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pruck acceptiere ich aus dem Munde des Herrn Ober⸗Bürgermeisters
Zelle — die drückendste Noth der Lehrer wird dieses Gesetz ganz gleichmäßig vermindern. Nach dieser Seite hin wird es ganz gewiß nicht verschiedca wirken in den verschiedenen Landestheilen. Meine Herren, wir haben uns in sehr bescheidenen Grenzen zu halten gesucht, als dieses Gesetz mit Rücksicht auf die vorhandene Noth unter den Lehrern, der in irgend einer Weise gesteuert werden muß, entworfen wurde, und gerade in der Beschränkung, wie es jetzt vor Ihnen liegt, habe ich die sichere Zuversicht, daß damit ein reicher Segen gestiftet werden wird.
Ich will hier nicht darauf eingehen, wie weit sich über Einzel⸗ heiten der Bestimmungen sprechen ließe; es giebt einzelne Bestim⸗ mungen, wo man vielleicht anderer Meinung sein kann. Aber, meine Herren, daß das Gesetz einem sehr dringend empfundenen Bedürfniß abhelfen wird, das können Sie schon daraus ersehen, daß die 67 000 Lehrer, die wir haben, mit einer erstaunlichen Einstimmigkeit in allen ihren Lehrer⸗Zeitschriften, in allen ihren Versammlungen schließlich mit diesem Gesetz sich einverstanden erklärt haben. Meine Herren, dem gegenüber erscheinen mir auch die Einwendungen des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Zweigert nicht so belangreich, daß sie mich an dem Gesetz irgendwie irre zu machen vermöchten. Er hat gemeint, das Zahlenmaterial in der ursprünglichen Begründung sei nicht so sorgfältig geprüft, wie man es sonst bei Vorlagen der König⸗ lichen Staatsregierung gewöhnt sei und wie man es auch von ihr verlangen könne. Gewiß kann man das verlangen, aber, meine Herren, die Differenzen, die dort hervorgetreten sind, sind in der That sehr leicht zu erklären. Die Differenz in der Zahl der Lehrer erklärt sich sehr durchsichtig daraus, daß in dem einen Falle die Hilfslehrer einbegriffen sind und in dem anderen Falle nicht. Die Zahl der Lehrer⸗ und Lehrerinnenstellen auf Seite 34 der Mo⸗ tive stimmt überdies mit der Zahl, die auf Seite 38 angegeben ist, genau überein, und der Stichtag für diese Zahlen ist der 1. Oktober 1894. Seite 40 sind die Hilfslehrerstellen mit⸗ gezählt, welche Seite 39 neben den ordentlichen Lehrerstellen nach⸗ gewiesen sind, weil inzwischen in der Begründung ausgeführt ist, daß diese Stellen beim Inkrafttreten des Gesetzes in ordentliche Lehrer⸗ stellen umgewandelt werden sollen. Ja, meine Herren, das sind Verschiedenheiten in den Zahlen, für die man nicht die Zahlen und auch nicht diejenigen verantwortlich machen sollte, die sie zusammen⸗ gestellt haben, sondern die in der Natur der Dinge liegen, die mit diesen Zahlen bewiesen werden sollen. Ebenso verhält es sich mit den Durchschnittszahlen; wenn ich für den ganzen Staat Durchschnitts⸗ zahlen angebe, so kann Herr Ober⸗Bürgermeister Zweigert unmöglich verlangen, daß nun für jede einzelne Stadt auch diese Durchschnitts⸗ zahlen bis auf das tz stimmen sollen (Zuruf: Hat er auch nicht!), das ist unmöglich; dann sind es keine Durchschnittszahlen mehr, dann sind es eben absolute Zahlen.
Nun hat sich der Haupteinwand des Herrn Ober⸗Bürgermeisters Zweigert gegen die Alterszulagekassen gerichtet, die auch von Herrn Zelle wesentlich als gegen das Interesse der Städte verstoßend bezeichnet wurden. Meine Herren, zunächst darf ich hervorheben: die Ueberzeugung, daß wir unsere Schulen nicht aus Gemeindeschulen in Staatsschulen um⸗ wandeln dürfen, und daß wir, wenn wir das thäten, nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch gegen das lebendige Interesse unseres Volks handelten — diese Ueberzeugung theile ich und theilt die Staatsregierung in vollstem Maße. (Hört! hört!) Aber, meine Herren, darauf ist auch die ganze Sache garnicht abgesehen. Wenn Herr Ober⸗Bürgermeister Zweigert eingewendet hat, das sei ja doch ganz klar, daß hier eine staatliche Verwaltung bestellt würde, denn die Bezirksregierung sollte ja die Verwaltung dieser Alterszulagen haben — ja, meine Herren, dann hat er übersehen, daß hier bei den Alters⸗ zulagekassen überhaupt nichts zu verwalten ist. Die ganze Verwaltung der Alterszulagekassen ist lediglich eine Mühe, die von den sub⸗ alternen Beamten unserer Kassen gemacht wird (Unruhe), und im übrigen besteht sie nur in einer kalkulatorischen Vertheilung (Zurufe: sehr richtig! das ist es ja gerade!), die unseren kleinen Gemeinden sehr nützlich ist und für sie nothwendig ist, und die es endlich herbeiführen wird, daß auch den Lehrern des mittleren Lebensalters die Möglichkeit
ewährt werden wird, in die großen Städte zu kommen; denn gerade
hier wehren sich die Städte gegen die älteren Lehrer. Ich erkenne voll⸗
ständig an, was Herr Ober⸗Bürgermeister Zweigert gesagt hat, daß sie die älteren Lehrer längere Zeit ertragen haben. Ich bin ganz damit einverstanden, daß das unter Umständen von außerordentlichem pädagogischen Werth sein kann. Aber darin sind die Städte fast alle — mit wenigen Ausnahmen — einig gewesen, daß sie eine stark hervorgetretene Tendenz gezeigt haben, nur die jüngsten Lehrer zu wählen. (Sehr richtig!) Ja, meine Herren, da wird es keinem Lehrer möglich, gerade in den Jahren, wo seine Familie heranwächst, in die Städte zu kommen. Dazu sind die Alterszulagekassen gemacht — wir werden uns noch weiter darüber auseinandersetzen — und diesen Zweck werden sie, wenn sie in Kraft treten, erreichen. Darauf können Sie sich verlassen. Meine Herren, Herr Zweigert hat gesagt: wir möchten den Städten die Freude an ihren Schulen nicht stören. Nun, meine Herren, nicht stören wollen wir Ihnen die Freudigkeit, für Ihr Schulwesen zu sorgen, oh nein (Oho!), wir wollen sie erhöhen. (Lebhafter Widerspruch.) Ja wohl, das wollen wir. Sie thun so, meine Herren von den Städten, als wenn Sie für Ihr Schulwesen sorgten dem Staat und der Staatsregierung zu Gefallen. (Wider⸗ spruch und große Unruhe.) Nein, meine Herren, wenn Sie für Ihr Schulwesen sorgen, so thun Sie damit gegen Ihre Gemeinden ganz einfach Ihre Schuldigkeit. (Sehr richtig!) Sie pflegen damit das Beste und Edelste, was Sie haben, Ihre Kinder. Darum werden Sie — dies Vertrauen habe ich zu Ihnen — für Ihre Schulen auch dann sorgen, wenn in diesen verhältnißmäßig ganz unbedeutenden Punkten (Widerspruch und große Unruhe) Ihnen eine Fessel angelegt wird.
