Der beantragte Gesetzentwurf verfolgt im wesentlichen denselben Zweck, welchen die Anträge der Herren Abgg. Dasbach und Knebel verfolgen, deren Ablehnung Ihre Kommission beantragt hat. Es soll das Gesetz von 1881 geändert werden und an Stelle der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen diejenigen Bestimmungen des Gesetzes von 1876 treten, welche nur für einen Theil der Monarchie bisher in Geltung standen. Um sich klar darüber zu werden, ob man diesem
Antrage zustimmen will, ist zu prüfen: ob die bisher in Geltung
stehenden Bestimmungen sich als lückenhaft, bedenklich oder unzweck⸗
mäßig erwiesen haben und ob die Bestimmungen des Gesetzes von 1876
zweckmäßiger wie die geltenden sein würden.
Meine Herren, bei der Generaldiskussion habe ich Folgendes esagt:
8 Die Staatsregierung ist — soweit ich deren Anschauungen kenne und auszusprechen befugt bin, da eine Stellungnahme der Staatsregierung zu den vorliegenden Anträgen noch nicht statt⸗ gefunden hat — der Ansicht, daß das Gesetz von 1881 in wirth⸗ schaftlicher, volkswirthschaftlicher und sonstigen Beziehungen eine
günstige Einwirkung geübt hat.
Diese Ansicht kann ich im vollsten Maße auch gegenwärtig nur auf⸗ recht erhalten. Wir haben erneut sorgsam und eingehend geprüft, ob aus der Handhabung des Gesetzes von 1881 Mißstände hervorgetreten sind, ob in dieser Gesetzgebung selbst Bedenken und Fehler liegen. Diese Prüfung hat zu dem Ergebniß geführt, daß die Anschauungen, welche ich bei der Generaldiskussion ausgesprochen habe, von der Staatsregierung aufrecht erhalten werden, daß kein Grund vorliegt, an den zur Zeit bestehenden gesetzlichen Bestimmungen eine Aenderung eintreten zu lassen. Aber, meine Herren, auch in materieller Be⸗ ziehung liegen erhebliche Bedenken vor, statt der geltenden Be⸗ stimmungen das Gesetz von 1876 auf die westlichen Landestheile auszudehnen. Das Gesetz von 1876 bezieht sich auf Forsten, die fast ausschließlich in der Ebene liegen. Es bezieht sich auf Forsten, die meistens im Besitz größerer Kommunal⸗ verwaltungen sich befinden, die in der Lage sind, eigene technisch genügend gebildete Forstbeamten anzustellen und selbst die forstlichen Interessen ihrer Kommunalwaldungen sachgemäß wahrzunehmen. Nach dieser Richtung hin liegt hier also kein Anlaß zu einer strengeren und sorgfältigeren Aufsichtsführung vor, wie das in den westlichen Landes⸗ theilen wenigstens zur Zeit noch geboten ist. Meine Herren, darüber kann doch gar kein Zweifel bestehen, daß die Staatsaufsicht über Forstanlagen, welche im Gebirge liegen, sorgfältiger, vorsichtiger ge⸗ führt werden muß als über solche Forsten, die in der Ebene sich be⸗ finden. Die Staatsregierung ist verpflichtet, in dieser Richtung äußerst vorsichtig vorzugehen, da genügende Erfahrungen über die Folgen zu laxer Handhabung der Aufsichtsführung in den westlichen Landestheilen vorliegen. Nicht die historisch erwachsenen Vorschriften und reglementarischen Bestimmungen, welche im Laufe dieses Jahr⸗ hunderts als zweckmäßig und sachgemäß für die lokalen Verhältnisse sich herausgebildet haben, waren zu ändern — ihre strengere und all⸗ gemeine Durchführung erschien geboten.
Meine Herren, ein wesentlicher Unterschied in den Einrichtungen
im Westen besteht darin, daß dort kommunale Förster angestellt werden, die direkt unter der Aufsicht der Regierung und der bei der Regierung angestellten höheren Forsttechniker stehen. Das würde, wenn das Gesetz von 1876 eingeführt würde, beseitigt werden.
Die Staatsregierung ist daher der Ueberzeugung, daß es im hohen Grade bedenklich sein würde, wenn nach dem gestellten Antrag ein Gesetz, welches für die östlichen Landestheile im Jahr 1876 er⸗ lassen ist, ohne weiteres für die westlichen Landestheile eingeführt würde.
1 Meine Herren, die Staatsregierung hat auch sorgfältige Ermitte⸗ lungen darüber angestellt, ob die Unzufriedenheit mit dem Gesetz von 1881 und mit dessen Handhabung so berechtigt ist, wie das der Herr Abg. Dasbach darlegt. Ich erkläre mit Bestimmtheit, daß nach Ueberzeugung der Staatsregierung die Unzufriedenheit vielleicht aus diesen oder jenen Gründen, die außerhalb der forstlichen Interessen liegen, eine mehr oder weniger künstlich erzeugte ist, daß dieselbe in dem geschilderten Umfange überall nicht besteht. Schon bei der Generaldiskussion habe ich hervorgehoben, daß ausdrücklich einzelne Mitglieder der Gehöferschaftswaldungen erklärt haben, daß sie sowohl mit der Aufsichtsführung, als auch mit den Wirkungen des Gesetzes von 1881 durchaus einverstanden seien. Ich bin in der Lage, aus einem amtlichen Bericht dafür den Beweis zu erbringen. Bei weitaus der Mehrzahl der Mitglieder der fraglichen kommunalen Ge⸗ nossenschaften besteht der Wunsch, daß der gegenwärtige Zustand intakt erhalten werde. Obwohl ein formeller Beschluß der Staats⸗ regierung noch nicht vorliegt, glaube ich bestimmt erklären zu können, daß die Staatsregierung einem Antrag auf Aenderung des gegenwärtigen gesetzlichen Zustandes nicht zustimmen wird, weil sie nach wie vor der Ueberzeugung ist, daß die Gesetzgebung nach allen Richtungen günstig gewirkt hat und noch viel günstiger wirken wird, wenn sie längere Zeit in Anwendung bleibt, damit die leider oft stark devastierten Waldungen mit der Zeit sich wieder günstig ent⸗ wickeln. Das würde für die klimatischen Verhältnisse der Gegend und, die wirthschaftliche Lage der Betheiligten von größtem Nutzen sein. 1
Ich beantrage deehalb, daß Sie die sich auf die ganze Monarchie beziehende Resolution und den beantragten Gesetzentwurf ablehnen.
