vertragsfähig sind; dann wird nicht in Zweifel zu ziehen sein, daß diese Personen auch an der Börse erscheinen können, sofern die Börsenordnung des einzelnen Platzes nichts Anderes bestimmt. Ich bin deshalb der Meinung, daß § 7 einer Korrektur kaum bedurfte.
Abg. Fritzen (Zentr.) schließt sich diesen Ausführungen an und erklärt sich 16 den Antrag, den der Abg. Graf Kanitz in der Kommission gestelt hatte. .
Abg. Frese: Wenn die Handelskammer, die über die Börse die Aufsicht führt, auch ein Börsenorgan ist, dann könnte der Staatskommissar ihren Sitzungen beiwohnen; das ist aber doch wohl nicht die Meinung der Regierung und der Kommission gewesen.
Abg. Dr. Ham macher: Nach der Auseinandersetzung des Staats⸗ sekretärs von Boetticher könnte man die staatliche Behörde, welche die 5888 beaufsichtigt, ja die betreffende Staatsregierung und den Bundesrath als Börsenorgane betrachten.
Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:
Ich möchte zur Klarstellung dessen, was ich vorhin ausgeführt habe, auf die Berliner Verhältnisse hinweisen. Hier in Berlin steht die Börse unzweifelhaft unter dem. Aeltesten⸗Kollegium der Kauf⸗ mannschaft. Außerdem ist für die Leitung des eigentlichen Börsen⸗ geschäfts und der Angelegenheiten der Börse ein Börsen⸗Kommissariat eingesetzt, das zur Zeit aus Mitgliedern des Aeltesten⸗Kollegiums be⸗ steht. Man wird gar keinen Anstand zu nehmen haben, auch das Aeltesten⸗Kollegium als ein Börsenorgan zu bezeichnen. Wenn der Herr Vorredner es für gut und nützlich erachtet, die Begriffs⸗ bestimmung des Börsenorgans in einem besonderen Paragraphen zu geben, und zwar unter Aufzählung all der einzelnen Organe, welche unter den Begriff der Börsenorgane fallen sollen, so wird dagegen schwerlich etwas zu erinnern sein.
Ich möchte mir nur noch mit Bezug auf die letzten Ausführungen des Herrn Vorredners die Bemerkung gestatten, daß der Schlußsatz
8 § 7, wenn er sagt:
Auf Antrag der Börsenorgane kann die Landesregierung in be⸗
sonderen Fällen Ausnahmen von den Vorschriften über die Aus⸗
schließung von Börsenbesuchern zulassen,
das selbstverständlich den Sinn hat, daß jedes Börsenorgan beziehungs⸗ weise das Börsenorgan, das durch die Börsenordnung mit dieser Funktion betraut wird, auch entsprechende Anträge bei der Landes⸗ regierung stellen kann. Die Landesregierung ist aber in diesem Falle diejenige Instanz, welche über die Modifikationen der Vorschriften über die Ausschließung zu befinden hat. Also in dieser Beziehung ist nach der Wortfassung des § 7 nicht der leiseste Zweifel über die Kompetenz der Instanzen.
§ 7 wird angenommen, ebenso ohne Debatte § 8: Hand⸗ habung der Ordnung an der Börse. 8
8 9 handelt von der Bildung des Ehrengerichts.
bg. Graf von Kanitz: Gegenüber dem Protest des
Abg. Görtz gegen die Angriffe auf die Börse möchte ich auf ein
ichts in der Enqustekommission sagte: „Wie soll man
“ der Ehre oile der ke 8 Elas hat?“ Biesoß scharfe Ürtheil möchte ich nicht fällen. 9 wird angenommen.
ach § 10 soll das Ehrengericht diejenigen zur Verant⸗
wortung ziehen, welche im Zusammenhang mit S Thätig⸗
keit an der Börse sich eine unehrenhafte Handlung haben zu
Schulden kommen lassen. Die Kommission hat an Stelle der Worte „unehrenhafte
Handlung. geseßt. „eine mit der Ehre oder dem Anspruch auf aufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbarende Handlung“. “ des Reichsbank⸗Direktoriums, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Koch: Meine Herren, die Kommission hat den § 10 des Entwurfs in einer Beziehung geändert. Er lautet jetzt: Das Ehren⸗ erricht zieht zur Verantwortung Börsenbesucher, welche im Zusammen⸗ mit ihrer Thätigkeit an der Börse sich eine mit der Ehre oder dem Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbarende Handlung haben zu Schulden kommen lassen. — Meine Herren, ich glaube, daß die Aenderung eine Verbesserung des Entwurfs nicht enthält. Der Begriff „kaufmännisches Vertrauen“ ist ein außer⸗ ordentlich umfassender; er hat hauptsächlich eine finanzielle Seite und ist in dieser Hinsicht ungefähr gleichbedeutend mit Kredit. Nun glaube ich doch nicht, daß man der Meinung sein kann, vor dem neuen Ehren⸗ gerichte sollen auch solche Handlungen der Bestrafung unterliegen, welche die Kreditwürdigkeit der Börsenbesucher schmälern, also bei⸗ spielsweise leichtsinnige Ausgaben, leichtsinnige Kreditgewährung an Dritte u. s. w. Diese Handlungen würden also meiner Meinung na unter den Begriff von Handlungen fallen, welche mit dem Anspru auf kaufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbaren sind. Aber auch, wenn man die moralische Seite dieses Begriffs allein ins Auge faßt, üft der Begriff viel zu unbestimmt. Das Vertrauen im F. ist verschieden nach der Person des Vertrauenden. Einen allgemeinen Maßstab dafür giebt es nicht. Es ist vielmehr zu empfehlen, daß wenn die kaufmännischen Ehrengerichte eingeführt werden, man sich mit dem prägnanten Begriffe der Ehre begnügt. Es wird vorausgesetzt, daß für alle diejenigen, welche eine Börse besuchen, ein Durchschnitts⸗ maß von Ehre erforderlich ist; wenn dieses Maß öffentlicher Achtung durch Handlungen, welche mit der Börsenthätigkeit zusammenhängen, verletzt wird, dann soll Bestrafung eintreten. J Hhass daß, wenn das Gesetz neben der „Ehre“ noch das Wort „kaufmännisches Vertrauen“ Salührn man sachlich den Eindruck jenes Erfordernisses schwächen würde. Statt der Erweiterung haben Sie dann eine Minderung. Auch in der Kommission ist bereits von den Regierungsvertretern darauf hingewiesen, daß in die Disziplinarvorschriften des Reichs⸗ beamtengesetzes ein ähnlicher Ausdruck „Verletzung des Vertrauens“ nicht aufgenommen ist, obgleich der Begriff und die Grenzen der Beamtenehre bereits seit einer Reihe von Jahren nach Gesetz und Uebung feststehen. Der Entwurf, wie er damals dem Reichstag vor⸗ elegt wurde, enthielt noch den 8 wer sich „des Ansehens und ertrauens“ unwürdig zeigt u. s. w. Gerade vom Reichstage ist aber der Ausdruck „Vertrauen“ gestrichen, den man für zu unbestimmt und nach den preußischen Erfahrungen sogar für gefährlich erachtete. Ich möchte daher empfehlen, auf die sprachlich und sachlich korrektere assung des Entwurfs zurückzugehen, „welche — sich eine unehrenhafte haben zu Schulden kommen lassen“. — Ich glaube, wenn man die Vorschrift so bestehen läßt, wie sie die Kommission gefaßt hat, könnte sich leicht eine uferlose Praxis, wenn ich mich dieses beliebten Wortes bedienen darf, daraus entwickeln und die Institution des Ehrengerichts diskreditieren. Ich bitte Sie deshalb, die Begriffs⸗ bestimmung „mit der Ehre oder dem Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen nicht zu vereinbarende Handlungen“ nicht zu billigen, und die Fassung des Entwurfs wiederherzustellen oder mindestens die Worte „oder den Anspruch auf kaufmännisches Vertrauen“ zu streichen.