Nun, meine Herren, ich muß noch mit einigen Worten auf den § 27 kommen, gegen den Herr Ober⸗Bürgermeister Zelle im neesentlichen den Hauptangriff gerichtet hat. Meine Herren, ich kann in dieser Beziehung nur sagen, mit dem Herrn Grafen von Zieten⸗Schwerin, ich habe ein volles Verständniß dafür, daß es jedermann schwer wird, einen formell rechtlichen Besitz herauszugeben, und ich kann es deshalb auch verstehen, daß es den Städten nicht leicht wird, auf diesen Wunsch einzugehen. Aber, meine Herren, nicht um den Städten etwas zu geben, ist der Gesetz⸗ entwurf gemacht, nicht um den Städten einen Nachtheil und ein Unrecht zuzufügen; sondern er ist gemacht, um die Ungleich⸗ mäßigkeit auszugleichen (Unruhe), die zwischen dem platten Lande und den Städten bieher bestand. (Widerspruch.) Ja,
meine Herren, sie hat bestanden und sie besteht noch. Wenn Sie mit Ihren prozentualen Zahlen kommen — die beweisen gar nichts. Die Dinge liegen in den Städten ganz anders als auf dem platten Lande. Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel geben. Der wesent⸗ lichste Grund, weshalb wir geglaubt haben, mit rechtlichem und gutem Gewissen den Vorschlag des § 27 machen zu können, liegt darin, wie es auch Herr Zelle angedeutet hat, daß die Steuerreform dazwischen gekommen ist, daß inzwischen nach dem Erlaß der Schulerleichterungs⸗ gesetze vom Jahre 1889 den Städten und den Gemeinden die Real⸗ steuern überwiesen worden sind. Nun, meine Herren, muß man doch nur die Verhältnisse auf dem Lande kennen und in der Stadt kennen, um sich ein Bild davon zu machen, wie verschieden diese Ueber⸗ weisung wirkt. Die Städte sagen: ja, ihr habt ja dem Lande auch die Realsteuern überwiesen. Nun vergleichen Sie doch mal z. B. eine arme pommersche Gemeinde mit einer großen Stadt. Wir haben eine, die bringt im Ganzen 18 ℳ jährlich an Einkommen⸗ steuer. Nun, dieser Gemeinde ist die Gebäudesteuer überwiesen. Gewiß, das steht auf dem Papier. Was macht sie mit der über⸗ wiesenen Gebäudesteuer? Die Gebäude, die da sind, sind werthlos oder nahezu werthlos. Neue Gebäude giebt es nicht. Gebäude, aus denen als Steuersbjekten irgend welcher Werth herausgezogen werden könnte, sind nicht vorhanden. Andererseits hat die Stadt Berlin aus der Ueberweisung der Gebäudesteuer, Betriebs⸗ und Gewerbe⸗ steuer allein eine Einnahmequelle von 14 Millionen Mark. Und das ist ja auch ganz natürlich. Bei allen wachsenden großen Städten wirkt die Ueberweisung der Realsteuern ganz ähnlich, während das platte Land ganz leer dabei ausgeht. Es ist deshalb ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit (Unruhe), wenn wir sagen: ihr Städter könnt sehr wohl das tragen und könnt dem Lande das gönnen, daß es im Großen und Ganzen wegen seiner Leistungsunfähigkeit anders be⸗ handelt wird als die Städte. (Zustimmung und Widerspruch.) Das ist der tiefste Grund dieses Gesetzes, mag es im einzelnen zu stande kommen oder nicht, das kann ich nicht wissen, jeder wird nach seinem bestem Gewissen stimmen. Aber ich theile mit der Königlichen Re⸗ gierung die Meinung, daß es sich um einen Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit handelt zu Gunsten des überlasteten platten Landes, und ich glaube, daß ich das vor Gott und den Menschen vertreten kann. (Lebhafter Beifall und Widerspruch.)
Graf von Klinckowström: Bei keiner Vorlage ist uns die Entscheidung so schwer gewesen wie bei dieser. Wir wünschen die Vortheile für die Lehrer, andererseits stehen aber schwere prinzipielle Bedenken entgegen. Wir wollen dieses Gesetz nicht ohne ein allge⸗ meines Schulgesetz. Das Schulwesen bedarf dringend einer festen gesetzlichen Grundlage. Die Erklärung des Ministers im Abgeord⸗ netenhaus hat unsere Hoffnung darauf getäuscht. Wenn der Zeitpunkt dafür aus politischen Gründen jetzt nicht da ist, kommt er überhaupt nie. Aber ganz abgesehen davon, ist die Vertheilung der Schullasten nach dieser Vorlage ganz undurchführbar. Die Schullasten für das Land werden erhöht und für die Städte noch mehr erhöht. Die Regierung muß bei jedem Gesetz die Nothlage der Landwirthschaft beachten. Wir können den Gemeinden keine größeren Lasten mehr auferlegen, oder nur dann, wenn die Dotationen anders gesetzlich festgelegt werden. Nur dann könnte ich für das Gesetz stimmen. Die Lehrer werden auch nicht befriedigt. Wir können nicht für die Vorlage stimmen. Lehrerbesoldung, Dotations⸗ gesetz und Schulgesetz gehören zusammen.