Abg. Schreiber⸗Nordhausen (fr. kons.) erklärt, daß seine Fraktion trotz de. Ausführungen des Ministers für die Kommissions⸗ vorschläge stimmen werde.
Abg. von appenheim (kons.) will gleichfalls zunächst für die Kommissionsbeschlüsse stimmen, dann aber noch weitere Erwägungen darüber anstellen, ob nicht das Gesetz von 1876, welches jetzt auf die Rheinprovinz ausgedehnt werden soll, auch noch auf andere Provinzen zu erstrecken sei.
et Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ ein.
Meine Herren! Ich sehe mich veranlaßt, einige Mittheilungen aus einem amtlichen Bericht zu geben, der am 15. März d. J. bei der Staatsregierung eingegangen ist. Darin theilt der Bericht⸗ erstatter mit, wie die Petitionen gegen das Gesetz von 1881 zu stande gekommen sind. Er sagt, es sei an die Vorstände der Genossen⸗ schaftswaldungen ein gedrucktes Formular für Petittonen vertheilt, wie solche an die Staatsregierung beziehungsweise den Landtag gelangt sind. Von diesem gedruckten Formular haben die Vorstande der Genossen⸗ schaften Abschrift genommen, und ohne mit dem Inhalt der Vorstellung sich genügend bekannt gemacht zu haben, selen diese Vorstellungen unter⸗ schrieben. Nun werden verschiedene Genossenschaften namhaft ge⸗
macht: eine, wo nach Antheilen berechnet nur 28 % der Genossenschaftsantheile die Eingabe unterschrieben haben; eine fernere Genossenschaft, wo nur 49 Genossenschaftsantheile sich an der Petition betheiligt haben. Der Berichterstatter sagt, ohne daß er Kenntniß von den Beschwerden bezw. dem Inhalt der⸗ selben gehabt habe, habe er bei zufälligem Anlaß mit den Vorständen dieser eben bezeichneten Genossenschaften sich darüber unterhalten, wie sie denn mit den gegenwärtig bestehenden gesetzlichen Bestimmungen bezw. deren Handhabung befriedigt seien; die Betheiligten haben aus⸗ drücklich erklärt, sie wären dankbar für die staatliche Aufsicht und die Hilfe, die ihnen gewährt würde. „Sonst käme in der Genossenschaft bei dem bekannten Streit und Zank innerhalb derselben und ihrer Mitglieder überhaupt Nichts mehr zu stande, die seien daher mit den gegenwärtigen Einrichtungen sehr zufrieden.“
Von einer anderen Genossenschaft wird ausgesprochen, die Gehöferschaft sei mit der bisherigen Ausführung der Staats⸗ aufsicht durchaus zufrieden und habe keinerlei Klage. Die Eingaben, die ihnen gedruckt mitgetheilt sind, haben sie zwar unterschrieben, haben sich aber wenig dabei gedacht; außerdem haben sie dem Druck von der Seite, von welcher die Anregung ausgehe, Rechnung tragen müssen.
Meine Herren, die Verhältnisse in Cassel liegen folgendermaßen: Es besteht die Bestimmung, daß in jedem Fall die Revierförster — die verwaltenden Betriebsbeamten in Kurhessen — den Betriebsplan für Gemeinde⸗ oder Genossenschaftswaldungen mit den Stadt⸗ oder Gemeindevorgesetzten oder sonstigen Vorständen gemeinsam berathen sollen. Darüber, meine Herren, daß diese Bestimmung nicht ausgeführt sei, ist eine Beschwerde an die Staatsregierung bisher nicht ergangen. Wenn gesagt wird, darüber beständen aber erhebliche Beschwerden, so ist nach dem bisherigen Gebrauch, welcher hier im Hause stets beachtet worden ist, doch zunächst abzuwarten, daß die Betheiligten selbst ihre Beschwerden bei den zuständigen Staats⸗ organen vorbringen. Den Herren, die diese Beschwerden hier er⸗ heben, fehlt nach meiner Ueberzeugung solange der Beruf und die Legitimation, eine solche Beschwerde hier zu erheben, wie die Be⸗ theiligten selbst keine Veranlassung nehmen, über die Handhabung der Bestimmungen sich zu beschweren, oder bis sie bei der Staatsregierung mit berechtigten Beschwerden enthört sind.
Dann ist Folgendes interessant. In den landräthlichen Kreisen Hünfeld und Hersfeld sind im Ganzen 17 Genossenschaftswaldungen. Für 12 dieser Waldungen sind Betriebsregulierungswerke in den letzten 25 bis 30 Jahren, also seit der Annexion, überhaupt nicht aufgestellt oder erneuert worden. Für die übrigen 5 Waldungen sind Betriebs⸗ regulierungen aus den Jahren 1872 — 1888 vorhanden. Daß seiner Zeit den Vorständen der Genossenschaften die Regulierungspläne vor⸗ gelegt und von denselben genehmigt sind, läßt sich an sich kaum be⸗ zweifeln. Für eine dieser Regulierungen geht aus den Akten des Ministeriums aber hervor, daß die Verhandlungen mit dem Genossen⸗ schaftsvorstande stattgefunden haben.
Einmal aus dem Umstand, daß bisher keine Beschwerden über die Nichthandhabung der gesetzlichen Bestimmungen vorliegen, anderer⸗ seits daraus, daß in diesen Waldungen Betriebspläne unbeanstandet eingehalten werden, welche schon vor 25 Jahren festgestellt sind, und daraus, daß in den wenigen Fällen, wo neue Betriebsregulierungspläne fest⸗ gestellt worden sind, wenigstens in einem Falle bei der obersten Ministerialinstanz der Nachweis vorliegt, daß den betreffenden Be⸗ stimmungen Genüge geschehen ist, und daß in anderen Fällen Be⸗ schwerden nicht ergangen sind, 'muß ich entnehmen, daß die hier auf⸗ gestellte Behauptung, daß die bestehenden Vorschriften nicht gehandhabt werden, unberechtigt ist.