Abg. Graf von Kanitz: Ich würde mit diesem Vorschlage einverstanden sein, wenn statt des Ehrengerichts ein Disziplinargericht eingeführt worden wäre, welches auch von Börsensachverständigen ewünscht worden ist; freilich müßte dieses sich nicht bloß auf die
ätigkeit an der Börse beziehen. 1
räsident des Reichsbank⸗Direktoriums, Wirklicher Geheimer Rath Dr. Koch: Der Herr Abg. Graf von Kanitz befindet sic mn einem Mißverständnisse. Auch der Entwurf der Kommission enthält die Worte: „im Zusammenhange mit ihrer Thätigkeit an der Börse“. Es ist damit nicht gemeint, daß diese Handlungen in den Börsen⸗ räumen vorgekommen sein müssen, sondern es genügt, daß sie im Zufammenhange mit der Thätigkeit an der Börse stehen. enn im
Feugnis des Herrn ecrausgeemmn hinweisen, der bezüglich des
ndlung
übrigen aber versucht wird, auch das ganze Gebiet des sonstigen Ge⸗ bahrens, was gar nichts mit der Börse zu thun hat, heranzuziehen, so hat weder der Entwurf noch die Kommission die Thätigkeit der Ehrengerichte dahin erweitern wollen. Sie begnügen sich mit dem gesetzlichen Versuche, die Börse von unehrenhaften Handlungen zu reinigen, die mit der Thätigkeit der Börse im Zusammenhange stehen; weiter wollen sie nicht gehen. Im übrigen vermisse ich jedes Argu⸗ ment des Herrn Abg. Grafen Kanitz gegen meine vorigen Aus⸗ führungen. Ich habe hervorgehoben: das Vertrauen ist ein zu zartes, ein zu subjektives Element, als daß sich an dessen Verletzung die gesetzliche Strafbarkeit anknüpfen ließe. Ich fürchte, daß der Begriff der Ehre, wie ihn die Vorlage enthält und den ich für berechtigt halte, geradezu Fe wird, wenn man ihm das laufmännische Vertrauen an die Seite setzt, was mehr die Kreditwürdigkeit bedeutet. Ich glaube, wird auf Irrwege gelangen, wenn das bestehen bleibt. Diese Argumente sind unwiderlegt geblieben.
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.) hält ebenfalls den von der Kom⸗ mission beschlossenen Zusatz für sehr bedenklich, namentlich da dem Antrage des Staatskommissars auf Einleitung einer Untersuchung wegen irgend welcher Handlungen stattgegeben werden müsse.
Abg. Dr. Hammacher meint, daß das kaufmännische Vertrauen auf einem ganz anderen Gebiet liege als die Ehre; er spreche sich deshalb ebenfalls gegen den Kommissionsbeschluß aus.
Abg. Graf von Arnim bezeichnet den Beschluß der Kom⸗ mission, der auf seinen Antrag gefaßt sei, als eine Deklaration des Begriffs „ehrenhafte Handlung“. Der allgemein übliche Kurs⸗ schnitt sei keine unehrenhafte Handlung, aber das kaufmännische Vertrauen werde entschieden dadurch verletzt. Es sei ein Fnse Entgegenkommen, daß man der Börse überlasse, sich selbst ein Ehren⸗ gericht zu bilden.
b- wird unverändert angenommen.
ie §S 11—13 beziehen sich auf die Mitwirkung des Staatskommissars, die Voruntersuchung und die Ein⸗ stellung des Verfahrens. Nach § 11 kann der Staatskommissar die Einleitung des Verfahrens verlangen, und es muß diesem Verlangen, sowie allen vom Kommissar gestellten Beweis⸗ anträgen stattgegeben werden.
Abg. Traeger (fr. Volksp.) will dem Kommissar nur das Recht eines Antrags auf Einleitung des Verfahrens geben und die Be⸗ stimmung, daß dem Verlangen stattgegeben werden müsse, streichen.
Nach § 13 kann das Verfahren nur mit Zustimmung des Kommissars eingestellt werden.
Abg. Traeger beantragt, die Entscheidung hierüber dem Ehren⸗ ericht allein zu überlassen und dem Kommissar im Falle der Ein⸗ tellung das Recht der Berufung zu geben, und begründet seinen An⸗ trag WEö“ Der Staatskommissar nimmt eine ganz exorbitante Stellung ein, die nicht einnal dem Staatsanwalt bei den ordentlichen Gerichten zusteht. Wenn das Ehrengericht ein Verfahren für vollständig nutzlos hält, so muß es doch auf Verlangen des Kom⸗ missars in die Hauptverhandlungen eintreten, Beweise erheben, ob es dieselben für nothwendig hält oder nicht, — kurz, eine Komödie auf⸗ führen, zu der sich selbständige, selbstbewußte Kaufleute, die ein Rück⸗ rat haben, nicht leicht verstehen werden. Warum soll dem Staats⸗ diese Stellung gegeben werden? Weil man kein Vertrauen zur Un 8ö. und Unparteilichkeit des Ehrengerichts hat? Dann hätten die Ehrengerichte an sich gar keine Bedeutung.