Geheimer Ober⸗Finanz⸗Rath Germar entschuldigt die Abwesen⸗ heit des Finanz⸗Ministers und tritt einigen Ausführungen des Ober⸗ Bürgermeisters Zelle entgegen. Die leistungsfähigen Städte be⸗ dürften der Staatszuschüsse nicht. Die Berechnung für Berlin von 18 Millionen Ausfall und 14 Millionen Ueberweisung stimme nicht, die Kommunalsteuerreform habe jedenfalls die Städte besser gestellt als früher. Berlin habe im vorigen Jahre nur 96 % Einkommen⸗ steuerzuschlag gebraucht, die Miethssteuer von 13 Millionen habe ganz in Fortfall kommen können. Die Schullasten auf dem Lande seien prozentual bedeutend höher als in den Städten.
Professor Reinke⸗Kiel: Bisher ist nur der Interessenstandpunkt geltend gemacht worden, es ist eine Ehrenpflicht, eine richtige Ver⸗ theilung der Schullasten vorzunehmen. Mit der Tendenz der Vor⸗ lage können wir alle einverstanden sein. Der Schwerpunkt liegt nicht in dem Grundgehalt, sondern den Alterszulagen. Einzelne Be⸗ stimmungen können ja Bedenken erregen, aber wir im Interesse des Vaterlandes diese Aufgabe zu lösen suchen. Der Bolksschullehrer bildet eine der Hauptstützen unseres Heeres; Frank⸗ reich thut aus patriotischen Rücksichten mehr für die Bildung des Volks. Allerdings hat das Gesetz 8 Haken, die das Gesetz, wenn sie nicht beseitigt werden, in diesem Haufe nicht zur Annahme gelangen lassen. Auch ich kann nicht zustimmen, wenn die Bestimmung über die Kürzung des ft etzzuschusse an die Gemeinden nicht geändert wird. Der Fort⸗ fall der Zuschüsse muß in den Städten Erbitterung erregen. Es ist nicht Deutsch, zu fragen: was ist recht? sondern: was ist recht und billig? Was würden die Provinzen sagen, wenn ihnen Dotationen entzogen würden, auf die sie ihren Etat eingerichtet haben? (Zuruf: Grundsteuerentschädigung!) Es wäre politisch höchst bedauerlich, wenn das Gesetz in der des Abgeordnetenhauses zu stande käme. Sollen die Städte dafür bestraft werden, daß sie soviel für das Schulwesen gethan haben? Aber ich rathe doch, das Gesetz nicht von vornherein abzulehnen, sondern eine Verständigung darüber zu versuchen. Die Regierung könnte damit sich begnügen, wenn die Städte auf mehr Zuschüsse, als sie bisher haben, für die Zukunft verzichten, man ihnen aber das läßt, was säbibegt be⸗ kommen. Daß den Städten thatsächlich ein Unrecht geschieht, hat das Abgeordnetenhaus anerkannt, indem es den Dispositionsfonds für Erhöhung der Zuschüsse der Regierun zur Verfügung stellte. Das ist selbst für die Regierung, wenn nicht ein Danaergeschenk, so doch ein dorniges Geschenk. Dieser Ausweg ist nicht zu empfehlen. Die Bedenken wegen der Alterszulagenkassen werden sich durch gegenseitiges Entgegenkommen wohl beseitigen lassen. Ich hoffe doch auf das Zustandekommen des Gesetzes.
Ober⸗Bürgermeister Becker⸗Köln: Die bestehenden Verhält⸗ nisse, wie sie erst vor einigen Jahren geschaffen wurden, sollen wieder zertrümmert werden. Die Steuerreform sollte die Gemeinden ent⸗ lasten, und jetzt kann die Regierung nicht schnell genug die Steuern erhöhen. Wir können uns das Geld doch nicht aus den Rippen schneiden, wir müssen die Steuern erhöhen. Es muß doch eine ge⸗ wisse Kontinuität in der Gesetzgebung bestehen, ich bekämpfe am meisten diese kleinlichen Manöver zur Erhöhung der Lasten. Wir müssen seit der Steuerreform alle mehr bezahlen. Man will alles bureaukratisch regeln nach einer Schablone, und die Gemeinden haben nur noch zu bezahlen. Sehr bedenklich sind die Alterszulagenkassen; sie sind eine Prämie auf schlechte Lehrergehälter und überfüllte Klassen. Der Kampf ums Dasein ist in den Städten viel schwieriger als auf dem Lande, der Bildungsgrad dort — daher ein höherer 3. als auf dem Lande, das Stadtschulwesen bedarf größerer
ufwendungen. Ein Lehrer, der sein Leben lang auf dem Lande elebt hat, paßt nicht für die Stadt. Kommt es dem Fhnan ⸗Mise hier nur darauf an, ein paar Milliönchen zu ersparen?
inen anderen Grund kann ich nicht finden und habe ich nicht gehört. Wenn die Städte für die Zukunft mit dem zufrieden sind, was sie jetzt haben, so handelt es sich schließlich um eine so geringe Summe für den Staat, daß sie diese große Verstimmung über das Gesetz gar nicht werth ist. So, wie es liegt, können wir aber das Gesetz nicht annehmen. Die Regierung sollte darauf verzichten und erst weitere Erwägungen anstellen." Bearadd a. 5. 88
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Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Besorgen Sie nicht, daß ich in diesem Moment dem Herrn Ober⸗Bürgermeister Becker in die Einzelheiten seines Vortrags folgen will. Das würde doch zu nichts führen. (Rufe: O doch!) Das Urtheil wird bei den Einzelnen, wie ich glaube, im wesentlichen festgelegt sein, und wo es sich um Einzelheiten handelt, da wird auch die Kommissionsberathung der einzige Weg sein, auf dem man eine Verständigung erzielen kann. Meine Herren, ich möchte nur eins zurückweisen, was der Herr Ober⸗ Bürgermeister gesagt hat. Von ihm ist mir zum ersten Mal in meinem Leben der Vorwurf gemacht worden, daß ich etwas sozialistisch sei. Nun, meine Herren, wie steht es denn mit dem Herrn Ober⸗ Bürgermeister Becker? Er hat uns die Frage vorgelegt: Was gleicht besser aus als die Staatskasse? Aber das ist natürlich nicht sozialistisch! Ja, meine Herren, wenn das nicht sozialistisch ist, dann kann ich den Vorwurf meiner sozialen Neigung mit Fug und Recht zurückweisen.