Die rechte Seite des Hauses gestatte ich mir daran zu erinnern, daß dieselbe bisher stets den Standpunkt vertreten hat, daß eine sachgemäße aber strenge Handhabung der Staatsaufsicht über die der Gefahr der Devastation in den westlichen Landestheilen zweifellos ausgesetzten Genossenschaftswaldungen von der Staatsregierung gehand⸗ habt werden müffe. Ich erkenne an, daß eine zu scharfe Hand⸗ habung der Staatsaufsicht die Neigung der Betheiligten, im Anschluß an diese Genossenschaftswaldungen Oedländereien aufzusorsten, ge⸗ fährden würde. Aber nach den bisher vorliegenden Erfahrungen ist das durchaus nicht der Fall. Da der Staat für die Aufforstung von Oedländereien — und darauf kommt es hauptsächlich an — erhebliche Zuschüsse gewährt, soweit nöthig technische Hilfskräfte zur Verfügung stellt, die nothwendig sind, damit mit Geschick und Sparsamkeit aufgeforstet wird, so haben wir in den mestlichen Landestheilen die Erfahrung machen können, daß unter den bisher geltenden Be⸗ stimmungen, unter der Handhabung der reglementarischen Be⸗ stimmungen und über Gewährung von Zuschüssen zur Unterstützung der Aufforstung die Neigung zur Aufforstung von Oedflächen nicht allein nicht abgenommen, sondern zugenommen hat.
Ich bin immer der Meinung gewesen, daß ein Sprichwort richtig ist, welches sagt: quieta non movere! Das Gesetz von 1881 besteht seit nicht zu langer Zeit, etwa jetzt 15 Jahre, dasselbe hat zweifellos — das erkennen alle Sachverständigen, die Staatsbehörden sowohl wie die Betheiligten selbst, an — günstig gewirkt. Weshalb will man jetzt in diese günstige Entwickelung eingreifen, wo dieselbe anfängt, einen günstigen Verlauf zu nehmen? Weshalb will man experimentieren? Ein Gesetz vom Jahre 1876, das für ganz andere Verhältnisse, für ganz andere Landestheile, für ganz andere kommunale Bildungen erlassen ist, in den westlichen Landestheilen cinzuführen, ist ein gefähr⸗ liches Experiment. Ich möchte glauben, meine Herren, die ganze Be⸗ wegung ist mehr oder weniger eine künstliche, gemachte, wobei die wirthschaftlichen Interessen, wenigstens nicht allein, maßgebend ge⸗ wesen sind, wobei vielmehr auch andere Motive die Ursache der Be⸗ wegung bilden. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß auf solche Anträge einzugehen das hohe Haus Bedenken tragen wird. .
Abg. Knebel (nl.) protestiert gegen die Unterstellung, daß für seinen Antrag andere als lediglich wirthschaftliche Gründe bestimmend
ewesen seien; seine Partei stimme mit Entschiedenbcit einstimmig ür die Kommissionsanträge. Er wolle mit seinen Vorschlägen nur Frieden schaffen. Das Forst ystem in der Rheinprovinz sei so ungünstig, daß die Regierung selbst schon an eine Aenderung gedacht habe. Die Kommissionsbeschlüsse würden an die Stelle einer gährenden Unz friedenheit die Zufriedenheit setzen.
Abg. Daßhach (Zentr.) vermuthet, daß in den dem Minister seitens der Bezirksregierung zugegangenen Berichten sein Name genannt und er beschuldigt sei, die Unzufriedenheit künstlich erregt zu haben, und erklärt, sich so etwas nicht gefallen lassen zu wollen. Die meisten Gehöferschaften hätten sich geweigert, das Gesetz auszuführen; glaube man, daß die Leute so hörig seien, um sich Te⸗ zu lassen, oder daß er gewissenlos genug sei, sie “ 8
Abg. von Pappenheim (konf.) betont dem Minister gegen⸗
über, daß das 8g dazu da sei, Beschwerden vorzubringen; mit der staatlichen Aufsicht der Gemeindeforsten sei seine Partei einverst
tand aber es komme darauf an, wie die Aufsicht ansgeübt werde. Gasee.
non movere sei nur da richtig, wo quieta vorhanden seien, er wolle
aber erst durch die Kommissionsanträge quieta schaffen. Protestieren
R’. er dagegen, daß ihm andere Motive untergeschoben würden, als
er habe.
stei Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer⸗ ein:
Ich muß mich gegen die eben gemachte Behauptung des Herrn Vorredners verwahren. Die untergeschobenen Motive lehne ich ab, ich habe sie auch nicht gehabt oder ausgesprochen.
Was die Bemerkungen über die Thätigkeit der Forstbeamten be⸗ trifft, so muß ich doch sagen: sollten wirklich solche Ungehörigkeiten vorgekommen sein, Forstbeamte, höhere oder untere, sich Ungehörig⸗ keiten haben zu Schulden kommen lassen, so wäre der richtige Weg der gewesen, bei den vorgesetzten Behörden über diese Beamten Be⸗ schwerde zu führen. Nicht aber berechtigen solche Vorkommnisse zu einer Aenderung der Gesetzgebung. Ich erkläre bestimmt: wenn mir nachgewiesen wird, daß einzelne Forstbeamte, mögen dieselben der höheren oder unteren Kategorie angehören, die ihnen obliegende Dienstpflichten in so gröblicher Weise, wie das hier behauptet wird verletzt haben, dann werde ich mit der größten Strenge gegen solche Beamte vorgehen; bisher sind aber Beschwerden in dieser Richtung an mich nicht gelangt, also war ich auch bisher nicht in der Lage, Re medur gegen die angeblich vorliegenden Mißstände zu schaffen.
Abg. Zimmermann (fr. kons.) erklärt, daß seine Freund wegen der vorhandenen begründeten Beschwerden sich den Kommissions anträgen anschließen und, da der Minister sich ablehnend gegen di Resolution verhalte, darauf Bedacht nehmen würden, in dritte Säsanm den Kommissionsentwurf auch auf andere Provinzen aus zudehnen.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer tein:
Ich erwidere: wo berechtigte Beschwerden an die Staatsver 8
waltung gelangt sind, sind dieselben geprüft und abgestellt. Ich habe schon bei der Generaldiskussion, wenn ich mich recht entsinne, erklärt daß es unrichtig gewesen sei, daß in den Jahren 1892/93, wo der
große Streu⸗ und Futtermangel war, man vielleicht in diesem oder jenem Einzelfalle die bestehende Bestimmung zu schroff gehandhabt habe; ich stelle nochmals fest, daß ich zugesagt habe, berechtigten Beschwerden abhelfen zu wollen, und das ist meines Wissens bisher
auch schon geschehen. Ober⸗Landforstmeister Donner Debatte vorgetragene Beschwerden und bemerkt, daß in den Gehöfer⸗
schaften zwei Parteien beständen; die eine sei am Holz, die andere an der Streu interessiert, eine allgemeine Unzufriedenheit sei nicht
vorhanden.
Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. Knebel und 1 letzteren, olzverkäufe zu spät vor⸗
Dasbach erwidert Ober⸗Landforstmeister Donner dem daß, wenn die Gemeinden in Hessen ihre genommen hätten, dies ihre Sache sei, aber die Regierung nichts angehe
Die Abgg. Schreiber und Knebel bemerken, daß die Staats⸗ aufsicht an sich auch von ihnen für nöthig gehalten werde.
Der Gesetzentwurf der Kommission und die Resolution 8
werden nahezu einstimmig angenommen.
Es folgt die Berathung des Antrags der Abgg. Brütt
und Freiherrn von Zedlitz (fr. kons.):
Die Regierung aufzufordern, ihre Einwirkung dahin geltend zu machen, daß von den Vorschlägen der Kommission für Arbeiterstatistik, betreffend die Regelung der Verhältnisse der Angestellten in offenen Ladengeschäften, dem v „Offene Verkaufsstellen müssen während der Zeit von 8 Uhr Aben Publikum geschlossen sein“ keine Folge gegeben werde.
Abg. Brütt (fr. kons.):
Verhältnisse sollte nur stattfinden, wenn ein dürfniß dazu vorliegt. Im Publikum ist liebe für neue Gesetze
unbedingtes Be⸗ keine große
wachs. Die Vortheile dieses Beschlusses der Kommission für Arbeiter⸗ statistik werden weit überwogen durch seine Nachtheile. Eine ge⸗ wisse Erklärung findet er durch seine Genesis; er ist vom grünen Tisch aus gemacht, ohne Berücksichtigung der reellen Verhältnisse. Auffallend ist vor allem die Schablonisierung. Alles wird über denselben Leisten geschlagen. Anerkannt wird, daß die Kontrole eine sehr schwierige sein werde; man verweist auf die Magistratsmitglieder und Stadtverordneten. Sollen die etwa im Nebenamte Nachtwächter werden? Durch die Einschränkung der Kaufgelegenheit wird auch der Konsum zurück⸗ gehen. Bemerkenswerth ist, daß die Sozialdemokraten ihre helle Freude an den Vorschlägen der Kommission haben. Sonst stimmt in der Verurtheilung dieser Vorschläge Alles überein, auch die an⸗ ““ Verbände und Korporationen. Die Bürgerschaft in Ham⸗ urg hat einen Beschluß gcfefi⸗ der sich nahezu mit unserm Antrag deckt. Die Sozialdemokratie strebt danach, den Arbeitsnachweis in die Hände der Arbeiter zu bekommen, dann wird kein Handwerks⸗ meister mehr Herr in seinem Hause sein. Der Vorschlag der Kom⸗ mission ist unnöthig und gemeinschädlich. Nehmen Sie daher unseren Antrag an.
Abg. Stötzel (Zentr.): sind überall mit großer Freude begrüßt worden, und wir 889. noch ereit, an der Durchführung derselben mitzuwirken. Die 2 orschläge der Kommission liefern keineswegs Wasser auf die Müble der Sozial⸗ demokratie. Bei der Sonntagsruhe sagte man dasselbe, aber in meiner Heimath erschienen damals in einer gegen die Sonntagsruhe gerichteten Versammlung ganze neun Mann. Wollte man heute die Sonntagsruhe wieder aufheben, so würde sich keiner mehr darüber erregen als die Gewerbetreibenden selbst. Wenn Arbeitszeiten von 14. bis 16 Stunden vorkommen, muß man da nicht die Gesundheit der wirthschaftlich Schwachen geeßlic schützen? Das liegt gerade im Rahmen der Kaiserlichen Erlasse. Die meisten Krankheiten kommen bei den hier in Betracht kommenden Anzestellten des Handelsstandes vor. Die durchaus nöthigen Ausnahmen werden auch hier wie in allen ähnlichen Gesetzen zugelassen werden. Ich habe das Vertrauen zur Regierung, daß sie das Richtige treffen werde. Lehnen Sie den Antrag ab! 8
Abg. von Eynern (nl.): Wir sind einstimmig für den Antrag. Die Kaiserlichen Erlasse haben nicht die Tendenz, daß vom grünen Tisch aus in alle Erwerbsverhältnisse eingegrissen werden soll. Würde die Sonntagsruhe auch auf die Wirthshäuser ausgedehnt, so würde die größte allgemeine Erregung durch das Land gehen. Der größte Fehler der Sonntagsruhe ist, daß sie die Leute in die Wirthshäuser treibt. Die Kommission hat am grünen Tische die Verhältnisse schlimmer gemacht, als sie sind. Wir kommen mit deren Vor⸗. schlägen zum Zwangsstaat. Jedem wird ein Polizist beigegeben, der ihm vorschreibt, wann er arbeiten darf, wann nicht. Die wirth⸗ schaftlich Schwachen sollen geschützt werden; aber die Schwachen wollen arbeiten, um wirthschaftlich zu erstarken, und die Kommission raubt lbnen, die Möglichkeit, ihre geistigen und körperlichen Kräfte zu entfalten.
Abg. Gothein (fr. Vgg.): Ich tbeile den Standpunkt des Abg. Brütt hinsichtlich des Erlasses neuer Gesetze und Verordnungen, indessen muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß nicht wir die Urheber der vielen neuen Gesetze der letzten Zeit sind. Wir wünschen auf dem Boden der kaiserlichen Erlasse, daß die übermäßige Arbeits⸗ zeit der Angestellten in Ladengeschäften beschränkt werde, aber diese schablonenmäßige Regelung der Kommission ist äußerst bedenklich, und
erwidert auf einige in der
ds bis 5 Uhr Morgens für das Ein Eingriff in die wirthschaftlichen Vor⸗
und Verordnungen vorhanden; es erträgt sie mit derselben Resignation wie Unwetter, Hagelschlag und Miß⸗
Die Kaiserlichen Erlasse von 1890.
dissem Sinne stimmen wir dem Antrage zu. In Bezug auf Schablone wird leider bei uns zu viel veleiste Die Gewerbe⸗ treibenden sind allerdings mit der Sonntagsruhe zufrieden, aber nicht zufrieden mit der schablonenmäßigen Durchführung. Namentlich in den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung werden die Ausnahmen ohne Rücksicht auf die Wünsche der 1“ lediglich nach dem Belieben der Poltzei festgesetzt. Nach dem Vorschlag der Kommission könnte sich niemand nach „Uhr sein Abendbrot mehr einkaufen, und die Bauhandwerker bedürfen auch im Sommer der Möglich⸗ keit, schon vor 5 Uhr einzukaufen. Wir wollen die Beschränkung der Arbeitszeit, aber nur, wenn die Bestimmungen individualisiert werden.