Unter⸗Staatssekretär im Reichsamt des Innern Rothe: Der Vorredner hat die Stellung des Staatskommissars nicht recht gewürdigt. Er meint, daß derselbe kein Staatsanwalt sei, und trotzdem behandelt er ihn als einen solchen. Der Staatskommissar erhebt keine Anklage; es wird ihm nur von der erhobenen Anklage Kenntniß gegeben, damit er das öffentliche Interesse vertreten kann; er steht über den Parteien. Nach Annahme der Anträge des Herrn Traeger wird der Staats⸗ kommissar aber den Parteien gleichgestellt; er hat dann nur Anträge zu stellen; aber es fehlt die Sicherheit, daß sie angenommen werden, dann verliert er seine ganze Stellung, dann würde die Börse sich selbst überlassen bleiben. Die 8“ hat sich außer über andere Dinge auch darüber Mittheilung machen lassen, wie in den letzten vier Jahren an der Berliner Börse verfahren wurde. Bei 3000 Börsenbesuchern sind 175 Fälle vorgekommen; davon waren 60 bloße NSeee erene die nicht vor das Ehrengericht kommen würden. Eigentlich sind nur vier Fan zur Aburtheilung gekommen wegen der Verbreitung falscher Gerüchte. Nur bei einem unver⸗ nünftigen Börsenkommissar könnten frivole Anträge vorkommen; da⸗ gegen aber würde die Aufsichtsbehörde einschreiten. Bei den Selbst⸗ verwaltungskörperschaften darf eine einmal eingeleitete Untersuchung nur mit en va an der vorgesetzten Behörden eingestellt werden. Die Verweisung des Staatskommissars an das Berufungsgericht wäre sehr unpraktisch, da dasselbe nicht an derselben Börse sich befindet, sondern Vertreter anderer Börsen dazu gehören müssen.
Abg. Dr. Bachem (Zentr.) tritt für die Vorlage ein, weil sonst der Staatskommissar nicht für Börsenreinheit sorgen könne.
Abg. Dr. Barth: Die Vorschriften geben die Ehre aller Börsenbesucher dem Staatskommissar anheim; auf Monate hinaus könnte derselbe die Ehre der Börsenbesucher gefährden, indem er das Hauptverfahren erzwingt, S stellt. Die Angeklagten können nicht einmal shrerseits eine Beschleunigung des Verfahrens herbeiführen. Der Kommissar könnte sogar die gesammten Buͤcher offenlegen lassen. Wird das verweigert, dann können die Beweis⸗ anträge sich vielleicht Jahre lang hinschleppen unter schwerster Schädigung der verdächtigten Firma. s wird schwer sein, die Ticht g Männer für die Stellung der Staatskommissare zu finden.
Abg. Frese (fr. Vgg.) spricht sich ebenfalls für die Anträge Traeger aus und wendet sich gegen den Grafen Kanitz, der einen neanf Kaufmann zitiert habe, der gesagt haben solle, man könne den nicht an der Ehre fassen, der keine Ehre habe. Eine solche einzelne Stimme beweise nichts. Die Stellung des Staats⸗ kommissars sei eine ganz außergewöhnliche. Man setze ein Ehrengericht ein, aber schenke den Kaufleuten nicht das nöthige Vertrauen; da würden hochstehende und ehrenwerthe Kauf⸗ leute sich schwerlich für diese Funktion finden. Dem Staatskommissar, dem kommenden Mann, den man noch 22 nicht kenne, bringe man alles Vertrauen entgegen; aber dem Kaufmannsstande, aus dem die Handelsrichter hervorgegangen seien, dem traue man eine sach⸗
emäße Entscheidung nicht zu. Die deutsche Kaufmannschaft, fährt edner fort, denkt von ihrer Ehre ebenso hoch wie jeder andere Stand. Wir achten die Ehre des Offizierstandes und der Beamten, aber wir verlangen eine ähnliche “ auch für die Ehre des Kaufmannsstandes. Die Verdächtigung des deutschen Kaufmanns⸗ standes kann vielleicht dazu dienen, daß ihm Geschäfte, die er an sich gezogen hat, wieder entrissen werden; aber seine Ehre können Sie dem Kausmannsstande weder geben noch nehmen. Die Verantwortung für die unheilvollen Folgen, welche dieses Gesetz zeitigt, schieben wir denen zu, welche es beschliegen werden. Die Zukunft wird richten.
Abg. Graf von Kanitz: Die schärfsten Angriffe gegen die Börse sind nicht von unserer Seite gekommen. Der gesammte Kaufmannsstand kann mit der Börse nicht identifiziert werden; das mag allenfalls für Hamburg und Bremen zutreffen. In der Kauf⸗ mannschaft unterstützt man unsere Bestrebungen.
Abg. Traeger: Der Staatsanwalt ist nicht bloß der Ankläger er soll auch das öffentliche Interesse wahren und dafür sorgen, da kein Unschuldiger verurtheilt wird. Was man dem Staatsanwalt nicht einräumt, braucht auch der Staatskommissar der Börse nicht. Der Grund dafür ist nur das Mißtrauen gegen das Ehrengericht, welches man erst einsetzen will.
8- Singer (Soz.): Die Frage des Ehrengerichts und die Mitwirkung des Stäaatskommissars dabei erregt mich nicht so, wie die Herren von der Börse. Das wesentlich Neue ist lediglich die Stellung des Staatskommissars; wenn derselbe als nothwendig erachtet wird, dann muß er auch von allen Dingen, die an der Börse passieren, Kenntniß bekommen. Weiter braucht man nicht zu gehen. Eine Exekutive braucht man ihm nicht zu geben; mit dem Antrag Traeger würde der Staatskommissar auch bestehen und wirksam sein können.
Darauf wird die Debatte ge Gegen die Stimmen der Frei
E“
slassen. innigen und einiger National⸗ liberalen werden die Anträge des Abg. Traeger abgelehnt und die § 11 bis 13 unverändert angenommen, ebenso ohne Debatte die §§ 14 bis 28, welche von dem Hauptverfahren, der Be⸗ rufung, dem Börsenschiedsgericht, und die §§ 29 bis 35, welche bond 8 Feststellung des Börsenpreises und Maklerwesens andeln. Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen. Eingegangen ist folgende Interpellation des Abg. Meyer⸗Danzig (Rp.): Beabsichtigen die verbündeten Regierungen, demnächst mit der Konvertierung der 4⸗ und 3 ½ % Reichs⸗Anleihe in 3 % vorzugehen?
Schluß nach 5 Uhr. Nächste Sitzung: Donnerstag, 1 Uhr. Fortsetzung der zweiten Berathung des Börsengesetzes und Interpellation des Abg. Meyer.)
Preußischer Landtag.