Nun, meine Herren, ich habe die Empfindung, daß ich Ihnen noch ein Wort schuldig bin über den Zusammenhang der Vorlage mit dem Schulgesetz. Ich will auf die speziellen Gründe, die die Königliche Staatsregierung bestimmt haben und bestimmen, den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für geeignet zur Vorlegung eines allgemeinen Schulgesetzes zu halten, nicht näher eingehen, ich habe mich wiederholt sehr ausführlich darüber ausgelassen. Aber, meine Herren, ich möchte darauf aufmerksam machen, daß durch den Zusammenhang, in den man die Vorlage mit dem allgemeinen Schulgesetz bringt, soweit ich zu sehen vermag, man die Wünsche, die auf Vorlegung eines allgemeinen Schulgesetzes gehen, nicht gefördert hat. Auch mit der Ablehnung dieses Gesetzes wird die politische Lage, die nach der Meinung der Staatsregierung jetzt der Vorlegung eines Schulgesetzes entgegensteht, nicht geändert. Erreicht
wird dadurch nur, daß die Lehrer, die so lange schon warten auf eine
Verbesserung ihrer Nothlage, wiederum vertröstet werden, und daß si wiederum gegen dieses hohe Haus oder gegen diejenigen, die im anderen Haus gegen dieses Gesetz gestimmt haben, ihre Mißstimmung aus⸗ lassen. Es handelt sich nicht bloß darum, wie Herr Becker annimmt, daß wir jedem Lehrer aus einem erhöhten Dispositionsfonds eine Kleinig⸗ keit zulegen — das wäre ja vielleicht zu machen, insofern der Herr Finanz⸗Minister sich bereit erklärte, das Geld zur Disposition zu stellen —, sondern der Hauptgrund, den wir gehabt haben, war der, daß, wie wir die Gehaltsbezüge anderer Beamtenklassen auf eine feste Rechtsgrundlage gestellt haben, wir in diesem Punkt auch den Lehrern in gleicher Weise aus Gerechtigkeits⸗ und Billigkeitsrücksichten haben helfen wollen. Das, meine Herren, sind die Gründe, die mich be⸗ stimmen, Sie zu bitten, daß Sie dem Antrag des Grafen Zieten⸗ Schwerin, die Vorlage an eine Kommission zu verweisen, zustimmen mögen, und — ich will nicht sagen, ich zweifle nicht, aber ich habe wenigstens die Hoffnung, daß es möglich sein wird, eine Verständigung über die Vorlage herbeizuführen.
Ein Schlußantrag wird angenommen.
Ober⸗Bürgermeister Giese⸗Altona empfiehlt, die zweite Lesun ohne Kommissionsberathung im Plenum vorzunehmen, da es fih um große prinzipielle Bedenken handle, die nicht in einer Kommission, sondern nur im Plenum behandelt werden könnten.
Ober⸗Bürgermeister Struckmann⸗Hildesheim spricht sich da⸗ gegen für Kommissionsberathung aus, während Ober⸗Bürgermeister ae Magdeburg sich der Meinung des Herrn Giese an⸗
Der Antrag auf Kommissionsberathung wird abgelehnt.
Vize⸗Präsident Freiherr von Manteuffel geht sofort zur Spezialberathung über; es entspinnt sich eine Ges äfts⸗ ordnungsdebatte darüber, ob die sofortige Spezialberathung zulässig sei. Graf von Hohenthal beantragt die Vertagung, weil das Haus mit der Ablehnung der Kommissionsberathung überrumpelt worden sei. Der Antrag findet jedoch nicht die Unterstützung.
arauf werden die einzelnen Paragraphen des Gesetzes ohne Debatte sämmtlich abgelehnt. Nur eine kleine Minderheit erhebt sich für dieselben.
Die Gesammtabstimmung über das ganze Gesetz findet am Sonnabend 1 Uhr statt. 8 ““
Schluß 4 ½ Uhr. “
Haus der Abgeordneten. 61. Sitzung vgam 30. April 1896.
Dem Hause ist ein Schreiben des Staats⸗Ministeriums zugegangen, in welchem die Mitglieder des Hauses auf Grund einer Zuschrift der ungarischen Regierung auf die mit der Millenniumsfeier in Budapest verbundene Ausstellung hin⸗ gewiesen und zu dem Besuch derselben eingeladen werden.
Vize⸗Präsident Freiherr von Heereman wird der Königlich ungarischen Regierung den Dank des Hauses durch Vermittelung des preußischen Staats⸗Ministeriums aussprechen.
Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.
Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Ent⸗ wurfs eines Gesetzes bhr Ergänzung des Gesetzes vom 31. Juli 1895, betreffend die Errichtung einer Zentralanstalt zur
örderung des genossenschaftlichen Personal⸗ redits. Die der Zentralgenossenschaftskasse vom Staat als Grundkapital gewährte Einlage soll von 5 auf 20 Millionen Mark erhöht werden. “
Abg. von Mendel⸗Steinfels (kons.): Diese Vorlage ist eine Konsequenz des im vorigen Jahre mit großer Mehrheit beschlossenen Gesetzes. Wir haben schon damals 20 Millionen gefordert. Wir stehen also schon deshalb der Vorlage sympathisch gegenüber, wenn wir auch einer Prüfung derselben nicht widersprechen wollen. Nur der Schulze⸗Delitzsch'sche Genossenschaftsverband steht dieser ganzen Idee feindlich gegenüber; er bezeichnet die Seeeöe Genossen⸗ schaften als Bästardhenofsenschaften. Die Schulze⸗Delitzsch'schen Kassen haben den Handwerkern und überhaupt den Städten genutzt, für die Landwirthe passen sie nicht, wenigstens für diejenigen, welche keine großen flüssigen Kapitalien haben. Man sollte das Kampfbeil begraben und jeder auf seinem Gebiete das erstrebte Ziel verfolgen. Die Zentralgenossenschaftskasse soll den Landwirthen und Handwerkern einen auf ihre Verhältnisse zugeschnittenen Kredit gewähren; der Landwirth kann heute nicht 5 bis 7 % geben, wenn er nicht an den Bettelstab kommen will. Eine Schablone wäre hier vom Uebel. So jung die Kasse ist, so koulant ist sie bisher gegen die Genossenschaften gewesen. Wenn es heißt, die 5 Millionen wären eine Lappalie, so ist dies allerdings richtig; deshalb muß eben zur Finanzterung des anzen Unternehmens das Grundkapital erhöht werden. Die Zentralkasse ht ein Antrieb zur Genossenschaftsbildung, also ein Sporn zur Selb hilfe. Warum will man diese Entwickelung hemmen? Man gönne auch der Landwirthschaft diese kleine Hilfe. Wir wollen keine Liebes⸗ gabe, denn wir zahlen Zinsen. 4 % ist aber das höchste, was die Landwirthe an Zinsen zahlen können.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
„Anzeiger und Königlich
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Abg. Dr. von Woyna (fr. kons.): Meine Freunde stehen der Vor⸗ lage ebenfalls sympathisch gegenüber; aber auch wir vermissen mit dem Abg. Knebel in den Motiven eine 218. der bisherigen Geschäftsgebahrung der Zentralkasse; hoffentlich wird das Versäumte in der Kommission nachgeholt. Wir wünschen, daß die Sparkassen an die Zentralgenofsenschaftskasse angeschlossen werden, aber nicht auf Grund des in “ gestellten Sparkassengesetzes. Wir haben in Osnabrück bei der städtischen Sparkasse bereits eine ähnliche Ausgleichstelle, wie
es die Zentralkasse sein soll, und die Erfahrung hat gezeigt, daß ihr
mebhr Geld zugeführt als von ihr entnommen wird.
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Ich möchte mir gestatten, auf einige Fragen des Herrn von Woyna
zu antworten.
Er hat gefragt, ob der Zentral⸗Ausschuß schon gehört wäre, der nach Maßgabe des Gesetzes eingesetzt ist. Ich kann darauf antworten, daß sehr bald nach Eröffnung des Geschäftsbetriebs der Zentral⸗ Ausschuß zusammengetreten ist, und daß mit dem Zentral⸗Ausschuß die ganze Geschäftsgebahrung, die Grundsätze, die dabei in Anwendung zu kommen haben, eingehend erörtert sind, und daß ein vollständiges Einverständniß mit den Herren vom Zentral⸗Ausschuß und der Ver⸗ waltung erzielt worden ist. Es ist die Absicht, in der allernächsten Zeit den Zentral⸗Ausschuß nochmals zu berufen und ihm Kenntniß zu geben von der Entwickelung, die in dieser Zwischenzeit eingetreten ist, mit ihm eine Reihe von Fragen zu erörtern und ihm Gelegenheit zu geben, Wünsche, wenn solche etwa vorhanden sein sollten, Beschwerden zur Erwägung zu bringen. Wir werden natürlich bemüht bleiben, mit den Vertretern der Verbandskassen, mit denen wir in Geschäfts⸗ verbindung sind, in der allerregesten und eingehendsten Verbindung zu bleiben, über die ganze Geschäftsführung mit uns denselben stets auf dem Laufenden zu erhalten.
Was die Frage der Sparkassen betrifft, so möchte ich darüber auch ein Wort sagen. Bei der Berathung des Gesetzentwurfs traten allerdings Wünsche hervor, den Gesetzentwurf von vornherein so zu gestalten, daß die Kasse zu einer wirklichen Ausgleichsstelle auch für das gesammte Sparkassenwesen in Preußen werden solle. Damals konnte diesen Wünschen aus verschiedenen Gründen nicht Rechnung getragen werden, um so weniger, als damals in eingehender Weise die Frage wegen Erlasses eines neuen Sparkassengesetzes berathen wurde. Mir persönlich schien es auch bedenklich, zwei große Zwecke von vornherein beim ersten Anfange neben einander in Angriff zu nehmen. Ich hatte damals und habe heute noch die Ansicht, daß
man sich in keiner Weise von dem Hauptzweck dieser Kasse entfernen muß, die genossenschaftliche Entwickelung zu fördern. Das war der Grund, aus welchem man damals in dieser Frage nicht weiter kam. Ich
habe aber selbst damals anerkannt, daß diese Frage eingehend zu prüfen sein würde, daß man keineswegs sich grundsätzlich da ablehnend
zu verhalten brauche, und daß man demnächst, wenn man Erfahrungen
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gesammelt habe über den Fortgang der Kasse und ihre Thätigkeit, auf diese Frage zurückkommen würde. So ist also der Gesetzentwurf
dahin zu stande gekommen, daß nur eine zur Förderung des Genossen⸗
schaftswesens bestimmte Ausgleichsstelle für den Geschäftsverkehr der Genossenschaften errichtet werden solle. Daran müssen wir zur Zeit auch noch festhalten. Alles, was die Genossenschaftskasse thut, muß diesem Zweck untergeordnet sein. Wir können nicht Geschäfte im allgemeinen betreiben, sondern nur diejenigen, welche diesem Haupt⸗
1— zweck dienen. Zu diesem Behuf kann es nur mit Freude begrüßt
werden, wenn die Sparkassen Gelegenheit nehmen, Depositen der Kasse zuzuweisen, und es ist ganz natürlich, daß sich hieraus mehr oder weniger ein offenes Konto entwickelt in der Weise, daß, wenn mal eine Sparkasse Bedarf an Geld hat, ihr auch auf der Grundlage der der Kasse zustehenden Befugniß Lombarddarlehne gegeben, also gegen Sicherheit Vorschüsse gegeben werden.
Das ist aber nicht der Hauptzweck der Sache und kann doch nur im Ganzen nebenher laufen. Ich bin überhaupt kein besonderer
Frreund davon, wenn die Sparkassen ihrerseits anfangen, Geld zu
leihen und auszuleihen in dem gewöhnlichen Geschäftsverkehr einer
Bank. Das ist etwas, was ich gar nicht besonders berücksichtigen möͤchte. Ich halte es auch für die Sparkassen in den östlichen Pro⸗
vinzen, die häufig mehr Nachfrage nach Geld haben, als sie Einlage bekommen, doch nicht für sehr erwünscht, in allzu ausgiebigem Maße Geld zum Ausleihen ihrerseits wieder anzuleihen.