Abg. Bueck (nl.): Die Sozialpolitik hat eine bedauerliche Wendung genommen. Für das Bäckergewerbe ist zum ersten Mal der Maximalarbeitstag eingeführt worden. Ich habe die Sozialpolitik gern unterstützt, habe aber beim Normalarbeitstag für erwachsene männliche Arbeiter entschieden Halt gemacht. Angesichts der Beschlüsse der Metallarbeiter anläßlich des Strikes wegen der Maifeier kann man nicht mehr sagen, daß der Arbeiter der wirthschaftlich Schwache sei. Bei solchem Schutz der Arbeiter muͤßte man auch an einen Schutz der Betriebe denken. Um eine Kontrole über die Beschäftigung von Arbeitern an Sonntagen zu haben, hat man die Betriebe geschlossen. Die zugelassenen Ausnahmen haben meine Zustimmung nicht. In denjenigen, welche ihren Beruf darin sehen, in und mit der Zigarre im Mund im Gastlokal zu stehen und ein Faß Bier auszuschänken, kann ich nicht die Elite der Gewerbe⸗ treibenden sehen. Sehen Sie sich nur die alten Kaufleute an, die eine viel schlimmere Lehrzeit durchgemacht und viel schwerer haben arbeiten müssen, und doch viel erreicht haben in dieser Schule des Lebens. Hier handelt es sich um einen Vor⸗ schlag, der unsere Nation von der ernsten Arbeit abziehen wird, und die Folge werden geringere Leistungen sein. Die Kommission ist viel zu weit gegangen; sie hat zum Schaden unseres Erwerbslebens unter dem Einfluß des Sozialdemokraten Molkenbuhr und des Abg. Hitze gestanden. Sie hat nach meiner Auffassung nicht das Recht, Vorschläge zu machen, sondern nur das statistische Material zu be⸗ schaffen. Das englische department of labour hätte diese Frage besser gelöst. Die Thätigkeit der Kommission für Arbeiterstatistik ist jetzt nicht eine segensreiche für unser Erwerbsleben.
Abg. Richter: Man fängt jetzt auch auf der rechten Seite an, die Einmischung der Gesetzgebung in die Erwerbs⸗ und Wirthschafts⸗ verhältnisse als zu weitgehend zu erachten. Ich möchte bitten, diese Anschauungen auch im Reichstag zur Geltung zu bringen. Dort könnten sie Verwendung finden bei den dritten Lesungen, die jetzt tattfinden, z. B. bei der Gewerbenovelle. Dort werden die Laden⸗
itzer eben so schwer getroffen wie hier. Ich bin nur in der Lage, meine persönliche Ansicht zu dieser Frage zu äußern, habe auch mit meinem Urtheil noch nicht abgeschlossen. Anomal ist die ganze Stellung der Kommission für Arbeiterstatistik; sie ist etwas ganz Anderes geworden, als das, als was sie ursprünglich gedacht war. Das verdient, im Reichstag an ent⸗ sprechender Stelle besprochen zu werden. Im kaufmännischen Dienst⸗ personal sind vielfach erhebliche Mißstände vorhanden, und es ist nützlich, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Man sagt, die jungen Leute werden ins Wirthshaus getrieben. Das ist eine patriarchalische Auffassung, und die Einkommensverhältnisse sind auch nicht derart, daß die Bäune in den Himmel wachsen. Wenn gemeint wurde, daß wir viele tüchtige Kaufleute hätten, die unter viel schwereren Verhältnissen ihre Lehrlingszeit durchgemacht hätten, so mag das richtig sein, indessen ist der eine doch mehr Arbeiten und Anstrengungen zu ertragen befähigt wie der andere. Die jetzige Ladenzeit ist auch gar nicht immer im Interesse der Ladenbesitzer selbst. Viele würden gern eine Verkürzung herbeigeführt sehen. Ein Bedürfniß des Publikums kann man in der Allgemeinheit auch nicht anerkennen. Dennoch kann man zur Verurtheilung des Beschlusses kommen. Man sollte sich vor der Schablone hüten. Der Beschluß ist eine bureaukratische Schablonisierung ohne Rücksicht auf die realen Verhältnisse. Die kleinen Geschäfte werden mehr benachtheiligt wie die großen. Die großen Waarenhäuser schließen schon heute um 8 Uhr. Das Bedürfniß des Publikums ist auch verschieden an den verschiedenen Orten. Wenn ich gegen diesen Beschluß stimme, gebe ich aber kein Urtheil ab über die übrigen Vorschläge der Kommission; ich halte viele von ihnen für angemessen, einen anderen für noch bedenklicher, nämlich den, daß die Polizei ermächtigt sein soll, Maß⸗ nahmen zu treffen für ausreichende Heizung, Kost ꝛc. Die erste Frage ist: kann im Wege des Koalitions⸗ und Genossenschaftswesens von den Interessenten selbst Abhilfe geschaffen werden, ohne zur Polizei zu laufen? Die Sozialdemokratie stellt es so dar, als ob durch die Selbsthilfe garnichts, durch den Staat alles erreicht werden könne. Diesem Zuge der Zeit hätte die Regierung nicht nachgeben sollen. Ich mache dem Minister nicht die sozialpolitischen Maßnahmen selbst, aber die sensationelle Art ihrer Durchführung zum Vorwurf. Diese sensationelle Methode datiert vom Februar 1890. So war es auch kürzlich bei der Untersuchung der Verhältnisse im Konfektionsgewerbe. Freude daran hat nur die Sozialdemokratie. Unzufriedenheit wird erregt bei den Arbeitgebern, den Besitzern, Unzufriedenheit bei den Arbeitern gewinnt die Sozialdemokratie, ohne daß auf der anderen Seite etwas geändert wird.
