zeit des aktiven Militärdienstes wird hinzugerechnet; die Dienstzeit vor dem 21. Lebensjahr wird nicht gerechnet. Anzurechnen ist auch die Dienstzeit als Erzieher oder Erzieherin an einer öffentlichen Taubstummen⸗, Blinden⸗, Idioten⸗, Waisen⸗, Rettungs⸗ oder ähnlichen Anstalt. Mit Genehmigung des Unterrichts⸗Ministers kann auch die im außerpreußischen öffentlichen Schuldienst zugebrachte Zeit angerechnet werden.

Die Abgg. Lohmann⸗Hagen und Noelle (nl.) wollen auch die Dienstzeit an Prä E1“ berücksichtigt wissen.

Die Abgg. Arendt (frkons.) u. Gen. wollen bezüglich dieser die Genehmigung des Unterrichts⸗Ministers vorsehen.

Die Kommission hat einen neuen § 10 a hinzugefügt, wo⸗ nach die Dienstzeit an Privatschulen mit dem Lehrplan der öffentlichen Volksschule angerechnet wird. Die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in den öffentlichen Volksschuldienst eintretenden Lehrer können diese Anrechnung insoweit er⸗ langen, als der Alterszulagekassenbeitrag für diese Zeit nach⸗ gezahlt wird.

Abg. Opfergelt (Zentr.) will für die letzten Worte sagen: „als ein Alterszulagekassenbeitrag von jährlich 270 für diese Zeit, rückwärts jedoch nicht über den 1. April 1897 hinaus, nachgezahlt wird“.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (frkons.) will die

Anrechnung dieser Dienstzeit von der Genehmigung des Unterrichts⸗ Ministers abhängig machen. Die Abgg. Bartels und Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.) wollen der Beschäftigung an einer Privatschule in dieser Beziehung die Beschäftigung als Erzieher oder Erzieherin an einer privaten Taubstummen⸗, Blinden⸗, Idioten⸗, Waisen⸗, Rettungs⸗ oder ähnlichen Anstalt gleichstellen.

Abg. Lohmann (nl.) begründet zunächst seinen Antrag wegen der Präparandenanstalten, deren Lehrer nicht schlechter gestellt sein dürften, als andere.

Ministerial⸗Direktor Dr. Kügler wünscht die Ablehnung des Antrags Lohmann, weil es nicht nöthig sei, die ebenfalls einen öffent⸗ lichen Charakter tragenden Präparandenanstalten besonders zu er⸗ wähnen. Es schweben bereits Verhandlungen, ob die Seminar⸗ Präparandenanstalten nicht auch als öffentliche Anstalten anzusehen seien.

Abg. Lohmann und Abg. Arendt ziehen mit Rücksicht auf diese Erklärung ihre Anträge zurück.

§ 10 wird unverändert in der Kommissionsfassung an⸗ genommen.

Abg. Opfergelt (Zentr.) begründet seinen Antrag zu § 10a. Die Anrechnung der Dienstzeit in Privatschulen entspreche der Billig⸗ keit, denn an die Lehrer der Privatschulen werden dieselben Anforde⸗ rungen in Bezug auf Befähigung gestellt wie an die der öffentlichen Volksschulen. Eine Nachzahlung der Beiträge für die Zeit vor dem 1. April 1897 sei aber nicht angängig, weil erst von diesem Zeitpunkt an die Alterszulagekassen bestehen werden.

Mijnisterial⸗Direktor Dr. Küg ler bemerkt ebenfalls, daß es eine Härte sein würde, wenn den Lehrern die Dienstzeit in Privatschulen nicht ange⸗ rechnet würde, zumal sie bei ihrer Anstellung sich oft nicht klar wären, ob die Schule einen öffentlichen oder privaten Charakter habe. Deshalb habe sich die Regierung mit der Anrechnung dieser Dienstzeit einverstanden erklärt, jedoch nur soweit sie sich auf die Bemessung der Alterszulage, nicht auch auf die übrige Besoldung bezieht. Den Antrag Opfergelt bitte er abzulehnen, er würde die Alterszulagekassen auf das schwerste belasten, und die Gemeinden würden dann nicht mehr Lehrer aus Privatschulen in den öffentlichen Schuldienst über⸗ nehmen wollen. Wenn der Antrag Opfergelt angenommen würde, bitte er, den Antrag von Zedlitz anzunehmen, denn dann müsse der Unterrichts⸗Minister häufig die Anrechnung der Privatdienstzeit aus⸗ schließen können. Lehne das Haus den Antrag Opfergelt ab, so über⸗ lasse er dem Hause die Stellungnahme zum Antrag von Zedlitz. Mit der Annahme des Antrags Bartels sei er einverstanden.