Ich wollte dies nur hervorheben, um zu zeigen, daß die Spar⸗ kassenfrage, wenn ich so sagen soll, die Stellung der Sparkasse gegenüber der Genossenschaftskasse noch keineswegs grundsätzlich bisher geändert werden konnte. Das Gesetz läßt das auch zur Zeit nicht zu; aber eine rege Verbindung mit den Sparkassen, namentlich nach der Richtung hin, daß sie überflüssige Gelder in Depot geben bei der Ge⸗ nossenschaftskasse, gelegentlich auch mal gegen Lombard bei vorüber⸗ gehenden Bedürfnissen von der Kasse Vorschuß erhalten, — das kann uns nur im höchsten Grade erwünscht sein, und das Zirkularschreiben, das in dieser Beziehung erlassen ist, hat auch schon bisher in der kurzen Zeit ganz überraschende Erfolge gehabt. Es kann in dieser Beziehung vielleicht in der Kommission der Herr Präsident noch nähere und genauere Auskunft geben.
Meine Herren, im allgemeinen, glaube ich, hat Herr von Mendel ganz recht, wenn er sagt: Diese jetzige Vorlage ist die Konsequenz des ersten Gesetzes. Wir waren alle besorgt, da wir einen ganz neuen Boden betraten, gleich das Grundkapital zu sehr zu erhöhen; wir fingen klein an in der Hoffnung, daß aus diesem kleinen Anfange ein großes Werk werden würde. Das war die allgemeine Stimmung hier im Hause. Ich habe sie damals selbst getheilt; ich fühlte ja sehr wohl, daß wir hier auf einen ganz neuen Boden traten, und ich trat daher erst vorsichtig mit einem Bein auf denselben. Nun hat sich aber, wie wir doch sagen müssen, die Thätigkeit dieser Genossenschafts⸗ kasse in einer ganz überraschenden und — ich glaube sagen zu dürfen — höchst erfreulichen Weise entwickelt. Wenn wir in dieser kurzen Zeit unsere Geschäftsthätigkeit so erheblich haben ausdehnen können; wenn wir die Kapitalien, die dazu erforderlich waren, so haben
e Beilage
Berlin, Freitag, den 1. Mai
wachsen sehen; wenn wir die Neubildung von Genossenschaften in einem so starken Fortschritt vor uns haben; wenn wir doch vollkommen überzeugt sein können, daß dieser erfreuliche Fortschritt wesentlich durch die Existenz der Genossenschaft selbst und durch das Eingreifen der⸗ selben und durch die Förderung der Genoss enschaftsbildung entstanden ist: so brauchen wir doch nun nicht mehr so ängstlich zu sein, wie wir das erste Mal waren. Wir sehen den Bedarf an Grundkapital be⸗ stimmter vor uns, die Genossenschaftskasse hat in diesem Augenblick von der General⸗Staatskasse einen sehr bedeutenden Vorschuß in Händen. Das ist für die General⸗Staatskasse gar nicht unangenehm; denn augenblicklich sind wir in der Lage, diesen Vorschuß ihr geben zu können, und wenn wir 2 ½ % Zinsen bei dem gegenwärtigen Dis⸗ kontsatz bekommen, so kann die General⸗Staatskasse vollständig zü⸗ frieden sein; wir würden sonst das Geld mittels der Seehand lung für einen geringeren Zinsfuß aller Wahrscheinlichkeit nach ausleihen müssen. Aber es ist doch nicht richtig, daß die Genossenschaftkasse mehr oder weniger angewiesen ist auf eine solche Hilfe der General⸗Staatskasse; denn die General⸗Staatskasse kann in dieser Beziehung eine dauernde Garantie gar nicht geben, sie kann genöthigt sein, von heute auf morgen ihre Vorschüsse zurückzuziehen. Der Bedarf und die der General⸗Staatska sse zur Disposition stehenden flüssigen Mittel wechseln ganz außerordentlich in einem Quartal, ja nach Monaten um Beträge, deren Höhe ich garnicht nennen möchte. Es ist also, wenn wir die Genossenschaf ts⸗ kasse auf eine solide Grundlage stellen, wenn wir sie gewissermaßen unabhängig machen wollen von der zeitweiligen Lage der General⸗ Staatskasse, nach der bisherigen Erfahrung eine Erhöhung des Grund⸗ kapitals unbedingt erforderlich.
Nun kann man sagen, 15 Millionen genügten auch, ebenso wie man sagen kann, 25 Millionen sind erforderlich; aber wenn Sie den Umschlag der Genossenschaftskasse, die jetzt schon vorhandenen aus⸗ stehenden Beträge, die sich fast monatlich vermehren, in Betracht ziehen, so glaube ich, haben wir nicht zu hoch gegriffen, wenn wir, um für längere Zeit mit der Sache auszureichen, auf den Betrag von 20 Millionen gegriffen haben.
Meine Herren, alle die sonstigen Befürchtungen, die damals auch wohl aus politischen Gesichtspunkten an die Genossenschaftskasse ge⸗ knüpft sind, das werden, glaube ich, die Gegner von der Sache mir jetzt wohl selbst zugeben, sind in keiner Weise eingetroffen. (Zuruf.) Indeß wollen wir abwarten, ob das noch kommt! Vorläufig konstatiere ich, daß die Genossenschaftskasse zwischen allen politischen Parteien, religiösen und selbst nationalen An⸗ schauungen durchaus neutral gewesen ist, daß sie in keiner Weise versucht hat, die eine oder andere Art der Genossenschaftsbildun g vorzuziehen oder zu begünstigen. Und wenn die Herren von den Schulze⸗ Delitzsch'schen Kassen zu uns kommen, werden sie finden, daß sie denselben wohlwollenden Empfang wie alle übrigen Genossenschaften haben werden, daß wir mit ihnen unter denselben Bedingungen Geschäfte machen werden wie mit allen anderen Genossenschaften und den Raiff⸗ eisenschen Kassen. Ich bin von jeher überzeugt gewesen, daß es sich hier um große soziale Aufgaben handelt, und daß die Lösung derselben sofort unmöglich werden oder wenigstens im höchsten Grade erschwert werden würde, wenn irgend welche Nebenrücksichten poli tischer oder anderer Art sich hineindrängen. Der Staat kann hier bloß auftreten als Vermittler eines großen allgemeinen Bedürfnisses für die Mittel⸗ klassen in Stadt und Land.