Minister Berlepsch:
Ueber die Materie, welche die Grundlage des gestellten Antrages ist, mich heute eingehend auszusprechen, bin ich nicht in der Lage, weil das preußische Staats⸗Ministerium zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen hat. Der Bericht über die Verhandlungen der arbeiterstatistischen Kommission ist seitens des Herrn Reichskanzlers auch dem preußischen Staats⸗Ministerium zugegangen. Dort werden sie demnächst zur Besprechung kommen, und es wird auch dort die Frage behandelt werden, ob es nöthig und zweckmäßig ist, den im Gewerbe des Detailhandels vorgefundenen Mißständen durch einen in der ganzen Monarchie gleichzeitigen Ladenschluß vorzubeugen. Man kann ja über diese Frage sehr verschiedener Meinung sein; ich möchte unr die arbeiterstatistische Kommission in Schutz nehmen. Sie hat mit ihrer Majorität gegen eine Minorität, die ja auch zum Worte gekommen ist, den einheitlichen Ladenschluß im wesentlichen aus dem Grunde der sonst nicht möglichen Kontrole zum Beschluß erhoben. Ueber die Sache selbst wird das preußische Staats⸗Ministerium also noch Be⸗ schluß fassen und wird in den Kreis seiner Erwägungen auch diejenigen Gründe ziehen, die heute seitens der Herren Redner gegen den all⸗ gemeinen gleichzeitigen Ladenschluß vorgebracht sind.
Wenn ich nun die Gelegenheit nehme, um noch auf einige all⸗ gemeine Bemerkungen zu antworten, so werden die Herren das be⸗ greiflich finden, namentlich mit Rücksicht auf die Ausführungen des letzten Herrn Vorredners. Er will mir nicht zum Vorwurf machen einzelne Maßnahmen, die meinerseits in die Wege geleitet oder ver⸗ theidigt sind. Er richtet sich wesentlich gegen die sensationelle Behandlung der arbeiterpolitischen Fragen, die, wie er glaubt, auf Grund der Erlasse vom Februar 1890 eingetreten sei. Worin das Sensationelle dieser Be⸗ handlung besteht, hat er meines Erachtens doch nicht genügend dar⸗ gelegt. Ich kann nicht erkennen, daß in der Art, wie die Unter⸗ suchungen — das ist ja wohl die Grundlage seiner Behauptung — über die Arbeiterverhältnisse geführt werden, etwas Sensationelles liegt. Nach meiner Meinung sind es gründliche Untersuchungen, aber nicht sensationelle; es wird dabei nichts aufgebauscht, sondern es werden die Thatsachen nach Möglichkeit klarzustellen gesucht.
für Handel und Gewerbe Freiherr von
Es wird so verfahren, daß man zunächst eine weit ausgedehnte
Umfrage an die betheiligten Arbeitgeber⸗ und Arbeitnehmerkreise richtet, die schriftlich beantwortet wird. Was aus diesen Antworten noch nicht genügend klar ersichtlich ist, wird durch Vernehmung und Aus⸗ sagen von Auskunftspersonen ergänzt. Daß dabei eine Reihe von Verhältnissen besprochen werden, die bisher unbekannt waren, deren Besprechung sich meines Erachtens aber in der Oeffentlichkeit sehr ne verlohnt, will ich zugeben, kann es aber nicht für sensationell alten.
Herr von Eynern, wenn ich nicht irre, hat bemerkt, daß die Be⸗ richte der Kommission doch von Vortheil wesentlich deshalb gewesen seien, weil sich in sehr vielen Fällen gezeigt habe, daß im Publikum weit übertriebene Anschauungen über Mißbräuche herrschten, die in einzelnen Gewerben vorhanden seien. Meine Herren, ich kann mich dieser Meinung nicht anschließen. Ich bin der Ansicht, daß durch die Untersuchungen der Kommisston sich doch eine Reihe von Mißständen ergeben haben, von denen man wohl im allgemeinen sprach, die aber so klar als vorhanden früher nicht nachgewiesen waren. Ich kann weder in der Art der Erhebungen, die seitens der Kommission an⸗ gestellt worden sind, noch in den Thematen, die die Kommission sich gestellt hat, Momente finden, aus denen man gegen sie Vorwürfe ableiten könnte, und das letztere um so weniger, als ja nicht die Kommission sich die Aufgaben stellt, sondern als der Kommission die Aufgaben seitens des Herrn Reichskanzlers gestellt werden.
Wenn dann die Erhebungen im Druck veröffentlicht werden, wenn sie dem Buchhandel zugänglich gemacht sind, so kann ich auch darin eine sensationelle Aufbauschung der Verhältnisse nicht erblicken, sondern die Erfüllung einer Forderung, die, soweit mir bekannt ist, in den allerweitesten Kreisen von jeher erhoben ist, daß man aus diesen Verhältnissen kein Geheimniß machen soll, sondern daß man, soweit man darüber informiert ist, sie auch der Oeffentlichkeit zu⸗ gänglich machen sollte. Der Herr Abg. Richter hat auch gefunden, daß die Behandlung der Konfektionsfrage z. B. als eine sensa tionelle anzusehen sei. Ja, meine Herren, ich muß nochmals darauf hinweisen⸗ wie der ganze Reichstag beschlossen hat, die Regierungen anzugehen, in dieser Frage Erhebungen anzustellen, eingehend zu erörtern, wie denn die Dinge eigentlich liegen, und nun hat die Kommission auf demselben Wege, den sie bisher eingeschlagen hat, durch schriftliche Erhebungen, wie durch mündliche Vernehmungen und durch Benutz ung des Materials des Berliner Einigungsamtes sich bemüht, die Ver⸗ hältnisse der Konfektions⸗ und Wäschebranche klarzustellen. Ich finde nicht, daß man Ursache hat, das als sensationelle Behandlung anzusehen; (Rufe: Lauter!) Man würde dann mit demselben Recht den gleichen Vorwurf dem Reichstage machen müssen, der in fast allen seinen Vertretern die Forderung gestellt hat, daß der Bundesrath eine ver⸗ säumte Pflicht — so war im Großen und Ganzen die Auffassung — nachholen sollte und sich mit den Verhältnissen in der Konfektions⸗ branche eingehend beschäftigen —, ich halte ihn nicht für begründet.