1 Herrenhaus. 11. Sitzung vom 29. April 1896.
Auf der Tagesordnung steht die Berathung von Petitionen.
Ueber die Petition von Adolf Wolff zu Frankfurt a. M. und Genossen um Uebersetzung des Schulchan Aruch auf Staatskosten beantragt die Petitionskommission, zur Tagesordnung überzugehen, während Freiherr von Durant den Antrag stellt die Petition er Regierung zur Berücksich⸗ tigung zu überweisen.
Freiherr von Durant weist in der Begründung seines Antrags darauf hin, daß früher schon eine Petition ähnlichen Inhalts der Re⸗ gierung überwiesen sei, die Regierung derselben jedoch ablehnend gegenüber gestanden habe, weil eine Uebexsetzung des Schulchan Aruch nicht möglich sei. Die diesmalige Petitien verlange nicht die Ueber⸗ setzung sämmtlicher jüdischen Geheimschriften und des ganzen Tal⸗ muds, sondern nur des Schulchan Aruch, und die Uebersetzung des letzteren sei wohl eine Arbeit, die zu bewältigen sei; die Regierung müsse damit wenigstens einen Versuch machen. Redner verliest einige Stellen aus dem Schulchan Aruch, wonach Betrug und andere Ver⸗ brechen dem Juden einem gegenüber erlaubt seien. Es sei 3 einer über diese unserem Volksleben schädlichen Ge⸗ ammtlehren volle Klarheit zu schaffen. Das sreßberzoglich badische Ministerium habe gutachtlich feststellen lassen, daß unsitt⸗ liche Lehren darin enthalten seien, und habe den Ge⸗ brauch des Schulchan Aruch in der Handelsschule in Mannheim und allen anderen badischen Schulen verboten. In der sächsischen Zweiten Kammer sei ein Antrag auf Uebersetzung des Schulchan Aruch nur mit sehr geringer Mehrheit abgelehnt worden. Allen rechtschaffenen Juden könne es doch nur vevünsah. sein, wenn durch eine authentische Klarstellung die Vorwürfe gegen das Judenthum widerlegt werden könnten. Statt dessen werde die Klarstellung aber in jeder Weise hintertrieben. Dem Professor Eisenmenger seien von Juden 10 000 Thlr. geboten, wenn er sein Werk über den Talmud nicht ver⸗ öffentliche. edner weist schließlich auf die hohe Prozentzahl der jüdischen Schüler und Schülerinnen an den höheren Lehranstalten in und betont die “ des Antisemitismus. Auf die Frage, woher die Mittel für die Uebersetzung hergenommen werden sollen, weist er auf den Etat des Kultus⸗Ministeriums hin, wo z. B. für 1895/96 100 000 ℳ für die Herstellung eines dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechenden großen lateinischen Wörterbuchs aus⸗ geworfen seien. Ebenso müßten hier Mittel für diesen ethischen Zweck vorhanden sein. Er fühle sich frei von jedem Rassen⸗ und Religions⸗ haß, die Lehren des Judenthums müßten aber im Interesse unseres Volks klargestellt werden. Er bitte um Annahme seines Antrags, die frühere, viel weitergehende Petition sei ebenfalls der Regierung überwiesen worden.
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Loewenberg: Die Petition verlangt die Uüberschung des Schulchan Aruch auf Staatskosten durch Professoren. Abgesehen von den Kosten und der Befugniß des Kultus⸗ Ministers dazu, ist der Schulchan Aruch schon seit Jahrhunderten ein Gegenstand der Erörterung, es liegt also eigentlich materiell schon vor, was hier verlangt wird. Durch den Staatsauftrag wird sich doch kein Gelehrter von seiner bisherigen Ansicht abbringen lassen. Und wenn wirklich Anstößiges im Schulchan Aruch steht, ist es denn heute noch maßgebend als Gesetz? Das wird ja doch entschieden von autoritativer Seite bestritten, und dieser Widerstreit wird doch durch eine staatliche Uebersetzung nicht ent chieden. Die Juden sind nicht von Religionswegen gezwungen, dem Schulchan Aruch nachzufolgen. In Preußen haben wir keine Veranlassung, dieser Frage über⸗ haupt näher zu treten, denn in keiner preußischen Schule dient der Schulchan Aruch als Lesebuch. Die Regierung kann nur die Annahme des Kommissionsantrags empfehlen. 8
Ober⸗Bürgermeister Struckmann⸗Hildesheim: Herr von Durant sollte das antisemitische Feuer, das leider in Deutschland besteht, nicht durch unbewiesene Behauptungen schüren. Es giebt schon Uebersetzungen dieses angeblichen Geheimbuchs, das aber jedem zugänglich ist, und jeder kann sie lesen; ich habe allerdings kein Interesse daran, dieses unsittliche Buch zu lesen. Der Inhalt des Buchs ist also bekannt, es kommt nur darauf an, ob diese Lehren für das heutige Judenthum noch maßgebend sind, und das wird von autoritativer Seite bestritten. Es giebt sehr viele dnie h Bücher; mag sich doch seinen Charakter daran verderben, wer will. Soll der Staat alle diese Bücher, wenn sie in fremden Sprachen erschienen sind, übersetzen? Lehnen Sie also den ganz unzweckmäßigen Antrag von Durant ab.
Freiherr von Durant erwidert, daß die Lehren des Schulchan Aruch den Schülern von den Lehrern mitgetheilt würden, und darin liege das Gefährliche. Welche Religionsbücher seien denn beim jüdischen Religionsunterricht in Anwendung? 1
Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath AIn. erklärt, daß bei einer Prüfung nicht gegen ein einziges füpisches Religionsbuch etwas zu erinnern bewesen sei. Es seien 551 verschiedene Bücher von der Re⸗ jerung geprüft und fügelassen, ein Mangel an Lehrmitteln, der eine des Schulchan Aruch veranlassen könnte, sei also nicht vor⸗ handen.
Das Haus beschließt mit großer Mehrheit den Uebergang zur Tagesordnung. 3 .
Eine Petition aus verschiedenen Gemeinden des Kreises Biedenkopf um den Bau einer Eisenbahn von Weidenhausen nach Herborn wird der Regierung als Material überwiesen.