Abg. e von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) meint, daß überall kein Rechtsanspruch auf die Anrechnung der Privatdienst⸗ zeit eines Beamten bestehe; es wäre daher eine unzulässige Be⸗ vorzugung der Lehrer, wenn § 10a unverändert angenommen würde. Der Unterrichts⸗Minister müsse die Entscheidung über die Anrechnung haben, das sei mit den Billigkeitsgründen, von denen § 10 a ausgehe, wohl vereinbar. Den Antrag Opfergelt könne er nicht annehmen, weil er eine Mehrbelastung der Alterszulagekassen mit sich bringe. Wenn sein Antrag nicht angenommen werde, müsse er zu seinem Bedauern aus prinzipiellen Gründen gegen den § 10 a stimmen.

Abg. Bartels befürwortet kurz 88 Antrag.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.) widerspricht dem Antrage von Zedlitz und bestreitet, daß es sich um eine Bevorzugung der Lehrer handle. Auf dem Schulgebiet sei schon viel zu viel dem Ermessen des Ministers überlassen. Die Privatschulen dienten ebenso dem öffent⸗ lichen Interesse, und die Gemeinden könnten nicht gezwungen werden,

rivatschulen auf die Kommune zu übernehmen; deshalb dürften die ehrer der Privatschulen nicht schlechter gestellt werden als die anderen. Er bitte deshalb um Annahme des § 10 a mit den beantragten

erbesserungen. Bedauerlich sei, daß nicht auch Bestimmungen über ie konfessionellen Minoritätsschulen getroffen werden könnten.

Ministerial⸗Direktor Dr. Kügler spricht sich nochmals gegen den Antrag Opfergelt aus; danach brauche für einen Lehrer, welcher Jahre lang im Privatschuldienst gewesen fei und ein halbes Jahr nach dem 1. April 1897 in den öffentlichen Schuldienst trete, ein 8 eitrag von nur 135 nachgezahlt werden, und er müsse dann afur eine jährliche Alterszulage von 720 erhalten. weil un. Wolczyk (Zentr.) erklärt sich für den Antrag Opfergelt, eil die Privatschulen ebenfalls im öffentlichen Interesse wirkten. R Abg. Dr. Sattler (nl.) schließt sich den Ausführungen des fegierungskommissars an, dessen finanzielle Bedenken nicht widerlegt eien; Gemeindehaushalt werde dadurch ganz in Verwirrung Das Zentrum wolle die konfessionellen Privatschulen, öffentlichen Schulen ersetzen ,2 bevorzugen. Die h sollten sich üͤberlegen, ob sie diesem Bestreben zu⸗

schulen eigentlich in öffentliche Schulen umgewandelt werd ů

Herr Sattler solle nur durch ein Schulgesetz dazu Abg. von Eynern (nl.) will die Frage nicht unter dem Ge⸗ sichtspunkte eines kleinen Kulturkampfes betrachten und weist darauf Sin, daß in Fes 9— 1n Feee Gründen er Lehrer eingerichtet seien gegenüber den öffentlichen len, w

der Kultus⸗Minister angehoben habe.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich habe nur das Bedürfniß, die Ausdrucksweise des Herrn von Eynern etwas richtig zu stellen. Er hat soeben gesagt, ich hätte die Vorschule am Gymnasium von Barmen aufgehoben. Das stimmt nicht; ich habe vielmehr einem Beschlusse der städtischen Kollegien in Barmen gegenüber allerdings gemeint, daß es nicht richtig wäre, wenn ich in diesen Beschluß der Selbstverwaltungsbehörden gewaltsam von

oben eingriffe, und ich habe deshalb diesem Beschlusse die Genehmigung nicht versagt.

