; denn die Erfahrung wird immer lehren, daß mindestens die größte Gefahr vorliegt, daß Regie⸗ ng sowohl als Landtag in schlechten Jahren aufhören zu amortisieren ind in guten Jahren die Ausgaben derartig erhöhen, daß sehr bald für die Amortisation nichts übrig bleibt. (Sehr richtig! rechts.) Miine HKerren, ich will aber hinsichtlich dieser Dinge, auf die ich nur wider Willen, im Anschluß an die Ausführungen des Herrn Abg. Richter eingegangen bin, nicht weiter mich verlieren. Ich möchte zur Zeit meine Stellung und die der Staatsregierung zu den ein⸗ zelnen Anträgen, da diese noch nicht von den Herren Antragstellern motiviert sind, auch meinerseits noch nicht bestimmt bezeichnen. Ich habe gestern gegenüber dem ursprünglichen Antrag der Herren von der nationalliberalen Partei mich schon geäußert und nament⸗ lich hervorgehoben, daß derselbe — vielleicht nicht mal ihrem eigenen Willen entsprechend — sehr erhebliche Mehrausgaben auf die Staatskasse bringen würde, für die großen Städte über den gegen⸗ wärtigen Betrag hinaus.
Der Antrag des Abg. Dr. Sattler, der jetzt gestellt ist, sucht dies zu vermeiden; wenn ich ihn recht verstehe, will er einfach dem Gedanken Ausdruck geben: was bisher die Städte erhalten haben, be⸗ halten sie. Eine Steigerung tritt nicht ein — auch nicht für die Zukunft. Das ist ein klarer und bestimmter Gedanke. Ich mache nur aufmerksam darauf, daß das erheblich in den finanziellen Wirkungen nicht bloß über die Regierungsvorlage, sondern auch über die Kommissionsbeschlüsse inausgeht.
Was den Antrag der Herren von der freikonservativen Partei betrifft, so will ich, ehe ich mich definitiv über die Sache äußere, die Motivierung der Herren erwarten. Ich glaube aber, der Abg. Richter hat ihn ganz mißverstanden und hat den eigentlichen Haken, der in dem Antrag steckt, übersehen. (Abg. Richter: Habe ich allerdings.) Wenn er ihn erkannt hätte, so würde wahrscheinlich das Urtheil noch viel ungünstiger sein. (Abg. Richter: Sehr richtig!) Denn ich verstehe den Antrag so, daß er wesentlich darauf hinauskommt, die Stadt Berlin auszuschließen. (Sehr wahr! links; Abg. Richter: habe ich allerdings nicht gesehen!) Und, meine Herren, ich muß allerdings sagen — vor⸗ behaltlich der Berichtigung meiner Meinung, wenn der Antrag näher begründet sein sollte —, daß mir ein solches Vorgehen vom Stand⸗ punkt des Staats aus, welcher doch mit gleichem Maße messen muß, und nach Maßgabe der allgemeinen Gesichtspunkte, die ich mehrfach hier zu entwickeln mir erlaubte, höchst bedenklich scheint. Denn, meine Herren, wir haben eine Reihe von Städten, auf die man mit derselben Logikdieselben Konsequenzen würdeanwenden können wie auf Berlin. Daher ist mir nicht recht klar, wie man nun gerade dazu gekommen ist, diese eine Stadt anders zu behandeln wie alle anderen Städte, selbst wenn darunter sehr viele sind, die in finanzieller und wirthschaftlicher Be⸗ ziehung mindestens ebenso günstig bezw. ungünstig stehen wie Berlin. Aber, wie gesagt, ich will abwarten, was die Herren Antragsteller zur Vertheidigung ihres Antrags beibringen, und dann mein Urtheil definitiv abschließen. (Bravol rechts.)
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Wenn ich den Gang der Verhandlungen richtig verfolgt habe, so glaube ich, nähern wir uns dem Zeitpunkt, wo wir aus den allgemeinen Gesichtspunkten des § 25 heraustreten und mehr der Motivierung der einzelnen Anträge zuschreiten. Sie werden es aber begreiflich finden, daß, obwohl der § 25 es mit der Finanzierung der Vorlage zu thun hat und es daher ganz natürlich ist, daß das Unterrichtsressort dabei etwas zurücktritt, — Sie werden es begreiflich finden, daß ich das Bedürfniß habe, noch über die allgemeinen Gesichtspunkte des § 25 mich hier mit einem kurzen Wort auszusprechen und namentlich darüber keinen Zweifel zu lassen, daß ich mit dem Herrn Finanz⸗Minister die Haftbarkeit für die Vorschläge des § 25 theile, und daß ich die Verantwortung dafür voll und ganz mit zu übernehmen habe und übernehme.
Meine Herren, der wichtigste Einwand, der gegen die Vorschläge des § 25 gemacht worden ist, kommt darauf hinaus, daß hier eine große Ungerechtigkeit in der stärkeren Heranziehung und in der Behandlung der größeren Städte vorgeschlagen werde. Ich habe mir die äußerste Mühe gegeben, den Argumenten, womit diese Behauptung hier zu begründen versucht worden ist, zu folgen, aber ich habe von der Begründung dieser Vorwürfe mich nicht zu überzeugen vermocht; im Gegentheil, ausgegangen sind wir von dem Gedanken, daß es sich hier um einen Ausgleich, um einen Akt der aus⸗ gleichenden Gerechtigkeit handelt, welcher herbeigeführt ist durch die Steuerreform und durch die Zuwendungen, die den großen Städten dort gemacht worden sind, Zuwendungen, an die bei dem Erlaß der Gesetze von 1888 und 1889 nicht gedacht worden ist und nicht gedacht werden konnte. Nun, meine Herren, ist gestern hier gesagt worden, bei der Ueberweisung der Realsteuern sei überhaupt an die Schullasten garnicht gedacht; das ist nicht richtig. Ein Blick in den § 4 des Kommunalabgabengesetzes genügt, um sich zuüberzeugen, daß auch dort an die Unterrichtsanstalten, an die Schulen gedacht ist, und ebenso hat das Gesetz wegen Aufhebung der direkten Staatssteuern ausdrücklich ausgesprochen, daß die Realsteuern für die Erleichterung der Gemeinden in allen ihren Lasten und Aufgaben bestimmt sein sollen.