Der Rechenschaftsbericht über die weitere Ausführung des Gesetzes vom 19. Dezember 1869, benreffen die Konsolidation preußischer Staats⸗Anleihen, wird durch Kenntnißnahme für erledigt erklärt. —
ie Petition des Landwirthschaftlichen Vereins
u Breslau um Errichtung besonderer Tarifklassen für landwirthschaftliche Produkte auf dem Dort⸗ mund⸗Ems⸗Kanal und Bemessung derselben derart, daß dem weiteren Eindringen ausländischer Erzeugnisse nicht Vor⸗ schub geleistet werde, insbesondere nicht dem Vermahlen aus⸗ läͤndischen Getreides, beantragt dier Agrarkommission, der Re⸗ Fenh zur Berücksichtigung zu überweisen mit dem Ersuchen, ber diese für die Landwirthschaft überaus wichtige Frage die Landwirthschaftskammern bezw. Zentralvereine zn hören. — m Ans luß hieran beantragt die Kommission ferner folgende esolution: die Regierung zu ersuchen, die Abgaben auf allen Wasserstraßen (Strömen und Kanälen) derartig zu regulieren,
daß dieselben für die Unterhaltung und allmähliche Amorti⸗ sation der aufgewandten Kosten genügen. ““ Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Henen! Jch machte mir cestaten, mich wuncht mit der
Resolution zu beschäftigen. Die Kommission des hohen Hauses hat
demselben empfohlen:
die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, die Abgaben auf allen Wasserstraßen (Strömen und Kanälen) derartig zu regulieren, daß dieselben für die Unterhaltung und allmähliche Amortisation der ufgewandten Kosten genügen.“
Meine Herren, in dieser Beziehung steht die Staatsregierung im wesentlichen auf denselben Grundlagen; sie geht insofern noch etwas weiter, als sie nicht nur die Unterhaltung und Amortisation, sondern auch eine mäßige Verzinsung des auf die Wasserstraßen ver⸗ wendeten Kapitals zu erreichen bestrebt ist. Meine Herren, die Ver⸗ hältnisse liegen aber bei Kanälen nicht einfach so, daß man die Tarife für die Kanalgebühren beliebig bestimmen und dabei sich eine er⸗ wünschte Rente herausrechnen kann, sondern man muß mit denjenigen Verhältnissen rechnen, die bei dem be⸗ treffkenden Kanal zur Geltung kommen. Damit wende ich mich zum zweiten Gegenstand, nämlich der Festsetzung der Kanalgebühren auf dem Dortmund⸗Ems⸗Kanal. Meine Herren, Sie werden sich erinnern, daß der Dortmund⸗Ems⸗Kanal seiner Zeit vom Landtage der Monarchie genehmigt worden ist, zu dem Zweck, um einmal einem großen Theil unserer westlichen Provinzen einen billigen Verkehrsweg zu verschaffen, und zweitens, um die Konkurrenz unserer deutschen Emshäfen aufzunehmen gegenüber den Häfen von Hol⸗ land und Belgien. Der Kanal wird mit einem Kostenaufwand von etwa 80 Millionen — abgesehen von den Kosten, welche die be⸗ treffenden, an dem Kanal gelegenen Städte, insbesondere Emden, Leer, Münster und Dortmund, für die Hafenanlagen aufzuwenden haben — im nächsten Jahre fertig werden. Der Kanal ist zur Zeit und so lange seine Fortsetzung weder nach dem Rhein zu noch nach Mitteldeutschland gesichert und durchgeführt ist, ein Rumpf, eine Sack⸗ gasse. Man hat mit Rücksicht hierauf mit ganz eigenthümlichen und schwierigen Verhältnissen zu rechnen. Auf der Ems giebt es keine Schiffe, die mit Vortheil auf diesem Kanal verwendet werden können. Die ganzen Schiffsgefäße müssen erst neu gebaut werden. Schon dieser Umstand allein giebt dem Kanal unter den gegenwärtigen Verhältnisse eine Inferiorität, die es für ihn außerordentlich schwer macht, gegen die außerordentlich kapitalkräftigen Rhedereien Hollands, Belgiens und unserer eigenen Rheinhäfen anzukämpfen. Dazu kommt noch, daß der Hafen Emden auch nach seiner neuen Regulierung und Vertiefung nur Schiffen von 6 ½ m Tiefgang den Eingang gestattet, daß der Kanal nur eine Tiefe von 2 ½ m hat, und infolge dessen und infolge seiner verhältnißmäßig geringen Breite nur Schiffen bis zu höchstens 600 t Gehalt überhaupt zugänglich ist, während Rotterdam, Ant⸗ werpen allen modernen Schiffen, selbst den allergrößten, zugänglich sind, während der Rhein, wenigstens bis Ruhrort, Duisburg und Köln Schiffe trägt von 1500 t, also 30 000 Ztr. In neuerer Zeit sind sogar einzelne Schiffe gebaut worden mit 1800 t und darüber hinaus; das sind indeß bis jetzt noch vereinzelte Aus⸗ nahmen, während bis 1500 t Ladefähigkeit schon eine große Menge Schiffe auf dem Rhein besitzen, daß endlich auf dem Rhein bis Köln auch Seeschiffe ohne Umladung verkehren. Es wird also für den Kanal außerordentlich schwierig sein, gegen die alte, bewährte, durch kapitalkräftige Rheder, einen alten zahlreichen und tüchtigen Handelsstand, durch außerordentlich leistungsfähige, mit den neuesten Einrichtungen ausgerüstete Häfen begünstigte Rheinstraße anzukämpfen. Einen nicht geringen Theil dieser Vorzüge kann der Emskanal, wenn überhaupt jemals, doch nur sehr allmählich erringen. Die beiden betheiligten Minister — es ist nicht bloß der Arbeits⸗ Minister, sondern mit ihm der Finanz⸗Minister — haben, gestützt auf eine Kabinetsordre vom Jahre 1881, die diesen beiden Ministern die Festsetzung der Kanalgebühr ausdrücklich zuweist, mit dem Zusatz: für die Festsetzung der Gebühr in den Häfen ist die Mitwirkung des Handels⸗Ministers erforderlich, — im Juli v. J. die Kanal⸗ gebühren vorläufig festgesetzt. Meine Herren, es war absolut noth⸗ wendig, über die künftigen Sätze der Kanalgebühren früh⸗ zeitig eine Entscheidung, wenigstens eine provisorische Ent⸗ scheidung zu treffen, um dem Handelsstande der betreffenden Gegenden, den Rhedereien die Möglichkeit zu geben, sich auf den Dortmund⸗Ems⸗Kanal überhaupt einzurichten. Infolge dessen wurde vom Finanz⸗Minister und von mir unter dem 20. Juli 1895 ein provisorischer Tarif herausgegeben, derselbe, über den sich die Petition des Breslauer landwirthschaftlichen Vereins beschwert. Meine Herren, dieser Tarif ist im Rheinland und in Westfalen voll⸗ ständig bekannt gewesen, er ist in der Presse besprochen worden. Es hat sich nun nicht etwa ein rheinisch⸗westfälischer oder hannoverscher landwirthschaftlicher Verein über denselben beschwert, sondern der landwirthschaftliche Verein in Breslau, der den Vorzug für sich hat, daß er sachlich in dieser Frage überhaupt garnicht betheiligt ist, und zweitens, daß er auch nicht beeinflußt ist von der Kenntniß der individuellen Verhältnisse, welche bei dem Dortmund⸗ Ems⸗Kanal obwalten. (Sehr richtig!) Er konnte also um so unbe⸗ fangener diese Petition an das hohe Haus richten. Die Kanalgebühr spielt in der Frage, ob die jetzt schon bestehenden großen Mühlen⸗ etablissements im Rheinland und in Westfalen ausländisches Getreide oder ob sie inländisches Getreide vermahlen sollen, überhaupt keine irgendwie Ausschlag gebende Rolle. Die wenigen Pfennige, die überhaupt als Kanalgebühr genommen werden können, und selbst wenn wir sie verdoppeln und verdreifachen, würden die Mühlen in Münster und Dortmund, wenn nicht sonstige Gründe dafür sprechen, nicht veranlassen, hannoversches, westfälisches oder rheinisches statt ausländischen oder ostelbischen Getreides zu beziehen. Die Mühlen verarbeiten schon heute, soweit mir bekannt, in über⸗ wiegendem Maße und eigentlich in der Regel ausländisches, über den Rhein bezogenes Getreide. Sie verarbeiten als ausländisches Getreide in der letzten Zeit naturgemäß von Weizen hauptsächlich nord⸗ amerikanischen und argentinischen, von Roggen hauptsächlich baltischen und russischen. Meine Herren, dies Getreide haben die Mühlen bis jetzt beziehen müssen über den Rhein, über Rotterdam, Antwerpen und von Ruhrort oder von Duisburg, auf der Eisenbahn nach Dort⸗ mund oder nach Münster u. s. w.