Abg. Dr. Sattler erwidert, daß er in solchen Fällen, wo, wie in Schöneberg, eine katholische Minorität nicht zur Errichtung einer Schule kommen könne, auf der Seite des Herrn dech stehe. Aber man könne garnicht übersehen, was alles für Anstalten unter § 10 a fallen würden, wenn man das Privileg der Anrechnung der Privatdienstzeit nach dem Antrag Opfergelt noch weiter ausdehne. Abg. von Eynern erklärt, daß in Barmen keine Magistrats⸗ verfassung bestehe, der Beschluß sei nur von der Stadtverordneten⸗ er gegen den Bürgermeister und die Schuldeputation gefaßt. Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse: Ich bestreite garnicht, daß das Beispiel durchaus zutreffend ge⸗ wählt war. Ich will auch hier nicht auf den Barmer Fall eingehen, der hier bei dem Lehrerbesoldungsgesetz unmöglich erörtert werden kann. Ich wollte nur konstatieren, daß ich die Schule in Barmen nicht aufgehoben habe, sondern daß es sich um einen Beschluß, wie ich anerkenne, der Stadtverordneten⸗Versammlung handelte, dem ich meine Genehmigung, wie ich glaube, nicht versagen konnte, ohne in die Selbftverwaltung der Stadt Barmen einzugreifen.

Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. Dr. Porsch und von Eynern wird § 10a. mit den Anträgen Opfergelt und Bartels angenommen. Der Antrag von Zedlitz wird abgelehnt.

1— bestimmt, daß da, wo bisher eine freie Dienst⸗ wohnung gewährt wurde, die Einziehung der Wohnung nur mit Genehmigung der Schulaufsichtsbehörde zulässig ist.

Abg. Ehlers (frs. Vgg.) befürchtet, daß diese Bestimmung die Gemeinden veranlassen könne, in Zukunft keine Dienstwohnungen mehr zu gewähren, weil sie sie später nicht mehr ohne Genehmigung einziehen könnten. Er beantrage deshalb die Ablehnung des § 11.

11 wird angenommen.

Nach § 12 sind bei der Anlage neuer Dienstwohnungen die örtlichen rhätnige und die Amtsstellung zu beruͤck⸗ sichtigen. Die Schulaufsichtsbehörde soll über den Umfang der Dienstwohnungen allgemeine Anordnungen treffen.

Abg. Falkenhagen (nl.) beantragt, die Regierungsvorlage wiederherzustellen, welche bestimmte Maße für die Größe der Dienst⸗ wohnung vorschrieb.

1I Vbgg. Horn (nl.) und Knörcke wünschen ebenfalls die gesetzliche Festlegung der Maße für die Größe der Dienstwohnung. Der letztere hält aber zwei heizbare Zimmer für einen verheiratheten Lehrer für ungenügend.

„Abg. Hansen (fr. kons.) ist für die Kommissionsfassung, welche keine Verschlechterung für die Lehrer bedeute, sondern nur besagen wolle, daß nicht eine Schablone für alle Verhältnisse gelten dürfe. Es ü auch die wirthschaftliche Lage der Gemeinde berücksichtigt werden.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa spricht sich eben⸗ falls für die Lana fchdebfan aus, weil die ganz verschiedenen Bedürfnisse nur von Fall zu Fall geprüft werden könnten. Das liege auch im Interesse der Lehrer selbst. Redner bestreitet die Be⸗ merkung des Abg. Knörcke, daß die Gutsherren die Herstellung guter Wohnungen für die Lehrer unterlassen hätten; darüber hätten garnicht die Gutsherren zu entscheiden, sondern die staatliche Schul⸗ aufsichtsbehörde, die hohe Anforderungen stelle. Die Bemerkung des Herrn Knörcke sei nur agitatorisch gewesen.

Die Abgg. Dasbach und Noelle befürworten die Wiederher⸗ stellung der Regierungsvorlage, Abg. Winkler (kons.) die Kom⸗ missionsfassung.

Abg. Knörcke bemerkt, daß die Regierungsvorlage keine Schablone für alle Verhältnisse enthalte, sondern nur das Maß, unter welches nicht heruntergegangen werden dürfe. Auf dem Lande seien die Gutsherren bei ihrem Einfluß in jeder Hinsicht, auch im Kreisausschuß die maßgebenden Personen. Agitatorisch nennen es die Herren, wenn er für die Regierungsvorlage eintrete!