Nun hat der Herr Abg. Krause gestern den Einwand gemacht: ja, die Realsteuern sind auch dem Lande überwiesen, also das Land hat denselben Vortheil wie die Städte. Nun, meine Herren, wer die Verhält⸗ nisse einigermaßen kennt, wird mir doch zugeben müssen, daß die Wirkung der Ueberweisungen der Realsteuern auf das platte Land, auf die Landgemeinden und auf die größeren Städte eine absolut verschiedene ist. Meine Herren, ich erinnere nur an die Gebäudesteuer und die Gewerbesteuer. Nehmen Sie irgend eine arme Landgemeinde, meinet⸗ wegen mit hundert Gehöften; für sie steht die Ueberweisung der Gebäudesteuer und Gewerbesteuer zwar auf dem Papier, aber thatsächlich hat sie davon garnichts, und nun ver⸗ gleichen Sie damit eine wachsende, aufblühende Stadt — und alle unsere großen Städte sind ja im Wachsen begriffen; das kann man bedauern, es ist aber eine Thatsache. Eine solche Stadt — wir wollen nur Berlin nehmen — hat von der Gebäudesteuer so viel, daß sie mit der Gebäudesteuer, der Betriebssteuer und der Gewerbesteuer, die ihr überwiesen sind, allein ihren ganzen Volksschullasten⸗Etat — wenigstens zum größten Theil — laufend zu decken im stande ist. Das sind doch Ungleichmäßigkeiten und das ist doch eine Bevorzugung der Städte, an die, als die Schullasten⸗Erleichterungsgesetze gemacht worden sind, nicht gedacht worden ist und nicht gedacht werden konnte. Deshalb lag bei einer so großen Aufgabe wie die ist, mit der wir es
“
hier zu thun haben, man einen Ausgleich bei dieser Gelegenheit hier herbeiführen konnte.
Nun ist hier eingewendet worden: ja, die Landgemeinden hätten nicht in dem Maße die steigenden Ausgaben wie die Städte. Aber die Landgemeinden haben auch steigende Ausgaben und die Land⸗ gemeinden sind zum theil bei uns so überlastet, daß die Regierungen immer und immer wieder berichten, daß die Landgemeinden mit ihren Schullasten nicht auskommen können bei den jetzigen Zuständen. Ich habe hier einen Bericht aus Ostpreußen aus dem Regierungsbezirk Königsberg, der sehr charakteristisch dafür ist, daß man mit der bloßen Frage, ob das prozentuale Verhältniß der bloßen Einkommensteuer ein richtiger Maßstab für die Leistungsfähigkeit ist, absolut nicht auskommt, und ich erlaube mir, daraus nur das mitzutheilen, daß hier die Regierung sagt:
Geht man davon aus, daß ein Zuschlag von mehr als 200 % zu sämmtlichen staatlich veranlagten direkten Steuern, nicht bloß der Einkommensteuer, zu hoch genannt werden muß, so sind an solchen Gemeinden hier bei uns vorhanden 34, davon eine mit mehr als 500, 2 mit mehr als 400 und 6 mit mehr als 300 % Zuschlägen. 1 88 Und so, meine Herren, steht es dort durchweg. 1 8.6
Wir haben, heißt es in dem Bericht, hier eine Ger mit 800 % Zuschlägen zu sämmtlichen direkten Staatssteuern, andere mit 600 %, andere mit 500, 400 und viele mit über 300 %. Die eingehende Prüfung bei Gelegenheit der Er⸗ theilung der Zustimmung zu diesen Zuschlägen hat für die Regie⸗ rung ergeben, daß es sich in allen Fällen durchaus um nothwendige Aufwendungen handelte, bei; welchen eine Reduktion absolut aus⸗ geschlossen war. Wenn nun darüber nicht volle Klarheit herrscht, welcher Bruchtheil von Ausgaben auf Schulzwecke allein entfällt, so muß doch behauptet werden, daß dieser Antheil, der auf die Schullasten entfällt, schon jetzt so groß ist, daß er die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Gemeinden in Frage stellt.
Nun, meine Herren, daraus scheint mir mit absoluter Zuver⸗ lässigkeit hervorzugehen, daß das platte Land und die Landgemeinden mindestens in gleichem Maße hilfsbedürftig für diese Zuschüsse, um die es sich hier handelt, waren als die großen Städte, ja in viel größerem Maße.
Nun, meine Herren, hat ja der Herr Finanz⸗Minister ein weiteres Entgegenkommen eintreten lassen durch die Zurdispositionstellung von 1 ¼ Millionen Mark. Ich will mich darauf nicht weiter einlassen, ob diese Summe ausreicht, da der Herr Finanz⸗Minister selbst sich seine Entschließung vorbehalten hat. Wenn dieser Fonds und die Art und Weise, wie die Kommission ihn zu vertheilen versucht hat, als ein Dispositionsfonds bezeichnet wurde, so ist das ja in gewissem Sinne, aber doch nur mit einer großen Einschränkung, richtig. Meine Herren, das ist überhaupt eine ganz irrige Meinung, daß es der Schul⸗ verwaltung irgendwie am Herzen läge, ihre großen Dispositionsfonds in der bisherigen Weise zu behalten, und ich hoffe, es ist uns vielleicht noch einmal möglich, Ihnen einen Weg zu bezeichnen, um diese Dis⸗ positionsfonds gesetzlich festzulegen und sie einer Kontrole zu unter⸗ stellen, vielleicht auch andere Schultern heranzuziehen, welche die Verantwortung mit uns tragen.
Meine Herren, also ein Unrecht ist der § 25, wie wir ihn vor⸗ geschlagen haben und namentlich, wie die Kommission ihn vorschlägt, nicht. Findet sich ein besserer Weg, so werden Sie uns bereit finden, ihn zu gehen, denn nichts liegt uns ferner, als die großen Verdienste zu verkennen, die die großen Städte sich um ihr Schulwesen erworben haben. Es ist gestern gefragt worden, ob wir denn wirklich wollten, daß die großen Städte beeinträchtigt werden sollten in der Freudigkeit, auch ferner für ihr Schulwesen zu sorgen. Ja, meine Herren, natür⸗ lich wünschen wir das nicht; aber wir sind zugleich der Meinung, daß die großen Städte, auch wenn dieser Vorschlag, wie er Ihnen jetzt von der Kommission unterbreitet ist, Gesetz werden sollte, nicht auf⸗ hören werden, nach wie vor für ihre Schulen zu sorgen. Meine Herren, sie haben für ihre Schulen schon gesorgt, noch ehe sie die Zu⸗ schüsse aus dem Schullasten⸗Erleichterungsgesetz bekommen haben, und sie werden dafür sorgen, auch wenn diese mäßige Einschränkung und Ausgleichung ihnen auferlegt werden sollte, denn sie sorgen dafür, weil es sich da um das Beste handelt, was sie haben, um die Erziehung ihrer Kinder und die Erziehung ihrer Jugend. Meine Herren, wir haben daher die Zuversicht, daß das Schulwesen durch diese Vorlage nicht geschädigt, sondern daß es dadurch gehoben werden wird, und ich bin überzeugt, Sie würden damit der Schule, den Lehrern und unserem Volk einen großen Dienst erweisen. Die Verantwortung aber, an dieser Finanzierungsfrage das Ergebniß scheitern zu lassen, ist so groß, daß ich kaum glaube, daß Sie sie werden tragen wollen. Ich kann Sie nur bitten, daß Sie eventuell, wenn sich nicht noch ein anderer Weg findet, die Kommissionsvorschläge annehmen. (Bravo!