Es sind bei Besprechung des Antrags noch viele andere Gesichts⸗ punkte zur Sprache gekommen, wie das auch zu erwarten war. Der Ladenschluß hat in den einzelnen Ausführungen den kleineren Theil eingenommen; es sind eine ganze Reihe von anderen Verhältnissen besprochen worden, die Ausführungen des Herrn Abg. Richter, der sich über die Behandlung der Arbeiterfrage in der von mir geschilderten Beziehung mißbilligend geäußert hat, stehen nicht allein. Meine Herren, die Herren Redner haben sich zu den Fragen, die uns augen⸗ blicklich beschäftigen, verschieden gestellt: die einen haben anerkannt, daß es doch auch im Handelsgewerbe Mißstände giebt, die wohl einer gesetzlichen Regelung bedürfen; nur über die Art der Beschränkung sind sie anderer Meinung als die arbeitsstatistische Kommission. Die anderen haben zum Ausdruck gebracht, daß es überhaupt nicht richtig sei, nun noch weiter in der Arbeiterfrage gesetzlich vorzugehen. Am schärfsten hat diesen Standpunkt der Abg. Bueck vertreten, der besonders auf die Bäcker⸗ verordnung eingegangen ist und unter anderem die Behauptung auf⸗ gestellt hat: dieselbe sei deshalb so bedenklich, weil hier zum ersten Male für männliche erwachsene Arbeiter der Maximalarbeitstag ein⸗ geführt sei. Diese Behauptung ist nicht zutreffend, es existiert doch, wie Herr Bueck wissen muß, eine Verordnung des Bundesraths über die Beschäftigung in Blei⸗, Zucker⸗ und Farbenfabriken, die die Arbeit der männlichen erwachsenen Arbeiter einschränkt. Diese Behauptung ist also unzutreffend. Des näheren auf die Bäckerfrage einzugehen, kann ich mir wohl sparen, da ich vor wenigen Tagen Gelegenheit hatte, im Reichstag sie eingehend zu erörtern.
Der Abg. Bueck ging in seinen Ausführungen so weit, daß er meinte, die Einschränkung der Arbeitszeit könne dazu führen, ein ent⸗ nervtes, schwächliches Geschlecht in Deutschland zu erziehen. Meine Herren, wenn man so weit geht, so ist das ein Standpunkt, der mir absolut unverständlich ist. (Zustimmung.) Er greift die ganze Ar⸗ beiterschutzgesetzgebung ex fundamento an, nicht nur die für den erwachsenen männlichen Arbeiter, sondern auch den Arbeiterschutz für die Frauen, für die jugendlichen Arbeiter und für die Kinder. Der⸗ selbe Gesichtspunkt muß auch ihm gegenüber gelten — wenn man sich überhaupt auf den Standpunkt stellt, daß die Einschränkung der über⸗ mäßigen Arbeitszeit — um die es sich überhaupt nur handelt — dazu führen kann, eine schwächliche Nation zu erzielen.
Nun, meine Herren, ist über die Stellung der arbeiterstatistischen Kommission im allgemeinen gesprochen worden. Auf die Einzelheiten der Vorwürfe, die ihr gemacht sind, jetzt einzugehen, habe ich keine Veranlassung; aber die Gesammtauffassung, die gegenüber der arbeiter⸗ statistischen Kommission zum Ausdruck gebracht worden ist, veranlaßt mich doch, noch einige Worte über die Stellung und Aufgaben der⸗ selben zu sagen.
Der Herr Abg. Bueck hat den § 1 des Reglements, auf den die Kommission ihre Thätigkeit stützt, verlesen. Damit hat er aber noch nicht die sedes materiae eröͤrtert: diese findet sich in § 4, und er würde meines Erachtens richtiger verfahren haben, wenn er diesen § 4 zur Kenntniß des Abgeordnetenhauses gebracht hätte. Dort steht nämlich:
Die Kommission für Arbeiterstatistik hat die Aufgabe, auf An⸗ ordnung des Bundesrathes oder des Reichskanzlers die Vornahme statistischer Erhebungen, ihre Durchführung und Bearbeitung, sowie ihre Ergebnisse zu begutachten.
Auf Grund dieses Paragraphen hat nun der Herr Reichskanzler im einzelnen Falle der Kommission den Auftrag gegeben, gewisse Er⸗ hebungen anzustellen und über das Resultat ein Gutachten zu erstatten. So ist es auch im vorliegenden Fall geschehen. — Ich kann augen⸗ blicklich die bezügliche Anordnung des Herrn Reichskanzlers nicht finden; sie lautete jedenfalls dahin, daß die Kommission beauftragt wurde,
das Statistische Amt in seinen Arbeiten über die Lage der Angestellten im Handelsgewerbe zu begleiten, daß sie über die statistischen Er⸗ hebungen ein Gutachten abgeben solle und sich insbesondere auch darüber äußere, ob eine Veranlassung vorliege, im Wege der Gesetz⸗ gebung vorzugehen. Geradeso lag es bei der Bäckerfrage.
Die Kommission hat also eine Aufgabe erfüllt, die ihr vom
Herrn Reichskanzler gestellt worden ist, und da sowohl der Auftrag des Herrn Reichskanzlers wie die Ausführung dieses Auftrages auf einer gesetzlich unanfechtbaren Grundlage beruht, so kann man meines Erachtens irgend welchen Vorwurf gegen die Kommission nicht er⸗ heben. Meine Herren, es war auch, als die Arbeiterschutznovelle im Jahre 1891 erlassen war, ganz außer Zweifel, welche Aufgaben der Kommission zunächst gestellt werden würden. Aus den Ver⸗ handlungen des Reichstags, aus den Verhandlungen im Plenum erhellt, daß es sich zunächst um die Bäckerei und die Müllerei, um die Handelsangestellten, um die Angestellten im Verkehrsgewerbe und im Kellnergewerbe handeln würde. Diese Auf⸗ gaben sind nun auch der Kommission gestellt. Man hat dann vielfach von einer ungeheuren Ueberstürzung ge⸗ sprochen, deren sich die Arbeiten der Kommission schuldig machten. Meine Herren, nach vierjähriger Thätigkeit ist bis jetzt ein Resultat erzielt worden: die Anordnung über die Bäckerverhältnisse. Wie man da von einer Uebereilung und Ueberstürzung sprechen kann, das ist mir nicht erfindlich.
Der Herr Abg. Bueck hat gemeint: ja, über die Frage, ob die Kommission ihre Kompetenzen überschritten hat oder nicht, hat ja zunächst der Herr Reichskanzler zu entscheiden. Das ist meines Er⸗ achtens die einzige zutreffende Ausführung, die der Herr Abgeordnete gemacht hat. (Heiterkeit.) Es ist vollständig richtig: es ist Sache des Herrn Reichskanzlers, zu beurtheilen, ob die Arbeiten der arbeiter⸗ statistischen Kommission ihre Kompetenz überschreiten oder nicht; er hat ihr die Aufgaben zu stellen, er hat darüber zu urtheilen, ob diese Aufgaben richtig gelöst werden oder nicht. Das Regulativ, auf Grund dessen der Herr Reichskanzler und die Kommission verfahren, hat der Reichstag in so fern als legitim und bindend anerkannt, als er die Mitglieder in die Kommission wählt und als er die Kosten bestreitet, die durch die Kommission entstehen. Ich kann also nicht finden, daß die Vorwürfe, die gegen die Kom⸗ mission erhoben werden, begründet und berechtigt wären.