Abg. von Tzschoppe (fr. kons.): Herr Knörcke hat seine Be⸗ hauptung bewiesen, sondern nur allgemeine Redensarten gemacht und sich durch diesen Scherz aus der Affaire zu ziehen gesucht. Damit die agitatorische Wirkung auf die Lehrer nicht eintrete, bemerke ich, daß in der Kommission solche en wie sie Herr Knörcke bei den Gutsherren annimmt, nicht zu Tage getreten sind.

Abg. Dittrich (Zentr.) empfiehlt die Kommissionsfassung.

Nach weiteren, mehr persönlichen Bemerkungen der Abgg. Winkler und Knörcke wird § 12 in der Fassung der Kom⸗ mission angenommen. 1 Die §§ 13 und 14 werden ohne Debatte genehmigt.

Um 3 ¾ Uhr vertagt das Haus die weitere Berathung guf Wreihbhcahc ““

Statistik und Volkswirthschaft.

Weitere Ergebnisse der Erhebung über V. im Handwerk. *)

Die Lehrlingshaltung. Schon in den früheren Veröffentlichungen über die Ergebnisse der Erhebung hat das Kaiserliche Statistische Amt ein wichtiges Kapitel aus Gebiete der Lehrlingshaltung behandelt: die Frage nach der fachmännischen Vorbildung der Lehrherren. (Vergl. Nr. 308 des „R.⸗ u. St.⸗A.“ 1895.) In dem t vorliegenden 3. Heft der

Ergebnisse ist die nicht minder bedeutsame Frage zu beantworten versucht worden, in welchem Umfange eineü WI“ E . haltung d. h. eine solche, die der Ausbildung des ein⸗ zelnen Lehrlings abträglich ist —in den I des Erhebungsgebiets vorkommt. Wie bei der ersten Frage, so ist auch bei der zweiten die Statistik naturgemäß auf fühlemmn g erfaßbare, äußerliche Momente ausschließlich angewiesen. ie kann das ebr. und Organisationstalent des Lehrherrn ebensowenig in die Se einstellen, wie seine Pflichttreue, sie kann aber auch nicht die Verschiedenheiten der Betriebsweise, die von größter Bedeutung für die Unterweisung des Anfängers ist, und noch weniger die Lehrerqualität der ausgelernten Gesellen und Gehilfen, von der so sehr viel abhängt, in Rechnung ziehen. Die Statistik . sich an die Zahlen halten, und das Kaiserliche Statistische Amt hat, um überhaupt zu zahlenmäßigen Ergebnissen

timmen koͤnnten. Redner erklärt sich für den Antrag von Zedlitz. orsch erwidert, daß die konfessionellen Minoritäts⸗

kommen zu können, 1 ziffermäßige Regel aufgestellt: Es ist jedesmal dann eine „übermäßige“ Lehrlingshaltung angenommen worden, wenn der Zahl der Lehrlinge nicht mindestens eine gleich große Zahl „erwachsener“ Handwerksgenossen (Gesellen, Werkmeister und Meister zusammengezählt) gegenüberstand.

Unter Zugrundelegung dief ergeben:

„Es gab auf dem Erhebungsgebiet 61 199 Meister, von denen 26 323 überhaupt handwerksmäßiges Personal, aber nur 14 349 Meister Lehrlinge hielten oder, wie das Statistische Amt sagt: „Lehrherren“ waren. Von diesen Lehrherren hatten

3 Lehrlinge u. Gesellen 5 142 keine Gesellen und 1 Lehrling, also . 5 142 3 729 gleichviel Gesellen und Lehrlinge, nämlich 4 484 4 484 2 607 mehr Gesellen als Lehrlinge, nämlich 4 982 17 433 1 056 1 Lehrling mehr als Gesellen, nämlich . 2 310 1 254

12 534 Lehrherren mit mäßiger Lehrlings⸗

haltung hatten also 16 918 23 171. „„Dagegen hatten von den oben berechneten 14 349 Lehrherren 1435 keine Gesellen oder 2 oder mehr Lehrlinge, insgesammt

3290 Lehrlinge

380 mit Gesellen 2 oder mehr Lehr⸗ 1

linge mehr als Gesellen, nänlich 1 . 1517 8 und 521 Gesellen,

1815 mit übermäßiger Lehr⸗

lingshaltung hatten also. 4807 Lehrlinge und 521 Gesellen.