Es fragt sich nun, ob es möglich ist, einen Theil dieser Trans⸗ porte von den holländischen und belgischen Häfen auf unsere deutschen Emshäfen zu verlegen, also auf Emden und Leer. Die Aussichten dazu sind, wie ich mir bereits gestattete hier anzuführen, so lange
8
nicht gerade sehr verheißungsreich, als die Fortsetzung des Dortmund⸗ Ems⸗Kanals nach dem Rhein oder nach Mitteldeutschland ausgeführt ist. Günstiger liegen die Verhältnisse für die Einfuhr von aus⸗ ländischen Erzen, insbesondere von schwedischen Erzen, und was den Export anbetrifft, für Kohlen, Roheisen und Eisenfabrikate aus dem Ruhrrevier.
Was nun speziell das Getreide anbetrifft, so ist stets an⸗ genommen worden, daß durch den Dortmund⸗Ems⸗Kanal, es mögen seine Kanalgebühren festgesetzt werden, wie sie wollen, im Großen und Ganzen eine Vermehrung der Einfuhr ausländischen Getreides nicht herbeigeführt werden wird, sondern daß es sich im wesentlichen nur darum handelt, das Getreide, welches bisher von Holland und Belgien gekommen ist, nach den Emshäfen theilweise zu verlegen, und zweitens, in höherem Maße unser eigenes ostelbisches Getreide, welches in der Nähe von Wasserstraßen liegt, durch den Dortmund⸗Ems⸗Kanal dem Industrierevier zuzuführen. Meine Herren, ich brauche nur daran zu erinnern, wie bei jeder sich darbietenden Gelegenheit die ostelbische Landwirthschaft Klage dar⸗ über geführt hat, daß ihr die Eisenbahn⸗Staffeltarife genommen worden sind. (Graf von Mirbach: Sehr richtig!) Sie ist ja aller⸗ dings einigermaßen entschädigt worden durch die Aufhebung des Identitätsnachweises. (Zurufe: Na, na!) Aber auch nach der Aufhebung des Identitätsnachweises ist von ihr stets der größte Werth darauf gelegt, ihr billige Exporttarife nach den Ostseehäfen für das östliche Getreide zu gewähren. (Graf von Mirbach: Sehr richtig!)
Meine Herren, hier bietet sich nun ein Weg für das östliche Getreide, zu billigen Sätzen in das Herz des großen westlichen In⸗ dustriereviers zu kommen, und wir sind der Meinung gewesen, daß die Vertreter der östlichen Landwirthschaft viel mehr Werth darauf hätten legen müssen, die Kanalgebühren für Getreide billig zu bemessen als sie zu erhöhen. Meine Herren, bei der Festsetzung der Kanal⸗ gebühren sind allerdings die landwirthschaftlichen Vereine nicht gehört worden; es sind die Handelskammern gehört worden, es sind gehört worden die Provinzialbehörden und verschiedene Interessentengruppen. Man war allgemein damit einverstanden, daß, wenn dem Kanal überhaupt ein Verkehr zugeführt werden soll, in den ersten Jahren wenigstens diese Kanalgebühren so billig wie irgend möglich normiert werden müssen. Deswegen haben auch die Interessenten in Dortmund und überhaupt am ganzen Kanal entlang die jetzigen Kanalgebühren noch für zu hoch erklärt und uns prophezeit, daß man mit diesen Kanalgebühren dem Kanal einen erheblichen Verkehr in absehbarer Zeit nicht zuführen würde. Meine Herren, wir sind anderer Ansicht, wir sind der Meinung, daß mit diesen Kanalgebühren doch immerhin bereits ein nicht unerheblicher, allmählich steigernder Ver⸗ kehr dem Dortmund⸗Ems⸗Kanal zugeführt werden kann. Meine Herren, wir stehen vor einem Problem, dessen Lösung zur Zeit außer⸗ ordentlich schwierig ist. Nur die Erfahrung kann uns darüber belehren, ob der Dortmund⸗Ems⸗Kanal wirklich einen erheblichen Antheil an denjenigen überseeischen Frachten sich erobern wird, welche jetzt dem Rhein zugeführt werden. Aber wir würden die Aussichten dazu jedenfalls sehr ver⸗ schlechtern, und die betreffenden Kreise der Rheder und des Handels⸗ standes gewiß außerordentlich entmuthigen, große Kapitalien neu anzulegen, wenn nicht die Staatsregierung in der Festsetzung der Kanalgebühren wenigstens für eine gewisse kurze Uebergangs⸗ zeit — zunächst sind dafür 5 Jahre in Aussicht genommen worden — möglichst niedrig greift. Es ist darum gekämpft worden über die Höhe dieser Sätze zwischen den Interessenten und der Staatsregierung, und die Herren können sich gewiß vorstellen, daß der Herr Finanz⸗Minister nicht ohne eingehende Prüfung seine Unterschrift unter diesen Tarif gesetzt hat. Auch der Herr Finanz⸗Minister hat sich davon überzeugen müssen, daß, wenn dem Kanal über⸗ haupt nennenswerthe Frachten zugeführt werden sollen, in seiner jetzigen Stumpfgestalt, man dann nicht viel höher gehen könne, als wie dies hier in Aussicht genommen ist. Und, wie gesagt, die rheinisch⸗westfälische Landwirthschaft hat sich nicht gemeldet, die doch zunächst dabei betheiligt ist. Man hat sich entschlossen, drei Klassen von Kanalgebühren zu bilden: in der ersten Klasse befinden sich die eigentlichen Rohstoffe, auch der Landwirthschaft, also natür⸗ liche Düngemittel u. s. w., in der zweiten Klasse, die schon etwas höher gegriffen ist, befinden sich die Halbfabrikate u. dgl., in der dritten Klasse alle höherwerthigen Waaren, Eisenwaaren, Maschinen, Kolonial⸗ waaren und Getreide — das Getreide ist also in die höchste Klasse gesetzt worden. Nun ist das allerdings nur relativ, absolut sind die Gebühren — darin gebe ich dem Herrn Referenten vollständig Recht —
sehr niedrig gehalten, sie müssen auch niedrig gehalten sein aus den
von mir angegebenen Gründen.