Im übrigen, meine Herren, wie gesagt, bin ich zur Zeit nicht in der Lage, zur Sache eine Aeußerung der Staatsregierung ab⸗ zugeben, aber in der allernächsten Zeit wird eine Erörterung und Be⸗ schlußfassung darüber stattfinden. 8
Abg. Möller (nl.): Obwohl ich ein Anhänger der So ialreform bin, muß ich doch dem Antrag zustimmen. Das Geset uͤber die Sonntagsruhe wurde gemacht, weil die freiwilligen Vereinbarungen darüber von den Konkurrenten nicht gehalten wurden. Die Unzufrieden⸗ heit besteht nicht über die Sonntagsruhe an sich, sondern darüber, daß den Ausnahmen nicht genügend Rechnung getragen ist. Neun Zehntel aller Leute freuen sich über die gewonnene Sonntagsruhe. Den Maximalarbeitstag wollen die einsichtigen, selbständ gen Arbeiter nicht, sie wollen die Freiheit haben, auch übermäßig zu arbeiten, um sich aus dem Sumpf zu ziehen, in dem 8 stecken. Nur die sozia⸗ istischen Elemente wollen den Maximalar eitstag auch für die er⸗ wachsenen männlichen Arbeiter, der aber die grausamste Maßregel sein würde, die wir treffen könnten. Ich werde nie dafür sein und stimme für den Antrag; denn durch den Vorschlag der Reichskommissio erreicht man nur auf Umwegen den Maximalarbeitstag.
bg. Cahensly (Zentr.) will eine Beschränkung der Ausbeutung des kaufmännischen Personals, meint aber, 92 was für die großen Städte passe, nicht für alle andern Verhältnisse geeignet sei. Er ver wahre sich dagegen, daß der Abg. Bueck den Abg. Hitze mit den Sozialdemokraten auf eine Stufe stelle. Der Achtuheschbi werde das patriarchalische Verhältniß zwischen den Kaufleuten und ihren An⸗ gestellten Ftöen. Eine stramme Lehrzeit habe vielen Kaufleuten, die heute groß dastehen und gern an ihre Lehrzeit zurückdenken, ihrer Gesundheit keinen Schaden gethan. Die jungen Leute würden sich nach 8 Uhr nur auf der Straße herumtreiben und nicht solche Kauf⸗ leute werden, wie sie teht im Auslande der Stolz Deutschlands seien. Abg. Schall (kons.): Wir wollen keine übermäßige Anstrengung der Angestellten im Handelsgewerbe, aber es sind auch die Interessen der Gewerbetreibenden, namentlich der kleineren, mit in Betracht zu ziehen. Der Zweck des Antrags scheint mir zu sein, den Bundesrath vor übereiltem Vorgehen zu warnen. Alle Interessen müssen sorg. fältig gegeneinander abgewogen werden. Man muß bedenken, daß die Handlungsgehilfen selbst einmal selbständig werden wollen und dann auch unter dieser Bestimmung leiden müßten, die allerdings auf sozialdemokratischen Einfluß zurückzuführen ist. Es ist schon über⸗ genug auf diesem Gebiete geschehen, wer findet sich denn noch dur alle diese Reglementierung hindurch? Zu bedenken ist auch, daß man kleiner Gewerbetreibende wegen des Achtuhrschlusses seinen Gehilfen entlassen müßte, um sich selbst über Wasser zu halten, und die Entlassenen würden das Proletariat vermehren. Diese Bestimmungen der Arbeiterkommission gehen zu weit, und das Haus ist befugt und berufen gewesen, hier seine Stimme warnend zu erheben. Bei den Bestimmungen über das Bäckereigewerbe haben wir nicht den Mangel einer korporativen Zusammenfassung gefühlt. So auch im Kaufmanns⸗ ewerbe. Das Gesetz richtet Zorn an! Und die Einführung detaillierter Bestimmungen stört das sittliche Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Nehmer. Wir werden dem Antrage zustimmen.
Abg. Stöcker: Ich kann dem Antrage nicht zustimmen. Viele wollen von der Sozialpolitik sich zurückziehen; sie ist vorbildlich für das Ausland gewesen. Jetzt glaubt man zu weit gegangen zu sein; man will keine Einmischung des Staats. ÜUnd doch ist diese nur des⸗ halb eingetreten, weil die sozialen Dinge dazu trieben. Solche An⸗ träge, wie der vorliegende, nützen nur wieder der Sozialdemokratie. Man sage, die Sonntagsruhe treibe die Leute ins Wirthohaus Warum hat man nicht den Muth, auch diesen Beschränkungen aufzuerlegen? Wir haben zu wenig, nicht zu viel gethan. Den Normalarbeitstag halte ich zwar für einen Fehler, aber ist er nicht heute schon gang und gäbe. Eine Schablone wünsche ich allerdings auch nicht. Die Handlungsgehilfen verdienen oft das tiefste Bedauern; von früh 5 bis 11 Uhr Abends müssen sie oft im Laden stehen, nur wegen einer elend kleinlichen Konkurrenz. Namentlich wegen der Motive, die für den Antrag angegeben sind, kann ich ihm nicht zustimmen. Die letzten 15 Jahre Sozialpolitik halte ich für ein Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte; ich möchte sie nicht missen und wünsche ein besonnenes Vorwärtsgehen auf diesem Wege; er ist der einzige, die sozialen Leidenschaften zu beruhigen.
Die Debatte wird geschlossen. Persönlich erklärt
Abg. Dasbach, daß die Mehrheit des Zentrums gegen den Antrag stimmen werde.
Im Schlußwort fuhrt
Abg. von Kardorf 825 aus: Herr Stöcker hat der rechten Seite des Hauses denselben Vorwurf gemacht, wie neulich im Reichstage der Minister. Mich trifft dieser Vorwurf nicht. Ich habe egen das Arbeiterschutzgesetz gestimmt, weil ich es für zu weitgehend häccr. Die ganze sozialpolitische Gesetzgebung seit dem Jahre 1890 efällt mir nicht. Wir haben polizeiliche Ueberwachung überall. Was hat es genutzt? Die Sozialdemokratie ist nicht verringert. Es muß eingehalten werden auf diesem Wege.
Die Abgg. Cahensly (Zentr.), Seyffardt (nl.) und Kla⸗ bing (kons.) erklären, nach dieser Begründung des Antrags durch den Abg. von Kardorff nicht mehr für ihn stimmen zu können.