rechts.) Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Ich will kede eingehen. Wer,
nicht auf alle Einzelheiten der langen Richter'schen . wie Herr Richter, dem Staat von den Ueberweisungen vom Reich etwas abknöpfen will, kann sich nicht wundern, wenn dieses Rezept auch bei den Städten angewandt wird. Die großen Städte über 10 000 Ein⸗ wohner haben die Zuschüsse für Alterszulagen bisher auch nicht er⸗ halten, weil sie selbst leistungsfähig genug sind. Wenn auch hoffent⸗ lich das laufende Jahr nicht mit einem Deftzit abschließen wird, so müssen wir doch im nächsten Jahre auf Mehrausgaben gefaßt sein für die Justiznovelle, Beamtenaufbesserung und Schuldenzinsen, d. h. auf etwa 31 Millionen Mark. Den Ausführungen des Abg. Richter über die Leistungsfähigkeit von Stadt und Land kann i nicht zustimmen. Die “ hat große verborgene Ver⸗ mögen herangezogen. Für den Mittelstand von Berlin bedeutet die Steuerreform eine eghaeg an Einkommensteuer von 140 %. Auf dem Lande muß noch heute für die Volksschullasten etwa doppelt soviel Zuschlag erhoben werden als in den Städten. Die Vorlage bringt daher nur eine ausgleichende Gerechtigkeit. Daß der finanzpolitische Gedanke der Franckenstein'schen Klausel nicht zum Ausdruck kommt, daran ist nichts mehr schuld, als die Finanzpolitik des Herrn Richter im Reichstage, und er hat daher auch selbst Schuld, wenn die Gesetze von 1888 und 1889 aufgehoben werden müssen. Die am meisten benachtheiligten Gemeinden sollen Zuschüsse aus dem Dispositionsfonds erhalten. er Antrag Seyffardt geht uns zu weit, dagegen ist der Antrag Sattler annehmbar; der erstere beansprucht einen ehr⸗ bedarf von 7 Millionen, der letztere nur von 6 100 000 ℳ Wir wollen die Stadt Berlin nicht schlechter behandeln als die anderen und werden eventuell unter Verzicht auf unseren Antrag auch für den Antrag Sattler stimmen können. 8
Abg. Dr. Sattler Crh Ich hätte mich sehr gefreut, wenn uns der Finanz⸗Minister eine bestimmte Erklärung gegeben hätte, ob wir bald ein Gesetz über verstärkte Schuldentilgung bekommen würden. Der Antrag Ledbig schließt die Stadt Berlin von den bisherigen Zuschüssen aus, und ich wundere mich, daß dies dem Abg. Richter ent⸗
gangen ist. Unser Antrag will gleiches Maß für die schlechter behandelten
doch gewiß der Gedanke nicht ganz fern, daß
Städte. Den Antrag Groth⸗Seyffardt ziehe ich zu Gunsten meine Antrags, der im Namen meiner Freunde gestellt ist, zurück, und wir werden über meinen Antrag die namentliche Abstimmung beantragen. Wir wollen den großen Städten mit dem Antrag mindestens das erhalten, was ihnen bisher gesetzlich zustand. Sonst wollen wir dem platten Lande gern alle Vortheile dieses Gesetzes zuwenden. Wir unterscheiden uns von der Regierungsvorlage nur dadurch, 8 wir die Städte nicht berauben wollen. Durch die namentliche Abstimmung wollen wir feststellen, wer dieser ungerechten Beraubung zustimmt. Und da wollen wir sehen, wo das Zentrum ist. Wo sind heute die Herren Lieber und Bachem, die sonst den Ruf nach Gleichheit in das Land schicken und über Imparität klagen? Bei der nament⸗ lichen Abstimmung sollen sie heran und zeigen, ob sie durch die Annahme des § 10a (Anrechnung der Dienstzeit in Privatschulen) veranlaßt sind, eine andere Haltung einzunehmen, als sie sonst einge⸗ nommen hätten. Wir müssen die Träger der Schullasten doch alle leich behandeln, und nicht bloß den Lehrern auf dem platten ng und in den kleinen Städten, sondern allen Lehrern durch die Alterszulagen helfen. Und wenn wir auf diese Forderung im weitesten Entgegenkommen gegen die Wünsche des platten Landes verzichten, so bieten wir mit meinem Antrag die Hand zum Frieden. Das Gesetz von 1888 soll nach dem Finanz⸗Minister zu unrecht beschlossen sein; damit macht er der Regierung den Vor⸗ wurf, zu unrecht mit der Verwendung der Staatsgelder vorgegangen zu sein. Der Kultus⸗Minister hat gefolgert, daß in diesem Entwurf der Grundsatz liegt, der Staat kehre zu dem Grundsatze zurück, daß der Staat nur beispringen sollte im Falle des Unvermögens. Das geschieht hier aber nicht, hier wird mit verschiedenem Maße emessen; will man wirklich hierzu zurückkehren, dann muß man jede
emeinde, jeden Schulunterhaltungspflichtigen sich auf seine Leistungs⸗ unfähigkeit ansehen. Sind aber alle Bauerndörfer, alle Grund⸗ besitzer, alle Magnaten leistungsunfähig? Unsere Stellung mußte diesem Gesetz gegenüber von vornherein eine resignierte sein. Wir verkennen die Vortheile nicht, aber auch nicht die Schwierigkeit, ein Besoldungsgesetz vorzulegen ohne Regelung der Frage der Unter⸗ haltungspflicht. Ein finanzieller Grund gegen die Mehraufwendung der von mir beantragten 1 ½ Millionen kann nicht geltend gemacht werden. Das Defizit von 15 Millionen im diesmaligen Etat habe ich schon früher als ein nur scheinbares erklärt. Drängen mit der Kon⸗ vertierung will ich nicht, aber auf die Dauer kann sie bei unserer jetzigen Entwickelung nicht vermieden werden. Ich hoffe, daß auch die Rechte sich überzeugt, daß finanzielle Gründe nicht gegen meinen E1 — für sie sind wohl nur politische Gründe maßgebend. Der mo⸗ ralischen Aufgabe, für die Entwickelung ihres Volksschulwesens in eminenter Weise zu sorgen, haben die Städte in hervorragendem Maße genügt; das zeigt z. B. Hannover. Den Rechnungen, die man uns darüber aufmacht, was die Städte erhalten haben, könnten wir sehr gut andere Rechnungen gegenüberstellen; aber wir wollen den Gegensatz zwischen Stadt und Land nicht noch verschärfen. Der Finanz⸗Minister wollte das auch nicht, aber gehandelt hat er nicht nach diesem Prinzip. Hier wird dem Einen etwas genommen, ohne daß auch nur der andere einen Vortheil davon hätte. Wie kann man da erwarten, daß das Interesse der Städte an dem Volksschulwesen erhalten bleibt! Nicht allein das Zahlen kommt in Betracht, wenn man erörtern will, ob wir eine Staats⸗ oder Gemeindeschule haben. Bei allen Vorschlägen waren wir bereit, berechtigten “ Forderungen nachzugeben, aber hier hat es den Anschein, als ob schwere Schädigungen dem einen kommunalen Gemeinwesen zugefügt werden sollten, weil es ihm noch nicht so schlecht geht wie anderen. Im Interesse des Friedens und der Bevölkerung bitte ich um Annahme meines Antrags.