Auf die Zählbezirks ruppen Städte mit 10 000 und mehr Einwohnern und ländliche Bezirke mit verschiedener Volksdichte berechnet, hat sich ergeben, daß die bedenklich starke Lehr⸗ hinpfbaltung iinn jedem Betracht die verhältnißmäßig größte Ro le in den städtischen Zählbezirken spielt, daß dann die am dünnsten bevölkerten Zählbezirke folgen, die dichter bevölkerten aber die mit mehr als 100 Einwohnern pro Quadrat⸗Kilometer, abgesehen von den Städten mit über 10 000 Einwohnern etwas Verhältnisse zeigen.

Was die Handwerksarten anbelangt, so weisen die Dach⸗ deckerei, Korbmacherei, Müllerei, Weberei, Maurerei und Zimmererei eine „übermäßige“ Lehrlingshaltung am wenigsten auf. s scheinen, wie das Statistische Amt bemerkt, zwei ganz verschiedene Gründe zu sein, die hier das Uebermaß verhindern. Zimmererei, Maurerei, Dachdeckerei und Müllerei seien Handwerke, die zu ihrer Ausübung bedeutende Körperkraft erfordern. Hier verhindere die Abneigung der Meister, Lehrlinge anzunehmen, ein Uebermaß in der Lehrlingshaltung. Bei der Weberei und Korbmacherei fehle wohl infolge der bekannten üblen wirthschaftlichen Lage dieser Handwerke der Andrang der Lehr⸗ linge. Ein sehr häufiges Vorkommen „übermäßiger“ Lehrlingshaltung zeigen dagegen die Schlosser, Bauschlosser, Ver⸗ fertiger feiner Instrumente, Klempner, Buchdrucker, Konditoren und Möbeltischler Das Statistische Amt bemerkt dazu: „In allen diesen Gewerben ist der Andrang von jungen Leuten zur Lehre be⸗ sonders groß; die vier erstgenannten Handwerke gelten als im Auf⸗ blühen begriffen; für Schlosser ist die große Nachfrage zahlreicher Fabrikbetriebe vorhanden, und viele, die durchaus nicht im Handwerk der Schlosserei verbleiben, sondern später als Ingenieure, Elektro⸗ techniker, Monteure, Lokomotivführer, Maschinisten auf Dampf⸗ schiffen ꝛc. ihren Erwerb finden wollen, treten bei Schlossermeistern ein, um praktisch die Werkstattlehre durchgemacht zu haben. Aehnlich bei den Feinmechanikern (Bandagisten) und den Bauschlossern. In diesen Handwerken shnd. ebenso wie in der Buchdruckerei, Konditorei ꝛc. die Kräfte Unerwachsener sehr wohl verwendbar, sie können bald an die Stelle hegend icher Arbeiter und an die von Gesellen treten.“

Mit Recht sagt des Weiteren das Statistische Amt an anderer Stelle: „Bei der ganz ungemein großen Verschiedenheit in der Art der zu erlernenden Handwerksleistungen hat es sicherlich nicht in allen Handwerken dieselbe Bedeutung, ob die Lehrlingszahl eines Betriebes die Zahl von Meistern und Gesellen desselben übertrifft; in manchen Handwerken mag das für die Ausbildung des Lehrlings weniger schäd⸗ ich wirken als in anderen. Es muß der 1 der Sach⸗ verständigen der verschiedenen Gewerbe überlassen bleiben, herauszu⸗ finden und auszusprechen, welches Maß der Lehrlingshaltung und welches Zahlenverhältniß der auszubildenden Zöglinge und der er⸗ wachsenen Handwerksgenossen im allgemeinen für das Fetreffende Hand⸗ werk als ein gesundes anzuerkennen ist.“