Die Kanalgebühr beträgt in der ersten Tarifklasse pro Tonne für die ersten fünf Jahre 10 ₰, in der zweiten Klasse 25 ₰, in der dritten 50 ₰ und für die spätere Zeit sind 30 — 50 — 70 ₰ in Aussicht genommen. Ein Frachttarif ist das aber nicht. Daneben wird natürlich vom Schiffer noch die Frachtgebühr erhoben, ferner in Emden die Umschlagsgebühr aus dem Seeschiff in das Kanalschiff; daneben wird die Hafengebühr in Emden erhoben und auch diejenige Gebühr, die die Ankunftshäfen ihrerseits festsetzen. Hinzufügen möchte ich noch, daß man auf dem Rhein jederzeit auf eine Rückfracht für den Schiffer rechnen kann, in Rotterdam und Amsterdam noch viel mehr, in Emden schon seltener, und auf dem Dortmund⸗Ems⸗Kanal wird für viele Schiffe zunächst kaum eine Rückfracht in Aussicht genommen werden können.
Meine Herren, ich möchte daher bitten, daß das hohe Haus sich dem Votum seiner Kommission nicht anschließen und die Petition des Breslauer landwirthschaftlichen Vereins der Staatsregierung nicht zur Berücksichtigung, sondern zur Erwägung überweisen möge. Die Staatsregierung ist gern bereit, diese Erwägungen eintreten zu lassen, nochmals alle diejenigen Momente auch mit Vertretern der Land⸗
wirthschaft in Erwägung zu ziehen, die für die vorliegende Frage von
Bedeutung sind. Ich bin fest überzeugt, daß diese Erwägungen, wenn sie ungetrübt von augenblicklichen — ich möchte sagen Vorurtheilen und Aufregungen, die vielfach ja in dieser Frage mitspielen, vor sich gehen, dahin führen werden, daß selbst die landwirthschaftlichen Ver⸗ treter sich mit dem Vorgehen der Staatsregierung einverstanden er⸗ klären werden.
Fra. s i here Schmieding (Dortmund) hält es für be⸗ merkenswerth, daß diese Petition aus dem Osten kommt, und glaubt dies auf den Gegensatz zwischen Ost und West zurückführen zu müssen. Der Westen ghüre dem Osten alles, was er sich wünsche, die Kom⸗
missionsbeschlüsse seien aber gegen den Dortmund⸗Ems⸗Kanal über⸗ haupt gerichtet. Dortmund 2 he um so mehr ein Interesse an einem
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regen Verkehr auf dem Kanal, als diese Stadt 5 Millionen für den Hafen aufgewendet habe. Das ausländische Getreide könne durch die Kommissionsanträge doch nicht abgehalten werden. Dazu müßte man den Rhein sperren, wenn man könne. Er empfehle, die Petition höchstens zur Erwägung zu überweisen.
err von Graß wendet sich überhaupt dagegen, daß der Staat auf Kosten der Steuerzahler Kanäle baue. Die Feirifas sei, die Landwirthschaft des Vaterlands durch angemessene Preisbildung lebens⸗ fähig zu erhalten.
Graf von Mirbach ist nicht dafür, daß man die ves h unterbindet, selbst wenn die Konkurrenz des Auslands bestehen bleibt. Dagegen müsse man sich vielmehr durch hohe Zölle schützen. Die Tarife hingen leider nicht nur vom Eisenbahn⸗Minister allein, sondern auch vom Finanz⸗Minister ab. Hätten wir ein reiches Netz von Kanälen, so würden sich die Tarife leichter regulieren lassen. Er bitte, den Kommissionsantrag abzulehnen und die Petition nur zur Erwägung zu überweisen.
Ober⸗Bürgermeister Westerburg⸗Cassel stellt den Antrag auf Ueberweisung zur Erwägung und meint, daß die Stellungnahme des Grafen Mirbach von hoher staatsmännischer Weisheit zeuge.
Die Anträge der Kommission werden abgelehnt, die Petition wird der Regierung zur Erwägung überwiesen.
Eine Petition des Dr. Hermann Stolp in Charlotten⸗ burg verlangt a. Herbeiführung einer reichsgesetzlichen genossen⸗ schaftlichen Organisation des landwirthschaftlichen Berufs⸗ standes aller deutschen Reichsländer zum Zweck der Ueber⸗ tragung des Ein⸗ und Verkaufs der hauptsächlichsten land⸗ wirthschaftlichen Produkte auf dieselbe; b. Herbeiführung von Maßnahmen, welche der des landwirthschaftlichen r. vorbeugen, sowie die ÜUmwandlung der bis jetzt
Kaschen en römisch⸗rechtlichen Eigenthumsform der landwirth⸗ chaftlichen Klein⸗ bezw. Großbesitzthümer in die deutsch⸗rechtliche 8 Bildung von Gehöferschaften bezw. Güterschaften be⸗ zwecken.
Die Agrarkommission beantragt, den Theil a. der Petition der Feceruns als Material zu überweisen, über denselben be⸗ züglich der vorgeschlagenen g aber zur Tagesordnung überzugehen; den Theil b. der Regierung als Material zu überweisen ohne die von dem Antragsteller zur Berücksichtigung Grundsätze.