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Nach unserer Auffassung war die Gesetzgebung von 1888 und 1889 der Verfassung Wir mußten uns fragen, ob wir mitarbeiten sollten daran, diese er⸗ fassungswidrigkeiten zu beseitigen. Und dazu sind wir bereit, und wir sehen in der Vorlage das geeignete Mittel dazu. Eine Ungerechtig⸗ keit können wir in der Kommissionsfassung nicht erblicken, besondere Härten sind dadurch beseitigt. ir haben uns bemüht, einen Weg zu finden, der allen Ansprüchen genügt. Ich bedauere, daß uns die Weisheit des Abg. Sattler nicht in der Kommission zur Verfügung gestanden hat. Wie kommt Herr Sattler dazu, uns das Motiv unterzuschieben, daß wir uns nach der Annahme des § 10a richten? Ich muß gegen die Insinuation protestieren, als ob Abmachungen und Handelsgeschäfte unsererseits mit den Konserpativen stattgefunden hätten. Mit wenigen Ausnahmen werden wir für die Kommissions⸗ fassung stimmen. 8 3 1
Abg. Gothein (fr. Vg.): Während man den Städten die Zuschüsse nimmt, läßt man sie den Landgemeinden, auch solchen, die gar nicht bedürftig sind. Wie die Steuerreform den Städten genützt hat, sehen Sie an Breslau, wo 3 340 000 ℳ mehr an Steuern auf⸗ gebracht werden müssen, d. h. pro Kopf über 6 ℳ oder 36 % mehr als früher. Breslau kommt auch beim Antrag Sattler noch um 6600 ℳ jährlich schlechter weg als bisher; aber dieser Ver⸗ mittelungsvorschlag ist doch das Mindeste, was wir verlangen können. — Unter großer, immer steigender Unruhe des Hauses und Schluß⸗ rufen der Rechten, begründet Redner seinen Antrag, bleibt aber bei der lauten Unterhaltung im Hause auf der Tribüne unperständlich.
Abg. Kirsch (Zentr.) verwahrt sich gegen die schulmeisterliche Art und Weise, wie der Abg. Sattler über das Schweigen des Zentrums gesprochen habe. Er habe sich schon vor der Rede des Abg. Sattler zum Wort gemeldet gehabt. Namens einiger seiner Freunde erkläre er die Zustimmung derselben zu dem Antrag Sattler, da immerhin einige Städte sonst zu stark benachtheiligt würden.
Ein Schlußantrag wird angenommen.
Abg. Dr. Bachem erklärt persönlich dem Abg. Sattler gegen⸗ über, daß er nicht zu denen gehöre, die schwänzen; er sei bisher durch den Reichstag verhindert gewesen, hier zu sein, und der Abg. Lieber sei durch den Provinzial⸗Landtag in seiner Heimath verhindert.
Abg. Fuchs (Zentr.) bemerkt, daß er durch den Schluß ver⸗ hindert sei, seine von der seiner Freunde abweichende Stellung dar⸗
ulegen. geübg. Dr. Sattler erklärt, daß er bereits gestern dem Abg.
Bachem habe mittheilen lassen, daß er so gegen ihn vorgehen würde, wenn er nicht hier wäre.
Abg. Dr. Bachem: Diese Mittheilung ist nicht an mich ge langt; ich hätte mich aber doch nicht nach den Wünschen des Abg. Sattler, sondern nach der sachlichen Lage der Geschäfte gerichtet.
Der Antrag Sattler wird in namentlicher Abstimmung mit 185 gegen 125 Stimmen abgelehnt. Dafür stimmen außer den Nationalliberalen die beiden freisinnigen Parteien, der größte Theil der Freikonservativen, einige Zentrumsmitglieder und Polen.
ie Nr. IVa wird darauf in der Kommissionsfassung an⸗ genommen und der Antrag Gothein abgelehnt. Die Nr. II. wird unverändert nach den Kommissionsbeschüssen angenommen, desgleichen die Nr. III und IVY, sowie der Rest des Gesetzes.
Schließlich wird noch folgende, von der Kommission be⸗ antragte Resolution angenommen:
„die Regierung zu ersuchen, im nächstläbrigen Etat Mittel bereit zu stellen, aus welchen Lehrer und Lehrerinnen an öffent⸗ lichen Volksschulen bei den im Auftrage der Schulaufsichtsbehörde oder auf deren Verfügung ausgeführten Reisen zu Kreiskonferenzen eine Vergütung aus der Staatskasse nach Maßgabe der vom Unterrichts⸗Minister in Gemeinschaft mit dem Finanz⸗Minister zu treffenden Bestimmungen erhalten.“
Ueber eine weitere, von der Kommission beantragte Resolu⸗ tion wegen Vorlegung eines Volksschulgesetzes soll erst in der dritten Lesung verhandelt werden. 8 Die eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt.
Schluß 4 ⁴¼ Uhr. Nächste Sitzung Montag 11 Uhr.
(Kreditvorlage wegen Sekundärbahnen und Kornhäuser.)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußij
Statistik und Volkswirthschaft.
Die Selbstmorde in Preußen 1894. 8 („Stat. Korr.“*) Nach amtlichen Nachrichten ist in Preußen 1894 für 6630 Personen, darunter 5287 Männer und 1343 Frauen, Selbst⸗ mord als Todesursache festgestellt worden. Die Selbstmordziffer auf 100 000 der lebenden Bevölkerung berechnet, schwankte seit dem Jahre 1869 bis 1894 zwischen 11 und 22. Die Jahre 1871 und 1873 zeigten ein günstiges, die Jahre 1883 und 1886 ein ungünstiges Ver⸗ hältniß. Währeusd der Folgezeit sind der Selbstmorde zwar weniger geworden, in den Jahren 1891 bis 1894 hat jedoch wieder eine Steigerung tattgefunden, indem von 100 000 Lebenden je 21 Personen gewaltsam ihr Leben endeten. Hierbei sind die Männer jetzt öfter betheiligt als früher; denn es werden in den Jahren 1869 bis 1894 wechselnd 18 bis 36 Selbstmorde auf 100,000 Lebende der männlichen Be⸗ völkerung nachgewiesen. Im Jahre 1888 sinkt die Verhältnißzahl bis auf 30, steigt 1893 und 1894 aber wieder auf 34. Bei den Frauen stellt sich die bezügliche Zahl nur auf 4 bis 9, welche Höhe 1883 erreicht wurde; von 1884 bis 1894 verharrt sie auf 8.