Mit Herrn von Woyna bedaure ich, daß wir bisher noch nicht so große Erfolge wie bei den ländlichen Genossenschaften für die Handwerker erreicht haben. Die Bildung solcher Genossenschaften, überhaupt die Förderung des Genossenschaftswesens für das Klein⸗ Gewerbe, ist aber auch erheblich schwieriger als die Bildung ländlicher Genossenschaften, und man konnte daher von vornherein sich denken, daß hier die Entwickelung eine langsamere sein würde. Aber alles, was wir sehen, bestätigt doch unsere Hoffnung, daß wir über kurz oder lang auch da zum Ziele kommen werden; es erstarkt auch in den Handwerker⸗ kreisen sehr vieler Städte die Klarheit über die beste Art des Vor⸗ gehens, und das Vertrauen der Handwerker, daß sie in der Genossen⸗ schaftskasse eine feste Stütze haben werden, ist im Wachsen. Ich hoffe, wir werden in unserem nächstjährigen Bericht an den Landtag über die Weiterentwickelung der Zentralgenossenschaftskasse jedenfalls bessere Resultate auch auf diesem Gebiete geben können. Meinerseits wünsche ich nur, daß diese Vorlage eingehend namentlich nach der finanziellen Seite in der Budgetkommission geprüft wird, und ich habe die volle Ueberzeugung, daß sie heil wieder aus derselben herauskommen wird. (Bravo!)
Abg. Graw (Zentr.) steht der Vorlage mit seinen Mmdem sym⸗ pathisch gegenüber. Allerdings könne man mit 20 Millionen keine roßen Sprünge machen, zumal wenn noch die Getreidegenossenschaften Feeeren Fndessen sei das Vorgehen der vöögierung dankbar zu
acceptieren und zu hoffen, daß aus der Kommission etwas Brauch⸗ bares herauskommen möge.
Abg. Pleß (Zentr.) spricht sich in demselben Sinne aus. Er sei gegen eine Angliederung der Bnacft ch ageng an die Sparkassen, Srn in kritischen Zeiten sehr bedenklich sein würde. Er ergreife die Vor⸗ lage freudig mit beiden Händen in der Hoffnung, daß die Zentral⸗ kasse auch das Handwerk befruchten möge; dazu müßten dann aller⸗ dings noch die Zwangsinnungen treten.
Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Die schnelle Entwickelung der Kasse beweist, daß ein Bedürfniß für dieselbe vorhanden war. Das Ver⸗ dienst für diese Entwickelung hat nicht nur der Finanz⸗Minister, son⸗ dern auch unser Kollege von Huene, mit dessen rnennung zum Leiter dieser Anstalt die Regierung einen sehr glücklichen Griff gethan hat. Die Kasse hat große allgemeine Gesichtspunkte in den Vordergrund gestellt, sehr in vortheilhaftem Gegensatz zu einer andern großen Anstalt, welche sich der Lombardierung der landschaftlichen Hypo⸗ thekenbriefe bisher feindlich gegenübergestellt hat. Der Zinsfuß der Zentralkasse muß ein stabiler, von dem übrigen Geldmarkt unab⸗ hängiger sein. Eine ge-nng. ihres Wirkungskreises wird zugleich ein Damm sein gegen den unheilvollen Einfluß des Großkapitalismus, des Großbankenthums. Wir wollen hier eine unabhängige Staats⸗ bank statuieren. Auf die Frage der Konvertierung will Redner an dieser Stelle nicht eingehen. Eine “ der Sparkassen an die Zentralkasse hält auch er für wünschenswerth im üteresse des Personalkredits.
Abg. Gothein (fr. Vg.) will den Reichsbank⸗Präsidenten
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Preußischen Staats⸗An
gegen den Seitenhieb des Vorredners nicht in Pchuß nehmen; Herr Dr. Koch habe selbst im Reichstage auf solche Angriffe sachlich und erschöpfend geantwortet; ebensowenig wolle er auf die sonstigen uferlosen Pläne des Herrn Arendt eingehen. Mit den hier digponibken Geldmitteln könne man doch nicht eine Reform des ganzen Personal⸗ kredits vornehmen. Gegenüber den Mitteln der freien Genossenschaftskassen sei das Kapital der entralkasse geradezu ver⸗ schwindend. Trotzdem ständen seine Freunde der Vorlage wohl⸗ wollend gegenüber, wenn sie auch uferlosen Plänen keinen Vorschub leisten wollten.
Abg. von Puttkamer⸗Ohlau Hean weist darauf hin, daß es sich hier gar nicht um eine Ver taatlichung des Personalkredits handle, und daß Herr Arendt keine uferlosen Pläne entwickelt habe. Redner verbreitet sich dann über die Ausführungen des Abg. Gothein bei der zweiten Berathung des Etats über das Genossenschaftswesen und gegen Ausführungen des Abg. Parisius in der Presse gegen seine Person. Die Schulze⸗Delitzsch'schen Genossenschaften paßten für ge⸗ wisse Verhältnisse sehr gut, aber nicht für die Landwirthe, und deshalb habe er in seinem Kreise die Raiffeisen'schen Vorschußvereine unterstützt, welche billigen Kredit gewähren. Wenn Herr Parisius ihm in den genossenschaftlichen Blaättern vorgeworfen, daß er vom Genossenschaftswesen nichts verstehe, so erwidere er einfach, daß er seit 10 Jahren mitten im Genossenschaftswesen stehe. Hoffentlich werde der Widerspruch gegen diese Vorlage in der Budgetkommission ebenso schwach sein, wie heute im Plenum.