Ober⸗Bürgermeister Struckmann bemerkt, daß der Petent zu den Volksbeglückern zu gehören scheine, die sich über das, womit sie das Volk beglücken wollen, selbst nicht recht klar seien. Es sei ihm nicht gelungen, in die Tiefen der Weisheit der Petition einzudringen; auch die Kommission habe die Petition wohl nicht verstehen können. Er beantrage den Uebergang zur Tagesordnung.
Das geht über die Petition zur Tagesordnung über. Schluß gegen 4 ¾ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Kleinere Vorlagen, Lehrerbesoldungsgesetz.)
Statistik und Volkswirthschaft.
Die Preisentwickelung im Jahre 1895 und den Vorjahren.
„Wie bereits in Nr. 101 des „Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers“ er⸗ wähnt, enthält das neueste Heft der Conrad'schen Jahrbücher neben einem Aufsatz von W. Lexis „über die Edelmetallgewinnung und Ver⸗ wendung in den letzten zehn Jahren“ eine Arbeit von dem Heraus⸗ geber, .Conrad, selbst: „Die Preisentwickelung im Jahre
895 und den Vorjahren.“ Bei der großen Rolle, welche in der Währungsfrage die Ansicht spielt, daß der Preisrückgang der Gegen⸗ wart durch die infolge der Goldwährung fühlbar gewordene Gold⸗ knappheit zum großen Theil bedingt sei, liegt es nahe, die Ergebnisse beider Arbeiten in Beziehung zu einander zu bringen, und Pro⸗ fessor Conrad weist auch ausdrücklich auf den Lexis'schen Aufsatz hin, um daran eine bemerkenswerthe Beurtheilung der bimetallistischen Anschauungen, denen gegenüber er — wie er selbst sagt — eine ver⸗ mittelnde Stellung einnimmt, zu knüpfen.
Leider ist es auch hier ganz unmöglich, den Leser mit dem Inhalt der Uebersichten, Tabellen und graphischen Darstellungen, welche Conrad beigebracht hat, auch nur in den Hauptpunkten bekannt zu machen; wir müssen uns vielmehr im wesentlichen auf die Schlüsse, die dieser bekannte gewissenhafte Statistiker und Volkswirth aus seinem Zahlenmaterial zu ziehen sich glaubt, beschränken 89 bezüglich dieses Zahlenmaterials auf die Abhandlung selbst ver⸗ weisen.
Soweit die offizielle Statistik für das Deutsche Reich Auskunft giebt, sind die in ihrer Gesammtheit in dem Jahre 1895 wieder um eine Kleinigkeit gegenüber dem Vorjahre ge⸗ sunken. Jedenfalls ist nach Conrad's Ansicht die Tendenz zur Preissteigerung noch in keiner Weise zu bemerken. Während gegenüber dem Durchschnitt von 1879/89 bis 1892/93 die Verhältniß⸗ zahlen wie 100: 95,3 und 95,5, 1894 aber 82,5 stehen, stellt sich die Ver⸗ hältnißzahl für 1895 auf 81,95 und gegenüber dem Durchschnitt von 1879/83 auf 77,8. Obgleich also, wie aus allen Berichten hervor⸗ geht, Handel und Industrie im letzten Jahre einen allgemein beachtenswerthen Aufschwung genommen haben, so ist das in den vor⸗ liegenden Preisen nicht zu bemerken. Ein Anlaß zu dem Aufschwung ist also nach Conrad’s Ansicht in den Preisen selbst nicht gegeben. In fast allen Branchen, für welche Conrad Zahlen beibringt, zeigen die beiden Jahre eine außerordentliche Uebereinstimmung. Im Vergleich mit der Periode 1879/89 waren die beiden Hauptgetreidearten in den beiden letzten Jahren auf 83,7 und 82,6 zurückgegangen, was dem iwereee Durchschnitt der Waarenpreise überhaupt etwa entspricht. Das Rohmaterial für die Textilindustrie war noch wesent⸗ lich mehr, nämlich auf 74,8 zurückgegangen; die verschiedenen Metalle auf 76,6. Gestiegen waren dagegen der ordinäre Riokaffee auf 139 dann Steinkohlen auf 140,6; 2 Hanf etwas, dann Spiritus auf 105,6. Alle übrigen Artikel sind gefallen, am meisten Pfeffer und Rohzucker auf 39, Raffinade und Zinn auf 66.
Diese Erscheinung veranlaßt Conrad zu folgenden Bemerkungen: „Das ist in mehrfacher Hinsicht in hohem Maße auffallend und giebt zu denken. Nicht nur die extremen Anhänger des Bimetallismus haben das Sinken der Preise auf eine Vertheuerung des Goldes zurück⸗ be. sondern auch Männer, welche auf dem vermittelnden Standpunkte fie een, wie der Referent. Die Goldvertheuerung wurde auf die Ab⸗ nahme der Goldproduktion bei Erweiterung der Nachfrage geschoben und auf die daraus resultierende Goldknappheit. Nun ist in den letzten Jahren die Goldproduktion gen enorm gesteigert, sodaß von einer Goldknappheit nicht mehr die Rede sein kann, sondern man nicht mit Unrecht von einer Ueberfülle an Gold gesprochen hat welches sich thatsächlich bei den Hauptbanken im Uebermaß aufgestau hat, wie solches kaum jemals zuvor beobachtet gewesen sein dürfte. Wir verweisen auf den Artikel von Lexis in diesem selben Heft (s. „R.⸗ u. St.⸗A.“ Nr. 101). Man kann sich hiernach der Schluß⸗ folgerung nicht entziehen, daß, wenn diese Umgestaltun in der Goldproduktion und der thatsächlich reichliche Vorrat an Gold gar keinen ersichtlichen Einfluß auf die Preise auszu⸗ üben vermocht hat, auch nicht die frühere unbedeutende Abnahme in der Goldgewinnung die Ursache der Preissenkung gewesen sein kann; und in den Nachfrageverhältnissen hat sich in den letzten Jahren so wenig geändert, daß die Verschiebung in der Produktion zur vollen Geltung kommen mußte.“
„Es sei — führt Conrad weiter aus — auch klar Svee; d die Entwerthung des Silbers nicht eine Folge der Goldknappheit sondern der 5 Silberproduktion. Alle Aufstellungen der extremen Bimetallisten fielen damit in sich selbst zusammen. Da ferner die verminderte Zufuhr an Weizen aus Indien ergeben habe, daß dasselbe trotz des niedrigen Silberstandes eine erhebliche Bedeutung für den europäischen Getreidemarkt nicht mehr bei den f en niedrigen Preisen zu bewahren vermochte, so liege für Deut jetzt
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