Was die Häufigkeit der Selbstmorde betrifft, so ist sie von einer großen Zahl von Vorgängen beeinflußt, deren gründliche Erforschung meistens ein tiefes Eindringen in das sittliche und seelische Leben der Menschen erfordert. Das Alter steht unter diesen Erscheinungen in erster Linie. Die hierüber für den Zeitraum 1887 bis 1894 ange⸗ stellten Untersuchungen haben ergeben, daß mit zunehmendem Alter der Hang zum Selbstmorde wächst und regelmäßig nur einmal, nämlich in der Altersklasse von 25 bis 30 Jahren, die Zunahme der Verhältnißzahl bei der Gesammtbevölkerung eine Unterbrechung erfährt. Eine Ausnahme hier⸗ von macht das Jahr 1894, in welchem eine derartige Unterbrechung nicht vorkommt. Wenn von 1887 bis 1894 sonst noch Abweichungen von jener Regel in den höchsten Altersklassen eintreten, so sind diese auf 15 geringe Zahl von Fällen zurückzuführen, welche hier in Frage ommen.
Während für Männer und Frauen das Lebensalter von 25 bis 30 Jahren eine Unterbrechung in der Steigerung der Selbstmordziffer aufweist, tritt eine solche bei den Frauen auch noch in der Altersklasse von 30 bis 40 Jahren ein. In beiden Zeitabschnitten ist die Selbst⸗ mordziffer für das weibliche Geschlecht eine geringere als bei derjenigen von 20 bis 25 Jahren und allen späteren.
„Ueber die Beweggründe der Selbstmorde genaue und verläß⸗ liche Angaben zu sammeln, ist eine überaus schwierige Aufgabe der amtlichen Statistik. Wenngleich diesem Zweige der statistischen For⸗ 8 die eingehendste Sorgfalt gewidmet wird, bleibt dennoch eine Anzahl von Selbsttödtungen übrig, deren Veranlassung sich nicht er⸗ gründen ließ. Das Jahr 1894 bringt 1226 solcher Fälle, das sind 18,5 vom Hundert der Gesammtzahl aller Selbstmorde. Im übrigen hat diese Untersuchung zu sehr beachtenswerthen Ergebnissen geführt und gezeigt, daß alljährlich ungefähr der vierte Theil der Selbst⸗ morde zweifellos durch Geisteskrankheit hervor erufen wird, und daß auch von den anderen eine größere Zahl auf psychische Ursachen, wie Lebensüberdruß, Leidenschaften, Trauer, Kummer, Reue, Scham zurückzuführen ist. In dem Zeitraum 1887 bis 1894 endeten infolge Geisteskrankheit jährlich 1429 bis 1741 Personen durch Selbst⸗ mord. Das weibliche Geschlecht ist hierbei im Verhältniß zur Zahl der Selbstmörder häufiger vertreten als das männliche — mit 37,4 bis 40,4 weiblichen zu 22,0 bis 23,3 männlichen Personen unter je 100 Selbstmorden; ebenso zeigten sich Frauen körperlichen Leiden und besonders Leidenschaften gegenüber weniger widerstandsfähig. Bei den
Männern hingegen sind Lebensüberdruß, Laster und Kummer hervor⸗
gende Beweggründe der Selbstentleibung.
1“
Zur Arbeiterbewegung.
Aus Kottbus wird auswärtigen Blättern unter dem 18. April
zum Ausstand der Textilarbeiter gemeldet: Bei der Ab⸗ stimmung am Freitag (vgl. Nr. 93 d. Bl.) hätten 1700 Arbeiter für, 900 gegen Wiederaufnahme der Arbeit unter den jetzt von den Fabrikanten “ Bedingungen gestimmt. Nach einer Mit⸗ theilung des „Vorwärts“ sollte das Ergebniß erst gestern vollständig 1eee werden; an der Annahme der Bedingungen sei nicht zu zweifeln.
In Rathenow stehen nach demselben Blatt die Arbeiter der Industrie optischer Instrumente, welche dort in großem Umfange be⸗ trieben wird, in einer Lohnbewegung.
Aus Leipzig berichten die „Lpz. N. N.“, daß die Tarif⸗ berathungen der Buchdrucker, welche am 15. April begonnen haben, mit folgendem Ergebniß schlossen: Die effektive neunstündige Arbeits⸗ zeit ohne die Paufen wird angenommen, desgleichen die Erhöhung der Grundpositionen um 2 ₰ für 1000 Buchstaben, 6 ¾ % für berechnende Gehilfen, Erhöhung der Grundpositien für die im Wochenlohn stehenden Gehilfen um 2 ½ %. Für Städte unter 30 000 Ein⸗ wohnern bleibt die Arbeitszeit wie früher, ebenso für den Maschinenbetrieb. Dagegen wird der Lohn der Maschinenmeister um das nämliche wie bei den berechnenden Setzern erhöht, außerdem wird ihnen wöchentlich eine freie Zeit von drei Stunden oder alle drei Wochen eine solche von zwei halben oder einem ganzen Toh gewäbhrt. Die Dauer des Tarifs wurde auf fünf Jahre fegrgesett. ie neuen
estimmungen sollen am 1. Mai in Kraft treten.
Aus Stuttgart wird der „Köln. Ztg.“ telegraphiert: Die Ver⸗ handlungen vor dem Gewerbegericht als Schiedsgericht zwischen den ausständigen Zimmerern und ihren Meistern hatten kein Ergebniß. Die Arbeit ist nunmehr auf sämmtlichen Bauplätzen eingestellt. (Val. Nr. 92 d. Bl.)