Abg. Schenck (fr. Volksp.): Die Vorlage ist allerdings eine Konsequenz der vorjährigen Vorla e, und sie wird nicht die letzte sein; die Losung wird sein: Geld, Geld und immer wieder Geld und zwar im proportionalen Verhältniß zu der angeblichen Noth der Land⸗ wirthschaft. So groß sind die Erfolge der landwirthschaftlichen Ge⸗ nossenschaften denn doch nicht, wie man sie darstellt. Mit den Schulze⸗ Delitzsch'schen können sie sich nicht entfernt messen. Diese dienen 53 . wohl dem Handwerker wie dem Landwirth; ihre Erfolge wurzeln in dem Prinzip der Selbsthilfe und der Ablehnung jeder staatlichen Einmischung. Darum haben sie sich gegen die Zentral⸗Genossen⸗ schaftskasse ablehnend verhalten. Uebrigens müssen die Mitglieder der Genossenschaftsverbände am Ende doch 4 % Zinsen und darüber bezahlen, wenn das Geld von der Zentralkasse an die Genossenschafts⸗ verbände auch für 3 % abgegeben wird. Es liegt sehr nahe, daß viele Genossenschaften sich nicht halten und sehr bald eingehen werden, zum Schaden der ganzen Institution. Noch schlimmer wird die Sache durch den Zutritt der Kornhaus⸗Genossenschaften; wenn diese sich nicht halten können, wird das Großkapital der lachende Erbe sein. Den Staats⸗ kredit den Handwerkern zuzuwenden liegt kein Bedürfniß vor. Die Schulze⸗Delitzsch'schen Kassen genügen für diesen Zweck vollkommen und eröffnen ihren Kredit auch solchen Handwerkern, welche nicht Innungen angehören.
Abg. von Bockelberg (kons.): Herr Schenck betrachtet diese Genossenschaften vom grünen Tisch aus; daß er als Anwalt der Schulze⸗Delitzsch'schen Kassen hier auftritt, wollen wir ihm nicht ver⸗ argen. Diese letzteren haben eine ganz andere Aufgabe, das beweist schon die Thatsache, daß sie den inlegern 6 % Dividende zahlen. Die Zentralkasse hat klein begonnen und sich so entwickelt, daß jetzt
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ihr Grundkapital erhöht werden muß. Der niedrige Zinsfu nothwendig, wenn der Personalkredit gestärkt werden soll. Wir
es hier eben nicht mit normalen erhältnissen zu thun. Sollte die Verhältnisse sich ändern, so wird auch der Finsfuß erhöht werden müssen. Mit der Zeit wird auch die Höhe der Einlagen steigen, soda nicht zu befürchten ist, daß das Grundkapital noch weiter erhöh werden muß. Die Freunde des Herrn Schenck sehen natürlich dieses Institut mit scheelen Augen an; ja, warum wollen Sie denn unser Kreise stören? Gönnen Sie uns doch den billigen Kredit! Einen Verlust hat höchstens die General⸗Staatskasse durch den billigen Kredit; aber das wird sich mit der Zeit ausgleichen. Wir wollen 2 Kommissionsberathung nicht widersprechen.
Abg. von Eynern (nl.): Es ist kein Zweifel, daß diese Institution sich außerordentlich entwickelt hat. Die Zentralkasse hat aber den Nachtheil, daß sie nicht fremde Gelder als Darlehen heran⸗ ieht. Die Kasse arbeitet zu billig, weil sie ihre Gelder unterhalb des Standes des Geldmarkts ausleiht. Sie sollte zu dem landes⸗ üblichen Zinsfuß übergehen, wenn wir nicht Gefahr laufen sollen, daß in dem einen Jahre 20, in anderen 100 Millionen Grundkapital nothwendig sind. 8 8 8
Finanz⸗Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich bin erfreut, mich mu den Ausführungen des Herrn Abg. von Eynern durchaus einverstanden erklären zu können. Ich betone noch einmal bestimmt: Ich stehe ganz auf seinem Stand punkt, wenn er verlangt, daß diese Kasse keine Wohlthätigkeitsanstalt sein soll, sondern ein wirthschaftliches Unternehmen zur Förderung eines sozialen Zweckes. Ich meine aber auch, daß, was die Kasse bisher gethan hat, in keiner Weise diesem Standpunkt widerspricht. Wir haben von vornherein den Grundsatz aufgestellt: der Staat soll hier das Genossenschaftswesen fördern. Der Zweck der Sache ist nicht, daraus einen Gewinn zu erzielen, der Staat will aber seine Auslagen, seine Zinsen gedeckt haben. Nun glaube ich, wenn wir jetzt eine Spannung haben zwischen 2 ½ und 3 %, so wird es nicht lange dauern, daß bei dem wachsenden Umschlag der Kasse allerdings eine angemessene Verzinsung der Kapitalien, die der Staat hergegeben hat als Ein⸗ lagen, und eine Deckung der Verwaltungskosten eintreten wird. Gegen⸗ wärtig kostet das Geld, das der Staat als Einlage in diese Kasse giebt, nicht mehr als 3 %, und daher ist es kein Opfer, wenn wir dieser Kasse, die ihrerseits so operiert, daß sie schließlich die 3 % ver⸗ zinsen wird, die Einlagen zu 3 % geben. Wir geben ihr Konsols diese kosten uns 3 % Verzinsung. Wenn wir also die 3 % wieder⸗ bekommen und die Deckung aller übrigen Auslagen der Kasse, dann ist das Unternehmen durchaus keine Unterstützungskasse, welche dritten Personen Liebesgaben gewährt.
Herr von Eynern hat ganz Recht: wenn sich der Geldmarkt gänz⸗ lich ändern würde, wenn der Staat das Geld nicht mehr so billig bekommen würde, oder wenn die Kasse für ihre Depositen erheblich höhere Zinsen zahlen müßte, so würde die Kasse auch nicht bei den gegenwärtigen Bedingungen stehen bleiben können.
Herr von Bockelberg hat mit Recht gesagt, daß im großen Ganzen die Kasse sich nicht unabhängig machen lassen kann von der Lage des Geldmarkts, sondern daß ihre Operationen beeinflußt werden durch den ganzen Stand des Zinsfußes und des Geldmarkts. Aber gegenwärtig hat die Kasse doch nach diesen Grundsätzen gehandelt, und ich hoffe, daß das noch lange so fortdauern wird. Der Ansicht bin ich allerdings, die auch schon vorher ausgesprochen ist, daß selbst mit vorübergehenden Opfern, wenn sie nach der Gesammtlage der Kasse erträglich sind, die Kasse bestrebt sein muß, einen möglichst stabilen Zinsfuß zu halten. Daß das nicht immer ganz erreicht