Wirr sehen hier von einem Eingehen anf die Tabellen über die einzelnen Handwerke nach der Stärke der Lehrlingshaltung, über das Verhältniß der Lehrlings⸗ zur Lehrherren⸗ und zur Gesellenzahl und auf die beachtenswerthen Resultate der auf Ermittelung der Stärke der „Lehrlingsjahrgänge“ in den verschiedenen Handwerten gerichteten Berechnungen wegen Mangels an Raum ab und wenden uns noch zu dem Abschnitt, welchen das Kaiserliche Statistische Amt am Schluß des Heftes III unter der Ueberschrift veröffentlicht: „Volkswirthschaftliche Gesichtspunkte zur Beurtheilung der

bezüglich des Lehrlingswesens gewonnenen Ergebnisse.“

Zunächst beschäftigt sich dieser Abschnitt mit dem Versuch einer Schätzung der Größe der Schädigung, welche der Volks⸗ wirthschaft durch die . technische Ausbildung infolge übermäßiger Lehrlingshaltung erwächst, wobei das Statistische Amt von vornherein die Unsicherheit einer solchen Schätzung selbst betont. Jedenfalls ist dieser Schätzungsversuch aber wohl geeignet, die schweren Schädigungen zu veranschaulichen, welche die schlechte Lehrlingserziehung namentlich den arbeitenden Klassen zu⸗ fügt, und die viel beklagte Gleichgültigkeit der Eltern und Vor⸗ münder der Lehrlinge und aller sonst berufenen Faktoren bei Aus⸗ wahl der Lehrmeister zu bekämpfen. Unter Zuhilfenahme des verschiedentlichen Materials gelangt das Statistische Amt zu folgea⸗ den Annahmen:

Die Schädigung eines Lehrlings, der als jugendlicher Arbeiter oder Laufbursche ꝛc. ausgenutzt wird, ohne doch dessen Lohn zu erhalten, wird für den Reichsdurchschnitt auf 100 für jedes Lehrjahr ange⸗ nommen. Die Differenz des Jahresverdienstes eines ausgelernten Gesellen gegenüber dem des ungelernten Arbeiters stellt sich für Berlin im Durchschnitt auf 330,20 Die durchschnittliche Kürzung des Jahres⸗ verdienstes durch ,.. Ausbildung in der Handwerkslehre wird aber vom Statistischen Amte für die auf die Lehrzeit folgenden Jahre nur mit 150 angenommen. Nach den im Erhbebungsgebiet .S Feststellungen müßten, auf das ganze Reich berechnet, li

000 Handwerkslehrlinge als in einer ungenügenden Lehre befind⸗

angenommen werden. Aus 30 000 jährlich freigesprochenen siebzehnjährigen Lehrlingen würde unter Berücksichtigung der Absterbe⸗ ordnung eine Zahl von rund 750 000 gleichneitig lebenden Erwerbs⸗ thätigen als hervorgegangen anzunehmen sein. ie Gesammteinbuße der 90 000 als ; Arbeitskraft mißbräuchlich ausgenutzten Lehr⸗ linge würde sonach im Reiche jährlich 9 000 000 und die Einbuße der 750 000 schlecht ausgebildeten Gesellen jährlich 112 ½ Millionen Mark betragen. Der Einzelne erleidet dabei eine Einbuße von 300 während der Lehrjahre und von 4590 während 30 Jahre ausgeübten Gewerbes. Das ist im Ganzen 4800 und bedeutet gewiß eine erhebliche EE der Lebenshaltung.

Ferner wird das Uebermaß der Leheringehstthe vom Gesichtspunkt des „Bedarfs des Handwerks selber a Lehrlingen“ erörtert. Die gegenwärtig vorhandene Lehrlingszahl die nur ein Drittel so groß ist, als sie sein könnte, ohne „übermäßig⸗ unter dem Gesichtspunkt der technischen Ausbildung zu werden, ift unter dem Gesichtspunkt des des Handwerks selber a Lehrlingen⸗ schon zu groß. Das läßt sich, wie das Sta tistische Amt ausführt, erkennen aus dem Verhältniß de ahl der vorhandenen Gesellen zu der der vorhandenen Lehr 8 Gesellen giebt es im Erhebungsgebiet 42 043, Lehrling 21 725; es giebt 8 in den Handwerksbetrieben nur doppelt so vie ndwerksgesellen als Handwerkslehrlinge. Bei einer durchschnittlichen Lehrdauer von drei Jahren sind demnach nur 6 Jahrgänge Lehrling

*) S. Nr. 91 d. „R.⸗ u. St.⸗Anz.“, Erste Beilage.

er Regel hat sich nun das Nachstehende