„ Aus Berlin berichtet die „Voss. Ztg.“: Die Berliner Packetfahrt⸗Aktiengesellschaft macht durch Aushang in ihren sämmtlichen Geschäftsstellen bekannt, daß sie den Fe eeen Forde⸗ rungen ihrer Angestellten entgegenkommen wolle. Sie ist bereit, mit der in der letzten Versammlung gewählten Kommission zu unterhandeln und die Forderungen der Beamten so weit wie möglich zu erfüllen, weist sedoch entschieden die Hineinmischung von nicht zu der Ge⸗ sellschaft gehörigen Personen in die Bewegung zurück. (Vgl. Nr. 93 d. Bl.) — Nach Berichten der sozialdemokratischen Berliner Gewerkscha tskommission befinden sich gegenwärtig folgende ewerke im Ausstand: Zimmerer, Maurer, utzer, Dachdecker, Stuckateure, Gipsbildbauer und Mobelleure. In eine Lohnbewegung eingetreten sind die Tabackarbeiter und Angestellte der Packetfahrt⸗ Attiengesellschaft. Beendet sind in den letzten Tagen die Ausstände der Maler, Lackierer, Fensterputzer, Stellmacher und Holzbildhauer. Der Ausstand der Dachdeckergesellen wurde von den Gewerkschafts⸗ elegirten nur widerstrebend und mit geringer Mehrheit gut⸗ geheihen. Die Bildhauer und Lackierer haben einen Erfolg und die Fensterputzer und Stellmacher einen Mißerfolg zu ver⸗ zeichnen, die Maler haben nur theilweise einen Erfol errungen und über die größeren Betriebe, die nichts bewilligt haben, perren verhängt. Die Delegirten machten es in der süstrigen Versammlung der Gewerkschaftskommission allen Gewerk⸗ scaften zur Pflicht, nur nach vorhergegangener Empfehlung des Uusschusses in eine Lohnbewegung zu treten und selbst für genügende nterstützung der Mitglieder zu sorgen. Die Berliner Arbeiterschaft fütbe in diesem Jahre bereits große Mittel aufgebracht, die Kassen fäcn erschöpft, auch die Arbeiterschaft an der Grenze der Leistungs⸗ Bbigkeit angelangt. — Die Dach⸗ und Schieferdeckermeister ins und der Umgegend be⸗ chlossen in einer Versammlung am Sonn⸗ e
Ber abend, mit d n ausständigen esellen nicht zu unterhandeln und keinen
Berlin, Montag, den 20. April
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Ausständigen vorläufig in Arbeit zu nehmen. Nach einer Umfrage sollen 130 Gefellen die Arbeit niedergelegt haben, hiervon haben bereits 60 wieder um Arbeit nachgesucht, sind aber zurückgewiesen worden. Zu⸗ der Versammlung waren auch eine große Anzahl Nichtinnungsmit⸗ lieder erschienen. — Der Verband Berliner Metall⸗ ndustrieller hat sich, wie die Berliner „Volks⸗Ztg.⸗ berichtet, in seiner April⸗Sitzung mit der von den sozialdemokratischen Gewerkschaften erstrebten Verkürzung der Arbeitszeit und der Maifeier beschäftigt und ist dabei zu solgenden Entschließungen ge⸗ kommen: I. Die Versammlung hält den früher gefaßten Beschluß: zan der hergebrachten Arbeitszeit — vorwiegend die zehnstündige — ist festzuhalten“, aufrecht und willigt in keine Verkürzung der Arbeitsgeit Auch die prinzipielle Bewilligung von Aufschlägen für Ueberstunden kann nicht zugestanden werden, da Ueberstunden nur in vorübergehenden flotten Geschäftszeiten oder in dringlichen Fällen angeordnet werden. 1 ““ erklärt sich einstimmig gegen eine Freigabe es 1. Mai.
Aus Verviers meldet „W. T. B.“: Am Freitag ist hier ein Theilausstand der Weber (vgl. Nr. 92 d. Bl.) ausgebrochen. Am Sonnabend schloß sich ein Theil der Webereiarbeiter der Sim onis'schen Fabrik em Ausstand an. Simonis machte bekannt, daß er seine Betriebe bis zur Wiederaufnahme der Arbeit schließen werde. Die Zahl der in Verviers und ö ausständigen und feiernden Weber betrug am Sonnabend Abend etwa 2500; die Zahl der heute Ausständigen ist noch nicht bekannt. Alles ist ruhig. In Verviers wurden bis jetzt nur polizeiliche Vor⸗ sichtsmaßregeln getroffen, militärische Hilfe ist nicht erbeten worden. Es erscheint als sicher, daß der Ausstand sich weiter ausbreiten wird. Wenn alle Werkstätten feiern, würde die Zahl der Ausständigen etwa 20 000 betragen. Die Arbeitgeber haben beschlossen, die Forderungen der Arbeiter nicht zu bewilligen und mit Aussperrungen vorzugehen. — In Herstal stehen etwa 2000 Arbeiter aus, welche sich vollkommen ruhig verhalten. (Vgl. Nr. 91 d. Bl.),
Literatur.
olitei und pPolizeimoral nach den Grundsäͤtzen des Rechtsstaats. Von C. A. Ackermann, Geheimem Pollzei⸗ Rath. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart. — Der Verfasser erörtert puncht den Gegensatz zwischen „Polizeistaat“ und „Rechts⸗ staat“, wie sich derselbe namenllich in Deutschland seit dem 17. Jahr⸗ hundert ausgebildet und entwickelt hat, giebt sodann einen Ueberblick über die große Mannigfaltigkeit der uffassungen des Wesens, der Aufgabe und der Grenzen der Polizei, die sich bei den Schriftstellern des vorigen und dieses Jahrhunderts findet, und bestimmt im Anschluß daran selbst den Begriff und den Umfang der „modernen Felheg. indem er sagt: „Polizei ist ein Thun, bestebend in der nach aßgabe von Recht und Gesetz mittels Vorbeugung, Beseitigung und vhrgorschung geübten Hemmung (Bekämpfung) natürlicher und persönlicher Kräfte in deren Bestreben nach Ausdehnung und Geltung, insoweit durch dieses Bestreben die öffentliche bürgerliche Ordnung bedroht oder gestört wird“ (S. 44). Den Zwang betrachtet er — im Gegensatz zur herrschenden Lehre — nicht als ein wesentliches Merkmal des Begriffs „Polizei“. Nachdem der Verfasser so den Begriff und Umfang der Polizei festgestellt hat, untersucht er, inwieweit die polizeilichen Organe bei ihrer amtlichen Thätigkeit an die Vorschriften der Moral gebunden sind, und gelangt dabei zu forgenden Ergebnissen: 1) Die Polizei ist gebunden an Recht und Gesetz; schweigen diese, so hat sie nach der Zweckmäßig⸗ keit, im Geiste der Gesetzgebung, zu verfahren. 2) In Ausführung des Staatswillens können die durch die christlichen Liebes⸗ und Leidens⸗ sebot⸗ geforderten Tugenden nur so weit Raum finden, als die staat⸗ ichen Interessen nicht darunter leiden. Das entspricht, wie der rechts⸗ staatlichen Doktrin, so der christlichen Ethik. 3) Die vom staatlichen Gesetz und von den christlichen Sittengeboten nicht umfaßten Normen der sogenannten natürlichen Moral und der sefelschaftliche Moral find für die Polizei nicht verbindlich. Dem Polizeimann bleibt überlassen, nach ihnen zu handeln, wenn er ihnen zustimmt und sie im Einzelfalle dem staatlichen Zweck nicht zuwiderlaufen. 4) Da ohne Wahrheit keine Gerechtigkeit und Wohlfahrt bestehen kann, ist der Feras die Lüge in keiner ihrer Formen eee.; Doch begründen Nothstand und Nothwehr eine Ausnahme, sobald der Staat den Be⸗ griff des staatlichen Nothstands und der staatlichen Nothwehr bezüg⸗ lich der festgestellt hat. er kürzlich erschienene XI. Band der fünften Auflage von
„Meyer's Konversations⸗Lexikon“ Ceivng. Bibliographisches
Institut) umfaßt die Artikel „Langenbeck“ bis auri“. Aus dem mannigfachen Inhalt sind demjenigen, der eine schnelle Belehrung in den betreffenden technischen Fächern sucht, die kurz und präzis orientierenden Abschnitte über „Lokomobilen“, „Lokomotiven“, „Leucht⸗ thürme“, „Markthallen“, „Materialprüfung’ mit ihren größten⸗ theils neu gezeichneten, vortrefflich instruktiven Tafeln zu empfehlen. Auch die reich illustrierten physikalischen Artikel „Licht“, „Luftpumpe“, „Magnetismus’ sind leicht verständlich gehalten und dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend erweitert und verbessert. Ebenso für den Laien klar faßlich dargestellt sind die wichtigen medizinischen Artikel „Lungenschwindsucht“ und „Magenkrankheiten“. Anziehend, belehrend und inhaltreich bei aller Knappheit der Fassung sind die Abschnitte „Leonardo da Vinci“ und „Malerei“. Der Artikel „Madagaskar“ hat gemäß den neuesten n. wesentliche Aenderungen erfahren müssen und ist mit einer neuen Karte versehen worden; auch der Ab⸗ schnitt „Luftschiffahrt“ zeigt erhebliche Veränderungen gegen die frühere Auflage und ist jetzt durch eine interessante geschichtliche Tafel illustriert. Die volkswirthschaftlichen Abschnitte „Lotterie“, „Lebensversicherung“, „Lehrlingswesen“, „Markenschutz“ sind den heutigen Einrichtungen und Bestimmungen entsprechend erweitert. Der illustrative Schmuck ist gegen früher bedeutend vermehrt. Außer den schon erwähnten Tafeln sind neu hinzugekommen eine farbige Beilage mit Abbildungen der Marine⸗, Sechehe und Kolonialtruppen (zu dem Artikel „Marine“) und eine sehr instruktive Tafel (zu dem Artikel „Lithographie“), welche das allmähliche Entstehen eines ornamentalen Buntdrucks veranschaulicht. Die Städte⸗Artikel „Leipzig“, „Lübeck“, „Madrid“ sind durch neue Pläne erläutert, der erstgenannte auch noch durch eine Tafel mit An⸗ sichten von Leipziger Bauten, ebenso der Artikel „Mars’ durch eine Tafel mit mehreren Aufnahmen und Karten dieses Planeten. Neu sind ferner die Tafeln „Malaiische Kultur“ und „Leichenschauhäuser und Leichenverbrennung“. Auch die Textillustrationen sind vielfach verbessert und vermehrt. Die Redaktion zeigt sich sonach auch in diesem neuen Bande in jeder Hinsicht erfolgreich bestrebt, die mit Recht geschätzte Eneyklopädie immer mehr zu vervollkommnen und, den wachsenden Ansprüchen an eine schnelle Auskunftsertheilung und bequeme Veranschaulichung entgegenkommend, das Werk allseitig weiter auszugestalten. 1 1
— Bei Rudolf Knobloch in Kolberg ist soeben der siebente Generalbericht über das Sanitäts⸗ und Medizinal⸗ wesen im Regierungsbezirk Köslin, umfassend die Jahre 1892, 1893 und 1894, erstattet von dem Regierungs⸗ und Medizinal⸗ Rath Dr. Grisar, im Druck erschienen. Der Bericht verzeichnet die Ergebnisse der meteorologischen Beobachtungen und behandelt sodann die Bewegung der Bevölkerung, die Gesundheitsverhältnisse, die Wohn⸗ stätten, die Wasserversorgung und den Zustand der öffentlichen Wasserläufe. Daran schließen sich Kapitel über Nahrungs⸗ und Genußmittel, Gebrauchsgegenstände, über gewerbliche Anlagen, Schulen,
Gefängnisse, über Fürsorge für die Kranken und Gebrechlichen, über
Bäder, Leichenschau und Begräbnißwesen und über das Medizinal⸗ Personal des Regierungsbezirks Köslin.
— Das vortreffliche Wanderbuch „Wie reist man in Ober⸗ bayern und Tirol?“ von Prof. Dr. Karl Kinzel ist in zweiter verbesserter und vermehrter Auflage im Verlage von Fr. Bahn in S werin (Meckl.) erschienen. Die Vorzüge des Büch⸗ leins, welche wir bei seinem ersten Erscheinen vor einigen Jahren be⸗ reits angeführt haben, sind durch die neue Bearbeitung noch erhöht worden. Der Verfasser wendet sich nicht an die vornehmen Reisenden, welchen die Bequemlichkeit ohne Rücksicht auf die Kosten als Haupt⸗ bedürfniß erscheint, auch nicht an jene „Touristen“, welche den Tag für einen verlorenen halten, an dem sie nicht irgend einen hohen Berggipfel erklommen haben, sondern vor allem an diejenigen, welche die Sehnsucht nach Gottes großer, schöner Natur und die Freude an ihr mit echter Wanderlust in die herrlichen deutschen Alpenlandschaften treibt. Diesen Wanderern, die zugleich Erholung von leiblichen und geistigen Strapazen suchen, will der Verfasser ein selbstloser, überall aus eigener Erfahrung schöpfender, gewissenhafter Rathgeber sein, der den mit Land und Leuten noch unbekannten Reisenden die bequemsten und anregendsten Wege zu den anmuthigsten und erhabensten Punkten in den deutschen Alpen zeigt. Dabei wird überall die Frage der Reise⸗ und Wanderkosten in dem Sinne einer verständigen, aber nicht über⸗ triebenen Sparsamkeit behandelt und der Wanderer durch seinen Führer vor jener Ueberanstrengung bewahrt, bei der das Wandern aufhört, vergnüglich und eine Lust zu sein. So ist denn wirklich, wie es auf dem Titelblatt heißt, der Kinzel'sche Reiseführer „ein Buch zum Lust⸗ und Planmachen“’. — Was die Verbesserung und Vermehrung des Inhalts betrifft, so findet man einige neu eingefügte Partien, von denen besonders die nach dem Ortler und durch die Schweiz zurück und die Partie durch das Salzkammergut allen Benutzern des Büch⸗ leins willkommen sein wird; außerdem handelt ein Kapitel in Kürze von den am leichtesten zu besteigenden Hochgipfeln der deutschen Alpen. Nicht unerwähnt mag schließlich die Hereee des Büchleins durch die dem Text jetzt beigegebenen Pläne von Salzburg und Innsbruck bleiben. Trotz des größeren Umfangs und der eingeführten Ver⸗ deenanen ist der Preis des Büchleins ein mäßiger (1,80 ℳ) ge⸗
ieben.
— Deutsche Juristen⸗Zeitung, herausgegeben von Prö⸗ fessor Dr. Laband, Reichsgerichts⸗Rath Dr. Stenglein g Rechtsanwalt Dr. Staub. Berlin, Verlag von Otto Liebmann.
Die Hefte 7 und 8 vom 1. un
Preis vierteljährlich 3,50 ℳ. —
15. April bringen Auffätze von Professor Dr. Strohal über „Die zukünftige Gestaltung der Vorlesungen über das Bürgerliche Gesetzbuch“, Ober⸗Landesgerichts⸗Rath Dr. von Buchka über Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Reichstags⸗Kom⸗ mission“, Bank⸗Direktor und Rechtsanwalt Dr. Rießer über „Die Kommissions⸗Berathungen über den Entwurf eines Handels gesetzbuchs für das Deutsche Reich“, Professor Dr. Fran über „Die Strafverfolgung von Delikten in den Schutzgebieten“ Ober⸗Reichsanwalt Hamm über die Anstellung der Gerichts⸗Assessoren in Ce und in den größeren außerpreußischen Staaten, Geheimem Justiz⸗Rath von Wilmowski über „Auswahl der Gerichts⸗Assessoren”. An diese 1 schließen sich die in jedem Heft wiederkehrenden Rubriken: uristische Rundschau von Rechtsanwalt Dr. Staub, Sprechsaal, Vermischtes, Personalien, Kritiken, Literaturübe t, und in besonderen Beilagen Entscheidungen des Reichsgerichts, des Kammer⸗ gerichts und des preußischen Ober⸗Verwaltungsgerichts. 8
— „Monatsschrift für deutsche 2 eamte“, alleiniges Organ des Verbandes deutscher Beamtenvereine. Herausgeber Fr. Caspar, Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath und vor tragender Rath im Reichsamt des Innern zu Berlin. (Preis viertel⸗ jährlich — 6 Hefte — 1,50 ℳ) — In der Nummer vom 1. April enthält die an dieser Stelle mehrfach erwähnte Zeitschrift wieder eine sna. interessanten Materials. Das Heft beginnt, wie sonst, mit einer
nzahl die Rechtsverhältnisse der Beamten berührender Mittheilungen und Abhandlungen, denen sich Aufsätze allgemeinen Inhalts anreihen. Weiter enthält jedes Heft die Rubriken: Vermischtes, Sprechsaal, Bücherschau und Vereinsnachrichten. In einer Beilage bringt es außerdem Stimmen aus dem Publikum und eine Stellenliste.
— „Der Militär⸗Anwärter“. Zeitschrift für alle Militär⸗ Anwärter der deutschen Armee und der Kaiserlichen Marine. Re⸗ daktion und Verlag von S. Gerstmann, Berlin. Pen⸗ pro Vierteljahr 1,80 ℳ) — Dieses Blatt, das vierzehntäglich erscheint und von welchem uns die Nummer 7 des vierten Jahrgangs vorliegt, hat sich die Aufgabe gestellt, besonders den noch im aktiven Dienst stehen⸗ den Militär⸗Anwärtern für ihre spbhe einzuschlagende Zivilcaxriore durch Bekanntgebung aller einschlägigen Bestimmungen, hbe Stellung von Aufgaben, wie sie in den Vorriüstahen und Berufsprüfungen verlangt werden, sowie Korrektur der eingesandten Lösungen berathend und belehrend zur Seite zu stehen. Die als Beilagen zu der Zeitschrift erscheinenden Gesetzesvors riften, Reglements u. s. w. sind für die Interessenten von bleibendem Werth. Jeder Jahrgang der Zeitschrift bildet einen Band, zu welchem ein Titelblatt nebst Nachschlageregister geliefert wird. Aus dem Inhalt des uns vorliegenden Hefts seien hervorgehoben die Aufsätze: „Wie wird man Polizei⸗Kommissar? und „Die Laufbahn des Reichsbank⸗ Beamten“. Weiter enthält diese Nummer eine Vakanzenliste, einen Sprechsaal, eine Bücherschau ꝛc. und als Beilage „Die wichtigsten Bestimmungen für jeden Militär⸗Anwärter“.
— Das neue Quartal des dritten Jahrgangs der von Dr. Otto Neumann e. herausgegebenen, wöchentlich erscheinenden Zeitschrift „Die Romanwelt“ vierteljährlich 3,25 ℳ) bringt als erste Gabe einen neuen Roman von Ernst von Wilden⸗ bruch: „Der Zauberer Cyprianus“, eine Studie aus der Zeit der Christenverfolgung unter Diocletian. Der zweite Roman, „Das Recht der Mutter’, hat Helene Böhlau zur esasserg Besonders bemerkenswerth ist der dann folgende, von Ernst Berg aus dem Spanischen übersetzte Sittenroman „Lappalien“ von dem Jesuitenpater Luis Coloma, der in Spanien viel Aufsehen erregt hat. Neben diesen größeren erzählenden Werken enthält jedes Heft der Zeitschrift ein das kleinere, pointierte Erzählungen sowie mannigfache Auffätze über interessante Gegenstände bietet. Die zweite Nummer (28) des Quartals veröffentlicht in diesem Theile die erste Prosaarbeit der Volksdichterin Johanna Ambrosius: „Gedanken eines Ungebildeten“. Später wird auch Ludwig Pietsch hier seine Begegnungen mit dem Kaiser Napoleon III. erzählen.
— Das 20. diesjährige Heft der illustrierten Familienzeitschrift Für Alle Welt⸗ (Deutsches Verlagshaus Bong u. Co., Berlin W.; Preis des Vierzehntagshefts 40. ₰) bringt einen Aufsatz üͤber die kleinste Stadt Deutschlands, das Städtchen Hauenstein im kadischen Kreise Waldshut, sowie ferner Artikel über Verbrechermessungen, über Selle's Farbenphotographie, das älteste Zweirad ꝛc. Voran gehen zwei große Romane: „Glücksspiel am Hofe“ von Carl Ed. Klopfer und „In der kleinsten Hütte“ von 8 von Kapff⸗Essenther, sowie eine Novelle „Kinder der Zeit“ von Emil Roland. Aus dem reichen künstlerischen Illustrationsschmuck seien hervorgehoben das bunt⸗ farbige Aquarell⸗Faksimile des Gemäldes von A. Parys „Im Spielsaal von Monaco“ und die vortreffliche Holzschnift⸗ eproduktion des F. Pradilla'schen Gemäldes „Frühlingsfest“. Das Porträt des hohen Militär⸗Jubilars, des Prinzen Georg von Sachsen und die Original⸗ zeichnung, darstellend „Die Salbung des Prinzen Boris von Bulgarien’, beweisen, daß diese gut redigierte, reichhaltige Familienzeitschrift auch
die Tagesereignisse nicht unberücksichtigt läßt